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Der Autor erhielt für das Schreiben dieses Buches ein Stipendium des Sonderfonds für Journalistische Projekte www.fondsbjp.nl und aus dem Fonds Pascal Decroos www.fondspascaldecroos.org

© Rinke van den Brink,

niederländische Ausgabe 2013, 2014

deutsche Ausgabe 2015

Übersetzung: Siegfried Armbruster, GxP Language Services.

Mit freundlicher Unterstützung von Marian Pyritz.

Lektorat: Antje Wunderlich, EuroHealthConnect

(www.eurohealthconnect.eu)

Titelgestaltung: Büro Büning Informationsgestalter

unter Verwendung einer Fotografie von grieze via fotolia.de

Typografie: Büro Büning Informationsgestalter

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978 373 9290744

NUR 870

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Der Inhalt dieses Buches darf auch in Auszügen nicht vervielfältigt und/oder veröffentlicht werden (Druck, Fotokopie oder andere Medien), ohne die vorherige schriftliche Zustimmung von De Geus BV, Postfach 1878, 4801 BW Breda, Niederlande. Telefon: +31 (0)76 522 8151 (www.degeus.nl) oder von EurSafety Health-net (www.eursafety.eu).

Inhalt

Vorwort

“ἀσκέειν, περὶ τὰ νουσήματα, δύο, ὠφελέειν, ἢ μὴ βλάπτειν”

„Für die Behandlung von Krankheiten gilt zweierlei, nützen oder keinen Schaden zufügen.“

(HIPPOKRATES, EPIDEMIEN, I, 5)

Hochqualitative Gesundheitsversorgung ist für unsere Gesellschaft selbstverständlich geworden. Während eines Krankenhausaufenthaltes jedoch krank zu werden, passt nicht in unser Denken und bleibt unverständlich, ja unakzeptabel, wenn dann vermeidbar. Diese Gesellschaft wird sich in den kommenden Jahrzehnten zudem deutlich verändern. Im Jahr 2050, wenn bis zu einem Drittel der Menschen 65 oder älter sein wird, werden der „Silver Generation“ stets komplexere und invasivere medizinische Behandlungen und aufgrund innovativer Entwicklungen neue Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Die Priorisierungsfrage wird dann vor allem über die Qualität der Versorgung entschieden werden. Finanzielle Mittel zur medizinischen Versorgung werden auch in Zukunft grundsätzlich noch für jeden in Deutschland und den Niederlanden zur Verfügung stehen. Jedoch wird nicht mehr jede Einrichtung auch jede medizinische Leistung anbieten und durchführen, wenn nicht die Exzellenz der Versorgungsqualität sichergestellt ist. Aber wie misst man diese Versorgungsqualität? Hierzu hat sich ein ganzer Wissenschaftszweig entwickelt, der sich mit diesem Thema beschäftigt. Zusammengefasst geht es um: Primum non nocere, frei übersetzt: erstmal niemandem Schaden zufügen. Das ist die bekanntere Kurzversion aus römischer Zeit des oben genannten Leitspruchs europäischer Medizin, seit zwei Jahrtausenden. In ihm verbergen sich zwei Aufträge. Der erste bezieht sich auf die richtige Indikationsstellung, das heißt niemanden ohne Indikation zu behandeln, da ja die Behandlung selbst Nebenwirkungen haben kann. Zweitens, niemanden durch medizinische Behandlung – eigentlich vermeidbaren – Schaden zuzufügen. Aber um welchen Schaden geht es hier eigentlich. Mit zu den häufigsten Komplikationen, die Patienten während ihrer Behandlung widerfahren, gehören behandlungsassoziierte Infektionen, kurz Krankenhausinfektionen. Die Vermeidung dieser Infektionen ist Aufgabe der Krankenhaushygiene und Teil einer nachhaltigen Gesundheitsversorgung. Aber wie geht das? Wie vermeide ich eine Infektion bei einem 86-jährigen Diabetespatienten mit entsprechender Durchblutungsstörung, der auch schon an einer anderen Körperstelle eine chronische Wunde hat, bevor er zu seiner elektiven Operation ins Krankenhaus aufgenommen wird. Ist die Entstehung einer Infektion bei einem solchen Patienten vermeidbar? Häufig wird so getan, als ob einfach nur eine verbesserte Hygiene diese Infektionen verhindern könnte. Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, aber das ist viel zu vereinfacht und entspricht nur bedingt der Wahrheit. Die Vermeidung von Infektionen setzt an drei Punten an:

  1. den Menschen selbst
  2. den Mikroorganismen
  3. der Umwelt oder Umgebung des Patienten

Die Prävention für den Menschen selbst setzt bereits an der Indikationsstellung an. Ist keine Operation oder kein zentraler Venenkatheter erforderlich, kann es auch zu keiner post-operativen Wundinfektion oder Kathetersepsis kommen. Ist der Operateur Meister seines Faches und die Operationstechnik gewebeschonend und schnell, gepaart mit einem Bündel anderer Maßnahmen, treten Infektionen seltener auf. Ja, der beste Hygieniker ist in diesem Fall der Chirurg selbst. Ist der Patient gesünder zum Zeitpunkt des Eingriffs, ist die Infektionsrate niedriger (Better-in/Better-out-Prinzip). An der präventiven Stellschraube „Mikroorganismus” zu drehen ist der zweite Ansatz. Es kommt dabei nicht so sehr auf die Menge der Mikroorganismen an, die vorhanden sind, sondern vor allem auch darauf, welche Mikroorganismen anwesend sind und was sie am Ort des Geschehens (also in unserem Beispiel in der OP-Wunde) ausrichten können. Für wenige Beispiele ist die präventive Reduktion von Erreger vor Behandlung unter bestimmten Gegebenheiten sinnvoll, so zum Beispiel die nasale Dekontamination vor Thorakotomie oder auch Hüft-Operation. Schon bei der Selektiven Darm-Dekontamination (SDD), die vor über 30 Jahren hier in Groningen von Professor van der Waaij und Kollegen entwickelt wurde, scheiden sich jedoch die Geister. Genauso viel Evidenz spricht dafür sowie dagegen. Vergessen wird häufig, dass das Hintergrundrauschen des Resistenzkontexts entscheidend für die Auswirkungen des SDD-Selektionsdrucks ist. Die Desinfektion oder eine präventive antibiotische Behandlung kann kolonisierende Erreger zwar reduzieren, wenn aber vom falschen Erreger auch nur ganz wenige übrig bleiben, kann das trotzdem noch eine schwere Infektion verursachen. Damit ist nicht klar, wie eine verbesserte Hygiene eine Infektionen verhindern soll, wenn doch die meisten Infektionen endogenen Ursprungs sind, das heißt dass der Erreger eigentlich bereits auf dem Patienten selbst kolonisiert und durch den medizinischen Eingriff in Körperbereiche vordringt, wobei es dann in der Folge zu einer Infektion kommt. Ist das hygienisch zu verhindern? Zum Teil, Asepsis ist hier ein magisches, aber auch uraltes Lieblingswort von Behandlern und Hygienikern. Kann jedoch bei aller Asepsis die endogene Infektion verhindert werden? Das bringt mich gleich weiter zur dritten Stellschraube, der Infektionsprävention: Die Umgebung. Ja, hier ist die Hygiene in ihrem Element. Die Vermeidung der Übertragung von Mikroorganismen über die Umgebung (Geräte, Oberflächen, Wasser, Luft, Lebensmittel etc.), also aus der Umwelt des Patienten. Klassische Hygiene nimmt diesen Aspekt in den Fokus. Es geht hierbei um die primäre Prävention der Übertragung von Mikroorganismen auf den Menschen, Transmissionsprävention also. So weit so gut. Verhindert primäre Transmissionsprävention die Entstehung endogener Krankenhausinfektionen? Vielleicht, wenn der Erreger möglicherweise exogen erworben wird. Vielleicht unter bestimmtem Selektionsdruck.

Das führt uns dann zum eigentlichen, innovativen Aspekt in der Krankenhaushygiene. Einerseits geht es darum, alle Infektionen, die vermieden werden können, auch zu vermeiden. Leider wird man nicht alle Infektionen immer auch vermeiden können, schon gar nicht mit Hygiene alleine. Auch wenn die Indikationsstellung zur Behandlung so streng wie möglich gehandhabt wird und der Umgang mit dem Patienten nach allen Regeln der Asepsis und der hygienischen Kunst erfolgt und man den Patienten auf Erreger hin untersucht hat, um ihn präventiv davon zu befreien, wird es trotzdem noch Krankenhausinfektionen geben. Also, was tun? Ja, genau, neben der Infektionsprävention geht es auch vor allem um Resistenzprävention, also die Vermeidung der Ausbreitung von antibotikaresistenten Erregern, die Patienten exogen besiedeln und in derselben oder während der nächsten medizinischen Behandlung zu einer (dann endogenen) Infektion führen. Das charakteristische an diesen Besonders Resistenten Mikro-Organismen (BRMO) ist, dass sie als fakultative Pathogene, bei Patienten mit Grunderkrankungen und medizinischen Eingriffen Infektionen verursachen können, dass sie unter Antibiotika-induziertem Selektionsdruck auch trotz Standardhygiene von Patient zu Patient übertragen werden können und im Falle einer Infektion, die Therapieoptionen meist deutlich eingeschränkter sind, als bei nicht resistenten Formen. Da der Patient eine Grunderkrankung hat und eben gerade deswegen eine spezifische antiinfektive Therapie benötigt, schränkt die Ausbreitung solcher Erreger von Mensch zu Mensch die Therapieoption ein und verschlechtert die Behandlungschancen. Die Versorgungsqualität wird dadurch deutlich reduziert. Da täglich neue Patienten in ein Krankenhaus aufgenomen werden, kann ein solcher Erreger sich theoretisch kontinuierlich ausbreiten. Dies ist ein Art biologischer Indikator für mangelhafte Resistenzprävention und damit unzureichender Krankenhaushygiene. Die Vermeidung der Verbreitung von BRMO innerhalb von medizinischen Einrichtungen verbessert die Behandlungsoptionen für die Patienten. Die moderne Krankenhaushygiene hat daher zwei Hauptaufgaben, sowohl die Infektions- als auch die Resistenzprävention. Das ist einfacher geschrieben als getan, denn die Resistenzprävention ist nicht so einfach umsetzbar. Die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen folgt den Gesetzmäßigkeiten komplexer ökologischer Netzwerke. Erreger mit Resistenzen verbreiten sich von Mensch zu Mensch, aber auch von Mensch zu Tier und andersherum. Resistenzgene verbreiten sich von Bakterie zu Bakterie und über die Umwelt. Viele Mechanismen sind auch noch unbekannt, wie zum Beispiel der Einfluss von Bakteriophagen an der Verbreitung von Reistenzgenen über die Umwelt.

Das vorliegende Buch hat nicht zum Ziel, die gesamte Systembiologie der Antibiotikaresistenzen zu erläutern, sondern möchte den Menschen in den Mittelpunkt setzen ohne den erforderlichen One-Health-Ansatz dabei zu vergessen. Es geht aber vor allem um die „Big 6“ der modernen Infektionsmedizin, deren Verbreitung es zu verhindern gilt.

  1. Methicillin-resistente S. aureus (MRSA)
  2. Vancomycin-resistente Enterococcus faecium (VRE)
  3. ESBL Enterobacteriaceae (v.a. e. coli), also 3MRGN
  4. Carbapenem-resistente Enterobacteriaceae (CRE)
  5. Carbapenem-resistente Non-fermenter (v. a. Acinetobacter baumannii (CRAb), Carbapenem-resistente pseudomonas aeruginosa (CR-PA)), also 4MRGN
  6. Multi-resistente Clostridium difficile

Dispositionsfaktor Antibiotika

Verursachen die „Big 6” eigentlich echte Infektionskrankheiten? Eine typische Frage aus der Praxis. Das Paradigma der Infektionskrankheiten trifft in der Tat auch bei diesen Krankenhauskeimen beinahe zu, aber nur fast. Auch hier gilt die Regel von Exposition und Disposition. Exposition, weil der Erreger in effektiven Kontakt (zum Beispiel Kontakt mit Schleimhaut) mit dem Menschen kommen muss. Die Disposition unterscheidet sich etwas vom klassischen Paradigma. Hier spielt nicht nur die Immunität eine Rolle für die Entstehung eine Infektion, sondern zunächst geht es um die Kolonisationsdisposition und danach um die Infektionsdisposition. Der Erreger muss sich also zunächst auf der Haut und Schleimhaut der Patienten etablieren und vom transienten Kontaminant zum permanenten Bestandteil des Mikrobioms werden. Diese Kolonisationsdisposition hängt von Faktoren ab, die erregerspezifisch sind. Also Katheter und Wunden, die Biofilmbildner (zum Beispiel Staphylokokken) anziehen, Antibiotikaselektionsdruck, die Erreger mit Antibiotikaresistenzen zu einer erhöhten Überlebenschance auf Haut- und Schleimhaut verhelfen. Hat sich der Erreger auf dem Patienten einmal etabliert, hat er Zeit abzuwarten bis eine Infektionsdisposition vorliegt, das heißt ein Zugang zu primär sterilen Bereichen des Körpers (durch Katheter, Operationen, aber auch invasive Beatmung). Diese iatrogene „Sollbruchstelle” erlaubt den fakultativ pathogenen Erregern abhängig von ihrem Arsenal an Virulenzgenen letztendlich eine Infektion zu verursachen. Spätestens jetzt stellt sich dann auch die Frage nach dem Immunsystem des Patienten, wobei eine Immunreaktion gegenüber Erregern aus dem eigenen Mikrobiom anders ausfällt, als bei klassichen Infektionserregern, die nicht zum eigenen Mikrobiom gehören und die auch noch geschützt im Biofilm auf dem Fremdkörper bis tief in eigentlich primär sterile Körperkompartimente gelangen können. Dennoch, muss der Körper mit seinem Immunsystem und seiner natürlichen Regeneration das Infektionsgeschehen unter Kontrolle bringen. Die meisten schwerkranken Patienten sind hierzu selber nicht mehr in der Lage. Sie benötigen Hilfe durch die Reduktion und Elimination des auslösenden Agenz, den Mikroorganismen.

Das ist der Moment der Antibiotikatherapie. Lebensrettende Medikamente, Wundermitteln gleich. Vor rund 80 Jahren entdeckt, verbunden mit den Namen Penicillin (1928 durch Alexander Flemming in Schottland entdeckt) und Sulfonamid (dessen antibakterielle Wirkung 1935 durch Gerhard Domagk in Münster beschrieben wurde) haben sie die moderne europäische Medizin wie kaum eine andere Entdeckung geprägt. Vor 70 Jahren hat die Penicillin-Injektion bei einem für tot geglaubten 25-jährigen Wundbrandpatienten auf Außenstehende gewirkt, wie wenn heute mit Hilfe einiger Injektionen ein Krebsleiden einfach wegbehandelbar wäre. Diese Wundermittel haben jahrzehntelang Heilung ermöglicht, Leben gerettet. Wir haben uns daran gewöhnt, doch das Kapitel der Infektionskrankheiten und Infektionen ist noch lange nicht geschlossen. Im Gegenteil, es scheint sich seit den 90er Jahren wieder zu öffnen. In Europa nicht so sehr in Bezug auf die klassischen Infektionskrankheiten wie TBC, Malaria, HIV, Darmtyphus und Shigellose, die auf anderen Kontinenten ebenfalls resistent gegenüber Antiinfektiva werden. In Europa sind vor allem die Krankenhausinfektionen und die sie auch verursachenden BRMO die Herausforderung Nummer eins der medizinischen Behandlung. Ihr Vorkommen bestimmt in Zukunft in großem Maße den Grad der Versorgungsqualität. Die nosokomiale Ausbreitung von antibiotikaresistenten Erregern ist ein biologischer Indikator für den Erfolg oder Misserfolg der lokalen und regionalen Infektions- und Resistenzprävention und hat dabei eine fatale Konsequenz. Je mehr Menschen bereits mit BRMO besiedelt sind, desto mehr Infektionen können während der medizinischen Behandlung ursächlich und endogen durch sie entstehen.

Worin unterscheiden sich die Niederlande von Deutschland in Bezug auf die Krankenhaushygiene?

In den Niederlanden hat man die Tradition Robert Kochs und Louis Pasteurs weiterentwickelt, die unsichtbare Welt zu erkennen bevor sie Schaden am Menschen anrichten kann. Das hat dazu geführt, dass heute in jedem Krankenhaus, egal ob groß oder klein, ein Facharzt für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene arbeitet, der sich für Prävention, Diagnostik und Behandlung von Infektionen verantwortlich fühlt. Diese Fachärzte werden nach dem Humanmedizin-Studium nochmal fünf Jahre lang genau für diese drei Kernkompetenzen ausgebildet. Sie sorgen in fast allen niederländischen Krankenhäusern für die hohe Qualität der Versorgung, die sich dadurch zeigt, dass MRSA zehn bis 20-mal und VRE dreibis sechsmal seltener auftreten. 4MRGN kommen bisher lediglich sporadisch vor. Diese Fachärzte sind jeden Tag auf den Intensivstationen, gemeinsam mit Radiologen und Pathologen, fester Teil der multidisziplinären Patientenkonferenzen und kennen außerhalb der Akutversorgung alle Hausärzte, mit denen sie zusammenarbeiten persönlich. Sie sind auch die einzigen Fachärzte, die antibiotikaresistente Erreger erkennen können, bevor der erste Patient daran erkrankt. Sie können die Prävention dieser Erreger am frühesten initiieren. Niederländische Krankenhäuser sind in der Summe gesehen bisher sicherer in Bezug auf nosokomial übertragbare Erreger (HA-MRSA, 4MRGN), weil eben in fast jedem Krankenhaus – auch in Häusern mit 200 bis 300 Betten – ein Medizinischer Mikrobiologe/ Krankenhaushygieniker sowie Hygienefachkräfte arbeiten. Damit gibt es viel mehr vor-Ort-Kompetenz, die die erforderlichen „Augen für das Unsichtbare“ haben, um Patienten vor antibiotikaresistenten Erregern, Krankenhausinfektionen und anderen Infektionsgefahren schützen zu können. Das Outsourcen von medizinisch-mikrobiologischen und krankenhaushygienischen Tätigkeiten weit weg vom Patienten hat in Deutschland und anderen Ländern dazu geführt, dass die klinischen Aufgaben und Leistungen der Mikrobiologie und Krankenhaushygiene nicht die erforderliche patientennahe Intensität und Qualität erreichen können. Alle Maßnahmen, die umgesetzt werden müssen hängen davon ab, ob ein Krankenhaus ausreichend vor-Ort-Kompetenz hat. Die Niederlande haben das Mitte der 80er Jahre erkannt und seitdem mit Nachdruck junge Fachärzte ausgebildet und ihnen auch in kleinen und mittelgroßen Krankenhäuern eine interessante Berufsperspektive geboten. Insgesamt werden ca. 100 Assistenzärzte zu Fachärzten für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene ausgebildet. Jedes Jahr kommen 20 hinzu und werden 20 neue Fachärzte in Krankenhäuser eingestellt. Daher arbeiten ca. 250 Fachärzte in den 100 niederländischen Krankenhäusern, in Deutschland ca. 700. Deutschland ist sechsmal so groß wie die Niederlande und hat 20-mal soviele Krankenhäuser.

Von Diagnostik zu „Theragnostik”

Standardantibiotikabehandlungen, inklusiv Prophylaxen können bei schwerstkranken Intensivpatienten in den entscheidenen ersten Stunden der adäquaten kalkulierten Antibiotikabehandlung unwirksam sein, wenn der ursächliche Erreger dagegen resistent ist. Zudem kann der Erreger – durch Selektionsdruck getriggert – auch noch auf andere Patienten „fotokopiert” werden. Hier liegt das Hauptproblem. Wie aber kann man wissen, welche Therapie die richtige ist? Wie kann man wissen, dass die Standardhygiene unzureichend ist, um eine Übertragung zu vermeiden? Hierzu sind Augen für das Unsichtbare erforderlich. Die Kenntnis über den plausiblen Mikroorganismus im menschlichen Mikrobiom, das das endogene Reservoir für die Krankenhausinfektionen darstellt, ist von herausragender Bedeutung. Hierfür werden seit ca. 100 Jahren medizinisch-mikrobiologische Untersuchungen mit Erfolg durchgeführt. Sie ist mit ein wesentlicher Erfolgsgrund der westlichen Medizingeschichte. Sowohl für den Beginn einer adäquaten Behandlung als auch für die Etablierung adäquater Präventionsmaßnahmen. Die mikrobiologische Untersuchung ist eine Frühform der personalisierten Medizin. Nehmen wir folgendes Beispiel: Fünf Patienten auf einer Station leiden an Diarrhoe. Ist das dann ein Ausbruch und eine Übertragung von Mensch zu Mensch und damit ein Hinweis auf mangelhafte Hygiene? Mit Hilfe der medizinischen Mikrobiologie stellt sich jedoch heraus, dass drei Patienten Noroviren haben, ein Patient eine EHEC-Infektion, ein Patient eine Shigellose. Die Noroviruspatienten werden isoliert, der EHEC Patient sollte besser keine Antibiotikatherapie, der Shigellose-Patient möglicherweise schon eine erhalten und zwar mit dem Antibiotikum, wogegen der Erreger empfindlich ist.

Eine personalisiertere Medizin kann man sich kaum vorstellen. Wovon Onkologen und Humangenetiker träumen ist in der Infektionsmedizin längst Alltag. An die Situation, den Patienten und an den in diesem Patienten nachgewiesenen Erreger angepasste Behandlung und Umsetzung präventiver Maßnahmen. Die Thera-pie wird in Kombination mit dieser personalisierten mikrobiologischen Dia-gnostik zur „Thera-gnostik”. Therapie und Diagnostik sind untrennbar miteinander verbunden, entlang der integralen Behandlungskette. Leider besteht weitläufig das Konzept, dass die mikrobiologische Untersuchung eine eigenständige und von der Behandlung und Prävention getrennt zu betrachtende Maßnahme darstellt. Aus meiner Sicht eine Herausforderung für die Patientensicherheit und Qualität der Versorgung, da die strikte Trennung in Diagnostik einerseits und Therapie beziehungsweise Prävention andererseits, dazu geführt hat, dass vergessen wird, was die eigentlichen Fagen waren, die Patienten in Bezug auf Infektionen und Infektionskrankheiten an uns gestellt haben, nämlich:

  1. Wie kann ich vor Infektionen geschützt werden?
  2. Habe ich eine Infektion, und wenn ja, welche?
  3. Und wie ist die optimale Behandlung für mich?

Diese drei Kernfragen, sind zeitgleich die Kernkompetenzen der Infektionsmedizin: Infektionsprävention, Diagnostik und Behandlung. Alle drei Aspekte sind integraler Bestandteil der Resistenzprävention. Die Infektionsprävention sensu stricto mit dem Schwerpunkt auf der Übertragungvermeidung von Erregern (v.a. BRMO) ist primäre Resistenzprävention, die Diagnostik mit der Möglichkeit der Früherkennung von BRMO noch bevor der erste Patient daran erkrankt und Maßnahmen ermöglicht, die eine weitere Verbreitung verhindern, ist eindeutig sekundäre Resistenzprävention und das proaktive Antimicrobial Stewardship bei allen Patienten ist durch die Senkung des Selektionsdrucks tertiäre Resistenzprävention. Alle drei Aspekte gehören zusammen und können nicht durch ein einzelnes Fachgebiet, sei es die Medizinische Mikrobiologie, die Hygiene und Umweltmedizin oder die Infektiologie alleine beantwortet werden. Abhängig von der Komplexität der Versorgungsstufe wird es vor allem darum gehen, Strukturen in Krankenhäusern zu schaffen, die eine „metakompetente” Zusammenarbeit aller Fachgebiete ermöglichen und damit Antworten auf die drei Fragen der Patienten geben. Kompetent im eigenen Fachgebiet ist in Zukunft nicht mehr gut genug, sicher nicht in der Infektionsmedizin. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass mikrobiologische Untersuchungen keine klassische Laboratoriumsdiagnostik ist, die in hoher Versorgungsqualität getrennt von Behandlung und Prävention betrieben werden kann. Aber warum? Was unterscheidet die mikrobiologischen Untersuchungen von der vordergründig so ähnlich scheinenden klinisch-chemischen Laboratoriumsdiagnostik. Dreierlei:

  1. der kollektive Kontext
  2. die Stufe der diagnostischen Komplexizität
  3. die Mikroevolution

Zunächst der kollektive Kontext. Natrium und Kalium sind eben nicht übertragbar von Mensch auf Mensch; MRSA, 4MRGN und Norovirus sind es schon, das heißt der Nachweis oder Ausschluss dieser Erreger hat nicht nur Einfluss auf die Behandlung des untersuchten Patienten selbst, sondern auch auf Maßnahmen und ggf. die Behandlung bei seinen Mitpatienten. Streng genommen, müssten die Kostenträger der Mitpatienten die mikrobiologische Diagnostik beim untersuchten Patienten mitbezahlen. Ein Unterlassen der Untersuchung beim ersten Patienten kann zudem die Behandlung der Mitpatienten risikoreicher machen. Mikrobiologische Untersuchungen sind daher wichtiger Bestandteil der Patientensicherheit. Die Kosten der mikrobiologischen Diagnostik sind daher eigentlich in die Kosten der Therapie oder der aus der Diagnostik folgenden Präventionsmaßnahme zu integrieren. Bezahlt wird die Theragnostik, die bloße Diagnostik – abgekoppelt von klinischen Konsequenzen – könnte in Zukunft möglicherweise nicht mehr vergütet werden. Zweiter entscheidender Unterschied zur Laboratoriumsdiagnostik ist die Versorgungs-Komplexizität. Natrium und Kalium werden mehr oder weniger auf die gleiche Art und Weise bestimmt. Ob nun beim 20-jährigen Patienten mit einem Analabszess oder beim hochimmunsupprimierten Transplantationspatienten. Es werden beim zweiten Patienten ggf. mehr Parameter untersucht, aber die Untersuchung derselben Parameter ist bei beiden Patienten vergleichbar. Die mikrobiologischen Untersuchungen unterscheiden sich abhängig von der Komplexizität der Behandlung und Schweregrad der Grunderkrankung. Nicht nur werden mehr Biomarker untersucht, sondern werden die Untersuchungen (zum Beispiel BAL) viel detaillierter durchgeführt, ein breiteres Spektrum (Bakterien und Viren etc.) von Mikroorganismen untersucht, bei Einsatz von SDD werden detaillierte Resistenzanalysen erforderlich und werden Mikroorganismen typisiert sowie stets häufiger molekularbiologische Sequenznachweise durchgeführt, da die alleinige Speziesbestimmung nicht mehr ausreichend ist.

Die Untersuchung des Urins bei einem Intensivpatienten an einem Universitätsklinikum unterscheidet sich zum Teil grundlegend von der Untersuchung eines Patienten an einem Haus der Regelversorgung (Regeldiagnostik). Die mikrobiologischen Untersuchungskapazitäten für die zwei genannten Versorgungsstufen sind daher nicht vergleichbar. Die Durchführung der mikrobiologischen Untersuchung aus Maximalversorgersicht bei einem Labor der Regelversorgung ist aus niederländischer Sicht heute schon nicht mehr adäquat und wird in Zeiten der Ausbreitung komplexer, zum Teil noch nicht beschriebener Resistenzmechanismen sogar eine mögliche Gefahr für die unkontrollierte Verbreitung der Resistenzen. Dies führt mich zum dritten Grund, warum mikrobiologische Untersuchungen keine klassische Labordiagnostik sind, zur Mikroevolution. Bleiben wir bei unserem Beispiel von Natrium und Kalium: Beide Biomarker bleiben bei homo sapiens auch noch in 200 Jahren Natrium und Kalium. Anders in der medizinischen Mikrobiologie. Die Biomarker der medizinischen Mikrobiologie sind einer eigenen Ökologie und Mikroevolution unterworfen, sie verändern sich, entweder durch epidemische Ausbreitung oder durch Erbgutveränderung. Das kann innerhalb von Wochen, selbst Tagen und mit regionalen Unterschieden erfolgen. Ein prominentes Beispiel ist die Ausbreitung von mecC-tragenden MRSA, die mehrere Jahre unentdeckt blieben. Oder auch Carbapenem-resistente gram-negative Erreger, mit bisher noch nicht beschriebenen Resistenzgenen, die in der Routinediagnostik nicht oder nur schwerlich erkannt werden. Dieses Beispiel zeigt die Schwachpunkte einer IVD/CE-zertifizierten Diagnostik, die in einer durch Mikroevolution rasch verändernden Welt rasch „blind” werden kann in Bezug auf emerging mikrobiologische Phänomene. Die mikrobiologische Diagnostik muss daher in Tuchfühlung gehen mit der lokalen und regionalen Mikroevolution und ihre Testsysteme kontinuierlich daran anpassen. In allen mikrobiologischen Laboratorien ist daher ein gewisses Mass an Versorgungsforschung erforderlich und kann nicht nur Auftrag universitärer Einrichtungen sein. In jedem Fall sind Kooperationen zwischen nicht-akademischen und akademischen Laboratorien ein Lösungsweg.

Die Niederlande sind hier ein interessantes Beispiel. Die Strukturen hier ermöglichen, dass Medizinische Mikrobiologen in fast allen Akutkrankenhäusern arbeiten und an die eigene Patienten- und Erregerpopulation angepasste Diagnostik anbieten, was dem oben genannten Theragnostik-Konzept schon sehr nahe kommt. Diese Ärzte für Mikrobiologie sind verantwortlich für Krankenhaushygiene, Diagnostik und Antimicrobial Stewardship der Patienten und passen die eigenen Testsysteme an die Situation vor Ort an. Auch nicht-akademische Ärzte-Mikrobiologen in regionalen Laboratorien führen regelmäßig angewandte Versorgungsforschung durch und publizieren ihre Ergebnisse in internationalen Fachzeitschriften. Finanziert wird diese Form der Versorgungsforschung aus eingeworbenen Drittmitteln, in Zusammenarbeit mit akademischen Zentren oder dem ÖGD oder da die meisten regionalen Laboratorien Stiftungen ohne Gewinn-orientierung sind, aus einem Teil des Erlöses aus der Patientenversorgung. So kann es sein, dass zwei Krankenhäuser mit zusammen 500 Betten in einer Stadt, zwei Fachärzte für Mikrobiologie in Dienst haben, die beide einen vollwertigen PhD haben und die mit dem eigenem Labor lokale und regionale Evidenz-basierte Mikrobiologie ausführen. Aus meiner Sicht, eines der wichtigsten Erfolgsgeheimnisse in der niederländischen Resistenzprävention. Ärzte-Mikrobiologen, Krankenhaushygieniker und/oder Infektiologen in fast jedem Krankenhaus bilden ein stabiles Netzwerk der Kompetenz im gesamten Land, in denen VRE, MRSA, 4MRGN etc. nicht lange unbemerkt bleiben und an ihrer Übertragung so früh wie möglich gehindert werden.

Den Patienten folgen

Kolonisierende Erreger wie BRMO folgen ihrem Träger auf seinem Weg durch das Gesundheitswesen. Abhängig von der Phase der Grunderkrankung und damit dem Grad der disponierenden Faktoren, der Intensität und (Un-)Vorhersehbarkeit der Kontakte sowie dem Einsatz von Antibiotika ist die Übertragung mehr oder weniger wahrscheinlich. Während sie in der Hausarztpraxis eher gering ist, ist sie auf der Intensivstation mit am höchsten. Wer die Ausbreitung von BRMO verstehen will, muss die Bewegung der Patienten innerhalb sowie zwischen den Gesundheitseinrichtungen verstehen. Dies führt mich direkt zur Netzwerkanalyse der Versorgungcluster. Unsere Untersuchungen in der Euregio haben gezeigt, dass bestimmte Abteilungen zweier unterschiedlicher Krankenhäuser möglicherweise mehr Patienten miteinander austauschen als zwei Abteilungen innerhalb desselben Krankenhauses.

Aus Sicht der BRMO müssen diese beiden ersten Abteilungen im Bezug auf Prävention so tun als wären sie in einer Klinik. Das klingt verwirrend, aber entspricht der epidemiologischen Realität von BRMO. Nicht das Fachgebiet, der Chefarzt, die Abteilung oder der Vorstand ist entscheidend, sondern die epidemiologische Vernetzung, deren Kenntnis die effektivste Umsetzung von Krankenhaushygiene erlaubt. In Zukunft bedeutet das möglicherweise die Schaffung von „Comprehensive Centers GEGEN Infektionen” in der gemeinsamen Versorgungsregion. Hierzu wird man neuartige Finanzierungswege wie zum Beispiel ein regionales Präventionsbudget benötigen, um regionale Metakompetenz zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von Infektionen aufbauen zu können.

Ist Deutschland im Jahr 2025 noch 4MRGN-frei?

Die Niederlande sind seit den 80er Jahren zusammen mit den skandinavischen Ländern und Island, eine grüne Insel in Europa, wenn es um BRMO geht. Solange MRSA und VRE die einzigen großen BRMO Bedrohungen in Europa waren, konnten sich die Niederlande als Beste in der Klasse bezeichnen. Die Präventions-Anstrengungen in Deutschland der vergangenen zehn Jahre haben dazu geführt, dass man auch in Deutschland die MRSA-Problematik in den Griff bekommen hat, wenn auch mit regional unterschiedlichem Erfolg. Dennoch, MRSA-Infektionen nehmen in Deutschland ab.

Seit dem Jahr 2005 hat sich die Situation auch in den Niederlanden verändert, seitdem in Europa die Anzahl von lebensbedrohlichen Infektionen, die durch gram-negative BRMO verursacht werden, zunimmt. Seit 2012 sind die Niederlande keine grüne Insel mehr in Bezug auf invasive 3MRGN-Infektionen (v.a. Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae). Die aktuelle mikrobiologische Rate in Blutkulturen liegt bei jeweils 5,8 Prozent und 7,5 Prozent (EARS-Net, 2013). Ziemlich unbestritten ist in den Niederlanden, dass die ESBL E. coli hauptsächlich in der industrialisierten Landwirtschaft ihren Urspung haben. Sechs bis zwölf Prozent aller Patienten, die in niederländischen Gesundheitseinrichtungen aufgenommen werden, sind bereits mit ESBL E. coli besiedelt. Das hat Auswirkungen auf den Einsatz von Antibiotika in der Gesundheitsversorgung. Seit 2004 zeigt sich ein allmählicher Anstieg in der Verwendung von Carbapenemen (NethMap 2014). Der kumulative Selektionsdruck begünstigt die Verbreitung von Carbapenem-resistenten Erregern. Gleichzeitig nimmt die Prävalenz von Carbapenem-resistenten Bakterien weltweit zu, durch Migration von Reisenden oder Menschen, die aus Ihrer Heimat nach Europa flüchten. Süd-Europa bekommt das bereits zu spüren und ist damit ein Thema für uns alle. Vergleichbar mit einem Brand, wenn zwei Zimmer eines Hauses Feuer fangen, kann man auch nicht abwarten, sondern muss beginnen zu löschen. Infektionskrankheiten verhalten sich ähnlich wie ein Brand. Sie breiten sich aus, wenn man nichts dagegen unternimmt. Die Türe einfach zu schliessen, wird dabei weder bei einem Brand noch bei Infektionserregern erfolgreich sein. Das einzige was hilft, ist vor Ort zu gehen und das Problem dort zu lösen wo es sich befindet. Möglicherweise, hat sich der Brand jedoch bereits ausgebreitet.

In einer aus Groningen koordinierten europaweiten Studie von Glasner et al. & Grundmann (Eurosurveillance 2013) konnten wir zeigen, dass in vielen europäischen Ländern in Bezug auf CRE/CRAb (das heißt 4MRGN) eine überregionale Ausbreitung bereits im Gange ist, in einigen südeuropäischen Ländern sogar bereits endemisches Niveau erreicht zu sein scheint. Die Niederlande haben bisher nur sporadische Ausbrüche und Einzelfälle, die aus dem Ausland importiert werden (zum Beispiel nach dem Urlaub). Island ist das einzige Land, das noch keine Probleme zu haben scheint. Bei CRAb sind die Niederlande eine Stufe entfernt vom Klassenbesten Island, Deutschland hingegen eine Stufe entfernt vom Klassenschlechtesten. Während es in Bezug auf 3MRGN E. coli scheinbar keinen Unterschied gibt zwischen Deutschland und den Niederlanden, unterscheiden sich beide Länder in Bezug auf 4MRGN (Bathoorn et al. Eurosurveillance 2014).

EurSafety Health-net

Warum gibt es diese Unterschiede? Was können wir voneinander lernen? Wie kann die Situation auf beiden Seiten der Grenze optimiert und Patientensicherheit und der Schutz vor Infektionen verbessert werden? Das sind die Fragen, die zum Projekt EurSafety Health-net geführt haben. Ein Projekt, das entlang der gesamten deutsch-niederländischen Grenze, zwölf euregionale Koordinatoren und Arbeitspaketleiter miteinander verbindet und heute mehr als 1.000 Projektpartner entlang dieser Grenze erreicht. Ein Projekt, in dem eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen, Teilstudien zur Epidemiologie, Prävention und Umsetzung von Hygienemaßnahmen durchgeführt wurden, Referenzkapazitäten und Expertisezentren sowie Helpdesks aufgebaut und Applikationen für Patienten und Mitarbeiter im Gesundheitswesen entwickelt wurden. Ziel war und ist die Etablierung eines euregionalen Qualitätsnetzwerks, in dem Krankenhäuser und Pflegeheime grenzübergreifend miteinander abgestimmte Qualitätsindikatoren implementieren. Im Rahmen von EurSafety wurden diese Indikatoren entwickelt. Ein grenzübergreifendes „Living Lab”, in dem euregional ausprobiert werden kann, was europaweit nutzbar ist. Der Vorteil in der Grenzregion: Hier kann Europa täglich gelebt, Hindernisse und Hürden schneller identifiziert und gelöst werden.

Der Erfolg des EurSafety Health-net Projektes misst sich dabei am deutlichsten am deutsch-niederländischen Netzwerk aller Akteure im Gesundheitswesen, die zusammenarbeiten, um das Problem BRMO in den Griff zu bekommen. Das ist nicht nur etwas für Krankenhäuser, sondern auch für Pflegeheime, Rehakliniken, Arztpraxen, ambulante Pflegedienste, Krankentransporte, Gesundheitsämter, Laboratorien, Krankenkassen und natürlich Patientenorganisationen. Im Rahmen von EurSafety Health-net wurden Qualitätskriterien für Krankenhäuser, Rehakliniken und Pflegeheime erstellt, etabliert und kontrolliert. Wer sich an die Kriterien hält, kann ein grenzüberschreitend gültiges EurSafety Qualitäts- und Transparenzsiegel erhalten. Mittlerweile haben mehr als 100 Kliniken und mehr als 300 Pflegeheime rechts und links der Grenze mindestens eines dieser Siegel, ca. 70 Krankenhäuser zwei, und 30 Krankenhäuser bereits drei Siegel erworben. Hierbei zeigt sich, dass mehr deutsche als niederländische Gesundheitseinrichtungen bisher das EurSafety-Siegel erworben haben. Das liegt vor allem daran, dass es drei- bis sechsmal mehr Krankenhäuser auf deutscher Seite gibt.

In der Grenzregion Twente/Achterhoek, sogar zehnmal mehr Krankenhäuser auf deutscher Seite. Das heißt, dass in Twente mit knapp einer Million Einwohner alle vier Krankenhäuser ein EurSafety-Siegel erlangt haben, auf deutscher Seite alle 40 Krankenhäuser in der Euregio Münsterland. Es gibt auch andere Gründe dafür, dass niederländische Krankenhäuser bisher weniger motiviert waren, ein Siegel erlangen zu wollen. Sie haben einerseits in Bezug auf die meisten BRMO weniger Probleme, haben aber vor allem keine wirkliche Konkurrenz untereinander. Patienten und Bewohner haben keine Wahl, in welches Krankenhaus oder Pflegeheim sie gehen möchten. Wo weniger Konkurrenzdruck ist, besteht kein Interesse, Patienten aus dem Ausland aufzunehmen und daher auch ein geringeres Bedürfnis nach Unterscheidungsmerkmalen in Bezug auf die Qualität. Dennoch sind die EurSafety-Siegel Realität auf beiden Seiten der Grenze geworden. Sie beruhen auf gemeinsamen grenzübergreifend vergleichbaren Indikatoren zum Schutz vor BRMO, sind in der Realität erprobt und helfen Ressourcen von der Behandlung in Richtung der Prävention zu verschieben. Das ist das Hauptziel von EurSafety, Wind für die Präventionsanstrengungen der Hygiene vor Ort zu sein. Ein Siegel zu erlangen dauert in der Regel zwei Jahre. Bisher sind drei Siegel entwickelt worden, zwei weitere werden noch entwickelt. Im Rahmen der EurSafety-Stiftung möchten wir im Jahr 2020 den ersten Krankenhäusern das fünfte Siegel verleihen. Spätestens dann wird es Krankenhäuser geben, die fünf Siegel, andere vier, wieder andere drei, zwei, eins oder auch kein Siegel haben. Den Krankenhäusern steht es frei, aus den Siegeln Sterne zu machen. Ich gehe davon aus, dass Patienten in der grenzüberschreitenden Patientenversorgung lediglich 4-Sterne oder 5-Sterne Krankenhäuser aufsuchen werden und dass Krankenkassen ihre Finanzierung von grenzüberschreitender Versorgung von der Anzahl der Siegel/Sterne abhängig machen werden.

Damit wird der Wunsch der Patienten nach Transparenz und vor Krankenhauskeimen geschützt zu werden in den Fokus gerückt. Krankenhäuser und Pflegeheime können in Ihrer Region, aber auch über die Grenze hinweg zeigen, dass sie die gemeinsamen Qualitätskriterien erfüllen, die manchmal sogar strenger sind, als im eigenen Land selbst. Aber das ist eben wesentlicher Bestandteil der grenzüberschreitenden Patientenmobilität. Die gemeinsame Grenze wird zu einem Motor für Qualität im Gesundheitswesen und es zeigt sich die eigentliche Stärke einer praktisch ausgerichteten grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Ein weiteres wichtiges Projektergebnis ist die Erkenntnis aus den euregionalen Studien, dass die Prävention der Ausbreitung von BRMO nicht in einem Krankenhaus alleine, sondern im gesamten Versorgungsnetzwerk erfolgen muss. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Interventionen auch von allen Krankenhäuern einer definierten Versorgungsregion durchgeführt werden müssen. Im Rahmen des Projektes konnten wir zeigen, dass durch diese regionale Strategie, die nosokomiale MRSA-Indizenddichte um 40 Prozent gesenkt werden konnte (Jurke et al. Eurosurveillance 2013). Das hat aber auch dazu geführt, dass die Krankenhäuser einer Versorgungsregion die Qualitäts- und Transparenzsiegel lediglich gemeinsam erlangen können. Kurz gesagt, machen ein paar Krankenhäuser in einer Versorgungsregion nicht mit oder halten sich nicht an die Regeln, dann bekommt kein Haus der Region das Siegel. Das würde auch keinen Sinn machen, da der Erfolg der Krankhaushygiene in den Häusern davon abhängt, dass alle Partner einer Versorgungsregion sich an die gleichen Regeln halten. Dieses Netzwerk-Prinzip ist für viele Krankenhäuser zwar neu, aber es ist eine der wichtigsten Erkenntnisse aus unserer Arbeit. EurSafety hat auch gezeigt, dass die Netzwerkarbeit hier in der Euregio Einfluss auf nationale Gesetzgebung haben kann. Als „Good-Practice“-Beispiel sind die Daten und Erfahrungen aus der Euregio hier vor Ort zum Beispiel in niederländische und deutsche Empfehlungen, Strategien und Gesetzesnovellen (unter anderem Infektionsschutzgesetz) eingeflossen. Das zeigt, dass Good-Practice aus einem europäischen Land (zum Beispiel die MRSA-Strategie der Niederlande) in ein anderes Land übertragen werden kann, wenn in der Grenzregion die Präventionsprinzipien an das andere Gesundheitssystem angepasst werden. So wurde das niederländische MRSA-Präventions-Prinzip „Search&Destroy“ mit Partnern der Region (vor allem der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe) an das deutsche Gesundheitssystem in Form des „Search&Follow”angepasst und konnte nach erfolgreicher Etablierung dann bundesweit ausgeweitet werden. Das zeigt die Bedeutung der Grenzregionen als eine Art Katalysator für „Good-Practice“ in Europa. Die EU hat zusammen mit den Bundesländern und drei Grenzprovinzen die hierfür notwendige Finanzierung bereitgestellt. Wir sollten noch viel häufiger und überall in Europa hiervon Gebrauch machen, miteinander in Grenzregionen zusammenzuarbeiten.

Hier gibt es auch bereits einige Beispiele. EurSafety hat Kontakt zu anderen grenzübergreifenden Projekten mit vergleichbaren Zielen Kontakt aufgenommen beziehungsweise direkt zusammengearbeitet. Hierzu gehören die Euregio Pomerania zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Polen (HiCare-Projekt), die Euregio Maas-Rhein im Dreiländereck Deutschland, Niederlande, Belgien (euPrevent) und sogar ein Euregio-Projekt zwischen Griechenland und Zypern zur Netzwerkprävention gegen Antibiotikaresistenzen. Im Rahmen der regionalen Netzwerkstrategie werden seit einigen Jahren überall in Deutschland – angepasst an die Situation vor Ort – diese Prinzipien umgesetzt. Das EurSafety Qualitätssiegel ist bisher das einzige grenzüberschreitende Siegel, das bereits etabliert und im Rahmen eines Projektes validiert wurde. Die grenzübergreifende Zusammenarbeit muss aber einen Schritt weiter gehen. Es geht nur vordergründig um die Zusammenarbeit über die für jeden augenscheinliche Grenze zwischen zwei Ländern. Das ist natürlich für sich schon hochspannend. Aber es geht noch um viel mehr. Es geht darum, die Zusammenarbeit über alle Grenzen hinweg zu fördern, die Infektionsprävention verhindern. Grenzen zwischen Abteilungen, Klinken, Einrichtungen, Sektoren, Berufsgruppen, Human- und Tiermedizin. Überall sind Grenzen entstanden, die trennen, Kommunikation erschweren und damit eine Gefahr für die Infektionsprävention aber auch andere Aspekte der Patientenversorgung darstellen. Die Etablierung regionaler Netzwerke ist lediglich die konsequente Reaktion darauf. Was häufig fehlt, ist die entsprechende Finanzierung, die erforderlich ist, um solche Netzwerke moderieren und nachhaltig betreiben zu können. Da solche Netzwerke nicht theoretisch, sondern äußerst konkret sind, braucht man langfristige Finanzierungsquellen. Andererseits ist aber auch Flexibilität erforderlich, da die Netzwerke über die Jahre hinweg verändert werden müssen, weil sich die krankenhaushygienische Situation verändert hat. Daher ist ein Projektansatz, bei dem alle drei bis fünf Jahre eine Folgefinanzierung vom Erfolg der Vorphase abhängt, einer öffentlichen Dauerfinanzierung vorzuziehen. Hierbei könnte die Finanzierung aus einem zukünftigen Netzwerkfond geleistet werden, in den die verschiedenen Beteiligten, öffentliche Geldgeber aber auch Unternehmen und Kostenträger einzahlen könnten.

Dabei zeigt sich, dass die wichtigste Zutat für den Erfolg der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit das Vertrauen zwischen den Projektpartnern ist. Netzwerkorganisationen können nicht hierarchisch organisiert werden. Im Netzwerk gibt es keinen Chef, sie beruhen auf gegenseitigem Vertrauen und der eigenen Einsicht, dass das Gesamte mehr ist als die Summe aller Einzelteile. Natürlich gibt es in einem Netzwerk Koordinatoren und andere Funktionen, aber die sind viel flexibler organisiert und können entstehen und wieder vergehen, davon abhängig, was die jeweilige Situation erfordert. Ohne gegenseitiges Vertrauen, gibt es jedoch keine erfolgreiche Netzwerk-Zusammenarbeit. Hierzu gehört auch, dass sich alle Partner selbst fragen, welche Verantwortung sie selbst zum Entstehen des gemeinsamen Problems (zum Beispiel MRSA, 4MRGN etc.) tragen und was sie wiederum selbst zum Erfolg des Netzwerks beitragen können und möchten. Das größere Ganze, nämlich der Schutz der Patienten, steht dann plötzlich im Vordergrund und alles andere, Zugehörigkeit zu einer Einrichtung, Finanzierungsart, Berufsgruppenzugehörigkeit, Facharztzugehörigkeit, juristische Hürden sind sekundär und alle müssen einen Weg finden, die gemeinsamen Ziele zu erreichen. Erfolgreich mitmachen kann nur, wer das größere Ganze vor Augen hat und wer Vertrauen zu den Netzwerkpartnern aufbaut. Die Netzwerkzusammenarbeit wird natürlich beeinflusst durch verschiedenste Interessen. Häufig stehen die Interessen einer Gruppe (Universitäten, Laboratorien, Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegebereich etc.) einer vertrauensvollen und transparenten Zusammenarbeit im Weg.

Nehmen wir ein privates Großlabor, dass die eigenen MRSA-Kerndaten am Runden Tisch mit seinen Mitbewerbern offen teilen soll. Seinen Konkurrenten also mitteilen soll, wie erfolgreich die eigene Arbeit ist. Oder drei Krankenhäuser einer Stadt, die miteinander die Interna – vor allem die Schwächen – zur Krankenhaushygiene diskutieren sollen. Arztpraxen, die eine kostspielige Untersuchung (MRSA-Screening) durchführen sollen, damit Patienten im Krankenhaus keine Infektion bekommen. Ein Labor, das seinen Krankenhäusern versucht zu vermitteln, dass möglichst mehr mikrobiologische Untersuchungen durchgeführt werden sollten. Das Hygieneinstitut einer Universität, das den Netzwerkpartnern vorschlägt, dass bestimmte Erreger zur besseren Umsetzung von Hygienemaßnahmen genotypisiert werden sollten, usw. Das sind alles Beispiele aus der Netzwerkrealität, bei denen Interessen beim jeweiligen Netzwerkpartner vermutet werden. Das Misstrauen gegenüber möglichen Interessen einer Gruppe verhindert eine offene und erfolgreiche Zusammenarbeit und führt dazu, dass lediglich auf die Verantwortung des anderen verwiesen wird. Krankenhäuser sagen, die Patienten sind bei Aufnahme bereits BRMO-positiv und zeigen auf andere Krankenhäuser und Pflegeheime. Die Pflegeheime sagen, die Patienten kommen aus dem Krankenhaus und die Hausärzte würden sich nicht darum kümmern und hielten sich sowieso nicht an die Hygieneregeln. Ambulante Pflegedienste, Krankentransporte und Rehakliniken machen häufig zu viel Hygiene, Akutkrankenhäuser häufig etwas zu wenig. Wenn jeder auf den anderen zeigt, liegt meist ein Systemversagen vor. Systemversagen können nicht von einem alleine gelöst werden, aber sie können gelöst werden. Hier aber liegt genau der Erfolg von EurSafety Health-net. Er ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass mit dieser Zusammenarbeit gleich zwei Grenzen überschritten wurden. Die offensichtliche Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, wodurch von niederländischen Kollegen erlernt werden konnte, warum MRSA und 4MRGN dort deutlich seltener vorkommen als in Deutschland und wie wir diese Kenntnis auf deutscher Seite umsetzen können. Die zweite – weniger sichtbare Grenze – die überschritten wurde und die ein besonderer Faktor für den Erfolg des Projektes ist, ist die Brücke, die zwischen ambulant, stationär, Universitäten und ÖGD aufgebaut werden konnte. Diese Kombination aus wissenschaftlicher Evidenz und echter Versorgungsrealität in der Breite außerhalb der Universitätskliniken – dort wo die meisten Patienten versorgt werden – hat Ihren Ausdruck in vielen gemeinsamen Studien und Publikationen gefunden, in denen wir konkrete Antworten auf wichtige Fragen in Bezug auf BRMO geben konnten. Diese Form der regionalen und internationalen Verbundforschung unter Einbeziehung der ambulanten Versorgung und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, vor allem aber auch der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, der AOK in Dortmund, des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes beziehungsweise Landeszentrums für Gesundheit NRW sowie der Mitarbeiter der Gesundheitsämter hat sich als extrem erfolgreich erwiesen.

Daher möchte ich mich an dieser Stelle auch bei allen bedanken, die die Euregio-Projekte zum Erfolg geführt haben. Neben allen Projektkoordinatoren sind das die Projektpartner in den Krankenhäusern, Rehakliniken, Pflegeheimen, Arztpraxen, die an anderer Stelle in diesem Buch und auf der Webseite des Projektes namentlich erwähnt sind. In jedem Fall möchte ich aber unterstreichen, dass es das besondere akademische Umfeld am Universitätsklinikum Münster sowohl am Institut für Hygiene als auch am Institut für Medizinische Mikrobiologie conditio sine qua non