Bücher von Harry Eilenstein:

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Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783743186781

Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

1. Die Entwicklung der germanischen Religion

2. Lexikon der germanischen Religion

3. Der ursprüngliche Göttervater Tyr

4. Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland

5. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1

6. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2

7. Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig

8. Der Himmelswächter Heimdall

9. Der Sommergott: Baldur, Phol und Meili

10. Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd

11. Der Eibengott Ullr

12. Die Zwillingsgötter Alcis

13. Der neue Göttervater Odin Teil 1

14. Der neue Göttervater Odin Teil 2

15. Der Fruchtbarkeitsgott Freyr

16. Der Chaos-Gott Loki

17. Der Donnergott Thor

18. Der Priestergott Hönir

19. Die Göttersöhne

20. Die unbekannteren Götter

21. Die Göttermutter Frigg

22. Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd

23. Die Erdgöttinnen

24. Die Korngöttin Sif

25. Die Apfel-Göttin Idun

26. Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel

27. Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran

28. Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen

29. Die unbekannteren Göttinnen

30. Die Nornen

31. ie Walküren

32. Die Zwerge

33. Der Urriese Ymir

34. Die Riesen

35. Die Riesinnen

36. Mythologische Wesen

37. Mythologische Priester und Priesterinnen

38. Sigurd/Siegfried

39. Helden und Göttersöhne

40. Die Symbolik der Vögel und Insekten

41. Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer

42. Die Symbolik der Herdentiere

43. Die Symbolik der Raubtiere

44. Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere

45. Die Symbolik der Pflanzen

46. Die Symbolik der Farben

47. Die Symbolik der Zahlen

48. Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen

49. Das Jenseits

50. Seelenvogel, Utiseta und Einweihung

51. Wiederzeugung und Wiedergeburt

52. Elemente der Kosmologie

53. Der Weltenbaum

54. Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten

55. Mythologische Motive

56. Der Tempel

57. Die Einrichtung des Tempels

58. Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe

59. Priester – Seher – Zauberer

60. Rituelle Kleidung und Schmuck

61. Skalden und Skaldinnen

62. Kriegerinnen und Ekstase-Krieger

63. Die Symbolik der Körperteile

64. Magie und Ritual

65. Gestaltwandlungen

66. Magische Waffen

67. Magische Werkzeuge und Gegenstände

68. Zaubersprüche

69. Göttermet

70. Zaubertränke

71. Träume, Omen und Orakel

72. Runen

73. Sozial-religiöse Rituale

74. Weisheiten und Sprichworte

75. Kenningar

76. Rätsel

77. Die vollständige Edda des Snorri Sturluson

78. Frühe Skaldenlieder

79. Mythologische Sagas

80. Hymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Göttermet in der germanischen Überlieferung
  2. Der Göttermet in der indogermanischen Überlieferung
  3. Der Göttermet bei den Nachbarn der Indogermanen
  4. Der Göttermet in der Jungsteinzeit
  5. Der Göttermet in der Altsteinzeit
  6. Das Lebenselixier
  7. Die Biographie des Göttermets
  8. Traumreisen
  9. Das Brauen des Göttermets
  10. Hymnen an den Göttermet
  11. Der Göttermet heute

I Der Göttermet in der germanischen Überlieferung

Der Met als Trank der Götter und als Ritualgetränk der Menschen ist eines der wichtigsten Symbole der Germanen und auch der anderen indogermanischen Völker.

Im Folgenden werden jedoch nicht alle Szenen, in denen Bier, Wein oder Met getrunken wird, angeführt, sondern hauptsächlich die Textstellen, die Auskunft über die mythologische Bedeutung der alkoholischen Getränke geben. …

I 1. Der Wortschatz zu „Göttermet“

Der Wortschatz zu einem so kulturell wichtigem Element wie dem gemeinschaftlichen Trinken bei den Germanen ist naturgemäß recht differenziert.

Met und Bier

mjödr - Met
grasadr mjöd - „Gras-Met“ = Kräuter-Met
öl - Ale, Bier
öl-krasir - „Bier-Leckerbissen“ = ein besonders gutes Bier
veig - „Stärke“ = starkes Getränk, alkoholisches Getränk

Es gab an alkoholischen Getränken Met, Kräuter-Met, Bier („Ale“) und „Premium-Bier“. Wie die Häufigkeit der im folgenden aufgeführten mit „Met“ und mit „Bier“ kombinierten Begriffen zeigt, war Met das Edlere und Bier das allgemeinere alkoholische Getränk Dies liegt schon daran begründet, daß der Honig, der für das Met-Brauen benötigt, deutlich schwieriger zu beschaffen ist als die Gerste, die die Grundlage des Bieres bildet.

Die Braukunst

heita - „Erhitzen“ = Brauen
öl-hita - „Bier-Hitze“ = Bierbrauen
öl-görd - „Bier-Gären, Bier-Arbeit“ = Bierbrauen
öl-gördr-madr - Bierbrauer

Beim Brauen von Bier sind die beiden auffälligsten Elemente zunächst das „Kochen“ bei 75° des Malzes (gekeimte und gedarrte Gerste) sowie das anschließende Vergären dieser „Gerstenmalz-Suppe“. Nach diesen beiden Vorgängen ist bei den Nordgermanen das Brauen und der Braumeister als „Erhitzen“, „Vergären“ und „Vergärer“ benannt worden.

Die Brau-Geräte

öl-kjoll - Bier-Kessel
öl-gögn - Bier-Faß
öl-tol - Bier-Faß
öl-böki - „Bier-Buche“ = Bierfaß aus Buchenholz
öl-ker - Bier-Gefäß
öl-föng - Bier-Vorrat

Während der Bier-Kessel eher das Braugefäß bezeichnet, sind das Faß und das Gefäß für die Aufbewahrung bestimmt.

Das Getränke-Lager

mjöd-rann - „Met-Halle“ = Langhaus, Halle
öl-stofa - „Bier-Stube“ = Trinkhalle

Der Ort, an dem man trank, war in der Regel die Halle, d.h. der große Gemeinschaftsraum im Langhaus, in dem fast alle gemeinsamen Aktivitäten stattfanden.

Das Trinkfest

sam-drykkja - Gemeinschafts-Trinken, Versammlung
samburdar-öl - „gemeinsam-tragen-Bier“ = gemeinsames Trinken
mjöd-drekka - Met-Trunk, Met-Trinken, Met-Trinkgelage
mjöd-drykkja - Met-Trank, Met-Trinkgelage
öldr - Bier, Bier-Trinkgelage
öl-mal - „Bier-Gespräch, Bier-Gerede“ = Gespräche an der Speisetafel
öl-sidr - „Bier-Sitte“ = Trinksitte

Die alkoholischen Getränke wurden fast immer in Gemeinschaft genossen, wobei bestimmten Trinksitten beachtet wurden.

Das Trinkgefäß

öl-horn - „Bier-Horn“ = Trinkhorn
öl-skal - „Bier-Trinkschale“ = Trinkgefäß

Das Trinkgefäß für Bier und Met war das Horn oder die Tonschale. In Ritualen scheinen stets Trinkhörner verwendet worden zu sein, die demnach wohl das ältere Trinkgefäß sein werden – Trinkhörner wurden bereits in den altsteinzeitlichen Höhlenmalereien dargestellt.

Das Einschenken

skenkja - schenken, einschenken, ein Getränk ausschenken
skenking - das Schenken, Einschenken, das Ausschenken eines Getränkes
skenkr - „Ausgeschenktes“ = Trank
öl-selja - „Bier-Geberin“ = Kelchträgerin („Getränke-Kellnerin“)
skenkjari - „Ausschenker“ = Kelchträger („Getränke-Kellner“)
öl-eysill - Bier-Schöpfkelle (auch für Met und Wein)

Das Eingießen von Bier wurde schon bei den Germanen „Einschenken“ genannt, was zeigt, daß der Hausherr sein Bier an die Gäste verschenkte. Bier wurde damals nicht „aus dem Faß gezapft“, sondern mithilfe einer Kelle aus einem Faß in die Trinkhörner und Trinkschalen gefüllt.

Dieses Ausschenken wurde fast immer von dafür bestimmten Frauen, aber bisweilen auch von Männern durchgeführt. Während die Frauen „Einschenkerinnen“ genannt wurden, was sich auf ihre Tätigkeit bezieht, scheint die entsprechende männliche Bezeichnung „Kelchträger“ eher den Charakter einer Auszeichnung zu haben, die in etwa „bevorzugter Diener eines Fürsten“ bedeuten könnte.

Die Walküren

val-kyrja - Walküre = „Toten-Auswählerin“ (sie wählt die Toten aus)
val-thögn - Walküre = „Toten-Schweigen“ (sie empfängt die Toten)

Auch die Toten im Jenseits erhielten ein Horn voll Met. Dabei wurde zwischen der Walküre, die den Krieger auf dem Schlachtfeld als Gast in Odins Walhall auswählte, und der Walthögn, die diesem Toten bei seiner Ankunft in Walhall das Horn voll Met reichte, unterschieden. Diese beiden Namen werden jedoch eher eine Unterscheidung der Tätigkeit als eine Unterscheidung der Person sein.

Bier-Runen

öl-runar - Bier-Runen

Es waren „Bier-Runen“ in Gebrauch, die den Trinker zum einen vor Trunkenheit und zum anderen vor Gift, das dem Bier evtl. in heimtückischer Absicht beigemischt worden war, schützen sollte (siehe dazu den Band 72 über die „Runen“).

Der Toten-Trank

full - Trank = „Füllung (eines Trinkhorns)“; Trinkspruch
bragar-full - Trinkspruch, insbesondere bei einer Bestattung
minnis-drykka - „Erinnerungs-Trank“ (für die Ahnen)
minnis-öl - „Erinnerungs-Bier“ (für die Ahnen)
minnis-veig - „Erinnerungs-Trank“ (für die Ahnen)
minnis-horn - Horn, aus dem der Trank für die Ahnen getrunken wird
Mimir - „Erinnerung“ = Name eines Tyr-Riesen

Das Bier bzw. der Met waren nicht nur ein Element der Begrüßung der Toten im Jenseits, sondern auch ein Element des Toten-Gedenkens. Fast jedes Fest begann damit, daß man ein Horn voll Bier oder Met im Angedenken an die Toten trank – den „Erinnerungs-Trank“.

Der Tyr-Riese Mimir scheint geradezu die Personifikation dieses „minnis-drykka“ zu sein, da Odin dem Mimir eines seiner Augen geopfert hat, um Weisheit, d.h. die Kenntnis des Jenseits zu erlangen, und weil Odin zudem immer dann, wenn er Rat benötigt, mit dem abgeschlagenen und mumifizierten Schädel des Mimir spricht.

Dieser Zusammenhang zwischen Odin und Tyr-Mimir bzw. den Ahnen ist bei Odin sehr plausibel, da Odin im Wesentlichen ein Schamanengott ist und seine Hauptaufgabe daher die Herstellung des Kontaktes zu den Ahnen ist – unter denen der ehemalige Göttervater Tyr (Mimir) natürlich der wichtigste ist.

Die Ekstase

odi - ekstatisch, rasend, wütend
odr - ekstatisch, rasend, wütend
odr - Ekstase, Erregtheit, Wut
Odin - Ekstatiker, Erregter, Wütender
odrörir - „das unsere Ekstase Erregende“ = Götter-Met, Skalden-Met

Schon von den Namen her ist Odin eng mit dem rituellen Trank verbunden, der offenbar in eine Art von Ekstase versetzen konnte. Dies entspricht u.a. der Verwendung von speziellen Getränken in den damaligen Mysterien in Griechenland und in Thrakien.

Es ist gut denkbar, daß die Kräuter in dem „Kräuter-Met“ („grasadr mjöd“) Nieswurz („Wotans-Speise“) und Schierling („Wotans-Nahrung“) gewesen sind, die vermutlich, da sie sehr giftig sind, in der richtigen Dosierung ein Nahtod-Erlebnis hervorrufen konnten, was bedeutete, daß der Betreffende erlebte, wie er seinen Körper verließ (Astralreise). In der falschen Dosierung waren diese beiden Kräuter jedoch tödlich.

Allerdings könnte der „Kräuter-Met“ auch eine Entsprechung zu dem heutigen Kräuter-Bier sein – wobei man geschmackliche Experimente jedoch eigentlich eher bei dem leichter verfügbaren Bier als bei dem kostbaren Met erwarten sollte.

Die Wirkung des Alkohols

öl-modr - „in Bier-Stimmung“ = angetrunken, betrunken
öl-odr - „in Bier-Stimmung“ = angetrunken, betrunken
ölr - „im Bier-Zustand“ = betrunken
öl-katr - „Bier-froh“ = trunken-fröhlich (Stammt davon der „Kater“ ab?)
öl-reifr - „Bier-fröhlich“ = trunken-fröhlich
öl-teiti - „Bier-Heiterkeit“
öl-sadr - „Bier-satt“ = trunken sein, genug getrunken haben
mjöd-drukkin - „Met-trunken“, „Met-betrunken“

Die Trunkenheit wird entweder rein technisch als „Bier-Zustand“ oder von ihrem psychischen Aspekt her als „Bier-Fröhlichkeit“ beschrieben. Die sieben mit „Bier“ gebildeten Begriffe im Verhältnis zu dem einzelnen mit „Met“ gebildeten Begriff für „Trunkenheit“ zeigen noch einmal, daß deutlich mehr Bier als Met getrunken wurde.

Der Schlaftrunk

nattverdar-drykkja - „Nachtmahlzeits-Trank“ = Abendtrunk, Gute-Nacht-Trunk

Solche nicht in Gemeinschaft genossene alkoholische Getränke waren eher die Ausnahme.

Die „Bier-Quelle“

öl-kelda - „Bier-Quelle“ = Mineralquelle

Das Wort „kelda“ bedeutet „Quelle, Bach“ und ist eine Ableitung von dem Adjektiv „kaldr“ für „kalt“. Das altnordische Substantiv „öl“ stammt über das germanische „aluth“ von dem indogermanischen Wort „alud“ für „bitter, herb, Bier, Alaun“ ab. Die Übersetzung der Bezeichnung „öl-kelda“ für eine sehr mineralhaltige Quelle sollte also eher „Bitter-Quelle“ als „Bier-Quelle“ lauten.

Es ist allerdings auch eine Assoziation zwischen dem Horn mit Met (oder Bier?), das die Toten bei ihrer Ankunft im Jenseits gereicht bekommen, und den Quellen als Toren in das Jenseits denkbar – allerdings ist diese Assoziation nirgendwo nachweisbar.

Zusammenfassung

Bei den Germanen wurde wesentlich mehr Bier als Met getrunken, da man für Met Honig, für Bier hingegen nur die in sehr viel größeren Mengen verfügbare Gerste als Rohstoff benötigte. Wein scheint bei den Nordgermanen weitgehend unbekannt gewesen zu sein, da man ihn aus dem Süden importieren mußte – die beiden nördlichsten Weinanbaugebiete sind die Mosel und die Ahr.

In der Regel wurde in größeren Gemeinschaften in der Halle des Langhauses getrunken. Dabei gab es bestimmte Trinksitten. Der Hausherr schenkte den Gästen sein Bier und ließ es ihnen von den Frauen aus seiner Hausgemeinschaft „einschenken“.

Auch im Jenseits schenkte eine „Walthögn“ genannte Walküre den Toten ein Horn voll Met ein.

Der Met wurde als Ekstase-Getränk angesehen – sowohl der Met als auch der Göttervater sind nach dieser Ekstase benannt worden: Odrörir und Odin. Vermutlich ist der sogenannte „Kräuter-Met“ mit dem giftigen Nieswurz („Wotans-Speise) und dem tödlich-giftigen Schierling („Wotans-Nahrung“) gebraut worden, um im Jenseitsreise-Ritual ein Nahtod-Erlebnis hervorzurufen.

Ein anderes Trink-Ritual war der „minnis-drykka“, also der „Erinnerungs-Trank“, mit dem man der Ahnen gedachte. Mit dieser „Erinnerung“ hängt der Name des Tyr-Riesen „Mimir“ zusammen, der offenbar der Archetyp des Ahnen war, da Odin ihm eines seiner Augen geopfert hat, um einmal von seinem Trank zu trinken und da Odin zudem mit dem abgeschlagenen Schädel des Mimir sprach, um von diesem Kunde aus dem Jenseits zu erhalten. Der von Odin abgesetzte Göttervater Tyr war für Odin natürlich der wichtigste aller Ahnen, da er von ihm das gesamte Wissen über die bisherigen Geschichte der Nordgermanen und alle damit verbundenen Geheimnisse erfahren konnte.

Schließlich gab es noch „Bier-Runen“, die gegen Trunkenheit und gegen Gift, das möglicherweise von einem Feind dem Bier beigemischt worden war, schützte.

I 2. Die Entstehung des Göttermets

Das wichtigste aller Getränke in den Mythen der Germanen war der Göttermet, der in der Überlieferung meistens als „Skalden-Met“ erscheint.

I 2. a) Skaldskaparmal

Die ausführlichste Beschreibung des Göttermets findet sich in diesem Skaldenkunst-Lehrbuch des Snorri Sturluson.

Ferner sprach Ägir: „Woher hat die Kunst ihren Ursprung, die ihr Skaldenkunst nennt?“

Bragi antwortete: „Der Anfang davon war, daß die Asen Unfrieden hatten mit dem Volk, das man Wanen nennt.

Über diesen Krieg zwischen den Asen und den Wanen wird in der Heimskringla ausführlicher berichtet.

Nun aber traten sie zusammen, Frieden zu schließen, und der kam nun so zustande, daß sie von beiden Seiten zu einem Gefäß gingen und ihren Speichel hineinspuckten.

Als sie nun schieden, wollten die Asen dieses Friedenszeichen nicht untergehen lassen. Sie nahmen es und schufen einen Mann daraus, der Kwasir heißt. Der ist so weise, daß ihn niemand um ein Ding fragen mag, worauf er nicht Bescheid zu geben weiß.

Er fuhr weit umher durch die Welt, die Menschen Weisheit zu lehren.

Kawsir ist eine Ableitung von der Bezeichnung „Kwas“ für den Brottrunk, den man aus Wasser, Brot und Honig herstellt. Er wird durch Gärung gewonnen und kann daher leicht alkoholisch sein und Kohlensäure enthalten. Er hat Ähnlichkeit mit Bier. Der Speichel ist ein altes Gärungsmittel.

Die Sitte, einen Friedensschluß oder einen ähnlichen Vertrag durch das Trinken eines Getränkes, dessen Fermentierung durch den Speichel aller Beteiligter in Gang gesetzt wurde, ist recht alt. Dies ist sozusagen eine „Blutsbrüderschaft light“.

Der Name „Kwas“ wurde das erste mal schon im Jahre 989 n.Chr. erwähnt und leitet sich wie z.B. auch das Wort „Käse“ (germanisch: „kasjus“) von dem indogermanischen Verb „kuath“ für „gären, sauer werden“ ab.

Kwasir ist folglich nach dem Getränk Kwas benannt worden. Seine Weisheit liegt sicherlich darin begründet, daß er aus dem Speichel aller Asen und Wanen entstanden ist und dadurch deren Eigenschaften und Fähigkeiten enthält. Er ist somit in gewisser Weise die Essenz der Götter.

Außer in dieser Mythe erscheint Kwasir nur noch ein zweites mal in „Gylfis Vision“ in der Beschreibung, wie die Asen Loki in Fischgestalt mit einem Netz fangen und fesseln.

Einst aber, da er zu den Zwergen Fialar und Galar kam, die ihn eingeladen hatten, riefen sie ihn zu einer Unterredung beiseite, und töteten ihn. Sein Blut ließen sie in zwei Gefäße und einen Kessel rinnen: Der Kessel heißt Odhrörir; aber die Gefäße Son und Bodn. Sie mischten Honig in das Blut, woraus ein so kräftiger Met entstand, daß ein jeder, der davon trinkt, ein Dichter oder ein Weiser wird.

Den Asen berichteten die Zwerge, Kwasir sei in der Fülle seiner Weisheit erstickt, denn keiner war klug genug, seine Weisheit all zu erfragen.

Man könnte sagen, daß die beiden Zwerge den Kwasir wieder in ein Getränk zurückverwandelten – vermutlich um selber die Eigenschaften des Kwas bzw. des Kwasir zu erlangen.

Dies ist insofern recht interessant, als das die Zwerge Totengeister im Jenseits sind und keine lebenden Menschen. Der magische Trank befindet sich somit im Jenseits im Besitz der Geister der Toten – also im Reich der Hel. Kwasir scheint im Diesseits ein Mensch und im Jenseits ein Trank zu sein.

Fialar und Galar sind Umdeutungen der beiden Söhne des ehemaligen Göttervaters Tyr – Tyr wurde im Jenseits zu einem Riesen und seine beiden Söhne zu zwei Zwergen.

„Odhrörir“ bedeutet „Ekstasetrank“. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß der Met in diesem Gefäß ursprünglich ein Hilfsmittel bei der Jenseitsreise des Schamanen gewesen ist. „Bodn“ bedeutet „Faß“. Die Übersetzung von „Son“ ist unsicher: Dieses Wort könnte sowohl „Blut“ als auch „Versöhnung“ bedeuten – die erste der beiden Möglichkeiten ist jedoch wahrscheinlicher, weil diese drei Gefäße auch das Blut des Kwasir enthielten.

Da die beiden letzteren Namen eher technische Bezeichnungen sind, wird „Odhrörir“ der älteste dieser drei Namen sein und ursprünglich nicht das Gefäß, sondern den Trank selber bezeichnet haben. Außerdem ist stammt das Wort „Odrörir“ von derselben Wortwurzel ab wie der Name „Odin“, der ebenfalls „Ekstase“ bedeutet – der Göttermet ist somit als der Trank des Schamanengottes Odin benannt worden.

Diese drei Gefäße sind ursprünglich die drei Met-Trinkhörner des Tyr und seiner zwei Alcis-Söhne gewesen, die u.a. in der Saga über Thorstein Hausmacht als „Grim der Gute“ (=Ödrörir) und „die beiden Weißen“ (=Bodn und Son) bezeichnet werden.

Danach luden diese Zwerge den Riesen, der Gilling heißt, mit seinem Weibe zu sich, und baten den Gilling, mit ihnen auf die See zu rudern. Als sie aber eine Strecke vom Lande waren, ruderten die Zwerge nach den Klippen und stürzten das Schiff um. Gilling, der nicht schwimmen konnte, ertrank, worauf die Zwerge das Schiff wieder umkehrten und zurück ruderten.

Diese Szene ist zunächst recht seltsam, da kein Grund für den Mord der Zwerge an Gilling ersichtlich ist. Sie erklärt sich jedoch dadurch, daß Gilling einer der vielen Varianten des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr ist, der als Sonne am Abend starb und im Meer versank („ertrinkt“) und der vor allem bei seiner Absetzung um 500 n.Chr. von Thor getötet wurde. Diese in der Entwicklung der germanischen Religion grundlegende Szene findet sich in vielen Mythen aus der späteren, Odinzentrierten Mythologie der Nordgermanen.

Ursprünglich ist Tyr an jedem Abend gemeinsam mit seinen beiden Söhnen gestorben in die Unterwelt gereist – in dieser Mythe ist dadurch der Mord der beiden Zwerge an dem Riesen geworden.

Der Name „Gilling“ bedeutet „Gellender, Schreiender“, aber er könnte auch eine Anspielung auf den Jenseitsfluß Gjallar sein – dann hätte „Gilling“ die Bedeutung „Sterbender“.

Sie sagten seinem Weibe von diesem Vorgang: Da gehabte sie sich übel und weinte laut. Fialar frug sie, ob es ihr Gemüt erleichtern würde, wenn sie nach der See hinaussähe, wo er umgekommen sei. Das wollte sie tun.

Da sprach er mit seinem Bruder Galar, er solle hinaufsteigen über die Schwelle und, wenn sie hinausginge, einen Mühlstein auf ihren Kopf fallen lassen, weil er ihr Gejammer nicht ertragen könne. Und also tat er.

Auch diese Tat, die sich aus der vorigen ergab, erscheint sehr unmotiviert, doch auch sie erklärt sich aus der Absetzung des Tyr um 500 n.Chr.

In den neueren, Odin-zentrierten Mythen tötet Thor nicht nur den Tyr-Riesen, sondern zugleich auch die Jenseitsgöttin, die einst die Wiederzeugungs-Geliebte und die Wiedergeburts-Mutter des Tyr gewesen ist und die hier zu der Frau des Tyr-Riesen geworden ist.

Im Christentum wurde aus dieser Riesin dann „des Teufels Großmutter“.

Als der Riese Suttung, Gillings Brudersohn, dies erfuhr, zog er hin, ergriff die Zwerge, führte sie auf die See und setzte sie da auf eine Meeresklippe. Da baten sie Suttung, ihr Leben zu schonen, und boten ihm zur Sühne und Vaterbuße den köstlichen Met, und diese Sühne ward zwischen ihnen geschlossen.

Die trotz des Weisheits-Trankes sehr unweisen Handlungen der Zwerge führen dazu, daß der magische Trank in den Besitz der Riesen gelangt.

Ursprünglich ist auch Suttung der Tyr-Riese gewesen. Er erscheint hier nicht mehr als der am Morgen wiedergeborene Sonnengott-Göttervater, sondern als der rächende Bruder. Die ursprüngliche Mythe läßt sich jedoch noch anhand der Insel erkennen, die die Jenseitsinsel Walaskialf („Toten-Schäre“) sein wird, auf der einst am Abend der Sonnengott-Göttervater Tyr gestorben ist. Da Tyr am Morgen durch den Göttermet wiedergeboren wurde, gehört auch dieser Trank symbolisch auf diese Insel.

Diese Insel, auf der Suttung die Zwerge aussetzte, ist auch mit der Schäre identisch, auf der Wieland (Tyr im Jenseits) ausgesetzt worden ist.

Die Umdeutung der beiden Söhne des Tyr zu dessen Mördern ist ein geschickter (und allgemein beliebter) Trick gewesen, um eine Geschichte in ihr Gegenteil zu verkehren – auf diese Weise konnte man am effektivsten eine alte Mythe auflösen und ihre Bestandteile in eine neue Mythe einfügen. Man mußte nur aus dem Helden einen Bösewicht machen …

In den germanischen Mythen ist es stets ein Zwergenpaar, das die magischen Gegenstände der Götter herstellt: Thors Hammer, Sifs Haare, Freyrs Eber und sein magisches Schiff, Odins Ring und seinen Speer, die magischen Schwerter in den Sagas, die auf Tyrs Schwert zurückgehen, und schließlich auch den Göttermet.

Dieses Zwergenbrüderpaar ist aus den beiden „Alcis“ („Elche“) genannten Pferdezwillingen vor dem Streitwagen des ursprünglichen Göttervaters Tyr (= Zeus, Jupiter, Deus, Dagda u.a.) entstanden. Diese beiden Söhne des Göttervater, die die Gestalt von zwei Jünglingen und von zwei Schimmeln annehmen konnten, sind am besten aus der griechischen Mythologie als die beiden Dioskuren bekannt.

Als bei den Germanen der Reiter Odin an die Stelle des Streitwagenfahrers Tyr trat, wurde aus den beiden Pferdezwillingen Odins achtbeiniges „Doppelpferd“ Sleipnir. Aus diesen beiden Tyr-Söhnen als Wolfs-Ekstasekrieger wurden Odins zwei Wölfe und aus den beiden Tyr-Söhnen als Raben-Seelenvögel wurden Odins zwei Raben.

Diese beiden Söhne des Göttervaters starben zusammen mit ihm an jedem Abend und in jedem Herbst, wodurch sie zu Totengeistern, also zu Zwergen wurden.

Der Göttervater im Jenseits wurde jedoch zu einem Riesen, denn die Germanen faßten die Ahnen der Asen als Riesen auf. Dies ist ein altes indogermanisches Motiv: so ist z.B. auch Kronos, der Vater des Zeus, ein Titan, d.h. ein Riese. Dieser „Tyr-Riese in der Unterwelt“ war eine wichtige Gestalt in den Mythen und erscheint als Hymir, Thiazi, Mimir, Surtur, Hraesvelgr und noch als einige andere Riesen.

Da nun der am Abend gestorbene Göttervater im Jenseits zu einem Riesen wurde und er als die zentrale Gottheit der Besitzer des Göttermets war, wurde der Met zwar von den beiden Zwergen (die toten Pferdezwillinge) hergestellt, aber mußte im Besitz der Riesen (Hymir, Thiazi usw.) sein. Es gab auch die Auffassung des „Tyr in der Unterwelt“ als Zwerg (Alberich), aber das Motiv des Tyr-Riesen war deutlich wichtiger als das des Tyr-Zwerges.

Aus dem Überreichen des Mets durch die Zwerge an den Göttervater als Riesen wurde dann schließlich der Met als Sühnegeldzahlung der Zwerge an die Riesen.

Die Bedeutung des Namens „Suttung“ bedeutet entweder „vom Trank beschwert“ oder „der sich schnell Bewegende“. Da Schnelligkeit und ähnliche gute Eigenschaften nur sehr selten bei den Riesen erwähnt werden, erscheint die erste Deutung wahrscheinlicher: Suttung ist der Besitzer des Göttermets.

Suttung führte den Met mit sich nach Hause und verbarg ihn auf dem sogenannten Hnitberge; seine Tochter Gunnlöd setzte er zur Hüterin.

Der Name „Hnitberg“ bedeutet „Stoßfels“, „zusammenschlagender Berg“, „sich verschließender Berg“ oder „verschlossener Berg“. Bei diesem Berg wird es sich um ein Hügelgrab handeln, daß nach der Bestattung verschlossen worden ist und in dem man sich sowohl die Totenseelen als auch die Jenseitsgöttin vorstellte. Auch der ehemalige Sonnengott-Göttervater Tyr lag nach seinem abendlichen Tod in einem solchen Hügelgrab.

Der Name „Stoßfels“ könnte auch eine Anspielung auf das Gitter Thrymgiallar am Hel-Tor sein, dessen Eingang sich in einer früheren Variante dieses Motives vielleicht wie zwei zusammenstoßende Felsen verschlossen hat. Dieses Bild findet sich in einigen Märchen wie z.B. in „Die Rabe“ von den Gebrüdern Grimm. Die bekannteste Zauberformel, mit der man einen solchen Berg öffnen kann ist sicherlich das arabische „Sesam öffne Dich!“. Dieser „Hnitberg“ wird mit dem „Hindinhügel“ der Walküre Brünhild aus der Nibelungensage und mit dem „Mondhügel“ aus der „Vision der Seherin“ identisch sein.

Die Riesin Gunnlöd trägt einen Walkürennamen: „Einladung zum Kampf“. Sie ist sowohl als Riesin als auch als Walküre eine Erscheinungsform der ursprünglichen Jenseitsgöttin. In der Sage heißt es, daß sie den Met nur bewacht, aber man wird wohl davon ausgehen können, daß dieses „Bewachen“ ursprünglich ein „Besitzen“ gewesen ist. Gunnlöd wird daher die Jenseitsgöttin (Hel, Freya) in der Unterwelt (Hügelgrab) sein, die die Jenseitsreisenden wiedergebiert und ihnen den Göttermet reicht.

Davon heißt die Skaldenkunst Kwasirs Blut, oder der Zwerge Trank, auch Odhrörirs-, oder Bodns- und Sons-Naß, und der Zwerge Fährgeld (weil ihnen dieser Met von der Klippe Erlösung und Heimkehr verschaffte), ferner Suttungs Met und Hnitbergs Lauge.“

Da sprach Ägir: „Sonderbar dünkt mich der Gebrauch, die Dichtkunst mit diesen Namen zu nennen. Aber wie kamen die Asen an Suttungs Met?“

Bragi antwortete: „Davon wird erzählt, daß Odin auszog und an einen Ort kam, wo neun Knechte Heu mähten. Er frug sie, ob sie ihre Sensen gewetzt haben wollten. Das bejahten sie. Da zog er einen Wetzstein aus dem Gürtel und wetzte. Die Sicheln schienen ihnen jetzt viel besser zu schneiden: da feilschten sie um den Stein; er aber sprach, wer ihn kaufen wolle, solle geben, was billig sei. Sie sagten alle, das wollten sie; aber jeder bat, den Stein ihm zu verkaufen. Da warf er ihn hoch in die Luft, und da ihn alle fangen wollten, entzweiten sie sich so, daß sie einander mit den Sicheln die Hälse zerschnitten.

Sowohl die Neunzahl der Knechte, als auch deren Tod sowie die Sicheln als Erntesymbole weisen daraufhin, daß Odin sich hier auf einer Jenseitsreise befindet.

Die „9“ ist in den Mythen der (Indo-)Germanen eine Art Adjektiv mit der Bedeutung „zum Jenseits gehörend“ gewesen.

Da suchte Odin Nachtherberge bei dem Riesen, der Baugi hieß, dem Bruder Suttungs.

Baugi beklagte seine üble Lage und sagte, neun seiner Knechte hätten sich umgebracht; nun wisse er nicht, wo er Werkleute hernehmen solle.

Da nannte sich Odin bei ihm Bölwerk und erbot sich, die Arbeit der neun Knechte Baugis zu übernehmen; zum Lohn verlangte er einen Trunk von Suttungs Met.

Baugi sprach, er habe über den Met nicht zu gebieten. Suttung, sagte er, wolle ihn allein behalten; doch wolle er mit Bölwerk dahinfahren und versuchen, ob sie den Mets bekommen könnten.

„Bölwerk“ bedeutet „üble Tat“ – ein passender Name für Odin nach seiner Provokation eines neunfachen Mordes. Aber Odin war schließlich auch der Gott der Schlachten …

Der Name des Riesen „Baugi“ bedeutet „der Gebeugte, Krumme“, womit auch Ringe bezeichnet worden sind. Vermutlich ist auch Baugi ein Tyr-Riese, da Tyr oft zusammen mit zwei Brüdern erscheint, die gemeinsam die drei Stände verkörperten – später haben Odin, Hönir und Loki diese Funktion übernommen.

Der goldene Ring ist einst ein Symbol der Sonne und somit auch der Jenseitsreise und der Wiedergeburt gewesen – in den neueren Mythen erscheint er als Odins Ring Draupnir.

Der Tyr-Riese Baugi ist offenbar nach dem Sonnen-Ring benannt worden, der einst im Besitz des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr gewesen ist.

Die drei Brüder, die einst die drei Stände verkörpert haben, sind in dieser Mythe Gilling, Suttung und Baugi – „Sterbender“, „Trank-Besitzer“ und „Ring-Besitzer“. Dies könnten alles drei Umschreibungen für den am Abend sterbenden ehemaligen Sonnengott-Göttervater Tyr sein: Die Sonne (goldener Ring) starb am Abend (Gilling), überquerte den Jenseitsfluß (Gilling) und erhielt dann den Begrüßungstrunk im Jenseits (Suttung).

Bölwerk verrichtete den Sommer über neun Männer Arbeit für Baugi; im Winter aber begehrte er seinen Lohn.

Da fuhren sie beide zu Suttung, und Baugi erzählte seinem Bruder, wie er den Bölwerk gedungen habe; aber Suttung verweigerte geradeheraus jeden Tropfen seines Mets.

Da sagte Bölwerk zu Baugi, sie wollten eine List versuchen, ob sie an den Met kommen möchten, und Baugi wollte das geschehen lassen.

Da zog Bölwerk einen Bohrer hervor, der Rati hieß, und sprach, Baugi sollte den Berg durchbohren, wenn der Bohrer scharf genug sei. Baugi tat das, sagte aber bald, der Berg sei durchgebohrt. Aber Bölwerk blies ins Bohrloch, da flogen die Splitter heraus, ihm entgegen. Daran erkannte er, daß Baugi mit Trug umgehe, und bat ihn, ganz durchzubohren.

Der Name des Bohrers „Rati“ bedeutet sehr anschaulich „Nager“. Ein Zusammenhang mit dem Eichhörnchen Ratatoskr („Nagezahn“) auf dem Weltenbaum ist zwar denkbar, aber recht ungewiß.

Baugi bohrte weiter und als Bölwerk zum andernmal hineinblies, flogen die Splitter einwärts. Da wandelte sich Bölwerk in einen Wurm und kroch in das Bohrloch. Baugi stach mit dem Bohrer nach ihm, verfehlte ihn aber.

Die Verwandlung in eine Schlange („Wurm“) ist ein deutliches Bild für die Jenseitsreise, da die Germanen die Vorstellung hatten, daß die Toten nach ihrer Bestattung die Gestalt von Schlangen annahmen. Aus den Schlangen in ihren Grabkammern mit den Goldschätzen, die darin lagen, wurden schließlich die Drachen auf ihrem Hort.

Odins Schlangenverwandlung bestätigt die Deutung des Hnitberges als Hügelgrab und die Auffassung der Gunnlöd als der Göttin im Jenseits.

Da fuhr Bölwerk dahin, wo Gunnlöd war, und lag bei ihr drei Nächte, und sie erlaubte ihm drei Trünke von dem Met zu trinken. Und im ersten Trunk trank er den Odhrörir ganz aus, im andern leerte er den Bodn, im dritten den Son und hatte nun all den Met. Da wandelte er sich in Adlersgestalt und flog eilends davon.

Die Adlergestalt des Odin ist ein Symbol für seine Wiedergeburt, die auf seine Vereinigung mit Gunnlöd, d.h. seine Wiederzeugung im Jenseits, folgte. Der Übergang des Toten zur Vogelgestalt tritt zwar genaugenommen mit seinem Tod ein, bei dem die Seele („Astralkörper“) den materiellen Leid verläßt, aber in den Mythen vieler Völker wird die Annahme der Vogelgestalt etwas ungenau mit der Wiedergeburt gleichgesetzt.

Das Trinken des Göttermets hat in dieser Mythe die Symbolik der Wiedergeburt übernommen. Das Trinken des rituellen Mets vermittelt somit die Ankunft im Jenseits, den Kontakt mit den Göttern.

Diese Symbolik des Göttermets ist fast genau dieselbe wie die des Weins in der christlichen Eucharistie.

Als aber Suttung den Adler fliegen sah, nahm er sein Adlerhemd und flog ihm nach. Und als die Asen Odin fliegen sahen, da setzten sie ihre Gefäße in den Hof. Und als Odin Asgard erreichte, spie er den Met in die Gefäße.

Als aber Suttung ihm so nahe gekommen war, daß er ihn fast erreicht hätte, ließ er von hinten einen Teil des Mets fahren. Danach verlangt niemanden: Nehme sich das, wer da wolle; wir nennen es der Dichterlinge Teil.

Der „Dichterlinge Teil“, wie der Teil des Mets, den Odin in Adlergestalt „hinten fahren läßt“, als ihm der ebenfalls in einen Adler verwandelte Riese Suttung zu nahe kommt, ist wieder ein Beispiel für den manchmal recht derben Humor der Germanen, da dieses „hinten fahren läßt“ eine Umschreibung dafür ist, daß Odin vor Angst pinkeln muß und dabei einen Teil des von ihm verschluckten Mets ausscheidet – verständlich, daß Snorri hinzufügt, „daß diesen nehme, wer will“

Mit „Dichterlinge“ sind hier diejenigen gemeint, die zu dichten versuchen, aber keine wirklichen Skalden sind – ein kleiner Seitenhieb auf diejenigen, die keine richtige Skaldenausbildung genossen haben und wohl auch ein Hinweis auf ein solides Selbstbewußtsein der Skalden …

Aber Suttungs Met gab Odin den Asen und denen, die da schaffen können. Darum nennen wir die Skaldenkunst Odins Fang oder Fund, oder Odins Trank und Gabe, und der Asen Getränk.“

Mit „schaffen“ ist hier „auf die richte Weise dichten“ gemeint.

Dieser Bericht über die Entstehung des Göttermets zeigt, daß er im Besitz der Jenseitsgöttin, d.h. auch im Besitz der Hel gewesen ist, und daß der Göttervater Odin die Verfügungsgewalt über diesen Met an sich gerissen hatte.

Vermutlich werden Gilling und die beiden Zwerge ursprünglich der Göttervater Tyr und seine beiden Pferde-Söhne gewesen sein. Als Riese bzw. Zwerge befinden sie sich im Jenseits. Gillings Frau wird einst die Jenseitsgöttin gewesen sein.

Bei der Übertragung des Stellung des Göttervaters von Tyr auf Odin ist Odin an die Stelle des wiedergeborenen Tyr getreten, den er als Schamanengott wohl schon vorher auf dieser Reise begleitet haben wird. Durch den Tod des Tyr und seiner beiden Söhne am Abend bzw. im Herbst ist der Met in das Jenseits gelangt – und durch die Jenseitsreise des Odin wird der Met aus der Unterwelt wieder zurück zu den Göttern und den Menschen geholt.

Diese Mythe beschreibt zwar die Entstehung des Göttermets, aber sie ist in erster Linie eine Beschreibung, wie die Macht über den Göttermet von dem ehemaligen Göttervater Tyr (Gilling) auf Odin überging. Diese Variante der Göttermet-Mythe ist demnach frühestens um 500 n.Chr. verfaßt worden.

I 2. b) Havamal

In dem „Lied des Hohen“, also der Weisheitssprüche-Sammlung des Odin, berichtet Odin selber über seine Reise zu Gunnlöd.

Odin:

„Den alten Riesen besucht ich, nun bin ich zurück:

Mit Schweigen erwarb ich da wenig.

Manch Wort sprach ich zu meinem Gewinn

In Suttungs Saal.

alter Riese = Tyr-Suttung (Vater der Gunnlöd)

Wort = vermutlich ein Rätselwettstreit

Gunnlöd schenkte mir auf goldnem Sitz

Einen Trunk des teuren Mets.

Übel vergolten hab ich gleichwohl

Ihrem heiligen Herzen,

Ihrer glühenden Gunst.

Sitz = Sitz der Göttin im Jenseits; entspricht dem Sehersitz des Odin

übel = Odin hat Gunnlöd wieder verlassen, nachdem er drei Nächte mit ihr verbracht hat.

Ratamund ließ ich den Weg mir räumen

Und den Berg durchbohren;

In der Mitte schritt ich zwischen Riesensteigen

Und hielt mein Haupt der Gefahr hin.

Riesen = Jenseitswesen; deren Steige = Jenseitsweg (Gang in das Hügelgrab; das von Baugi in das Hügelgrab gebohrte Loch)

Gefahr = der Tod auf dem Jenseitsweg (Jenseitsreise)

Ich erlangte die Früchte einer geschickten Verwandlung

– wenig mißlingt dem Weisen –

denn Odrörir ist nun heraufgekommen

zu den Wohnstätten der Menschen.

Verwandlung = Odins Schlangengestalt; deren Früchte = der Raub des Mets

Odrörir = „Ekstasetrank“ = Göttermet (Hier wird der Name für den Trank und nicht wie in der Skaldskaparmal für das Gefäß für diesen Trank benutzt.)

Zweifel heg ich, ob ich heim wär gekehrt

Aus der Riesen Reich,

Wenn mir Gunnlöd nicht half, die herzige Maid,

Die den Arm um mich schlang.

Riesen-Reich = Jenseits

Gunnlöds Hilfe = ursprünglich die Wiedergeburt durch die Jenseitsgöttin

Die Eisriesen eilten des andern Tags

Des Hohen Rat zu hören in des Hohen Halle.

Sie fragten nach Bölwerk, ob er heimgefahren sei

Oder ob er durch Suttung fiel.

Hoher = hier nicht Odin, sondern Tyr-Suttung; seine Halle = Grabkammer im Hügelgrab

Bölwerk = Odin

Den Ringeid, sagt man, hat Odin geschworen:

Wer traut noch seiner Treue?

Den Suttung beraubt er mit Ränken des Mets

Und ließ sich Gunnlöd grämen.“

Ränke = List, Betrug

… … …

Später in diesem Lied berichtet Odin noch auf eine andere Weise über das Erlangen des Göttermets:

Ich weiß, daß ich hing am windigen Baum

Neun lange Nächte,

Vom Speer verwundet, dem Odin geweiht,

Ich selber mir selbst,

Am Ast des Baumes, dem man nicht ansehn kann

Aus welcher Wurzel er sproß.

Das Hängen am Weltenbaum entspricht der Reise in das Hügelgrab der Gunnlöd. Die „Gefahr“ ist hier das Hängen. Die „neun Nächte“ weisen noch einmal auf die Jenseitsreise hin.

Sie boten mir nicht Brot noch Met;

Da neigt ich mich nieder

Auf Runen sinnend, lernte sie seufzend:

Endlich fiel ich zur Erde.

nieder = zur Unterwelt

Hauptlieder neun lernt ich von dem weisen Sohn

Bölthorns, Bestlas Vater,

Und trank einen Trunk des teuren Mets

Aus Odhrörir geschöpft.

neun = Jenseits

Bestlas Vater, Bölthorns Sohn = Odins Großvater müttlerlicherseits – vermutlich eine der vielen Formen des ehemaligen Göttervaters Tyr, von dem Odin historisch gesehen die Runen-Kenntnisse übernommen hat

Zu gedeihen begann ich und begann zu denken,

Wuchs und fühlte mich wohl.

Wort aus dem Wort verlieh mir das Wort,

Werk aus dem Werk verlieh mir das Werk.