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Band 4

 

Alexander Knörr

 

 

Rückkehr der Götter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

www.twilightline.com
www.tilmun-chroniken.de

3. Auflage, 2018
ISBN: 978-3-96689-010-6
eBook-Edition

© 2018 Twilight-Line Medien GbR
Alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Alle Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder mit Begebenheiten in der Vergangenheit und Gegenwart sind rein zufällig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Weltraum

Das riesige Metallgebilde bahnte sich seinen Weg in für uns unfassbarer Geschwindigkeit durch das dunkle und kalte Weltall. Das Fauchen der Turbinen, das im Maschinenraum noch ohrenbetäubende Ausmaße annahm, war in der Dunkelheit des Alls nicht mehr zu hören.

Im Panoramadeck, ganz oben auf dem Raumschiff, stand ein einzelner Mann und schaute in die endlose Ferne.

Mikesch, Kapitän des Raumschiffes, genoss es, in seinen freien Stunden das Panoramadeck aufzusuchen und die Weiten des Alls förmlich in sich aufzusaugen. Heute war er auch sehr zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Denn er hatte heute Morgen in einer Übertragung aus Tilmun das Lob der Räte empfangen. Das kommt nicht oft vor. Die Räte waren, wie auch die Generäle der Nukarib und fast jeder seiner Rasse, der ein wenig Macht besaß, schnell aufbrausend und gingen äußerst spärlich mit Lob um. Wenn es allerdings darum ging, jemanden zu rügen, waren sie nicht so zimperlich. Mikesch war da anders. Er hatte zwar als Kapitän dieses großen Raumkreuzers eine Menge Verantwortung und auch eine gewisse Machtposition gegenüber seiner Besatzung. Die war auch mit 15.000 Mann nicht gerade klein; aber er war ein Kapitän, der lieber die leisen Töne anschlug als die lauten. Manche seiner Leute dachten, er wäre zu gutmütig, ja geradezu lasch. Aber sein Erfolg gab ihm recht. Er war schnell immer höher auf der Erfolgsleiter gestiegen und das Kommando über dieses Schiff war für ihn eine tolle Sache.

Die Mission, einige Millionen Erdenmenschen nach Eureka zu bringen, war bisher sehr gut gelaufen. Anders als das letzte Mal, begaben sich die Menschen freiwillig an Bord. Wurden dann aus logistischen Gründen in die Kryo-Tanks gelegt. Die Flugzeit betrug zwar mit den neuen Antrieben nur noch zwei Wochen, aber man sparte so damit Wasser und Verpflegung für die Sklaven, die man an Bord hatte. Und man könnte unmöglich für elf Millionen Menschen, die sich momentan an Bord befanden, Wohneinheiten aufbauen. Warum auch? Sie waren nur da, damit man die Erdenmenschen wieder etwas beruhigen konnte. Auf Eureka würden sie das gleiche Schicksal tragen wie die anderen auch. Sie würden als Arbeitersklaven eingesetzt, um den Planeten zu erschließen oder in den Minen nach Purit oder anderen Mineralien zu schürfen. Man brauchte sie für den Aufbau von Gebäuden und den Ackerbau. Ab und zu, und in letzter Zeit immer mehr, hatte Mikesch Mitleid mit den Sklaven, wenn sie von den anderen Anführern geschlagen oder misshandelt wurden. Aber er unterdrückte dann den Hass, den er dabei entwickelte. Schließlich war es ja so, dass sein Volk von diesen Sklaven profitierte. Und ihm war von Kind auf eingebläut worden, dass er alles tun müsse, um den Herrscherfamilien von Tilmun zu mehr Macht und Wohlstand zu verhelfen. Dann würde sein Volk auch wiederum mehr Wohlstand erfahren. Dies waren die Grundfeste ihrer Zivilisation; blinder Gehorsam gegenüber der Herrscherfamilie. Aber er tat sich immer schwerer, diesen wirklich auszuüben und stand täglich in geistigem Konflikt mit seinen Aufgaben, seiner Gesinnung, die er hatte und der, die er haben sollte. Dieser innere Zwist zerfraß ihn schon seit Monaten.

 

 

Eureka

Die Nacht war über die Arbeitersiedlungen in Eureka hereingebrochen und immer noch waren Tausende von Arbeiter damit beschäftigt, die neuen Flächen einzuzäunen und zu sichern. Es war paradox, dass sie für ihre eigenen Mitmenschen Lager errichten mussten. Viele dachten in diesen Zeiten über die Kriegsverbrechen nach, die in der Erdgeschichte schon über die Menschheit hereingebrochen waren. Die Konzentrationslager der Deutschen im Zweiten Weltkrieg ebenso wie auch die Reservate der amerikanischen Einwanderer für die Indianer Nordamerikas oder die Lager im Mittelalter Europas, in die von der katholischen Kirche schon Juden gesteckt wurden. Schon immer mussten Gefangene unter widrigsten Bedingungen schuften. Hier entstanden nun elf neue Lager für die Menschen, die gerade von der Erde aus unterwegs nach Eureka waren. Jedes der Lager fasste später eine Million Menschen. Natürlich schufen sie hier keine Wohnungen oder vergleichbares, und schon gar keine Luxusvillen. Sie umzäunten ein großes Gebiet mit speziellen Zäunen, legten Stacheldraht und Minen aus, um die Lager mit einem „Todesstreifen“ einzufassen. Die Hütten, in denen die Menschen von der Erde später leben durften, mussten sich diese dann selbst errichten. Natürlich nachdem sie tagsüber in den Minen, in den neu gebauten Fabrikanlagen, auf den hunderten Baustellen oder auf den Feldern geackert hatten. Der Arbeitstag war nach zwölf Stunden Arbeit für die „Götter“ noch nicht vorbei. Denn dann musste man daran denken, sich selbst zu versorgen.

„Die werden sich ganz dumm umsehen, wenn sie erfahren wo sie gelandet sind und was auf sie wartet“, sagte Kevin zu seinem Kumpel Jerome, mit dem er gerade einen großen Pfosten für die Zaunanlage aufstellte.

„Von wegen man kommt hier nach Eureka und das Leben ginge ganz normal weiter. Ich möchte nicht wissen, was die denen erzählt haben, dass sie sogar freiwillig hierherkommen.“

„Wer weiß ob die nicht auch verschleppt wurden wie wir?“ entgegnete Jerome und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.

„Ja, wer weiß.“

Die meisten der Sklaven waren immerzu damit beschäftigt die Lager und Fabriken zu erweitern und in den Minen zu schuften. Einige tausend wurden mittlerweile in den neuen Fabriken eingesetzt und durften am Band Waffen und irgendwelche Geräte zusammensetzen, durften teilweise sogar bei der Edelmetallverarbeitung oder der Veredelung von Rohstoffen mitarbeiten. Ein paar wenige waren sogar so weit in der Hierarchie aufgestiegen, dass sie in Büros für die „Götter“ arbeiten durften oder waren – wenn sie ganz loyal waren – sogar in den Wachdienst aufgenommen worden. Diese Leute hassten aber alle. Denn sie benahmen sich wie die Nukarib höchstpersönlich. Sie trieben die anderen Arbeiter mit Peitschen und Elektroschockern an, traten auf dem Boden liegende, die nicht mehr laufen konnten mit Füßen und spuckten auf sie. Diese Leute hatten schnell begriffen, wie man sich die Nukarib zum Freund machen und dann auch die Prioritäten genießen konnte. Die lebten dann auch nicht mehr in Lehmhütten, die sie selbst gebaut hatten, sondern in richtigen Steinhäusern, zusammen mit den Beamten und Bürokräften. Die Steinhäuser waren in eigenen Lagern untergebracht, abseits der Lehmhütten. Und wurden von den niederen Sklaven gebaut. Ab und zu kam es zu kleinen Scharmützeln mit den Wachen, wenn sich einige der Sklaven versuchten unkoordiniert aufzuwiegeln. Diese kleinen Auseinandersetzungen wurden aber immer schnell und äußerst brutal beendet und schließlich waren täglich Todesopfer zu beklagen, die deswegen, weil sie sich auflehnten, sterben mussten.

Täglich starben daran und natürlich an Schwäche und Krankheiten Tausende. Allein die Anzahl derjenigen Sklaven, die nur mit der Entsorgung – anders kann man es nicht ausdrücken – der Toten zu tun hatten, gingen in die Tausende. Die „Totengräber“ wie sie nur unter den Mitgefangenen genannt wurden, waren auch nicht sehr beliebt. Aber sie waren auch eine Arbeiterklasse, denen es ein wenig besser ging als den normalen Sklaven. Denn die Totengräber kümmerten sich auch um die Sachen der Toten. Ihre Kleidung, evtl. um Werkzeuge und Schmuck oder andere persönliche Dinge, die sie bei sich trugen und tauschten die dann wieder gegen andere Annehmlichkeiten ein. Der Schmuck, den einige hatten, wurde immer den Wachen verkauft. Dafür bekamen die Totengräber dann neue Decken oder Essensgutscheine für die Kaschemmen, in denen die Wachen und Büroleute aßen. Dort war das Essen nicht ganz so ein Fraß wie in den normalen Siedlungen.

Der Schwarzmarkt blühte und die Menschen verkauften und tauschten alles, was man sich vorstellen konnte und was man zum Leben brauchte. Und auch die Prostitution zog hier am anderen Ende des Universums, fern der Heimat, ein. Viele Frauen und junge Mädchen verkauften ihre Körper, damit sie nicht in die Minen mussten und es ihnen ein wenig besser ging als den meisten anderen. Das Leben hier auf Eureka war schlichtweg kein Zuckerschlecken! Es war härter als alles andere, was man sich vorstellen konnte. Und die Lager waren ein Moloch, in dem Schmutz und der tägliche Überlebenskampf regierten. Das würden die Neuankömmlinge, deren Ankunft für die nächsten Tage angekündigt worden war, auch schnell mitbekommen.

Die Nachricht von der baldigen Ankunft „neuen Menschenmaterials“, wie es die Nukarib-Wärter nannten, war auch zu Arsinoe vorgedrungen. Und sie hatte schon einen Plan geschmiedet, wie sie diese Situation für sich ausnutzen konnte.

„Bitte erkläre mir noch einmal, wie wir die Ankunft der Neuen für uns nutzen? Was soll uns dies denn bringen?“ fragte Dieter, einer der Anführer ihrer stetig wachsenden Widerstandsbewegung.

„Dieter, das liegt doch auf der Hand. In den ersten Tagen und Wochen, in denen die Neuen da sind und in die Lager kommen, ist die komplette Aufmerksamkeit der Wachen auf diese gelenkt. Die Neuen kennen sich nicht aus, für sie ist es neu, dass sie anstatt in ein gepflegtes Appartement, wie man es ihnen auf der Erde versprochen hat, in ein Arbeitslager kommen, in dem sie sich ihre kärglichen Hütten auch noch selbst bauen müssen. Sie werden aufmucken und das nicht einfach so sang und klanglos akzeptieren. Deswegen ist die Aufmerksamkeit fast aller Wachen auf sie gelenkt. Wenn wir dann unsere Aktionen starten, bleiben diese – hoffentlich – erst einmal unbemerkt. Wir können uns also viel freier bewegen als sonst.“

„Ok, das klingt wirklich nicht schlecht“ antwortete Dieter. Und auch Holgi stimmte seiner Herrin zu.

„Arsinoe hat recht, keiner wird sich darum scheren was wir in dieser Zeit tun. Wir dürfen nur nicht so tollpatschig sein und grob auffallen.“

Arsinoe verkniff sich eine Bemerkung auf Holgis letzte Worte, denn sie wollte seine Führungspersönlichkeit, die sie lange aufgebaut hatte, nicht mit ihrem sicher bissig ausfallenden Kommentar wieder gefährden.

Sie gab Dieter und Holgi, die diese Aktion leiten sollten, noch ein paar Details mit auf den Weg, dann brachen die beiden auf, um ihre Mitstreiter zu informieren. Es waren nur noch fünf Tage bis die „Nemesis“ ihre Fracht absetzen würde. Dann musste alles bereitstehen.

 

 

 

Hamburg, Deutschland

Ralf saß mit dem Kern seiner Mitstreiter, zu denen natürlich auch Armin Schürrle und Julian Angerer gehörten, im Besprechungsraum des angemieteten Bürocenters in der Speicherstadt. Kurz vorher hatten sie eine Videokonferenz mit Nummer Drei des Ordens der Zwölf, der sie aus Brasilia, der Hauptstadt Brasiliens, kontaktierte. Dort war er, um die Baufortschritte des neuen Tempels der Nukarib zu beobachten. Und diese waren sehr weit fortgeschritten.

„Wie es aussieht, wird der Tempel der Nukarib in Brasilia schon in einer Woche fertig gestellt sein. Ähnliches hören wir auch aus Sydney, Dallas und Köln. Die Tempel in Portland und Athen sind schon bezogen und wie unser Mann aus Washington berichtet, ist ein Kampfschiff der Nukarib hierher unterwegs und wird uns in Kürze erreichen.“

„Kampfschiffe?“ Armin war sichtlich erstaunt.

„Ja, dieses Mal schicken sie gleich ein Kampfschiff und an Bord ist der Verwalter, der auf der Erde eingesetzt werden soll“ antwortete Ralf.

„Meint ihr wir haben versagt?“ fragte Georg Weitermann aus der Runde.

„Nein, mit Sicherheit nicht!“ antwortete Julian.

„Denn wenn wir mit unserer Aktion keinen Erfolg gehabt hätten, würden die nicht so Gas geben, wie sie das jetzt tun. Dass sie gleich mit einem Kampfschiff anrücken kann uns auch wieder in die Karten spielen. Denn einige Leute werden sich nun überlegen, ob die „Götter“ wirklich so gutmütig sind, wie sie vorgeben.“

 

 

 

Paris, Frankreich

In einem abgedunkelten Raum, der nur vom Schein einiger Dutzend weißer Kerzen erhellt wurde, saßen sechs Frauen in dunklen Roben im Kreis. Die Beine zum Schneidersitz gefaltet, ihre Arme mit nach oben geöffneten Handflächen auf den Knien ruhend, saßen sie mit geschlossenen Augen da und murmelten für den Außenstehenden unverständliche Formeln und Schwüre. Für den unbedarften Beobachter – gäbe es ihn überhaupt – wäre das Klischee einer Séance oder Spiritistischen Sitzung vollends bedient. Im Halbdunkel standen noch drei weitere Personen. Es waren Nummer Zwei, Vier und Sieben des Ordens der Zwölf, die diese Szenerie beobachteten. Weiterhin saßen an einem großen, alten Holztisch mit allerlei mysteriösen und okkulten Schnitzereien zwei Männer, die mit Bleistiften alles in Schnellschrift auf ihre Blöcke kritzelten, was die sechs Frauen dort im Rund erzählten. Und diese waren voll in ihrem Element, erzählten reihum vor sich hin, ergänzten sich passend und sprachen teils im dunklen Bass als auch mit hohen Frauenstimmen. Sie erzählten sogar in verschiedenen Sprachen. In englischer, französischer und deutscher Sprache. Und als eine der Frauen anfing in einer weiteren Sprache vor sich hin zu plappern, schauten die beiden Stenotypisten erst sich gegenseitig und dann die drei Ordensbrüder ungläubig an.

Nummer Sieben erkannte die Lage sofort, schnappte sich Griffel und Block eines der beiden Stenotypisten und schrieb hastig mit was er hörte. Die anderen Beobachter und die Schreiber schauten ihm staunend über die Schulter.

Nach etlichen Minuten verebbten die Stimmen der Frauen und sie kamen aus der Trance zurück in die heutige, reale Welt. Obwohl man eigentlich kaum sagen kann, welche Welt dieser vielen Welten, die es zu geben scheint, wirklich DIE reale Welt ist.

Nummer Sieben griff sich die Mitschriften und verließ den Raum. Er musste nun schnellstmöglich die Mitschriften übersetzen lassen. Vor allem die letzten Absätze, die er selbst aufgeschrieben hatte – in einer längst vergessenen Sprache, die heute keiner mehr kennt und spricht. Nur einige im Orden der Zwölf sind ihrer mächtig und diese geben sie immer wieder weiter an neue, jüngere Mitglieder des Ordens, damit sie nicht komplett vergessen wird. Das, was er hier notiert hatte, war purer Sprengstoff! Und er grübelte den ganzen Weg zu seinem Büro darüber nach, ob er das wirklich glauben konnte, was er selbst geschrieben hatte. Aber die Medien waren die besten die es gab. Es war eigentlich kein Irrtum möglich.

In Gedanken griff Nummer Sieben die Türklinke, drückte sie herunter und trat in sein Büro im oberen Stock einer alten, französischen Villa ein. Er sah auf und staunte nicht schlecht, wer an seinem Schreibtisch saß.

„Was machst du denn hier?“ rief er erstaunt aus. Dann schloss er die Tür hinter sich.

 

 

 

Eureka

Es war Nacht und einer der Monde Eurekas warf sein fahles, stahlblaues Licht auf die Sklavensiedlung, die sich in der Nähe einer der Puritminen befand. Einige Gestalten bahnten sich ihren Weg von Draußen an einen der Eingänge, die streng bewacht wurden. Als diese dort eintrafen, begannen zuerst einige belanglose Gespräche, dann ging alles blitzschnell und die Wachen wurden von gezielten Schlägen und Tritten zu Boden gestreckt. Glücklicherweise waren an diesem Tor keine der Sphingen als Wachen eingeteilt. Aber das hatten die Widerständler, die sich in Uniformen der Wachmannschaften unbemerkt den echten Wachen näherten, vorher ausgekundschaftet.

Kurz nachdem die Wachen niedergestreckt und das Tor geöffnet war, kam nun auch auf der anderen Seite des Zaunes Bewegung auf. Plötzlich kamen aus allen Ecken und aus allen Baracken, die in dessen Nähe standen, Menschen mit ihrem kläglichen Hab und Gut heraus und liefen zügig, aber dennoch leise durch das Tor. Eine scheinbar nicht enden wollende Karawane machte sich auf, das Lager zu verlassen. Es waren tausende!

Und das Abenteuer für die geretteten Flüchtlinge begann nun erst. Denn sie mussten zusehen, dass sie sich in kleinen Gruppen, so unauffällig wie möglich, durch die Straßen in den fremden Urwald und zu den weitab gelegenen Höhlen durchschlugen. Überall befanden sich Wachen und auch einige der Sphingen und andere Mischwesen waren sicher auf Patrouille. Und man musste aufpassen, nicht erwischt zu werden. Wären es nur einige wenige Menschen, dann würde keine große Gefahr bestehen. Aber es kamen immer mehr aus dem Lager heraus und verteilten sich auf die weite Fläche und die Straßen. Mit so vielen hatten die Befreier nicht gerechnet und sie bekamen langsam Panik und hofften inständig nicht erwischt zu werden. Das Manöver hatte sich verselbständigt und wurde nun rasend gefährlich!

Holgi, der auch unter dem Befreiertrupp war, wurde immer unruhiger und winkte die Flüchtigen immer schneller durch.

„Das hört ja gar nicht mehr auf“ flüsterte er zu seinem Kollegen, der sich neben ihm befand und krampfhaft Ausschau nach anderen Wachen hielt. Aber sie konnten jetzt auch nicht einfach die Tore wieder schließen. Wie könnte man das den armen, gefangenen Mitmenschen antun? Sie mussten das nun bis zum bitteren Ende durchziehen und auf die Gefahr hin entdeckt zu werden, weiter die Tore geöffnet halten.

Irgendwann beschloss Holgi jedoch die Gefahr nicht zu unterschätzen und mit seinen Kollegen in den geklauten Uniformen sich zwischen die Meute zu mischen und abzuziehen. Natürlich würden sie die Tore einfach offenlassen. Sie würden lieber jenseits der großen Umfriedungsmauer auf die Menschen warten und ihnen dort die Anweisungen erteilen, wo sie hinzulaufen haben. Das war sicherer als hier auf dem Präsentierteller zu hocken.

 

Die Sonne Eurekas war schon aufgegangen und Arsinoe inspizierte mit einem überlegenen Lächeln die eingetroffenen Menschenmassen an den Höhlen, die gut versteckt im dichten Urwald lagen. Dieser war so dicht, dass er von oben wie ein dunkelgrüner Teppich aussah. Sie hörte zwar die Gleiter der Nukarib, die ihre Suchschleifen auch über ihren Teil des Urwalds drehten, aber sie war sich sicher, dass sie nicht gesehen werden konnten. Trotzdem hatten ihre Leute alle Hände voll zu tun, den Flüchtlingen schnellstmöglich den Weg aus dem Urwald heraus in die unterirdische Welt der großen Höhlenanlage zu weisen, die sie hier entdeckt hatten. Die Höhlen waren so groß, dass sie die Menschen, obwohl es anstatt ein paar hundert nun etliche tausend waren, bequem aufnehmen konnten. Dutzende Säle waren dort in der Unterwelt, jeder in der Größe von mindestens einem Fußballfeld im Vergleich. Dazwischen kilometerlange Gänge, verschachtelt und mit einigen interessanten Nischen, die sehr gut als Wachstationen genutzt werden konnten.

Die Flüchtlinge schleppten ihr Weniges an Habe mit sich und in die Höhlen. Es war ein erfolgreicher Tag für den Widerstand auf Eureka! Und Arsinoe war sich sicher, dass die Nukarib momentan nicht gerade erfreut darüber waren, so viele ihrer Sklaven verloren zu haben.

 

 

 

Paris, Frankreich

„Na, das ist ja mal eine nette Begrüßung!“ lächelte Nummer Zehn gütig.

„Entschuldige bitte, aber ich bin total überrascht von deiner Anwesenheit, keiner sagte mir, dass du kommen würdest. Und dann bin ich noch irgendwie beeindruckt von dem…“

„Was du gerade gehört hast, oder?“ fiel ihm Erich von Beatenberg, Nummer Zehn des Ordens der Zwölf, ins Wort.