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Anne Gold

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uns unsere Schuld

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Alle Rechte vorbehalten

ISBN der Printausgabe 978-3-7245-2364-2

Der Friedrich Reinhardt Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.

www.reinhardt.ch

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Es gibt nur einen Weg, um Kritik zu vermeiden:
nichts tun, nichts sagen und nichts sein
.

Aristoteles

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

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Das darf doch nicht wahr sein! Francesco Ferrari rechnete im Excel-Programm nochmals alles genau durch. Zweitausendfünfhundert! Unmöglich. Ich muss mich verrechnet haben. Also, nochmals von vorne. Minutiös begann er, in einer zweiten Spalte die aus dem Internet zusammengesuchten Daten erneut zu erfassen. Jetzt sind es sogar zweitausendachthundert! Irgendwo ist ein Fehler drin, bloss wo?

«Erwischt! Der Kommissär tüftelt ein neues todsicheres Lottosystem aus.»

«Wie? Guten Morgen, Nadine. Überhaupt nicht.»

Nadine rannte so schnell um den Schreibtisch herum, dass Ferrari nur noch die Internetseite schliessen konnte.

«Was sind das für komische Zahlen? 170, 240, 340. Die gibts beim Lotto gar nicht.»

«Sag ich doch. Du irrst dich.»

Ferraris Assistentin setzte sich auf die Schreibtischkante und drehte den Bildschirm zu sich.

«Was bedeuten die Zahlen?»

«Mein Geheimnis.»

«Gut, wie du willst. Ich komme dir schon noch auf die Schliche. Sicher irgendein neuer Wettfimmel. Du bist vom Spielteufel befallen, Francesco … Wie siehst du überhaupt aus? Gehst du auf einen Ball oder wirst du für dein Lebenswerk ausgezeichnet?»

«In einer Stunde ist die Abdankungsfeier für Irina von Tomai. Monika kennt ihren Sohn und ich darf sie begleiten», murrte Ferrari.

«Yvo muss auch hin, sozusagen geschäftlich. Von Tomai plant nämlich ein neues Gebäude und vermutlich erhält Yvo den Zuschlag. Mich wundert, dass du die Fitnesstante nicht kennst.»

«Wir sind uns einige Male über den Weg gelaufen. Ich erinnere mich an zwei Begegnungen, einmal bei Olivia und dann bei einem Anlass von Ines.»

«Und warum magst du sie nicht?»

«Das würde mich auch brennend interessieren. Schliesslich ist beziehungsweise war sie eine wichtige Persönlichkeit unserer Stadt.»

Wie gewohnt betrat Staatsanwalt Jakob Borer das Büro ohne anzuklopfen.

«Guten Morgen, Herr Staatsanwalt.»

«Guten Tag, Frau Kupfer. Nun, Ferrari, was gibt es an Irina von Tomai auszusetzen?»

«Ich mag Leute nicht, die sich in der Öffentlichkeit lächerlich machen. Die Alte hatte doch einen Vollknall.»

«Sprechen Sie gefälligst nicht so despektierlich über eine berühmte Frau.»

«Irina von Tomai hat mit ihren hundertfünfzig leider den Abgang verpasst. Irgendjemand hätte der Fitnesskönigin sagen sollen, dass sich ein ausgemergeltes Wrack nicht mehr als Vorturnerin der Nation eignet.»

«Mässigen Sie sich, Ferrari.»

«Kaufen Sie eine DVD. Ich kann Ihnen auch eine leihen, die liegen bei uns zu Hause tonnenweise herum. Ganz vorne im Bild gibt die geliftete Hüpfdrossel mit knapp vierzig Kilo Anweisungen, wie man bis ins hohe Alter in Form bleiben kann.»

«Sie war der lebendige Beweis dafür.»

«Ich möchte nicht wissen unter welchen Entbehrungen. Wahrscheinlich musste die DVD nachsynchronisiert werden, damit niemand merkt, wie sie während dem Hin-und-her-Hüpfen keucht. Im Hintergrund vier Frauen und vier Männer zwischen fünfundzwanzig und dreissig. Und immer, wenn die von Tomai kurz unters Sauerstoffzelt huschte, schwenkte die Kamera auf die Achterdekoration. Die waren zumindest durchtrainiert.»

«Und was stört dich dabei?»

«Dass sie nicht alt werden konnte. Bestimmt hat sie sich x-mal liften lassen. Die konnte ja nicht mal mehr lachen, weil ihr Gesicht von Botox dermassen entstellt war.»

«Unsinn. Ich weiss ganz genau, was Ihnen an Irina von Tomai missfiel.»

«Ach ja? Und was, bitte?»

«Schauen Sie sich doch an. Sie sehen bald aus wie das Pirelli-Männchen.»

«Also, ich muss schon bitten.»

«Und deshalb verkraften Sie es natürlich nicht, dass eine Frau, die zwanzig Jahre älter ist als Sie, blendend aussieht und noch voll im Saft ist.»

«Nicht zwanzig, mindestens dreissig!»

«Ihr Partner ist heute aber besonders witzig, Frau Kupfer. Er möchte nochmals Mitte vierzig sein.»

Ferrari sah den Staatsanwalt überrascht an.

«Die Aerobicqueen war erst fünfundsiebzig?»

«Siebenundsiebzig, um genau zu sein.»

«Da muss ich Francesco aber recht geben, die sah bedeutend älter aus.»

«Das hängt vermutlich damit zusammen, dass Irina von Tomai sechzig Jahre im Rampenlicht stand. Eine einmalige Karriere von der kleinen Ballett-Tänzerin zum weltberühmten Ernährungs- und Fitnessguru. Sie war eine bedeutende Frau … Oh, es ist schon spät. Gehen wir, Ferrari?»

«Wohin?»

«Zur Abdankung. Ihre Frau rief an und bat mich, Sie rechtzeitig daran zu erinnern. Sie sind ja in solchen Dingen manchmal etwas vergesslich.»

«Ich schliesse mich euch an.»

«So?», antwortete der zweistimmige Männerchor.

«Was passt euch denn jetzt wieder nicht?! Zwischen euch zwei grauen Mäusen komme ich so richtig zur Geltung oder schämt ihr euch mit mir?»

«Naja, dein Kleid dürfte für eine Beerdigung schon weniger sommerlich sein.»

«Dafür passt mein Outfit dann umso besser zum fröhlichen Leichenmal.»

Monika Wenger, die Lebenspartnerin von Ferrari, wartete mit Olivia Vischer, Ines Weller und Yvo Liechti auf dem Münsterplatz. Erleichtert winkte sie ihnen zu.

«Wow! Ein Who’s who von Basel», keuchte der Kommissär.

«Nicht nur Basler, VIPs aus der ganzen Schweiz werden erwartet.»

Monika nestelte an Ferraris Krawatte herum.

«Das Münster ist bestimmt schon bis auf den letzten Platz gefüllt.»

«Keine Sorge, mein Schatz», Olivia Vischer lächelte dem Kommissär verschmitzt zu. «Für uns ist reserviert, wir sitzen in der zweiten Reihe. Es gibt kein Entweichen.»

«Hm.»

«Wieso ist die Abdankungsfeier erst jetzt? Sie starb doch schon vor zwei Wochen.»

«Weil es seine Zeit braucht, die Promis aufzubieten. Ihr habt ja alle einen randvollen Kalender.»

«Tja, wir sind eben mit wichtigen Dingen beschäftigt. Sie schliessen sich uns doch an, Herr Borer? Da meine Schwestern verhindert sind, können wir Ihnen einen freien Platz anbieten.»

«Es ist mir eine Ehre, Frau Vischer.»

Ferrari rollte die Augen, was ihm einen missbilligenden Blick vom Staatsanwalt eintrug. Schweigend betraten sie das Münster und setzten sich in die zweite Reihe hinter die Familienangehörigen. Ferraris Schulfreund Yvo Liechti hing wie eine Klette an Nadine, echt peinlich, während Olivia und Ines von vielen wichtigen Persönlichkeiten und solchen, die es werden wollten, begrüsst wurden.

«Schleim, schleim!», kommentierte der Kommissär.

Monika und Nadine stiessen ihn gleichzeitig in die Rippen.

«Autsch! Ist doch wahr. Schaut euch unseren glatzköpfigen Regierungsrat an. Er blickt die ganze Zeit zu uns hinüber. Traut er sich oder traut er sich nicht? Et voilà, er nimmt seinen ganzen Mut zusammen, atmet tief durch und erweist Olivia und Ines seine Reverenz.»

Regierungsrat Rupf katzbuckelte vor den beiden Frauen und lispelte etwas wie, «es wäre doch schön, wenn man die beiden führenden Wirtschaftsfrauen von Basel einmal zu einem Gedankenaustausch einladen dürfte».

Mir wird schlecht, dachte Ferrari. Aber ich lasse mir nichts anmerken und schweige wie ein Grab. Irgendwie passend zum aktuellen Anlass. Plötzlich erhob sich Staatsanwalt Borer und suchte umständlich nach dem Gesangbuch. Du altes Schlitzohr! Ganz klar, die High Society von Basel soll sehen, dass du zwischen Olivia Vischer und Ines Weller sitzt. Jetzt mussten sogar Monika und Nadine lachen. In der ersten Reihe sassen Audrey von Tomai, Irinas Tochter, sowie einige Personen, die Ferrari nicht kannte. Wahrscheinlich Familienangehörige oder ganz enge Freunde. Die eine könnte die Schwester von Irina sein.

«Wo ist der Sohn von Irina von Tomai?», flüsterte der Kommissär und lockerte seinen Krawattenknopf.

«Leonardo?» Monika sah sich diskret um. «Keine Ahnung, ich sehe ihn nirgends.»

«Vielleicht hat er sich mit seiner Mutter überworfen, weil sie ihm peinlich gewesen ist.»

«Sei still!», zischte Nadine und fuhr den Ellenbogen aus.

Yvo findet die Bemerkung lustig und ihm passiert nichts … Ich korrigiere mich, Yvo erhielt ebenfalls einen Schlag in die Rippen. Es gibt doch noch Gerechtigkeit. Endlich! Ich dachte schon, die Kirchenorgel sei kaputt. Pfarrer Roman Minder setzte sich langsam in Szene und begann mit seiner Predigt. Vor dem ersten gemeinsamen Lied fiel dem Kommissär das Gesangbuch auf den Boden. In die Stille hinein klang es wie ein Schuss. Noch bevor er sich bücken konnte, reichte ihm Nadine das Buch.

«Hier, Schwabbelbauch! Lied 326, Strophen eins und drei.»

Bis Ferrari die richtige Seite aufgeschlagen hatte, waren die beiden Strophen bereits durch. Nun gedachte der Pfarrer mit einfühlsamen Worten der Verstorbenen und stimmte das nächste Lied an, bei dem der Kommissär inbrünstig mitsang. Aus irgendeinem Grund musste Yvo lachen, was ihm einen bösen Blick der beiden Damen eintrug. Die Würdigung von Irina von Tomai hielt Alexander von Hohenstein, ein in Basel lebender deutscher Adliger. Man munkelte, dass er seit Urzeiten ihr Lover gewesen sei. Er schilderte eindrücklich den Aufstieg der Tänzerin zur bedeutendsten Aerobicfrau der Schweiz und verglich sie sogar mit Nancy Sinatra. Ferrari nahm seine im Kommissariat geäusserten zynischen Bemerkungen zurück. Offenbar hatte er sie falsch eingeschätzt, Irina von Tomai hinterliess ein eindrückliches Lebenswerk. Wieso trat sie dann nicht auf dem Höhepunkt ab? Nach etwas mehr als einer Stunde war die Abdankungsfeier zu Ende. Ferrari erhob sich mit schmerzendem Rücken. Diese Bänke sind alles andere als bequem, zum Glück ist es vorbei.

«Hier!», Olivia steckte ihm diskret fünfzig Franken in die Tasche.

«Was soll ich damit?»

«In den Opferstock beim Ausgang werfen. Damit alle sehen, was du für ein grosszügiger Mensch bist.»

«Das ist viel zu viel. Zehn Franken genügen.»

«Nicht diskutieren, einfach rein in den Opferstock.»

Ja, schon gut. Ich habs begriffen. Dieser Borer! Er geniesst es sichtlich, direkt hinter der Trauerfamilie und zwischen Olivia und Ines an allen anderen vorbeizugehen und die Kirche zu verlassen. Warum war dieser …, ich muss mir immer eine Eselsbrücke bauen, dieser DiCaprio, dieser Leonardo nicht an der Trauerfeier? Audrey schien der Tod ihrer Mutter sehr nahezugehen, eine Frau um die fünfzig stützte sie. Beim Ausgang kondolierte der Kommissär den Angehörigen und atmete auf dem Münsterplatz befreit durch. Überstanden!

«Es ist immer ein Erlebnis, mit dir zusammen einen Anlass zu besuchen, Francesco. Ob Theater, Musical oder Beerdigung.»

«Immerhin ist er nicht eingeschlafen, Olivia.»

«Und nüchtern ist er ausnahmsweise auch.»

«Stimmt. Seine Gesangseinlage war extrem gut, Nadine.»

«Laut und so falsch, dass er alle anderen aus dem Takt geworfen hat.»

«Nicht zu vergessen, wie er beim ersten Lied das Gesangbuch auf den Steinboden klatschen liess, sodass die ganze Kirche erzitterte.»

«Ja, ja, nur immer schön draufhauen. Alle gegen einen.»

Audrey von Tomai trat mit verweinten Augen auf sie zu.

«Olivia, Ines, herzlichen Dank für euer Kommen. Das bedeutet mir viel.»

«Das ist doch selbstverständlich, Audrey. Darf ich dir einige sehr gute Freunde vorstellen?»

Sie reichte allen die Hand.

«Sie sind mir natürlich ein Begriff, Herr Kommissär.»

Ferrari errötete.

«Ich bedaure es, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen.»

«Es ist für uns alle ein grosser Schock. Mutter hatte noch so viele Pläne. Richard … Richard Stein, das ist unser Hausarzt, sagt, sie sei einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Herzversagen aus heiterem Himmel …» Tränen liefen über ihre Wangen. «Sie fehlt mir so. Sie hielt immer die Familie zusammen.»

«Irina war eine wunderbare Frau und eine liebevolle Mutter. Wo ist Leonardo?», fragte Ines.

«Irgendwo in Kanada. Er taucht immer wieder mal für einige Wochen ab und ist dann jeweils offline. Ich hoffte so sehr, dass er es aus den Medien erfährt und rechtzeitig zurückkommt. Wir liessen ihn auch über die Botschaft suchen, ohne Erfolg. So, wie ich meinen Bruder kenne, wird er sich ein Leben lang Vorwürfe machen, dass er unsere Mutter auf ihrem letzten Weg nicht begleiten konnte. Das ist alles so schlimm.» Sie hielt sich an Olivia fest und schloss die Augen. «Kommt ihr noch mit ins Binninger Schloss? Ich würde mich sehr freuen.»

«Wir können dich doch jetzt nicht alleine lassen.»

«Danke, Olivia. Es wäre schön, wenn auch eure Freunde uns begleiten würden», sie blickte fragend in die Runde.

«Selbstverständlich», antwortete Ferrari stellvertretend für alle.

Audrey ging mit ihrer Bekannten zu einer schwarzen Limousine.

«Worauf warten wir noch? Brauchst du eine schriftliche Einladung, Francesco?»

«Wie? Nein.» Mit den Händen in den Hosentaschen stapfte der Kommissär hinter den anderen her. Plötzlich hielt er inne. «Oh, Mist!»

«Was ist denn jetzt wieder?»

«Ich muss nochmals zurück ins Münster. Ich habe vergessen, den Fünfziger in den Opferstock zu stecken.»

«Ich wüsste nicht, was wir ohne dich machen würden», kicherte Olivia. «Die Kirche ist zu. Du kannst dem Pfarrer das Geld persönlich am Leichenmahl geben. Wie hältst du das mit Francesco nur den ganzen Tag aus, Monika? Bewundernswert.»

«Man gewöhnt sich mit der Zeit an alles.»

«Hm! … Nur, falls ihr Lästermäuler es nicht bemerkt, ihr geht in die falsche Richtung. Binningen liegt nicht in der Augustinergasse.»

«Ein wahres Wort, aber eines von Ines’ Häusern und wir haben die Autos dort parkiert. Selbstverständlich kannst du auch mit dem Tram fahren, wenn dir mein Bentley oder Ines’ Jaguar zu unbequem sind … Worauf warten Sie, Herr Borer?»

Der Staatsanwalt hätte mühelos den Hundert-Meter-Weltrekord gebrochen, um dabei sein zu können. Ganz im Sinne des olympischen Gedankens.

Das Essen im Schloss Binningen zog sich in die Länge. Kurz nach fünfzehn Uhr wurden Nadine und Ferrari von Olivias Chauffeur im Waaghof abgeladen.

«Mit Stil. Daran könnte ich mich gewöhnen. Wir werden nicht nur vor den Waaghof gefahren, er hält uns sogar noch die Tür auf. Meinst du, er würde uns auch noch nach oben bringen und uns Kaffee servieren?»

«Das ist peinlich. Schau dir die Kollegen an.»

«Purer Neid, Francesco. So, jetzt wird gearbeitet. Borer erwartet den Abschlussbericht unseres letzten Falls.»

«Den wird er heute nicht mehr anschauen. Er ist bestimmt der letzte Gast im Schloss.»

«Gönnen wirs ihm. Ich hol rasch die Akten in meinem Büro.»

Ferrari setzte sich an den Computer. Irgendeine Formel in der Excel-Datei ist falsch, bloss ändern kann ich sie nicht. Ich darf nur die schwarzen Spalten verändern, nicht aber die eingefärbten. Das hat mir Nikki ausdrücklich verboten. Schon toll, wie sich unsere Tochter in Software-Programmen auskennt.

«Lässt man dich auch nur eine Minute aus den Augen, hockst du schon wieder am Computer und simulierst deinen nächsten Lottogewinn.»

«Es sind keine Lottozahlen.»

«Soll ich Monika erzählen, wie du mit der teuren Krawatte umgehst?»

Nadine strich das Häufchen Elend glatt und hängte sie über einen Stuhl.

«Nur zu. Du warst am Leichenmal nicht sehr gesprächig.»

«Ich bin nur wegen euch mitgekommen. Zuerst mimen die Leute die Trauernden und wenig später artet das Ganze zum feuchtfröhlichen Saufgelage aus. Das macht mir echt Mühe.»

«Ich weiss, was du meinst. Früher erging es mir genauso. Inzwischen schätze ich dieses Zusammensein, es ist der zaghafte Versuch, weiterzuleben. Ich finde es super von Olivia, dass Audrey einige Tage bei ihr wohnen kann.»

«Ist sie verheiratet oder hat sie einen Freund?»

«Keine Ahnung.»

«Aber du unterhieltest dich doch mit ihr.»

«Nur Smalltalk. Sie ist Modedesignerin.»

«Arbeitet sie nicht im Konzern ihrer Mutter?»

«Das überlässt sie Alexander von Hohenstein und ihrem Bruder. Sie sitzt im Verwaltungsrat, ist aber nicht operativ tätig.»

«Von Hohenstein ist doch weit über siebzig.»

«Und nach wie vor der bestimmende Mann. Ende Jahr soll Leonardo die Geschäftsführung allein übernehmen, von Hohenstein wird Verwaltungsratspräsident. Dann hat er bestimmt auch Zeit, hin und wieder Golf zu spielen.»

«Kann der das überhaupt?»

«Golf spielen? Er sieht so aus.»

«Ich meine Leonardo. Wenn er die Geschäftsleitung übernimmt, kann er nicht mehr einfach für einige Wochen im Nirwana verschwinden.»

«Stimmt. Er wird sich umstellen müssen.»

«Was gehört alles zur Firma von Tomai?»

«Vor ein paar Wochen las ich einen Zeitungsbericht über den Konzern. Es ging um eine geplante Fusion, von Tomai will sich offenbar mit einem Konkurrenten zusammenschliessen. Der Journalist stellte die beiden Firmen kurz vor. Von Tomai ist vor allem im Fitnessbereich tätig und betreibt in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich eine Reihe von Fitnesszentren. Zudem produzieren sie Fitness-Sendungen, wie jene mit Irina, die Kultstatus hatte. Irgendeine Wellness- und Kosmetikschiene rundet das Ganze ab, den Namen habe ich vergessen.»

«Also alles im Fitness-, Wellness- und Beautybereich. Beeindruckend.»

«Sie sind mega erfolgreich. Gemäss von Hohenstein entstehe durch die Fusion einer der grössten europäischen Konzerne in diesem Sektor.»

«Das wird vermutlich vorerst auf Eis gelegt. Irina war die Galionsfigur.»

«Nicht unbedingt. Jetzt kann Leonardo beweisen, was in ihm steckt.»

«Das war eine grossartige Trauerfeier, Herrschaften.»

Ein gut gelaunter Staatsanwalt stand in der Tür.

«Wenn Sie meinen.»

«Sie sind schon ein komischer Kauz, Ferrari. Immer mürrisch. Wie halten Sie das überhaupt mit dem Mann aus?»

«Wie Monika sagt, man gewöhnt sich an vieles.»

«Aber nicht an die Launen dieses Menschen da … Frau Vischer und Frau Weller sind aussergewöhnliche Persönlichkeiten.»

«Übersetzt heisst das, superreich.»

«Sehen Sie, Frau Kupfer, Ihr Chef ist eine einzige Beleidigung. Weshalb die zwei intelligenten, kultivierten und einflussreichen Frauen an Ihnen den Narren gefressen haben, ist mir schleierhaft.»

«Sie wiederholen sich.»

«Mit den beiden Damen an meiner Seite wäre es ein Leichtes, eine politische Karriere zu machen. Nicht so wie jetzt. Ich verstehe nicht, dass Sie nicht längst in die Politik eingestiegen sind … Doch, eigentlich verstehe ich es sehr wohl. Sie sind träge und das kann man sich in der Politik nicht erlauben. Engagement und ein scharfer Verstand sind da gefragt.»

«Taktik und Verschlagenheit benötigen Politiker ebenso. Davon besitzen Sie eine ausreichende Portion.»

«Ich lass mich nicht provozieren. Nicht von Ihnen! Heute ist mein Glückstag.»

«Den Sie auch im Münster zur Genüge auskosteten.»

«Wie meinen Sie das nun wieder?»

«Der Herr Staatsanwalt steht zufälligerweise kurz vor der Predigt auf und sucht nach dem Gesangbuch, das genau vor seinen Augen liegt. Selbstverständlich ohne Berechnung. Durch diese kleine Aktion bemerkt die ganze High Society, dass der Herr Staatsanwalt zwischen Ines und Olivia sitzt. Kleine Ursache, grosse Wirkung.»

«Klappern gehört zum Handwerk. Haben Sie die verdutzten Blicke meiner Parteifreunde hinten in den Bänken gesehen? Einige sind nicht einmal ins Münster hineingekommen. Geschweige denn, dass sie am Leichenmahl teilnehmen durften. Ja, ich gebs zu, das war ein hervorragender Schachzug. Vor einer Viertelstunde rief mich unser Parteipräsident an. Einfach so. Er lud meine Frau und mich zum Essen ein.» Borer rieb sich die Hände. «Jetzt gehts vorwärts.»

Ferrari runzelte die Stirn.

«Und Sie!» Borer tippte dem Kommissär mit dem Zeigefinger heftig auf die Brust, «Sie vermasseln es mir dieses Mal nicht. Wagen Sie es ja nicht, Frau Vischer oder Frau Weller irgendwelche Flausen in den Kopf zu setzen. Sonst lernen Sie mich kennen.»

Ferrari wich mit seinem Stuhl zurück.

«Ich erinnere mich noch gut an das letzte Mal bei den Vischer-Schwestern oder an das vorletzte Mal in der Fondation Beyeler.»

«Daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern.»

«Ha! Das glauben Sie doch selbst nicht. Ich war ganz nah dran, einen Sponsor für meinen Wahlkampf aufzutreiben. Dann sind Sie wie der Teufel eingefahren und haben mit Ihren Bemerkungen ‹Politik ist ein Drecksgeschäft, da engagieren sich nur Loser› alles versaut.»

«Bei Olivias Vater!»

«Exakt. Und dann sind Sie mit ihm einfach verschwunden. Ich stand da wie der Idiot in Person. Nochmals, Ferrari, versauen Sie es mir nicht. Ist das klar?»

Borer packte den Kommissär am Revers.

«Schon gut, schon gut. Beruhigen Sie sich. Ich versprechs hoch und heilig. Wenn Ines und Olivia Ihren Wahlkampf unterstützen, halte ich mich zurück.»

Erleichtert strich der Staatsanwalt Ferraris Revers glatt.

«Entschuldigen Sie, Ferrari … Sehen Sie, Frau Kupfer, er provoziert mich laufend und dann brennen bei mir die Sicherungen durch.»

«Na ja, jetzt muss ich Francesco schon ein wenig in Schutz nehmen. Sie steigern sich da in etwas hinein, reissen ihm praktisch seinen Anzug vom Leib und jetzt behaupten Sie, er habe Sie provoziert.»

«Es ist seine Art … so wie er dasitzt … ich sehe es Ihnen an, Ferrari. Sie denken schon darüber nach, wie Sie es anstellen können, meine Wahl zu torpedieren.»

«Francesco könnte gegen Sie antreten.»

«Ha! Dazu ist er zu faul.»

«Kannten Sie Irina von Tomai persönlich?», wechselte Nadine abrupt das Thema.

«Nicht wirklich. Nur von den Fernsehauftritten und einem Vortrag bei den Rotariern. Aber ich kenne Leonardo ziemlich gut, er ist auch ein Rotarier. Ein richtiger Lebemann.»

«Was auch immer darunter zu verstehen ist.»

«Immer braun gebrannt und immer hinter attraktiven Frauen her.»

«Mit Erfolg?»

«Ich glaube schon. Er verfügt über einen siebten Sinn für Frauen, die, nun sagen wir, Probleme haben.»

«Finanzielle oder psychische?»

«Er sagte einmal in lockerer Runde, es seien alles Loserinnen; Fotomodels und Sängerinnen, die alles auf die Karriere gesetzt haben und nun mit vierzig langsam realisieren, dass sie den Durchbruch nie schaffen. Die gabelt er auf, zieht mit ihnen durch die Gegend und, wenn er die Lust verliert, ersetzt er sie durch eine andere.»

«Scheint ein angenehmer Mensch zu sein.»

«Nicht mein Fall, Frau Kupfer, doch die Frauen rennen ihm nach.»

«Wohl eher seinem Geld und seinem Erfolg.»

«Dem Erfolg seiner Mutter, Ferrari.»

«Die Würdigung durch Alexander von Hohenstein war sehr eindrücklich.»

«Ein hervorragender Mann. Vergessen Sie die Predigt von Roman Minder nicht, die war aussergewöhnlich. Ich kenne ihn seit über zwanzig Jahren. Ursprünglich wollte er Medizin studieren, ist dann aber Theologe geworden.»

Der Fünfziger! Ich muss Minder die fünfzig Franken vorbeibringen, schoss es dem Kommissär durch den Kopf. In der nächsten Sekunde klingelte sein Telefon.

«Ja? … Okay, Stephan. Wir sind in einer halben Stunde da. Ist Peter informiert? … Gut, bis später … Es gibt Arbeit, Nadine. In einer Liegenschaft am Münsterplatz ist ein Toter gefunden worden.»

«Nun, dann will ich nicht weiter stören. … Wir verstehen uns, Ferrari?»

Der Kommissär sah Nadine fragend an.

«Das erste Gebot: Lass die potenziellen Geldgeberinnen von Staatsanwalt Borer in Ruhe, sonst kriegst du eins auf die Finger.»

«Hm!»

Ferrari trottete den Münsterberg hoch und blieb vor einem Laden stehen.

«Was ist? Musst du eine kleine Pause einlegen?»

«Hier war früher eine Buchhandlung, im Schaufenster lief immer eine Modelleisenbahn.»

«Höchst interessant! Und beim Münsterplatz liegt eine Leiche.»

«Die rennt uns nicht weg, nur weil ich kurz hier in die Auslage schaue.»

«Reine Ablenkung. Du wirst fett und kannst nicht einmal mehr den Münsterberg hinaufwatscheln, ohne Luft holen zu müssen.»

«Blödsinn. Ihr jungen Leute habt keinerlei Verständnis fürs Nostalgische.»

Nadine hörte die letzte Bemerkung schon nicht mehr. Zum zweiten Mal am gleichen Tag blickte der Kommissär aufs Münster. Für einmal sind der Martins- und der Georgsturm nicht verschalt. Die Renovationsarbeiten der Münsterbauhütte scheinen beendet zu sein, zumindest im Bereich der Türme. Wenn ich jetzt allein wäre, würde ich kurz von der Pfalz zum Rhein hinunterschauen. Doch Nadines stechender Blick hielt ihn davon ab. Vor einem der Gebäude auf dem Münsterplatz drängten die Polizisten eine Gruppe Neugieriger zurück. Als sie Nadine und den Kommissär erkannten, bildeten sie eine Gasse.

«Der Tote liegt in der Dachwohnung, Nadine.»

«Danke, Stephan. Kannst du noch oder sollen wir dich die Treppe hochtragen?»

«Ja, ja. Schon gut.»

Peter Strub, der Polizeiarzt, winkte ihnen vom Treppenabsatz zu.

«Hier oben liegt er.»

«Hallo, Peter. Wo?»

«Hinter dem Schreibtisch. Bist du allein?»

«Francesco steht hinter dir. Er ist im Augenblick etwas ausser Form.»

Strub drehte sich um.

«Mann, was hast du für eine rote Birne? Voll durchgeschwitzt von den paar Stufen, echt krass. In deinem Alter solltest du wirklich mehr für deine Fitness tun.»

Vorsichtshalber ging Strub etwas auf Distanz, als er den mürrischen Ausdruck in Ferraris Gesicht sah.

«Wer ist der Tote?», keuchte der Kommissär.

«Keine Ahnung. Vielleicht der Hausherr.»

Nadine ging um den Schreibtisch herum und sah den Kommissär entsetzt an.

«Und?»

«Minder!»

«Was?! Der Pfarrer?»

«Mit absoluter Sicherheit. Schau selbst.»

Ferrari bückte sich zu ihm hinunter, Entsetzen lag in seinem Blick.

«Wahrscheinlich wurde sein Kopf gegen das Metallregal dort gestossen», mutmasste Strub.

Ferrari wollte über die Kante des Regals fahren.

«Fass ja nichts an!», schrie Peter. «Wir sind mit der Spurensuche noch nicht fertig. Das ist ein Pfarrer? Der sieht gar nicht so aus.»

«Wir waren heute bei der Trauerfeier von Irina von Tomai. Er hielt die Abdankungsrede. Danach ist er mit uns im Binninger Schloss gewesen.»

«Lange ist er noch nicht tot, ich vermute etwa zwei Stunden, Nadine. Genau kann ich es euch natürlich erst nach der Obduktion sagen.»

«Jetzt ist es kurz vor sechs. Vom Binninger Schloss bis hierher brauchte er höchstens eine halbe Stunde. Sagen wir, um halb vier ist er hier gewesen.»

«Sofern er direkt vom Leichenmahl nach Hause gefahren ist.»

«Könnte es ein Unfall gewesen sein, Peter?»

«Nein, das glaube ich nicht. Schau dir die Verletzungen in seinem Gesicht an.»

Ferrari sah sich im Dachstock um.

«Sieht aus wie sein Büro. Wer wohnt noch im Haus?»

«Nur der Pfarrer, ziemlicher Luxus für einen Geistlichen. Nehmen ist seliger als Geben. Die Hütte kostet bestimmt achttausend im Monat, aber den Seinen gibts der Herr ja bekanntlich im Schlaf.»

«Höre ich da eine Spur Neid aus deiner Stimme?»

«Allerdings», antwortete der Polizeiarzt. «Ich will gar nicht wissen, was ein Pfarrer verdient. Und überhaupt, mit Religion kann ich nichts anfangen, im Gegensatz zu meiner Frau. Das ist doch alles nur Hokuspokus. Woche für Woche wird irgendwelcher Stuss gepredigt, nur selbst halten sie sich nicht daran. Der müsste doch eigentlich in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung leben, aber schaut euch dieses Haus an. Womöglich durch die Kirchensteuern finanziert.»

Ferrari drehte sich ab und ging langsam die Treppe hinunter.

«Das willst du natürlich nicht hören. Für euch Italiener ist meine Rede Blasphemie. Bete nur täglich tausend Ave Marias, um ja ins Paradies zu kommen.»

«In den Himmel, Peter, nicht ins Paradies.»

«Was ist denn da der Unterschied?»

«Adam und Eva waren im Paradies. Der Himmel ist etwas anderes.»

«Himmel, Hölle, Paradies – alles Ammenmärchen. Wenns die Religionen nicht gäbe, wäre es um die Welt einiges besser bestellt. Die meisten Kriege werden im Namen des Glaubens geführt. Christen gegen Muslime, Schiiten gegen Sunniten, Juden gegen Araber. Die Religion ist schuld am Elend der Welt.»

«Und wenn es keine gäbe, würde man sich aus anderen Gründen bekriegen. Das liegt leider in der menschlichen Natur begründet.»

«Nadine, kommst du?», rief der Kommissär aus dem unteren Stockwerk.

«Das hörst du nicht gern, wenn jemand deine Pfaffen beleidigt. Du Rosenkranzbeter!», schrie Peter Strub nach unten.

«Ich gehe jetzt runter, bevor Francesco nochmals raufkommt», entschied Nadine.

«Er soll nur kommen. Ich habe noch ganz andere Argumente auf Lager», polterte der Polizeiarzt und ballte seine rechte Hand zur Faust.

«Scheint nicht gut gelaunt zu sein, unser Kollege.»

«Im Gegensatz zu dir.»

«Ich lasse mich nicht mehr von ihm provozieren.»

«Einer deiner guten Vorsätze?»

«Das bringt doch nichts.»

«Stimmt. Ich befürchte nur, dass die Welt morgen wieder anders aussieht.»

«Roman Minder scheint hier allein zu wohnen. Wer fand den Toten?»

«Fragen wir Stephan.»

Kollege Moser diskutierte vor dem Haus mit einigen Journalisten. Verzweifelt winkte er Nadine und Ferrari herbei.

«Könnt ihr mir bitte helfen? Ich will nichts Falsches sagen.»

«Soll ich oder willst du?»

«Mach du», antwortete Ferrari. «Sonst gibts wieder eine Katastrophe, wenn sie mir das Wort im Mund herumdrehen … Wer fand den Toten, Stephan?»

«Sophie Beltramelli, eine Nachbarin. Sie wartet in ihrer Wohnung auf euch.»

«Die Schauspielerin?»

«Jetzt, wo du es sagst … Sie kam mir bekannt vor.»

Nadine beantwortete locker die Fragen der anwesenden Journalisten, während sich der Kommissär auf eine Bank setzte und das Treiben auf dem Münsterplatz beobachtete. Ich könnte stundenlang hier sitzen, dieser Platz ist einfach wunderschön. Ruhig und elegant zugleich. In einem Punkt muss ich Peter allerdings recht geben – auf dem Münsterplatz wohnen keine armen Menschen. Vor genau tausend Jahren, im Jahr 1019, wurde das von Heinrich II. und seiner Frau, Kaiserin Kunigunde von Luxemburg, gestiftete Münster eingeweiht.

«Kleines Nickerchen in der Sonne gehalten?»

«Mitnichten. Nur über Peters Worte und über unsere geschichtsträchtige Stadt nachgedacht. Unser Wahrzeichen feiert ja das Tausend-Jahr-Jubiläum.»

«Du hättest Historiker werden sollen.»

«Stimmt, das würde meiner Mutter gefallen. Als gewöhnlicher Kommissär bin ich eine Schande, aber das ist eine andere Geschichte. Und, alles klar mit den Journalisten?»

«Die fressen mir aus der Hand. Konntest du inzwischen herausfinden, wer Minder fand?»

«Sophie Beltramelli.»

«Der Serienstar? Wow. Die wollte ich schon immer kennenlernen.»

«Dann sollten wir das jetzt nachholen. Sie wohnt nebenan und wartet auf uns.»

Angespannt setzte sich Ferrari an den Tisch im Wohnzimmer.

«Von hier aus können Sie den halben Münsterplatz beobachten, Herr Kommissär. Etwas zu trinken?»

«Ein Mineralwasser bitte.»

«Und für mich gern einen Kaffee», antwortete Nadine.

Der Kommissär schielte auf einen grossen, langhaarigen Hund, der ihn unentwegt fixierte.

«Fürchten Sie sich vor Hunden?»

«Nein, nein.»

«Tosca ist ein afghanischer Windhund, eine der ältesten Windhunderassen überhaupt, die bereits viertausend Jahre vor Christus von Nomaden in Afghanistan gezüchtet und als Jagd- und Bewachungshunde ausgebildet wurden. So viel ich weiss, brachten englische Besatzungstruppen sie mit nach Europa … Bitte sehr, ein Mineralwasser für Sie und Kaffee für Frau Kupfer und mich.»

Das afghanische Ungeheuer entschloss sich, Ferrari etwas näher kennenzulernen.

«Wie herzig! Das macht sie sonst nicht. Sie scheint Sie zu mögen, Herr Kommissär.»

Wenn die Liebe daraus besteht, dass Tosca mir ihr ganzes Fell in die Hose reibt, dann kann ich gut darauf verzichten.

«Sie haart ein wenig. Soll ich sie wegnehmen?»

«Nein, nein. Lassen Sie sie nur.»

«Der Kommissär ist ein ausgesprochener Tiernarr. Seine Katze Puma liebt er über alles, Frau Beltramelli.»

«Wollen wir uns nicht duzen? Ich heisse Sophie.»

«Sehr gern», antwortete Nadine.

«Es gibt nur wenige Menschen, die Katzen und Hunde lieben. Nun schau dir das an, Nadine. Tosca kuschelt sich richtig an den Kommissär.»

Und der Kommissär wird sich grausam an der lieben Nadine rächen, wenn sie nicht endlich mit diesem blöden Grinsen aufhört. Vorsichtig streichelte Ferrari dem Hund über den Kopf. Vielleicht kann ich sie so etwas beruhigen und sie ruiniert mir nicht vollkommen meinen Anzug.

«Wir ermitteln im Todesfall Roman Minder», kam Nadine auf den Punkt. «Du hast Pfarrer Minder gefunden …»

«Ja, eine schreckliche Sache. Als Schauspielerin wird man immer wieder mit Todesdarstellungen konfrontiert. Oft wirken die Fernsehleichen wie echte Tote, aber die Wirklichkeit sieht definitiv anders aus. Das weiss ich jetzt.»

«Warst du zufälligerweise bei Herrn Minder?»

«Wir hatten um halb fünf einen Termin. Roman und ich sind im Vorstand des Vereins Erwachsene gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Am kommenden Wochenende findet eine Benefizveranstaltung des Vereins statt und wir wollten nochmals die Abläufe durchgehen.»

«Was genau macht dieser Verein?»