Leo N. Tolstoi: Kaukasische Erzählungen

 

 

Leo N. Tolstoi

Kaukasische Erzählungen

 

 

 

Leo N. Tolstoi: Kaukasische Erzählungen

 

Übersetzt von Raphael Löwenfeld

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Lev Lagorio, Schlucht im Kaukasus, 1893

 

ISBN 978-3-7437-1471-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1297-3 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1298-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorwort

Vom Sommer 1851 bis zum Herbst 1853 war Leo Tolstoj als Offizier im Kaukasus. Die neue Welt, die ihn hier umgab, wirkte auf den Dichter mit solcher Macht ein, daß auch die kurze Zeit seines Aufenthalts ungemein reiche Früchte trug.

Der Kaukasus lebte in der Vorstellung des gebildeten Russen als ein fernes Paradies, in dem der seelenkranke Westeuropäer Gesundung findet. Diese romantische Vorstellung von den Gebirgsländern, die an der Scheide Europas und Asiens liegen, hatten die Lyrik Puschkins, die Erzählerkunst Lermontows und die Romanschilderungen Marlinskijs erzeugt. Leo Tolstoj tritt an die neue Welt, die sich ihm auftut, mit unverschleiertem Blick heran und entkleidet sie ihres erborgten Reizes. Nicht geringer ist für ihn die Majestät der Natur, nicht schwächer die Eindrücke, die der Mensch der Unkultur und der unter ihrem Einflusse veränderte russische Mann aus den niederen Schichten des Volks auf ihn machen. Aber anders geartet ist alles. Es ist der Unterschied des Wirklichkeitsbildes und der idealisierenden, absichtsvollen Selbsttäuschung.

Die Werke, die dieser Zeit ihre Anregung verdanken, sind: »Ein Überfall«, »Der Holzschlag«, »Eine Begegnung im Felde mit einem Moskauer Bekannten« und »Die Kosaken«. Ich habe alle vier (in meiner Biographie Leo Tolstojs) unter dem gemeinsamen Titel »Kaukasische Erzählungen« zusammengefaßt. Nicht alle vier sind im Kaukasus selbst niedergeschrieben: »Ein Überfall« ist aus dem Jahre 1852, »Der Holzschlag« ist in den Jahren 1854/55 zu Papier gebracht, mitten unter den Stürmen der Sewastopoler Kämpfe, »Eine Begegnung im Felde« stammt aus dem Jahre 1856, und »Die Kosaken« sind gar erst ein Jahrzehnt später (1861) zum Abschluß gediehen und im Jahre 1863 veröffentlicht.

Alle diese Erzählungen durchzieht als leitender Gedanke: die Abneigung gegen die Kultur und die Gesellschaftsschicht, die sich als ihre ausschließliche Eigentümerin fühlt, und die Liebe zu dem schlichten Volk, das unbewußt Tugenden bewahrt hat, die dem Gebildeten fehlen. Hie und da bricht auch schon ernster die Verabscheuung des Krieges hindurch, eine Idee, die später, gestützt auf den Satz des Evangeliums: »daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel« zu einer der wichtigsten Grundsätze Tolstojscher Weltanschauung geworden ist.

Raphael Löwenfeld

 

Ein Überfall

Erzählung eines Freiwilligen

1.

Es war am 12. Juli, Kapitän Chlopow trat in Epauletten und Säbel – einer Uniform, in der ich ihn seit meiner Ankunft im Kaukasus noch nie gesehen hatte – durch die niedrige Tür meiner Erdhütte ein.

Ich komme direkt vom Obersten, antwortete er auf den fragenden Blick, mit dem ich ihm entgegenkam. Morgen rückt unser Bataillon aus.

Wohin? fragte ich.

Nach N. N., dort sollen sich die Truppen sammeln.

Und von da wird es gewiß einen Marsch geben.

Wahrscheinlich.

Wohin aber, was glauben Sie?

Was ich glaube? Ich sage Ihnen, was ich weiß. Gestern Nacht kam ein Tatar vom General hergesprengt und brachte den Befehl, das Bataillon solle ausrücken und für zwei Tage Zwieback mitnehmen; wohin es geht, weshalb und wie lange, danach, Freundchen, fragt man nicht; der Befehl ist da, und das genügt.

Wenn aber nur für zwei Tage Zwieback mitgenommen werden soll, so werden wohl auch die Mannschaften nicht länger unterwegs bleiben?

Nun, das will noch gar nichts sagen ...

Wie denn aber? fragte ich verwundert.

Das ist einmal so! Wir marschierten nach Dargi, für acht Tage nahmen wir Zwieback mit und blieben fast einen Monat dort.

Werde ich mit Ihnen mitgehen dürfen? fragte ich nach einer kurzen Pause.

Dürfen werden Sie schon, aber ich rate Ihnen, gehen Sie lieber nicht mit. Warum sollen Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen? ...

Nein, Sie müssen mir schon gestatten, Ihrem Rate nicht zu folgen. Ich habe hier einen ganzen Monat ausgehalten, um endlich die Gelegenheit abzuwarten, ein Gefecht mit anzusehen, und nun wollen Sie, daß ich sie vorübergehen lasse.

Bitte, kommen Sie mit; aber, wahrhaftig, ist es nicht gescheiter, Sie bleiben hier? Sie könnten hier abwarten, bis wir wiederkommen, Sie könnten jagen, und wir werden mit Gott ausrücken. Das wäre prächtig! – sagte er in so überzeugendem Tone, daß es mir im ersten Augenblick wirklich so vorkam, als wäre das herrlich; dann sagte ich entschlossen, daß ich um keinen Preis zurückbleibe.

Und was wollen Sie denn dort sehen? fuhr der Kapitän fort mir zuzureden. Sie möchten gern wissen, wie es in einer Schlacht zugeht? Lesen Sie Michajlowskij-Danilewskijs »Beschreibung des Kriegs«, ein wundervolles Buch! Da ist alles ausführlich beschrieben: wo die einzelnen Korps gestanden haben, wie die Schlachten vor sich gehen.

O nein, das interessiert mich nicht, antwortete ich.

Nun was denn: Sie wollen also, wie es scheint, einfach mit ansehen, wie man Menschen totschlägt? ... Da war hier im Jahre 32 auch so ein Zivilist, ein Spanier war es, glaube ich. Zwei Feldzüge hat er mit uns mitgemacht, in seinem blauen Mäntelchen – schließlich haben sie den Burschen abgemurkst. Hier, Väterchen, wird kein Mensch dich viel bewundern ...

So peinlich es mir auch war, daß der Kapitän meine Absicht in so häßlichem Sinne auslegte, gab ich mir doch keine Mühe, ihm eine andere Überzeugung beizubringen.

War er tapfer? fragte ich ihn.

Das weiß Gott: er war immer in den ersten Reihen; wo man Gewehrknattern hörte, sah man ihn.

Er muß also wohl tapfer gewesen sein, sagte ich.

Nein, das nennt man nicht tapfer, wenn einer überall herumrennt, wo man ihn nicht braucht ...

Was nennen Sie also tapfer?

Tapfer? ... Tapfer? wiederholte der Kapitän, mit der Miene eines Menschen, dem eine solche Frage zum erstenmal vorgelegt wird: Tapfer ist, wer sich so benimmt, wie sich's gehört, sagte er nach einigem Nachdenken.

Mir fiel ein, daß Plato die Tapferkeit definiert als »die Kenntnis dessen, was man zu fürchten hat und was man nicht zu fürchten hat«, und trotz der Allgemeinheit und Unklarheit des Ausdrucks in der Definition des Kapitäns, meinte ich, der Grundgedanke beider sei gar nicht so schlecht, wie es scheinen mochte, ja die Definition des Kapitäns sei sogar richtiger, als die Definition des griechischen Philosophen; denn hätte er sich so auszudrücken verstanden, wie Plato, so würde er sicher gesagt haben: Tapfer ist, wer nur das fürchtet, was man fürchten muß, und nicht das, was man nicht zu fürchten braucht.

Ich hatte Lust, dem Kapitän meinen Gedanken klarzumachen.

Ja, sagte ich, in jeder Gefahr, glaube ich, haben wir eine Wahl, und eine Wahl, die z. B. unter dem Einfluß des Pflichtgefühls getroffen ist, ist Tapferkeit, und eine Wahl, die unter dem Einfluß eines niedrigen Gefühls getroffen ist, ist Feigheit; darum kann man einen Menschen, der aus Eitelkeit, aus Neugier oder aus Habsucht sein Leben aufs Spiel setzt, nicht tapfer nennen, und umgekehrt einen Menschen, der unter dem Einfluß des ehrenwerten Gefühls von Familienpflicht oder einfach der Überzeugung – einer Gefahr aus dem Wege geht, nicht einen Feigling nennen.

Der Kapitän sah mich, während ich sprach, mit einem sonderbaren Blick an.

Ja, das verstehe ich nicht mehr, sagte er und stopfte dabei sein Pfeifchen; aber wir haben hier einen Junker, der philosophiert euch gern. Mit dem müssen Sie sprechen. Er macht auch Verse.

Ich hatte den Kapitän erst im Kaukasus kennen gelernt, aber gekannt hatte ich ihn schon in Rußland. Seine Mutter, Maria Iwanowna Chlopowa, war Besitzerin eines kleinen Gütchens, zwei Werst von meiner Besitzung. Vor meiner Abreise nach dem Kaukasus war ich bei ihr gewesen; die Alte war sehr erfreut, daß ich ihren Paschenka (wie sie den alten, grauen Kapitän nannte) aufsuchen wollte und – ein lebendiger Brief – ihm von ihrem Leben und Treiben erzählen und ein Päckchen überbringen konnte. Sie hatte mir einen vorzüglichen Pirogg und Spickgans vorgesetzt, dann ging sie in ihr Schlafzimmer und kam von da mit einem schwarzen, ziemlich großen Heiligenbilde zurück, an dem ein Seidenbändchen befestigt war.

Das ist das Bild unserer Mutter Gottes, der Fürsprecherin, vom brennenden Dornbusch, sagte sie, bekreuzte sich, küßte das Bild der Gottesmutter und überreichte es mir: überbringen Sie ihm das, Väterchen. Sehen Sie, als er nach dem Kaukasus ging, habe ich eine Messe lesen lassen und ein Gelübde getan, wenn er gesund und unversehrt bleibt, dieses Mutter-Gottesbild zu bestellen. Nun sind es schon achtzehn Jahre, daß die barmherzige Fürsprecherin und die Heiligen ihn schützen; nicht ein einziges Mal war er verwundet, und in wieviel Schlachten ist er schon gewesen! ... Wie mir Michajlo, der mit ihm war, zu erzählen anfing, glauben Sie mir, die Haare stehen einem zu Berge; sehen Sie, was ich von ihm weiß, weiß ich alles nur von fremden Leuten, er selbst, mein Täubchen, schreibt nichts von seinen Kriegszügen – er fürchtet mich zu ängstigen.

(Schon im Kaukasus hatte ich erfahren, und zwar nicht von dem Kapitän selbst, daß er viermal schwer verwundet gewesen, und es versteht sich von selbst, daß er über die Verwundungen wie über die Feldzüge nie seiner Mutter ein Wort geschrieben hatte.)

Dieses Heiligenbild soll er nun auf seiner Brust tragen, fuhr sie fort, ich segne ihn damit.

Die heilige Fürsprecherin wird ihn beschützen! Besonders in der Schlacht soll er es immer tragen. Sag's ihm, Väterchen, das läßt dir deine Mutter sagen.

Ich versprach ihren Auftrag pünktlich auszuführen.

Ich weiß, Sie werden ihn liebgewinnen, meinen Paschenka, fuhr die Alte fort, er ist ein so prächtiger Mensch! Wollen Sie glauben, kein Jahr geht vorüber, in dem er mir nicht Geld schickt, und meine Tochter, die Annuschka, unterstützt er auch sehr; und alles nur von seinem Gehalt! Mein ganzes Leben werde ich Gott danken, schloß sie mit Tränen in den Augen, daß er mir ein solches Kind geschenkt hat.

Schreibt er Ihnen oft? fragte ich.

Selten, Väterchen, so einmal im Jahre, wenn er Geld schickt, schreibt er wohl ein Wörtchen, sonst nicht. Wenn ich dir nicht schreibe Mütterchen, sagt er, dann bin ich gesund und munter, und wenn, was Gott verhüte, etwas passiert, so wirst du es auch so erfahren.

Als ich dem Kapitän das Geschenk der Mutter überreichte (es war in meinem Zimmer), bat er mich um Umschlagpapier, hüllte es sorgfältig ein und steckte es in die Tasche. Ich erzählte ihm viel und ausführlich über das Leben seiner Mutter – der Kapitän schwieg. Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, ging er in die Ecke und stopfte auffallend lange sein Pfeifchen.

Ja, eine prächtige Frau! sagte er von dort her mit etwas dumpfer Stimme. Ob's mir Gott noch vergönnt, sie wiederzusehen? In diesen einfachen Worten lag sehr viel Liebe und Sehnsucht.

Warum dienen Sie hier? sagte ich.

Man muß doch dienen, antwortete er mit Überzeugung, für einen armen Teufel wie unsereins will das doppelte Gehalt viel sagen.

Der Kapitän lebte sparsam: Karten spielte er nicht, Wein trank er selten und rauchte einen einfachen Tabak, den er, ich weiß nicht warum, nicht Rauchtabak, sondern sambrotalischen Tabak nannte. Der Kapitän hatte mir schon früher gefallen: er hatte eine von den schlichten, ruhigen, russischen Physiognomien, denen man mit Vergnügen und leicht gerade in die Augen sieht; nach dieser Unterhaltung aber empfand ich vor ihm wahre Hochachtung.

 

2.

Am folgenden Tage, um vier Uhr morgens, kam der Kapitän, mich abzuholen. Er trug einen alten, abgetragenen Rock ohne Epauletten, breite Hosen, eine weiße Fellmütze, mit ausgegangenem, gelbgewordenem Schafpelz und einen unansehnlichen, asiatischen Säbel über die Schulter.

Der kleine Schimmel, den er ritt, ging mit gesenktem Kopfe in ruhigem Schritt und schlug beständig mit seinem dünnen Schweife um sich. Obgleich in der Erscheinung des guten Kapitäns nicht nur wenig Kriegerisches, sondern auch wenig Schönes lag, sprach aus ihr doch so viel Gleichgültigkeit gegen alles, was ihn umgab, daß sie unwillkürlich Achtung einflößte.

Ich ließ ihn nicht einen Augenblick warten, bestieg sofort mein Pferd, und wir ritten zusammen zum Festungstore hinaus.

Das Bataillon war uns schon 200 Faden voraus und sah wie eine schwarze, kompakte, schwankende Masse aus. Nur daran konnte man erkennen, daß es Infanterie war, daß die Bajonette wie dichte, lange Nadeln zu sehen waren; von Zeit zu Zeit schlugen die Töne eines Soldatenliedes, einer Trommel oder eines prächtigen Tenors aus der sechsten Kompagnie, den ich schon oft in der Festung mit Entzücken gehört hatte, an unser Ohr. Der Weg ging mitten durch einen tiefen und breiten Engpaß am Ufer eines kleinen Flüßchens entlang, der gerade um diese Zeit »spielte«, d. h. über die Ufer trat. Scharen wilder Tauben flatterten um den Fluß: bald setzten sie sich auf das steinige Ufer, bald beschrieben sie in der Luft schnelle Kreise und entschwanden unsern Blicken.

Die Sonne war noch nicht zu sehen, aber der Gipfel der rechten Seite des Engpasses wurde heller und heller. Die grauen und weißlichen Steine, das gelbgrüne Moos, die taubedeckten Sträucher des Kreuzdorns, der Mispel und der Korkulme traten mit außerordentlicher Deutlichkeit und Plastik in dem durchsichtigen, goldigen Licht der aufgehenden Sonne hervor; dagegen war die andere Seite und der Hohlweg in dichten Nebel gehüllt, der in rauchartigen ungleichen Schichten wogte, feucht und düster, und boten ein unbestimmbares Gemisch von Farben: blaßlila, fast schwarz, dunkelgrün und weiß.

Dicht vor uns an dem dunklen Azur des Horizonts schimmerten in überraschender Helligkeit die hellweißen, matten Massen der Schneeberge mit ihren wunderlichen, bis in die kleinsten Einzelheiten schönen Schatten und Umrissen. Grillen, Heuschrecken und tausend andere Insekten erwachten im hohen Grase und erfüllten die Luft mit ihrem hellen, ununterbrochenen Klingen: es war, als ob eine zahllose Menge winziger Glöckchen in unsern eigenen Ohren tönte. Die Luft duftete nach Wasser, Gras und Nebel, mit einem Wort, sie duftete nach einem schönen Sommermorgen. Der Kapitän schlug Feuer und zündete sein Pfeifchen an, der Geruch des sambrotalischen Tabaks und des Zunders kam mir außerordentlich angenehm vor.

Wir ritten neben dem Weg einher, um die Infanterie schneller einzuholen. Der Kapitän schien nachdenklicher als gewöhnlich, ließ sein daghestanisches Pfeifchen nicht aus dem Munde und stieß bei jedem Schritt mit den Fersen sein Pferd an, das, von einer Seite auf die andere schwankend, eine kaum merkliche, dunkelgrüne Spur in dem feuchten, hohen Grase zurückließ. Unter seinen Füßen flog mit Gackern und mit dem Flügelschlage, bei dem der Jäger unwillkürlich zusammenzuckt, ein Fasan auf und stieg langsam in die Höhe. Der Kapitän schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit.

Wir hatten das Bataillon beinahe schon eingeholt, als hinter uns der Hufschlag eines heransprengenden Pferdes hörbar wurde, und in demselben Augenblick sprengte ein sehr hübscher, junger Bursche in Offiziersuniform und in einer hohen, weißen Fellmütze vorüber. Als er uns erreicht hatte, lächelte er, nickte dem Kapitän zu und schwang sein Peitschchen ... Ich hatte Zeit zu bemerken, daß er mit besonderer Anmut im Sattel saß und die Zügel hielt, und daß er schöne, schwarze Augen, eine feine Nase und ein eben sprossendes Schnurrbärtchen hatte. Besonders hatte mir an ihm gefallen, daß er das Lächeln nicht hatte unterdrücken können, nachdem er gesehen, daß wir Freude an seinem Anblick hatten. Aus diesem Lächeln allein hätte man schon schließen können, daß er noch sehr jung war.

Wohin eilt er? brummte der Kapitän mit mürrischer Miene, ohne den Tschibuck aus dem Munde zu nehmen.

Wer ist das? fragte ich.

Der Fähnrich Alanin, ein Subaltern-Offizier meiner Kompagnie ... Er ist erst im vorigen Monat aus dem Kadettenkorps hierher gekommen.

Er geht gewiß zum erstenmal in eine Schlacht? sagte ich.

Darum ist er auch so glücklich ... – antwortete der Kapitän, tiefsinnig den Kopf wiegend. O, die Jugend!

Warum sollte er denn nicht froh sein? Ich kann mir wohl denken, daß das für einen jungen Mann sehr interessant sein muß.

Der Kapitän schwieg einige Minuten.

Ja, ja, ich sage: die Jugend! fuhr er in tiefem Tone fort, wie kann man sich freuen, ehe man noch etwas gesehen hat? Wenn du erst öfter ins Feld gezogen bist, wirst du dich nicht mehr freuen. Wir sind jetzt, sagen wir, zwanzig Offiziere, einer oder der andere fällt oder wird verwundet, das ist gewiß. Heut gilt es mir, morgen gilt es dir, übermorgen einem dritten: was gibt es da für einen Grund zur Freude?

 

3.

Die helle Sonne war kaum hinter dem Berge hervorgekommen und ergoß ihr Licht in das Tal, durch das wir zogen, die wogenden Nebelwolken zerstreuten sich, und es wurde heiß. Die Soldaten marschierten mit ihren Gewehren und Säbeln auf dem Rücken langsam die staubige Straße dahin, in den Reihen hörte man von Zeit zu Zeit ein Gespräch in kleinrussischer Mundart und Gelächter. Einige alte Soldaten in weißen Kitteln, – meist Unteroffiziere –, gingen neben dem Wege, mit dem Pfeifchen im Munde, und plauderten ruhig. Vollgepackte, dreispännige Fuhren bewegten sich Schritt für Schritt vorwärts und wirbelten den dichten, schwerfälligen Staub auf. Die Offiziere ritten voran: die einen dshigitierten, wie man im Kaukasus sagt, d. h. sie schlugen das Pferd mit der Peitsche und ließen es vier, fünf Sprünge machen, dann parierten sie es auf der Stelle und schwenkten den Kopf nach rückwärts. Die anderen schenkten den Spielleuten ihre Aufmerksamkeit, die trotz Glut und Stickluft unermüdlich ein Lied nach dem andern spielten.

Gegen 100 Faden vor der Infanterie ritt auf einem großen Schimmel neben den berittenen Tataren ein schlanker und schöner Offizier in asiatischer Tracht; er war im ganzen Regiment wegen seiner tollkühnen Tapferkeit bekannt und als ein Mann, »der jedem die Wahrheit in die Augen wirft«. Er trug ein schwarzes Beschmet mit Silberborte, ebensolche Beinkleider, neue, eng an den Füßen anliegende Stiefel mit Tschirasen (Galons), einen gelben Tscherkessenrock und eine hohe nach hinten eingedrückte Fellmütze. Über Brust und Rücken liefen silberne Borten, daran hingen auf dem Rücken Pulverhorn und Pistole; eine zweite Pistole und ein Dolchmesser in silberner Scheide hingen am Gürtel. Über der Kleidung war sein Säbel in schöner Saffianscheide mit Silberbesatz umgürtet, über die Schultern hing die Windbüchse in schwarzem Überzug. Aus seiner Tracht, seiner Haltung und aus seinem ganzen Gebahren, überhaupt an allen seinen Bewegungen war ersichtlich, daß er sich Mühe gab, wie ein Tatar auszusehen. Er sprach auch mit den Tataren, die neben ihm ritten, in einer mir unbekannten Sprache; aber an den verwunderten, spöttischen Blicken, die diese letzteren einander zuwarfen, glaubte ich zu erkennen, daß sie ihn nicht verstanden. Es war einer von unseren jungen Offizieren, einer der kühnen Ritter und Dshigiten, die sich an dem Muster von Marlinskij und Lermontow schulen. Diese Leute sehen den Kaukasus nur durch das Prisma der Helden unserer Zeit, eines Mulla Nur und ähnlicher und lassen sich in allen ihren Handlungen nicht von den eigenen Neigungen leiten, sondern von dem Beispiel dieser Vorbilder.