Fiona

Leni

Aurelia

Jana

Emily Palmer

Die Funkelponys

Luna und die Mondsteine

Weitere Bücher dieser Reihe:

Die Funkelponys. Eine Freundin für Sunny (Band 1)

Die Funkelponys. Geheimnis um Stella (Band 2)

Emily Palmer

machte als Kind die Ponyrücken von der Heide über Holstein bis nach Dänemark unsicher und ist sogar schon mal in Südafrika geritten. Sie lebt mit Mann und zwei Söhnen zwischen Bäumen und Pferdekoppeln in der Lüneburger Heide. Dort schreibt sie alles, was man für Kinder zwischen Buchdeckel pressen kann: Sach-, Rätsel- und Bastelbücher, Schulbücher und natürlich Geschichten, unter anderem im Rahmen einer bekannten Pferdebuchreihe.

Kapitel 1

Gefunkel im Herbstnebel

Über dem Lichtersee lag Nebel. Die Bäume am Ufer malten goldene, orangefarbene, braune und grüne Farbtupfer an den Morgenhimmel. Fiona streckte die Zehen ins Wasser und zog sie rasch wieder zurück.

„Huch, ist das kalt!“, rief sie.

„Kalt ist gesund“, erwiderte ihre Mutter. Sie zog Turnschuhe und Strümpfe aus, krempelte die Hose hoch und watete ins flache Seewasser hinein.

Fiona ließ ihren Blick über den Lichtersee schweifen. Seine lang gestreckte Form mit den vielen Buchten und Inselchen erinnerte Fiona immer ein wenig an ein zum Schlafen ausgestrecktes Pony. Die Bäume am Ufer waren seine Mähne und sein Bauch die Bucht, die hier am Naturschwimmbad zum Baden abgetrennt war.

Fionas Eltern, Jan und Andrea Feldbaum, betrieben das Bad seit dem Sommer. Jetzt wurde langsam Herbst und es war deutlich ruhiger als noch vor ein paar Wochen. Am frühen Donnerstagmorgen, so wie heute, war kaum etwas los. Nur ein einsamer Schwimmer zog weiter draußen seine Runden. Bald würde das Bad für den Winter schließen.

Wie immer wanderten Fionas Augen zum gegenüberliegenden Ufer. Dort lag eine saftig grüne Koppel, und zwar nicht irgendeine, sondern die mit den fünf liebsten Ponys der Welt: Luna, der Schimmelstute, dem Fuchswallach Tiger, Opal, dem hübschen Rappen, der grauen Stella und natürlich Fionas Liebling, Sunny mit dem goldfarbenen Fell. Seit Fiona das Pony zum ersten Mal auf der Koppel besucht hatte, waren sie unzertrennlich. Und nun nahm sie sogar Reitstunden auf Hof Lichtenberg, auf dem die Ponys zu Hause waren! Glücklich hob Fiona den Arm und winkte. Ein leises Wiehern antwortete ihr.

Das war Sunny! Fiona hätte ihre Stimme unter tausend Ponys erkannt, auch wenn sie so weit weg war. Sie sah genau, wie das Pony zum Seeufer galoppierte und dort mit den Vorderhufen in die Luft stieg. Für Sunny war so ein übermütiges Verhalten ganz normal. Es hieß einfach nur: Komm her zu mir, Fiona, ich freu mich auf dich!

„Heute Nachmittag“, flüsterte sie zurück. Natürlich konnte das Pony sie nicht hören. Aber manchmal hatte Fiona das Gefühl, dass Sunny ihre Gedanken dennoch spürte.

„Na los, Fiona, komm ins Wasser!“, rief ihre Mutter. Fiona riss sich von dem Anblick der Ponys los. Sie gab sich einen Ruck und schritt ins Wasser.

„Oooh, ist das kalt!“, juchzte sie und griff nach der Hand ihrer Mutter.

„Storchengang“, schlug diese vor und stakste mit hochgezogenen Knien durch das Wasser. Fiona lachte und machte es ihrer Mutter nach.

Sehr lange hielt Fiona es nicht im kalten See aus. Es wurde Zeit für die Schule und ihr fehlte noch ein Pausensnack. Der Kiosk des Schwimmbads war um diese Jahreszeit nicht geöffnet, Verkäufer Fabio kam nur noch wenige Stunden am Tag. Fionas Vater schloss ihr die Tür auf und gab ihr ein Brötchen und eine Banane aus den Vorräten.

An der Bushaltestelle im Dorf traf Fiona Leni und Jana. Die beiden Mädchen gingen wie Fiona auf Hof Lichtenberg reiten und waren ihre besten Freundinnen. Aurelia, die vierte Reiterin und Freundin, würde erst später einsteigen.

„Guten Morgen, Fi“, sagte Jana und lächelte. Sie war immer freundlich und hatte den schönen Spitznamen für Fiona erfunden.

Leni zwinkerte Fiona nur zu, dann redete sie weiter mit Jana. Die beiden waren in ein Gespräch über Pferde vertieft. Fiona hörte nur mit halbem Ohr hin, denn ihr war ein dunkelhaariger Junge aufgefallen, der sich abseits hielt. Sie hatte ihn noch nie gesehen.

Fiona wohnte selbst noch nicht lange im Dorf und wusste noch gut, wie verloren sie sich am Anfang gefühlt hatte. Also sprach sie ihn an. „Hallo“, sagte sie. „Bist du neu hier?“

Der fremde Junge nickte. „’allo, ich … ich bin Marcel. Ich komme aus Frankreich“, sagte er. Er klang, als würde ihm das Sprechen auf Deutsch nicht leichtfallen. „Ich bin nur zu … zu Besuch.“

„Oh“, machte Fiona. „Das ist ja spannend! Du bist ein Austauschschüler, stimmt’s? Wie lange bleibst du?“

Marcel antwortete stockend. Fiona erfuhr, dass er vier Wochen im Dorf bleiben würde und sich ein wenig fremd fühlte. „Ich liebe die Pferde“, sagte er. „’ier es gibt sie nicht.“

„Aber natürlich gibt es hier Pferde!“, meinte Fiona lachend. „Ich kann dir Sunny zeigen, mein Lieblingspony“, sagte sie. „Wetten, dass du sie mögen wirst? Wenn du magst, machen wir das gleich heute Nachmittag. Aber jetzt kommt unser Bus.“

Am Nachmittag radelte Fiona zur Koppel am anderen Seeufer.

Der Mais auf den Feldern war inzwischen abgeerntet, und sie konnte Sunny und die anderen Ponys schon von Weitem sehen. Sunny wieherte erfreut und galoppierte zum Gatter.

„Hallo, Goldpony!“ Fiona warf ihr Rad ins Gras und legte Sunny eine Hand auf das goldfarbene Fell, das ihr ihren Spitznamen eingebracht hatte. „Geht es dir gut?“ Das Pony atmete lang aus und sein warmer Atem streichelte Fionas nackte Arme. Lächelnd schlüpfte sie durch den Zaun und umarmte Sunny. „Gleich kommt Besuch“, sagte sie und erzählte von Marcel. „Hast du Lust, ihn aufzumuntern?“

Sunny nickte heftig. Dabei teilten sich ihre Ponyfransen. Etwas Goldenes blitzte auf. Fiona strich die Stirnhaare zur Seite, denn sie verbargen ein besonderes Geheimnis: einen wunderschön geschliffenen Halbedelstein mit goldener Farbe, der in Sunnys Schopf befestigt war. Ihr Funkelstein! Sunny war nämlich ein Funkelpony und hatte besondere Fähigkeiten. Zusammen mit Fiona, ihrer engen Funkelfreundin, konnte sie Menschen aufmuntern und auf andere Gedanken bringen, ihnen Lebensfreunde, Heiterkeit und Schwung schenken. Gemeinsam hatten die beiden in den letzten Monaten die ein oder andere Aufgabe gemeistert.

Und das Beste war: Auch Leni, Aurelia und Jana waren Funkelmädchen und konnten mit Tiger, Luna und Opal Besonderes vollbringen. Niemand durfte davon wissen, nur Leonore Lichtenberg, die Besitzerin der Ponys, wusste Bescheid. Sie brachte den Mädchen alles über die Funkelmagie bei, was sie wusste.

Fiona hatte am Morgen gespürt, dass Marcel Sunnys Lebensfreude brauchte. Vielleicht lag es an ihrem eigenen Funkelstein, dem Gegenstück zu Sunnys Goldanhänger, den sie an einer Kette unter ihrem T-Shirt trug. Sie wusste, dass er sie eng mit Sunny verband. Vielleicht ahnte sie ja dadurch auch, wenn Sunnys Stein funkelte und eine neue Aufgabe auf sie wartete.

Denn genau so war es: Sunnys Stein leuchtete hell wie ein Sonnenstrahl. Rasch versteckte Fiona ihn wieder unter Sunnys Ponyfransen.

„Sunny, mein Goldpony“, flüsterte sie aufgeregt. „Wir haben eine neue Aufgabe. Ich bin mir sicher, es geht um Marcel.“

Der Junge aus Frankreich kam bald darauf zu Fuß zur Koppel. Sunny vollführte wie so oft die wildesten Späße, sie stieg und bockte, galoppierte im Kreis oder bremste rasant ab. Fiona lachte und Marcel ließ sich von der guten Laune anstecken. Auch Luna, Stella, Opal und Tiger, die weiter hinten auf der Koppel gegrast hatten, kamen neugierig näher. Marcel streichelte ein Pony nach dem anderen. Doch als es Zeit wurde zu gehen, wurde seine Stimmung wieder trübe. Mit gesenktem Kopf ging er davon.

„Och Mensch!“, meinte Fiona enttäuscht. „Zuerst hat es super geklappt, aber dann wurde er wieder traurig. Wir müssen es morgen noch einmal versuchen, Sunny.“ Sie schob die Stirnfransen des Ponys auseinander. Tatsächlich, der Funkelstein leuchtete immer noch hell. Ihre Aufgabe war noch nicht erledigt.

Die Sonne versank hinter den Bäumen und es wurde kühl. Fiona nahm ihren Pulli aus dem Fahrradkorb und zog ihn an. „Es wird jetzt schon früher dunkel“, stellte sie fest. „Kommt Leo bald, um dich und die anderen in den Stall zu bringen?“

Ihr Lieblingspony stupste sie herausfordernd an. „Ein wenig Zeit haben wir noch, Fiona“, schnaubte es. „Wollen wir zusammen auf die Funkelwiese? Dort gibt es das süßeste Gras und mit dir bin ich am liebsten dort.“

Fiona strahlte über das ganze Gesicht. Dass Sunny mit ihr sprechen konnte, richtig sprechen, war mit das Wunderbarste an der Funkelmagie. Aber sie tat es nur, wenn außer Fiona ganz bestimmt niemand in der Nähe war.

„Au ja, ich liebe die Funkelwiese!“, sagte Fiona froh.

„Dann steig auf“, schlug Sunny vor. Sie hielt ganz still, bis Fiona vom Koppelzaun auf ihren Rücken geklettert war, aber dann konnte sie nichts mehr bremsen. Ausgelassen galoppierte sie über die Koppel bis zu einer riesengroßen Buche mit dunkelroten Blättern an den ausladenden Zweigen. Diese verbarg den hinteren Teil der Koppel vor neugierigen Blicken. Das war auch gut so, denn hinter der Buche lag die Funkelwiese, die man nur bei Dämmerlicht oder im Dunkeln betreten konnte. Sunny trug Fiona im Schritt unter dem Baum hinweg. Ein Funkeln, hell und zart und zugleich kräftig wie ein warmer Sommerwind, wirbelte um die Freundinnen herum. Dann hatten sie die Funkelwiese erreicht. Von der normalen Koppel, von den Feldern und vom See war nun nichts mehr zu sehen.

Fiona seufzte glücklich. Die Funkelwiese war wirklich wunderschön! Ein zarter Schimmer lag über dem Gras und die Luft schmeckte frisch und süß. Quer über die Wiese floss ein Bach, dessen klares Wasser munter plätscherte. Eine schwarz-weiße Elster saß am Ufer und trank davon. Ihr Gefieder schillerte ebenso prächtig wie die bunten Steine zwischen den Kieseln am Bachufer.

„Hallo, Else“, schnaubte Sunny. Die Elster gab einen lang gezogenen Schrei von sich, der verdächtig wie Maaarcel klang, segelte einmal um Fiona und Sunny herum und flog davon.

„Siehst du, wir sollen wirklich Marcel aufmuntern“, sagte Fiona. „Wenn Else es sagt, muss es stimmen.“ Die schlaue Elster wusste nämlich mehr über die Funkelmagie, als Fiona, Leonore Lichtenberg und die anderen Funkelmädchen zusammen.

Sunny ging zum Bach, um Wasser zu trinken und zu grasen. Fiona setzte sich neben sie und betrachtete versunken die Kiesel am Ufer. Hier hatte Leonore Sunnys und Fionas Funkelsteine gefunden. Es lagen auch noch mehr da: violette und silbrige, dunkle und helle, Steine in allen Regenbogenfarben. Plötzlich stutzte Fiona. Da drüben glitzerte ein goldener Pyrit in der Abendsonne, genauso einer wie Sunnys und ihrer!

„Guck doch mal, Sunny“, sagte sie. „Hier liegt noch ein Pyrit.“

Sunny sah sich um und schnaubte verwundert. „Dort hinten auch“, brummelte sie. „Und dort … und dort … Hast du die schon einmal bemerkt, Fiona?“

Fiona schüttelte den Kopf. Sunny und sie suchten sorgfältig das Bachufer ab. Sie fanden insgesamt vier goldene Funkelsteine. „Soll das etwa bedeuten, dass es noch mehr Funkelponys gibt, die Menschen aufheitern und glücklich machen können?“, fragte Fiona schließlich.

„Bestimmt nicht. Nur du und ich tragen den Pyrit.“ Verspielt knabberte Sunny an Fionas Arm, aber die hatte gerade wenig Sinn für Späße. Warum gab es hier so viele goldene Funkelsteine? Würden bald neue Funkelponys auf den Hof kommen, die alle die gleiche Fähigkeit hatten wie Sunny? Wie sollte das funktionieren? Und warum hatte Leonore noch nie etwas davon gesagt?