Joris-Karl Huysmans: Gegen den Strich

 

 

Joris-Karl Huysmans

Gegen den Strich

(À rebours)

 

 

 

Joris-Karl Huysmans: Gegen den Strich. (À rebours)

 

Vollständige Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

James Tissot, Ein Dandy, 1873

 

ISBN 978-3-8430-5533-8

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-3063-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-3066-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Joris-Karl Huysmans

Aus dem Aufsatz »Moderne französische Romanschriftsteller« von Jan ten Brink. Erschienen 1889 in der »Zeitschrift für französische Sprache und Litteratur« Band 11, S. 41-64 im Verlag von Eugen Franck, Leipzig. Übersetzt von Lina Schneider, Köln.

Gegen den Strich

Erstdruck: Paris (Charpentier) 1884. Originaltitel: A rebours. Übersetzt und behutsam gekürzt von Martha Capsius, Schuster und Löffler Verlag Berlin, 1897.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Huysmans, J[oris-]K[arl]: Gegen den Strich. Übers. v. Martha Capsius, Berlin, 1897.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Joris-Karl Huysmans

1848-1907

 

Die Familie Huysmans stammt aus Holland. Der Vater des Romanschriftstellers J. K. Huysmans, Godfried Huysmans, war Maler und stammte aus Breda. In Paris, wo er Rue Suger 11 wohnte, wurde ihm von seiner Frau, der Tochter eines Ministerialbeamten Gérard, ein Knabe geboren, der die Namen Joris Karl erhielt. Durch Abstammung und Geburtsort ist Huysmans somit ein französischer Niederländer oder ebensogut ein niederländischer Franzose. Beide Nationalitäten spiegeln sich in seinen Kunstprodukten wider, die stets die Neigung verraten, mit Worten zu malen und über Maler zu sprechen. Mehrere seiner Vorfahren waren Maler. Ein Oheim gab Unterricht im Zeichnen und Malen in Breda und Tilburg. Unter seinen Ahnen steht auch Cornelis Huysmans, von dem das Louvre Gemälde aufzuweisen hat.

Huysmans' Romane und Novellen selbst erzählen uns, welch altmodische klassische Bildung er in seiner Jugend erhalten hat. Er besuchte eine jener Schulen, in denen man jahrelang nichts als Lateinisch lernt, und wo die spes patriae in grosser Anzahl sich zusammenfindet, um sich an den armen pions (den Aufsehern über die Schularbeiten der Knaben) für die Langeweile der endlosen Schulstunden zu rächen. Huysmans, der in jedem seiner Romane, in allen seinen Novellen etwas aus seinem eigenen Leben, aus seinen Träumen und Leiden erzählt, hat uns den Aufenthalt in der Schule in seinem Roman En ménage geschildert.

Sehr anschaulich beschreibt er da, wie er in seinem achten Lebensjahre weinend in die Schule eintritt ; wie ihn seine Eltern Sonntags von dort abholen, während andere, die keine Angehörigen haben, in den einsamen Schullokalen unter Aufsicht des mürrischen pion zurückbleiben, der sie nicht einmal aus dem Zimmer gehen lässt, wenn sie den Finger in die Höhe streckten um zu fragen: »Est-il permis de sortir?« Er erzählt uns, wie der Gedanke, abends wieder in die Schule zurückkehren zu müssen, ihm stets seinen freien Sonntag verdorben habe. Schon bei Tische sah man nach der Uhr. »Tummle Dich«, sagte die Mutter, »es wird bald Zeit!« Die Mahlzeit war erst halb zu Ende, da steckte man ihm sein Dessert in die Tasche, – ein eiliger Abschied – dann brachte ihn das Dienstmädchen in die Schule zurück. Wie unangenehm berührten ihn die belebten Straßen. Voll Neid sah er die Kinder der Armen sich frei herumtreiben. Er schielte nach den großen Anschlagzetteln der Theater, und ärgerte sich, dass er zurück in die Schule musste. Er wäre gern langsam gegangen, aber die Magd trieb zur Eile, sie hatte Ausgangstag.

In der Schulstube war alles dunkel. Man glaubte in einen Keller zu kommen. Als das Dienstmädchen fort ging, wäre er beinahe in Tränen ausgebrochen. Sein Weg ging in den Schlafsaal. Der pion drohte mit Strafe, wenn man beim Treppensteigen zu hart auftrat.

Der Eindruck, den das Schulleben in Huysmans zurückgelassen hat, ist ein bleibender. Es bildet sich geradezu Hass gegen die pions in ihm aus, obgleich er einsieht, dass das Leben dieser Unglücklichen keineswegs beneidenswert sei. Dann beklagt er sich über die schlechte Kost, die in steter Regelmäßigkeit abwechselnd, immer dieselbe bleibt: fettes Hammelfleisch und Möhren mit warmem Wasser Montags; Kalbfleisch und schlechter Käse Dienstags; Rüben mit brauner Sauce und Sauerampfer Donnerstags, lauter Speisen, die ihn krank machten; Makkaroni ohne Käse, ungenießbare Erbsensuppe und in verbranntem Fett gebackene Kartoffeln.

Er äußert sich sehr bitter über die kalten Schlafzimmer, deren Fenster par raison d'hygiène beständig offen blieben; dessen ungeachtet herrschte im Sommer eine dumpfe ekelerregende Atmosphäre. Früh um sechs rief der Stiefelputzer die armen Jungen wach. Freilich klagt er auch in echter Knabenungerechtigkeit, wie er sich Jahr aus, Jahr ein an den »plumpen Witzen des Horaz und den dummen Aufschneidereien des Homer« hätte erlustigen müssen. Diese Worte zeigen, dass Huysmans schon als Knabe die krankhaft unzufriedene Stimmung kannte, die im Anfang des 19. Jahrhunderts die Welt beherrschte, und die man in Deutschland »Weltschmerz«, in England »Spleen« zu nennen pflegt, eine Stimmung, die den späteren Philosophen höchst wichtige Bausteine für ihre Theorien über den Pessimismus geliefert hat; ein Zug der Zeit, der sich unter dem einförmigen russischen Himmel und unter dem Zusammenwirken von traurigen, historischen Ereignissen zu dem trostlosen Prinzip des Nihilismus entwickelt hat.

Der arme Junge klagt ferner, dass er Racine und Virgil, Cicero und Boileau auswendig lernen muss, dass er dagegen nichts Nützliches lernt; dass er Montags voll Verzweiflung die lange Woche begann, dass erst Donnerstag ein Hoffnungsschimmer in ihm erwachte, endlich werde doch wieder Sonntag kommen. Seine einzige Freude war die große Ferienzeit im Juli, und die Vorfreude darauf, wenn die Jungen mit ganz außerordentlicher Ungeduld sich anstrengten, wie sie über die unglückseligen pions ein Strafgericht ergehen lassen konnten.

Was auch in diesen Klagen übertriebenes sein möge, sicher ist es doch, dass Huysmans keine glückliche Jugend hatte. Er erfuhr nur allzu früh, dass die Leiden der Armut die Kinder unbemittelter Eltern schwer niederdrücken. Seinen Vater scheint er früh verloren zu haben. Nachdem er die vorgeschriebenen Examen abgelegt hatte, gab er Unterricht an Kinder begüterter Familien. Eine Erbschaft, die ihm ein Bruder seiner Mutter hinterließ, rettete ihn aus der tiefsten Bedrängnis.

Der junge Huysmans war beim Beginn des deutsch-französischen Krieges zweiundzwanzig Jahre alt. Er trat als Freiwilliger in die französische Armee ein, wie er dies uns selbst in der Novellensammlung Les Soirées de Médan in der Erzählung Sac au dos schildert.

Sie fangt so an: »Als ich meine Schulzeit absolviert hatte, suchte ich auf den Wunsch meiner Familie den gefürchteten grünen Tisch auf, um den mehrere alte Herren saßen, die voll Eifer untersuchten, ob ich genug von den toten Sprachen wisse, um zu dem Rang eines bachelier zugelassen zu werden.

Ich legte ein gutes Examen ab. Ein gemeinschaftliches Mahl versammelte die ganze Familie um mich her; man sprach über meine Zukunft, und entschied sich dahin, dass ich Jurisprudenz studieren sollte.

Bald stand ich vor meinem ersten akademischen Examen. Ich verkehrte viel im Quartier latin, woselbst ich die Bekanntschaft von Studenten machte, die alle Abende bei einem Glas Bier ihre politischen Meinungen austauschten. In dieser Zeit las ich die Werke von Georges Sand und Heine, von Edgar Quinet und Henri Murger.

So verlief ein Jahr. Die allgemeinen Wahlen vor dem Zusammenbruch des zweiten Kaiserreichs (Mai 1869) ließen mich kalt. Da ich weder einen Senator, noch einen Ausgewiesenen Vater nannte, musste ich mich ja unter jeder Regierung dem Zustande von Dürftigkeit und Entbehrung, in dem meine Familie schon lange lebte, unterwerfen.

Meine juristischen Studien machten mir wenig Freude. Mir war, als hätte man die Gesetzentwürfe absichtlich so schlecht geschrieben, um gewissen Leuten genügende Gelegenheit zu kleinlichem Streite über dies oder jenes Wort zu geben. Und noch heute steht es bei mir fest, dass ein deutlich formulierter Satz niemals Gelegenheit zu vielerlei Deutungen geben kann.

Ich dachte über diesen oder jenen Beruf nach, den ich ohne inneren Widerstreit hätte ausüben können, als mir plötzlich der Kaiser selbst einen verschaffte: die Ungeschicklichkeit seiner Politik machte mich zum Soldaten.«

Der Exkaiser Napoleon III. starb am 9. Januar 1873 zu Chislehurst. Huysmans' Novelle, oder besser gesagt, Lebensgeschichte aus den Jahren 1870 und 1871 erschien gegen 1880. Die düstere, niedergeschlagene Stimmung – aus der Armut und Entbehrung seiner Knaben- und Jünglingsjahre erzeugt – spricht deutlich aus dem Anfang des Sac au dos.

Huysmans wurde Soldat, obgleich er sich für den Krieg durchaus nicht begeistern konnte. Er wurde der garde mobile de la Seine zugeteilt, ging fortan in dunkelblauer Jacke und hellblauer Hose mit breitem, roten Streifen, und zog an einem gewitterschwülen Juliabend mit einem schweren Ranzen auf der Schulter an die bedrohten Grenzen. Vorläufig musste er in Châlons bleiben, woselbst die jungen Soldaten an allem Mangel litten, wo nichts geordnet war; keine Kantine, kein Stroh, keine Mäntel, keine Waffen; nichts war da.

Schon nach Verlauf einiger Tage machte ihn die Feuchtigkeit seines Zeltes krank. Man bringt ihn in eine überfüllte Ambulance, gibt ihm einen grauen Mantel mit Kapuze, eine rote Hose und eine weiße Schlafmütze. Der Lazarettarzt zeigt sich gegen seine Patienten als unerträglichen Tyrannen. Noch nicht vollständig wieder hergestellt, muss Huysmans die Uniform wieder anziehen: die Preußen nähern sich Châlons. Noch sehr schwach, litt er ganz außerordentlich bei der Eisenbahnfahrt. Wenn er es nicht selbst erzählte, würde man kaum glauben, dass französische Soldaten unterwegs die Buffets französischer Bahnhöfe plünderten. Immer noch leidend kam er, ohne sich daselbst aufhalten zu können, in Paris an; weiter ging es nach Arras, wo er Aufnahme im städtischen Hospital fand, nicht im Hôtel des Erzbischofs, der seine Gastlichkeit nur Verwundeten, nicht aber Kranken angedeihen ließ.

Die ganze Kriegszeit hat Huysmans in Hospitälern und Ambulancen zugebracht; am längsten war er in Evreux. Nachdem der Krieg und das Leid der Kommune vorüber waren, widmete er sich endlich der literarischen Tätigkeit.

Von seinem weiteren Leben bleibt nur wenig zu berichten. Huysmans verstand die Kunst nicht, Kapital aus seinen Arbeiten zu schlagen, arbeitete auch mit wenig Leichtigkeit; so stellte es sich bald heraus, dass er von seiner Feder nicht leben konnte. Glücklicherweise fand er eine Stellung im Ministerium des Innern; heute hat er es bis zum sous-chef-de bureau gebracht.

Von 1874-1887 veröffentlichte er:

 

1874. Le Drageoir aux épices. Paris. Dentu. (Erste Auflage vergriffen, zweite Auflage, Paris, Maulet, 1875, ebenfalls.)

1876. Marthe. Brüssel. Jean Gay. (Vergriffen.) Zweite Auflage unter dem Titel: Marthe, histoire d'une fille. Avec une eau-forte impressioniste de J.-L. Forain. Paris. Derveaux. 1879.

1879. Les sœurs Vatard. Paris. G. Charpentier. (Fünf Auflagen.)

1880. Croquis Parisiens. (Eaux-fortes de Forain et Rafaëlli.) Paris. Henri Vaton. (Prachtausgabe auf Büttenpapier mit roten Anfangs- und Schlussvignetten, sowie Initialen.) Vergriffen. Zweite Auflage: Imprimé dans le format presque perdu de quelques eucologes. Nouvelle édition, augmentée d'un certain nombre de pièces et d'un portrait. Paris. Léon Vanier, Editeur des Modernes, 1886.

1881. En Ménage. Paris. G. Charpentier. (Vier Auflagen.)

1882. A veau l'eau. Brüssel. Kistemaeckers. Vergriffen.

1883. L'Art moderne. Paris. G. Charpentier.

1884. A Rebours. Paris. G. Charpentier & Cie.

1886. En Rade. Roman, erschienen in der Revue independante 1886-1887.

 

Ferner schrieb Huysmans:

 

1880. Sac au dos, in Les soirées de Médan. Paris, Charpentier, 1880. Zehn Auflagen.

1881. Pierrot sceptique, avec dessins en couleur de Chéret. Mit Léon Hennique. Paris. Rouveyre.

1887. Un dilemme. Paris, Tresse & Stock.

 
A Rebours

Im Jahre 1884 überraschte Huysmans die literarische Welt mit seinem bedeutendsten Werke, A Rebours.

Eine literarische Revolution ist im Geiste des Verfassers vor sich gegangen. Das Auge immer auf das Sonderbare und Außergewöhnliche gewandt, voll Hass gegen das Alltägliche und Platte, hatte er bei seinen realistischen Untersuchungen durch Übermaß von Studium, durch Aufdröseln der unbedeutendsten kleinen Leiden des menschlichen Lebens, gegen die anständige klassische Lehre gesündigt: ne quid nimis. Er hatte immer nach dem Unbekannten, dem Fremdartigen und Wunderbaren gesucht; hatte immer leidenschaftlich nach dem Raffinement gestrebt. In seinem Buch über die lebenden Meister (L'art moderne, 1883), einer Sammlung von Kritiken über die Pariser Salons (1879–82), lässt er deutlich erkennen, wie sehr seine übermüdeten und gefolterten Sinne nach dem Anblick von etwas Außergewöhnlichem streben. Diejenigen Künstler, die nach dem Urteil der Menge sich eines unbestrittenen Talentes erfreuen, finden vor seinen Augen keine Gnade, weil sie malen, wie man eben gewöhnlich malt. Um Huysmans zu gefallen, muss man Ungewöhnliches leisten, die wirren Träume eines Opiumrausches mit breiten, zusammenhanglosen Zügen – das erscheint ihm als der Gipfelpunkt aller Kunst. Französische Meister wie Carolus Duran, Lefebvre, Landelle, Harpignies, Bonnat (zumal dessen Porträt von Victor Hugo), belgische Meister wie Verhas und de Jonghe, werden mit der äußersten Geringschätzung beiseite geschoben, während er Herkomer und Mesdag hoch erhebt – was diese Beiden freilich auch verdienen; – ebenso Bastian Lepage, Raffaelli, den wunderlichen Maler der Lumpensammler und Landstreicher, Degas, der Tänzerinnen und Clowns malt; Forain, der sich das Publikum der Folies-Bergère zur Darstellung erkoren hat, Zandomeneghi und endlich Odilon Redon, der Gespenster- und Geistererscheinungen auf die Leinwand bringt.

Diesen Eigentümlichkeiten seines Geschmacks in einem literarischen Kunstwerk eine greifbare Gestalt zu geben, scheint ihm Anleitung zum Schaffen des A Rebours gegeben zu haben. Auf dem Titelblatt schreibt er: Il faut que je me réjouisse au-dessus du temps …, quoique le monde ait horreur de ma joie, et que sa grossièreté ne sache pas ce que je veux dire. Er entnimmt diese Worte Ruysbroeck, l'admirable.

Man fühlt sogleich, dass sich der Verfasser in eine für ihn bestimmte, vollständig abgesonderte Welt zurückziehen wird, wo ihn die brutalen Dummheiten der gewöhnlichen Menschen nicht hindern. Es liegt meiner Meinung nach etwas Ungesundes darin, wenn der Künstler aus zu großem Eingenommensein mit sich selbst sich so hoch über seine Zeitgenossen erhebt. Es sprach nicht eben für die Billigkeit und Bescheidenheit des niederländischen Dichters Bilderdÿk, wenn dieser an seinen Freund Tydeman schreibt: »Ich kann in dieser verfluchten Welt nicht leben; wenn ich weiterexistieren soll, muss ich eine Welt à part haben.«

Und solch eine Welt will Huysmans in A Rebours uns vorführen.

Es tritt nur eine Person in diesem Buche auf, der Herzog Jean des Floressas des Esseintes. Er ist dreißig Jahre alt, schwach, nervös, blutarm; er ist der letzte kränkliche Spross eines alten Geschlechtes; sehr bewandert im Lateinischen, weil er in einer Jesuitenschule seine Erziehung genossen hatte; er ärgert sich über die Welt und ihre Freuden, da er sich nach seiner Mündigkeitserklärung durch unmäßigen Gebrauch den Magen daran verdorben hat. Des Esseintes hat vergebens danach gestrebt, eine Erholung in literarischen Kreisen zu finden – er findet in denselben nur Scheinheilige und Dummköpfe. Da fasst er den Plan, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und dort den Rest seines Vermögens zu verzehren. Er kauft sich nicht weit von Fontenay-aux Roses ein Haus, ein ganz abgelegenes Landhaus, in welchem ihn niemand stören wird. Dieser neue Wohnort wird nun in einem ganz exquisiten Geschmack eingerichtet. Der Einsiedler, der die Welt aus Übermaß von Sinnengenuss verlässt, will den ganzen Luxus der Welt in seiner einsamen Klause um sich haben.

Der Beschreibung dieses Luxus, dem in eigenartig schönem Stil geschriebenen Protokoll über des Esseintes Beobachtungen in der Einsamkeit, ist das ganze Buch gewidmet. Ehe ich mich über die wirklich arme Erfindung ausspreche, muss ich bekennen, dass A Rebours die Arbeit eines wirklichen, ernstdenkenden Künstlers ist. Blatt für Blatt spricht von einer Feinheit, sowohl der Analyse des psychologischen Zustandes, als auch der Beschreibung des ausgesuchten Luxus Des Esseintes' – die stets den tüchtig gebildeten, wissenschaftlichen Schriftsteller verrät.

Es ist sehr schwer, die kunstvoll stilisierten französischen Sätze entsprechend zu übersetzen, dennoch wage ich den Versuch, um mein Urteil über Huysmans durch einige Stellen seines wunderlichen, aber ausgezeichnet geschriebenen Buches zu begründen. In dem ersten Kapitel erzählt uns Huysmans ausführlich, wie Des Esseintes seine Klausnerhütte einrichtete. In den besten Tagen der Romantik hat Théophile Gautiers reiche Phantasie uns orientalische Pracht und orientalischen Glanz in seiner bekannten Novelle Fortunio geschildert. Huysmans versucht es, all das Gold und Silber, all das funkelnde Kristall, all die glänzenden Kronleuchter der romantischen Soupers, wie sie le bon Théo beschreibt, mit den verborgenen Schätzen zu überstrahlen, die Des Esseintes um sich her ausbreitet.

Vor allen Dingen lebt Des Esseintes nur in der Nacht. Er frühstückt nachmittags um fünf Uhr, speist nachts elf Uhr zu Mittag und nimmt früh fünf Uhr ein leichtes Abendbrot ein.

Ferner hat er sich eine Art kleiner Kajüte bauen lassen, in der ihm seine beiden Bedienten die Tafel herrichten. Sehr merkwürdig ist seine Studierstube und die ausgewählte Bibliothek, die er darin zusammengebracht hat. Alle seine Bücher sind Muster der Buchbinderkunst und alle kostbaren Ausgaben gehören zu ein und derselben Art – es sind lauter lateinische Bücher und zwar aus der spätlateinischen Periode. Seine Vorliebe fürs Lateinische, das er einst in der Schule der Jesuiten gepflegt, hatte ihn zu dieser Wahl bestimmt.

Dem klassischen Latein aus dem großen Zeitalter eines Cicero und Horaz konnte er keinen Geschmack abgewinnen, da ihm das feierliche Geklapper gleichklingender Adjektiva und Substantiva zu sehr an die Gemessenheit der französischen Schriftsteller aus Ludwigs XIV. Zeitalter erinnert. Er hat Widerwillen vor Virgil, weil ihn die Schulmeister den »Schwan von Mantua« nannten, und weil er aufgeputzte Schäfer nicht leiden mag, weil es ihn verstimmte, dass er Orpheus mit einer klagenden Nachtigall verglich, weil er Aristaeus über tote Bienen weinen, und Äneas wie ein chinesisches Schattenbild vom Anfang bis zum Ende des Epos herumlaufen sah. Aber selbst die würdevollen Dummheiten dieser Marionetten hätte er mit Geduld ertragen; er würde übersehen haben, dass Vergil Homer bestiehlt, und nicht diesen allein, sondern auch Theokrit, Ennius und Lucrez; er würde es entschuldigt haben, dass der Dichter im zweiten Buche der Æneis, wie Macrobius nachgewiesen hat, aus einem Gedichte des Peisandros borgt; aber er kann die Hexameter mit ihrem Geklapper wie von Blechtrommeln, wie von leeren Kochtöpfen nicht ertragen; er kann die immer gleichmäßig wiederkehrende Zäsur nicht leiden, er kann es nicht ausstehen, dass jeder Vers mit der langweiligen Aufeinanderfolge eines Daktylus und eines Spondeus schließt.

Es stört ihn überdies, dass dies monotone Metrum so viele nichtssagende Flickworte zulässt, dass die homerischen Epitheta so oft der Kraft, der Plastik, der Farbe entbehren.

War daher seine Bewunderung für Virgil mehr als geteilt, seine Achtung vor den naiven Ausdrücken des Ovid nur sehr mäßig, so war sein Widerwille gegen Horaz geradezu ohne Grenzen.

Er verglich die verzweifelten Anstrengungen dieses Dichters, anmutig zu scheinen, mit den Bemühungen eines Elefanten, Polka zu tanzen; er wollte das unverständige Geschwätz dieses Stümpers nicht anhören, er sah geringschätzig auf diesen weiß angestrichenen Clown herab.

In Bezug auf die Prosa hatte des Esseintes ebenso wenig Wohlgefallen an der bilderreichen Sprache, den unnötigen Metaphern und den wirren Auseinandersetzungen des Cicero. Er war durchaus unzufrieden mit des Mannes geschraubten Sätzen, mit dem Überfluss seiner patriotischen Überschwänglichkeit, mit dem Bombast seiner Reden, mit der Schwerfälligkeit seines Stils, in dem er weder Mark noch Bein fand; mit der unerträglich langen Reihe ebenso langer Beiwörter am Anfang der Sätze; mit dem stets wiederkehrenden Formmotiv seiner gereckten Perioden, das eine Reihe verbindender Worte nur sehr gebrechlich unter sich in Verbindung bringt. Der durch seine Kürze bekannte Cäsar flößte ihm gerade um des Gegenteils willen keine größere Begeisterung ein; seine Sparsamkeit im Ausdruck, seine Trockenheit verletzen ihn.

Mit einem Wort, weder die genannten, noch alle übrigen Schriftsteller, die die Wonne der sogenannten Gelehrten sind, waren nach seinem Geschmack. Sallust, der vielleicht weniger farblos war als die anderen, gefiel ihm nicht; ebenso wenig der sentimentale und feierliche Livius; der bleiche, aufgedunsene Seneca; der wässerige und kränkliche Sueton; auch nicht Tacitus, der in seiner Kürze kräftigste, schärfste, energischste von allen. Auch die Dichter ließen ihn kalt; so Juvenal trotz einzelner vortrefflicher Verse, und Persius trotz seiner mysteriösen Anspielungen. Tibull und Properz, Quintilian und die beiden Plinius, Statius und Martialis von Bilbilis schob er bei Seite, und konnte sich selbst nicht mit Terenz und Plautus einverstanden erklären, trotz des netten Jargons voll Archaismen bei dem letzteren. Die lateinische Literatur wurde für Des Esseintes erst bedeutend mit Lucan.

Lucan, der gewöhnlich wegen des übertriebenen Pathos seiner Pharsalia willen nicht besonders hoch angeschrieben steht, gefiel ihm. Der Aufputz der Lucanischen Verse und das Schillernde seiner Epitheta füllten für ihn die Leere des Inhalte aus und ließen ihn die Gedankenarmut des Dichters übersehen; aber den meisten Vorzug gab er doch Petronius. Seine feine Beobachtungsgabe, seine gewissenhafte Analyse, seine wunderbar schönen Schilderungen, ganz ohne jede Parteilichkeit, des täglichen Lebens in Rom, ließen ihn immer wieder mit neuem Genuss das Satyricon zur Hand nehmen.

Des Esseintes sah in diesem realistischen Roman etwas, woran er ebenso viel fand, wie an den wenigen französischen Romanen, die ihm zusagten. Er fand hier wie dort Schilderungen nach dem Leben ohne jede weitere Nebenabsicht, und, wie sehr man dem auch widersprechen möge, auch ohne Satire. Er fand eine Geschichte ohne Handlung, die Schilderung von den Abenteuern einiger Galgenstricke, ohne eigentlichen Schluss und ohne Moral. Er fand vollkommene Neutralität des Schriftstellers, der niemals seine Meinung äußert, ob er nun die Taten oder Ansichten seiner Personen gutheißt oder tadelt, der uns alle Verkehrtheiten einer verjährten Zivilisation, eines sich auflösenden Staates vorführt.

Er betrauerte es tief, dass Eustion und Albutia, die beiden Werke des Petronius, von denen Planciades Fulgentius spricht, verloren gegangen sind.Aber er tröstete sich als Liebhaber seltener Bücher durch den seltenen Druck des Satyricon аus dem Jahre 1585 von Janus Dousa in Leyden herausgegeben, den er besitzt.

Außer Petronius enthielt die Bibliothek Des Esseintes' noch verschiedene Werke aus dem zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Fronto, dessen trockener Stil voll Archaismen ihn verletzte, und Aulus Gellius, dessen Attische Nächte ihn langweilten, waren aus seiner Sammlung verbannt; den Ehrenplatz nahm Apulejus ein; Des Esseintes besaß eine editio princeps in Folio, gedruckt 1469 in Rom, von dessen Werken.

Dieser Afrikaner gefiel ihm. Das Latein seiner Metamorphosen hatte für ihn etwas Neues, Anziehendes. Seine Neologismen, die für die Umgangssprache in einem römischen Winkel Afrikas erfunden zu sein schienen, entzückten ihn. Der joviale Apulejus bildete einen ergötzlichen Gegensatz zu dem christlichen Apologeten desselben Jahrhunderts, zu dem ermüdenden Minutius Felix, zu Tertullianus u. a., die er alle nur wegen der schönen Drucke seiner Exemplare behielt.

Obgleich Des Esseintes sich ziemlich viel um Theologie bekümmert hatte, ließ ihn doch der Kampf der Montanisten gegen die christliche Kirche, und der Widerstand der letzteren gegen die Gnostiker ziemlich kalt, so dass er Tertullianus' Apologeticus und Abhandlung über die Geduld, trotz ihres höchst eigenartigen Stils, der sich durch Kürze und Doppelsinnigkeit der Ausdrücke auszeichnet, beinahe nie zur Hand nahm, sondern nur zuweilen ein paar Seiten aus seiner Abhandlung De cultu feminarum las, worin Tertullian die Frauen dringend beschwört, sich doch nicht mit edlen Steinen und kostbaren Stoffen zu überladen, sich doch nicht mit Schminke zu bedecken, in der Absicht, dadurch die Natur verbessern und verschönern zu wollen.

Da diese Ideen den seinen gerade entgegengesetzt, machten sie ihm Vergnügen; er fand auch, dass Tertullian als Bischof von Karthago manche Absonderlichkeiten hatte. Er stellte also den Menschen über den Schriftsteller.

Tertullianus lebte in einer sehr stürmischen Zeit, unter Caracalla, unter Macrinus, unter dem wunderlichen Hohenpriester von Emesa, Heliogabalus. Dabei fuhr er ruhig fort, seine Predigten auszuarbeiten, während das römische Reich in seinen Grundfesten erzitterte und die aus Asien Einzug haltende Sittenverderbnis mit Jubel begrüsst wurde. Mit der größten Gemütsruhe predigte er Keuschheit, Mäßigkeit, Einfachheit der Kleider, während Heliogabalus auf Silberstaub und Goldsand wandelte, sich das Haupt mit den priesterlichen Tiaren deckte, ein geistliches Gewand mit Edelsteinen ganz übersät trug, umgeben von seinen Eunuchen Frauenhandarbeiten ausführte und sich Kaiserin nennen ließ …

Des Esseintes sah mit Befriedigung diesen Widerspruch; er hatte auch seine Freude daran, wahrzunehmen, wie das bei Petronius auf der Höhe seiner Entwickelung stehende Latein sich langsam veränderte. Die christliche Literatur verdrängte die altrömische und brachte mit ihrem neuen Gedankenkreis auch neue Worte, neue Wendungen, die vorher im Lateinischen fast ganz unbekannt gewesen waren, da sie abstrakte Begriffe auszudrücken hatten. Tertullianus war einer der ersten, der das Beispiel dazu gab.

Dieser Übergang von dem klassischen ins christliche Latein hatte nicht viel Erfreuliches, als nach Tertullians Tode seine Schüler, St. Cyprianus, Arnobius und der weichliche Lactanz sein Werk fortsetzten. Es war eine teilweise Auflösung der Sprache; zuweilen traten noch ciceronische Wendungen ohne den eigenartigen Duft des vierten Jahrhunderts und der folgenden auf, – des Duftes, den das Christentum der heidnischen Sprache gegeben hat, des Duftes, wie von edlem Wild, das erliegt, gleich der Zivilisation der alten Welt und der beiden Kaiserreiche, die der Gewalt der andringenden barbarischen Völker erlagen.

Nur ein einziger christlicher Dichter, Commodianus von Gaza, repräsentiert das dritte Jahrhundert in der Bibliothek Des Esseintes. Das Carmen apologeticum aus dem Jahre 259 ist eine Blumenlese von Ermahnungen, die in Acrosticha künstlich zusammengefügt, und in Hexametern ohne jegliche Sorge um die Quantität der Sprache und mit reichlichen Hiaten, ja oft selbst in Reimen geschrieben sind, wie wir unter den Dichtungen der christlichen Kirche später noch so viele finden werden.

Aber diese wilden, ungeglätteten Verse mit den rohen Straßenausdrücken flößten ihm größeres Interesse ein, als der vermoderte Stil eines Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor, eines Symmachus oder Macrobius; er zog Commedianus selbst dem Claudianus, Rutilius und Ausonius vor, die noch regelmäßige, klassische Verse schrieben.

Diese Dreizahl stand damals an der Spitze der lateinischen Dichter; sie erfüllten das zusammenstürzende Kaiserreich mit ihren Namen; so der christliche Ausonius mit seinen Hymnen auf Rom, seinen Strafreden gegen die Juden und die Mönche; seiner Beschreibung einer Reise von Rom nach Gallien, worin er sein großes Talent zu Schilderung und Beschreibung an den Tag legt, und mit freier Beobachtungsgabe der Natur ein liebevolles Auge schenkt. So schildert er die Spiegelung der Landschaft im Wasser, den Zug der Nebel um die Spitzen der Berge.

Claudianus, ein wiedererstandener Lucanus, beherrscht das ganze vierte Jahrhundert mit dem Metallklang seiner Verse; seine Hexameter sind großartig, sie ziehen mit stolzem Pompe daher, während das westliche Kaiserreich untergeht und die Barbaren schon vor den Toren stehen. Claudianus lässt zum letzten Male das klassische Altertum wieder aufleben; er besingt den Raub der Proserpina und wir erstaunen über die glänzenden Farben seiner Zeichnung.

Claudianus ist der letzte große Dichter der altklassischen Schule; auf ihn folgen nur geistliche Schriftsteller: der spanische Priester Paulinus, Ausonius' Schüler; Juvencus, der eine Versparaphrase der Evangelien gibt; St. Burdigalensis, der dem Vergil nachzustreben versucht, und noch eine ganze Reihe von Kirchenvätern und Kirchenheiligen: Hilarius von Poitiers, der Athanasius des Occidents; Ambrosius, der langweilige christliche Cicero; Hieronymus, der Verfasser jener Bibelübersetzung, die zur Grundlage der Vulgata gedient hat, und endlich im fünften Jahrhundert Augustinus, der Bischof von Hippo.

Des Esseintes kannte Augustinus, den Begründer der christlichen Orthodoxie, aus seinen Schuljahren her; er las deshalb nur selten seine Bekenntnisse und De Civitate Dei. Dagegen durchblätterte er zuweilen die Psychomachiades Prudentius, des Schöpfers des allegorischen Genres in der Poesie, oder die Werke des Bischofs Sidonius Appolinaris, der den heidnischen Olymp mit geistreicher Wehmut bekämpft.

 

Wir gaben einen möglichst getreuen Bericht von den Aussprüchen Huysmans' über Des Esseintes' Bibliothek. Dass dieser wunderliche Nervenleider ein gründlicher Kenner der lateinischen Literatur ist, kann ohne parteilich erscheinen zu wollen, durchaus nicht geleugnet werden. Nun tritt plötzlich Huysmans auch als ein Mann der klassischen Bildung auf, und zeigt eine Belesenheit in der lateinischen Literatur von sechs Jahrhunderten, wie wir sie nur selten bei den Vorkämpfern der neuesten literarischen Helden finden.

Das Kapitel über die Des Esseintes'sche Bibliothek bietet eine so merkwürdige Probe von Gelehrtheit, wie wir sie bei dem Verfasser von Marthe, von Croquis Parisiens, von En Ménage gewiss nicht erwartet hätten. Aber in einer Hinsicht überrascht uns Huysmans' Urteil über die lateinische Literatur durchaus nicht. Nach seiner Meinung müssen alle Schriftsteller, die bis jetzt allgemein für Meister gehalten wurden, als böse Buben aus dem Vorhof des Tempels gejagt werden.

Vergil wird als Plagiator an den Pranger gestellt, Horaz wird ein Stümper genannt, Cicero als aufgeblasener Großsprecher beiseite geschoben. Huysmans – denn Huysmans und des Esseintes sind hierin ganz identisch – findet Geschmack an Lucanus, weil dieser Dichter durch die wunderlichste Wahl seiner Ausdrücke sein Publikum kitzelt; vor allen liebt er Petronius und Apulejus, weil sie die einzigen Romanschreiber des Altertums sind, weil ihr Realismus vor nichts zurückschreckt.

Es geht damit, wie mit seinem Urteil über die Malerei. Was allgemeine Anerkennung findet, weist er weit von sich ab. Was die verflossenen Jahrhunderte unter Zustimmung aller Autoritäten für schön hielten, nennt Huysmans hässlich. Es muss nach seiner Meinung ein Ende gemacht werden mit der Herrschaft früher beweihräucherter Schriftsteller; die Götter müssen von dem Altare gestürzt und die Halbgötter darauf erhoben werden. Der unter den Malern begonnene Bildersturm muss mit den lateinischen Dichtern und Prosaschreibern fortgesetzt werden.

Was für ein wunderliches Buch A Rebours ist, zeigt deutlich dies geistreich geschriebene Kapitel über die Geschichte der lateinischen Literatur, das nur geschrieben ist, um den eigenartigen Seelenzustand Des Esseintes' zu schildern. Mit solchen ausführlichen Einschiebseln ist der Roman ganz und gar überladen. So kauft zum Beispiel jener moderne Einsiedler bei Chevet im Palais-Royal eine Schildkröte, und lässt die Schale des Tieres vergolden und mit kostbaren Steinen verzieren. Bei der Auswahl dieser Steine fügt er eine ausführliche Stelle über Edelsteine ein, die wiederum eine ungewöhnliche Kenntnis und ein ganz besonderes Interesse an fabelhafter Pracht à la Tausend und eine Nacht' oder à la Fortunio verrät. Diese Vorliebe für orientalisch-romantische Pracht begleitet Des Esseintes in allen Augenblicken seines einsamen Lebens. Der Tee, den er trinkt, wird durch besondereKarawanen aus China nach Russland gebracht, und hat die allerseltsamsten Namen: Si-a-Fayoune, Mo-you-taun und Khansky; diese gelben Teesorten sind für jeden gewöhnlichen Sterblichen unerreichbar.

Ebenso geht es mit seinen Likören. Er geht dabei von der Idee aus, jeder Likör erinnere an den Ton eines Musikinstrumentes. Des Esseintes buvait une goutte ici, là … (et) arrivait à se procurer, dans le gosier, des sensations analogues à celles que la musique verse à l'oreille. Der Curaçao erinnert seiner Meinung nach an die Klarinette, der Kümmel an die Hoboe, der Anisette an die Flöte, Kirschbranntwein an die Trompete, Whisky an die Trombone, Cognac an die Tuba, Rum an die Altviole, reiner und alter Bitterer an – den Kontrabass …

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