Christian Fürchtegott Gellert: Das Leben der schwedischen Gräfin von G...

 

 

Christian Fürchtegott Gellert

Das Leben der schwedischen Gräfin von G...

 

 

 

Christian Fürchtegott Gellert: Das Leben der schwedischen Gräfin von G...

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

John Singer Sargent, Maragaretta Drexel, um 1890

 

ISBN 978-3-8430-8396-6

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-9831-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-9832-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Leipzig 1747/48 (anonym).

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1 und 2. Herausgegeben von Gottfried Honnefelder, Frankfurt a.M.: Insel, 1979.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Erster Teil

Vielleicht würde ich bei der Erzählung meines Geschlechts ebenso beredt oder geschwätzig als andre sein, wenn ich anders viel zu sagen wüßte. Meine Eltern sind mir in den zartesten Jahren gestorben, und ich habe von meinem Vater, einem Livländischen von Adel, weiter nichts erzählen hören, als daß er ein rechtschaffener Mann gewesen ist und wenig Mittel besessen hat.

Mein Vetter, der auch ein Landedelmann war, doch in seiner Jugend studiert hatte, nahm mich nach meines Vaters Tode zu sich auf sein Landgut und erzog mich bis in mein sechzehntes Jahr. Ich habe die Worte nicht vergessen können, die er einmal zu seiner Gemahlin sagte, als sie ihn fragte, wie er es künftig mit meiner Erziehung wollte gehalten wissen. »Vormittags«, fing er an, »soll das Fräulein als ein Mann und nachmittags als eine Frau erzogen werden.« Meine Muhme hatte mich sehr lieb, zumal weil sie keine Tochter hatte, und sie sah es gar nicht gern, daß ich, wie ihre jungen Herren, die Sprachen und andere Pedantereien, wie sie zu reden pflegte, erlernen sollte. Sie hätte mich dieser Mühe gern überhoben; allein ihr Gemahl wollte nicht. »Fürchten Sie sich nicht«, sprach er zu ihr, »das Fräulein lernt gewiß nicht zu viel. Sie soll nur klug und gar nicht gelehrt werden. Reich ist sie nicht, also wird sie niemand als ein vernünftiger Mann nehmen. Und wenn sie diesem gefallen und das Leben leicht machen helfen soll, so muß sie klug, gesittet und geschickt werden.« Dieser rechtschaffene Mann hat keine Kosten an mir gesparet; und ich würde gewiß noch etliche Jahre eher vernünftig geworden sein, wenn seine Frau einige Jahre eher gestorben wäre. Sie hat mich zwar in Wirtschaftssachen gar nicht unwissend gelassen; allein sie setzte mir zu gleicher Zeit eine Liebe zu einer solchen Galanterie in den Kopf, bei der man sehr glücklich eine stolze Närrin werden kann. Ich war freilich damals noch nicht alt; allein ich war alt genug, eine Eitelkeit an mich zu nehmen, zu der unser Geschlecht recht versehen zu sein scheint. Aber zu meinem Glücke starb meine Frau Base, ehe ich noch das zehnte Jahr erreicht hatte, und gab meinem Vetter durch ihren Tod die Freiheit, mich desto sorgfältiger zu erziehen und die übeln Eindrücke wieder auszulöschen, welche ihr Umgang und ihr Beispiel in mir gemacht hatten. Ich hatte von Natur ein gutes Herz, und er durfte also nicht sowohl wider meine Neigungen streiten als sie nur[9] ermuntern. Er lieh mir seinen Verstand, mein Herz recht in Ordnung zu bringen, und lenkte meine Begierde zu gefallen nach und nach von solchen Dingen, die das Auge einnehmen, auf diejenigen, welche die Hoheit der Seele ausmachen. Er sah, daß ich wußte, wie schön ich war; um desto mehr lehrte er mich den wahren Wert eines Menschen kennen und an solchen Eigenschaften einen Geschmack finden, die mehr durch einen geheimen Beifall der Vernunft und des Gewissens als durch eine allgemeine Bewunderung belohnt werden. Man glaube ja nicht, daß er eine hohe und tiefsinnige Philosophie mit mir durchging. O nein, er brachte mir die Religion auf eine vernünftige Art bei und überführte mich von den großen Vorteilen der Tugend, welche sie uns in jedem Stande, im Glücke und Unglücke, im Tode und nach diesem Leben bringt. Er hatte die Geschicklichkeit, mir alle diese Wahrheiten nicht sowohl in das Gedächtnis als in den Verstand zu prägen. Und diesen Begriffen, die er mir beibrachte, habe ich's bei reifern Jahren zu verdanken gehabt, daß ich die Tugend nie als eine beschwerliche Bürde, sondern als die angenehmste Gefährtin betrachtet habe, die uns die Reise durch die Welt erleichtern hilft. Ich glaube auch gewiß, daß die Religion, wenn sie uns vernünftig und gründlich beigebracht wird, unsern Verstand ebenso vortrefflich aufklären kann, als sie unser Herz verbessert. Und viele Leute würden mehr Verstand zu den ordentlichen Geschäften des Berufs und zu einer guten Lebensart haben, wenn er durch den Unterricht der Religion wäre geschärft worden! Ich durfte meinem Vetter nichts auf sein Wort glauben, ja er befahl mir in Dingen, die noch über meinen Verstand waren, so lange zu zweifeln, bis ich mehr Einsicht bekommen würde. Mit einem Worte, mein Vetter lehrte mich nicht die Weisheit, mit der wir in Gesellschaften prahlen, oder, wenn es hoch kommt, unsere Ehrbegierde einige Zeit stillen, sondern die von dem Verstande in das Herz dringt und uns gesittet, liebreich, großmütig, gelassen und im stillen ruhig macht. Ich würde nichts anders tun als beweisen, daß mein Vetter seine guten Absichten sehr schlecht bei mir erreicht hätte, wenn ich mir alle diese schönen Eigenschaften beilegen und sie als meinen Charakter den Lesern aufdringen wollte. Es wird am besten sein, wenn ich mich weder lobe noch tadle und es auf die Gerechtigkeit der Leser ankommen lasse, was sie sich aus meiner Geschichte für einen Begriff von meiner Gemütsart machen wollen. Ich fürchte, wenn ich meine Tugenden und Schwachheiten noch so aufrichtig bestimmte, daß[10] ich doch dem Verdachte der Eigenliebe oder dem Vorwurfe einer stolzen Demut nicht würde entgehen können.

Ich war sechzehn Jahre alt, da ich an den schwedischen Grafen von G. verheiratet wurde. Mit dieser Heirat ging es folgendermaßen zu. Der Graf hatte in dem Livländischen Güter, und zwar lagen sie nahe an meines Vetters Rittersitze. Das Jahr vor meiner Heirat hatte der Graf nebst seinem Vater eine Reise aus Schweden auf diese Güter getan. Er hatte mich etlichemal bei meinem Vetter gesehen und gesprochen. Ich hatte ihm gefallen, ohne mich darum zu bestreben. Ich war ein armes Fräulein; wie konnte ich also auf die Gedanken kommen, einen Grafen zu fesseln, der sehr reich, sehr wohlgebildet, angesehen bei Hofe, schon ein Obrister über ein Regiment und vielleicht bei einer Prinzessin willkommen war? Doch daß ich ihm nicht habe gefallen wollen, ist unstreitig mein Glück gewesen. Ich tat gelassen und frei gegen ihn, weil ich mir keine Rechnung auf sein Herz machte, anstatt daß ich vielleicht ein gezwungenes und ängstliches Wesen an mich genommen haben würde, wenn ich ihm hätte kostbar vorkommen wollen. In der Tat gefiel er mir im Herzen sehr wohl; allein so sehr ich mir ihn heimlich wünschen mochte, so hielt ich's doch für unmöglich, ihn zu besitzen.

Nach einem Jahre schrieb er an mich, und der ganze Inhalt seines Briefes bestund darinnen, ob ich mich entschließen könnte, seine Gemahlin zu werden und ihm nach Schweden zu folgen. Sein Herz war mir unbeschreiblich angenehm, und die großmütige Art, mit der er mir's anbot, machte mir's noch angenehmer. Es gibt eine gewisse Art, einem zu sagen, daß man ihn liebt, welche ganz bezaubernd ist. Der Verstand tut nicht viel dabei, sondern das Herz redet meistens allein. Vielleicht wird man das, was ich sagen will, am besten aus seinem Briefe selber erkennen:

 

»Mein Fräulein!

Ich liebe Sie. Erschrecken Sie nicht über dieses Bekenntnis, oder wenn Sie ja über die Dreistigkeit, mit der ich's Ihnen tue, erschrecken müssen: so bedenken Sie, ob dieser Fehler nicht eine Wirkung meiner Aufrichtigkeit sein kann. Lassen Sie mich ausreden, liebstes Fräulein. Doch was soll ich sagen? Ich liebe Sie; dies ist es alles. Und ich habe Sie von dem ersten Augenblicke an geliebet, da ich Sie vor einem Jahre gesehen und gesprochen habe. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich bemüht habe, Sie zu vergessen, weil[11] es die Umstände in meinem Vaterlande verlangten; aber alle meine Mühe ist vergebens gewesen und hat zu nichts gedienet, als mich von der Gewißheit meiner Liebe und von Ihren Verdiensten vollkommen zu überzeugen. Ist es möglich, werden Sie durch meine Zärtlichkeit beleidiget? Nein, warum sollte Ihnen die Liebe eines Menschen zuwider sein, dessen Freundschaft Sie sich haben gefallen lassen. Aber werden Sie es auch gelassen anhören, wenn ich Ihnen mein Herz noch deutlicher entdecke? Darf ich wohl fragen, ob Sie mir Ihre Liebe schenken, ob Sie mir als meine Gemahlin nach Schweden folgen wollen? Sie sind zu großmütig, als daß Sie eine Frage unbeantwortet lassen sollten, von deren Entscheidung meine ganze Zufriedenheit abhängt. Ach, liebste Freundin, warum kann ich nicht den Augenblick erfahren, ob ich Ihrer Gewogenheit würdig bin, ob ich hoffen darf? Überlegen Sie, was Sie, ohne den geringsten Zwang sich anzutun, einem Liebhaber antworten können, der in der Zärtlichkeit und Hochachtung gegen Sie seine größten Verdienste sucht. Ich will Ihr Herz nicht übereilen. Ich lasse Ihnen zu Ihrem Entschlusse soviel Zeit, als Sie verlangen. Doch sage ich Ihnen zugleich, daß mir jeder Augenblick zu lang werden wird, bis ich mein Schicksal erfahre. Wie inständig müßte ich Sie nicht um Ihre Liebe bitten, wenn ich bloß meiner Empfindung und meinen Wünschen folgen wollte! Aber nein, es liegt mir gar zuviel an Ihrer Liebe, als daß ich sie einem andern Bewegungsgrunde als Ihrer freien Einwilligung zu danken haben wollte. So entsetzlich mir eine unglückliche Nachricht sein wird, so wenig wird sie doch meine Hochachtung und Liebe gegen Sie verringern. Sollte ich deswegen ein liebenswürdiges Fräulein hassen können, weil sie nicht Ursachen genug findet, mir ihr Herz auf ewig zu schenken? Nein, ich werde nichts tun, als fortfahren, Sie, meine Freundin, hochzuschätzen, und mich über mich selbst beklagen. Wie sauer wird es mir, diesen Brief zu schließen! Wie gern sagte ich Ihnen noch hundertmal, daß ich Sie liebe, daß ich Sie unaufhörlich liebe, daß ich in Gedanken auf Ihre geringste Miene bei meinem Bekenntnisse Achtung gebe, aus Begierde, etwas Vorteilhaftes für mich darinnen zu finden! Leben Sie wohl! Ach, liebstes Fräulein, wenn wollen Sie mir antworten?«

 

Der Vater des Grafen hatte zugleich an meinen Vetter geschrieben. Kurz, ich war die Braut eines liebenswürdigen Grafen. Ich wollte wünschen, daß ich sagen könnte, was von der Zeit an in meinem[12] Herzen vorging. Ich hatte noch nie geliebt. Wie unglaublich wird dieses Bekenntnis vielen von meinen Leserinnen vorkommen! Sie werden mich deswegen wohl gar für einfältig halten, oder sich einbilden, daß ich weder schön noch empfindlich gewesen bin, weil ich in meinem sechzehnten Jahre nicht wenigstens ein Dutzend Liebeshändel zählen konnte. Doch ich kann mir nicht helfen. Es mag nun zu meinem Ruhme oder zu meiner Schande gereichen, so kann man sich darauf verlassen, daß ich noch nie geliebt hatte, ob ich gleich mit vielen jungen Mannspersonen umgegangen war. Nunmehr aber fing mein Herz auf einmal an zu empfinden. Mein Graf war zwar auf etliche vierzig Meilen von mir entfernt; allein die Liebe machte mir ihn gegenwärtig. Wo ich stand, da war er bei mir. Es war nichts Schöneres, nichts Vollkommeneres als er. Ich wünschte nichts als ihn. Ich fing oft mit ihm an zu reden. Er erwies mir in meinen Gedanken allerhand Liebkosungen, und ich weigerte mich mit einer verschämten Art, sie anzunehmen. Vielen wird dieses lächerlich vorkommen, und ich habe nicht viel dawider einzuwenden. Eine unschuldige, eine recht zärtliche Braut ist in der Tat eine Kreatur aus einer andern Welt, die man nicht ohne Erstaunen betrachten kann. Ihr Vornehmen, ihre Sprache, ihre Mienen, alles wird zu einem Verräter ihres Herzens, je sorgfältiger sie es verbergen will. Ich aß und trank beinahe viele Wochen nicht, und ich blühete doch dabei. Ich sage es im Ernste, daß ich glaube, die Liebe kann uns einige Zeit erhalten. Ich ward viel reizender, als ich zuvor gewesen war.

Mein Vetter machte sich nunmehr mit mir auf die Reise nach Schweden. Es begleiteten mich verschiedene junge Herren und Fräuleins einige Meilen, und der Abschied von ihnen ward mir gar nicht sauer. Unsre Reise ging glücklich vonstatten; und es ist mir auf einem Wege von etlichen vierzig Meilen nicht das geringste begegnet, außer daß mir jeder Augenblick bis zum Anblicke meines Grafen zu lange ward.

Ich kam also, wie ich gesagt habe, in Begleitung meines Vetters glücklich auf dem Landgute des Grafen an. Ich fand ihn viel liebenswürdiger, als er mir vor einem Jahre vorgekommen war. Man darf sich darüber gar nicht verwundern. Damals wußte ich noch nicht, daß er mich liebte; itzt aber wußte ich's. Eine Person wird gemeiniglich in unsern Augen vollkommner und verehrungswürdiger, wenn wir sehen, daß sie uns liebt. Und wenn sie auch keine besondern Vorzüge hätte, so ist ihre Neigung zu uns die[13] Vollkommenheit, die wir an ihr hochschätzen. Denn wie oft lieben wir nicht uns in andern? Und wo würde die Beständigkeit in der Liebe herkommen, wenn sie nicht von unserm eigenen Vergnügen unterhalten würde?

Mein Bräutigam, mein lieber Graf, erwies mir bei meiner Ankunft die ersinnlichsten Liebkosungen; und ich glaube nicht, daß man glückseliger sein kann, als ich an seiner Seite war. Unser Beilager wurde ohne Gepränge, mit einem Worte, sehr still, aber gewiß sehr vergnügt vollzogen. Manches Fräulein wird diese beiden Stücke nicht zusammenreimen können. Dem zu Gefallen muß ich eine kleine Beschreibung von meinem Beilager machen. Ich war etwan acht Tage in Schweden und hatte mich völlig von der Reise wieder erholet, als mein Graf mich bat, den Tag zu unserer Vermählung zu bestimmen. Ich versicherte ihn, daß ich die Ehre, seine Gemahlin zu heißen, nie zu zeitig erlangen könnte; doch würde mir kein Tag angenehmer sein als der, den er selber dazu ernennen würde. Wir setzten, ohne uns weiter zu beratschlagen, den folgenden Tag an. Er kam des Morgens zu mir in mein Zimmer und fragte mich, ob ich noch entschlossen wäre, heute seine Gemahlin zu werden. Ich antwortete ihm mit halb niedergeschlagnen Augen und mit einem freudigen und beredten Kusse. Ich hatte nur einen leichten, aber wohlausgesuchten Anzug an. »Sie gefallen mir vortrefflich in diesem Anzuge«, fing der Graf zu mir an. »Er ist nach Ihrem Körper gemacht, und Sie machen ihn schön. Ich dächte, Sie legten heute keinen andern Staat an.« – »Wenn ich Ihnen gefalle, mein lieber Graf«, versetzte ich, »so bin ich schön genug angeputzt.« Ich war also in meinem Brautstaat, ohne daß ich's selber gewußt hatte. Wir redten den ganzen Morgen auf das zärtlichste miteinander. Ich trat endlich an das Clavecin und spielte eine halbe Stunde und sang auf Verlangen meines Grafen und meines eigenen Herzens dazu. Auf diese Art kam der Mittag herbei. Der Vater meines Grafen (denn die Mutter war schon lange gestorben, und die einzige Schwester auch) kam nebst meinem Vetter zu uns. Sie statteten ihren Glückwunsch ab und sagten, daß der Priester schon zugegen wäre. Wir gingen darauf herunter in das Tafelzimmer. Die Trauung ward sehr bald vollzogen, und wir setzten uns zur Tafel, nämlich wir viere und der Priester. Die Tafel war etwan mit sechs oder acht Gerichten besetzt. Dieses waren die Anstalten meiner Vermählung. Sie wird mancher Braut lächerlich und armselig vorkommen. Gleichwohl war ich sehr wohl damit zufrieden. Ich war ruhig, oder,[14] besser zu reden, ich konnte recht zärtlich unruhig sein, weil mich nichts von dem rauschenden Lärmen störte, der bei den gewöhnlichen Hochzeitfesten zur Qual der Vermählten zu sein pflegt. Nach der Tafel fuhren wir spazieren, und zwar zu dem Herrn R., der meinen Gemahl auf seinen Reisen begleitet hatte und itzt auf einem kleinen Landgute, etliche Meilen von uns, wohnte. Mein Gemahl liebte diesen Mann ungemein. »Hier bringe ich Ihnen«, fing er zu ihm an, »meine liebe Gemahlin. Ich habe mich heute mit ihr trauen lassen. Ist es nicht wahr, ich habe vortrefflich gewählt? Sie sollen ein Zeuge von meinem und ihrem Vergnügen sein; kommen Sie, und begleiten Sie uns wieder zurück!« Wir fuhren also in seiner Gesellschaft wieder auf unser Landgut zurück, ohne uns aufzuhalten. Kurz, der Abend verstrich ebenso vergnügt als der Mittag.

Itzt wundre ich mich, daß ich meinen Gemahl noch nicht beschrieben habe. Er sah bräunlich im Gesichte aus und hatte ein Paar so feurige und blitzende Augen, daß sie einem eine kleine Furcht einjagten, wenn man sie allein betrachtete. Doch seine übrige Gesichtsbildung wußte dieses Feuer so geschickt zu dämpfen, daß nichts als Großmut und eine lebhafte Zärtlichkeit aus seinen Mienen hervorleuchtete. Er war vortrefflich gewachsen. Ich will ihn nicht weiter abschildern. Man verderbt durch die genauen Beschreibungen oft das Bild, das man seinen Lesern von einer schönen Person machen will. Genug, mein Graf war in meinen Augen der schönste Mann.

Nicht lange nach unserer Vermählung mußte mein Gemahl zu seinem Regimente. Sein Vater, der bei einem hohen Alter noch munter und der angenehmste Mann war, wollte mir die Abwesenheit meines Gemahls erträglich machen und reisete mit mir auf seine übrigen Güter. Auf dem einen traf ich eine sehr junge und schöne Frau an, die man für die Witwe des Oberaufsehers der Güter ausgab. Die Frau hatte so viel Reizendes an sich und so viel Gefälliges und Leutseliges in ihrem Umgange, daß ich ihr auf den ersten Anblick gewogen und in kurzer Zeit ihre Freundin ward. Ich bat, sie sollte mich wieder zurückbegleiten und bei mir leben. Sie sollte nicht meine Bediente, sondern meine gute Freundin sein. Und wenn sie nicht länger bei mir bleiben wollte, so wollte ich ihr eine ansehnliche Versorgung schaffen. Sie nahm diesen Antrag mit Tränen an und schützte bald ihren kleinen Sohn, bald die Lust zu einem stillen Leben vor, warum sie mir nicht folgen könnte. Sie ging mir indessen nicht von der Seite und bezeigte so viel Ehrerbietung[15] und Liebe gegen mich, daß ich sie hundertmal bat, mir zu sagen, womit ich ihr dienen könnte. Allein sie schlug alle Anerbietungen recht großmütig aus und verlangte nichts, als meine Gewogenheit. Der alte Graf wollte wieder fort, und indem mich die junge Witwe an den Wagen begleitete, so sah ich ein Kind in dem untersten Gebäude des Hofes am Fenster stehen. Ich fragte, wem dieses Kind wäre. Die gute Frau kam vor Schrecken ganz außer sich. Sie hatte mich beredt, daß ihr Sohn unlängst die Blattern gehabt hätte. Und damit ich mich nicht fürchten sollte, so hatte sie mir ihn bei meinem Dasein, ungeachtet meines Bittens, nicht wollen sehen lassen. Allein ich sahe, daß diesem Knaben nichts fehlte, und ich ließ nicht nach, bis man ihn vor mich brachte. Hilf Himmel! wie entsetzte ich mich, als ich in seinem Gesichte das Ebenbild meines Gemahls antraf. Ich konnte kein Wort zu dem Kinde reden. Ich küßte es, umarmte zugleich seine Mutter und setzte mich den Augenblick in den Wagen. Der alte Graf merkte meine Bestürzung und entdeckte mir mit einer liebreichen Aufrichtigkeit das ganze Geheimnis. »Die Frau«, sprach er, »die Sie gesehen haben, ist die ehemalige Geliebte Ihres Gemahls. Und wenn Sie dieses Geständnis beleidiget, so zürnen Sie nicht sowohl auf meinen Sohn als auf mich. Ich bin an der Sache schuld. Ich habe ihn von Jugend auf mit einer besondern Art erzogen, die Ihnen in manchen Stücken ausschweifend vorkommen dürfte. Mein Sohn mußte in mir nicht sowohl seinen Vater, als seinen Freund lieben und verehren. Er durfte mich nicht fürchten, als wenn er mir etwas verschwieg. Daher gestund er mir alles, und ich erhielt dadurch Gelegenheit, ihn von tausend Torheiten abzuziehen, ehe er sie beging, oder doch, ehe er sich daran gewöhnete. Ich wußte, ehe ich meinen Sohn auf Reisen schickte, daß er ein gewisses Frauenzimmer von bürgerlichem Stande liebte, welches meine Schwester als eine Waise sehr jung zu sich genommen und, weil das Kind viel Lebhaftigkeit besaß, in der Gesellschaft ihrer einzigen Tochter wohl hatte erziehen lassen. Mein Sohn hatte mir aus dieser Liebe nie ein Geheimnis gemacht. Er bat mich, da er seine Reisen antrat, daß ich ihm erlauben möchte, dieses Frauenzimmer als seine gute Freundin mitzunehmen. Kurz, ich war entweder zu schwach, ihm diese Bitte abzuschlagen, oder ich willigte mit Fleiß darein, um ihn von den gefährlichen Ausschweifungen der Jugend durch ihre Gesellschaft abzuhalten. Und dieses ist ebendas Frauenzimmer, das Sie itzt gesehen und nach der gemeinen Rede für eine Witwe[16] gehalten haben. Sie besitzt sehr gute Eigenschaften, und ich habe ihr zehntausend Taler ausgesetzt, damit sie heiraten kann, wenn es ihr beliebet. Für ihren Sohn habe ich auch etwas Gewisses zu seiner Erziehung bestimmt. Und wenn Ihnen diese Frau gefährlich scheint, so will ich sie binnen wenig Tagen nach Livland auf meine Güter schicken und ihr daselbst alle mögliche Versorgung verschaffen.«

Man glaube ja nicht, daß ich die ehemalige Geliebte meines Gemahls zu hassen anfing. Nein, ich liebte sie, und die Liebe besänftigte die Eifersucht. Ich bat, daß er sie mit einer anständigen Heirat versorgen und sie entfernen möchte. Bei unserer Zurückkunft traf ich meinen Gemahl schon an. So sehr ich von der Gewißheit seiner Liebe versichert war, so konnte ich doch nicht ruhig werden, bis ich ihn durch allerhand kleine Kaltsinnigkeiten nötigte, ein Geheimnis aus mir herauszulocken, das mein Herz nicht umsonst entdecket haben wollte. Er erschrak und beklagte sich über die Unvorsichtigkeit seines Vaters, daß er mich an einen Ort geführt hätte, der unsrer Zärtlichkeit so nachteilig sein könnte. Er gab den Augenblick Befehl, daß man dieses Frauenzimmer nebst ihrem Sohne entfernen und alles, was sie verlangte, zu ihrem Unterhalte ausmachen sollte. Dieses geschah auch binnen acht Tagen. Ich konnte keine deutlichere Probe von seiner Treue verlangen, und es war mir unmöglich, ihn wegen dieser Sache auch nur einen Augenblick zu hassen, ob ich mich gleich von aller Unruhe nicht freisprechen will.

Er gestund mir, daß er dieses Frauenzimmer gewiß zu seiner Gemahlin erwählet haben würde, wenn er die Einwilligung vom Hofe hätte erhalten können. In der Tat verdiente sie dieses Glück so wohl als ich. Ich sah beinahe keinen Vorzug, den ich vor ihr hatte, als daß ich adlig geboren war. Und wie gering ist dieser Vorzug, wenn man ihn vernünftig betrachtet! Sie hatte sich gar nicht aus Leichtsinn ergeben. Die Ehe war der Preis gewesen, für den sie ihr Herz und sich überlassen hatte. Der Vater des Grafen hatte die Liebe und die Wahl seines Sohnes gebilliget. Sie kannte das edelmütige Herz ihres Geliebten. Sie war von der Aufrichtigkeit seiner Zärtlichkeit überzeugt. Ein Frauenzimmer, das sich unter solchen Umständen in eine vertrauliche Liebe einläßt, verdienet eher Mitleiden als Vorwürfe. Mein Gemahl erzählte mir einen Umstand, der Karolinens Wert, so will ich seine Geliebte künftig nennen, sehr verschönert. Sobald sie gesehen, daß er die Einwilligung,[17] sich mit ihr zu vermählen, nicht würde erhalten können, ohne dabei sein Glück in Gefahr zu setzen und die Gnade des Hofes zu verlieren, so hatte sie sich des Rechts auf sein Herz freiwillig begeben. Er zeigte mir folgenden Brief von ihr, der mich wegen seines großmütigen Inhalts ungemein gerühret hat.

 

»Mein lieber Graf!

Ich höre, daß man Ihnen den Entschluß, mich für Ihre Gemahlin zu erklären, sehr sauer macht. Sie dauern mich, weil ich gewiß weiß, daß Sie mich lieben, und daß Sie ebensoviel Überwindung brauchen, mir Ihr Wort nicht zu halten, als es mich Mühe kostet, meine Ansprüche auf das edelste und großmütigste Herz fahren zu lassen. Doch wenn ich einmal meinen Graf verlieren soll, so will ich ihn mit Ruhm verlieren. Kurz, mein liebster Graf, ich opfre Ihrem Glücke und Ihrem Stande meine Liebe und meine Zufriedenheit auf und vergesse das schmeichelhafte Glück, Ihre Gemahlin zu werden, auf ewig. Sie sind frei und können sich zu einer Wahl entschließen, welche Ihnen nur immer gefällt. Ich bin alles zufrieden, wenn ich nur sehe, daß Sie glücklich wählen und die Zufriedenheit an der Seite Ihrer Gemahlin erhalten, die ich Ihnen durch meine Liebe habe verschaffen wollen. Dieses ist, wie der Himmel weiß, mein größter Wunsch. Und was gehört mehr zu der Aufrichtigkeit eines solchen Wunsches, als daß man Sie liebt? Ich mache Ihnen nicht den geringsten Vorwurf. Sie haben in meinen Augen Ihr Wort vollkommen gehalten; denn ich bin überzeugt, daß Sie es erfüllen würden, wenn es bei Ihnen stünde. Ich werde mich auch nie über mich selbst beklagen. Ich bin die Ihrige unter der Bedingung gewesen, daß Sie mich einst öffentlich dafür erklären würden. Ich habe Ihnen also bei aller meiner Zärtlichkeit doch nie meine Tugend aufgeopfert. Nein, das Andenken meiner Liebe wird mir allemal die größte Beruhigung geben, so traurig auch mein künftiges Schicksal der Welt vorkommen wird. Vermählen Sie sich, mein lieber Graf, und denken Sie künftig nur an mich als an Ihre Freundin. Diese Belohnung verdiene ich. Leben Sie wohl, und lassen Sie mir auf einem Ihrer Güter einen Platz anweisen, wo ich nebst meinem Sohne in der Stille leben kann. Verlieren Sie weiter kein Wort. Ich bleibe bei meinem Entschlusse, Ihnen zu beweisen, daß ich Ihr Glück meiner Wohlfahrt vorziehe. Leben Sie wohl, mein lieber Graf!«[18]

Karolinens großmütigem Entschlusse hatte ich's also zu danken, daß mir der Graf zuteil worden war. Sie hatte sich nach diesem Briefe nicht mehr als noch einmal von ihm sprechen lassen und sich sogleich auf das Landgut begeben, wo ich sie antraf. Er versicherte mich, daß er sie seit anderthalb Jahren nicht gesehen, und ich hätte ihr gern das Vergnügen gegönnt, den Grafen vor ihrer Abreise nach Livland noch einmal zu sprechen, wenn es der Wohlstand hätte erlauben wollen.

Mein Graf verdoppelte seine Bemühungen, mir zu gefallen; und der Himmel weiß, daß er der liebenswürdigste Mann war, den man kaum zärtlicher und edler denken konnte. Er war vernünftig und gesittet gewesen, ehe er ein Soldat geworden war, und daher hatte er nicht das geringste von dem Rohen und Wilden an sich genommen, das dieser Lebensart sonst eigen zu sein pflegt. Er war die Gutheit und Menschenliebe selbst, und dennoch ward er im ganzen Hause so gefürchtet, daß der kleinste Wink an seine Leute die Wirkung des nachdrücklichsten Befehls tat. Er schien mir vollkommen zu gehorchen; es war ihm unmöglich, mir etwas abzuschlagen; er hielt alles für genehm, was ich verlangte. Allein mitten in dieser zärtlichen Untertänigkeit wußte er sich bei mir in einer gewissen Ehrfurcht zu erhalten, daß ich bei aller meiner Herrschaft nicht sowohl meinen Willen als vielmehr sein Verlangen in Gedanken zu Rate zog und in der Tat nichts unternahm, als was er befohlen haben würde, wenn er hätte befehlen wollen. Er war der ordentlichste Mann in seinen Geschäften und band sich doch selten an die Zeit. Er arbeitete, sobald er sich geschickt zur Arbeit fühlete, und arbeitete so lange fort, als er sich in dieser Verfassung merkte. Allein er ließ auch von seinen Verrichtungen nach, sobald er keine Lust mehr dazu verspürete. Daher war er stets munter, weil er sich niemals zu sehr ermüdete, und hatte stets Zeit zu den Vergnügungen übrig, weil er die Zeit niemals mit vergebnen Bemühungen, zu arbeiten, verschwendete. Er hatte eine sehr schöne Bibliothek auf seinen Reisen gesammlet. Ich verstund Französisch und etwas Latein und Italienisch. Der Büchersaal ward mir in kurzer Zeit an der Seite meines Gemahls der angenehmste Ort. Er las mir aus vielen Büchern, die teils historisch, teils witzig, teils moralisch waren, die schönsten Stellen vor und brachte mir seinen guten Geschmack unvermerkt bei. Und ob ich's gleich nicht allemal sagen konnte, warum eine Sache schön oder nicht schön war, so war doch meine Empfindung so getreu, daß sie mich selten betrog. Unsere[19][20]