1. Auflage 2016

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Es handelt sich um ein Werk der Fiktion. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder Personen, tot oder lebendig, sind nicht beabsichtigt und wären rein zufällig.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

Text, Gestaltung & Illustrationen: Karin Buchholz

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt ebenfalls als ebook erhältlich

ISBN 978-3-7412-6793-2

Inhaltsverzeichnis

1

Der kleine Leuchtturm sah sich um. Er stand noch nicht sehr lange hier, und jeden Morgen, wenn die Sonne aufging, blinzelte er über das Wasser zu ihr hinüber. Sie machte, dass das Wasser so wunderschön funkelte, und dieses Funkeln tanzte dann auf seinen Mauern und kitzelte ihn immer ein kleines bisschen. Das fühlte sich gut an. Dann kicherte er vergnügt in sich hinein und genoss es mächtig, auf der Welt zu sein.

Und er war schließlich nicht irgendwo auf der Welt. Nein, dies war mit Abstand der wunderbarste Ort, an dem ein Leuchtturm überhaupt stehen konnte: zu seiner Nordseite hin erstreckte sich das Wasser so weit er nur schauen konnte.

Drüben am Horizont war Land zu sehen, doch sein Licht reichte nicht so weit. Er hatte es natürlich schon versucht. Aber er war ja auch nur ein kleiner Leuchtturm.

Nach Osten hin, dort wo die Sonne morgens aus dem Wasser auftauchte, stand ein anderer Leuchtturm. Er musste wirklich sehr groß sein, wenn man ihn von hier aus sehen konnte. Der kleine Leuchtturm hatte schon ein paar Mal zu seinem Kollegen hinübergeblinkt – natürlich nur dann, wenn keine Schiffe da waren. Denn das wusste er: sein Licht war dafür da, dass die Schiffe nicht ihren Weg verloren und heil im Hafen ankamen. Da durfte man mit seinen Lichtzeichen keinen Unfug treiben! Das war seine Aufgabe, und die nahm der kleine Leuchtturm wirklich sehr ernst.

Doch wenn kein Schiff in Sicht war, konnte man schon mal eine kleine Ausnahme machen. Aber der große Turm hatte überhaupt nicht reagiert. Er hatte nicht zurückgeblinkt – nein, nicht einmal gezwinkert hatte er!

Na ja, seufzte der kleine Leuchtturm, wahrscheinlich bin ich ja auch viel zu klein, als dass der große Turm mich von da hinten aus sehen könnte. Aber der Blick dorthin war einfach schön, ob der große Kollege nun grüßte oder nicht, und der kleine Leuchtturm freute sich von Herzen, dass es hier überhaupt noch einen anderen Turm gab und er nicht ganz alleine war.

Im Süden lagen Wiesen und Felder um den Turm herum. Das war toll, denn da konnte man so herrlich weit gucken. Und immer gab es da etwas zu sehen – Autos, die durch die hügelige Landschaft fuhren, die Bauern, die mit ihren großen Landmaschinen auf den Feldern arbeiteten, Spaziergänger, Jäger mit Hunden, Kinder, und natürlich schauten auch immer die Rehe und Hasen, die Fasane und Kaninchen bei ihm vorbei. Die Wiese, auf der er stand, hatte ganz besonders saftiges Gras, das die Tiere liebten, und der kleine Leuchtturm freute sich immer, wenn sie ihn besuchten.

Nur über die Möwen freute sich der kleine Leuchtturm nicht so sehr. Die waren so laut und eingebildet und sie zankten ständig miteinander. Sie saßen auf seinem Geländer, krakeelten aufs Wasser hinaus und hinterließen matschige weiße Flecken auf seinen Fensterscheiben und auf seinem Austritt. Ganz dreckig war er schon nach kurzer Zeit gewesen, und Herr Petersen – das war der Mann vom Wasser- und Schifffahrtsamt, der regelmäßig zu Besuch kam, um bei dem kleinen Leuchtturm nach dem Rechten zu schauen – hatte ordentlich geschimpft. »Olle Drecksviecher«, hatte er gemurmelt und die ganzen weißen Matschflecken weggeschrubbt. Herr Petersen hatte es gern sauber und ordentlich. Immer hatte er zwei große Lappen dabei, mit denen er überall wischte und putzte. Dabei pfiff er immer so schöne Lieder, und manchmal sang er auch – ziemlich schief zwar, aber dafür laut. Sonst hörte man das bei dem Wind ja auch gar nicht. Die Lieder hatten immer etwas mit Schiffen zu tun und mit dem Meer und fernen Häfen. Manchmal summte der kleine Leuchtturm mit, und dann lachte Herr Petersen und setzte sich noch eine Weile auf den Austritt, wenn er mit dem Putzen fertig war. Dann stopfte er seine Pfeife und dampfte wie ein alter Kutter.

2

Seit einer Weile kam jeden Morgen eine Möwe, die neu in der Gegend war. Sie war immer allein unterwegs und konnte wohl mit den anderen Krakeelern auch nicht so viel anfangen. Und wenn ihr mal danach war, weiße Flecken zu machen, dann drehte sie sich um und zielte auf die Wiese. Das fand der kleine Leuchtturm nett, und das hatte er ihr dann auch gesagt. Sie hatte nur leise geknurrt und war gleich wieder für sich geblieben. Aber trotzdem kam sie jeden Morgen wieder und die beiden guckten zusammen zu, wie die Sonne aus dem Wasser auftauchte und ließen sich von ihr kitzeln.

Ach, manchmal muss man ja auch gar nicht viel reden, um sich zu verstehen, dachte der kleine Leuchtturm und hielt weiter Ausschau nach Schiffen und dem netten Herrn Petersen.

Der kleine Leuchtturm fand seine Welt hier richtig schön. Nur ein bisschen einsam war er manchmal, denn Herr Petersen kam ja nur alle paar Wochen zu Besuch. Da wurde dem kleinen Leuchtturm dann ganz schön langweilig. Da half auch das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf seinem Bauch nicht. Laut seufzte der kleine Leuchtturm, gerade als sich die Möwe wieder auf sein Geländer setzen wollte. Das Geländer hatte sich unter dem tiefen Seufzer ganz doll gehoben und wieder gesenkt, und fast hätte es der Möwe die Landung vermasselt.

»Ohauehaueha«, krächzte sie, als sie wieder festen Halt hatte und schüttelte den Kopf. »Ich wusste gar nicht, dass auf‘m Leuchtturm so‘n Seegang is‘!« Sie schüttelte sich so kräftig, dass ihr ganzes Gefieder kreuz und quer abstand, und dann sorgte sie mit ihrem Schnabel erst einmal wieder für Ordnung.

»‘tschuldigung«, sagte der kleine Leuchtturm kleinlaut. »Das wollte ich nicht.«

»Aaaach, schon gut«, murrte die Möwe und zog sich eine widerspenstige Feder aus dem Gefieder. »Da hab‘ ich schon Schlimmeres erlebt auf der Welt.«

»Sind Sie denn viel herumgekommen auf der Welt?« fragte der kleine Leuchtturm vorsichtig. Er wollte ja nicht, dass die Möwe sich belästigt fühlte und gleich wieder davonflog.

»Ich war überall«, knurrte die Möwe und zog sich eine weitere Feder aus.

»Ü-ber-all …«

»Das stelle ich mir schön vor«, sagte der kleine Leuchtturm. »Als Leuchtturm kommt man ja nicht so viel rum …«

»Nee, is klar«, kicherte die Möwe und auch der kleine Leuchtturm lachte leise. Es war schön, mit jemandem zu lachen. Fast so schön, wie mit Herrn Petersen zu singen.

»Vielleicht erzählen Sie mir mal von Ihren Reisen?« fragte der kleine Leuchtturm leise. »Ich wüsste doch so gerne, ob es woanders auch so schön ist wie hier …«

»Hmm«, knurrte die Möwe. Aber ob das nun Ja oder Nein hieß, das wusste der kleine Leuchtturm nicht. Sie guckten noch eine ganze Weile still zusammen aufs Wasser, dann flog die Möwe rüber zu einem alten Fischkutter, der gerade seine Netze abfuhr. Da gab es sicher was zu holen.

Es dauerte drei ganze Tage, bis die Möwe wieder zum kleinen Leuchtturm kam. Diesmal tippte sie sich zur Begrüßung kurz mit dem Flügel an die Stirn. Das freute den kleinen Leuchtturm sehr und er nickte kurz mit seiner Laterne zurück. Aber natürlich war er diesmal ganz vorsichtig, damit er nicht so schaukelte!

Gestern war Herr Petersen wieder da gewesen und hatte alles ordentlich geputzt. Der kleine Leuchtturm blitzte und blinkte, so sauber war er! Er war auch mächtig stolz, dass er jetzt schon zwei Gesprächspartner hatte, die ihn besuchten und die so viel in der Welt herumkamen.