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Wo sind eigentlich die Hinterzimmer in Brüssel?

Eric Bonse

Copyright: © 2014 Eric Bonse

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-9921-2

 

 

 

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Wie wird man eigentlich Kommissionspräsident?

Angst vor dem dritten Mann

 

Ach, wenn doch alles so einfach wäre, wie Martin Schulz es gerne darstellt! Der Spitzenkandidat der Sozis für die Europawahl weiß scheinbar ganz genau, wie man Präsident der Europäischen Kommission wird. Man muss bloß am 25. Mai die meisten Wählerstimmen auf sich vereinen, dann wird man vom Europaparlament nominiert und gewählt - und schon darf man die beliebte Brüsseler Behörde führen!

Doch nein, ganz so einfach ist es nicht. Von einer Direktwahl des Kommissionspräsidenten ist nämlich keine Rede im EU-Vertrag von Lissabon. Auch nicht von einem Vorschlagsrecht des Parlaments. Das hat vielmehr der Europäische Rat, also die Versammlung der 28 Staats- und Regierungschefs. Die Chefs sollen bei der Nominierung des Kommissionspräsidenten zwar den Ausgang der Europawahl „berücksichtigen“, das war’s aber auch schon.

Und was heißt das jetzt konkret? Wird der Sieger der Europawahl nun Kommissionspräsident, oder etwa doch nicht? Über diese Frage ist ein heftiger Streit entbrannt, der uns noch Wochen nach der Europawahl beschäftigen dürfte. Im Kern geht es nämlich nicht nur um den nächsten Behördenchef, sondern um die Macht im Bermudadreieck der Brüsseler EU-Institutionen. Und natürlich geht es auch um die Demokratie in Europa.

Der Einsatz ist also hoch, entsprechend hart sind die Bandagen, mit denen gekämpft wird. Schulz warnt vor einem „Hinterzimmer-Deal“, sein Parteichef Sigmar Gabriel sogar vor „Volksverdummung“. Sie fürchten, Kanzlerin Angela Merkel könne am Ende das Votum der Wähler übergehen und weder Schulz noch seinen konservativen Rivalen Jean-Claude Juncker, sondern einen dritten Mann nominieren.

Es kursieren sogar schon Namen: Der finnische Premier Jyrki Katainen hat seinen Rücktritt angekündigt und wird als möglicher Ersatz-Kandidat gehandelt. Ob Katainen wirklich eine Chance hat, dürfte sich schon zwei Tage nach der Europawahl zeigen: Dann wollen sich die Chefs in Brüssel treffen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Mit schnellen Entscheidungen sei nicht zu rechnen, die Nominierung könne noch Wochen dauern, warnte Merkel.

Wie wird man eigentlich Kommissionschef? Offenbar weiß auch die Kanzlerin noch keine schlüssige Antwort. Klar ist nur, dass sie sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen will. Der Dumme könnte am Ende der Wähler sein. Und natürlich Schulz. Wenn es schlecht läuft, wird er nämlich nicht nur kein Kommissionspräsident, sondern gar nichts. Merkel möchte nämlich Energiekommissar Günther Oettinger recyceln - und erneut für Brüssel nominieren!

Warum liegt uns Deutschland eigentlich näher als Europa?

Bayern gegen Brüssel

 

Fast muss man der CSU dankbar sein. Mit ihren hinterfotzigen Attacken gegen den SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz haben die Bayern ein wenig Pfeffer in den Europawahlkampf gebracht. Schulz sei gar kein richtiger Deutscher, sondern ein getarnter Vertreter der südlichen Schuldnerländer, hatte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gepoltert. Seitdem wird heftig gestritten.

Es wurde höchste Zeit. Schließlich schaffen es Schulz und sein Rivale Jean-Claude Juncker, der Spitzenkandidat von CDU/CSU, einfach nicht, die Massen zu begeistern. Bei gemeinsamen Fernsehauftritten betonen sie stets ihre alte Freundschaft und ihre politischen Gemeinsamkeiten. So wird jedes TV-Duell zur Schlaftablette. Und EU-Politik bleibt abstrakt und langweilig.

Interessant wird es immer nur, wenn die Innenpolitik ins Spiel kommt, wie bei der CSU-Attacke. Doch warum ist das eigentlich so? Müssen Parteien und Medien auch noch den Europawahlkampf innenpolitisch inszenieren, damit endlich jemand zuhört? Liegt uns Berlin immer noch näher als Brüssel? Und das nach 60 Jahren europäischer Einigung?

Ja und nein. Richtig ist, dass parteipolitische Präferenzen national geprägt werden. Wer kennt schon die PES, den EU-Ableger der SPD? Wer wählt schon die EPP, Junckers europäischen Politclub? Eben. Die Parteifamilien auf EU-Ebene sind ferne Kunstgebilde, die niemand interessieren. PES gegen EPP, das ist ein No-Go. CSU gegen SPD, das ist ein Medienspektakel.

Wie stark das Nationale auch die Europapolitik beherrscht, führt uns niemand Geringeres als Kanzlerin Merkel vor. Auf den Wahlplakaten wirbt sie für Europa, obwohl sie gar nicht zur Wahl steht. Und das ist nicht etwa ein peinlicher Ausrutscher. Europapolitische Erfolge heftet sich regelmäßig Mutti auf ihre Brust. Pleiten, Pech und Pannen werden dagegen nach Brüssel abgeschoben.

Doch das provinzielle Denken ist kein Schicksal - auch nicht im preussischen Berlin, das sich seit der Eurokrise zur heimlichen Hauptstadt Europas aufspielt. Brüssel erscheint nur deshalb so weit weg und so bürokratisch klein, weil wir bisher kaum Einfluss auf die Entscheidungen haben, die dort getroffen werden. Aber das wird sich nach der Europawahl ja gründlich ändern, oder?