Von wegen Traumfigur

von

Silvia Rosenberger

 

 

 

 

 

Vom Mythos Traumfigur

 

Woher kommt dieser Mythos von der Traumfigur? Man könnte meinen, dass dieser Begriff von der Lobby der Psychotherapeuten erfunden wurde. Denn dem Wunsch nach der Traumfigur hinterher zu rennen ist ein sicherer Weg, unglücklich zu sein. Warum? Wie ich so etwas behaupten kann? Kennen Sie jemanden, der von sich sagen kann, eine Traumfigur zu haben, und das auch tatsächlich so meint?

Selbst von den wenigen Auserwählten, bei denen Außenstehenden beim Betrachten selbiger Figur sofort der Begriff Traumfigur auf den Lippen läge, und Neid und Sabber sofort Hirn und Mund zu belagern beginnen, hört man selten, dass sie mit ihrer Figur vollkommen zufrieden sind. Selbst diejenigen, die vermeintlich mit einer Traumfigur gesegnet sind, finden stets „Problemzonen“ am eigenen Körper. Da ist der Busen zu klein, zu schlaff, zu asymetrisch, der Po zu klein, zu groß, zu dick, die Oberschenkel zu fett, oder Cellulite im Anmarsch.

 

Das kommt Ihnen bekannt vor – ja, weil fast alle von uns dazu neigen, mit dem, was wir haben nicht zufrieden zu sein und es perfektionieren zu wollen. Das führt dann so weit, dass 17jährige Mädchen zum Schönheitschirurgen pilgern um das Näschen, das nicht zu der sonst so perfekten Figur passt, ändern zu lassen.

Bei näherer Betrachtung ist der Begriff „Traumfigur“ wohl doch nicht nur von der Lobby der Psychotherapeuten geprägt worden. Denn es verdienen noch eine Menge anderer Branchen gut an dem steten Wunsch nach der Traumfigur.

 

Also machen wir uns auf den Weg danach:

Wir hängen uns mit Mitte 40 ein Foto auf den Kühlschrank, das uns als 16jährige/n mit einem knackigen, wohlgeformten Körper zeigt, mit dem wir als 16jährige/r auch nicht zufrieden waren, aber mit Mitte 40 wären wir froh, wieder so auszusehen. Frust vorprogrammiert, denn selbst wenn wir es durch eisernes Kasteien, und monatelangem, brutalen Fitnesstraining tatsächlich schaffen würden, auf das gleiche Gewicht zu kommen, wie damals mit 16 Jahren, würde unsere Figur trotzdem nicht mehr annähernd so aussehen. Wie auch, wir haben gelebt, und unser Körper hat auch gelebt. Hat Sonnenbrände, Zigaretten, Sektpartys und McDonalds Besuche über sich ergehen lassen.

 

In den meisten Ländern ist die Folter schon lange verboten. Das hindert uns aber nicht davor, uns selbst zu foltern, psychisch, indem wir stets einem Ideal nacheifern und einem Wunsch hinterherlaufen, der in der Art und Weise von den meisten Menschen nicht erreicht werden kann, denn Ken und Barbie sind nun mal Puppen und nicht echt – auch wenn das jetzt für Manche schockierend klingen mag.

Und körperlich, indem wir uns tage- oder wochenlang von Kohlsuppen und Zitronenwasser ernähren, bis der Magen sich schmerzhaft zusammenkrampft, wenn er von den Augen und der Nase das Signal bekommt, dass die nächste Foltermahlzeit am Tisch steht. Oder um bei ärgstem Sturm und Regen, wo nicht mal der Hund freiwillig Gassi geht, und nach einem kurzen Beinchenheben wieder ins Trockene trottet, mit Turnschuhen und Stöcken bewaffnet Nordic zu Walken.

„Aber es lohnt sich doch, wenn ich mit meiner „Traumfigur“ dafür belohnt werde.“ Tatsächlich?

Oder ist es nicht vielmehr so, dass wir uns unsere Ziele so hoch und so unrealistisch setzen, um dann unweigerlich frustriert zu scheitern?

Dann kommen wieder die Selbstzweifel, der Selbsthass, das Frustfressen, die Gewichtszunahme und das neuerliche Setzen eines unerreichbaren Zieles, das Kasteien und Foltern und das neuerliche Scheitern … Fortsetzung folgt.

Aber, wie heißt es so schön: „Der Weg ist das Ziel!“

Super Spruch, nach dem der Weg das Ziel ist, sieht also Ihr Ziel wie folgt aus: Kennen Sie das Beispiel, wo einem Esel an einer langen Stange eine Karotte vor die Nase gehalten wird, die er nie erreichen kann, nur damit er sich weiter fortbewegt?

Ungefähr so ist es, den Weg zur Traumfigur zu bestreiten. Wenn der Weg das Ziel ist, das Ziel so fern, der Weg so steinig und Sie barfuss, würden Sie diesen Weg tatsächlich Ihr ganzes Leben lang beschreiten wollen?

Dieser Weg ist eine Teufelsspirale. Der Mythos der Traumfigur ist also teuflisch. Schelm, der jetzt an all diejenigen denkt, die daran gut verdienen, und uns noch immer erfolgreich vormachen, dass die Traumfigur doch erreichbar, und man bei Erreichen am Gipfel seiner Träume sei.


Was wenn nicht Traumfigur?

 

Aber was kann die Alternative sein, wenn es die Traumfigur nicht ist? Nur einmal angenommen, Sie dürfen sich lieb haben, egal wie Sie aussehen? Angenommen, Sie dürfen für sich persönlich festlegen, wie Ihre Wunschfigur, Ihre Idealfigur aussehen soll. Woran machen Sie das fest?

Lassen wir diese „wir müssen uns nur selbst lieben, egal wie dick wir sind, und „rund und gsund und leiwand sein“ .. usw.“ einmal beiseite, denn ganz ehrlich, ich kenne keinen wirklich dicken Menschen, der sich wohl fühlt, und wirklich glücklich mit sich und seiner Figur ist.

 

Aber was, wenn Sie sich ein Ziel gesetzt haben, z.B. bei einer Körpergröße von 1,80cm und einem Ausgangsgewicht von 110kg wollen Sie auf 75kg Zielgewicht kommen. Und wieder angenommen, sie haben 85kg erreicht, und fühlen sich wirklich wohl so, wie Sie sind – wer drängt Sie dann dazu, die noch fehlenden 10kg abzunehmen? Was, wenn Ihr geplantes Ziel nicht mit Ihrem Befinden im eigenen Körper zusammen passt?

Mein Zugang dazu ist daher ein anderer: Weg von einem gesetzten Ziel, sondern hin zu einem gesunden, leistungsfähigen Körper, der all das mitmacht, was ich von ihm möchte, der in den Klamotten, die ich tragen will gute Figur macht, und in dem ich mich wohl fühlen kann.

Denn erst, wenn ich mich wohl fühle, kann ich mich selbst annehmen, dann kann ich beginnen mich selbst zu lieben. Und ist das nicht ein Ziel, das sich wirklich lohnt, erreicht zu werden?

Und vor allem – ist das ein Ziel, das Sie auch erreichen können!

Woher diese Erkenntnis kommt, fragen Sie? Aus jahrelangem, ergebnislosem hinterher jagen nach der Traumfigur und dem Erkennen, dass das gesetzte Gewichtsziel gar nicht mit dem Wohlfühlgewicht übereinstimmt.

 


Meine Anfänge

 

Ich war als Kind mollig, habe dann im Teenageralter abgenommen und begonnen Leichtathletik zu machen. Mittel- und Langstreckenlauf, Hoch- und Weitsprung. Während dieser Zeit war ich normalgewichtig und trotzdem nicht zufrieden mit meinem Körper. Immer waren es andere Ideale, denen ich nachgelaufen bin, wodurch sich eine ständige Unzufriedenheit mit meinem Körper ergab, und eine ständige Unzulänglichkeit, dem gesetzten Ideal nicht zu entsprechen.

Mit 21 Jahren hatte ich dann einen eingeklemmten Nerv in der Lendenwirbelsäule und wurde „erfolgreich“ 2 Jahre lang mit Cortisonspritzen und anderen sinnvollen Cocktails behandelt. Erfolgreich nicht weil die Schmerzen weg waren – nein – ich hatte noch immer Schmerzen bei jeder Bewegung, was dazu führte, dass ich mich kaum noch bewegte – nein, erfolgreich, weil ich in diesen beiden Jahren 48kg zunahm. Und von da an begann das stete Bewegen im Kreisverkehr oben genannten Teufelskreises.

Ausfahrt zur neuen Diät nehmen, Kasteien, Crash-Diät machen, auf Vieles verzichten, Heißhunger entwickeln, Gewicht abnehmen, Heißhunger siegt über Disziplin, Fressattacken, Auffahrt nehmen zur neuerlichen Gewichtszunahme, Frust, Selbsthass, Scheitern, sich gehen lassen, unzufrieden sein, entdecken einer neuen Diätmethode, Ausfahrt nehmen zur nächsten Diät ….

Kommt Ihnen bekannt vor?

Tja, in diesem Bereich sind uns Hamster überlegen. Die laufen zwar auch im Hamsterrad, das nirgends hin führt, schaffen aber den Absprung, um Fressen oder Schlafen zu gehen. Wir Menschen halten uns für so überlegen und intelligent, aber den Absprung aus diesem Teufelskreis schaffen viele von uns ihr ganzes Leben nicht und manche nur durch Resignation, wobei es dann kein bewusstes Ausbrechen aus dem Teufelskreis ist, sondern eher ein Rausschleudern, das oftmals ein seelisches Schleudertrauma zur Folge hat. Manche schaffen den Absprung, wenn der Leidensdruck so stark ist, dass sie sich von Außen Hilfe holen. Wobei das Erkennen und Eingestehen, Hilfe zu benötigen, den wirklichen Beweis menschlicher Intelligenz darstellt.

In Stellenanzeigen werden SoftSkills wie Durchhaltevermögen, Beständigkeit usw. gefragt.

Durchhaltevermögen habe ich bewiesen – ich war so lange in dem Teufelskreis unterwegs bis ich bei einer Körpergröße von 1,80m ein Gewicht von 175kg erreicht hatte.

Dieses Durchhaltevermögen wurde aber von möglichen Arbeitgebern ganz und gar nicht geschätzt, was mich mehr oder weniger nötigte, selbstständig tätig zu werden.

Ich kannte mich ja schließlich. Meinen selbst definierten, nicht erreichbaren Zielen hatte ich ja noch nie entsprochen, und daher spielte auch mein Gewicht bei meinem „Einstellungsgespräch“ keine Rolle, ich stellte mich ein, so wie ich war.

In meiner Nachbarschaft lebte ein ca. 60jähriger Mann der ebenfalls stark übergewichtig war, und kaum noch einen Schritt ohne Hilfe machen konnte. Fortbewegen konnte er sich nur noch mittels eines kleinen Elektrovehikels. Das machte mir Angst, ich wollte nicht auch so enden. Doch die Angst war noch nicht groß genug um eine gedankliche Änderung herbeizuführen.

Für uns Menschen muss alles und jeder in einen gewissen Rahmen passen. Passt etwas nicht, so versuchen wir es entweder in diesen Rahmen zu drängen oder distanzieren uns davon. Das ist bei den meisten Menschen so. Nachdem ich mit meinen Körpermaßen nicht in den üblichen Rahmen passte, verhielten sich viele Menschen mir gegenüber