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Das Buch

ANITA BROOKNER, 1928 als Tochter polnischer Juden in London geboren, studierte Kunstgeschichte am King’s College und absolvierte im Anschluss ein postgraduales Studium an der Universität von Paris. Brookner wurde Expertin für französische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts und übernahm 1967 als erste Frau die Slade-Professur der schönen Künste in Cambridge. Neben ihrer Tätigkeit als Professorin verfasste sie zahlreiche Sachbücher zur französischen Malerei. 1981 erschien ihr literarisches Debüt Ein Start ins Leben. Ihr Roman Hotel du Lac wurde 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichnet und zu einem preisgekrönten Fernsehfilm. Obwohl Anita Brookner erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben begann, verfasste sie bis zu ihrem Tod 2016 in London insgesamt 24 Romane. Brookner gilt als meisterhafte Stilistin.

Die Autorin

Die 39-jährige Schriftstellerin Edith Hope wird von ihren Freunden ins Hotel du Lac am Genfer See verbannt. Dort soll sie über den schändlichen Fauxpas nachdenken, den sie sich kurz zuvor geleistet hat, und zur Besinnung kommen. Sie hatte die »sichere Partie« am Hochzeitstag sitzen lassen und war einfach mit dem Auto davongerauscht. Uneinsichtig und trotzig reist Edith am Hotel du Lac an, das ihr trist und gähnend langweilig erscheint. Es nähert sich das Ende des Sommers, die Feriensaison ist vorbei, und auch sonst bietet der Ort nur wenig Ablenkung. Die einzigen anderen Gäste sind die wohlhabende, narzisstische Mrs. Pusey mit ihrer drallen Tochter, die einsame Mme de Bonneuil, die magersüchtige Monica mit ihrem bettelnden Schoßhündchen, und der faszinierende Mr. Neville, der Edith von einer pragmatischen Sicht auf die Liebe überzeugen möchte ...

ANITA BROOKNER

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ROMAN

Mit einem Vorwort von Elke Heidenreich

Aus dem Englischen
von Dora Winkler


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Besuchen Sie uns im Internet:

www.eisele-verlag.de


Die Originalausgabe »Hotel du Lac«

erschien 1984 bei Jonathan Cape, London.


ISBN 978-3-96161-088-4


© 1984 Anita Brookner

© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

Julia Eisele Verlags GmbH, München

© der deutschen Übersetzung: Piper Verlag GmbH, München 1986

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Umschlagillustration: © Erica Shires / GettyImages; © LilKar / Shutterstock

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Vorwort von Elke Heidenreich

Edith Hope, Heldin dieses Romans, der Anita Brookners vierter war und 1984 völlig überraschend mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde, hat einen in den Augen ihrer Freunde fürchterlichen Fauxpas begangen und muss für einige Zeit aus ihrem gemütlichen englischen Haus verschwinden, bis sich die Empörung gelegt hat. Sie fährt in die Schweiz, in das eher mittelklassige Hotel du Lac, zieht ihre lange Strickjacke an, stopft die Hände in die Taschen und denkt auf einsamen Spaziergängen darüber nach, was warum so grauenhaft schiefgegangen ist. Wir als Leser rätseln selber lange, erst weit nach der Hälfte des Romans wird das Elend, diese andere Sache, diese unglückliche Entgleisung nach und nach enthüllt.

Edith Hope ist Schriftstellerin, sie will hier in der Abgeschiedenheit nach einem persönlichen Skandal auch einen Roman fertig schreiben, aber stattdessen beginnt sie, die paar Gäste im Hotel zu beobachten und zu analysieren und sich ihre Leben und Lebensgeschichten auszumalen, und dabei liegt sie so unglaublich falsch, dass uns Leser eine Ahnung beschleicht: Wer so wenig Menschenkenntnis hat wie Edith, der kann vielleicht herrlich verzwickte Romane schreiben, wird aber im eigenen Leben nichts als Unheil anrichten. Edith machte sich voller Demut bewusst, dass sie keine gute Menschenkennerin war. Sie konnte einen Charakter erfinden, aber die im wirklichen Leben konnte sie nicht entziffern. Für das Leben brauchte sie jemanden, der es ihr erklärte.

Anita Brookner, die uns all das erzählt, ist immer klüger als ihre Protagonistinnen, die sie nicht ohne Sympathie und Mitgefühl, aber doch erbarmungslos seelisch seziert. Und die Schraube dreht sich noch ein Stück weiter: Alle ihre Frauenfiguren lesen leidenschaftlich gern und finden in Büchern oft das Leben, von dem sie träumen, in das sie aber selbst den Schritt nicht wagen, oder sie zerbrechen an diesen Träumen, weil alles nur Illusion war. Ach, wir kennen das doch – Emma Bovary, Anna Karenina – zu viele romantische Gefühle aus zu vielen Büchern, die der Realität nicht standhalten! Brookner benennt es im Roman einmal als Literatur, die altbewährte Trösterin der sich unbehaglich Fühlenden. In Anita Brookners Romandebüt Ein Start ins Leben von 1981, bei Eisele 2018 erstmals auf Deutsch erschienen, liest sich Ruth Weiss weg aus ihrem grässlichen Elternhaus, sie weiß alles von und über Balzac, sie promoviert sogar über ihn, sie ist ja nicht dumm, aber plötzlich ist sie vierzig und wird alt und ist vollkommen allein im falschen Leben. Wie konnte das denn passieren?

Mich erinnert das an Puccinis Tosca in der gleichnamigen Oper, die erschüttert singt Vissi d’arte, vissi d’amore, ich habe doch nur für die Kunst und die Liebe gelebt, ja, und dabei hatte sie das Leben aus den Augen verloren und nicht gemerkt, dass in den Kellern gefoltert wurde und dass unter der Folie des Normalen eine grauenhafte Brutalität lag. So stark beschreibt Anita Brookner das nicht, ihre Romane haben keine ausgesprochen politische Dimension, aber wir haben beim Lesen immer das Gefühl, dass die Romanheldinnen auf sehr dünnem Eis gehen. Und nicht nur sie: alle, auch die paar Gäste im einsamen Hotel du Lac. Da ist die stets glücklich lachende, enorm aufgeputzte Mutter mit ihrer dicken, ergebenen Tochter, reich und einsam und in ein völlig sinnloses Dasein eingebunden, das nur aus Lügen besteht; da ist die vornehme Baronin mit dem Mopsgesicht, die sich bemüht, sich ihr Elend und ihre Armut nicht anmerken zu lassen, bis es einfach nicht mehr zu übersehen ist; da ist die schöne Monica, die ihr Mann hierher verbannt hat, weil sie keine Kinder kriegen kann und magersüchtig ist, sie soll endlich essen und gesund genug für einen Stammhalter werden, als wäre Essen das, was ihr fehlt. Und da ist der von seiner Frau verlassene Mr. Neville, ganz Gentleman der alten Schule, aber ironisch und scharfsichtig, der Ediths Leben fast eine komplett andere Richtung gibt – aber wieder mal hat sie sich geirrt. Wieder mal hat sie die Zeichen nicht früh genug erkannt.

Natürlich möchte ich in einem Vorwort nicht verraten, was genau passiert, aber spürbar ist die ganze Zeit: Es könnte im Grunde alles gut gehen, aber irgendetwas läuft falsch, bloß was? Es ist wie in Ediths Romanen, ein nicht zu entwirrendes tägliches Pensum von Phantasie und Lüge. Mr. Neville erscheint darin wie der Abgesandte eines zynischen Teufels, der der unglücklichen Edith einredet: »Sie brauchen nicht mehr Liebe, Sie brauchen weniger. Die Liebe hat Ihnen nicht besonders gut getan. (…) Was Sie brauchen, ist eine gesellschaftliche Position. Die Ehe.«

Ach, so einfach wäre das? So einfach ist es natürlich nicht, schon gar nicht für eine Frau des ausgehenden 20. Jahrhunderts, die durchaus selbst für sich sorgen kann. Und doch … Irgendetwas nagt und lockt, aber Edith ist trotz aller Sehnsucht nach einer Art von bürgerlicher Ordnung klug genug, um vorsichtig zu sein: Und in ihrem Kummer fühlte sie sich in höchstem Grade gefährdet. Sie beobachtet die Menschen, die in diesem Hotel gestrandet sind wie sie, sie irrt sich fundamental, was deren Hintergründe betrifft, und sie denkt verwirrt: Ich finde alles, was ich sehe, so verschieden von dem, was ich denke, dass ich meinem Urteil nicht mehr traue. Und wenn man erst so weit ist, wie kann man dann im eigenen Leben Entscheidungen treffen, ohne sich fürchterlich zu irren und an diesem Irrtum dann für immer tragen zu müssen? In ihrer Verlassenheit begreift sie etwas, das ihr vielleicht in Zukunft wird helfen können, nämlich:

Hoffnungen und Wünsche müssen laut und zäh verkündet werden, sonst wird sich keiner gezwungen sehen, davon Notiz zu nehmen, geschweige denn, sie zu erfüllen.

Eine spezielle Art von Feminismus ist das, was da ganz langsam unter der Oberfläche von Anita Brookners Erzählen brodelt, ohne jeden Zeigefinger, einfach nur ein leises »Tu es doch endlich!«, was die Wünsche von Frauen betrifft.

Seht mich an, (Look at me), so heißt einer der 23 Romane von Anita Brookner, und wir sehen sie an, diese Frauen, die an der Unvereinbarkeit ihrer Wünsche und Gefühle schier verzweifeln: Da ist die Sehnsucht nach etwas Wildem, Ungezügeltem oder auch nur nach einem eigenen Leben – und auf der anderen Seite die Anpassung an das, was Gesellschaft, Eltern, Ehemänner erwarten: die brave Einordnung. Und wenn eine Frau zu klug ist, um sich einfach zu ergeben, dann muss sie sehr aufpassen, an dieser Diskrepanz nicht zu zerbrechen.

Fast alle Romane von Anita Brookner beschreiben solche Zustände. Das heißt: Wir haben es mit relativ sparsamen Aktionen zu tun, dafür umso mehr mit geradezu atemberaubend spannenden Innenwelten, in denen es kocht und explodiert.

Und wie grandios sie erzählt, mit welcher von Eleganz und exquisiten Bildern geprägten Sprache! Landschaften und Interieurs beschreibt sie mit eindrucksvoller, ironisch gefärbter Genauigkeit – wie Ediths Hotelzimmer, das in der Farbe von zu lange gekochtem Kalbfleisch gehalten war. An den Wänden schien eine ferne Erinnerung an schwere Mahlzeiten zu haften. Oder die dicke Tochter namens Jennifer Pusey, die den Speisesaal betritt, nach rechts und links hin lächelnd, als sammelte sie (…) Blumensträuße ein. Wenn Brookner einen Markt, eine Landschaft, ein Café beschreibt, spürt und riecht, hört und sieht man die Atmosphäre, und da zählt das, was ist, nicht das, was scheint. Mit dem Schein quälen sich ihre Figuren herum, die ganz langsam ausbleichen, die völlig unbemerkt alt, traurig, dick, enttäuscht werden und nicht begreifen, wie ihr Leben so misslingen konnte und wo das angefangen hat. Brookner sieht mit sehr klarem Verstand, dass die Guten unglücklich leben bis ans Ende ihrer Tage. Das ist ein Zitat aus ihrem Roman Tugend und Laster (1985), in dem zunächst ausnahmsweise mal ein Mann im Mittelpunkt steht, aber einer, an dem wieder eine Frau letztlich zerbricht. In Seht mich an (1983) gesteht die Bibliothekarin Frances: Ich wäre gern schön, träge, verwöhnt und unzuverlässig. Kurz gesagt, ich hätte es gern etwas leichter. Und: Wenn ich nicht sehr achtgebe, werde ich mich zu einem grässlichen alten Drachen entwickeln.

Auch Edith hat ähnliche Gedanken. Sie versucht, mit etwas Gewöhnlichem zufrieden zu sein, weil etwas Ungewöhnliches sie verletzt hat. Aber natürlich rumort es innerlich weiter, und offenbar haben die Frauen nicht die Gabe, ihre Sehnsüchte völlig zu begraben, wie es die Männer bei Anita Brookner können: Thomas Hartmann in Nachzügler (1988) hatte vor langer Zeit gelernt, wie viel Vergnügen es bereiten konnte, mäßig zu sein, Wesentliches zu erkennen, etwas zu erreichen und zu vervollständigen, anstatt sich abzumühen und zu scheitern. Bewundernswert, wie Anita Brookner solche filigranen Vernetzungen des Inneren beschreibt, und sie tut das mit einem immensen Sprach- und Bilderreichtum. Das liest sich fabelhaft und macht die Lektüre ihrer eher handlungsarmen, aber an Gedanken und Impressionen so reichen Romane zur reinen Freude. Eigentlich geschieht nichts, und doch ändern sich Gegebenheiten und Zustände wie in Zeitlupe, das aber so gründlich, dass plötzlich ein ganz anderer Weg als der eigentlich eingeschlagene und geplante sichtbar wird. Wann war die Abzweigung und wo? Man weiß doch noch, wann eine Liebe anfing, aber warum weiß man nie, wann und wo sie endete?

Brookner ist eine geniale Alltagsbeobachterin mit viel versteckter Bosheit, feiner Ironie und einer großen Portion Humor. Schmal und mit langer Nase fühlt sich Edith Hope ein wenig der großen Schriftstellerin Virginia Woolf ähnlich, aus deren Umfeld bezieht sie auch ihr Pseudonym. Und dann ruft die vergnügte, aufgetakelte, boshafte Mrs. Pusey plötzlich im Speisesaal, so dass es alle hören können: »Jetzt ist es mir eingefallen! Jetzt ist mir eingefallen, an wen mich Edith erinnert. Prinzessin Anne! Ich wusste doch, ich würde darauf kommen. Prinzessin Anne!« Muss erwähnt werden, dass das eher als Kränkung denn als Kompliment gemeint ist? Aber was auch immer: Komisch ist es allemal. Und von Frauensolidarität, an die Edith ohnehin nicht glaubt, weil sie sie selbst kaum empfindet, weit entfernt. Ich bin den Frauen gegenüber zu herzlos gewesen, dachte sie, weil ich sie besser verstehe als die Männer. Ich weiß, wie wachsam sie sind, wie geduldig, wie sehr sie es nötig haben, sich als erfolgreich hinzustellen. Sie dürfen nie einen Misserfolg zugeben. Ich weiß das alles, weil ich eine von ihnen bin.

Die Frauen, die sich in diesem Hotel zufällig begegnen, sind alle mehr oder weniger gescheitert oder von Männern dafür bezahlt worden, für eine Weile von der Bildfläche zu verschwinden. Jede trägt an ihrem Kummer und keine spricht darüber. Fünf in den Roman eingestreute Briefe, die Edith an ihren verflossenen Geliebten David schreibt und nie abschickt, enthüllen ihr ganzes Unglück und wirken doch schon wieder wie Notizen zu einem weiteren Roman, dessen Stoff immer nur das eigene Leben ist. Und geradezu erschütternd ist ein Satz, den Edith gegenüber Mr. Neville äußert, der ihr gefährlich nahe kommt: »Ja, ich denke, ich bin ziemlich unglücklich. Und das enttäuscht mich so.«

Enttäuscht über das eigene Unglück – als wäre es komplett selbstverschuldet. Das Geheimnis der Zufriedenheit erschließt sich den meisten dieser umgetriebenen Frauengestalten nicht, während Mr. Neville, dieser Advokat des Teufels, lässig konstatiert: »Was immer man Ihnen erzählt hat, dass nämlich Selbstlosigkeit gut sei und Bosheit schlecht, war falsch. Das ist eine Lehre für Knechte und führt zur Resignation. (…) Die Leute fühlen sich bei niedrigem moralischem Standard wohl. Es sind die Skrupel, die sie vertreiben.«

In ihren Briefen an David vertieft Edith solche Gedanken und gibt zu, dass etwas sehr Wahres daran ist. Sie beschreibt ihm die unverwüstlich gut gelaunte Mrs. Pusey so: Mrs. Pusey hat sich die guten Dinge, die das Leben bieten kann, zu verschaffen gewusst, und sie hat nicht die Absicht, sie fahren zu lassen, und warum sollte sie auch? Sie wusste von Anfang an, was manche Unglückliche nie lernen; sie wusste, dass das Beste dazu da ist, dass man es sich nimmt, auch wenn vielleicht nicht genug für alle da ist.

So handeln Frauen. Das sind dann keine Damen und erst recht keine Ladys – zwischen diesen dreien wird im Roman augenzwinkernd und scharf unterschieden. Anita Brookner war das alles: eine Frau, die wusste, wie man sich durchsetzt, eine Dame, die darüber außer in ihren Romanen nicht sprach, und eine Lady, die mit vornehmer Beharrlichkeit Buch um Buch belegte, wie viel es noch zu tun gibt, um alte Rollenmuster hinter sich zu lassen, wie lange es noch dauern wird, dass Männer sich nicht mehr nach ihren Müttern und Frauen sich nicht mehr nach ihren Männern richten, um zu genügen, welchen Ansprüchen auch immer. Interessant ist die Frage, ob sie, wenn sie über das Schreiben schreibt, auch sich selbst und ihr Leben meint. In Seht mich an rechnet Frances Hinton im Grunde unbarmherzig mit der Schriftstellerei ab:

Ich empfand Widerwillen gegen die lange Isolation, die einem das Schreiben auferlegt, gegen diese klösterliche Zurückgezogenheit und das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Ich empfand Abscheu vor dem alternativen Leben, das das Schreiben angeblich bedeutet. Jetzt wurde mir auf einmal klar, was es für mich wirklich mit dem Schreiben auf sich hatte und hat. Es ist die Buße dafür, nicht glücklich zu sein, ein Versuch, die anderen zu erreichen und sich so ihre Liebe zu erwerben. Es ist der instinktive Protest dessen, der erfährt, dass er keine Stimme vor dem Tribunal dieser Welt hat. Und dass niemand für ihn sprechen will. Ich gäbe meine gesamte Produktion von Worten hin, von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen, wenn ich dafür einen leichteren Zugang zur Welt bekäme und wenn ich sagen dürfte: »Das tut mir weh – das mag ich nicht – das will ich haben.« Oder auch nur: »Seht mich an!«

Und Edith Hope, Verfasserin mittelmäßiger Liebesromane ohne Sex und Spannung, schreibt in Hotel du Lac im letzten Brief an David: Du dachtest vielleicht, (…) ich schriebe mit der Mischung aus Spott und zynischem Gleichmut, die man dem modernen Schriftsteller (…) meint unterstellen zu müssen. Du hast Dich getäuscht. Ich glaubte jedes Wort, das ich schrieb.

Ist das Anita Brookner, die hier spricht, oder ist es doch nur Edith Hope?

Anita Brookner, 1928 in London geboren und 2016 dort gestorben, war Tochter polnischer Juden, aus Bruckner wurde Brookner. Sie war studierte und promovierte Kunsthistorikerin, hat lange in Cambridge gelehrt und erst jenseits der fünfzig und mit genug Lebenserfahrung angefangen zu schreiben. Da wusste sie längst, dass Scheitern interessanter ist als Erfolg und dass eine der bedeutendsten Figuren in der Literatur Gontscharows Oblomow ist, der gar nichts mehr tut: Stillstand, ein Leben, in dem sich nichts bewegt, denn jede Bewegung hat Folgen, und Folgen können irritierend sein. Die Brooknerschen Frauen – gewinnen oder verlieren sie am Ende eigentlich? Genau darum sollten wir diese Romane lesen: um das selbst und damit etwas über uns herauszufinden. Das kann beklemmend werden, und so ist zu erklären, dass man die Autorin »Herrin der Düsternis« nannte. Düster sind ihre Romane nicht, aber sie stellen böse Fallen, man darf nur nicht hineintappen.

Für Rosamond Lehmann