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Flüstern
um Mitternacht

Tatjana Gelwig

Vorwort

Verehrte MitbürgerInnen draußen im Lande,

Eltern wissen es, Lehrer wissen es, ebenso wie die übrige Umgebung: die hormonell bedingten Wirren des Heranwachsens lassen den hoffnungsvollen Sprössling, der eben noch »so niedlich« war, zum unberechenbaren Pubertier mutieren. Das war so, ist so und wird immer so sein.

Kommen zu diesem schwierigen Prozess, dem das Pubertier hilflos ausgeliefert ist, auch noch lunar bzw. genetisch determinierte Faktoren und komplizierte, weil artspezifisch vorgegeben, soziale Bindungen und Verhaltensmuster hinzu, wie sie sich in endemischen Werwolfpopulationen im Dreiländereck und im Ländle finden, dann wird es kompliziert.

Aber da geht noch was, um es komplizierter zu machen. Das ist erfahrenen Beamten, die die vielfältigen Beziehungsmuster und Rangordnungen sowie Balz- und Paarungsrituale in Rudeln nocturn aktiver canider Spezies kennen, welche in urbanen und ruralen Habitaten anzutreffen sind, nur allzu bewusst.

Auch der vom Werwolfwelpen zum auf Balz und auf Wanderung mutierende schwule Werwolfjüngling kann davon ein Lied gen Mond heulen, und dies ist auch das Thema dieser in ihrer Bedeutung für das Verständnis des Paarungsverhaltens schwuler Werwölfe gar nicht hoch genug einzuschätzenden Erzählung von Tatjana Gelwig, die die Eskapaden eines sexuell recht aktiven jungen Werwolfes in eine druckfähige Fassung brachte.

Das Amt ordnet vergnügliche Lektüre an.

Edmund F. Dräcker,

Präsident des Bundesamtes für magische Wesen

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1: Liebevolles Beast

Kapitel 2: Das Rudel

Kapitel 3: Unschöne Nachrichten

Kapitel 4: Durch die Wälder

Kapitel 5: Wölfische Zuneigung

Kapitel 6: Über Joker & Crowley

Kapitel 7: I’m just the boy inside the man

Kapitel 8: Im falschen Moment

Kapitel 9: In Heat I

Kapitel 10: In Heat II

Kapitel 11: In Heat III

Kapitel 12: Nachspiel

Kapitel 13: Dance with the Vampire

Kapitel 14: Bestrafung

Kapitel 15: Weihnachtszeit

Kapitel 16: Zwischen Worten und Küssen

Kapitel 17: A Happy New Year

Kapitel 18: And we can shatter just as fast

Kapitel 19: Unsere Fehler

Kapitel 20: Reue

Kapitel 21: Im eigenen Käfig

Kapitel 22: Looking like a true survivor, feeling like a little kid

Kapitel 23: Mitternachtsspaß

Kapitel 24: Memories –
I Keep Them on the Floor Beside My Bed

Kapitel 25: Wo der Unterschied liegt

Kapitel 26: Mitternachtsgeflüster

Kapitel 27: Goodbye Stuttgart

Kapitel 28: Alles auf Anfang

Kapitel 29: Für immer meins

Kapitel 30: Without you all I’m going to be is incomplete

Kapitel 31: Epilog

Zitatenachweis

Impressum

Kapitel 1: Liebevolles Beast

»Ist das dein Ernst? Du verlässt das Rudel?!«, fährt Daniel mich an und presst mich gegen die Tür einer Kabine. Ich bereue es jetzt schon, gedacht zu haben, alleine aufs Klo gehen zu können, nachdem ich meinen Austritt angedeutet habe.

»Das geht dich einen Scheißdreck an, Daniel«, knurre ich, stoße ihn von mir weg, sodass er gegen die gegenüberliegende Tür knallt, und sehe ihn wütend an.

»Und wie mich das was angeht! Ich bin dein Rudelführer!«, knurrt er zurück, greift mich an meinen Oberarmen und schlägt mich einmal mit dem Rücken so fest gegen die Tür, dass diese aufspringt und wir nach hinten in die Kabine stolpern. Ich weiche aus, damit es mich nicht direkt aufs Maul haut, beziehungsweise in die Toilette, finde mich allerdings erneut gegen die Wand gepresst wieder. Daniels warmer Atem streift unangenehm meinen Hals. Ein heißer Schauder läuft mir über den Rücken und am liebsten würde ich ihm die Hand abbeißen.

»Lass mich los«, sage ich und verenge die Augen. »Du hast nicht das Recht –«

»Halt deinen Mund, Mikael!«, unterbricht er mich. Tatsächlich bekomme ich Angst, dass er gleich etwas Dummes macht, das in erster Linie ich mein Leben lang bereuen könnte. »Wenn ich wollen würde, könnte ich dich jetzt einfach an mich binden und niemand würde mich aufhalten! Du am allerwenigsten!«

»Das wagst du nicht!« Ich stemme meine Hände gegen ihn, weil ich ihn an meinem Hals nicht haben will, da fängt er sie ein, schiebt sie zur Seite und demonstriert mir erneut, wie überlegen er mir ist. Einmal mehr weiß ich, warum ich diesen Bastard so hasse.

»Stimmt, das wäre zu einfach.« Er lacht allen Ernstes leise, während er mit einer Hand über meine Brust und meinen Bauch streicht, sie langsam unter mein Shirt schiebt. »Irgendwann wirst du zurückkommen.«

»Werde ich nie und selbst wenn, dann ganz bestimmt nicht zu dir«, sage ich und drehe den Kopf weg, starre stur auf die Wand. Er wird mir hier nichts tun, das weiß ich. »Du bist ein beschissener Alpha. Jemandem wie dir würde ich mich nie unterordnen.«

»Das werden wir ja noch sehen.« Er kratzt mir über den Bauch und beißt mir dann fest in den Hals, als Zeichen der Dominanz. Reflexartig stoße ich ihn weg, hole aus und schlage ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Er taumelt zurück. Blut läuft ihm über die Lippen, aber der Bastard wagt es mich anzulächeln, bevor er ohne ein weiteres Wort aus den Toiletten verschwindet.

»Mikael, jetzt warte doch mal!«, ruft Justin, mein dämlicher Cousin, mir nach, während ich auf mein Auto zu stampfe. Ich bin so unglaublich wütend!

Meine Finger zittern, als ich die Tür meines Wagens aufreiße. Blutig sind sie auch, aber dafür hat der blöde Penner namens Daniel eine gebrochene Nase! Und zwar verdient!

»Worauf?«, knurre ich, während ich mich zu ihm umdrehe und ihn anblitze. Soll er es nur wagen, etwas Falsches zu sagen!

»Auf mich, Mann! Bist du eigentlich blöd? Ich hätte das doch klären können! Du kannst doch nicht einfach … Mika!«, schreit er, als ich mich wegdrehe, um einzusteigen.

»Und ich habe dir schon hundert Mal gesagt: Ich brauch keinen scheiß Beschützer! Steck dir deine ganze Fürsorge sonst wohin! Und ich kann Daniel sehr wohl die verfickte Nase brechen, und weißt du was, ich hätte es nicht nur bei der belassen sollen!«

»Ja, aber nein! Ich weiß, dass du das nicht leiden kannst, aber du weißt, wie das hier läuft, und er hat dir doch nur –«

Schnell unterbreche ich ihn. Der soll bloß nicht weiterreden, sonst hat er gleich auch eine sitzen! Und zwar schneller, als er reagieren kann, der verdammte Alpha!

»Nur was? Hm?! Er hat mir in den Hals gebissen! Verstehst du?! Er wollte mich unterwerfen! Oh nein, warte! Du bist auch ein blöder Alphawolf, du hast gar keine Ahnung, wie das ist, wenn plötzlich so ein Vollidiot von dir Besitz ergreifen will, ohne auch nur zu fragen oder daran zu denken, dass das nicht okay ist! Das ist ein beschissenes Gefühl! Da hätte er auch anfangen können, mich zu vergewaltigen!«, schnauze ich Justin weiter an, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen.

Ich bin unfassbar wütend und mir ist richtig schlecht.

Dieses widerliche Gefühl, als ich seine Zähne in meinem Nacken hatte und seine Hand auf meinem Bauch. Bah! Sofort schüttelt es mich und ich verziehe mein Gesicht vor Ekel.

»Vielleicht wollte er dich nur bestrafen für dein freches Mundwerk?!«, kontert Justin, zieht seinen Kopf dann aber ein und streicht sich durch die kurzen, blonden Haare. Ich knurre laut als Antwort. Ein Knurren, das jeden Straßenhund in die Flucht schlagen würde. Und bestimmt manchen Werwolf.

»Ich kenne den Unterschied zwischen ›Bestrafen‹ und ›In Besitz nehmen‹, okay? Nur weil du … weißt du was? Fick dich einfach! Fick dich hart, Justin. Hau ab zu diesem Idioten, aber ich bleibe nicht hier, verstanden? Ich bin weg!« Damit drehe ich mich um und steige in den verdammten Wagen, bekomme aber die Tür nicht zu, weil er sie festhält und sich dazwischen drängt.

»Dann lass mich wenigstens mitkommen!«, fordert er und klettert dabei fast auf meinen Schoß. Entschlossen sieht er mich an, während er zwischen mir und dem Lenkrad hängt und es mir unmöglich macht, wegzufahren. Manchmal hasse ich ihn. Dann, wenn er mal nicht den üblichen naiv-blöden Deppen an den Tag legt, der er sonst ist, mit seinem strahlenden Lächeln, auf das die Mädels hier stehen, sondern so wie jetzt ernst wird. »Ich lass dich nicht alleine gehen, okay? Du bist mein bester Freund und mein Cousin mal nebenbei und wer weiß, was dir alles passieren kann, wenn du alleine bist! Werwolf hin oder her, es ist gefährlich, alleine zu reisen!« Und vorbei ist seine Chance. Das war das denkbar Schlechteste, was er hätte sagen können. Dass er nicht einmal seinen Kopf-zu-Mund-Filter benutzen kann!

»Boah, raus jetzt! Ich brauch keinen Beschützer!«, Ich dränge ihn aus dem Auto, doch er lässt sich das nur kurz gefallen, klettert dann über meinen Schoß auf den Beifahrersitz, lässt sich seufzend hineinsinken und schaut zu mir rüber. Nicht, dass ich ihm entkommen könnte, immerhin weiß er, wo ich wohne, und er kennt meinen Geruch so gut wie meine Eltern, wenn nicht sogar besser.

In einer gottverdammten Wüste würde der blöde Alpha-Penner mich finden und diese Tatsache kotzt mich genauso sehr an, wie sie mich fasziniert!

»Wohin willst du überhaupt?«, murrt er und schnallt sich an, als Zeichen, dass ich ihn nicht mehr loswerde. »Deine Eltern lassen dich niemals aus Stuttgart weg.«

In der Tat werden sich meine Eltern anstellen wie sonst was, wenn ich ihnen diese Nachricht überbringe, aber ich habe mir schon Gedanken gemacht. Vielleicht hören sie drauf, wenn ich sage, dass Daniel meine Abinote negativ beeinflusst? Immerhin schwänze ich heute mal wieder die letzte Stunde wegen dieses Penners.

»Wir haben doch noch Verwandte in Aachen. Ich frag einfach, ob ich nicht zu denen kann. Ist mir egal, was meine Eltern sagen, ich bleibe nicht hier! Diese … diese Psychopathen, und wehe, du sagst jetzt auch nur ein Wort darüber, dass das normal ist! Das ist es nämlich nicht!« Bloß der Gedanke daran, wie Daniel mir vorhin zu nah gekommen ist. Seine Finger, seine Nähe und sein stinkiger Atem. Mir wird immer noch ganz schlecht, wenn ich daran denke, was seine Absichten waren.

»Aber … wir sind in dem Alter …«

»Sprich bloß nicht weiter!«, fahre ich ihm über den Mund, während ich den blöden Wagen starte und endlich von diesem beschissenen Parkplatz steuere.

Justin gibt tatsächlich vorerst keinen Ton mehr von sich, während ich langsam etwas runterkomme.

Es war schon immer unangenehm, als einziger nicht weiblicher Beta in einem Rudel voller dämlicher Alphas. Aber jetzt … es lässt sich nicht einmal treffend beschreiben, wie sehr mir die Tatsache, dass ich ein männlicher Werwolfsbeta bin, auf den Sack geht, weil offenbar die gesamte wölfische Alpha-Bevölkerung – mit wenigen, sehr wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel meinem Vater, meinem Onkel oder Justin – mich als … ich weiß nicht genau, als was sie mich ansehen. Ein Stück Fleisch? Etwas zum Vögeln? Jedenfalls nichts Wertvolles oder zumindest Gleichwertiges wie sich selbst. Elendes Pack!

Justins Hand schleicht sich auf mein Knie und drückt es kurz, bevor er sanft zu mir rüberlächelt und ich fast nicht mehr sauer sein kann. Er ist zwar ein Alpha, aber er ist vollkommen anders als die anderen hier. Er würde wahrscheinlich alles für mich tun, würde ich drum bitten.

Ich weiß, dass er nichts dafür kann, dass Alphas … dass sie in unserem Alter nun mal triebgesteuerte Idioten sind oder dass sie offenbar grundsätzlich bescheuert sind – egal in welchem Alter.

Er kann auch nichts dafür, dass ein Beta in unserem Rudel niedriger gestellt ist und weniger Rechte hat als die supertollen Alphabastarde, und vor allem kann er nichts für Daniel, diesen elenden Wichser.

Weiß treten meine Fingerknöchel hervor, als ich fester um das Lenkrad fasse und an einer roten Ampel halte. Ich könnte einen ganzen Wald roden. Und anzünden.

»Hey, entspann dich, wir ziehen weg und dann wird es besser, okay?«, versucht mich Justin zu beruhigen und drückt mein Knie wieder. Dann legt er seine Hand in meinen Nacken und dirigiert meinen Kopf zu sich, während wir stehen. Seine Stirn stößt mehr oder weniger sanft gegen meine und er blickt mir durch die hellen Ponysträhnen fest in die Augen. »Es wird besser, versprochen. Keiner fasst dich mehr ungefragt an, okay? Ich …«

Ich weiß, was er sagen will, dass er mich beschützt, dass er es nicht zulassen wird, dass mir wehgetan wird. Oder zumindest noch mehr als ohnehin schon.

Aber genauso weiß er, dass ich das nicht hören will.

Ich bin kein hilfloses Baby, kein schwaches menschliches Kind. Ich bin ein verdammter Werwolf, ich weiß, wie man sich zur Wehr setzt!

Ich brauch keinen Beschützer!

»Sei still«, knurre ich leise, schließe die Augen für einen kurzen Augenblick und seufze tief. Atme mehrmals bewusst ein und aus, bis meine Finger aufhören zu zittern, dann schaue ich ihn wieder an. »Keiner wird mich anfassen, weil ich das nicht zulassen werde.«

oOOo

Etwa einen Monat später fahre ich genervt, aber inzwischen generell wesentlich besser gelaunt, weil mein Umzug nach Aachen echt schnell vonstatten ging, in Richtung Innenstadt, um einige Besorgungen für die Schule zu erledigen. Parkplätze findet man wie immer keine, wenn man sie braucht. Also drehe ich meine dritte Runde um das Aquiz Plaza, in der Hoffnung, in einer der Seitenstraßen um den Kaiserplatz herum fündig zu werden, bevor ich mich für das überteuerte Parkhaus entscheiden muss.

Ich bin zwar immer noch etwas beleidigt, weil meine Eltern, insbesondere meine Mutter, sich total quergestellt haben, bis ich mich durchsetzen konnte.

Aber letzten Endes habe ich sie überzeugen können, auch wenn ›Soll ich mich auf ewig von einem Idioten erniedrigen und unterwerfen lassen, wenn er beschließt, dass er mich gut findet?!‹ nicht sehr nett ausgedrückt war. Vielleicht hat es geholfen, dass Justin mit mir nach Aachen gekommen ist.

Tatsächlich – ohne groß auf Dramawolf machen zu wollen – ist eine meiner größten Sorgen in Stuttgart gewesen, dass die Alphas mich irgendwann in ein Zimmer sperren und mir an die Wäsche gehen, unabhängig davon, ob ich das will oder nicht. Unwahrscheinlich ist das bei der Einstellung der Wölfe in meiner Heimatstadt nicht.

Sie sind einfach so. Herrisch, wild und tun grundsätzlich das, was sie wollen, und wenn ein Beta es wagt, nein zu sagen, dann hält sie das selten von etwas ab.

Ich habe niemandem davon erzählt, nicht mal Justin, aber seit wir dieses gewisse Alter erreicht haben, in dem man für gewöhnlich anfängt, sich für das andere Geschlecht zu interessieren, wurden die Blicke, die man mir geschenkt hat, immer seltsamer und zunehmend eindeutiger. Ich kam mir einfach immer mehr vor, als würde man mich alleine mit Blicken ausziehen oder es zumindest versuchen – und ich bin nicht mal das andere Geschlecht. Schien bloß keinen von ihnen davon abzuhalten, mich zu behandeln, als wäre ich ein Mädchen.

Einer von Daniels Freunden, Tian, der dumme Lappen, hat mich vor zwei Monaten in der Pause auf dem Klo einfach gegen eine der Türen gedrängt und mir seine Nase an den Hals gedrückt, und hätte ich nicht sofort reagiert, ihm eine reingehauen und dabei zwei seiner Zähne ausgeschlagen, hätte ich definitiv ein Problem gehabt.

Angewidert verziehe ich mein Gesicht beim Gedanken daran, wie es sich angefühlt hat, so hilflos zu sein.

Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass so was hier in Aachen nicht auch passiert, aber zumindest weiß ich von meiner Tante und ihrem Mann, Marc, dass die Wölfe hier umgänglicher sind und es hier Regeln gibt, die verbieten, sich ungefragt einem Beta aufzudrängen, und das ist gerade für mich tierisch wichtig!

Ich meine, wir leben nicht im Mittelalter, wo man dumm und ungebildet war, nein, wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Man darf doch annehmen, dass wir zusammen mit den Smartphones auch modernere Gesetze bekommen?

Na ja, in Stuttgart offenbar nicht.

Meine Hoffnungen auf Aachen sind echt groß.

Soweit ich weiß, wird Nordrhein-Westfalen von einem einzelnen britischen Clan, den Blakes, geführt, und es soll dadurch angenehmer sein. Mehr Regeln, mehr Gesetze heißt mehr Ordnung. Im Gegensatz zu Stuttgart, wo es mehrere kleinere Rudel gibt, die alle ihre eignen Regeln haben. Alleine deswegen gerät man dauernd mit jemandem aneinander – von vampirischen Einflüssen mal ganz zu schweigen.

Ich bin verdammt gespannt, wie die Wölfe hier sind, denn bisher habe ich außer meiner Tante und ihrem Mann niemanden von ihnen kennengelernt, weil ich noch nicht viel unterwegs gewesen bin. Den Umzug hatten wir taktisch klug in die hiesigen Herbstferien gelegt.

Vielleicht kann man mit denen hier mehr anfangen als mit denen aus meinem alten Rudel, denn eigentlich würde ich mir schon ein richtiges Rudel wünschen mit dem man … ich weiß auch nicht. Eben Dinge unternimmt. Wolfsdinge …

Gott, ich weiß nicht mal, was Jungwölfe so tun, wenn nicht heimlich saufen und sich mit Vampiren anlegen. Höchstens vom Hörensagen, dass Rudel zusammenhalten und sich untereinander beschützen und sich auf keinen Fall ungefragt an die Wäsche gehen! Wie diese Idioten von Daniels Gruppe. Wie ich den Kerl nicht leiden kann!

Schon seit er mir das erste Mal auf dem Schulhof in der zweiten Klasse über den Weg gelaufen ist und beschlossen hat, dass ich seine Freundin bin!

Er hat mir drei Jahre lang die Grundschule zur Hölle gemacht, weil er sich täglich neue Methoden hat einfallen lassen, um mich zur Weißglut zu treiben. Was nicht sonderlich schwer ist, wenn man meinen kurzen Geduldsfaden einrechnet, dennoch war es nicht unbedingt schön. Gleichzeitig hat mich sein Verhalten gegenüber Alphas abgehärtet, weil er von mir regelmäßig auf die Schnauze bekommen hat, wenn es mir zu viel wurde. Er hat es immer als Hassliebe bezeichnet. Ich nur als Hass.

Und dann wechselte er zu meinem Pech auf das gleiche Gymnasium und hörte einfach nicht auf.

Ich weiß noch genau, wie er mich in eine Ecke gedrängt hat, abends nach meiner beschissenen Klavierstunde, und verlangt hat, dass ich mich ausziehe, um zu beweisen, dass ich ein Junge bin und kein Mädchen.

Diese Aktion hat er zwar bitter bereut, weil ich vor dem Klavierunterricht ein Tennis-Spiel hatte, aber wirklich abgehalten hat ihn die Tracht Prügel mit dem Schläger nicht, genauso weiterzumachen, nachdem ihm seine Zähne nachgewachsen waren.

Es war definitiv befriedigend gewesen, ihn heulen zu sehen und –

Wildes Hupen reißt mich aus meinen Gedanken.

Sofort reiße ich meinen Kopf nach rechts. Ein schwarzer Wagen rast auf mich zu, ich steige aufs Gas, um wegzukommen, aber es passiert nichts. Oder nicht schnell genug. Dann schleudere ich hart gegen die Tür, als der andere Wagen in mein Auto kracht. Alles dreht sich.

Glas splittert, fällt mir klirrend auf den Schoß und in den Fußraum. Metall quietscht. Der Airbag springt mir entgegen, bläst sich auf, bringt mir aber gar nichts, denn mein Kopf prallt gegen die Fensterscheibe. Woraufhin die Welt von einem Moment auf den anderen in tiefes Schwarz taucht.

Piiep. Piiep.

Mein Kopf tut weh.

Wobei nein, das trifft es nicht gut genug.

Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er aus Matsch in eine feste Form gepresst worden, die jeden Augenblick wieder auseinanderfallen könnte.

Pieep.

»Ich glaube, er kommt zu sich. Mikael? Hörst du mich?«

Wer ist das? Warum riecht es hier so ekelhaft?

Kann jemand dieses elende Piepsen ausstellen?!

»Mikael?«

Ich kenne die Stimme nicht, und verflucht, wieso tut mein Kopf so weh, als hätte ich gestern ein Fass Alkohol leer gesoffen und meinen Kopf danach stundenlang wild gegen eine Wand geschlagen?

Ich zucke zurück, als ich im Gesicht angefasst werde und mein Augenlid unsanft nach oben geschoben wird. Dann leuchtet mich etwas Grelles an. Bah!

»Siehst du das? Kannst du meine Finger sehen?«

Ich erkenne kaum etwas, nur sehr undeutlich einen Kopf und dass etwas vor mir herumgewedelt wird. Laut knurrend schlage ich unkoordiniert die Hände weg, erwische mich dabei beinah selbst und öffne schließlich genervt meine Augen, dieses Mal immerhin ohne fremde Hilfe.

Scheiße … wirklich scharf sehen kann ich nicht. Alle Ränder sind verschwommen und ich blinzle mehrfach, bevor sich die Schemen besser erkennen lassen. Wo bin ich? Was zur Hölle ist überhaupt passiert?

»Mikael? Hörst du mich?«, fragt der Typ, dessen Finger ich eben vor meinem Gesicht hatte, erneut.

»Ja, verdammt«, motze ich zurück und richte mich langsam auf. Aua … mir tut jeder einzelne Muskel weh, den ich dafür benutzt habe. Und noch einige andere.

Langsam erinnern sich meine Augen daran, dass sie einen Job haben. Ich blicke zur Seite, wo eben die Stimme herkam, und entdecke zwei Männer.

Einer davon muss ein Arzt sein, das schließe ich daraus, dass er einen weißen, langen Kittel trägt und diese kleine dumme Lampe in der Hand hält, die mich eben geblendet hat. Der andere sieht nicht so aus, als würde er hier her gehören. Langes schwarzes Haar, Straßenkleidung.

Beide mustern mich neugierig und besorgt, als ich immer noch nicht checke, was die Welt von mir will. »Wo bin ich?«, frage ich als erstes. »Wer sind Sie und was zur Hölle mache ich hier?«, ergänze ich zunehmend verwirrter und blicke mich vorsichtig um, um die Situation einzuschätzen.

Oh shit, ein Krankenhauszimmer.

Oder zumindest so ähnlich, auf jeden Fall ein Untersuchungsraum.

Ich hasse Krankenhäuser.

Erklärt aber immerhin den ekligen Geruch nach künstlicher Sauberkeit und das blöde Piepen dieser komischen Geräte, die um einen herum verteilt aufgebaut sind.

»Hallo noch mal, ich bin Dr. Chris Morgenstern und das hier ist Shayn. Du hattest einen Unfall und hast dir dabei den Kopf schwer verletzt. Die Wunde habe ich bereits versorgt, aber vermutlich hast du ein Schleudertrauma erlitten und das kann zu –«

»Ja … ja!«, unterbreche ich ihn hastig, als die Erinnerungen langsam zurückkehren, wenn auch etwas zusammenhangslos. »Irgend so ein Idiot ist mir volle Kanne in die Seite gefahren!«, raunze ich, setze mich dabei auf. Irgendeiner in einem schwarzen Auto – Moment! »Scheiße, mein Auto! Oh Gott, mein Baby, ist es noch heil?«, jaule ich, als mir klar wird, dass mein Baby dabei wahrscheinlich einiges abbekommen hat, wenn nicht sogar plattgemacht wurde. Oh, bitte nicht mein Auto … ich habe das doch erst zum achtzehnten Geburtstag vor ein paar Monaten bekommen. Wir haben uns doch noch gar nicht richtig kennengelernt!

»Der Wagen ist leider Schrott, es tut mir wirklich sehr leid«, spricht nun der andere Kerl, der, der eigentlich nicht hierher gehört, mit den pechschwarzen langen Haaren, die von einem losen Zopf zusammengehalten werden und auf seiner Schulter liegen, mit den mindestens genauso schwarzen Augen und unnatürlich langen Wimpern, die mir sofort ins Auge fallen, als ich ihn etwas länger als zwei Sekunden mustere. Allerdings kann ich die Informationen, die er mit gibt, nicht wirklich verarbeiten. Was? »Natürlich habe ich meine Versicherung bereits in Kenntnis gesetzt.«

»Oh Gott, mein Auto! Meine Eltern bringen mich um!« Oder schlimmer! Sie kommen her und nehmen mich wieder mit nach Stuttgart!

»Du bist fast gestorben Junge!«, informiert mich der Arzt. »Mach dir doch jetzt keine Gedanken um den Wagen! Du hättest auch tot sein können! Denn so wie mir berichtet wurde, ist ein zweiter Wagen ebenfalls gegen dein Auto gedonnert, und mit einem geringfügig anderen Winkel wärst du Matsch!«

Allerdings beruhigt mich das so gar nicht.

»Aber mein Wagen!«, maule ich aufgebracht, was allerdings auf taube Ohren stößt und mir einen verständnislosen Blick einbringt. Stumm prüfe ich den Rest, um sicherzugehen, dass mir nicht ein Bein fehlt oder andere wichtige Körperteile. Dabei fallen mir die Schmerzen in meinem rechten Arm auf. Meine Hand ist bis zum Krankenhauskittel einbandagiert. Am Oberarm sind weitere kleine Kratzer zu erkennen, aber wahrscheinlich nichts Wildes. Fuck! Die haben eines meiner Lieblingsoberteile zerschnitten! Es stand ›Fuck you all‹ drauf, der Spruch war geil! Toll, der Tag wird einfach immer schlimmer! Fehlt nur noch, dass Daniel hier auftaucht und mich auslacht.

»Chris? Lässt du uns allein?«, fragt dieser … ich habe seinen Namen schon wieder vergessen oder hat er ihn gar nicht genannt? Auf jeden Fall der mit den Puffnuttenwimpern, der definitiv nicht hierher gehört. Wobei, der hat mich gerammt, oder?

Er ignoriert ziemlich offensichtlich meinen ganzen Ausbruch an Gefühlen und spricht in einer Tonlage, als würde es ihm zwar leidtun, was passiert ist, aber nicht wegen meinem Wagen.

Warum ist er eigentlich nicht verletzt? Er hat nicht einen Kratzer im Gesicht, nichts!

Er ist doch der Unfallverursacher?

Der müsste doch voll platt sein … oder zumindest verletzt? Stattdessen steht er hier unversehrt und erhaben, als würde der Laden ihm gehören. Und dafür ist er eindeutig zu jung! Höchstens zwanzig, da besitzt man keine Krankenhäuser!

»Was?«, fragt der Arzt den Puffnuttenwimperntyp, blickt danach zu mir. Offenbar passiert hier eine indirekte Art der Kommunikation, die ich in keiner Weise nachvollziehen kann, dann wendet sich der Arzt ab. »Oh …, okay, aber sei vorsichtig. Ich gebe vorne Bescheid, dass er wach ist, und rufe Isaiah an, um ihm mitzuteilen, dass es euch allen gut geht.«

»In Ordnung, bis dann.«

Der Arzt verlässt stumm den Raum und ich bin ebenfalls still, für ganze zwei Sekunden, bevor es einfach aus mir herausplatzt, wie üblich.

»Warum bist du nicht verletzt? Wer bist du überhaupt, dass du meinen Arzt hier rausscheuchen kannst und warum kannst du nicht Auto fahren? Und was ist mit meinem Auto? Ich brauche das, um zur Schule zu –« Mitten im Satz breche ich ab und mir bleibt jedes weitere Wort im Hals stecken, als er mich fest, aber vorsichtig an den Schultern packt und seine Nase an meinen Hals drückt. Tief atmet er meinen Geruch ein und ich bekomme überall Gänsehaut am Körper, als sein warmer Atem über meine Haut streicht und mir klar wird, in was für einer beschissenen Situation ich mich die ganze Zeit befunden und es nicht einmal bemerkt habe.

Ein Werwolf. Und ein Alpha.

Augenblicklich stellen sich mir sämtliche Nackenhaare auf, meine Instinkte richten sich auf Gefahr ein und meine Muskeln spannen sich an, bereit jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen oder mich zur Wehr zu setzen.

»Ein männlicher Beta …«, stellt der andere Wolf währenddessen ruhig fest. Als seine Nase meinen Hals streift, reagiere ich und stoße ihn, so fest ich kann, von mir weg.

Er stolpert zurück und wirft dabei einen Stuhl mit Rollen um. Sein verwirrter Gesichtsausdruck beweist, dass er offenbar nicht damit gerechnet hat, dass ich ihn wegstoßen würde.

»Wag es nicht, mich anzufassen!« Ich funkle ihn warnend an, während ich mich erneut aufrichte und meine Füße auf den Boden stelle. Ich lasse ihn nicht aus den Augen, bereit, mich sofort zur Wehr zu setzen, sollte er auf dumme Gedanken kommen.

Sein schwarzer Blick liegt für einen längeren Moment auf mir. Er ist sichtlich irritiert, bevor er sich fasst, sein Gesicht entspannt und sich langsam einen Schritt nähert.

»Entschuldige, das war sehr unangebracht von mir. Ich wollte dir nicht zu nahe treten«, erklärt er ganz ruhig, als hätte er seine Nase nicht eben da gehabt, wo sie definitiv nicht hingehört. Generell ist er viel zu gefasst für diese Situation, während ich total angespannt hier rumhocke und überlege, wie ich am besten hier wegkomme, ohne Schaden zu nehmen oder welchen zu verursachen. »Ich wollte nur sichergehen, ob ich mich nicht irre. Du musst Evas Neffe sein, wir hatten noch nicht das Vergnügen.«

Das nimmt mir den Wind aus den Segeln, sodass ich mich fast entspanne. Er kennt mich. Und gehört wahrscheinlich zum Rudel. Also keine Gefahr, oder?

»Ja, bin ich!«, erwidere ich nicht unbedingt freundlich. Für Freundlichkeit ist es jetzt eh zu spät. »Und wer bist du?«, motze ich hinterher und verschränke die Arme vor der Brust.

»Ich bin Shayn Blake vom Blake-Clan.«

»Blake-Clan?«, frage ich blöd nach, bevor es etwas verspätet in meinem angeschlagenen Kopf Klick macht. »Oh … der Blake-Clan …«, Ich will schon fast den Kopf zwischen die Schultern ziehen, einfach weil … das könnte unschön für mich werden, wenn ich einen von denen angemotzt habe. Andererseits hat er mein Auto gecrasht und mich beinah umgebracht! Und auf die Pelle gerückt ist er mir auch noch! Mein Gemotze ist mehr als gerechtfertigt!

Allerdings komme ich nicht mehr dazu, noch was zu meiner Verteidigung zu sagen. Die Zimmertür fliegt auf und Justin stürzt laut und theatralisch schluchzend herein, sodass die Tür erst mal gegen die Wand schlägt, bevor sie sich durch die Wucht wieder schließt.

»Oh Gott, Mikaa!«, quietscht er und springt mir an den Hals, wirft mich dabei fast vom Bett und drückt mich so fest, dass ich für einen Moment keine Luft mehr bekomme.

Doch die stürmische Fürsorge und die schmerzhaften Streicheleinheiten meines bekloppten Cousins dauern nur wenige Sekunden an, dann wird er von mir weggezerrt und durch den halben Raum geschleudert. Dieser Blake stellt sich zwischen uns und knurrt bedrohlich, während er Justin den Weg zu mir versperrt. Der schaut genauso perplex wie ich selbst.

Was zur Hölle?!

»Bist du sein Alpha?«

Die Stimme könnte dem Teufel selbst gehören und klingt zeitgleich so ruhig und gefasst, als hätte er einfach alles unter seiner Kontrolle. Ein Alpha durch und durch, wie ich feststellen muss. Auch wenn er sich beherrscht gibt, im Gegensatz zu denen, die ich gewohnt bin.

Justin hat bei seinem Abgang nach hinten einen Stuhl und Verbandsmaterial von dem Rolltisch neben uns mitgenommen und blickt total verwirrt zu uns hoch.

»Sein was? Nein! Also jain … Oh Gott nein! Das klingt falsch! Ich pass auf ihn auf, aber wir sind nicht … du weißt schon!«, redet sich Justin hastig um Kopf und Kragen und gestikuliert wild, bis ich mich einmische, weil ich befürchte, dass der Oberalpha hier gleich Justin angeht, weil der ein Depp ist, der nicht weiß, was er sagt.

»Das ist mein Cousin, du Esel!«, schnauze ich, Blake hin oder her, und schiebe diesen Idioten von einem Über-Alpha zur Seite. »Pack deine scheiß Wolfs-Gene wieder ein!«, maule ich hinterher und er lässt Justin zu mir durch.

»Oh Scheiße, Mikael … du siehst furchtbar aus! Geht es dir gut? Was sagt dein Kopf?«, fragt er besorgt, fummelt an mir rum, um meine Verletzungen anzusehen und tut mir dabei natürlich nur noch mehr weh.

Knurrend schlage ich seine Hände weg und gehe auf Abstand, als sich dieser Shayn erneut einmischt und Justin zur Seite schiebt, weil er ihn offenbar als eine Gefahr einstuft. Gott ey, von einem bekloppten Rudel weg und ins andere rein. Innerlich kann ich nur den Kopf schütteln.

»Hey, was soll das?«, meckert Justin den anderen Wolf an, der sich davon nicht beeindrucken lässt.

»Du tust ihm weh«, kommt es ruhig über die schmalen, hellen Lippen und doch bestimmend. Der Ton duldet keinerlei Widerworte. »Hör auf damit oder ich muss dich nach draußen begleiten«, erklärt er, woraufhin Justin immerhin die Pfoten von meinem Arm lässt. Allerdings wird die Situation dadurch kein bisschen weniger bescheuert, weil sie sich benehmen wie zwei Platzhirsche, die um ihr Territorium kämpfen.

»Hey«, knurre ich, aber sie ignorieren mich. Diese Penner! »Ich hab dir nicht erlaubt, dich einzumischen!«, motze ich den fremden Wolf an, der sich zu meinem Beschützer ernannt hat, und wende mich an Justin. »Und du hör auf mich zu behandeln wie ein Kind!«

»Ich hör ja schon auf, sorry! Ich habe mir nur solche Sorgen um dich gemacht! Wehe, du stirbst mir weg!«, lacht er erleichtert. Immerhin lässt er die Finger von mir, wahrscheinlich weil dieser Oberalpha sie ihm sonst abbeißt, und schließlich braucht er sie, um sich einen runterzuholen. »Oh Mann, Mika …« Seufzend schaut er zu Shayn rüber, dann wieder zu mir. »Tantchen wollte übrigens auch herkommen, aber ich hab ihr gesagt, sie soll ruhig nach Hause fahren, weil ich es alleine schaffe, dich heimzubringen, aber dafuq … was ist überhaupt passiert?« Er mustert mich mit besorgtem Blick und fummelt an seinem eigenen Ärmel, weil er mich nicht anfassen will, aber wie immer nicht stillhalten kann.

»Der Kerl da ist mir in den Wagen reingefahren und ich hab mir den Kopf angestoßen und den Arm aufgekratzt, aber sonst geht’s mir gut, denke ich.« Ich blicke nicht sonderlich begeistert in Shayns Richtung. »Und das Schlimmste: Mein Auto ist Schrott!«, keife ich los, als es mir erneut einfällt. Scheiße, mein Wagen …

»Oh fuck …«, keucht Justin erschrocken und wesentlich mitgenommener als ich. Vielleicht sehe ich auch fertiger aus, als ich mich fühle. Würde die ganze Fürsorge erklären. »Aber immerhin geht es dir gut, scheiß auf den Wagen.«

»Ach, ich hätte das schon überlebt! Aber mein Auto …«

»Wie gesagt, es ist bereits an die Versicherung gegangen. Die Kosten werden dir dafür ersetzt«, wirft der Schuldige ein, aber ich schüttle niedergeschlagen den Kopf.

»Der war doch kaum mehr was wert«, jammere ich, weil ich weiß, dass, selbst wenn sie mir noch den Zeitwert ersetzen, ich hier kaum etwas Vergleichbares finden werde … und meine Eltern werde ich deswegen nicht anbetteln, weil sie mir den kompletten Umzug bezahlt haben, obwohl sie nicht wollten, dass ich sie verlasse. Das kann ich echt nicht bringen.

»Mach dir keine Gedanken, ich werde mich darum kümmern«, sagt er.

So wie er klingt, kriege ich fast Hoffnungen, aber beruhigen kann ich mich nicht und ich lasse erst mal meine Schultern hängen. Was mir mehr Schmerzen einbringt.

»Ihr solltet jetzt beide nach Hause fahren und du, Mikael, solltest dich ausruhen. Das Kennenlernen mit den anderen verschiebe ich um einige Tage, falls dir das recht ist.«

»Bist du der Rudelführer?«, fragt Justin und rückt mir beschützend auf die Pelle. Wahrscheinlich, um ein Daniel-2.0-Problem im Keim zu ersticken.

»Nein, oder zumindest noch nicht«, entgegnet Shayn. »Ich bin der Nachfolger. Mein Onkel Isaiah leitet das Rudel derzeit, ich unterstütze ihn dabei und kümmere mich um die Jüngeren.«

»Oh okay, ach ja! Ich bin übrigens Justin, freut mich wirklich, hier zu sein, also nicht hier im Krankenhaus. Das eher weniger, aber generell in Aachen!« Der Depp grinst so freundlich und optimistisch, als wäre er vor wenigen Minuten nicht quer durch den Raum geflogen, und reicht Shayn die Hand, die dieser kurz, aber fest drückt. »So und jetzt kümmere ich mich um das dumme Blondchen, der übrigens nicht zu haben ist!«, verkündet er ultrasubtil und hebt mich auf den Arm. Bloß, dass ich das ganz und gar leiden kann und anfange, mich gegen ihn zu wehren.

»Lass mich runter, du Vollpfosten!« Ich haue ihm meine gesunde Hand ins Gesicht und zapple, dass er mich fast fallen lässt. Boah, wie ich das nicht leiden kann!

»Shh, du bist verletzt, lass mich dir helfen!«, hält der blöde Arsch dagegen und dreht sich mit mir zur Tür um, durch die zeitgleich ein junger und wirklich hübscher schwarzhaariger Junge tritt und suchend zu Shayn sieht.

»Shayn?«, fragt er und dann lässt mich Justin tatsächlich fallen.

»Fuck, bist du schön …«, flüstert er wie in Trance, woraufhin ich zwei Sekunden Zeit habe, ihn für seine Blödheit zu verfluchen, bevor ich mich darauf einstelle, auf den Boden zu krachen.

Dazu kommt es allerdings nicht.

Bloß dass es nicht Justin ist, der nach mir greift, bevor ich wie ein nasser Sack auf dem harten Boden aufpralle, sondern Shayn.