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Terra Zyklus: Band 1

 

Alexander Knörr

 

Schatten der Götter

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

www.twilightline.com
www.chroniken-von-tilmun.de

1. Auflage, 2020
ISBN: 978-3-966890-11-3
eBook-Edition

© 2020 Twilight-Line Medien
Alle Rechte vorbehalten.

 

Dresden, Deutschland

Petra lag wie versteinert in ihrem Bett. Sie hatte die Bettdecke bis ans Kinn gezogen, die Beine in der Fötus-Stellung angewinkelt und hielt die Bettdecke mit beiden Händen, die zu Fäusten geballt waren, fest. Mit leeren Augen starrte sie, auf der Seite liegend, zum Nachttisch und dort zum Radiowecker, dessen grellrote Ziffern in das Dunkel des Schlafzimmers leuchteten. 3:23 gaben die Ziffern preis. Mitten in der Nacht. Petra hatte bisher kein Auge zugemacht.

Die junge Frau, Anfang zwanzig und Studentin für katholische Theologie an der TU Dresden, hatte schulterlanges, blondes Haar, das leicht gewellt war. Dies hatte die Natur ihr beschert. Sie selbst war damit nicht so sehr glücklich. Sie hätte lieber glatte Haare gehabt, das hätte ihr tausendmal besser gefallen. Doch das war jetzt nicht wirklich wichtig. Petra konnte nicht schlafen. Nicht wegen ihren Haaren, nicht wegen dem kleinen Streit, den sie am Tag zuvor mit ihrem Freund hatte. Das waren Nichtigkeiten! In dem Streit ging es um etwas ganz Banales, um ein Interview, das sie der Märkischen Post gegeben hatte und in dem sie ausgesagt hatte, dass sie Single wäre. Markus fand das überhaupt nicht lustig. Und das war ja auch irgendwie verständlich. Aber sie hatte ihm versucht zu erklären warum sie das so gesagt hatte. Es war nämlich kein Fehler des Interviewers oder Redakteurs gewesen. Sie hatte das wirklich behauptet. Der Grund war der, dass es ihrer Meinung nach besser aussah, wenn sie als Studentin katholischer Theologie Single wäre. Außerdem waren ihre Eltern streng katholisch und der Meinung, dass sie erst einen Freund brauchen würde, wenn das Studium vorbei wäre – wenn überhaupt. Denn sie hofften, dass sie durch das Studium eine noch engere Verbindung zu Gott aufbauen könnte. Na ja, die Hormone und die Art von Markus, den sie auf dem Campus kennengelernt hatte, sprachen dann eine andere Sprache. Sie hatte sich in den dreiundzwanzigjährigen Mann aus Berlin verliebt, dessen rote Haare und die vielen Sommersprossen auf der hellen Haut sie in ihren Bann zogen. Und er hatte eine solch witzige und offene Art. Es tat ihr schrecklich leid, dass sie ihn mit diesem Interview enttäuscht hatte. Doch die Diskussion war gestern erst einmal nicht positiv verlaufen. Markus war in seine eigene Bude gegangen und schlief sicher dort den Schlaf der Gerechten. Doch sie lag wach. In ihrem Kopf flogen tausende Gedanken umher. Sie war unruhig und traurig; und hatte Angst. Große Angst!

Kurz nachdem sie sich mit Markus gestritten hatte kam die Nachricht. Zuerst hörte sie das Dilemma im Radio. Inmitten eines Liedes wurde dieses unterbrochen und eine erste Meldung gebracht. Danach schaltete sie sofort ihr Fernsehgerät ein und verfolgte alle weiteren Nachrichten im Fernsehen. Was sie dort zu hören bekam war äußerst verstörend und der Grund, warum sie jetzt wach im Bett lag.

Astronomen der ESA hatten am Tag vorher schon einen Asteroiden entdeckt, der ihnen vorher nicht aufgefallen war. Dies war zunächst nichts Schlimmes. Doch gestern hatten dann amerikanische Astronomen und Astronomen aus China nicht nur den Asteroiden bestätigt, sondern auch seine Flugrichtung exakt berechnet. Er flog auf direktem Kurs zur Erde. Nicht wie die vielen anderen Asteroiden relativ knapp vorbei – dieser hier, dem die Wissenschaftler treffenderweise den Namen „Exodus“ gegeben hatten, raste direkt auf die Erde zu. In den Nachrichtensendungen überschlugen sich die Ereignisse. Nahezu minütlich kamen neue Erkenntnisse hinzu. Was in kürzester Zeit feststand war die Tatsache, dass Exodus die Erde nicht verfehlen wird, sondern direkt treffen würde. Anhand der Geschwindigkeit konnten die Astronomen auch schnell errechnen, wann dieser Einschlag zu erwarten ist. Und das Datum, das errechnet wurde, war der 21. Dezember 2012. Also in diesem Jahr! In etwas mehr als 200 Tagen wäre die Menschheit aller Wahrscheinlichkeit nach ausgelöscht! Und alles Leben auf dem Planeten.

Bei dem Gedanken daran war der Streit mit Markus oder die Diskussion darum, ob sie Single war oder nicht, mehr als nebensächlich.

Petra starrte weiter auf die Ziffern ihres Radioweckers. Dann setzte sie sich auf und griff ihr Handy. Sie suchte nach der Nummer von Markus und schrieb eine Nachricht: Mein Schatz, es tut mir so leid, dass ich dich enttäuscht habe. Du fehlst mir! Ich möchte nicht alleine sein! Bitte melde dich! Ich liebe dich, deine Petra!

Sie hörte ein Piepen und schreckte auf. Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Petra setzte sich noch aufrechter hin, zog die Decke zu ihrem Kinn und war unfähig sich zu bewegen.

„Schatz, ich liebe dich auch! Ich bin es, Markus“ hörte sie von der Tür her.

Ein Lächeln flog in ihr Gesicht, sie spritzte auf und rannte zur Haustür, öffnete diese und vor ihr stand Markus. Mit einem kleinen Strauß Blumen in der Hand und mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

„Markus!“ entfuhr es ihr und sie fiel ihm um den Hals. „Wo kommst du denn auf einmal her?“

„Ich war die ganze Zeit vor deiner Tür“, er schaute auf seine Uhr, „so seit 23 Uhr.“ Dann schaute er sie wieder mit seinem überwältigenden Lächeln an. Sie zog ihn in die Wohnung, schloss die Tür, umarmte ihn und küsste ihn innig.

„Hey, Hey, als Single-Frau gehst du aber ganz schön ran!“ schnaufte Markus nach einigen Minuten innigen Küssens.

Petra knuffte ihn. „Menno!“ nörgelte sie. Dann schaute sie auf den kümmerlichen Blumenstrauß aus Tulpen, die mit Folie umwickelt waren und schon langsam die Köpfe hängen ließen. „Wo hast du die denn mitten in der Nacht her?“

„Tanke!“ antwortete er in monotoner Stimmlage und streckte ihr die Blumen hin.

„Du bist der Hammer!“ Dann drückte sie ihn wieder ganz fest an sich. „Schatz, es tut mir so leid, wirklich!“

„Alles gut, ist ja nichts passiert. Bitte entschuldige, wenn ich mich aufgeregt habe.“

„Schatz, ich habe solche Angst. Im Dezember…“

„Psssst“ versuchte Markus sie zu beruhigen und wiegte sie in seiner Umarmung hin und her, „wir schaffen das – die Regierungen werden doch sicher etwas dagegen tun können!“

 

 

Darmstadt, ESA Zentrale, Deutschland

„Und wir können nichts dagegen tun?“ Enrique Gebauer regte sich gewaltig über die schlechten Nachrichten der letzten Stunden auf. Er war in Mexiko geboren, jedoch schon als Baby ausgesetzt worden, weil seine Eltern ihn vermutlich nicht ernähren konnten. In einem Heim verbrachte er dann sein erstes Lebensjahr, bis eine wunderbare Familie aus Deutschland kam und ihn adoptierte. Nun hieß er Enrique, was ihn mit seiner mexikanischen Herkunft verband und im Nachnamen Gebauer. Enrique war ein hochgewachsener Mann, 32 Jahre alt und hatte bei der ESA eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Nach wenigen Jahren war er schon der stellvertretende Leiter des ESOC (European Space Operations Centre) in Darmstadt. Im ESOC befindet sich die Steuerungszentrale des Netzes von Bodenstationen, dem sogenannten ESTRACK. Die fünf großen Antennen in Französisch-Guayana, Australien, Belgien, Schweden und Spanien werden hier koordiniert und gesteuert. Die interplanetarischen Missionen der ESOC werden durch weitere 35 Meter Antennen in Spanien, Australien und Argentinien unterstützt. Und die ESOC hatte auch die zweifelhafte Ehre den Asteroiden Exodus zu entdecken. Die letzten Stunden waren die Weltraumorganisationen mit den Streitkräften und Regierungsstellen der größten und mächtigsten Regierungen der Erde damit beschäftigt herauszufinden, ob man Exodus in irgendeiner Weise aufhalten oder zerstören konnte. Auch eine Ablenkung, also den riesigen Brocken aus Gestein und Metall aus seiner Bahn zu werfen, wurde diskutiert. Doch bisher blieben alle Bemühungen, die in komplizierten Berechnungen endeten, vergebens.

An einem großen, ovalen Besprechungstisch saßen ein gutes Dutzend Männer und Frauen, alle mit gesenktem Kopf. An einem Ende des Tisches stand Enrique mit den Armen auf den Tisch gestützt und schaute in die Runde. „Mehr habt ihr nicht? Wir können nichts dagegen tun? Soll ich das der Bundeskanzlerin sagen?“

Es herrschte peinliche Stille, bis einer der Anwesenden Mut fasste und zu sprechen begann: „Enrique, es gibt ein Länderübergreifendes Team, das durch die Initiative der USA zusammengestellt wurde und das den Einsatz von Atomraketen prüft, die auf den Koloss ausgerichtet werden sollen.“

„Atomraketen!“ schnaufte Enrique. „Dann wären die Dinger endlich mal zu etwas Nutze. Und wie gedenken die Herrschaften das zu tun?“

„Das weiß noch keiner. Sie diskutieren momentan von welchen Ländern sie die erforderlichen Raketen bekommen können.“

„Ich fasse es nicht!“ mischte sich nun eine Frau ein, die am Tisch saß und in einen weißen Kittel gekleidet war, unter dem aber ein Business-Anzug herauslugte. „Die diskutieren ob sie bei einer Aktion mitmachen, die die gesamte Menschheit retten könnte? Was denken die denn was passiert, wenn sie nicht mitmachen?“

„Ich denke, Karla, die Bürokratie wird selbst im Anblick der Zerstörung nicht sterben!“ kommentierte Enrique den Aufschrei seiner Kollegin. „Sprich, wir können jetzt nichts tun, bis die Kollegen sich geeinigt haben. Bravo!“

Dann löste Enrique die Versammlung auf und alle machten sich wieder an die Arbeit. Alle bis auf Jürgen Breitner. Dr. Jürgen Breitner war vor einem Tag zum Chef der Task-Force Exodus ernannt worden. Ein Job, um den er sich wirklich nicht gerissen hatte. Der Mittsechziger sah alles andere aus wie ein Wissenschaftler, so wie man sich ihn vorstellt. Er war ein sehr sportlicher Typ, einen Meter neunzig groß und schlank. Er hatte schulterlanges, schwarzes, gewelltes Haar und einen Schnauzbart, der an den Enden hochgezwirbelt war. Die Enden kringelten sich in kleine Röllchen. Er sah aus wie eine jüngere Version von Jean Pütz, den man aus wissenschaftlichen Sendungen im Fernsehen kannte. Wenn man ehrlich war, sahen sich die beiden wirklich sehr ähnlich und hätten Brüder sein können. Jürgen und Enrique waren auch privat befreundet und dass sie nun beide in dieser prekären Situation zusammenarbeiten sollten, begrüßten beide Männer. Sie hatten auch ähnliche Vorstellungen von ihrer Arbeit und eben auch von der Handlungsweise, die jetzt in dieser Situation notwendig gewesen wäre. Doch sie waren nicht in der Situation, diese auch umzusetzen.

„Zu viel Politik!“ seufzte Jürgen und schaute Enrique ein wenig hilflos an.

„Ja, das stimmt. Wie naiv sind wir, dass wir denken, wir könnten mit einer solch bedrohlichen Situation klarkommen? Die Regierungsvertreter werden noch diskutieren, wenn wir schon längst gegrillt sind.“

Beide waren gegen Waffen eingestellt. Doch dass diese Waffen, genauer gesagt das Atomwaffenarsenal der Erde, in diesem Moment die Lösung für das nahende Problem Exodus bringen könnten, wussten auch sie. Und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man kurzentschlossen diese Waffen einfach zusammengezogen und die Völker, die sich querstellten, nicht lange gefragt. Aber wie so oft sind Vorstellungen anders als das, was wirklich in der Welt geschieht. Und da sich einige der Länder mit Atomwaffen wirklich gegen eine Zusammenarbeit wehrten, war eine Einigung schwierig. Doch was diese Länder verfolgten war etwas anderes. Sie wollten natürlich auch nicht ihre Existenz verwirken. Sie wussten genau, dass die großen Player auf dem Planeten auf sie angewiesen waren. Aus diesem Grund pokerten sie um Dinge, die in dieser Situation eigentlich wertlos sind, für diese Länder jedoch sehr wichtig. Souveränität, Freiheit, Handelsabkommen, Geld. All das sollte fließen, wenn die Mächtigen der Erde denn ihre Atomwaffen haben wollten. Diejenigen, die sich quer stellten, waren die üblichen Kandidaten. Staaten, die zu den Schurkenstaaten zählen und eigentlich von der Staatengemeinschaft immer gemieden werden. Und die fühlten sich nun in einer guten Verhandlungsposition für ihre Forderungen – was ja auch stimmte. Und ob früh oder spät, sie würden bekommen was sie verlangten, denn es ging um mehr als um Politik. Es ging um das Überleben der Menschheit!

 

 

Beatenberg, Schweiz

Unterhalb des Niederhorns schmiegt sich ein Dorf an die Felswand – das längste Dorf Europas. Tief unten im Tal erkennt man den Thuner See, dessen strahlendblaues Wasser im Sonnenschein glänzt. Auf der anderen Seite befindet sich im Tal die Stadt Interlaken. Beatenberg ist ein typisches Dorf der Schweizer Alpen mit Gebäuden im entsprechenden Stil. Das Erdgeschoss – in den Hang hinein gebaut - ist aus Holz gefertigt und in den meisten Fällen eine Stallung. Wenigstens früher war das mal so. Obenauf gibt es in strahlendem Weiß gehalten die Stockwerke, die die Wohnräume beinhalten. Meist sind das lediglich zwei Stockwerke, die aufgebaut wurden. Dort prangen dann auch ausladende, hölzerne Balkone mit oft aufwendigen Verzierungen, die ins Holz geschnitzt sind. Rund um die Häuser gibt es sattes Grün in Form von Bergwiesen. Selten ein gepflegter Rasen, wie man diesen aus den Städten kennt. Überall sieht man aufgeschichtetes Holz, das für die Wintermonate in großen hölzernen Gestellen, die überdacht sind, lagert. Beatenberg ist verträumt und ruhig. Und bekannt wurde es lediglich aus zwei Gründen. Erstens da es nur eine Straße gibt, die am Berg entlangführt und damit das längste Dorf Europas ist. Der zweite Grund seiner Bekanntheit ist, dass einer der Einwohner weltbekannt ist. Der Schweizer Privatforscher und Phantast Erich von Beatenberg. Erich ist ein gutmütiger und äußerst netter Mensch, der in der Welt herumzieht und Beweise dafür sucht, dass wir Menschen schon vor Jahrtausenden Besuch von Außerirdischen hatten, die von den frühen Menschen aufgrund ihrer magisch wirkenden Technik verkannt und als Götter verehrt wurden. Von diesem Szenario ist der Schweizer überzeugt und versucht diese Überzeugung auch den anderen Menschen nahe zu bringen. Seine Bücher sind weltbekannt und auf dem gesamten Erdball Bestseller. Erich ist im Dorf hoch angesehen und wird von niemandem hier als verschroben wahrgenommen, wie dies Skeptiker seiner Theorien propagieren.

In einem dieser malerischen Häuser hatten sich heute vier Männer versammelt und saßen um einen niederen Glastisch auf dicken Ledersesseln und einer zweisitzigen ledernen Couch. Das Arrangement befand sich in der Bibliothek des Hauses, deren von Hand angepasste hölzerne Regale angefüllt waren mit alten Büchern. Die Bücherreihen gingen vom Boden bis unter die Decke und jeder Zentimeter war ausgenutzt. Wo Platz war, lagen noch Bücher auf den stehenden Bänden obenauf. Der hölzerne Boden wurde durch einen dicken, schweren Teppich geschützt, der eigenartige Ornamentik und fremdartige Wesen zeigte. Doch die Optik war nicht wirklich einer Kultur zuzuordnen. Der Teppich sah aus wie eine Mischung aus Orient und Asien mit einem guten Schuss Mittelamerika.

„Ist das der Teppich von Mtahlep, von dem ich schon so viel gehört habe?“ fragte einer der Herren der Runde, der wie die anderen mit einem Whiskeyglas bewaffnet auf einem der schweren Sessel saß und interessiert den Teppich betrachtete.

„Ja, das ist er“, bestätigte ein anderer, etwas untersetzter und älterer Mann, der mit einem blauen Jackett im gegenüberliegenden Sessel saß. „Aus feinster Litachi-Wolle und mit Goldfäden verwoben. Eine fantastische Arbeit, oder?“

„Ja, das stimmt. Eine fantastische Arbeit“, bestätigte Ersterer.

Nachdem einige Minuten Smalltalk verstrichen waren, wurde die Stimmung schlagartig ein wenig ernster, als sie auf den eigentlichen Grund dieses Treffens zu sprechen kamen.

„Wir können uns zwar heute nicht alle treffen, aber wir werden dies in den nächsten Stunden nachholen. Warum wir hier sind wisst ihr. Exodus, wie er von den Astronomen so treffend genannt wurde, scheint eine wirkliche Bedrohung zu sein. Oder was sagen unsere Freunde dazu?“ eröffnete der Gastgeber und Hauseigentümer im blauen Jackett die Runde.

„Das Ding ist schlagartig aufgetaucht. Wir können noch nicht sagen, aus was er genau besteht. Nur dass er unserem Raster und auch dem der Regierungen vollends durchgegangen ist. Was durchaus befremdlich ist“, antwortete ein anderer Herr der Runde, ein schlaksiger Mann mit grau meliertem Haar.

„Es ist mir unverständlich wie das passieren konnte. Unsere Weltraumüberwachung arbeitet normalerweise exakt und ohne Fehler, und nimmt Objekte schon weit vor dem Eintritt in unser Sonnensystem wahr. Nun ist der Bolide aber schon recht weit hinter unserer Reichweite eingedrungen, bis er bemerkt wurde. Das wirft schon Fragen auf. Dass die Astronomen der Regierungen das verpennt haben ist noch zu erklären, aber wir? Das kann normalerweise nicht sein!“ warf der vierte der Runde, ein kleinerer, ebenso untersetzt wirkender Mann mittleren Alters ein. Er trug einen schwarzen Nadelstreifenanzug, eine lila Krawatte und Einstecktuch und sah von allen Anwesenden am ehesten nach einem strengen, erfolgreichen Geschäftsmann aus. Der Italiener hatte schwarzes Haar, das mit einem Haaröl glatt an den Kopf gelegt war. Er erinnerte an den frühen Adreano Celentano, den italienischen Schauspieler aus den 1980er Jahren.

„Nummer 2“, wendete sich der Hausherr an ihn, „wie kann es möglich sein, dass wir dieses Ereignis auch verschlafen haben, wo wir doch so viel besser ausgerüstet sind als die Observatorien der restlichen Erde?“

„Nummer 10, ich bin überfragt. Es scheint, als wäre der Asteroid einfach da. Also als wenn er aus dem Nichts aufgetaucht wäre. Ich weiß, das klingt idiotisch…“ antwortete der dem Herrn mit dem blauen Jackett.

„Beunruhigend ist, dass keiner unserer Verbündeten das Ding kommen gesehen hat. Also nicht nur wir wurden überrascht, sondern jeder unserer Freunde“, mischte sich nun ein weiterer der Herren in die Unterhaltung ein.

„Nummer 8“, wendete sich der Hausherr, der mit Nummer 10 angesprochen wurde, nun an diesen, „ich möchte, dass Sie alles tun, das notwendig ist, um mehr über diesen Boliden herauszufinden. Auch ob wir ihn vielleicht zerstören oder ablenken können.“

„Aber…“ wollte Nummer 2 dazwischen, als ihn Nummer 10 unterbrach.

„Ich weiß, die Regierungen der Erde versuchen momentan einen Atomschlag gegen das Ding zu koordinieren. Doch unsere Freunde und auch Nummer 1 sind der Meinung, dass dies nicht klappen wird. Wir brauchen also eine Alternative. Auch Nummer 12 ist schon mit seinen Leuten daran eine Möglichkeit zu finden, wie wir das Ganze ohne Aufsehen hinbekommen. Niemand darf mitbekommen, dass wir das waren, wenn es denn notwendig ist, das Ding unsererseits zu zerstören.“

Die drei nickten und waren sich einig. Der Asteroid musste aufgehalten werden, doch niemand durfte erfahren wer ihn aufgehalten hatte.

 

 

Hamburg, Deutschland

Seitdem die Hiobsbotschaft des herannahenden Asteroiden Namens Exodus die Menschen auf der ganzen Erde erreichte, machten sich chaotische Zustände breit. Die Sicherheitskräfte waren überall überfordert und teilweise mussten Supermärkte mit bewaffneten Polizisten bewacht werden, um vor Plünderern zu schützen. Bei der Polizeistation St. Georg in Hamburg, der Polizeistation 11, war am frühen Morgen Einsatzbesprechung für den heutigen Tag. Etwa einhundert Polizistinnen und Polizisten stapelten sich förmlich in dem großen Besprechungsraum des Präsidiums, der üblicherweise weitaus kleinere Personenmengen aufnehmen musste. Allen voran stand der Dienststellenleiter Arthur Werner und der Leiter des Krisenstabes für das Polizeirevier 11, Dietmar Kocks. Bevor die Einsatzpläne des Tages besprochen wurden, gab es jedoch eine einschneidende Änderung bekanntzugeben.

Arthur Werner eröffnete die Sitzung mit den Worten: „Meine lieben Kolleginnen und Kollegen. Wir alle haben in den letzten Tagen viele Mehrstunden auf dem Buckel, um die Sicherheit hier im Bezirk zu gewährleisten. Nicht immer gelingt uns das und ich muss zugeben, dass uns dies auch immer schwerer fällt. Die Bewohner des Bezirks, aber auch viele Individuen von Außerhalb, werden immer gewaltbereiter und die Verrohung schreitet drastisch voran. Euch allen von mir und der Bevölkerung einen ausdrücklichen Dank für eure Bereitschaft, dies alles auf euch zu nehmen. Wir müssen alle weiter durchhalten und leider immer noch über unsere normalen Arbeitszeiten hinaus Einsätze absolvieren. Dass ihr das alle so mitmacht, macht mich stolz auf dieses Revier!“

Die Polizistinnen und Polizisten gaben nun einen kleinen Zwischenapplaus zur allgemeinen Bestätigung seiner Worte.

„Aber wir bekommen Unterstützung. Im Laufe des Tages wird dies auch öffentlich gemacht. Wir erhalten ab sofort Unterstützung von der Bundeswehr. Unserem Revier ist eine Einheit der Feldjäger mit einer Stärke von 20 Mann und weitere 30 Soldaten zugeteilt. Das ist nicht viel, aber schon mal viel wert. Ich gehe davon aus, dass wir alle sehr gut und Hand in Hand zusammenarbeiten werden. Die Koordination erfolgt ausschließlich über den Kollegen Dietmar Kocks.“

Die Menge applaudierte erneut und Dietmar gab sodann weitere Anweisungen über die Abläufe des Tages, wann welche Einheiten der Bundeswehr und Feldjäger zu wem dazustoßen würden und welche Aufgaben anstanden. Martin und Günter waren zum Streifendienst eingeteilt. Die beiden Polizisten waren mit jeweils 34 Jahren im selben Alter und kannten sich schon von der Ausbildung zum Polizisten. Sie waren eng befreundet. Vieles verband die beiden Männer, obwohl sie sich doch in so vielen Dingen unterschieden. Aber vielleicht waren gerade die Gegensätze das, was die beiden zusammenschweißte? Günter, der eingefleischte Single und Frauenheld, der mit seinen ein Meter neunzig einen guten Kopf größer war als Martin, hatte hellblonde Haare, war muskulös und drahtig. Er besuchte mindestens vier Mal in der Woche ein Fitnessstudio und ging jeden Morgen vor der Schicht 5 bis 10 Kilometer laufen. Und es war egal ob die Schicht um vier Uhr früh anfing oder um acht. Martin dagegen war der gemütliche Familienmensch. Er hatte mit seiner Frau Melanie und seiner Tochter Klara eine wunderbare Familie, besaß ein kleines Häuschen am Stadtrand von Hamburg in einer der weniger hippen Wohngegenden mit Garten, Apfel- und Kirschbaum und Hängematte dazwischen. Natürlich war er als Polizist im Training, hatte aber trotzdem ein kleines Bäuchlein, das er mit Stolz vor sich hertrug. Nach Feierabend war er immer bei seiner Familie, ging mit denen gerne mal an die Weser spazieren und der einzige Sport, der ihm wirklich lag, war Darts. Er belehrte auch immer wieder seine Kollegen und Freunde, dass Darts wirklich ein Sport sei, die ihn jedoch immer wieder daraufhin belächelten.

So unterschiedlich ihr Leben war, so waren jedoch beide unzertrennlich und vertrauten sich blind. Und sie hatten auch schon einiges durchgestanden. Damals, als sie als blutjunge Anfänger von der Polizeischule kamen, waren sie sofort in Hamburgs Davidwache versetzt worden. Dies war wohl die Härteprüfung schlechthin, denn die Davidwache lag mitten im Rotlichtbezirk Hamburgs, der Reeperbahn. Hier waren bewaffnete Überfälle und Übergriffe, Schlägereien, Festnahmen von Betrunkenen und Dealern an der Tagesordnung. Und ein halbes Jahr nachdem sie von der Polizeischule in den Dienst gestellt worden waren, war es auch soweit, dass Günter während einer Massenschlägerei angeschossen wurde. Nur an der Schulter und es war von der Wunde her gesehen nicht wirklich lebensgefährlich. Doch er war lange in psychologischer Behandlung, weil ihn das Thema, dass er durch seinen Job vielleicht das Leben verlieren könnte, sehr belastete. Martin half ihm in dieser Zeit mehr als der Psychologe. Das behauptete jedenfalls Günter. Neben dieser Sache standen die beiden auch viele kleinere Scharmützel miteinander durch. Sie waren vom ersten Tag an einander zugeteilt und immer ein Team. Auch als es daran ging, das Revier zu wechseln, taten sie es gleich und ließen sich ins Revier 11 nach St. Georg versetzen. Hier in der Innenstadt schien es ruhiger zu sein. Doch seitdem bekannt wurde, dass Exodus der Menschheit den Garaus machen würde, kam das Chaos über die Stadt. Und nicht nur über Hamburg. Auf der ganzen Welt spielten die Menschen verrückt. Religionen wurden über den Haufen geworfen. Regeln des täglichen Lebens und der Gemeinsamkeit ebenso. Nächstenliebe war nicht mehr angesagt. Nicht jeder, aber viele, führten sich auf, als wären alle Gesetze hinfällig. Und so hatten viele Städte und Regionen kurzfristig Handlungsbedarf. Eine Neuerung war schon drei Wochen nachdem die Meldung von Exodus die Runde machte in Kraft getreten – kurzfristig vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat abgesegnet. Straflager! Insgesamt 28 Straflager gab es im gesamten Bundesgebiet, um die Gefängnisse zu entlasten. Hierher kamen alle, die sich danebenbenahmen, die plünderten, sich in Schlägereien gehen ließen und vieles mehr. Anders wurde man den Massen nicht mehr Herr. Und dass nun die Bundeswehr der Staatsgewalt zur Seite stand war höchste Zeit.

 

 

Darmstadt, ESA-Zentrale, Deutschland

Dr. Jürgen Breitner war fassungslos: „Das kann doch nicht wahr sein!“ tönte er in tiefstem Bariton.

„Die Amerikaner haben sie entdeckt. Zwölf Stück, die auf die Erde zurasen“, erklärte Holger, ein junger Familienvater und Astronom, dem Chef der Task-Force und weiteren Mitgliedern derselben. „Und dem Flugverhalten nach zu schließen sind sie intelligent gesteuert.“

„Sie sind was?“ fragte Breitner nach.

„Intelligent gesteuert. Sie werden langsamer, koordinieren sich und japanische Radioteleskope habe sie angepeilt und Funksignale wahrgenommen, die nicht auf Hintergrundrauschen oder ähnliche Geräusche des Weltalls zurückzuführen sind.“

„Das heißt?“ hakte Breitner nach.

„So wie es aussieht sind wir nicht allein!“ erklärte Holger mit einfachen, doch treffenden Worten. Eigentlich hätte es dieser Erklärung nicht bedurft. Jeder im Raum wusste was es hieß, wenn Objekte diese Verhaltensweisen vorwiesen. Sie hatten das in der Theorie schon hunderttausend Mal durchgespielt, hatten etliche Himmelskörper darauf abgeklopft und immer wieder war die Antwort resignierend und im besten Fall ernüchternd. Wir waren allein! So war bis heute jedenfalls der Tenor in internationalen Expertenrunden. Bis heute. Denn die Aussage, dass die weiteren Himmelskörper, die sich auf den Weg zur Erde machten, nicht einfache Asteroiden waren, machte die Angelegenheit nicht gerade einfacher.

„Das hat uns gerade noch gefehlt!“ attestierte Wilhelm Schleifer.

„Was machen wir? Was haben die Amerikaner vor?“ fragte Breitner den Überbringer der Nachricht. Holger Matteschitz war einfacher Astronom und die letzten Jahre damit betraut, das All nach Lebenszeichen abzusuchen. Lebenszeichen hieß in diesem Fall die Suche nach intelligenten Signalen. Immer wieder hatten er und andere Astronomen auf der Erde kleine Lichtblitze, Signale, die für Sekunden den Anschein hatten, dass sie doch einer intelligenten Quelle entspringen könnten. Doch dann verpufften diese Ansätze immer wieder im Nichts. Jetzt hatten sie auf einmal Beweise für intelligente Signale. In der wohl übelsten Phase, die man sich vorstellen konnte. Sie hatten – obwohl das sicher ein wenig komisch klingt – schlicht und einfach keine Zeit für Außerirdische. Denn sie mussten sich auf Exodus vorbereiten und an Lösungen arbeiten, diesen abzulenken oder aufzuhalten. Beides schien zum Scheitern verurteilt, da mittlerweile feststand, dass die gesamten Atomwaffenarsenale der Erde wohl nicht ausreichen würden, um den Koloss so zu zerschlagen, dass er für die Erde nicht mehr gefährlich sein würde. Und nun Außerirdische? Die brachten sie komplett aus dem Konzept. Warum gerade jetzt? Was wollten die hier?

„Die Amerikaner lauschen nach den Signalen und versuchen Bilder einzufangen. Mehrere optische Teleskope werden gerade auf die Objekte ausgerichtet. Durch ihre immense Geschwindigkeit ist eine Erfassung aber nicht einfach zu berechnen. Wir rechnen in den nächsten Stunden mit Bildern.“

„Da bin ich ja mal gespannt.“

„Es steht momentan nur fest, dass die Objekte – oder besser gesagt die Raumschiffe – riesig sind. Sie sind rund und haben die Größe einer Stadt wie Berlin oder größer.“

Alle Anwesenden im Raum machten große Augen und schauten sich verwundert an.

„Und es sind zwölf dieser riesen Dinger, die da kommen?“ fragte Schleifer nach.

„Ja, zwölf Stück mit riesigen Ausmaßen“, bejahte Holger.

„Gott steh uns bei, dass die uns nicht auch noch überrennen wollen!“ konterte Jürgen Breitner.

 

 

Dresden, Deutschland

Drei Tage später saß Petra zusammen mit Markus gespannt vor dem Fernsehgerät in Petras Wohnung. Die letzten Tage hatten sich die Ereignisse überschlagen. Verschiedene Szenarien wurden tagtäglich durchgespielt, wie es denn mit Exodus weitergehen könnte, ob und welche Möglichkeiten es gäbe ihn abzulenken oder umzuleiten. Die Staatengemeinschaft und alle mächtigen Länder der Erde kamen zu vielen Ergebnissen, jedoch war keines wirklich positiv. Für Petra war dieses Szenario noch weitaus befremdlicher als für die meisten Menschen. Denn sie war streng katholisch erzogen, absolvierte ja gerade ihr Theologiestudium an der TU Dresden und in ihrer Glaubenswelt gab es nur eine Möglichkeit, dass so etwas geschieht, wie es zur Zeit geschieht. Gott wollte die Menschheit strafen! Genauso, wie er es damals bei der Sintflut getan hatte, wollte er die Menschheit nun mit einem Asteroiden auslöschen. Doch je mehr man als Theologiestudent und Christ darüber nachdachte, desto mehr Ungereimtheiten taten sich auf. Warum gerade jetzt? Warum mussten auch sämtliche Tiere und Pflanzen sterben? Wie konnte man das Ganze hinnehmen? Sowohl mit ihren Kommilitonen als auch mit Markus und ihren Eltern hatte sie viel darüber diskutiert. Und es war vor kurzem noch schlimmer geworden. Denn erst gestern hatten alle Medien darüber berichtet, dass wohl Außerirdische zu uns unterwegs seien. Wenn Exodus noch mit der Bibel erklärbar war, waren es Außerirdische in keinem Fall. Die katholische Kirche zog natürlich gleich mit und berichtete aus dem Vatikan, dass auch die Außerirdischen eine Schöpfung Gottes sind und wir diese als Brüder empfangen müssen. Doch die meisten Menschen hatten nun noch mehr Angst als vor Exodus. Was wollten diese Wesen hier? Woher kamen sie und wollten sie uns vernichten? Filme wie „Krieg der Welten“ und moderne Science-Fiction-Blockbuster kamen jedem in den Sinn, in denen die Außerirdischen Böse waren und die Menschheit vernichten wollten. Aber für Petra stellte sich die einschneidende Frage: Wie war das mit Gott und ihrem Glauben vereinbar? Sie wollte sich nicht so einfach vom Vatikan mit dieser simplen Floskel überzeugen und ruhigstellen lassen. Sie war verwirrt. Und nicht nur das. Sie hatte große Angst. Sie betete fast rund um die Uhr darum, dass sie aus diesem Alptraum aufwachen würde und konnte kaum mehr die täglichen Arbeiten erledigen; geschweige denn studieren.

Und nun war eine große Pressekonferenz anberaumt worden. Der UN-Sicherheitsrat würde in wenigen Minuten eine Pressekonferenz abhalten und die Welt über – wie man vorher mitteilte – einschneidende Neuigkeiten informieren. Jeder wusste, dass dies mit Exodus und den Außerirdischen zu tun hatte, die auf dem Weg zu unserem Planeten waren. Und jeder malte sich seine eigenen Szenarien aus, wie der Tag und die Tage danach verlaufen würden. Petra saß da und hielt die Hände zum Gebet gefaltet.

Markus sah das und seufzte laut. „Schatz, bitte sei mal rational. Gott wird dir und uns hier nicht helfen. Wir müssen da selbst durch und alles was jetzt kommt hat irgendwo seinen Grund.“

Petra hasste es, wenn er so etwas sagte und Dinge wie das Schicksal in ihr Leben einband. Ihr Glaube war, dass alles was täglich geschah von Gott gelenkt ist. So etwas Banales wie Schicksal oder Zufall gab es nicht! Dieser Gedanke war fest in ihrem Hirn verankert.

Die Pressekonferenz begann und Petra griff nach der Hand von Markus und drückte fest zu. Der erwiderte den Griff, um ihr zu signalisieren, dass er immer an ihrer Seite war. Dieses Gefühl war ihr unglaublich wichtig.

Der Inder Wisa Wackramashinge – Vorsitzender des UN-Sicherheitsrates – trat mit ernster Miene an das Rednerpult. Nach ein paar einleitenden Worten, die sich an die Pressevertreter richteten und den ordentlichen Ablauf klarstellen sollten, wandte er sich an die Menschen der Erde. Und genau so formulierte er es auch: „Menschen der Erde! Wir sind in einer Situation, die verzweifelter nicht sein könnte. Mit dem Asteroiden Exodus, der immer noch einen schnurgeraden Kurs auf die Erde hält und unser aller Existenz bedroht, stehen wir vor schier unlösbaren Aufgaben. Das Überleben der Menschheit und allen Lebens auf diesem Planeten steht auf dem Spiel und wir wissen noch nicht, wie wir in dieses Spiel aktiv eingreifen können.“ Er machte eine kurze Pause. „In diesen schweren Zeiten muss ich, wie die Vertreter aller Länder der Erde, immer wieder an Sie alle appellieren, dass Sie ruhig bleiben. Bitte halten Sie sich nach wie vor an die Gesetze und an Gesetze des sozialen Miteinanders. Bleiben Sie menschlich, denn das ist das höchste Gut! Vor drei Tagen hat sich etwas Neues ergeben, diese Neuigkeiten sind wenigstens in Teilen schon an Sie durch die Medien durchgesickert. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich kann ihnen bestätigen, und das ist mir selbst in diesen schweren Zeiten eine große Ehre, dass wir nun den Beweis dafür haben, dass wir Menschen nicht allein sind im Universum. Es gibt noch anderes intelligentes Leben im All und es ist uns ähnlicher als wir je angenommen haben. Vor drei Tagen entdeckten unsere Astronomen insgesamt zwölf riesige Raumschiffe, die auf dem Weg zur Erde waren. Mittlerweile haben sie uns fast erreicht und wir haben seit zwei Tagen Kontakt mit den Fremden. Es wird Sie erstaunen, die Fremden sind uns gar nicht so fremd. Sie sehen aus wie wir, sie atmen Luft, sie essen und schlafen wie wir. Und sie sprechen sogar eine Sprache der Erde. Wie wir erfahren durften, sprechen sie von jeher eine Sprache, die unserem Deutsch sehr ähnlich ist.“

Ein Raunen ging durch den Saal und die ersten Journalisten wollten schon Fragen stellen, die Wisa jedoch mit einer Handbewegung zurückwies.

„Seitdem wir mit ihnen in Kontakt sind, haben wir viel Erfahren. Über sie, aber auch über uns und unsere Vergangenheit. Ihr Anführer, der Anführer ihrer Flotte, hat uns gebeten, dass wir ihm ein Forum schaffen, in dem er sich an die Menschheit wenden kann. Dies haben wir mit dieser Pressekonferenz getan und ich werde nun das Wort an Herrn Enkidu weitergeben. Herr Enkidu hat mir mitgeteilt, dass jeder auf dieser Erde, der diese Pressekonferenz verfolgt, das was er in seiner Sprache sprechen wird, automatisch in seiner Landessprache hören wird. Begrüßen wir Herrn Enkidu, der nicht persönlich, sondern als Hologramm auf der Bühne erscheinen wird.“

Damit wendete sich Wisa vom Rednerpult ab und fing an zu applaudieren. Der Saal tat es ihm gleich.

Auf der Bühne sah man nun ein hellblaues Licht, das zuerst ein wenig flackerte und sich dann zu einer Person formte. Diese Person war etwa zwei Meter fünfzig hoch, schlank und männlich. Enkidu hatte einen hautengen Anzug an, der aussah, als wäre er aus einem silbernen Material. Er hatte schwarzes, kurzes und glattes Haar und ziemlich lange Ohrläppchen, die ihm fast bis zur Schulter reichten.

„Liebe Bürgerinnen und Bürger des Planeten, den ihr Erde nennt. Mein Name ist Enkidu und ich bin, wie ihr sagen würdet, aus humanitären Gründen zu euch gekommen. Unser Volk beobachtet euch schon sehr lange. Wir kamen schon vor Jahrtausenden auf die Erde und besuchten euch im Laufe der Zeit immer wieder. Ihr habt uns von Anfang an nicht nur Respekt gezeigt, sondern uns als eure Götter verehrt.“

Wieder ging ein Raunen durch den Saal und die Journalisten fingen an untereinander zu tuscheln.

Enkidu hob beide Hände und sprach weiter: „Wir sind eure Götter! Diejenigen, die euch nach unserem Ebenbild geschaffen haben. Eure Religionen entstanden nachdem wir auf der Erde waren und euch aus dem Dunkel der Vorzeit in das Licht der Welt herausgeholt haben.“

Die Menge brauste auf und alle stellten wild durcheinander ihre Fragen. Niemand hielt sich mehr an das Protokoll und die Saalwärter hatten alle Mühe damit die Meute wieder zu beruhigen.

In Dresden saßen Petra und Markus auf ihrer Couch und hatten den Mund offen vor Erstaunen. Petra war fix und fertig, nachdem sie diese Worte von Enkidu gehört hatte.

„Sie sind was?“ fragte sie mit Entsetzen in ihrer Stimme.

„Schatz, beruhige dich“, versuchte Markus sie einzufangen, „das ist doch nicht so schlimm.“

„Nicht so schlimm?“ Petra sah ihn mit offenen Augen entgeistert an. „Nicht so schlimm sagst du? Die kommen da einfach her und behaupten sie wären Gott und du sagst es ist nicht so schlimm?“ fauchte sie ihn an.

„Götter“ korrigierte Markus.

„Was?“ harschte sie ihn an.

„Er sagte, sie sind unsere Götter – Mehrzahl! Es sind also mehrere.“

„Das ist ja noch schlimmer! Du sollst keinen Gott neben mir haben. Steht in der Bibel, dem Buch Gottes. Und jetzt sind es auf einmal mehrere?“

„Schatz, lass uns hören, was dein Gott zu sagen hat!“ scherzte Markus. Doch er bereute diesen Satz sofort. Petra zog die Hand weg und schaute ihn bitterböse an.

Vor der UN und der versammelten Presse, die sich mittlerweile ein wenig beruhigt hatte, sprach Enkidu nun weiter an die Menschheit: „Ich verstehe eure Verwirrung. Aber es ist wirklich so. Wir waren und sind eure Götter. Die Götter aller Völker der Erde und aller Religionen. Christen, Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten und alle anderen Religionen haben einen gemeinsamen Ursprung – uns!“

„Wir waren oft hier auf der Erde und haben eure Entwicklung sowohl angestoßen als auch beobachtet. In den religiösen Texten eurer Religionen und den Mythen und Sagen könnt ihr von uns lesen. Und als Teil von uns, der ihr zweifellos seid, können wir nicht einfach zusehen, wie ihr vernichtet werdet. Wir sind ein friedliebendes Volk, das sich im Universum viele Freunde gemacht hat. Wir besitzen keine Waffen und können aus diesem Grund auch nicht den Asteroiden, den ihr Exodus nennt, zerstören.“

Wieder zog sich ein Raunen durch den Saal und alle schauten ratlos.

„Aber wir sind gekommen, um euch von der Erde abzuholen. Mein Uronkel Noah hat das gleiche nur in kleinerer Form schon einmal für euch getan. Jetzt ist es an mir ihm gleichzutun. Doch heute haben wir viel mehr Möglichkeiten. Wir haben Schiffe, die so groß sind, dass wir euch alle darin transportieren können. Wir bringen euch auf andere Planeten. Teilweise in unsere Welt, die wir Tilmun nennen, teilweise auf Planeten, die wie für euch geschaffen sind und die alles bieten, was ihr euch vorstellen könnt. Schon früher haben wir einzelne Menschen nach Tilmun geholt und später wieder zur Erde gebracht. Sie haben von Tilmun erzählt, das ihnen vorkam wie das Paradies. In euren Legenden ist Tilmun oder Dilmun als das Paradies eingegangen. Ihr werdet Tilmun auch lieben – ebenso wie die anderen Welten, auf die wir euch bringen werden. Im Moment sind zwölf Raumschiffe hier, um euch zu retten. Hunderte weitere sind auf dem Weg zu euch, um alle Menschen aufzunehmen.“ Wieder breitete Enkidu seine Arme aus wie ein Prediger in der Kanzel.

Die Menge klatschte und gab Standing Ovations.

Für Petra brach gerade eine Welt zusammen. Und wahrscheinlich auch für alle streng gläubigen Christen und andere Gläubige aller Religionen. Sie waren alle eins? Alle Religionen fußten auf ein und demselben Gott – oder noch schlimmer, Göttern? Und diese waren Lebewesen wie du und ich? Das konnte nicht sein! Das durfte einfach nicht sein! Wofür hatten sie denn die ganze Zeit gebetet? Woran geglaubt? An ein Hirngespinst!

„Schatz, wäre es dir lieber, wenn dein Gott weiter nur in den Köpfen existiert und nicht in der Realität? Schau mal, es gibt ihn oder sie wirklich. Dein Glaube hat sich als Realität herausgestellt. Das ist nichts Schlechtes, das ist doch etwas Gutes!“

„Glaubst du!“ schnaubte Petra. „Ich fühle mich gerade verarscht. Das ist so, als hätten wir die ganze Zeit die Kanzlerin verehrt.“

Markus konnte sich bei dem Gedanken ein Lachen nicht verkneifen und erntete von Petra einen düsteren Blick. Doch dann musste auch sie lachen, fiel dann aber Markus in die Arme und weinte bitterlich.

„Schatz, sie wollen uns retten. Das ist doch besser als alles andere!“ flüsterte er seiner Petra ins Ohr. Die nickte schluchzend und drückte sich noch fester an ihn.

 

 

Thuner See, Schweiz

Irgendwo am Thuner See, in einer abgelegenen Höhle, verbarg sich eine technische Anlage, die anmutete entweder vom Militär oder von einer Regierungsstelle zu stammen. Doch dem war nicht so. Tief im Inneren der Höhle, abgeschottet von der Außenwelt und so verborgen, dass niemand auch nur ahnen konnte was sich dort verbarg, saßen zwölf Männer an einem ovalen Tisch aus schneeweißem Alabaster. Nur vier Sitze waren wirklich mit realen Personen belegt. An den anderen Plätzen saßen zwar Leute, doch diese waren nicht wirklich hier, sondern Hologramme.

Die Nummer 1 der Runde, ebenso ein Hologramm, eröffnete die Sitzung ohne langes Drumherum. „Meine Freunde, ihr habt es selbst verfolgt. Sie sind früher gekommen als wir angenommen hatten und ihre Absichten liegen immer noch im Verborgenen. Sie geben vor uns helfen zu wollen, aber wissen wir nicht von unseren Verbündeten, dass sie alles andere als Götter sind und niemals etwas mit guter Absicht getan haben?“

Alle nickten sich zu und bestätigten die Worte von Nummer 1. Nummer 10 ergriff das Wort: „Freunde, wir dürfen uns nichts vormachen. Die Nukarib sind hier, um ihre Ernte einzufahren. So wie dies in alten peruanischen und sonstigen mittelamerikanischen Überlieferungen vorausgesagt wurde. Und auch einige Texte, die vor ein paar Tagen in Guatemala entdeckt wurden, sprechen dieselbe Sprache. Die Götter von einst sind hier, um ihre Ernte einzufahren. Uns!“

Eine wilde Diskussion begann und brachte Unruhe in die elitäre Runde. Nach einiger Zeit ergriff aber wieder Nummer 1 das Wort und sorgte für Ruhe.

„Liebe Freunde, so kommen wir doch nicht weiter. Die Frage ist doch, was können wir dagegen tun? Und sollen wir überhaupt etwas dagegen tun? So wie es aussieht, wollen die Nukarib ja die Menschheit retten und unsere Verbündeten haben weder die Möglichkeit dies zu tun, noch den Asteroiden Exodus zu zerstören.“

„Aber die Nukarib könnten mit einem Fingerschnippen Exodus zerstören. Warum tun sie das nicht und wollen lieber den aufwendigen Transport der Menschen auf sich nehmen?“ fragte Nummer 3.

„Die Nukarib waren seit dreitausend Jahren nicht mehr hier, wir wissen überhaupt nichts über ihre neuesten Pläne. Wir können nur spekulieren“, wandte Nummer 6 ein.

„Wir müssen die Sache weiter beobachten. Es bleibt uns gar keine andere Wahl“, räumte Nummer 1 ein. „Schauen wir was passiert und was sie vorhaben. Und vielleicht können unsere Freunde ja endlich einmal versuchen diesen fetten Asteroiden zu zerstören!“

 

 

Hamburg, Deutschland

Klara war bereits im Bett und Martin saß mit seiner Frau Melanie auf dem Sofa. Im Fernsehen lief eine Arztserie – Melanies Lieblingssoap – und beide hatten halbgefüllte Gläser mit Rotwein vor sich stehen. Martin hatte seinen Arm um Melanie geschlungen, die sich gemütlich an ihn lehnte.

„Du“, fing Melanie auf einmal eine Unterhaltung an.

„Was ist, mein Schatz?“

„Meine Mama, Klara und ich gehen morgen zur Registrierungsstelle und lassen uns das Implantat einsetzen.“

Martin fuhr herum und schob sie sanft, aber bestimmt ein Stückchen weg von sich. „Was wollt ihr? Und warum stimmst du das nicht mit mir vorher ab?“

„Mach ich doch gerade.“

„Nein, machst du nicht! Du hast mir gerade gesagt, dass ihr da morgen hingeht. Das heißt, du hast das schon beschlossen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich nicht mit dir darüber diskutiert.“

„Jetzt sei doch nicht so sauer. Das müssen wir doch alle tun, wenn uns die Götter mitnehmen sollen.“

„Das sind keine Götter!“ wetterte Martin. „Wenn ich das schon höre, kommt mir das Kotzen!“

„Jetzt sei doch nicht so aggressiv, das ist doch nichts Schlimmes.“ Melanie streichelte ihm mit der Hand beruhigend über den rechten Oberarm.

„Wir wissen überhaupt nicht, ob diese Typen es ernst meinen oder was ihre wirklichen Hintergründe sind, und du willst dich und deine Tochter einfach so ihnen ausliefern?“

„Was heißt denn ausliefern? Wir brauchen dieses Implantat, damit sie uns registrieren können. In diesem Mikrochip werden alle unsere Daten festgehalten, Verwandtschaftsgrade, Blutgruppe, Vorerkrankungen und so weiter. Das ist nötig, damit sie keine Verwechslungen vornehmen und unwissend Familien voneinander trennen und uns auch weiterhin medizinisch versorgen können.“

„Sag mal, wie naiv bist du eigentlich?“ schimpfte Martin jetzt und sprang von der Couch auf. „Mit diesen Dingern im Arm wissen die alles über euch und können euch wahrscheinlich sogar überwachen. Unsere Gerichte sind schon seit Jahren mit dem Thema befasst und diskutieren solche Eingriffe, eben weil das die totale Überwachung ist.“

„Aber wir haben keine Zeit bis deine Gerichte sich endlich entscheiden! In einigen Monaten gibt es keine Gerichte mehr und auch uns nicht mehr! Willst du, dass wir alle hier verrecken? Ich nicht!“ Melanie war jetzt auch wütend und schnaubte ihn an.

„Schatz, ich bin Polizist und ich bekomme Sachen mit, die niemand sonst mitbekommt. Und fast alle meine Kollegen sind gegen diese Implantate und trauen den Typen nicht, die sich Götter nennen. Wir sind sicher, dass die Regierungen der Welt Wege finden Exodus aufzuhalten, auch ohne dass diese Außerirdischen uns mitnehmen.“

„Ha! Das ist Wunschdenken! Die diskutieren doch noch so lange, bis das Ding schon einschlägt. Du bist genauso ein Hornochse wie mein Vater. Der lässt sich auch nicht mit einem Implantat ausstatten, weil er Angst hat.“

„Schatz, ich bitte dich eindringlich – mach das nicht!“ flehte Martin nun seine Frau an.

„Sorry, aber mein Entschluss steht fest. Ich will frühzeitig abgesichert sein und nicht auf den letzten Drücker mich damit beschäftigen müssen. Es ist schlimm genug, dass wir unser Zuhause aufgeben müssen.“

Damit war für sie die Diskussion beendet und sie dampfte ab ins Schlafzimmer. Als Martin ihr folgen wollte schnappte die Tür vor seinem Gesicht ins Schloss und wurde von innen verschlossen.

„Heißt das ich schlafe auf der Couch?“

„Du weißt wo das Bettzeug ist. Gute Nacht!“

Damit war das Thema für Melanie erledigt.

 

Am nächsten Morgen schlich sich Martin schon um 5 Uhr aus dem Haus. Er hatte die halbe Nacht nicht geschlafen, da er sich Gedanken um seine Familie gemacht hatte. Und auch die Couch war nicht gerade hilfreich für einen guten Schlaf. Er hatte Frühdienst und musste um 6 Uhr im Revier sein. Dort nahm ihn Günter – wie immer topfit und munter – mit einer Tasse Kaffee in Empfang.

„Sieht aus als hättest du den heute ganz schön nötig!“ spielte Günter auf Martins zerknittertes Gesicht an.

„Oh Mann, du kannst dir gar nicht vorstellen, was ich für eine Nacht hinter mir habe.“

„Wie es aussieht sicher keine Nacht voller Sex und Unaussprechlichem – so wie ich“, dabei grinste Günter übers ganze Gesicht.

Martin schaute ihn argwöhnisch an. „Angeber! Gib her den Kaffee!“

 

In der morgendlichen Einsatzbesprechung bekamen die beiden ihre Befehle für heute. Sie wurden an einer Registrierungsstelle eingesetzt, um die Menschenmassen, die sich registrieren und chippen lassen wollten, im Zaum zu halten. An ihrer Seite vier weitere Polizisten und vier Soldaten der Bundeswehr.

„Auch das noch!“ kommentierte Martin den Einsatzbefehl.

„Warum? Ist doch ein ruhiger Job“, meinte Günter.

„Was meinst du warum ich gestern Abend mit Melanie Krach gehabt habe und auf der Couch schlafen musste?“

„Oh, sie will sich auch chippen lassen?“

„Ja, und auch Isolde und Klara. Ich weiß nicht wie ich sie umstimmen kann.“

„Oh, wie es aussieht gar nicht mehr – schau mal dort!“ damit wies Günter in die Warteschlange, in der Melanie, Isolde und Klara standen.

„Das hat mir gerade noch gefehlt!“ brummte Martin.

 

 

 

Thuner See, Schweiz

Der Thuner See lag wie ein kristallklarer Spiegel in der wunderschönen und bezaubernden Landschaft. Es war ein strahlender Sonnentag und die Ruhe und Beschaulichkeit der Schweizer Alpen strahlte auf die Täler hinunter.