Pedro Calderón de la Barca: Der Richter von Zalamea

 

 

Pedro Calderón de la Barca

Der Richter von Zalamea

Drama in drei Akten

 

 

 

Pedro Calderón de la Barca: Der Richter von Zalamea. Drama in drei Akten

 

Übersetzt von Johann Diederich Gries

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Eugenio Lucas Velasquez, Die Garrotte, um 1810

 

ISBN 978-3-8430-8032-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-7850-4 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-8001-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

El alcalde de Zalamea. Entstanden um 1640, Erstdruck 1651. Hier in der Übersetzung von Johann Diederich Gries, 1822.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Personen

Philipp der Zweite, König von Spanien

 

Don Lope de Figueroa, General

 

Don Alvaro de Atayde, Hauptmann

 

Pedro Crespo, ein reicher Bauer

 

Juan,

Isabel, dessen Kinder

 

Ines, ihre Muhme

 

Don Mendo, ein armer Landedelmann

 

Nuño, dessen Diener

 

Ein Sergeant

 

Rebolledo, Soldat

 

Chispa, Marketenderin

 

Ein Gerichtsschreiber

 

Gefolge des Königs

 

Soldaten

 

Bauern

 

Der Schauplatz ist in und bei Zalamea, einem Flecken in Estremadura.

 

Erster Aufzug

Ländliche Gegend, Heerstraße.

Ein Trupp Soldaten, auf dem Marsch begriffen, zieht mit aufgerollter Fahne unter Trommelschlag heran. Rebolledo und Chispa sind dabei. Wie man sich der Vorbühne naht, schweigt die Trommel.

 

REBOLLEDO. Der ist Satans offenbar,

Der uns so von Ort zu Ort

Läßt marschieren immerfort,

Ohne Rast und Ruh'!

SOLDATEN. 's ist wahr.

REBOLLEDO. Ziehn wir denn im Land' umher

Als Zigeuner-Karawane?

Schleppt die ausgerollte Fahne

Immerfort uns hinterher,

Samt der Trommel ...

ERSTER SOLDAT. Immer bellen?

REBOLLEDO. Die erst, seit sie endlich schweigt,

Uns die hohe Gnad' erzeigt,

Nicht die Köpfe zu zerspellen.

ZWEITER SOLDAT. Nur nicht solches Murren hier!

Leicht vergißt man ja die Plagen,

Die man auf dem Marsch ertragen,

Bei dem Eintritt ins Quartier.

REBOLLEDO. Ins Quartier? Wenn ich krepiere

Unterwegs? Und komm' ich noch

Lebend an, weiß Gott ja doch,

Ob man auch mich einquartiere.

Denn da gibt dem Kommissär

Gleich der Richter zu verstehen:

Wenn die Truppen weiter gehen,

Streckt man gern das Nöt'ge her.

Erstlich zwar wird vorgestellt:

Ganz unmöglich ist das heute,

Denn todmüde sind die Leute.

Aber hat der Rat nur Geld,

Heißt es bald: Ihr Herrn Soldaten,

Ordre gibt's, hier nicht zu weilen;

Also laßt uns weiter eilen.

Und wir andern, wie verraten,

Folgen ganz gehorsamlich

Dieser Ordre, nie gehabt,

Die ihn macht zum fetten Abt

Und zum Bettelmönche mich.

Aber werd' ich – Gott verzeiht's! –

Zalamea heut' erblicken,

Und er will uns weiter schicken,

Sei's aus Eifer, sei's aus Geiz,

So geht ohne mich der Haufen.

Frei heraus: das erste Mal

Wär' es nicht, daß ich der Qual

Des Soldatenstands entlaufen.

ERSTER SOLDAT. Würd' auch nicht das erste sein,

Da ein armer Kriegssoldat

Seinen Hals verloren hat.

Jetzt zumal (das sieht sich ein),

Da der Führer unsrer Scharen

Der von Figueroa ist,

Herr Don Lope, wie Ihr wißt,

Der als tapfer, kriegserfahren

Ist berühmt im ganzen Reich;

Aber auch als arger Schwörer,

Flucher, Quäler, Freudenstörer,

Der den besten Freund sogleich

Hängen läßt, wenn's ihm behagt,

Ohne viel Prozeß zu machen.

REBOLLEDO. Nun, ihr Herrn, ist das zum Lachen

Nein, ich mach's, wie ich gesagt!

ZWEITER SOLDAT. Prahlt ein Kriegsmann mit dergleichen?

REBOLLEDO. Ei, für mich ist das gering,

Doch nicht für dies arme Ding,

So im Land herumzustreichen.

CHISPA. O Herr Rebolledo, schon' Er

Mich nicht gar zu zimperlich.

Denn seit langem weiß Er, ich

Hab' ein Herz wie ein Dragoner,

Und ein Schimpf ist mir solch Zagen.

Deshalb ging ich auf die Fahrt,

Um Strapazen aller Art

Keck und rühmlich zu ertragen.

Wollt' ich nur mich füttern lassen,

Leben nur in Saus und Braus,

Ei, so hätt' ich ja das Haus

Meines Amtmanns nicht verlassen,

Wo die Hüll' und Fülle war,

Jeden Monat viel Geschenke;

Denn so 'n Amtmann – das bedenke! –

Schont den Beutel nicht so gar.

Aber will ich nun im Troß

Mitmarschieren, Not und Plagen

Mit dem Rebolledo tragen,

Ohne Furcht vor dem Profoß:

Braucht ihr nicht ... Was gibt's zu sorgen?

REBOLLEDO. Nein, beim Himmel, der's dir lohne,

Du bist aller Weiber Krone!

ERSTER SOLDAT. Das ist keinem Mann verborgen.

Vivat Chispa!

REBOLLEDO. Wer wird schweigen?

Nochmals Vivat! und zumal,

Wenn sie diese Müh' und Qual

Beim Bergauf-, Berguntersteigen

Lust uns zu erleichtern hätte

Durch Gesang und durch Musik.

CHISPA. Antwort geb' auf die Supplik

Vorgeladne Kastagnette.

REBOLLEDO. Ich will auch nicht müßig sein.

Den Partein, die vorgeladen,

Sprecht das Urteil, Kameraden!

ERSTER SOLDAT. Meiner Seel'! das gehn wir ein.

 

Rebolledo und Chispa singen mit Begleitung der Kastagnetten.

 

CHISPA. Jetzt soll, trallala, trallala, schallen,

Wohl das beste Lied von allen.

REBOLLEDO. Jetzt soll, titiri, titiri, tönen,

Wohl das schönste Lied der schönen.

CHISPA. Mag der Hauptmann gehn zu Schiffe

Und der Fähnrich in die Schlacht!

REBOLLEDO. Mag, wer Lust hat, Mohren töten!

Haben mir kein Leid gethan.

CHISPA. Schiebt hinein und hinaus zum Ofen,

Daß mir Brot nicht fehlen mag.

REBOLLEDO. Wirtin, schlachte mir nur die Henne,

Hammelfleisch ist mir fatal.

ERSTER SOLDAT. Halt doch! Ist's verdrießlich nicht

(Da so trefflich auf dem Gange

Wir uns labten am Gesange),

Daß wir jenen Turm so dicht

Vor uns sehn? Denn ohne Fragen

Ist das unser Nachtquartier.

REBOLLEDO. Ist das Zalamea hier?

CHISPA. Mag der Glockenturm es sagen!

Aber thu' es euch nicht leid,

Wird mein Singen eingestellt;

Oft genug, wenn's euch gefällt,

Gibt's dazu Gelegenheit.

Dazu dürft' ihr mich nicht zwingen;

Denn, wie andre Fraun geschwind

Bei der Hand mit Weinen sind,

Bin ich bei der Hand mit Singen.

Hundert Lieder, wenn ihr's fordert!

REBOLLEDO. Laßt, bei so bewandten Sachen,

Hier ein wenig Halt uns machen,

Bis uns der Sergeant beordert,

Ob die Schar in Reih' und Glied

Einziehn soll.

ERSTER SOLDAT. Wie abgekartet

Kommt er schon; allein es wartet

Auch der Hauptmann, wie man sieht,

Auf Bescheid.

 

Hauptmann und Sergeant treten auf.

 

HAUPTMANN. Was gebt ihr mir

Botenlohn, ihr Herrn Soldaten?

Heute sind wir wohl beraten,

Denn wir rasten im Quartier,

Bis Don Lope mit den Seinen

Kommt, die in Llerena blieben.

Hier – so ward uns vorgeschrieben –

Soll sich unsre Schar vereinen

Und nach Guadalupe ziehn

Dann erst, wenn das Regiment

Ist beisammen, ungetrennt.

Bis er ankommt, ist Termin

Zur Erholung euch gegeben,

Nach des Marsches Last und Fron.

REBOLLEDO. Das verdiente Botenlohn!

SOLDATEN. Unser Hauptmann, der soll leben!

HAUPTMANN. Die Quartierung ist geschehn,

Und die Zettel auszuteilen,

Wird der Kommissär nicht weilen,

Wie er kommt.

CHISPA. Nun will ich sehn,

Ja, bei Gott! ob ich einmal

Jenes Lied als wahr erkenne:

Wirtin, schlacht' mir nur die Henne,

Hammelfleisch ist mir fatal.

 

Alle ab, bis auf den Hauptmann und den Sergeant.

 

HAUPTMANN. Herr Sergeant, behieltet Ihr

Auch für mich die Zettel da,

Die ich haben soll?

SERGEANT. O ja!

HAUPTMANN. Und wo ist denn mein Quartier?

SERGEANT. In der Wohnung eines Bauern,

Der der reichste Mann im Ort

Sein soll; aber, wie man dort

Mir gesagt, gibt's keinen rauhern,

Stolzern Menschen auf der Welt,

Eitler und von höherm Ton

Als ein Erbprinz von Leon.

HAUPTMANN. Solch ein dummer Stolz gesellt

Gut sich zu dem reichen Bauer.

SERGEANT. Wie man sagt, ist dies die beste

Wohnung in dem ganzen Neste.

Aber, sag' ich's Euch genauer,

Nicht deshalb wählt' ich dies Haus,

Weil es soll das beste sein,

Sondern weil im Orte kein

Schöner Mädchen ist ...

HAUPTMANN. Sprecht aus!

SERGEANT. Als die Tochter dort.

HAUPTMANN. Am Ende,

Schön und eitel noch so sehr,

Eine Bäurin ist's, was mehr?

Große Füße, plumpe Hände!

SERGEANT. Ei, wer ist es, der so spricht?

HAUPTMANN. Und warum nicht? Sei gescheit!

SERGEANT. Nützt man besser seine Zeit,

Als wenn man, aus Liebe nicht,

Nur zum Spaß bei müß'ger Rast,

Sich ein Bauermädchen nimmt,

Das auf jedes Wort bestimmt

Antwort gibt, die niemals paßt?

HAUPTMANN. Das behagte nimmer mir,

Auch nicht bloß zum Zeitvertreibe.

Seh' ich nicht an einem Weibe

Zierlichkeit, Geschick, Manier,

Anstand, Unterhaltungsgabe,

So ist sie kein Weib für mich.

SERGEANT. Doch für mich, Herr, sicherlich,

Jede, die ich eben habe.

Laßt uns gehn; denn, in der That,

Mir kommt solch ein Leckerbissen

Sehr gelegen.

HAUPTMANN. Willst du wissen,

Welcher recht von beiden hat?

Wer da minnet rein und edel,

Tönt ihm seiner Schönen Name,

Spricht er: Das ist meine Dame!

Nicht: Das ist mein Bauermädel!

Folglich, wenn man Dame nennt,

Die man liebt, so ist die Lehre,

Daß man dieses Namens Ehre

Keiner Bäurin zuerkennt. –

Doch was gibt's? Sich umsehend.

SERGEANT. Dort an der Ecke

Steigt ein Mann von seiner magern

Rosinante jetzt herunter,

Und er gleicht von Wuchs und Ansehn

Dem berühmten Don Quijote,

Dessen Abenteur und Fahrten

Miguel von Cervantes schrieb.

HAUPTMANN. War je solch ein Kerl vorhanden?

SERGEANT. Kommt, Herr Hauptmann; es ist Zeit.

HAUPTMANN. Erst, Sergeant, bringt meine Sachen

Ins Quartier und kommt zurück,

Um mir dann Bescheid zu sagen. Beide ab.

 

Gasse im Dorf, vor Crespos Hause.

Don Mendo und Nuño treten auf.

 

MENDO. Nun, wie geht der Gaul?

NUÑO. Er steht,

Denn er kann nicht mehr vom Platze.

MENDO. Sagtest du dem Burschen, sprich!

Daß er ihn herumgehn lasse?

NUÑO. Schönes Futter!

MENDO. Nichts kann besser

Einem Gaul Erholung schaffen.

NUÑO. Nein, ich halt' es mit der Gerste.

MENDO. Daß man frei die Hunde lasse,

Sagtest du's?

NUÑO. Sie wird es freuen,

Nicht den Fleischer.

MENDO. Gnug zur Sache!

Nun Zahnstocher her und Handschuh,

Denn schon hat es drei geschlagen.

NUÑO. Nimmt man nun das Hölzlein weg,

Als bezüglich?

MENDO. Wer da wagte,

Nur zu denken, daß ich nicht

Mit Fasanen heut getafelt,

Solcher lügt in seinem Denken;

Hier und an belieb'gem Platze

Geb' ich's ihm zu kosten.

NUÑO. Besser

Gäbst du mir, als einem andern,

Was zu kosten; denn ich bin

Ja dein Diener.

MENDO. Dummes Schwatzen!

Ist's denn wahr, daß Kriegestruppen

Eingezogen sind heut abend

In dies Dorf hier?

NUÑO. Freilich, Herr.

MENDO. Ja, das Bauernvolk beklag' ich,

Solche Gäste zu bekommen!

NUÑO. Die sind mehr noch zu beklagen,

Die sie nicht bekommen.

MENDO. Wer denn?

NUÑO. Wundre dich nur nicht: der Adel.

Denn daß man in Adelshäuser

Niemals Truppen legt, weshalben

Glaubst du daß es sein mag?

MENDO. Nun?

NUÑO. Daß sie nicht vor Hunger fallen.

MENDO. Ruh' in sanfter Rast die Seele

Meines seligen Herrn Vaters,

Weil er solchen schönen großen

Adelsbrief mir hinterlassen,

Mit Azur und Gold gemalt,