Oscar Wilde


- Der junge König -


- The Young King -



- Der Geburtstag der Infantin -


- The Birthday of the Infanta -



- Der Fischer und seine Seele -


- The Fisherman and His Soul -



- Das Sternenkind -


- The Star-Child -






















Oscar Wilde




Oscar Wilde wurde am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren. Sein Vater William Wilde war Ohren- und Augenarzt und schrieb Bücher, unter anderem über Jonathan Swift. Seine Mutter Jane war von Beruf Übersetzerin und galt als revolutionäre Lyrikerin.


Nach einem Studium der klassischen Literatur in Dublin und Oxford zog Oscar Wilde 1879 nach London. Wilde galt bereits zu Lebzeiten als hochbegabter Schriftsteller, der durch Sprachgewandtheit und sein extravagantes Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich zog. Ab 1882 hielt er Vorlesungen in den USA und Kanada. 1891 erschien sein bekanntestes Werk „Das Bildnis des Dorian Gray“.


Aufgrund seiner Homosexualität wurde Wilde im Jahr 1895 zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, seine letzten drei Jahre nach der Haftentlassung verbrachte er verarmt und isoliert in Paris.


Oscar Wilde, der mit vollem Namen Oscar Fingal O'Flahertie Wills Wilde hieß, starb am 30. November 1900.





„Sind nicht die Armen und die Reichen Brüder?“



Sind nicht die Armen und die Reichen Brüder?“, fragte der junge König. „Ja“, antwortete der Mann, „und der Name des reichen Bruders ist Kain.“


"Are not the rich and the poor brothers?" asked the young King. "Ay," answered the man, "and the name of the rich brother is Cain."






Was Sie über dieses Buch wissen sollten


Oscar Wilde, der zeitlebens wegen seines Scharfsinns gleichermaßen bewunderte wie gefürchtete Dandy, ist wohl jedermann ein Begriff – und sei es nur dank seines Romans „Das Bildnis des Dorian Gray“ oder der immer wieder verfilmten Geistergeschichte „Das Gespenst von Canterville“. Seine Prosa oder seine Gesellschaftskomödien waren zu ihrer Zeit wegweisend. Dass sich im umfangreichen Werk des irischen Freigeistes auch Märchen finden, ist weniger bekannt.


Im Band „Ein Granatapfelhaus“, erstmals erschienen im Jahr 1891, sind vier dieser Kunstmärchen zusammengefasst. Dabei stellt jedes für sich eine eigenständige Geschichte dar, die durch ihre Vielschichtigkeit den Leser zum Nachdenken anregt. Oscar Wildes Kunst ist es, vermeintlich Selbstverständliches infrage zu stellen – ohne dabei auf aufdringliche Art schulmeisterlich zu werden.


„Das Sternenkind“ etwa stellt eine Parabel über innere Schönheit dar. Attraktivität ist, so auch in der vorliegenden Geschichte, ein naturgegebenes Geschenk, schlechte Charaktereigenschaften lassen sie jedoch leicht ins Gegenteil umschlagen – und umgekehrt. Im Zeitalter der Invasion der Top-Model- und Casting-Shows ist dies eine Botschaft, wie sie aktueller kaum sein könnte. Damit eignet sich die Geschichte vorzüglich auch für Heranwachsende, die auf der Suche nach sich selbst sind.


Auch in dem Märchen „Der Geburtstag der Infantin“ geht es um den Gegensatz zwischen äußerlichem Glanz und Hässlichkeit, wobei hier zugleich die Frage aufgeworfen wird, was von der strahlenden Oberfläche bleibt, wenn das Innere verzogen, verwöhnt und verdorben ist, emotional erkaltet vom Gift übersteigerter Selbstliebe. Zugleich werden die Themen Selbstbetrug und Selbsterkenntnis angesprochen, immer auch gewürzt mit einem feinen Spritzer schwarzen, englischen Humors.


„Der Fischer und seine Seele“ erinnert auf den ersten Blick stark an „Die kleine Meerjungfrau“ von Hans Christian Andersen. Hier wie dort geht es um die Liebe zwischen einem beseelten Menschen und einer Seejungfrau, einem Wesen, das sein Dasein ohne Seele fristen muss, was für die Erfüllung der Liebe ein unüberwindliches Hindernis darstellt. Während aber bei Andersen die Meerjungfrau durch einen Zauber zu einer Seele gelangt, ist es bei Wilde der Mensch, dem es gelingt, sich seiner zu entledigen.


„Der junge König" schließlich wirft die Frage auf, wie viel Prunk Herrschern zusteht, fragt aber auch, ob nicht das Volk selbst den Überfluss und die Verschwendungssucht seiner Könige braucht, um leben, um existieren zu können. Oder möchte womöglich die breite Masse Prunk und Protz einfach nur deshalb sehen, weil alles andere ihrem geordneten Weltbild widerspräche? Dass es Wilde dem Leser letztlich selbst überlässt, Antworten zu finden, macht diese Geschichte wie die drei anderen Märchen zu einer Erzählung, die den Leser fordert, nachdenklich stimmt und ihn zu neuen Erkenntnissen führt.


Hier liegt der Märchenband „Ein Granatapfelhaus“ in der englischen Originalversion sowie in deutscher Sprache vor. Die Übersetzung wurde exklusiv für ofd edition komplett überarbeitet und erheblich verbessert, was nicht nur für eine leichtere Verständlichkeit der Texte, sondern auch für ein deutlich höheres Lesevergnügen sorgt.

Der junge König


Es war am Vorabend seines Krönungstages, und der junge König saß allein in seinem schönen Gemach. Seine Höflinge hatten sich alle von ihm verabschiedet, indem sie nach der feierlichen Sitte des Tages ihre Köpfe bis zur Erde verneigten, und waren jetzt in dem großen Saal des Palastes versammelt, um von dem Professor für Umgangsformen ein paar letzte Anweisungen zu erhalten. Denn es gab unter ihnen einige, die noch ein ganz natürliches Verhalten zeigten, was bei einem Höfling, man braucht das kaum zu erwähnen, ein sehr schwerer Verstoß ist.


Der Jüngling – denn er war nur ein Jüngling, da er erst sechzehn Jahre zählte – grämte sich nicht über ihr Fortgehen. Mit einem tiefen Seufzer der Befreiung hatte er sich auf die weichen Kissen seines bestickten Lagers zurückgeworfen und lag nun dort mit wilden Augen und offenem Munde wie ein brauner Waldfaun oder ein junges Tier aus dem Forst, das soeben dem Jäger in die Falle geraten ist.


Und es waren ja auch wirklich Jäger, die ihn gefunden hatten, die fast durch Zufall auf ihn gestoßen waren, als er barfüßig, eine Flöte in der Hand, der Herde des armen Ziegenhirten folgte, der ihn aufgezogen und für dessen Sohn er sich immer gehalten hatte. Er stammte aber aus einer heimlichen Ehe der einzigen Tochter des alten Königs mit einem Manne, der weit unter ihr stand – einem Fremden, wie einige sagten, der durch den wundervollen Zauber seines Lautenspiels der jungen Prinzessin Liebe erobert hatte, während andere von einem Künstler aus Rimini sprachen, dem die Prinzessin viel, vielleicht zu viel Ehre erwiesen hatte, und der plötzlich aus der Stadt verschwunden war, ohne sein Werk im Dom vollendet zu haben. Das Kind stahl man, als es kaum eine Woche alt war, von der Seite seiner schlafenden Mutter weg und gab es einem einfachen Landmann und seiner Frau, die selbst keine Kinder hatten und im entlegensten Teil des Waldes, mehr als einen Tagesritt von der Stadt entfernt, lebten. Kummer oder die Pest, wie der Hofarzt feststellte, oder, wie manche glaubten, ein schnelles italienisches Gift, das in einem Becher gewürzten Weins gereicht wurde, tötete innerhalb einer Stunde nach seinem Erwachen das zarte Mädchen, das ihn geboren hatte, und als der treue Bote, der das Kind auf seinem Sattelbogen trug, von seinem müden Pferd herabstieg und an die grobe Tür der Hütte des Ziegenhirten klopfte, wurde die Leiche der Prinzessin in ein offenes Grab hinabgelassen, das auf einem verlassenen Kirchhof jenseits der Stadtmauern gegraben war, in ein Grab, von dem es hieß, dass in ihm schon eine andere Leiche lag, die eines jungen Mannes von wunderbarer und fremdländischer Schönheit, dem man die Hände mit verschlungenen Stricken auf dem Rücken zusammengebunden hatte und dessen Brust viele rote Stichwunden zeigte.


So wenigstens lautete die Geschichte, die sich die Menschen zuflüsterten. Und sicher war es, dass der alte König, als er auf dem Sterbebett lag, entweder aus Reue über seine große Sünde oder einfach, weil er nicht wünschte, dass das Königreich an eine andere Linie fallen sollte, den Jüngling holen ließ und ihn in Gegenwart seines Staatsrats als Erben anerkannte.


Und es scheint, dass er von dem ersten Augenblick seiner Anerkennung an Merkmale jener seltsamen Leidenschaft für Schönheit gezeigt hatte, die bestimmt war, einen so großen Einfluss über sein Leben zu haben. Diejenigen, die ihn zu der Zimmerflucht begleiteten, die man zu seiner Benutzung ausgewählt hatte, sprachen oft von dem Freudenschrei, der seinen Lippen entfuhr, als er das feine Gewand und die zahlreichen Juwelen sah, die man für ihn bereithielt, und von der fast wilden Lust, mit der er seinen groben Lederrock und den rauen Schaffellmantel von sich schleuderte. Er vermisste zwar manchmal die schöne Freiheit seines Waldlebens und war stets geneigt, sich über die langweiligen Hofzeremonien zu ärgern, die ihm jeden Tag so viele Zeit raubten, aber der wundervolle Palast, den man den Freudenreichen nannte und in dessen Besitz er sich jetzt wusste, erschien ihm wie eine neue Welt, die zu seinem Entzücken eigens geschaffen war. Und sobald er der Ratsversammlung oder dem Audienzzimmer entfliehen konnte, lief er die große Treppe mit ihren Löwen aus vergoldeter Bronze und ihren Stufen aus schimmerndem Porphyr hinab und wanderte von Zimmer zu Zimmer und von Flur zu Flur, wie jemand, der im Schönen ein Heilmittel gegen den Schmerz, eine Gesundung aus dem Siechtum sucht.


Auf diesen Entdeckungsfahrten, wie er sie wohl nannte und die für ihn wirkliche Reisen durch ein wunderbares Land waren, wurde er oft von den schlanken, blonden Hofpagen mit ihren wehenden Mänteln und den fröhlich flatternden Bändern begleitet. Aber noch viel öfter war er allein, denn mit einem schnellen, sicheren Instinkt, der fast Hellseherei gleichkam, fühlte er, dass die Geheimnisse der Kunst nur im Geheimen gelernt werden können und dass Schönheit, so wie Weisheit, den einsamen Anbeter liebt.


Viele seltsame Geschichten wurden zu dieser Zeit über ihn berichtet. Man erzählte, dass ein würdiger Bürgermeister, der gekommen war, für die Bürger der Stadt eine mit blühenden Phrasen geschmückte Denkschrift zu überreichen, gesehen hatte, wie er in tiefer Ergebenheit vor einem großen Gemälde kniete, das man gerade aus Venedig gebracht hatte und das die Verehrung neuen Götter zu verkünden schien. Ein anderes Mal wurde er mehrere Stunden vermisst, und nach langem Suchen fand man ihn in einer kleinen Kammer in einem der Nordtürme des Palastes, wie er ganz verzaubert auf ein griechisches Schmuckstück starrte, in die die Figur des Adonis eingeschnitten war. Man hatte ferner beobachtet, wie er seine warmen Lippen auf die marmorne Stirn einer antiken Statue drückte, die man beim Bau einer Steinbrücke im Flussbett gefunden hatte und die den Namen eines bithynischen Sklaven Hadrians trug. Und eine ganze Nacht verbrachte er damit, die Wirkung des Mondlichts auf eine silberne Statue des Endymion zu betrachten.


Alle seltenen und kostbaren Gegenstände übten jedenfalls einen starken Zauber auf ihn aus, und in seinem Verlangen, sie sich zu verschaffen, hatte er viele Kaufleute ausgesandt, einige, um von dem rauen Fischervolk der Nordsee Meerschaum einzuhandeln, andere, um in Ägypten nach jenen merkwürdigen grünen Türkisen zu suchen, die man nur in den Gräbern der Könige findet, und von denen man sagt, dass sie magische Eigenschaften besitzen. Noch andere mussten nach Persien reisen um seidene Teppiche und bemalte Töpferwaren zu besorgen oder nach Indien, um Florgewebe zu kaufen und buntes Elfenbein, Mondsteine und Armbänder aus Achat, Sandelholz und blaues Emaille und Halstücher aus weicher Wolle.


Aber, was ihn am meisten beschäftigt hatte, war das Gewand, das er bei seiner Krönung tragen sollte, das Kleid aus gewebtem Gold, die rubinengeschmückte Krone und das Zepter mit seinen Kränzen und Reihen von Perlen. Und auch an diesem Abend dachte er daran, als er auf seinem kostbaren Lager lag und den großen Block von Tannenholz betrachtete, der langsam in dem offenen Kamin verglühte. Die Entwürfe aus den Händen der berühmtesten Künstler waren ihm schon vor vielen Monaten vorgelegt worden, und er hatte Befehl gegeben, dass die Handwerker Tag und Nacht arbeiten sollten um sie auszuführen, und dass man die ganze Welt nach Juwelen durchsuchen sollte, die dieser Arbeit würdig waren. In Gedanken sah er sich bereits in dem strahlenden Gewand eines Königs vor dem Hochaltar des Domes stehen, und ein Lächeln umspielte seine jungen Lippen und entfachte strahlenden Glanz in seinen dunklen Waldaugen.


Nach einiger Zeit erhob er sich von seinem Lager, lehnte sich gegen den geschnitzten Vorbau des Kamins und sah sich in dem matt erleuchteten Raum um. Die Wände waren mit reichen Gobelins behangen, die den Triumph der Schönheit darstellten. Ein großer, mit Achat und Lapislazuli ausgelegter Schrank nahm die eine Ecke ein, und dem Fenster gegenüber stand ein seltsam gearbeiteter Juwelenschrank mit einer Lacktäfelung aus gepulvertem und in Mosaik ausgelegtem Gold, auf dem einige kostbare Kelche aus venezianischem Glas und ein Becher aus dunkelgeädertem Onyx standen. Die seidene Bettdecke war mit bleichen Mohnblumen bestickt, als seien sie der müden Hand des Schlafes entfallen, und schlanke Stangen aus geriffeltem Elfenbein trugen den samtenen Betthimmel, von dem große Büschel von Straußenfedern wie weißer Schaum zu dem bleichen Silber der gegitterten Decke emporsprangen. Ein lachender Narziss in grüner Bronze hielt einen polierten Spiegel über seinen Kopf. Auf dem Tisch stand eine flache Schüssel aus Amethyst.


Draußen konnte er den hohen Bau des Domes, der wie ein Scheingebilde über den schattenversunkenen Häusern emporragte, und die müden Schildwachen sehen, die auf der nebligen Terrasse am Fluss auf und ab gingen. Weit entfernt sang eine Nachtigall in einem Obstgarten. Ein leichter Jasminduft kam durch das offene Fenster. Er strich seine braunen Locken aus der Stirn, nahm eine Laute und ließ seine Finger über die Saiten gleiten. Seine schweren Augenlider sanken und eine seltsame Erschlaffung überkam ihn. Bis dahin hatte er den Zauber und das Geheimnis schöner Dinge noch nie so eindringlich oder mit einer solchen köstlichen Freude empfunden.


Als es von dem Glockenturm Mitternacht schlug, klingelte er, und seine Pagen traten ein und entkleideten ihn mit großer Feierlichkeit, indem sie Rosenwasser über seine Hände gossen und Blumen auf sein Kissen streuten. Wenige Minuten, nachdem sie das Zimmer verlassen hatten, schlief er ein.


Und als er schlief, träumte er einen Traum, und dies war sein Traum:


Er glaubte, er stünde in einer langen, niedrigen Dachstube inmitten des Surrens und Rasselns vieler Webstühle. Ein dürftiges Tageslicht drang durch die vergitterten Fenster und zeigte ihm die mageren Gestalten der Weber, die sich über ihre Gerätschaften beugten. Bleiche, krank aussehende Kinder krochen über die schweren Querbalken. Wenn die Weberschiffchen durch die Kette schossen, dann hoben sie die schweren Laden hoch, und wenn die Schiffchen hielten, dann ließen sie die Laden fallen und pressten die Fäden zusammen. Ihre Gesichter waren vom Nahrungsmangel eingefallen, und ihre dünnen Hände bebten und zitterten. Einige abgehärmte Frauen saßen an einem Tisch und nähten. Ein schrecklicher Geruch erfüllte den Raum. Die Luft war verdorben und drückend, und die Wände trieften vor Feuchtigkeit.


Der junge König trat zu einem der Weber hin, blieb bei ihm stehen und beobachtete ihn.


Aber der Weber blickte ihn ärgerlich an und sagte: „Warum beobachtest Du mich? Bist Du ein Spion, den unser Meister auf uns angesetzt hat?“


„Wer ist Dein Meister?“, fragte der junge König.


„Unser Meister?“, rief der Weber bitter. „Er ist ein Mann, wie ich auch. Es gibt tatsächlich nur einen Unterschied zwischen uns, nämlich, dass er feine Kleider trägt und ich in Lumpen gehe, und dass, während ich elend vor Hunger bin, er nicht wenig durch zu reichliches Essen leidet!“


„Das Land ist frei“, sagte der junge König, „und Du bist niemandes Sklave.“


„Im Kriege“, antwortete der Weber, „macht der Starke den Schwachen zum Sklaven, und im Frieden macht der Reiche den Armen zum Sklaven. Wir müssen arbeiten, um zu leben, und sie geben uns so niedrige Löhne, dass wir sterben. Den ganzen Tag über quälen wir uns für sie ab, und sie sammeln das Gold in ihren Schatzkammern. Unsere Kinder siechen vor der Zeit dahin, und die Gesichter derer, die wir lieben, werden hart und hässlich. Wir keltern die Trauben und die andern trinken den Wein. Wir säen das Korn und unser eigener Tisch ist leer. Wir tragen Ketten, wenn auch keiner sie sieht, und sind Sklaven, obgleich die Menschen uns frei nennen.“


„Ist das so mit allen?“, fragte er.


„Es ist so mit allen“, antwortete der Weber, „mit den Jungen ebenso, wie mit den Alten, mit den Frauen ebenso, wie mit den Männern, mit den kleinen Kindern ebenso, wie mit denen, die hochbetagt sind. Die Kaufleute schinden uns, und wir müssen aus Not ihren Befehlen gehorchen. Der Priester fährt vorüber und betet seinen Rosenkranz, und niemand kümmert sich um uns. Durch unsere Gassen, in die die Sonne nicht scheint, kriecht die Armut mit ihren hungrigen Augen, und das Laster mit seinem geschwollenen Gesicht folgt ihr auf dem Fuße. Elend weckt uns auf am Morgen, und Schande sitzt bei uns am Abend. Aber was sind diese Dinge für Dich? Du bist keiner von uns. Dein Gesicht ist zu glücklich.“ Und er wandte sich finster von ihm ab und warf das Schiffchen in den Webstuhl, und der König sah, dass es mit goldenen Fäden gefüllt war.


Da überkam ihn ein großer Schrecken, und er fragte den Weber: „Was ist das für ein Kleid, das Du webst?“


„Es ist das Kleid für die Krönungsfeierlichkeiten des jungen Königs“, antwortete er; „was kümmert das Dich?“


Und der junge König stieß einen lauten Schrei aus und erwachte, und siehe, er befand sich in seinem eigenen Zimmer, und durch das Fenster sah er den großen honigfarbenen Mond am dunklen Himmel hängen.


Und er schlief wieder ein und träumte, und dies war sein Traum:


Er glaubte, er läge auf dem Verdeck einer riesigen Galeere, die von hundert Sklaven gerudert wurde. Auf einem Teppich neben ihm saß der Herr der Galeere. Er war schwarz wie Ebenholz und sein Turban war von roter Seide. Große silberne Ohrringe zogen die dicken Ohrläppchen herab, und in seiner Hand hatte er eine Waage aus Elfenbein.


Die Sklaven waren nackt bis auf ein schäbiges Lendentuch, und jedermann war mit seinem Nachbar zusammengekettet. Die heiße Sonne brannte grell auf sie herab, und die Neger liefen den Gang hinauf und hinunter und schlugen sie mit Lederpeitschen. Die Sklaven streckten ihre mageren Arme aus und zogen die schweren Ruder durch das Wasser. Der salzige Schaum floss von den Schaufeln.


Schließlich erreichten sie eine kleine Bucht und begannen zu loten. Ein leichter Wind wehte vom Ufer und überzog das Verdeck und das große Lateinsegel mit rotem Staub. Drei Araber, die auf wilden Eseln saßen, ritten heran und schleuderten Speere nach ihnen. Der Herr der Galeere nahm einen bemalten Bogen in seine Hand und schoss einem von ihnen in die Kehle. Er fiel schwer in die Brandung, und seine Gefährten galoppierten davon. Eine in einen gelben Schleier gehüllte Frau folgte ihnen auf einem Kamel langsam nach und sah sich immer wieder nach dem Toten um.


Sobald sie Anker geworfen und das Segel eingezogen hatten, gingen die Neger unter Deck und zogen eine lange Strickleiter herauf, die mit Blei beschwert war. Der Herr der Galeere warf sie über Bord und befestigte die Enden an zwei eisernen Pfosten. Dann ergriffen die Neger den jüngsten der Sklaven, schlugen seine Fesseln ab, füllten seine Nasenlöcher und seine Ohren mit Wachs und befestigten einen schweren Stein an seinem Leib. Träge kletterte er die Leiter hinab und verschwand in der See. Ein paar Blasen stiegen auf, wo er versank. Einige von den andern Sklaven blickten neugierig hinab. Am Bug der Galeere saß ein Haifischbeschwörer und schlug monoton seine Trommel. Nach einiger Zeit kam der Taucher aus dem Wasser empor und hing mit einer Perle in seiner rechten Hand keuchend an der Leiter. Die Neger entrissen sie ihm und stießen ihn wieder hinab. Die Sklaven schliefen an ihren Rudern ein.


Wieder und wieder tauchte er auf, und jedes Mal brachte er eine schöne Perle empor. Der Herr der Galeere wog sie und steckte sie in eine kleine Tasche aus grünem Leder.


Der junge König versuchte zu sprechen, aber seine Zunge schien ihm am Gaumen zu kleben, und seine Lippen verweigerten den Dienst. Die Neger schwatzten miteinander und begannen, über eine Schnur glänzender Perlen zu streiten. In der Luft umkreisten zwei Kraniche das Schiff.


Dann kam der Taucher zum letzten Mal empor, und die Perle, die er mitbrachte, war schöner als alle Perlen des Ormuzd, denn sie war geformt wie der Vollmond und weißer als der Morgenstern. Aber des Sklaven Gesicht war seltsam bleich, und als er auf das Verdeck fiel, strömte ihm Blut aus Nase und Ohren. Er zitterte noch eine Weile, dann war er still. Die Neger zuckten ihre Achseln und warfen die Leiche über Bord.


Aber der Herr der Galeere lachte. Er streckte seine Hand aus, nahm die Perle, und als er sie sah, drückte er sie gegen seine Stirn und verneigte sich. „Sie soll für das Zepter des jungen Königs sein“, sagte er und gab den Negern ein Zeichen, den Anker zu lichten.


Doch als der junge König dies hörte, stieß er einen lauten Schrei aus und erwachte. Und durch das Fenster sah er die langen, grauen Finger der Dämmerung nach den verschwindenden Sternen greifen.


Und er schlief wieder ein und träumte, und dies war sein Traum:


Er glaubte, er wanderte durch ein dunkles Gehölz, das mit seltsamen Früchten und mit schönen giftigen Blumen behangen war. Die Nattern zischten ihn an, als er vorüberkam, und die farbigen Papageien flogen schreiend von Zweig zu Zweig. Riesige Schildkröten lagen schlafend auf dem heißen Schlamm. Die Bäume waren voll von Affen und Pfauen.


Weiter und weiter ging er durch das Gehölz, bis er den Rand erreichte, und da sah er eine unendliche Menschenmenge im Bett eines ausgetrockneten Flusses arbeiten. Sie schwärmten wie Ameisen die Klippen herauf. Sie gruben tiefe Löcher in den Grund und stiegen in diese hinab. Einige zerschlugen die Felsen mit schweren Hacken, andere tasteten im Sand umher. Sie rissen den Kaktus mit den Wurzeln heraus und zertraten seine scharlachroten Blüten. Sie eilten umher, riefen sich etwas zu, niemand war untätig.


Aus dem Dunkel einer Höhle heraus wurden sie vom Tod und der Habgier beobachteten. Der Tod sagte: „Ich bin müde. Gib mir ein Drittel von ihnen und lass mich weitergehen.“


Aber die Habgier schüttelte ihren Kopf. „Sie sind meine Diener“, antwortete sie.


Und der Tod fragte: „Was hast Du in Deiner Hand?“


„Ich habe drei Getreidekörner“, sagte die Habgier, „was ist das für Dich?“


„Gib mir eins davon“, rief der Tod, „ich will es in meinen Garten pflanzen, nur eins, und ich werde weggehen.“


„Ich will Dir gar nichts geben“, sagte die Habgier und steckte ihre Hand in die Falten ihres Gewandes.


Aber der Tod lachte. Er nahm einen Becher, tauchte ihn in eine Wasserpfütze und aus dem Becher entstieg Schüttelfrost. Dieser breitete sich in der Menschenmenge aus und bald lag ein Drittel tot da. Ein kalter Dunst folgte und mit diesem die Wasserschlangen.


Als nun die Habgier sah, dass ein Drittel der Menschen tot war, schlug sie sich an die Brust und weinte. Sie schlug ihren dürren Busen und schrie laut: „Ein Drittel meiner Diener hast Du erschlagen. Mach Dich fort. In den Bergen der Tatarei herrscht Krieg und die Könige beider Lager rufen nach Dir. Die Afghanen haben den schwarzen Stier geschlachtet und marschieren in die Schlacht. Sie haben mit ihren Speeren auf die Schilder geschlagen und ihre eisernen Helme aufgesetzt. Was kann Dir mein Tal sein, dass Du Dich darin aufhältst? Geh Deiner Wege und komm nie wieder hierher.“


„Nein“, sagte der Tod, „solange Du mir kein Samenkorn gegeben hast, werde ich nicht fortgehen.“


Aber die Habgier schloss ihre Hand und biss sich auf die Zähne. „Ich will Dir gar nichts geben“, murrte sie.


Und der Tod lachte und nahm einen schwarzen Stein. Er warf ihn in den Wald, und aus einem Dickicht wilden Schierlings kam in einem Flammenkleid das Fieber. Es durchschritt die Menge und berührte sie, und jeder Mann, den es berührte, starb. Und das Gras welkte, wo immer das Fieber sich ausbreitete.


Die Habgier erschauerte und streute Asche auf ihr Haupt. „Du bist grausam“, rief sie, „Du bist grausam. In den befestigten Städten Indiens herrscht die Hungersnot, und die Brunnen von Samarkand sind vertrocknet. Hungersnot herrscht in den befestigten Städten Ägyptens, und die Heuschrecken sind aus der Wüste gekommen. Der Nil hat seine Ufer nicht überflutet, und die Priester haben Isis und Osiris geflucht. Geh zu denen, die Dich brauchen, und lass meine Diener in Frieden.“


„Nein“, sagte der Tod, „solange Du mir kein Samenkorn gegeben hast, werde ich nicht fortgehen.“


„Ich will Dir gar nichts geben“, sagte die Habgier.


Aber der Tod lachte wieder. Er pfiff durch die Finger, und ein Weib kam durch die Luft herbeigeflogen. Pest stand auf ihrer Stirn geschrieben, und ein Schwarm magerer Geier flatterte um sie herum. Sie verschleierte das Tal mit ihren Schwingen, und kein Mensch blieb am Leben.


Da floh die Habgier schreiend durch den Wald, der Tod aber stieg auf sein rotes Ross und ritt davon, und sein Reiten ging schneller als der Wind.


Und aus dem Schlamm, der den Boden des Tales bedeckte, krochen Drachen und hässliches Getier mit Schuppen, und die Schakale kamen über den Sand getrabt und schnupperten mit ihren Nüstern in der Luft.


Da weinte der junge König und sprach: „Wer waren wohl diese Menschen, und wonach suchten sie?“


„Sie suchten Rubinen für die Krone eines Königs“, antwortete jemand, der hinter ihm stand.


Und der junge König fuhr empor. Er wandte sich um und sah einen Mann im Pilgergewand, der in seiner Hand einen silbernen Spiegel hielt.


Da erbleichte er und fragte: „Für welchen König?“


Und der Pilger antwortete: „Blicke in diesen Spiegel und Du wirst ihn sehen.“


Der König blickte in den Spiegel, und als er sein eigenes Gesicht sah, stieß er einen lauten Schrei aus und erwachte. Das helle Sonnenlicht strömte in das Zimmer, und aus den Bäumen seines Parks und Lustgartens sangen die Vögel.


Und der Kammerherr und die hohen Staatsbeamten traten herein und verneigten sich vor ihm. Die Pagen brachten ihm das mit Gold bestickte Gewand und legten die Krone und das Zepter vor ihn hin.


Und der junge König schaute alles an, und es war schön. Schöner war es als irgendetwas, das er je gesehen hatte. Aber er erinnerte sich seiner Träume und sprach zu seinen Edlen: „Nehmt diese Dinge weg, denn ich will sie nicht tragen.“


Und die Höflinge waren erstaunt, und einige lachten, denn sie glaubten, er rede im Scherz.


Aber er sprach nochmal mit Strenge zu ihnen und sagte: „Nehmt diese Dinge weg, dass ich sie nicht sehe. Wenn es auch mein Krönungstag ist, ich will sie nicht tragen, denn der Webstuhl der Trübsal und die Hände des Leides haben dieses mein Gewand gewebt. Blut ist im Herzen des Rubins und Tod im Herzen der Perle.“ Und er erzählte ihnen seine drei Träume.


Und als die Höflinge das hörten, sahen sie sich an und flüsterten untereinander: „Er ist gewiss verrückt; denn ist ein Traum etwas anderes als ein Traum und eine Erscheinung etwas anderes als eine Erscheinung? Es sind keine wirklichen Dinge, die man beachten müsste. Und was geht uns das Leben derer an, die für uns arbeiten? Soll ein Mann kein Brot essen, bevor er denjenigen gesprochen hat, der das Korn aussät, und keinen Wein trinken, bevor er den Winzer gesehen hat?“


Und der Kammerherr redete den jungen König an und sprach: „Mein Herr, ich bitte Dich, schlage Dir diese trüben Gedanken aus dem Sinn, lege dieses schöne Gewand an und setze die Krone auf Dein Haupt. Denn woran soll das Volk erkennen, dass Du der König bist, wenn Du keine Königskleider trägst?“


Und der junge König blickte ihn an: „Ist das wirklich so?“, fragte er. „Werden sie mich nicht als König erkennen, wenn ich kein Königskleid trage?“


„Sie werden Dich nicht erkennen, mein Herr“, antwortete der Kammerherr.


„Ich dachte, dass es früher königliche Menschen gegeben habe“, antwortete er, „doch es mag sein, wie Du sagst. Ich will aber dieses Gewand nicht tragen, noch will ich mich mit dieser Krone krönen lassen, sondern so, wie ich in den Palast kam, will ich aus ihm hinaustreten.“


Und er bat alle, ihn zu verlassen, mit Ausnahme eines Pagen, den er bei sich behielt, eines Jünglings, der ein Jahr jünger war als er selbst. Ihn behielt er zu seiner Bedienung, und als er sich in klarem Wasser gebadet hatte, öffnete er eine große bemalte Truhe und holte daraus die lederne Jacke und den rauen Schafspelz hervor, die er getragen hatte, als er auf dem Hügelabhang die zottigen Ziegen seiner Herde bewacht hatte. Dies zog er an und in seine Hand nahm er seinen groben Schäferstab.


Und der kleine Page öffnete erstaunt seine blauen Augen und sagte lächelnd zu ihm: „Mein Herr, ich sehe Dein Gewand und Dein Zepter, aber wo ist Deine Krone?“


Und der junge König riss einen Zweig von einem wilden Rosenstrauch ab, der den Balkon überrankte. Er bog ihn und formte einen Kranz daraus, den er auf sein Haupt setzte.


„Dies soll meine Krone sein“, antwortete er.


Und so bekleidet schritt er aus seiner Kammer in den großen Saal, wo die Edlen auf ihn warteten.


Aber die Edlen lachten, und einige riefen ihm zu: „Herr, das Volk wartet auf seinen König, Du aber zeigst ihnen einen Bettler.“ Andere wurden zornig und sagten: „Er bringt Schande über den Staat und ist unwürdig, unser Herrscher zu sein.“ Aber er antwortete ihnen kein Wort, sondern schritt weiter. Er ging die strahlende Porphyrtreppe hinab und schritt durch die bronzenen Tore, er stieg auf sein Ross und ritt zur Kathedrale, der kleine Page lief neben ihm her.


Und die Leute lachten und sprachen: „Es ist der Narr der Königs, der heranreitet“, und sie spotteten über ihn.


Da hielt er sein Pferd an und sagte: „Ihr irrt, ich bin der König.“ Und er erzählte ihnen seine drei Träume.


Da trat ein Mann aus der Menge. Er sprach bittere Worte und sagte: „Herr, weißt Du nicht, dass aus dem Luxus der Reichen das Leben der Armen kommt? Durch Eure Verschwendung werden wir ernährt und Eure Verderbnis gibt uns Brot. Für einen harten Herrn zu arbeiten, ist bitter, aber noch bitterer ist es, keinen Herrn zu haben, für den man arbeiten kann. Glaubst Du, dass die Raben uns ernähren werden? Und wie willst Du diese Dinge besser machen? Willst Du zu dem Bauherrn sagen: ‚Du sollst zu einem solchen Preise bauen‘, und zu dem Händler: ‚Du sollst zu einem solchen Preis verkaufen‘? Hoffentlich nicht. Darum kehre in Deinen Palast zurück, lege Purpur und zarte Leinwand an. Was hast Du mit uns zu schaffen und mit dem, was wir leiden?“


„Sind nicht die Armen und die Reichen Brüder?“, fragte der junge König.


„Ja“, antwortete der Mann, „und der Name des reichen Bruders ist Kain.“


Da füllten sich die Augen des jungen Königs mit Tränen und er ritt weiter durch das Murren der Menge, und der kleine Page fürchtete sich und verließ ihn.


Und als er das große Domportal erreichte, streckten die Soldaten ihre Hellebarden aus und sagten: „Was suchst Du hier? Niemand als der König darf durch diese Pforte eintreten.“


Da rötete sich sein Gesicht vor Zorn und er sprach zu ihnen: „Ich bin der König.“ Dann drückte er ihre Hellebarden zur Seite und ging hinein.


Als ihn der alte Bischof in der Kleidung des Ziegenhirten kommen sah, erhob er sich erstaunt von seinem Stuhl, trat auf ihn zu und sprach zu ihm: „Mein Sohn, ist dies die Tracht eines Königs? Und mit welcher Krone soll ich Dich krönen, und welches Zepter soll ich in Deine Hand legen? Sicherlich soll dies doch für Dich ein Freudentag sein und nicht ein Tag der Erniedrigung?“


„Darf sich Freude mit dem schmücken, was Leid geschaffen hat?“, fragte der junge König, und er erzählte ihm seine drei Träume.


Als der Bischof sie gehört hatte, zog er seine Stirn in Falten und sprach: „Mein Sohn, ich bin ein alter Mann und am Ende meiner Tage. Ich weiß, dass viel Böses in der weiten Welt geschieht. Die wilden Räuber kommen von den Bergen herab, stehlen die kleinen Kinder und verkaufen sie an die Mohren. Die Löwen lauern auf die Karawanen und stürzen sich auf die Kamele. Der wilde Eber wühlt das Getreide im Tale auf, und die Füchse zerfressen die Weinstöcke auf dem Hügel. Die Piraten brandschatzen an der Meeresküste, verbrennen die Schiffe der Fischer und nehmen ihnen ihre Netze. In den Salzsümpfen leben die Aussätzigen; sie haben Hütten aus geflochtenem Riet, und niemand darf ihnen nahe kommen. Die Bettler wandern durch die Städte und nehmen ihre Nahrung mit den Hunden zu sich. Kannst Du diese Missstände abschaffen? Willst Du den Aussätzigen zum Bettgenossen nehmen und den Bettler an Deinen Tisch setzen? Soll der Löwe Deinem Bitten folgen und der wilde Eber Dir gehorchen? War Er es nicht, der das Elend seliger machte, als Du es bist? Darum preise ich Dich nicht für das, was Du getan hast, sondern bitte Dich, zum Palast zurückzureiten, Dein Antlitz zu erheitern und das Gewand anzuziehen, das einem Könige geziemt. Dann werde ich Dich mit der goldenen Krone krönen und das Perlenzepter in Deine Hand legen. Aber was Deine Träume angeht, so denke nicht mehr daran. Die Bürde dieser Welt ist zu schwer, als dass ein Mensch sie tragen könnte, und das Leid der Welt ist zu gewaltig, als dass ein Herz es erdulden könnte.“


„Sprichst Du so in diesem Hause?“, fragte der junge König, und er schritt an dem Bischof vorüber, stieg die Stufen zum Altar hinauf und stand vor dem Bildnis Christi.


Er stand vor dem Bildnis Christi, und rechts und links von ihm waren die wunderbaren goldenen Gefäße, der Kelch mit dem gelben Wein und die Flasche mit dem heiligen Öl. Er kniete vor dem Bilde Christi nieder, und die großen Kerzen brannten hell neben dem mit Juwelen geschmückten Schrein, und der verbrannte Weihrauchs zog in dünnen blauen Schwaden durch den Dom. Er neigte sein Haupt im Gebet, und die Priester in ihren gesteiften Chorröcken zogen sich vom Altar zurück.


Da erhob sich plötzlich auf der Straße ein wilder Aufruhr. Die Ritter drangen herein mit gezogenen Schwertern, mit nickenden Federbüschen und Schilden aus geschliffenem Stahl. „Wo ist der Träumer von Träumen?“, riefen sie. „Wo ist dieser König, der sich kleidet wie ein Bettler – dieser Knabe, der Schande über den Staat bringt? Wahrhaftig, wir wollen ihn erschlagen, denn er ist unwürdig, über uns zu herrschen.“ Und der junge König verneigte noch einmal sein Haupt und betete, und als er sein Gebet beendet hatte, erhob er sich, wandte sich um und sah sie traurig an.


Und siehe da: Durch die bunten Fenster strömte das Sonnenlicht über ihn hin, und die Sonnenstrahlen umwoben ihn mit einem goldenen Gewand, das kostbarer war als das Gewand, das man zu seiner Lust angefertigt hatte. Der tote Stab blühte und trug Lilien, die weißer waren als Perlen. Die verdorrte Dornenranke erblühte und trug Rosen, die roter waren als Rubinen. Weißer als echte Perlen waren die Lilien, und ihre Stängel waren von glänzendem Silber. Roter als kostbare Rubinen waren die Rosen, und ihre Blätter waren von getriebenem Gold.


Er stand da im Gewand eines Königs, und die Türen des juwelengeschmückten Schreins flogen auf, und vom Kristall der vielstrahligen Monstranz strahlte ein wunderbares und geheimnisvolles Licht aus. Er stand da im Gewand eines Königs, und die Herrlichkeit Gottes erfüllte den Raum, und die Heiligen in ihren geschnitzten Nischen schienen sich zu bewegen. In dem strahlenden Gewand eines Königs stand er vor ihnen, und die Orgel dröhnte ihre Musik, die Trompeter bliesen auf ihren Trompeten, und der Knabenchor begann zu singen. Das Volk aber fiel scheu auf die Knie, die Ritter steckten ihre Schwerter ein und huldigten ihm, und des Bischofs Antlitz wurde bleich, und seine Hände zitterten. „Ein höherer, als ich bin, hat Dich gekrönt“, rief er und kniete vor ihm nieder.


Und der junge König stieg vom Hochaltar herab und schritt heim durch die Mitte des Volkes. Aber keiner wagte es, ihm ins Antlitz zu schauen, denn es war wie das Antlitz eines Engels.

The Young King


It was the night before the day fixed for his coronation, and the young King was sitting alone in his beautiful chamber. His courtiers had all taken their leave of him, bowing their heads to the ground, according to the ceremonious usage of the day, and had retired to the Great Hall of the Palace, to receive a few last lessons from the Professor of Etiquette; there being some of them who had still quite natural manners, which in a courtier is, I need hardly say, a very grave offence.