Ludwig Ganghofer: Hochlandzauber

 

 

Ludwig Ganghofer

Hochlandzauber

Geschichten aus den Bergen

 

 

 

Ludwig Ganghofer: Hochlandzauber. Geschichten aus den Bergen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Thomas Hill, Dammwild, 1870

 

ISBN 978-3-8430-6580-1

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8619-9187-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-8619-9188-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck dieser Zusammenstellung: Franke, Berlin 1931

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

Es fiel ein Leuchten in die Welt,

Ein feuerschönes Glänzen.

Und sieh, der Wald, von Saft geschwellt,

Will bräutlich sich bekränzen.

Es liegt die blühende Natur

In roten Traum versunken

Mein Herz, der Wald, die weite Flur

Ist roter Schönheit trunken

 

Ludwig Ganghofers urwüchsige Persönlichkeit, seine Meisterschaft in der Schilderung von Menschen und Landschaften offenbaren sich aufs neue und eindringlichste in diesen Erzählungen aus dem Leben der Bauern und Jäger.

Die dem Buch beigegebenen Bilder umrahmen den Schauplatz dieser Hochlandgeschichten. Sie sind nicht Illustrationen zu den geschilderten Vorgängen, sie wiederholen nicht im Bild, was bereits der Text klar und anschaulich ausdrückt. Sie sollen vielmehr die Welt, aus der die Menschen und Begebenheiten geschöpft sind, auch dem Auge nahe bringen. Die zauberhafte Pracht des Hochgebirges, der deutschen und der österreichischen Alpen, die uns die Feder des Dichters offenbart, wird hier in auserlesenen photographischen Aufnahmen lebendig. Wie die verschwenderisch gehäuften Wunder der Natur in ihrer Majestät und Schönheit den Dichter begeistert haben, werden sie auch den Leser gefangen nehmen, und lange noch wird in der Seele der Eindruck nachhallen, geweckt durch das Wort, das dem Buch seinen Titel gab:

 

»Hochlandzauber«!

 

Der Joseph und sein Hindernis

Den Namen Joseph pflegt man in den Bergen nur zu gebrauchen, wenn man den Heiligen meint. Zu den gewöhnlichen Menschenkindern, die auf den Namen des biblischen Nährvaters getauft sind, sagt man Seppl, wenn sie groß geworden, und Pepperl, so lange sie noch klein sind. Der Joseph Westler aber war schon als Kind und Bub ein solches ›Endstrumm Mannsbild‹, dass es keinem einfiel, diesen Knochenberg mit einem Kosenamen zu rufen. Als er noch in der Wiege zappelte, sagten seine Mutter und sein Vater schon immer: »Der Joseph!« Und so blieb es.

Als ich ihn, vor zwei Jahrzehnten etwa, kennen lernte, war der königlich-bayerische Jagdgehilfe Joseph Westler zweiunddreißig Jahre alt und wog ein paar Pfunde weniger als drei Zentner. Aber nichts Unförmliches war an ihm – ein Hüne, fest gebaut aus Knochen und Muskeln. Eine Brust wie ein Haus.

Die Büchse sah auf seinem Riesenbuckel immer komisch winzig aus. Und einen Bergstock führte er, der für jeden anderen eine schweißtreibende Last gewesen wäre. Aus dem breiten Gesicht hob sich eine knollige Nase heraus, mächtig sträubte sich der schwarzbraune Vollbart um seinen Hals, und ein Wust von braunem Gekräusel steifte sich buschig über die Ohren her, ähnlich der Frisur eines Abessiniers. Dazu liebte es der Joseph, ganz kleine Hütchen zu tragen, die er mit einem Gummiband am Nacken verankerte. Das sah unglaublich drollig aus: Wenn er so daherkam, mit diesem Pinscherdeckelchen auf dem Metzenschädel! Aber sobald man ihm in die Augen guckte, wurde man ernst und nachdenklich. Diese Augen! Graublaue, ruhige Lichter von jenem gläubigen und klaren Glanz, wie er sonst nur in den Augen zufriedener Kinder leuchtet, die das Leben noch nie gezwungen hat, in Qualen über ein Unverständliches nachzudenken.

Durch sechzehn Jahre hab' ich alljährlich zwei, drei Wochen mit ihm gejagt. Und immer hab' ich ihn als den gleichen gefunden, ruhig, verlässlich, ehrenhaft, zufrieden und heiter – bis ihm sein ›Hindernis‹ den Kopf und das Herz verstörte. Zufriedenheit und Frohsinn gingen ihm dabei in die Brüche – aber nicht seine Ruhe, nicht seine Ehrenhaftigkeit und seine verlässliche Treue. Dann zwang ihn ein sonderbares Leiden, sich pensionieren zu lassen – und seit der Joseph nimmer im Dienst ist, hab' ich auch in jenem Revier nicht mehr gejagt. Aber so oft ich durch sein Dorf komme, steig' ich vor seinem Häuschen aus dem Wagen, kehre für ein Stündchen bei dem grau verwitterten Alten ein, lasse mir von seinem ›Wehdam‹ erzählen und schwatze mit ihm von vergangenen Zeiten. Und da nimmt er mich manchmal bei der Hand, und während er stumm an meiner Seite sitzt, gucken seine graublauen, ruhigen Lichter zum Fenster hinaus und über die Straße hinüber zu dem schmucken Anwesen, unter dessen Dach der Joseph sein ›Hindernis‹ gefunden hatte.

Damals in jenem August, als ich mit ihm den ersten Gemsbock erlegte, stand der Joseph gerade in den Flitterwochen. Die mochten aber nicht besonders reich an Honig sein. Denn die ›junge‹ Frau des Joseph war zehn Jahre älter als er, schon dreiundvierzig, eine Wittib mit einem Kind aus erster Ehe. Wie es gekommen war, dass er die genommen hatte – das erzählte er mir ohne viel Umschweife. In seinen grünen Burschenjahren hatte er wohl so etwas wie Glück gefunden. Und sein Mädel bekam von ihm einen Buben, den es dann einem anderen mit in die Ehe brachte. Der Joseph hatte nicht heiraten können, weil sein Anwesen auf dem ›Wigelwagel‹ stand. Die Mutter hatte er schon früh verloren, und als der Vater starb, musste Joseph das verschuldete Gehöft unter den Hammer schieben. Von der Gantmasse blieben hundertsiebenundachtzig Mark. Und da kaufte er sich eine Büchse und wurde Jäger.

Weil nun der Joseph, so oft er zum Dienst ausrückte, und so oft er vom Bergwald heimkehrte, immer am Haus der Doserin vorbei musste, sah ihn die Wittib häufig und fing zu denken an: »Dös wär so einer für mich!« Und ganz in der Stille begann sie am Stricklein zu ziehen, mit Kaffee und Gugelhupf, mit Kalbsbraten und Geselchtem. Und einen großen Hunger hat so ein Mensch doch wirklich! Ein Jahr bandelte die Doserin, bis der Joseph in Gottesnamen Ja sagte – weil er mit der Doserin auch ein schönes Haus bekam, dessen Oberstock im Sommer gut an die Fremden zu vermieten war, und in dessen Stall vier gesunde Kühe standen, die den Joseph ausreichend mit Schmalz versorgten, wenn er wochenlang in der Jagdhütte sitzen musste.

Ich war neugierig, dieses frisch aufgewärmte Glück mit eigenen Augen zu sehen, und ließ mich vom Joseph zu einer Tasse Kaffee einladen. Ich fand ein Haus, das vor Sauberkeit blinkte, fand ein vorzeitig gealtertes Weib, das dem Joseph alles an den Augen absah, und fand das achtjährige Menele, ein mageres, scheues Dingelchen, das eine zitternde Angst vor dem neuen Vater hatte. Aber der Joseph schien diese Scheu des Kindes nicht merken zu wollen – und war gut und zärtlich mit ihm wie ein wirklicher Vater. Und mit der Frau sprach er freundlich, in einer Art von wohlwollender Herablassung.

Der Joseph hatte es mit der Doserin nicht schlecht getroffen. So oft ich im Laufe der folgenden Jahre in sein Revier hinauskam, fand ich ihn ruhig, zufrieden und heiter. Freilich, seine Heiterkeit hatte etwas Stilles. Niemals hörte ich ein lautes Lachen von ihm. Er schmunzelte nur immer, wenn er fröhlich war.

Aber so reich gefüllt sich auch seine Schmalzbüchse immer zeigte – mit dem Kindersegen hatte es einen Haken in dieser Ehe. Dreimal gebar die Frau, jedes Mal ein totes Kind. Und als ich eines Abends in der Jagdhütte mit dem Joseph über diese Sache schwatzte, zog er die Stirn in Falten und brummte: »In der Unluscht grat't oam halt nix!«

Wie wenig dieses Wort ein hartes Urteil gegen die Frau bedeuten sollte, verstand ich erst, als ich eines Sommers wieder hinauskam und hörte, dass man das Weib des Jagdgehilfen Westler im Frühjahr auf den Friedhof getragen hätte. Gleich suchte ich den Joseph auf, dessen Haus ich seit acht Jahren nicht mehr betreten hatte. Hemdärmlig stand er im Garten und band die Triebe eines Aprikosenbäumchens an das grüne Spalier. Dabei half ihm das Menele, jetzt ein sechzehnjähriges Mädel, mager aufgeschossen und unentwickelt, mit schmalem Blassgesicht.

»Joseph! Das tut mir leid, was ich da hören hab' müssen – von deiner Frau –«

»Freili, ja!«, sagte er in seiner ruhigen Art und drückte meine Hand, dass ich vor Schmerz hätte schreien mögen. »Is a richtigs Weib gwesen! Dö taat i gern wieder aussikratzen aus'm Boden! No, in Gottsnamen, muaß i halt schaugn, dass i dem Menele 's Anwesen schön beinander halt!«

Das Mädel stand schweigend dabei. Große Zähren kollerten über das blasse Gesichtl.

»Geh, muaßt net woana!« Joseph legte dem Menele den Arm um die Schultern. »Hast ja mi!« Und da schmiegte sich das Kind an den Vater, wie ein müdes Blümchen an den Baum.

In den beiden folgenden Wochen, während wir droben auf den Bergen jagten, sprach der Joseph immer von seiner Seligen, ernst und ruhig. Und alle drei Tage ging er heim für einen Tag. Er nannte das: »Nach dem Kindl schauen.«

Das Jahr darauf, da kam es mir vor, als wäre der Joseph aufgeräumter und schwatzlustiger wie sonst. Sein Schmunzeln war beinah ein Lachen.

So blieb es drei Jahre mit ihm. Er war schon über die Vierzig hinaus und hatte schon reichlich graue Fäden im Urwald seines Bartes und im Strupp der gekräuselten Haare. Doch mit jedem Sommer schien er jünger zu werden um einige Jährchen. Auch kleidete er sich schmucker wie sonst und steckte schöne Federn und Almrosensträußchen auf sein kleines Hütl.

»Joseph!«, sagte ich eines Tages. »So ein festes und strammes Mannsbild wie du? Ich meine, du solltest wieder heiraten!«

Er schmunzelte und seine Kinderaugen glänzten. »Hab' mer's aa scho denkt! Lang taugt's mer nimmer in der Einsicht! Muaß mi scho a bissl umschaugn!«

 

Als ich im folgenden Sommer wieder kam, war diese frohe Jugend wie weggeblasen vom Joseph. Er hatte graue Ringe um die Augen. Und wie ein Schleier hing es über dem Glanz dieser blauen Lichter.

»Mensch! Joseph! Was ist denn mit dir?«

»Mit mir?«, fragte er verwundert. »Was soll denn sein? Nix!«

Eine Woche brauchte ich, bis ihm die Zunge locker wurde. Es war eines Abends, in der Jagdhütte. Das kleine Lämpchen warf einen trüben Schein über die enge Stube. Wir hatten unser Nachtmahl schon eingenommen. Aber das Geschirr stand noch in Unordnung auf dem Herd. Die Tür war offen, um die Hitze hinauszulassen, die der Ofen gemacht hatte. Draußen im Dunkel sah man ein paar schwarze Fichtenwipfel des niederfallenden Berggehänges und am stahlblauen Himmel drei unruhig flimmernde Sterne. Ein leises Rauschen war um die Hütte her.

Ich saß am Klapptisch, und Joseph hockte im Ofenwinkel auf dem Hackstock, mit den Fäusten auf den Knien. Eine müde Schwäche schien den starken, großen Menschen überfallen zu haben.

»Joseph? Willst du mir denn nicht sagen, was los ist mit dir?«

Er schnaufte tief, und seine Fäuste begannen zu zittern. Dann sagte er mit einer schweren, langsamen Stimme: »Meintwegen, muaß i's halt sagen! Sö san mer guat, dös woaß i ja! Und schaugn S' her, da wusst i mer jetzt a Madl, dös mer taugen taat wie koane. A richtigs Weibets! Bei der Arbet die best! Und so viel guat! Und mögen tuat's mi! Und mir waar koane lieber auf der ganzen Welt.«

»So nimm sie doch!«

»Freili, ja!« Dem Joseph fing der Kopf zu wackeln an, als hätte er einen Schüttelkrampf im Nacken bekommen. »Aber d' Leut, dö sagen halt: Es waar a Hindernis derbei.«

»Ein Hindernis?«

»Weil 's Madel mei Stieftochter is.«

Ich sprang vom Sessel auf. »Das Menele?«

Joseph nickte. Er schwieg. Und ich wollte nicht fragen. Er begann von selbst zu reden. »Allweil hab' i scho so umanand sinniert, und den ganzen Winter hat's mer kriebelt im Bluat. Und am Johannitag, wie mer hoamkomma san von der Kirch, da hab' i mer denkt: Jetzt redst amal mit'm Madl! Geh hock di her, hab' i gsagt. Und 's Madl hat sie herghockt und hat mer d' Hand geben. Und schau, hab' i gsagt, dös wiss' mer lang scho, dass mer uns gern haben. Und schau, wie waar's denn nacher, bal mer uns heireten taaten? So viel guat hausen taaten mer mitanand. Und 's Sach taat alls beinand bleiben, hab' i gsagt. Und 's Madl is fuiri woarn übers ganze Gsichtl und hat mir angschaut und hat glacht. Und: Mögen taat i scho, hat's gsagt. Und da hab' i glei mei Hüatl packt und bin auffigschoben in Pfarrhof! – Sakra, sakra, sakra! – Wie a Narr bin i wieder hoamgrumpelt! Und 's Madl is derschrocken, wie's mi gsehgn hat – und wie i gsagt hab': Schau, jetzt sagen d' Leut, es waar a Hindernis derbei!« Mit beiden Händen fuhr sich der Joseph in den Wust seiner gekräuselten Haare. »Heilige Muatter! Was tua i denn da? – Und der Pfarr, der will's nimmer leiden, dass mer beinand hausen!« Er schwieg, und dann war seine Stimme ganz klein und dünn: »Freili, al d' Narretei grad über oan herfallen taat! Recht hat 'r scho, der Pfarr – bloß einitappen durft i ins Kammerl!«

Draußen um die Hütte fing der Nachtwind stärker zu rauschen an, und aus der Tiefe des Almtales dröhnte das lang gezogene Brüllen eines brünstigen Rindes herauf.

Schweigend, mit hängendem Kopf, saß der Joseph auf dem Hackstock. Dann hob er das Gesicht und sah mich mit heißen Augen an. »Kunnt ma jetzt da net zum Papst auf Rom wallfahrten?«

»Nein, Joseph, das würde nichts helfen.«

Eine Weile blieb er stumm. Dann schlug er wütend mit der Faust auf den Kochherd los, dass alles Geschirr einen Sprung machte, und dass die eiserne Ofenplatte einen Bug bekam. Und wie ein Tobsüchtiger schrie er: »I glaub's net! Na! Und i glaub's net! Waar's der Herrgott ent gwesen – sagen S', wer hätt mer's denn nacher einibrennt in d' Seel? Was der Herrgott net mag, dös lasst er net wachsen, sag' i! So ebbes müaßten s' doch wissen im Pfarrhof!« Der Zorn funkelte in seinen Augen. »Für was hat ma denn nacher den ganzen Kirchenplempel, bal er oam nix hilft in der Not? Für was denn? Dös müassen S' mer sagen, Herr Dokter! Dös müassen S' mer sagen!«

Ich sprach und sprach. Aber ich wusste kein Wort zu finden, das den Joseph ruhig machte und die Wirrnis in seinem Kopf und Herzen hätte lösen können.

Stumm und unbeweglich – wie ein eingesperrtes Tier, in dessen Gedärmen der Hunger wühlt – so hockte er im Ofenwinkel, die Arme um die Knie geklammert.

Da sagte ich: »Joseph! Wenn dir das so nah ans Leben geht, und wenn es wahr ist, dass die Mena denkt wie du – dann würde ich mich an deiner Stell' um Welt und Teufel nicht scheren und würde mit dem Mädel beisammen bleiben.«

In seinen Augen ging etwas Helles auf. Eine Minute besann er sich. Dann schüttelte er den Kopf. »A Segen muaß allweil derbei sein! Sonst grat't oam nix!« Schnaufend erhob er sich und machte mit dem mächtigen Kopf einen Beutler, als wäre ein Platzregen über ihn niedergegangen. »Jetzt haben mer ausgredt!«, sagte er und stellte sich an den Herd, um das Geschirr zu spülen. Und so ruhig tat er alle Arbeit wie sonst.

 

Wenn ich in den nächsten Tagen von der Sache reden wollte, runzelte der Joseph immer die Stirn und sagte: »Lassen mer's guat sein!«

Als wir nach der zweiten Woche hinunter stiegen ins Tal, kam dem Joseph etwas Weiches und Frohes in die Augen. Und da duzte er mich zum ersten Mal: »Magst net 's Menele a wenig anschaugn? Geh, komm eini!«

Im Hausflur begrüßte mich die Mena, ein stattliches, rundes, gesundes Mädel. Doch in ihrem Blick war wieder jene ängstliche Scheu, die ich vor zwölf Jahren an dem Kind gesehen hatte.

Ich nahm ihre Hand. »Schau nur, Menele, wie groß und hübsch du geworden bist!«

Das Mädel lächelte ein bisschen und ging in die Küche, um Kaffee für uns zu kochen.

»Gelt!«, sagte der Joseph zu mir mit leuchtendem Blick. »Gelt, dö gfallt d'r?«

Wir traten in die nette, blinkende Stube. Und die Mena brachte den Kaffee und füllte die Tassen – zuerst für den Joseph. Das tat sie ganz in der Art ihrer Mutter, die einst in dieser Stube so still umhergegangen war und dem Joseph alles an den Augen abgesehen hatte. Mich fragte sie, was ich droben geschossen hätte? Drei Gemsböcke. Sie nickte wie zu einer selbstverständlichen Sache: »Mit'm Joseph schießt oaner allweil. Da is no nie a Jagdgast dervon gangen, ohne dass er ebbes kriegt hat.«

Wie recht sie hatte! Vom Joseph empfing man immer etwas!

 

In dem Winter, der dann folgte, hab' ich oft an den Joseph und sein Hindernis denken müssen. Und ich konnte, als es Sommer wurde, kaum den Tag erwarten, der mich wieder mit dem Joseph zusammenführte. Ich hatte ihm geschrieben, wann ich käme – und der Joseph erwartete mich auf der Post, schon fertig für die Jagd. Ganz grau war er geworden. Aber seine Augen sahen mich ruhig an.

Während wir in der Sonne über die steilen Wiesen hinaufstiegen, blieb ich einmal stehen und blickte hinunter ins Tal, in dem die Gehöfte wie feines Spielzeug zwischen den Kronen der Bäume lagen. Deutlich konnte ich das Haus der seligen Doserin unterscheiden.

»Wie geht's denn der Mena?«

»Guat! Am Johannitag hat s' gheiret.«

»... Joseph?«

Er gab keine Antwort, nahm die Büchse auf die andere Schulter und stieg mir voran den Berg hinauf.

Am Abend, in der Hütte, als der Joseph wieder auf dem Hackstock im Ofenwinkel hockte, trat ich vor ihn hin und fuhr ihm mit beiden Händen durch den grauen Wust der gekräuselten Haare.

»Joseph? Wie ist denn das zugegangen?«

Ruhig sagte er: »Nimmer traut hab' i mer, woaßt! Bal 's Bluat in oam warm weard, is allweil der Teifi am Weg. Und 's Menele waar mer z'guat gwesen für so ebbes.«

Ich schwieg eine Weile. »Und die Mena hat so schnell einen anderen genommen?«

»A bissl nachhelfen hab i scho müassen.« Er hob das Gesicht und sah mir fest in die Augen. »Dir kon i's ja sagen! Der jünger vom Buachmiller, woaßt, der Wastl, der hat sie scho allweil aufs Menele umgschaut. Ghabt hat 'r freili nix, weil er der jünger war und aus'm Hof ausheireten hat müassen. Aber no, 's Menel hat ja a nobels Sach beinand, und der Wastl war net ohne, hab' i mer denkt. Is guat bei der Arbet, und aa sonst lasst si nix sagen! No, und an der Fasnacht san mer auf d' Nacht so beinanderghockt auf der Post, der Wastl und i. Was is denn, sag' i, rüahrt si no allweil nix? Was soll si denn rüahrn, sagt 'r, 's Menele mag mi halt net! Freili mag s' di, hab' i gsagt, aber die richtigen Madln, woaßt, dö 's kloane Gluatfünkerl allweil glei wirken lassen, dö taugen net viel. Wie soll i's denn merken, sagt 'r, bal s' es versteckt? – Z'erst hab' i no an Schnaufer machen müassen. Nacher hab' i gsagt: Wie waar's denn, wann mit mer hoam gangst und taatst mit'm Menele reden? Da hat 'r mi so gspassi angschaut, und a bissl spat taaten mer dran sein, hat 'r gmoant, weil's scho auf halber zwölfe gangen is. No, sag' i, bal koa Schneid net hast! Schneid hatt' i scho, sagt 'r. Und grad hat mer d' Wirtin no a Maß eingschenkt ghabt. Aber stehn hab' i 's lassen – und da san mer hoam mitanand. Vor der Haustür sag' i: D' Schuach muaßt abitoan, woaßt, 's Menele kennt mein' Trapper! Und da san mer eini ins Haus Und da hab' i 's Kammerl so a bissl aufgmacht und hab' einigfragt in d' Nacht: Was is denn, Menele, schlafst scho? Na, hat s' gsagt, und allweil hab' i mer scho denkt, warum denn gar solang ausbleibst? Da hab' i a bissl glacht und hab' den Wastl einigschoben ins Kammerl – und bin aussi durch'n Garten und hab' meim Schwoaßhund pfiffen und bin auf und dervon.«

Lange schwieg Joseph und zerknickte einen Span in kleine Stücke.

»Acht Tag lang hat's Menele allweil gwoant und hat mi nimmer angschaut. Aber jetzt – is scho wahr, jetzt hausen s' guat mitanander, dö Zwoa! Am Johannitag haben s' gheiret.«

Er warf die Spanstückelchen unter den Herd, lehnte sich an die Bretterwand zurück, schlang die schweren Hände um die aufgezogenen Knie und blickte mit den graublauen, ruhigen Lichtern still vor sich hin.

Dann sagte er: »Is a richtigs Weibets, die Buachmillerin! Hat si guat dreingfunden und schafft wie narret. Aber diemal, bal s' Wastl sagen will, da sagt s' no allweil Joseph.«

Große Schweißperlen glitzerten auf seiner runzligen Stirne. Und obwohl der Kochherd lange schon kalt geworden war, stand der Joseph auf und öffnete die Hüttentür, um kühle Luft hereinzulassen.

»Und du?«, fragte ich. »Wohnst du bei der Mena im Haus?«

»I?« Er sah mich an, als hätt' ich etwas Überflüssiges gefragt. »Was d'r einfallt!« Joseph trat auf die Hüttenschwelle und blickte ein Weilchen durch die lautlose Nacht hinunter ins Tal. »Nach der Fasnacht hab' i mi umloschiert. Bei der Himmelstößin hoaßt ma's. Woaßt, dös Häusl von uns grad ummi über d' Straß. Da hab' i a ganz guats Stübl. Aber sonst halt –« Er schüttelte den mächtigen Körper, wandte sich in die Stube zurück und sah mich mit sorgenvollen Augen an. »I möcht bloß wissen, warum 's grad d' Wittiben allweil so scharf haben auf mi? Freili, 's Anwesen war net schlecht beinand. Und mit die drei Kinder von der Himmelstößin kunnt i aa no reind wearn. Aber d' Himmelstößin halt! D' Himmelstößin!« Er tat einen schweren Seufzer. »Aber was will i denn machen? Aus der Gegend mag i mi net verziagn – und bal i net Ja sag', kündt mer d' Himmelstößin auf!« Mit beiden Händen den ergrauenden Vollbart teilend, ging er auf den Kreister zu und begann das Heulager aufzuschütteln. »Jetzt schau, dass d' in d' Ruah kommst! Morgen muaßt zeitli wieder aussi.« –

Im Winter musste der Joseph Ja sagen. Sonst hätte ihm die verwitwete Himmelstoß das Stübchen aufgesagt, das er wegen der Aussicht zum Menele hinüber nicht verlassen wollte.

 

Drei Sommer hab' ich noch mit dem Joseph gejagt. Und immer blieb er der gleiche, ruhig in allem, was er tat und sagte, verlässlich im Dienst. Aber eisgrau war er geworden, obwohl er noch zwei Jährchen bis zum Fünfziger hatte. Auch sein breiter Rücken begann sich zu krümmen – und einen leichteren Bergstock trug er.

Eines Tages merkte ich, wie sauer dem Joseph das Gehen wurde. Immer blieb er zurück und schnaufte. Und als wir an einem heißen Morgen von der Gemspirsch heimkehrten, setzte er sich plötzlich auf den Boden hin, mit käsweißem Gesicht, und sagte: »Da wear i wohl bleiben müassen!«

»Joseph! Um Gottes willen! Was ist denn mit dir?«

»So a gspassigs Hindernis hab' i a am Fuaß!«

»Zieh den Schuh herunter! Lass sehen!«

Er schüttelte den Kopf. »So ebbes is net guat zum anschaugn.«

»Den Schuh herunter!«

Zögernd gehorchte er und schnürte den Riemen des ledernen Floßes auf. Bei allem Schreck musste ich lachen – auf der kleinen Zehen hatte er ein Hühnerauge, so groß wie eine Kinderfaust. Und zwischen krämpfigen Sehnensträngen liefen die blau geschwollenen Adern über den ganzen Fuß.

»Dös hab' i scho bald ins fünfte Jahr. Weil i mi allweil scheniert hab', dass i vor'm Menele mit die nacketen Füaß im Haus umanand lauf, drum hab' i halt d' Schuach allweil anlassen, bal i hoamkommen bin vom Berg. Und da is oaner derbei gwesen – der muaß mi a bissl druckt haben.«

Mir verging das Lachen. Am liebsten hätt' ich den Joseph noch am gleichen Tag mit mir nach München genommen und in die Klinik geschickt. Er wollte von diesem Vorschlag nichts wissen.

»Dö kunnten oam 's Leben aussischneiden!«

Ich brauchte den ganzen Tag, um den Joseph heimzubringen. Und vor seinem Haus machte er noch einen langen Umweg über die Wiesen. »'s Menele kunnt derschrecken, bal s' mi so marodi hoamhatschen siecht.« –

In der dämmerigen Stube, bei der Himmelstößin, stellten sich die drei Kinder von fünf bis acht Jahren mit offenen Mäulchen um den Joseph her – und sein gealtertes Weib, die verwitwete Himmelstoß, schürte unter lautem Gejammer im Kochherd ein Feuer an, um Wasser für die Überschläge zu wärmen. Aber der Umweg durch die Wiesen hatte nichts geholfen. Denn die Buchmiller-Mena, mit einem zweijährigen Kind auf den Armen, kam plötzlich zur Tür hereingefahren. »Vater? Was is denn?«

Der Joseph lächelte und sagte ruhig: »A bissl zwicken tuat's mi halt wieder.«

»Jesses!« Die Mena setzte das Kind auf den Tisch, hockte sich auf den Boden hin, nahm den Fuß des Joseph in die blaue Schürze und legte sacht ihre Hand auf das große ›Hindernis‹, das der Joseph an der kleinen Zehe hatte. »Gelt, Vater, dös küahlt?«

Er nickte – und ließ das Kindchen der Mena, das über die Tischplatte zu ihm hingekrabbelt war, an seinem grauen Bart zausen.

Da sagte die verwitwete Himmelstoß zu mir: »Diemal mach' i's eahm aa so mit der Hand, weil's eahm von der Buachmillerin so wohl tuat. Aber von meiner Hand derleidt er's net. Dös is gspassi. Aber der Bader sagt: Mit die menschlinge Händ waar's wie mit 'm Pflaster. Dös oane ziagt und 's ander vertoalt.« – –

 

Der Joseph hatte die Jagdhütte nicht mehr gesehen. Der Schaden, den er sich aus Zartgefühl zugezogen hatte, wurde für ihn zu einer Pandorabüchse der qualvollsten Schmerzen, die für alle Kurpfuscher auf fünf Stunden im Umkreis immer unerklärlicher wurden, je übler sie dem Joseph an seinem mächtigen Körper zusetzten. Im Herbst musste er den Dienst quittieren, weil kein Bader dieses neue Hindernis beseitigen konnte. Der Gedanke, nach Rom zu wallfahren, ist dem Joseph nimmer gekommen. Er war schon zufrieden, wenn er manchmal am Stecken die dreißig mühsamen Schritte über die Straße hinüber fertig brachte, bis zu dem kleinen Haus, in dem die Mena wohnte, mit ihrem Glück und mit dem Buchmiller-Wastl, zu dem sie jeden Tag ein paar Mal – und oft auch in den Nächten – Joseph sagte.

 

Der nette Kerl

Ich hatte eine Jagd im Wiener Wald gepachtet und wollte, weil sich das Revier durch Zupachtung vergrößert hatte, noch einen zweiten Jäger in Dienst nehmen. In einer forstlichen Wochenzeitung schrieb ich die Stelle aus. Was dann die nächsten vierzehn Tage brachten, das war eine schreckliche Sache. Jeder Tag produzierte ein Dutzend ›Anwärter‹. Und immer nur mit Aufwand eines gereizten Scharfsinnes gelang es mir, diese muffig gekleideten, nach Bier, schlechten Regiezigarren, saurem Wein, Dreikönigstabak und Schnaps duftenden Kerle wieder zur Wohnung hinauszubringen. Die fürchterlichsten waren jene, die sich streng an die Weidmannssprache hielten und mir mit hoheitsvollem Lächeln das Geständnis machten, dass sie Mitarbeiter von Jagdzeitschriften wären. Und die Geschichten, die sie mir von ihrem Lebenslauf und seinem Unstern erzählten! Einer sage: widriges Gestirn. Ein zweiter: Dianens Ungunst. Ein dritter: Huberti Grimm. Ein vierter: Mir ist auf meinen grünen Pfaden immer das alte Weib begegnet! Und von ihren Lebensgeschichten glich eine der anderen, wie sich die Geschichten der verlorenen Mädchen gleichen.

Schließlich wurde mir die Sache zu bunt, und ich gab unserer Köchin den strengen Auftrag, keinen Stelle suchenden Jäger mehr vorzulassen. Zu jedem, der da die Klingel rasseln machte, sollte sie sagen: »Weidmannsdank!« – und dann die Tür wieder zuschlagen. Das befolgte sie getreulich. Eines Morgens aber kam sie lachend und ein bisschen verlegen zu mir ins Arbeitszimmer: »Herr Dokter, i glaab, jetzt warn S' mi schimpfen. Aber da steht jetzt aner draußt ... den hab' i net stampern könna. A so a netter Kerl is 'r! Der schaugt anders aus wia die andern.«

»Na, in Gottesnamen! Also herein mit dem netten Kerl!«

Meine Erwartungen waren gespannt. Aber sie wurden noch übertroffen.

Er kam. Und wirklich: Wie das lachende Leben stand er auf der Schwelle meiner Stube. Ein Fünfundzwanzigjähriger. Gesund und schlank. Anständig gekleidet – nicht jägermäßig, sondern städtisch – mit Röhrenstiefeln, die spiegelblank gewichst waren. Ein hübsches, fast mädchenhaft rosiges Gesicht; auf dem schwellenden Mund ein dünnes, dunkles Schnurrbärtchen; nussbraunes, sorgfältig gescheiteltes Haar; und helle, frohe, grundehrliche Augen, die, als er zu reden anfing, nicht stolz waren und nicht bettelten – Augen, aus denen ich es gleich herauslas: Der lügt nicht! Auch seine Stimme hatte was ruhig Lindes, einen einschmeichelnden Klang, fast etwas weiblich Reizvolles. Ich hörte ihn gern sprechen, als er, nicht knapp und nicht weitschweifig, sein curriculum vitae auskramte: er hieße Joseph Aust, wäre der Sohn eines Försters, hätte Vater und Mutter schon längst verloren, wäre auf Kosten seines Onkels zwei Jahre Realschüler gewesen, dann Soldat, dann Jagdeleve auf einem herrschaftlichen Gut. Und nun möchte er recht schön bitten, dass er die ausgeschriebene Stelle bekäme. Mit einer manierlichen Verbeugung trat er auf meinen Schreibtisch zu und legte drei Zeugnisse vor mich hin.

Na, sein Schulzeugnis, das war gerade nicht berühmt! An seinem Militärpass fand ich nichts auszusetzen; in dem Zeugnis über seine Zeit als Jagdeleve fehlte wohl die Aufzählung weidmännischer Fähigkeiten; doch ich sah ein paar andere lobenswerte Eigenschaften angeführt, unter denen zwei – ›gutmütig‹ und ›von liebenswürdiger Nettigkeit‹ – dich unterstrichen waren. Einen Moment beschlich mich der Verdacht: Das ist eins von den Zeugnissen, mit denen man unbequem gewordene Leute wegzuloben und einem anderen Herrn aufzuhalsen pflegt.

»Warum sind Sie denn auf dem schönen Gut nicht in Stellung geblieben?«

»Verzeihung, die zwei Jägerposten waren schon besetzt, und ich war doch nur als Lehrling da.« Er sprach fast reines Hochdeutsch. »Auch war die Jagd nicht besonders. Das wäre überhaupt kein Platz für mich gewesen. Ich möchte was lernen, möchte gern vorwärts kommen.«

Als er eine Weile so weitergeplaudert hatte, ehrlich, nett und gutmütig, war mein Bedenken beschwichtigt. Bei dem weidmännischen Examen, das ich mit ihm anstellte, kam freilich nicht viel zutage. Aber er zeigte guten Willen, hoffte was zu lernen – und da kam er bei mir in keine schlechte Schule. Ich gab ihm wohlgemeinte Lehren, die er aufmerksam anhörte, wobei er in einer kindlichen Art die mollige Unterlippe ein bisschen hängen ließ – und als wir schließlich den Handschlag tauschten, war ich ihm bereits so gut geworden, dass ich du und Pepi zu ihm sagen musste. Mit einem warmen Empfehlungsbrief an den Oberjäger und mit zwanzig Gulden Vorschuss schickte ich den Peperl noch am gleichen Mittag hinaus ins Revier.

Zwei Wochen später kam ich für einen Tag ins Jagdgebiet. Der Pepi war draußen im Dienst; und der Oberjäger, bei dem ich mich nach der Führung seines neuen Untergebenen erkundigte, sagte lachend: »Oh, mit dem komm ich gut aus. Das ist ein netter Kerl. Und alles lasst er sich sagen.« Auch sonst im Dorf, besonders von der Wirtin im Roten Hahn und von der jungen, hübschen Kellnerin hörte ich viel Gutes über den Peperl. Doch vor der Heimfahrt geriet ich mit dem Oberjäger in eine Meinungsverschiedenheit. Ich war des Glaubens, dass der Peperl am achten April seinen Dienst angetreten hätte – und der Oberjäger behauptete: am Zehnten.

»Das ist doch nicht möglich! Er ist doch mit meinem Brief noch am gleichen Tag herausgefahren. Und das war der achte April.«

»Herr Doktor irren sich! Das war der Zehnte. Ich weiß es ganz genau. Es war an dem Tag, an dem in der Früh das erste Gewitter war. Und wie ich da am Vormittag von der Pirsch heimgekommen bin, ist der Peperl grad dahermarschiert, tropfnass am ganzen Leib.«

»Am Vormittag? Das ist doch unmöglich. Er muss doch am Abend eingetroffen sein. Er war doch am Vormittag noch bei mir in Wien.«

Der Oberjäger schien meinen verdutzten Blick als Vorwurf oder Misstrauen zu deuten. »Herr Doktor, ich kann nichts anderes sagen, als was ich weiß. Und dass es der Zehnte war, das ist doch registriert.« Er zog den Jagdkalender aus der Joppe und wies mir eine Eintragung vor. In schwerfälligen Zügen und etwas unorthografisch – mein Oberjäger sprach korrekter als er schrieb – stand da unter dem Datum vom zehnten April zu lesen: »Heite der neiche Jäger eingetretten. Heist Joseph Aust. Bewilichte sälbem fünf Gulden Forschus.«

»Vorschuss? Aber der Pepi muss doch Geld gehabt haben?«

»Nein. Der gute arme Kerl ist so hosensackblank gewesen, dass ich ihm einiges geben musste, damit er sich ein Mittagsmahl und ein trockenes Hemd kaufen konnte.«

»Ein Hemd kaufen? Hat er denn sein Zeug nicht mitgebracht?«

»Damals nicht, nein. Und jetzt schreibt er immer um seinen Koffer. Aber der Koffer kommt nicht. Na, das wär' nicht das Schlimmste. Meine Frau und ich, wir helfen dem Pepi gern aus. Weil er so ein guter, netter Kerl ist. Ich glaub', mit dem werden der Herr Doktor noch sehr zufrieden sein.«

Ich konnte dieses Gespräch zu keinem klaren Ende führen, denn ich musste abfahren, wenn ich in der Bahnstation nicht den letzten Wiener Zug versäumen wollte.

Während der ganzen Heimfahrt beschäftigte mich die Sache. Das sonnige Bild des Peperl hatte einen dunklen Fleck bekommen. Wo blieb der Koffer? Und war der Pepi wirklich erst am Zehnten eingetroffen? Wo hatte sich der Joseph die zwei Tage nach unserem Handschlag herumgetrieben? Und was hatte dieser nette Herr Aust mit den zwanzig Gulden angefangen, die er von mir als Vorschuss bekommen?

Doch als das Bild meines neuen Jägers so von Gewölk umdunkelt war, guckte durch alle Verdüsterung wieder was Helles durch. Denn ich erinnerte mich an das letzte Wort des Oberjägers: Von dem guten, netten Kerl, mit dem ich noch sehr zufrieden sein würde. Und schließlich kann sich doch alles Verdächtige als eine Harmlosigkeit erklären. Das ist ein abscheulicher Zug an uns Menschen, dass wir vom lieben Nächsten immer gleich was Schlechtes denken.

Und richtig, als ich bei Aufgang der Rehjagd ins Revier hinauskam, löste sich die dunkle Sache zu freundlicher Helle. Natürlich zog ich beim Verhör eine strenge Miene auf. Doch während Herr Joseph Aust in manierlicher Haltung vor mir stand, mit dem frohen Sonnenblick eines schuldlosen Engels, bekannte der Oberjäger in etwas verlegener Hast, dass er sich bei jener Taschenbuchnotiz um einen Tag geirrt hätte. Der Joseph wäre weder am achten noch am zehnten April ›eingetretten‹, sondern am neunten.

»Aust? Warum sind Sie erst am Neunten gekommen?«

Wie hell und frisch der nette Kerl mich ansah! Und mit seiner warmen, einschmeichelnden Stimme erzählte er: Beim Marsch von der Bahnstation zum Jagdhaus herüber hätte er sich, als Fremder in der Gegend, bös im Holz verlaufen, wäre in die Finsternis geraten, hätte bei Mutter Grünewald übernachten müssen und wäre erst aufgewacht, als am Morgen der Gewitterguss über ihn niedergegangen. Diese Geschichte spickte er so drollig mit netten Einzelheiten seines Abenteuers, dass ich ins Lachen geriet.

»Aber die zwanzig Gulden Vorschuss, Joseph? Die hat Ihnen das Gewitter doch nicht aus dem Sack herausgeschwemmt? Oder wollen Sie das Geld vielleicht verloren haben?«

Er schüttelte lachend den hübschen, jungen Kopf. Aber dann wurde er ernst, ließ die volle rote Unterlippe ein bisschen hängen, tat einen tiefen Atemzug, und mit beklommener Stimme – wie redliche Menschen ein drückendes Verschulden zu bekennen pflegen – gestand er mir: Sein Onkel hätte seit längerer Zeit nicht mehr ›nachspicken‹ wollen, und drum wären aus der Elevenzeit etwas Rückstände dagewesen; und als nun der Joseph die zwanzig Gulden auf die Hand bekam, dachte er sich, es wäre am besten, möglichst sauberen Tisch zu machen. Und so schickte er neunzehn Gulden gleich ›per Postanweisung‹ dorthin, behielt sich nur den einen Gulden für die Bahnfahrt und dachte: »Wo das Jagdhaus steht, da wird's schon auch wieder gute Menschen geben, die weiterhelfen, bis der Gehalt fällig wird.«

An der Wahrheit dieser Geschichte war nicht zu zweifeln. Die unanfechtbarsten Beweise glänzten in Pepis Augen. Ich hatte meine Freude an der heiteren Ehrlichkeit, die mich da anleuchtete.

»Und sind denn jetzt die ganzen Rückstände aus der Elevenzeit gedeckt?«

Er schwieg und sah mich an wie ein guter Junge, der weiß, dass er einen nachsichtigen Vater hat, und doch seine Strenge fürchtet.

»Sag mir's, Pepi! Unscheniert! Wie viel hast du noch zu blechen?«

»Noch ... noch vierzehn Gulden.«

Die gab ich ihm, deckte auch den Vorschuss beim Oberjäger und erhöhte dem Pepi den Monatsgehalt um fünf Gulden, damit ihm die Rückzahlung leichter würde.

Ihr hättet die Freude sehen sollen, die dem netten Kerl in den feuchten Augen schimmerte! Er suchte nach einem Wort, um mir zu danken – und fand auch das Beste: »Herr Doktor, auf Ehr und Seligkeit, durch die Tat will ich mich erkenntlich zeigen.«

Während ich das Finanzgeschäft erledigte, fiel mir die merkwürdige Haltung des Oberjägers auf. Der hatte schon eine Weile kein Wort mehr gesagt, stand stramm als hätte er einen eisernen Ladstock verschluckt, war blass über das ganze Gesicht und hatte groß geöffnete, kreisrunde Augen.

»Mensch? Was haben sie denn?«

Er schüttelte den Kopf. »Nichts, Herr Doktor!« Dann sah er den lachenden Pepi an. Und sagte zu mir: »Ich hoffe nur, der Herr Doktor werden mir meinen Irrtum verzeihen. Von wegen des Datum. Weil es jetzt der Neunte sein muss.«

»Na natürlich! Man kann sich doch irren. Deswegen brauchen Sie sich nicht aufzuregen. Ich weiß doch, wie korrekt und pünktlich Sie in allen Dingen sind.«

Wir traten aus der Stube hinaus in den goldschönen Nachmittag. Wie grüne, weiß gesprenkelte Wälle waren die Obstgärten mit ihren blühenden Bäumen um das kleine Haus herum. Und aus dem zarten Laub meiner zwanzig Rosenbäumchen spitzten gelb und rot schon an die hundert Knospen heraus. In der Ferne die sanft gebuckelten Höhen der Weinberge und die langen Züge der goldgrünen Buchen- und Eichenwälder. Ein reiner Himmel über allem. Und diese wohlige Stille! Nur in einem Nachbargarten das leise Glucksen einer Mutterhenne. Und von einer nahen Waldzunge hörte man zuweilen den Gackerschrei eines balzenden Fasans. Und immer rieselte das feine Geplätscher des dünnen Brunnenstrahls.

Die Frau des Oberjägers, die über den Brunnentrog gebeugt stand und Wäsche spülte, richtete sich auf und streckte, ganz von Sonne umgossen, die triefenden Hände von sich. Als sie meine gute Laune sah, nickte sie dem Pepi freundlich und wohlwollend zu.

Wir zogen zu dritt auf die Abendpirsch. Der Oberjäger wusste einen guten Rehbock, der täglich um die Dämmerung auf ein Kleefeld austrat. Und da nahm ich den Pepi mit. Bei der Wanderung durch das Wiesental ging er immer neben mir her und plauderte mit seiner linden, wohltuenden Stimme. Er sagte nie was besonders Kluges, doch immer was Nettes. Und seinen Koffer musste er auch schon bekommen haben. Er war anders gekleidet als damals in der Stadt, jagdmäßiger, schmuck und adrett – ganz ähnlich, wie sich der Oberjäger an Sonn- und Feiertagen zu tragen pflegte.

Dann saßen wir gut gedeckt am Waldsaum. Eine Golddrossel flötete den schönen Abend an. Aber die Schnaken machten das Sitzen ungemütlich. Weder Mückenschleier noch Handschuhe konnten mich schützen. Der Oberjäger saß wie ein Pfahl; den stach entweder keine Schnake, oder er spürte die Stiche nicht. Aber noch schlimmer als mir ging es dem Peperl. Der wetzte, schlug und scheuerte ununterbrochen. Als ich ihn einmal mit leisem Zischlaut zur Ruhe mahnte, tuschelte er hinter mir: »Ich hab' so ein süßes Blut. Grad alle fliegen s' her auf mich! Schauderhaft ist das!«

Der Rehbock kam nicht.

Ums Finsterwerden stand der Oberjäger auf und stieß aus ergrimmter Seele einen galligen Fluch heraus. Und während des ganzen Heimweges sprach er keine Silbe mehr. In seinem Ärger machte er lange Schritte. Ich blieb mit dem heiter schwatzenden Peperl zurück. Und da flüsterte mir der nette Kerl plötzlich ins Ohr: »Herr Doktor, für morgen früh weiß ich einen Bock ... der ist todsicher!«

Halb missfiel mir das. Warum machte der Peperl aus diesem Bock ein Geheimnis vor dem Oberjäger? Aber halb gefiel es mir auch. Vielleicht hatte er den Ehrgeiz, sich auf eigene Faust ein bisschen auszuzeichnen?

»Na, da hin ich neugierig!«

Als wir ins Dorf kamen, lud ich die Jäger zum Nachtmahl in den Roten Hahn. Aber da war's nicht behaglich. In der Familie des Wirtes schien übel Wetter zu herrschen. Die Wirtin ging verdrossen umher, und die hübsche Kellnerin machte Augen wie eine gereizte Wildkatze. Einmal kam es mir so vor, als hätten diese bösen Augen mit dem Peperl was zu schaffen. Aber das war wohl eine Täuschung. Denn der nette Kerl war gleichmäßig freundlich gegen das übellaunige Mädel, verlor seine Heiterkeit nicht und plauderte in seiner drolligen, gewinnenden Art umso unermüdlicher drauf los, je schweigsamer der Oberjäger blieb.

Daheim, bevor ich in meine Stube ging, sagte ich: »Morgen soll mich der Pepi führen.«

»Bitte!« Der Oberjäger schlug nach seiner strammen Gewohnheit die Hacken aneinander. »Da wünsche ich Weidmannsheil!«

Am Morgen führte mich der Pepi im Dämmergrau zu einer Waldwiese. Ein Reh zog äsend durch das betaute Gras. »Schießen S', Herr Doktor! Schießen S'!« Der Peperl war ein bisschen laut geworden und das Reh sauste schreckend davon.

»Aber Aust! Das war doch eine Geiß!«

Er guckte mit verdutzten Augen drein, ließ die mollige Unterlippe hängen und wusste nichts zu sagen. Dann schüttelte er gekränkt und traurig den Kopf, als begriffe er den Zusammenhang der Welt nicht mehr, der ihm vor wenigen Minuten noch völlig klar gewesen.

Wir kehrten in den Wald zurück, wanderten planlos eine Weile so zu – und da sah ich plötzlich auf dreißig Gänge im Stangenholz einen Rehbock stehen. Er fiel im Feuer. »Jesus! Was ist denn?«, stammelte hinter mir der Peperl. Aber da gewahrte er das rollende Wild, sprang wie irrsinnig darauf zu und begann vor Freude zu tanzen. Erst konnte er nur lachen und wusste nichts Vernünftiges zu sagen. Aber nach einer Minute hatte er um den Rehbock herum schon eine drollige Geschichte zusammengereimt, deren sprudelnden Bericht er immer wieder mit der Beteuerung unterbrach: »Das ist er! Natürlich! Das ist er ja, der meinige!«

Ich ließ ihm seine Freude, obwohl ich des Glaubens war, dass der Peperl den ›todsicheren‹ Bock, der mir da im Zufall vor die Flinte gelaufen war, im Leben noch nie gesehen hatte.

Während der Jäger die Beute heim trug ins Jagdhaus, streckte ich mich unter einer wundervollen Buche zu einem Schläfchen ins Moos. Zwei Stunden später trafen wir uns wieder und bummelten bis zum Abend durch den Wald. An diesem Tag schmeichelte sich der nette Kerl so ganz in meine Gunst, dass ich mich in den folgenden Wochen, so oft ich ins Revier herauskam, immer nur vom Pepi zur Pirsch begleiten ließ. Der Oberjäger begann eifersüchtig zu werden und nahm einen spöttisch gereizten Ton gegen den Pepi an, der all diese stachlichen Redensarten gutmütig überhörte. Aber niemals kam mir der Oberjäger mit einer dienstlichen Klage; er gewöhnte sich an, zu sagen: »Oh, der Pepi tut schon seinen Dienst.« Wenn ich um die Mittagszeit vor dem Jagdhaus anfuhr und in meine Stube trat, pflegte der Oberjäger heißköpfig davonzurennen – und draußen hörte ich ihn schreien: »Wo ist denn der Aust? Himmelsakrament! Wo ist denn der Aust schon wieder?« Dann lief die Frau des Oberjägers das Dorfgässel hinunter – und nach einer Viertelstunde kam der Pepi echauffiert und lachend daher gesprungen, um sich zum Dienst zu stellen. Mit diesen brennenden Wangen und mit diesem gesteigerten Glanz in den Augen gefiel er mir immer am besten. Und wenn da manchmal Ursache gewesen wäre, ein bisschen zu schelten, machte ich die Sache gnädig ab.

Die Gunst der Frau Oberjägerin schien sich der Pepi seit einiger Zeit verscherzt zu haben. Aber wenn sie so gegen den netten Kerl brummte, bekam sie von ihrem Mann immer einen Wink, der sie schweigen machte. Drum fragte ich eines Tages: »Hat der Pepi Ihrer Frau Verdruss gemacht?«

Er stellte sich stramm in Positur. »O nein! Durchaus nicht. Aber die Weiber sind halt so. Ich glaub', sie eifert ein bissl, weil der Joseph jetzt alles gilt.« Der verschluckte Nachsatz wollte vermutlich sagen: »Und ich gar nichts mehr.«

Lachend erwiderte ich: »Na, na, so schlimm ist die Sache nicht.«

»Doch! Fein hat der Pepi den Herrn Doktor eingewickelt. Freilich, darauf versteht er sich.« Das klang, als sollte noch ein Aber nachkommen. Doch es kam nichts mehr – nur, dass der Oberjäger am Abend, als ich mit dem Pepi leer von der Pirsche heimgekommen war, im Gespräch gelegentlich hinwarf: »So wenig wie heuer hat der Herr Doktor in der Pirschzeit noch nie geschossen.«

Das stimmte. Und die jagdliche Unerfahrenheit des Peperl trug wohl die Schuld daran. Aber das vergrämte mich nicht – das Totschießen war mir bei der Jagd nie die Hauptsache. Wenn der Pepi mit mir draußen war im Wald, da kam ich aus einer wohligen Stimmung nie heraus. Nie sagte er ein Wort, über das man sich ärgern musste. Und hatte er jagdlich eine unangenehme Meldung zu bringen, so wusste er sie mit seinen molligen Klängen so einzukleiden, dass sie immer noch etwas Angenehmes hatte. Auch verstand er es, drollig und nett aus seinem Leben zu erzählen. Diese verschiedenen Geschichten passten zwar nie recht zueinander – jede schien immer aus einem anderen Leben genommen. Aber jede hatte solch ein warmes, heiteres und reinliches Licht, dass sie mir gefiel. Auch schwatzte der Pepi nie von Frauenzimmern und zärtlichen Abenteuern. Die Weiber schienen für den Joseph Aust nicht auf der Welt zu sein – nach seinen Gesprächen zu schließen.

Und durch den Pepi lernte ich erst die Gegend kennen, alle die kleinen Dörfchen in dem weiten Jagdrevier. Lange im gleichen Gasthaus zu verkehren, das liebte er nicht. Immer entdeckte er wieder was Neues, was Besseres, schleppte mich hin und war mit den Wirtsleuten gut Freund, bis er eines Tages plötzlich wieder den Staub dieses gastlichen Hauses von seinen Schuhen schüttelte, weil er was ›Feineres‹ entdeckt hatte.

Natürlich war der Pepi da immer mein Gast. Aber ich hatte ihm nie eine Unmäßigkeit, oder auch nur eine Unbescheidenheit vorzuwerfen. Immer war er mit seinem ›einspännigen Schöpperl‹ zufrieden, ob's alter Wein oder Heuriger war.

Doch eines Morgens – wir hatten in einer Dorfschenke übernachtet – duftete der Peperl beim Ausmarsch zur Frühpirsch ganz erschrecklich nach einem sauren Fass. Und er hatte doch am vergangenen Abend ebenso wenig getrunken wie sonst! Und war auch um die gleiche Stunde, wie ich, zu Bett gegangen.

»Aber Joseph! Wie kommt denn das, dass Sie so nach Wein riechen?«

»Nach Wein? ... Ich weiß nicht.«

Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, weil der Morgen noch finster war.

Ein paar Minuten später wusste er sich die dunkle Sache plötzlich zu erklären: Er hätte seine Kleider beim Schlafengehen in den Flur hinausgelegt, und zwar auf ein Fass – und da hätte sein Gewand den säuerlichen Duft des Fasses angenommen.

Als die Sonne kam, hatte der Pepi jenen gesteigerten Glanz in den Augen und jene brennenden Wangen – wie er sie immer hatte, wenn er bei meiner Ankunft im Jagdhaus schnell geholt wurde – jenes Echauffement, das mir an ihm so gut gefiel. Aber diesmal gefiel es mir nicht. Denn seine ›Erklärung‹ – obwohl ich keine andere zu finden wusste – schien mir etwas sengerig. Und ich konnte an diesem Tag zu dem netten Peperl nicht mehr Du sagen.

Seit diesem Morgen roch er niemals wieder nach Wein – nur manchmal sehr intensiv nach Pfefferminz. Und immer hatte er eine kleine Tüte mit diesen weißen Kügelchen in der Westentasche. Einmal fragte ich ihn: »Joseph! Warum legen Sie denn Ihre Kleider so oft auf eine Pfefferminzkiste?«

Zuerst verstand er das nicht. Aber dann fing er furchtbar zu lachen an, drohte mir mit dem Finger und blinzelte mit den glänzenden Augen, als möchte er sagen: »Sie sind aber ein Filou!« Die offene Heiterkeit, mit der er meine gar nicht lustig gemeinte Anspielung aufnahm, beschwichtigte wieder meinen Verdacht.

 

Eines Nachmittags – schon im Hochsommer, zur Zeit der Hühnerjagd – kam ich wieder vor dem Jagdhaus angefahren. Und wieder rannte, als mein Zeug in der Stube war, der Oberjäger in seine Wohnung hinüber und fluchte: »Wo ist denn der Aust? Himmelsakrament! Wo ist denn der Aust schon wieder?« Und die Frau Oberjägerin lief durch das Dorfgässel hinunter. Aber eine halbe Stunde verging, eine Stunde, ich wartete und wartete – es ging schon auf den Abend zu, und der nette Kerl mit dem echauffierten Gesicht und den glänzenden Augen ließ sich noch immer nicht blicken.

Ich wollte den schönen Abend nicht ganz verlieren und wanderte mit dem Oberjäger über die Felder hinaus, um Rebhühner zu verhören.

»Der Aust? ... Der muss wohl irgendwo Dienst machen! ... Aber ich kann mir nicht denken, wo?« Das war alles, was der Oberjäger, der in sehr übler Laune zu sein schien, über den unsichtbaren Peperl zu sagen wusste.