Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus

 

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling

System des transzendentalen Idealismus

 

 

 

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Joseph Karl Stieler, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, 1835

 

ISBN 978-3-86199-948-5

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-86199-653-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-86199-654-5 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Tübingen (Cotta) 1800. Der Text folgt dem Abdruck in Schellings »Sämtlichen Werken«, hg. von K.F.A. Schelling, Stuttgart (Cotta) 1856-1861 (= O[riginalausgabe]). Dort wurde der Text durch Zusätze und Bemerkungen aus Schellings Handexemplar erweitert, die der Herausgeber teils in eckigen Klammern in den Text einfügte, teils in den Fußnoten mitteilte.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Auswahl in drei Bänden. Herausgegeben und eingeleitet von Otto Weiß, Leipzig: Fritz Eckardt, 1907.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Vorrede

Daß ein System, welches die ganze, nicht bloß im gemeinen Leben, sondern selbst in dem größten Teil der Wissenschaften herrschende Ansicht der Dinge völlig verändert und sogar umkehrt, wenn schon seine Prinzipien auf das strengste bewiesen sind, einen fortdauernden Widerspruch selbst bei solchen finde, welche die Evidenz seiner Beweise zu führen oder wirklich einzusehen imstande sind, kann seinen Grund allein in dem Unvermögen haben, von der Menge einzelner Probleme zu abstrahieren, welche unmittelbar mit einer solchen veränderten Ansicht die geschäftige Einbildungskraft aus dem ganzen Reichtum der Erfahrung herbeiführt, und dadurch das Urteil verwirrt und beunruhigt. Man kann die Kraft der Beweise nicht leugnen, auch weiß man nichts, was gewiß und evident wäre, an die Stelle jener Prinzipien zu setzen, aber man fürchtet sich vor den als ungeheuer vorgespiegelten Konsequenzen, die man aus denselben zum voraus hervorgehen sieht, und verzweifelt alle jene Schwierigkeiten zu lösen, welche die Prinzipien in ihrer Anwendung unfehlbar finden müssen. Da man aber von jedem, welcher an philosophischen Untersuchungen überhaupt Anteil nimmt, mit Recht verlangen kann, daß er jeder Abstraktion fähig sei, und die Prinzipien in der höchsten Allgemeinheit aufzufassen wisse, in welcher das Einzelne völlig verschwindet, und in der, wenn sie nur die höchste ist, sicher auch die Auflösung für alle möglichen Aufgaben zum voraus enthalten ist, so ist es natürlich, daß bei der ersten Errichtung des Systems alle ins Einzelne herabsteigenden Untersuchungen entfernt, und nur das Erste, was[3] nötig ist, die Prinzipien ins Reine gebracht und außer allen Zweifel gesetzt werden. Indes findet doch ein jedes System den sichersten Probierstein seiner Wahrheit darin, daß es nicht nur zuvor unauflösliche Probleme mit Leichtigkeit auflöst, sondern selbst ganz neue bisher nicht gedachte hervorruft, und aus einer allgemeinen Erschütterung des für wahr Angenommenen eine neue Art der Wahrheit hervorgehen läßt. Es ist dies aber eben das Eigentümliche des transzendentalen Idealismus, daß er, sobald er einmal zugestanden ist, in die Notwendigkeit setzt, alles Wissen von vorne gleichsam entstehen zu lassen, was schon längst für ausgemachte Wahrheit gegolten hat, aufs neue unter die Prüfung zu nehmen, und gesetzt auch, daß es die Prüfung bestehe, wenigstens unter ganz neuer Form und Gestalt aus derselben hervorgehen zu lassen.

Der Zweck des gegenwärtigen Werkes ist nun eben dieser, den transzendentalen Idealismus zu dem zu erweitern, was er wirklich sein soll, nämlich zu einem System des gesamten Wissens, also den Beweis jenes Systems nicht bloß im allgemeinen, sondern durch die Tat selbst zu führen, d.h. durch die wirkliche Ausdehnung seiner Prinzipien auf alle möglichen Probleme in Ansehung der Hauptgegenstände des Wissens, welche entweder schon vorher aufgeworfen aber nicht aufgelöst waren, oder aber erst durch das System selbst möglich gemacht worden und neu entstanden sind. Es folgt daraus von selbst, daß diese Schrift Fragen und Gegenstände berühren muß, welche bei sehr vielen von solchen, die sich jetzt wohl in philosophischen Dingen ein Urteil herausnehmen, noch gar nicht in Anregung oder zur Sprache gekommen sind, indem sie noch an den ersten Anfangsgründen des Systems hangen, über welche sie, sei es aus ursprünglicher Untüchtigkeit auch nur zu begreifen, was mit ersten Prinzipien alles Wissens verlangt wird, oder aus Vorurteil, oder aus was immer für andern Gründen, nicht hinwegkommen können. Auch ist für diese Klasse, obgleich die Untersuchung, wie sich versteht, bis auf die ersten Grundsätze zurückgeht, doch von dieser Schrift wenig zu erwarten, da in Ansehung der ersten Untersuchungen in derselben nichts vorkommen kann, was nicht entweder in den Schriften des Erfinders der Wissenschaftslehre, oder[4] in denen des Verfassers schon längst gesagt wäre, nur daß in der gegenwärtigen Bearbeitung die Darstellung in Ansehung einiger Punkte eine größere Deutlichkeit erlangt haben mag, als sie zuvor gehabt hat, durch welche aber doch ein ursprünglicher Mangel des Sinnes wenigstens nimmermehr ersetzt werden kann. Das Mittel übrigens, wodurch der Verfasser seinen Zweck, den Idealismus in der ganzen Ausdehnung darzustellen, zu erreichen versucht hat, ist, daß er alle Teile der Philosophie in Einer Kontinuität und die gesamte Philosophie als das, was sie ist, nämlich als fortgehende Geschichte des Selbstbewußtseins, für welche das in der Erfahrung Niedergelegte nur gleichsam als Denkmal und Dokument dient, vorgetragen hat. Es kam, um diese Geschichte genau und vollständig zu entwerfen, hauptsächlich darauf an, die einzelnen Epochen derselben und in denselben wiederum die einzelnen Momente nicht nur genau zu sondern, sondern auch in einer Aufeinanderfolge vorzustellen, bei der man durch die Methode selbst, mittelst welcher sie gefunden wird, gewiß sein kann, daß kein notwendiges Mittelglied übersprungen sei, und so dem Ganzen einen inneren Zusammenhang zu geben, an welchen keine Zeit rühren könne, und der für alle fernere Bearbeitung gleichsam als das unveränderliche Gerüste dastehe, auf welches alles aufgetragen werden muß. Was den Verfasser hauptsächlich angetrieben hat, auf die Darstellung jenes Zusammenhangs, welcher eigentlich eine Stufenfolge von Anschauungen ist, durch welche das Ich bis zum Bewußtsein in der höchsten Potenz sich erhebt, besonderen Fleiß zu wenden, war der Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten, auf welchen er schon längst geführt worden ist, und welchen vollständig darzustellen weder der Transzendental noch der Naturphilosophie allein, sondern nur beiden Wissenschaften möglich ist, welche eben deswegen die beiden ewig entgegengesetzten sein müssen, die niemals in Eins übergehen können. Der überzeugende Beweis der ganz gleichen Realität beider Wissenschaften in theoretischer Rücksicht, welche der Verfasser bis dahin nur behauptet hat, ist daher in der Transzendental-Philosophie und insbesondere in derjenigen Darstellung davon zu suchen, welche das gegenwärtige Werk enthält, welches darum als ein notwendiges[5] Gegenstück zu seinen Schriften über die Natur-Philosophie zu betrachten ist. Denn es wird eben durch dasselbe offenbar, daß dieselben Potenzen der Anschauung, welche in dem Ich sind, bis zu einer gewissen Grenze auch in der Natur aufgezeigt werden können, und da jene Grenze eben die der theoretischen und praktischen Philosophie ist, daß es sonach für die bloß theoretische Betrachtung gleichgültig ist, das Objektive oder das Subjektive zum Ersten zu machen, indem für das Letztere nur die praktische Philosophie (welche aber in jener Betrachtung gar keine Stimme hat), entscheiden kann, daß also auch der Idealismus kein rein theoretisches Fundament hat, insofern also, wenn man nur theoretische Evidenz zugibt, niemals die Evidenz haben kann, welcher die Naturwissenschaft fähig ist, deren Fundament sowohl als Beweise ganz und durchaus theoretisch sind. Es werden eben aus diesen Erklärungen auch diejenigen Leser, welche mit der Natur-Philosophie bekannt sind, den Schluß ziehen, daß es einen in der Sache selbst, ziemlich tief, liegenden Grund hat, warum der Verfasser diese Wissenschaft der Transzendental-Philosophie entgegengesetzt, und von ihr völlig abgesondert hat, indem zuverlässig, wenn unsere ganze Aufgabe bloß die wäre, die Natur zu erklären, wir niemals auf den Idealismus wären getrieben worden.

Was nun aber die Deduktionen anbelangt, welche von den Hauptgegenständen der Natur, der Materie überhaupt und ihren allgemeinen Funktionen, dem Organismus usw. in dem vorliegenden Werk geführt worden sind, so sind es zwar idealistische, deswegen aber doch nicht (was viele als gleichbedeutend ansehen) ideologische Ableitungen, welche im Idealismus ebensowenig als in einem andern System befriedigend sein können. Denn wenn ich z. E. auch beweise, daß es zum Behuf der Freiheit oder der praktischen Zwecke notwendig ist, daß es Materie mit diesen oder jenen Bestimmungen gebe, oder daß die Intelligenz ihr Handeln auf die Außenwelt als durch einen Organismus vermittelt anschaue, so läßt mir doch dieser Beweis noch immer die Frage unbeantwortet, wie und durch welchen Mechanismus denn die Intelligenz gerade eben das anschaue, was zu jenem Behuf notwendig ist. Vielmehr müssen alle Beweise, welche[6] der Idealist für das Dasein bestimmter Außendinge führt, aus dem ursprünglichen Mechanismus des Anschauens selbst, d.h. durch eine wirkliche Konstruktion der Objekte geführt werden. Die bloß teleologische Wendung der Beweise würde darum, weil die Beweise idealistisch sind, doch das eigentliche Wissen um keinen Schritt weiter bringen, da bekanntlich die teleologische Erklärung eines Objekts mich schlechterdings nichts über seinen wirklichen Ursprung lehren kann.

Die Wahrheiten der praktischen Philosophie können in einem Systeme des transzendentalen Idealismus selbst nur als Mittelglieder vorkommen, und was eigentlich von der praktischen Philosophie demselben anheimfällt, ist nur das Objektive in ihr, welches in seiner größten Allgemeinheit die Geschichte ist, welche in einem System des Idealismus ebensogut transzendental deduziert zu werden verlangt, als das Objektive der ersten Ordnung oder die Natur. Diese Deduktion der Geschichte führt zugleich auf den Beweis, daß das, was wir als den letzten Grund der Harmonie zwischen dem Subjektiven und Objektiven des Handelns anzusehen haben, zwar als ein absolut Identisches gedacht werden muß, welches aber als substantielles oder als persönliches Wesen vorzustellen, um nichts besser wäre, als es in ein bloßes Abstraktum zu setzen, welche Meinung man dem Idealismus nur durch das gröbste Mißverständnis aufbürden konnte.

Was die Grundsätze der Teleologie betrifft, so wird der Leser ohne Zweifel von selbst einsehen, daß sie den einzigen Weg anzeigen, die Koexistenz des Mechanismus mit der Zweckmäßigkeit in der Natur auf eine begreifliche Weise zu erklären. – Endlich wegen der Lehrsätze über die Philosophie der Kunst, durch welche das Ganze geschlossen wird, bittet der Verfasser diejenigen, welche für dieselben etwa ein besonderes Interesse haben mögen, zu bedenken, daß die ganze Untersuchung, welche an sich betrachtet eine unendliche ist, hier bloß in der Beziehung auf das System der Philosophie angestellt wird, durch welche eine Menge Seiten dieses großen Gegenstandes zum voraus von der Betrachtung ausgeschlossen werden mußten.

Schließlich bemerkt der Verfasser, daß es ein Nebenzweck gewesen sei, eine so viel möglich allgemein lesbare und verständliche[7] Darstellung des transzendentalen Idealismus zu geben, und daß ihm dies schon durch die Methode, welche er gewählt hat, einigermaßen gelungen sein könne, davon hat ihn eine zweimalige Erfahrung bei dem öffentlichen Vortrag des Systems überzeugt.

Diese kurze Vorrede aber wird hinreichend sein, in denjenigen, welche mit dem Verfasser auf demselben Punkte stehen, und an der Auflösung derselben Aufgaben mit ihm arbeiten, einiges Interesse für dieses Werk zu erwecken, die nach Unterricht und Auskunft Begierigen einzuladen, diejenigen aber, welche weder des ersten sich bewußt sind, noch das andere aufrichtig verlangen, zum voraus davon zurückschrecken, wodurch denn auch alle ihre Zwecke erreicht sind.

Jena, Ende März 1800.[8]

 

Einleitung

§ 1. Begriff der Transzendental-Philosophie

1. Alles Wissen beruht auf der Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven. – Denn man weiß nur das Wahre; die Wahrheit aber wird allgemein in die Übereinstimmung der Vorstellungen mit ihren Gegenständen gesetzt.

2. Wir können den Inbegriff alles bloß Objektiven in unserm Wissen Natur nennen; der Inbegriff alles Subjektiven dagegen heiße das Ich, oder die Intelligenz. Beide Begriffe sind sich entgegengesetzt. Die Intelligenz wird ursprünglich gedacht als das bloß Vorstellende, die Natur als das bloß Vorstellbare, jene als das Bewußte, diese als das Bewußtlose. Nun ist aber in jedem Wissen ein wechselseitiges Zusammentreffen beider (des Bewußten und des an sich Bewußtlosen) notwendig, die Aufgabe ist: dieses Zusammentreffen zu erklären.

3. Im Wissen selbst – indem ich weiß – ist Objektives und Subjektives so vereinigt, daß man nicht sagen kann, welchem von beiden die Priorität zukomme. Es ist hier kein Erstes und kein Zweites, beide sind gleichzeitig und Eins. – Indem ich diese Identität erklären will, muß ich sie schon aufgehoben haben. Um sie zu erklären, muß ich, da mir außer jenen beiden Faktoren des Wissens (als Erklärungsprinzip) sonst nichts gegeben[13] ist, notwendig den einen dem andern vorsetzen, von dem einen ausgehen, um von ihm auf den andern zu kommen; von welchem von beiden ich ausgehe, ist durch die Aufgabe nicht bestimmt.

4. Es sind also nur zwei Fälle möglich.

A. Entweder wird das Objektive zum Ersten gemacht, und gefragt: wie ein Subjektives zu ihm hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt.

Der Begriff des Subjektiven ist nicht enthalten im Begriff des Objektiven, vielmehr schließen sich beide gegenseitig aus. Das Subjektive muß also zum Objektiven hinzukommen. – Im Begriff der Natur liegt es nicht, daß auch ein Intelligentes sei, was sie vorstellt. Die Natur, so scheint es, würde sein, wenn auch nichts wäre, was sie vorstellte. Die Aufgabe kann also auch so ausgedrückt werden: Wie kommt zu der Natur das Intelligente hinzu, oder wie kommt die Natur dazu, vorgestellt zu werden?

Die Aufgabe nimmt die Natur oder das Objektive als Erstes an. Sie ist also ohne Zweifel Aufgabe der Naturwissenschaft, die dasselbe tut. – Daß die Naturwissenschaft der Auflösung jener Aufgabe wirklich – und ohne es zu wissen – wenigstens sich nähere, kann hier nur kurz gezeigt werden.

Wenn alles Wissen gleichsam zwei Pole hat, die sich wechselseitig voraussetzen und fordern, so müssen sie in allen Wissenschaften sich suchen; es muß daher notwendig zwei Grundwissenschaften geben, und es muß unmöglich sein, von dem einen Pol auszugehen, ohne auf den andern getrieben zu werden. Die notwendige Tendenz aller Naturwissenschaft ist also, von der Natur aufs Intelligente zu kommen. Dies und nichts anderes liegt dem Bestreben zugrunde, in die Naturerscheinungen Theorie zu bringen. – Die höchste Vervollkommnung der Naturwissenschaft wäre die vollkommene Vergeistigung aller Naturgesetze zu Gesetzen des Anschauens und des Denkens. Die Phänomene (das Materielle) müssen völlig verschwinden, und nur die Gesetze (das Formelle) bleiben. Daher kommt es, daß, je mehr in der Natur selbst das Gesetzmäßige hervorbricht, desto[14] mehr die Hülle verschwindet, die Phänomene selbst geistiger werden, und zuletzt völlig aufhören. Die optischen Phänomene sind nichts anderes als eine Geometrie, deren Linien durch das Licht gezogen werden, und dieses Licht selbst ist schon von zweideutiger Materialität. In den Erscheinungen des Magnetismus verschwindet schon alle materielle Spur, und von den Phänomenen der Gravitation, welche selbst Naturforscher nur als unmittelbar geistige Einwirkung begreifen zu können glaubten, bleibt nichts zurück als ihr Gesetz, dessen Ausführung im Großen der Mechanismus der Himmelsbewegungen ist. – Die vollendete Theorie der Natur würde diejenige sein, kraft welcher die ganze Natur sich in eine Intelligenz auflöste. – Die toten und bewußtlosen Produkte der Natur sind nur mißlungene Versuche der Natur sich selbst zu reflektieren, die sogenannte tote Natur aber überhaupt eine unreife Intelligenz, daher in ihren Phänomen noch bewußtlos schon der intelligente Charakter durchblickt. – Das höchste Ziel, sich selbst ganz Objekt zu werden, erreicht die Natur erst durch die höchste und letzte Reflexion, welche nichts anderes als der Mensch, oder, allgemeiner, das ist, was wir Vernunft nennen, durch welche zuerst die Natur vollständig in sich selbst zurückkehrt, und wodurch offenbar wird, daß die Natur ursprünglich identisch ist mit dem, was in uns als Intelligentes und Bewußtes erkannt wird.

Dies mag hinreichend sein, zu beweisen, daß die Naturwissenschaft die notwendige Tendenz hat, die Natur intelligent zu machen; eben durch diese Tendenz wird sie zur Natur-Philosophie, welche die Eine notwendige Grundwissenschaft der Philosophie ist.1

B. Oder das Subjektive wird zum Ersten gemacht, und die Aufgabe ist die: wie ein Objektives hinzukomme, das mit ihm übereinstimmt.[15]

Wenn alles Wissen auf der Übereinstimmung dieser beiden beruht (1) so ist die Aufgabe diese Übereinstimmung zu erklären ohne Zweifel die höchste für alles Wissen, und wenn, wie allgemein zugestanden wird, die Philosophie die höchste und oberste aller Wissenschaften ist, ohne Zweifel die Hauptaufgabe der Philosophie.

Aber die Aufgabe fordert nur Erklärung jenes Zusammentreffens überhaupt, und läßt völlig unbestimmt, wovon die Erklärung ausgehe, was sie zum Ersten und was sie zum Zweiten machen soll. – Da auch beide Entgegengesetzte sich wechselseitig notwendig sind, so muß, das Resultat der Operation dasselbe sein, von welchem Punkte man ausgeht.

Das Objektive zum Ersten zu machen, und das Subjektive daraus abzuleiten, ist, wie so eben gezeigt worden, Aufgabe der Natur-Philosophie.

Wenn es also eine Transzendental-Philosophie gibt, so bleibt ihr nur die entgegengesetzte Richtung übrig, vom Subjektiven, als vom Ersten und Absoluten, auszugehen, und das Objektive aus ihm entstehen zu lassen. In die beiden möglichen Richtungen der Philosophie haben sich also Natur- und Transzendental-Philosophie geteilt, und wenn alle Philosophie darauf ausgehen muß, entweder aus der Natur eine Intelligenz, oder aus der Intelligenz eine Natur zu machen, so ist die Transzendental-Philosophie, welche diese letztere Aufgabe hat, die andere notwendige Grundwissenschaft der Philosophie.[16]

 

Fußnoten

 

1 Die weitere Ausführung des Begriffs einer Naturphilosophie und ihrer notwendigen Tendenz ist in den Schriften des Verfassers: Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, verbunden mit der Einleitung zu diesem Entwurf, und den Erläuterungen, welche das erste Heft der Zeitschrift für spekulative Physik enthalten wird [Band IV. der Originalausgabe], zu suchen.

 

§ 2. Folgesätze

Wir haben durch das Bisherige nicht nur den Begriff der Transzendental-Philosophie deduziert, sondern dem Leser zugleich einen Blick in das ganze System der Philosophie verschafft, das, wie man sieht, durch zwei Grundwissenschaften vollendet wird, die, einander entgegengesetzt im Prinzip und der Richtung, sich wechselseitig suchen und ergänzen. Nicht das ganze System der Philosophie, sondern nur die Eine Grundwissenschaft desselben[16] soll hier aufgestellt, und dem abgeleiteten Begriff zufolge vorerst genauer charakterisiert werden.2

1. Wenn der Transzendental-Philosophie das Subjektive – das Erste, und einziger Grund aller Realität, einziges Erklärungsprinzip alles andern ist (§ 1), so beginnt sie notwendig mit dem allgemeinen Zweifel an der Realität des Objektiven.

Wie der nur aufs Objektive gerichtete Naturphilosoph nichts so sehr zu verhindern sucht als Einmischung des Subjektiven in sein Wissen, so umgekehrt der Transzendental-Philosoph nichts so sehr als Einmischung des Objektiven in das rein subjektive Prinzip des Wissens. – Das Ausscheidungsmittel ist der absolute Skeptizismus – nicht der halbe, nur gegen die gemeinen Vorurteile der Menschen gerichtete, der doch nie auf den Grund sieht, sondern der durchgreifende Skeptizismus, der nicht gegen einzelne Vorurteile, sondern gegen das Grundvorurteil sich richtet, mit welchem alle andern von selbst fallen müssen. Denn außer den künstlichen, in den Menschen hineingebrachten Vorurteilen gibt es weit ursprünglichere, nicht durch Unterricht oder Kunst, sondern durch die Natur selbst in ihn gelegte, die, außer dem Philosophen, allen übrigen statt der Prinzipien alles Wissens, und dem bloßen Selbstdenker sogar als Probierstein aller Wahrheit gelten.

Das Eine Grundvorurteil, auf welches alle andern sich reduzieren, ist kein anderes, als daß es Dinge außer uns gebe; ein Fürwahrhalten, das, weil es nicht auf Gründen noch auf Schlüssen beruht (denn es gibt keinen einzigen probehaltigen Beweis dafür), und doch durch keinen entgegengesetzten Beweis sich ausrotten läßt (naturam furca expellas, tamen usque redibit), Ansprüche macht auf unmittelbare Gewißheit, da es sich doch auf etwas von uns ganz Verschiedenes, ja uns Entgegengesetztes bezieht, von dem man gar nicht einsieht, wie es in das unmittelbare Bewußtsein komme, – für nichts mehr als[17] für ein Vorurteil – zwar für ein angeborenes und ursprüngliches – aber deswegen nicht minder für Vorurteil geachtet werden kann.

Den Widerspruch, daß ein Satz, der seiner Natur nach nicht unmittelbar gewiß sein kann, doch ebenso blindlings und ohne Gründe wie ein solcher angenommen wird, weiß der Transzendental-Philosoph nicht zu lösen, als durch die Voraussetzung, daß jener Satz versteckterweise, und ohne daß man es bis jetzt einsieht, – nicht zusammenhänge, sondern identisch und eins und dasselbe sei mit einem unmittelbar Gewissen, und diese Identität aufzuzeigen, wird eigentlich das Geschäft der Transzendental-Philosophie sein.

2. Nun gibt es aber selbst für den gemeinen Vernunftgebrauch nichts unmittelbar Gewisses außer dem Satz: Ich bin; der, weil er außerhalb des unmittelbaren Bewußtseins selbst die Bedeutung verliert, die individuellste aller Wahrheiten, und das absolute Vorurteil ist, das zuerst angenommen werden muß, wenn irgend etwas anderes gewiß sein soll. – Der Satz: Es gibt Dinge außer uns, wird also für den Transzendental-Philosophen auch nur gewiß sein durch seine Identität mit dem Satze: Ich bin, und seine Gewißheit wird auch nur gleich sein der Gewißheit des Satzes, von welchem er die seinige entlehnt.

Das transzendentale Wissen würde sich diesem nach vom gemeinen durch zwei Punkte unterscheiden.

Erstens, daß ihm die Gewißheit vom Dasein der Außendinge ein bloßes Vorurteil ist, über das es hinausgeht, um seine Gründe aufzusuchen. (Es kann dem Transzendental-Philosophen nie darum zu tun sein, das Dasein der Dinge an sich zu beweisen, sondern nur, daß es ein natürliches und notwendiges Vorurteil ist, äußere Gegenstände als wirklich anzunehmen.)

Zweitens, daß es die beiden Sätze: Ich bin, und: Es sind Dinge außer mir, die im gemeinen Bewußtsein zusammenfließen, trennt (den einen dem andern vorsetzt), eben um ihre Identität beweisen und den unmittelbaren Zusammenhang, der[18] in jenem nur gefühlt wird, wirklich aufzeigen zu können. Durch den Akt dieser Trennung selbst, wenn er vollständig ist, versetzt er sich in die transzendentale Betrachtungsart, welche keineswegs eine natürliche, sondern eine künstliche ist.

3. Wenn dem Transzendental-Philosophen nur das Subjektive ursprüngliche Realität hat, so wird er auch nur das Subjektive im Wissen sich unmittelbar zum Objekt machen: das Objektive wird ihm nur indirekt zum Objekt werden, und anstatt daß im gemeinen Wissen das Wissen selbst (der Akt des Wissens) über dem Objekt verschwindet, wird im transzendentalen umgekehrt über dem Akt des Wissens das Objekt als solches verschwinden. Das transzendentale Wissen ist also ein Wissen des Wissens, insofern es rein subjektiv ist.

So gelangt z.B. von der Anschauung nur das Objektive zum gemeinen Bewußtsein, das Anschauen selbst verliert sich im Gegenstand; indes die transzendentale Betrachtungsart vielmehr nur durch den Akt des Anschauens hindurch das Angeschaute erblickt. – So ist das gemeine Denken ein Mechanismus, in welchem Begriffe herrschen, aber ohne als Begriffe unterschieden zu werden; indes das transzendentale Denken jenen Mechanismus unterbricht, und, indem es des Begriffs als Akts sich bewußt wird, zum Begriff des Begriffs sich erhebt. – Im gemeinen Handeln wird über dem Objekt der Handlung das Handeln selbst vergessen; das Philosophieren ist auch ein Handeln, aber nicht ein Handeln nur, sondern zugleich ein beständiges Selbstanschauen in diesem Handeln.

Die Natur der transzendentalen Betrachtungsart muß also überhaupt darin bestehen, daß in ihr auch das, was in allem andern Denken, Wissen oder Handeln das Bewußtsein flieht, und absolut nicht-objektiv ist, zum Bewußtsein gebracht, und objektiv wird, kurz, in einem beständigen sich-selbst-Objekt-Werden des Subjektiven.

Die transzendentale Kunst wird eben in der Fertigkeit bestehen, sich beständig in dieser Duplizität des Handelns und des Denkens zu erhalten.[19]

 

Fußnoten

 

2 Erst durch die Vollendung des Systems der Transzendental-Philosophie wird man der Notwendigkeit einer Naturphilosophie, als ergänzender Wissenschaft, inne werden, und dann auch aufhören, an jene Forderungen zu machen, welche nur eine Naturphilosophie erfüllen kann.

 

§ 3. Vorläufige Einteilung der Transzendental-Philosophie

Vorläufig ist diese Einteilung, weil die Prinzipien der Einteilung erst in der Wissenschaft selbst abgeleitet werden können. Wir gehen auf den Begriff der Wissenschaft zurück. Die Transzendental-Philosophie hat zu erklären, wie das Wissen überhaupt möglich sei, vorausgesetzt, daß das Subjektive in demselben als das Herrschende oder Erste angenommen werde.

Es ist also nicht ein einzelner Teil, noch ein besonderer Gegenstand des Wissens, sondern das Wissen selbst, und das Wissen überhaupt, was sie sich zum Objekt macht.

Nun reduziert sich aber alles Wissen auf gewisse ursprüngliche Überzeugungen, oder unsprüngliche Vorurteile; diese einzelnen Überzeugungen muß die Transzendental-Philosophie auf Eine ursprüngliche Überzeugung zurückführen; diese Eine, aus, welcher alle anderen abgeleitet werden, wird ausgedrückt im ersten Prinzip dieser Philosophie, und die Aufgabe, ein. solches zu finden, heißt nichts anderes, als das absolut-Gewisse zu finden, durch welches alle andere Gewißheit vermittelt ist.

Die Einteilung der Transzendental-Philosophie selbst wird bestimmt durch jene ursprünglichen Überzeugungen, deren Gültigkeit sie in Anspruch nimmt. Diese Überzeugungen müssen vorerst im gemeinen Verstande aufgesucht werden. – Wenn man sich also auf den Standpunkt der gemeinen Ansicht zurückversetzt, so findet man folgende Überzeugungen tief eingegraben in dem menschlichen Verstand.

A. Daß nicht nur unabhängig von uns eine Welt von Dingen außer uns existiere, sondern auch, daß unsere Vorstellungen so mit ihnen übereinstimmen, daß an den Dingen nichts anderes ist, als was wir an ihnen vorstellen. – Der Zwang in unsern objektiven Vorstellungen wird daraus erklärt, daß die Dinge unveränderlich bestimmt, und durch diese Bestimmtheit der Dinge mittelbar auch unsere Vorstellungen bestimmt seien. Durch diese erste und ursprünglichste Überzeugung ist die erste Aufgabe der Philosophie bestimmt: zu erklären, wie Vorstellungen absolut[20] übereinstimmen können mit ganz unabhängig von ihnen existierenden Gegenständen. – Da auf der Annahme, daß die Dinge gerade das sind, was wir an ihnen vorstellen, daß wir also allerdings die Dinge erkennen, wie sie an sich sind, die Möglichkeit aller Erfahrung beruht (denn was wäre die Erfahrung, und wohin würde sich z.B. die Physik verirren, ohne jene Voraussetzung der absoluten Identität des Seins und des Erscheinens?) – so ist die Auflösung dieser Aufgabe identisch mit der theoretischen Philosophie, welche die Möglichkeit der Erfahrung zu untersuchen hat.

B. Die zweite ebenso ursprüngliche Überzeugung ist, daß Vorstellungen, die ohne Notwendigkeit, durch Freiheit, in uns entstehen, aus der Welt des Gedankens in die wirkliche Welt übergehen und objektive Realität erlangen können.

Diese Überzeugung ist der ersten entgegengesetzt. Nach der ersten wird angenommen: die Gegenstände seien unveränderlich bestimmt, und durch sie unsere Vorstellungen; nach der andern: die Gegenstände seien veränderlich, und zwar durch die Kausalität von Vorstellungen in uns. Nach der ersten Überzeugung findet ein Übergang aus der wirklichen Welt in die Welt der Vorstellung, oder ein Bestimmtwerden der Vorstellung durch ein Objektives, nach der zweiten ein Übergang aus der Welt der Vorstellung in die wirkliche, oder ein Bestimmtwerden des Objektiven durch eine (frei entworfene) Vorstellung in uns statt.

Durch diese zweite Überzeugung ist ein zweites Problem bestimmt, dieses: wie durch ein bloß Gedachtes ein Objektives veränderlich sei, so, daß es mit dem Gedachten vollkommen übereinstimme.

Da auf jener Voraussetzung die Möglichkeit alles freien Handelns beruht, so ist die Auflösung dieser Aufgabe praktische Philosophie.

C. Aber mit diesen beiden Problemen sehen wir uns in einen Widerspruch verwickelt. – Nach B wird gefordert eine Herrschaft des Gedankens (des Ideellen) über die Sinnenwelt; wie ist aber eine solche denkbar, wenn (nach A) die Vorstellung in ihrem Ursprung schon nur die Sklavin des Objektiven ist? – Umgekehrt, ist die wirkliche Welt etwas von uns ganz Unabhängiges,[21] wonach (als ihrem Urbild) unsere Vorstellung sich richten muß (nach A), so ist unbegreiflich, wie hinwiederum die wirkliche Welt sich nach Vorstellungen in uns richten könne (nach B). – Mit Einem Wort, über der theoretischen Gewißheit geht uns die praktische, über der praktischen die theoretische verloren; es ist unmöglich, daß zugleich in unserem Erkenntnis Wahrheit, und in unserem Wollen Realität sei.

Dieser Widerspruch muß aufgelöst werden, wenn es überhaupt eine Philosophie gibt – und die Auflösung dieses Problems, oder die Beantwortung der Frage: wie können die Vorstellungen zugleich als sich richtend nach den Gegenständen, und die Gegenstände als sich richtend nach den Vorstellungen gedacht werden? ist nicht die erste, aber die höchste Aufgabe der Transzendental-Philosophie.

Es ist leicht einzusehen, daß dieses Problem weder in der theoretischen noch in der praktischen Philosophie ausgelöst werden kann, sondern in einer höheren, die das verbindende Mittelglied beider, und weder theoretisch noch praktisch, sondern beides zugleich ist.

Wie zugleich die objektive Welt nach Vorstellungen in uns, und Vorstellungen in uns nach der objektiven Welt sich bequemen, ist nicht zu begreifen, wenn nicht zwischen den beiden Welten, der ideellen und der reellen, eine vorherbestimmte Harmonie existiert. Diese vorherbestimmte Harmonie aber ist selbst nicht denkbar, wenn nicht die Tätigkeit, durch welche die objektive Welt produziert ist, ursprünglich identisch ist mit der, welche im Wollen sich äußert, und umgekehrt.

Nun ist es allerdings eine produktive Tätigkeit, welche im Wollen sich äußert; alles freie Handeln ist produktiv, nur mit Bewußtsein produktiv. Setzt man nun, da beide Tätigkeiten doch nur im Prinzip Eine sein sollen, daß dieselbe Tätigkeit, welche im freien Handeln mit Bewußtsein produktiv ist, im Produzieren der Welt ohne Bewußtsein produktiv sei, so ist jene vorausbestimmte Harmonie wirklich, und der Widerspruch gelöst. Setzt man, dies alles verhalte sich wirklich so, so wird jene[22] ursprüngliche Identität der im Produzieren der Welt geschäftigen Tätigkeit mit der, welche im Wollen sich äußert, in den Produkten der ersten sich darstellen, und diese Produkte werden erscheinen müssen als Produkte einer zugleich bewußten und bewußtlosen Tätigkeit.

Die Natur, als Ganzes sowohl, als in ihren einzelnen Produkten, wird als ein mit Bewußtsein hervorgebrachtes Werk, und doch zugleich als Produkt des blindesten Mechanismus erscheinen müssen; sie ist zweckmäßig, ohne zweckmäßig erklärbar zu sein. – Die Philosophie der Naturzwecke, oder die Teleologie ist also jener Vereinigungspunkt der theoretischen und praktischen Philosophie.

D. Es ist bisher nur überhaupt die Identität der bewußtlosen Tätigkeit, welche die Natur hervorgebracht hat, und der bewußten, die im Wollen sich äußert, postuliert worden, ohne daß entschieden wäre, wohin das Prinzip jener Tätigkeit falle, ob in die Natur, oder in uns.

Nun ist aber das System des Wissens nur alsdann als vollendet zu betrachten, wenn es in sein Prinzip zurückkehrt. – Die Transzendental-Philosophie wäre also nur alsdann vollendet, wenn sie jene Identität – die höchste Auflösung ihres ganzen Problems – in ihrem Prinzip (im Ich) nachweisen könnte.

Es wird also postuliert, daß im Subjektiven, im Bewußtsein selbst, jene zugleich bewußte und bewußtlose Tätigkeit aufgezeigt werde.

Eine solche Tätigkeit ist allein die ästhetische, und jedes Kunstwerk ist nur zu begreifen als Produkt einer solchen. Die idealische Welt der Kunst und die reelle der Objekte sind also Produkte einer und derselben Tätigkeit; das Zusammentreffen beider (der bewußten und der bewußtlosen) ohne Bewußtsein gibt die wirkliche, mit Bewußtsein die ästhetische Welt.

Die objektive Welt ist nur die ursprüngliche, noch bewußtlose Poesie des Geistes; das allgemeine Organen der Philosophie – und der Schlußstein ihres ganzen Gewölbes – die Philosophie der Kunst.[23]

 

§ 4. Organ der Transzendental-Philosophie

1. Das einzig unmittelbare Objekt der transzendentalen Betrachtung ist das Subjektive (§ 2); das einzige Organ dieser Art zu philosophieren also der innere Sinn, und ihr Objekt von der Art, daß es nicht einmal so wie das der Mathematik Objekt der äußern Anschauung werden kann. – Das Objekt der Mathematik ist freilich so wenig außerhalb des Wissens vorhanden, als das der Philosophie. Das ganze Dasein der Mathematik beruht auf der Anschauung, sie existiert also auch nur in der Anschauung, aber diese Anschauung selbst ist eine äußere. Dazu kommt, daß es doch der Mathematiker nie unmittelbar mit der Anschauung (der Konstruktion) selbst, sondern nur mit dem Konstruierten zu tun hat, was sich allerdings äußerlich darstellen läßt, indes der Philosoph lediglich auf den Akt der Konstruktion selbst sieht, der ein absolut innerer ist.

2. Noch mehr, die Objekte des Transzendental-Philosophen existieren gar nicht, als insofern sie frei produziert werden. – Zu dieser Produktion kann man nicht nötigen, so wie man etwa durch die äußere Verzeichnung einer mathematischen Figur nötigen kann dieselbe innerlich anzuschauen. Gleichwohl beruht ebenso, wie die Existenz einer mathematischen Figur auf dem äußern Sinn beruht, die ganze Realität eines philosophischen Begriffs einzig auf dem innern Sinn. Das ganze Objekt dieser Philosophie ist kein anderes als das Handeln der Intelligenz nach bestimmten Gesetzen. Dieses Handeln ist nur zu begreifen durch eigne unmittelbare innere Anschauung, und diese ist wieder nur durch Produktion möglich. Aber nicht genug. Im Philosophieren ist man nicht bloß das Objekt, sondern immer zugleich das Subjekt der Betrachtung. Zum Verstehen der Philosophie sind also zwei Bedingungen erforderlich, erstens, daß man in einer beständigen innern Tätigkeit, in einem beständigen Produzieren jener ursprünglichen Handlungen der Intelligenz, zweitens, daß man in beständiger Reflexion auf dieses Produzieren begriffen,[24] mit Einem Wort, daß man immer zugleich das Angeschaute (Produzierende) und das Anschauende sei.

3. Durch diese beständige Duplizität des Produzierens und Anschauens soll Objekt werden, was sonst durch nichts reflektiert wird. – Es kann hier nicht, wohl aber in der Folge bewiesen werden, daß dieses Reflektiertwerden des absolut Unbewußten und nicht-Objektiven nur durch einen ästhetischen Akt der Einbildungskraft möglich ist. Indes ist aus dem, was schon hier bewiesen worden ist, so viel offenbar, daß alle Philosophie produktiv ist. Die Philosophie beruht also ebensogut wie die Kunst auf dem produktiven Vermögen, und der Unterschied beider bloß auf der verschiedenen Richtung der produktiven Kraft. Denn anstatt daß die Produktion in der Kunst nach außen sich richtet, um das Unbewußte durch Produkte zu reflektieren, richtet sich die philosophische Produktion unmittelbar nach innen, um es in intellektueller Anschauung zu reflektieren. – Der eigentliche Sinn, mit dem diese Art der Philosophie aufgefaßt werden muß, ist also der ästhetische, und eben darum die Philosophie der Kunst das wahre Organon der Philosophie (§ 3).

Aus der gemeinen Wirklichkeit gibt es nur zwei Auswege, die Poesie, welche uns in eine idealische Welt versetzt, und die Philosophie, welche die wirkliche Welt ganz vor uns verschwinden läßt. – Man sieht nicht ein, warum der Sinn für Philosophie eben allgemeiner verbreitet sein sollte, als der für Poesie, besonders unter der Klasse von Menschen, die, sei es durch Gedächtniswerk (nichts tötet unmittelbarer das Produktive), oder durch tote, alle Einbildungskraft vernichtende Spekulation das ästhetische Organ völlig verloren haben.

4. Es ist unnötig, sich mit den Gemeinplätzen von Wahrheitssinn, von gänzlicher Sorglosigkeit wegen der Resultate aufzuhalten, obgleich man fragen möchte, welche andere Überzeugung dem noch heilig sein könne, der die gewisseste (daß Dinge außer uns sind) in Anspruch nimmt. – Eher können wir noch einen Blick werfen auf die sogenannten Ansprüche des gemeinen Verstandes.

Der gemeine Verstand hat in Sachen der Philosophie gar[25] keine Ansprüche, als die, welche jeder Gegenstand der Untersuchung hat, vollkommen erklärt zu werden.

Es ist nicht etwa darum zu tun, zu beweisen, daß wahr sei, was er für wahr hält, sondern nur darum, die Unvermeidlichkeit seiner Täuschungen aufzudecken. – Es bleibt dabei, daß die objektive Welt nur zu den notwendigen Einschränkungen gehört, welche das Selbstbewußtsein (das Ich bin) möglich machen; für den gemeinen Verstand ist es genug, wenn aus dieser Ansicht selbst wiederum die Notwendigkeit der seinigen abgeleitet wird.

Zu diesem Behuf ist es notwendig, nicht nur, daß das innere Triebwerk unserer geistigen Tätigkeit aufgeschlossen, der Mechanismus des notwendigen Vorstellens enthüllt, sondern auch, daß gezeigt werde, durch welche Eigentümlichkeit unserer Natur es notwendig ist, daß, was bloß in unserem Anschauen Realität hat, uns als etwas außer uns Vorhandenes reflektiert wird.

Wie die Naturwissenschaft des Idealismus aus dem Realismus hervorbringt, indem sie die Naturgesetze zu Gesetzen der Intelligenz vergeistigt, oder zum Materiellen das Formelle hinzufügt (§ 1), so die Transzendental-Philosophie den Realismus aus dem Idealismus, dadurch, daß sie die Gesetze der Intelligenz zu Naturgesetzen materialisiert, oder zum Formellen das Materielle hinzubringt.[26]

 

Erster Hauptabschnitt.

Vom Prinzip des transzendentalen Idealismus

Erster Abschnitt.
Von der Notwendigkeit und Beschaffenheit eines höchsten Prinzips des Wissens

1. Es wird indes als Hypothese angenommen, daß in unserem Wissen überhaupt Realität sei, und gefragt: was die Bedingungen dieser Realität seien. – Ob in unserem Wissen wirklich Realität sei, wird davon abhängen, ob diese erst abgeleiteten Bedingungen nachher wirklich sich aufzeigen lassen.

Wenn alles Wissen auf der Übereinstimmung eines Objektiven und Subjektiven beruht (Einl. § 1), so besteht unser ganzes Wissen aus Sätzen, die nicht unmittelbar wahr sind, die ihre Realität von etwas anderem entlehnen.

Die bloße Zusammenstellung eines Subjektiven mit einem Subjektiven begründet kein eigentliches Wissen. Und umgekehrt, das eigentliche Wissen setzt ein Zusammentreffen von Entgegengesetzten voraus, deren Zusammentreffen nur ein vermitteltes sein kann.

Es muß also etwas allgemein Vermittelndes in unserem Wissen geben, was einziger Grund des Wissens ist.

2. Es wird als Hypothese angenommen, in unserem Wissen sei ein System, d.h., es sei ein Ganzes, was sich selbst trägt[27] und in sich selbst zusammenstimmt. – Der Skeptiker leugnet diese Voraussetzung, wie die erste, und sie ist, wie jene, nur durch die Tat selbst zu beweisen. – Was wäre es denn, wenn auch unser Wissen, ja wenn unsere ganze Natur in sich selbst widersprechend wäre? – Also nur angenommen, unser Wissen sei ein ursprüngliches Ganzes, dessen Grundriß das System der Philosophie sein soll, so wird wiederum vorläufig nach den Bedingungen eines solchen gefragt.

Da jedes wahre System (wie z.B. das des Weltbaues) den Grund seines Bestehens in sich selbst haben muß, so muß, wenn es ein System des Wissens gibt, das Prinzip desselben innerhalb des Wissens selbst liegen.

3. Dieses Prinzip kann nur Eines sein. Denn alle Wahrheit ist sich absolut gleich. Es mag wohl Grade der Wahrscheinlichkeit geben, die Wahrheit hat keine Grade; was wahr ist, ist gleich wahr. – Daß aber die Wahrheit aller Sätze des Wissens eine absolut gleiche sei, ist unmöglich, wenn sie ihre Wahrheit von verschiedenen Prinzipien (Vermittlungsgliedern) entlehnen, es muß also nur Ein (vermittelndes) Prinzip in allem Wissen sein.

4. Dieses Prinzip ist mittelbar oder indirekt Prinzip jeder Wissenschaft, aber unmittelbar und direkt nur Prinzip der Wissenschaft alles Wissens, oder der Transzendental-Philosophie.

Durch die Aufgabe, eine Wissenschaft des Wissens, d.h. eine solche, welche das Subjektive zum Ersten und Höchsten macht, aufzustellen, wird man also unmittelbar auf ein höchstes Prinzip alles Wissens getrieben.

Alle Einwendungen gegen ein solches absolut höchstes Prinzip des Wissens sind schon durch den Begriff der Transzendental-Philosophie abgeschnitten. Alle entspringen nur daher, daß man die Beschränktheit der ersten Aufgabe dieser Wissenschaft übersieht, welche gleich anfangs von allem Objektiven abstrahiert und nur das Subjektive im Auge behält.

Es ist gar nicht die Rede von einem absoluten Prinzip des Seins, denn gegen ein solches gelten alle jene Einwürfe, sondern von einem absoluten Prinzip des Wissens.[28]

Nun ist aber offenbar, daß, wenn es nicht eine absolute Grenze des Wissens – etwas gäbe, das uns, selbst ohne daß wir uns seiner bewußt sind, im Wissen absolut fesselt und bindet, und das uns, indem wir wissen, nicht einmal zum Objekt wird, eben deswegen, weil es Prinzip alles Wissens ist – daß es als dann überhaupt nie zu einem Wissen, nicht einmal zu einem einzelnen kommen könnte.

Der Transzendental-Philosoph fragt nicht: welcher letzte Grund unseres Wissens mag außer demselben liegen? sondern: was ist das Letzte in unserem Wissen selbst, über das wir nicht hinauskönnen? – Er sucht das Prinzip des Wissens innerhalb des Wissens (es ist also selbst etwas, das gewußt werden kann).

Die Behauptung: es gibt ein höchstes Prinzip des Wissens, ist nicht wie die: es gibt ein absolutes Prinzip des Seins, eine positive, sondern eine negative, einschränkende Behauptung, in der nur so viel liegt: es gibt irgend ein Letztes, von welchem alles Wissen sich anfängt, und jenseits dessen kein. Wissen ist.

Da der Transzendental-Philosoph (Einl. § 1) überall nur das. Subjektive sich zum Objekt macht, so behauptet er auch nur, daß es subjektiv, d.h. daß es für uns irgend ein erstes Wissen gebe; ob es, abstrahiert von uns, jenseits dieses ersten Wissens noch überhaupt etwas gebe, kümmert ihn vorerst gar nicht, und darüber muß die Folge entscheiden.

Dieses erste Wissen ist für uns nun ohne Zweifel das. Wissen von uns selbst, oder das Selbstbewußtsein. Wenn der Idealist dieses Wissen zum Prinzip der Philosophie macht, so ist dies der Beschränktheit seiner ganzen Aufgabe gemäß, die außer dem Subjektiven des Wissens nichts zum Objekt hat. – Daß das Selbstbewußtsein der feste Punkt sei, an den für uns alles geknüpft ist, bedarf keines Beweises. – Daß nun aber dieses Selbstbewußtsein nur die Modifikation eines höheren Seins – (vielleicht eines höheren Bewußtseins, und dieses eines noch höheren, und so ins Unendliche fort) sein könne – mit Einem Wort, daß auch das Selbstbewußtsein noch etwas überhaupt Erklärbares[29] sein möge, erklärbar aus etwas, von dem wir nichts wissen können, weil eben durch das Selbstbewußtsein die ganze Synthesis unsers Wissens erst gemacht wird – geht uns als Transzendental-Philosophen nichts an; denn das Selbstbewußtsein ist uns nicht eine Art des Seins, sondern eine Art des Wissens, und zwar die höchste und äußerste, die es überhaupt für uns gibt.

Es läßt sich sogar, um noch weiter zu gehen, beweisen, und ist zum Teil schon oben (Einl. § 1) bewiesen worden, daß selbst, wenn das Objektive willkürlich als das Erste gesetzt wird, wir doch nie über das Selbstbewußtsein hinauskommen. Wir werden alsdann in unsern Erklärungen entweder ins Unendliche zurückgetrieben, vom Begründeten zum Grund, oder wir müssen die Reihe willkürlich abbrechen, dadurch, daß wir ein Absolutes, das von sich selbst die Ursache und die Wirkung – Subjekt und Objekt – ist, und da dies ursprünglich nur durch Selbstbewußtsein möglich ist, dadurch, daß wir wieder ein Selbstbewußtsein als Erstes setzen; dies geschieht in der Naturwissenschaft, für welche das Sein ebenso wenig ursprünglich ist wie für die Transzendental-Philosophie (s. den Entwurf eines Systems der Naturphilosophie S. 5 [ I, III, 12 d. O.-A.]), und welche das einzig Reelle in ein Absolutes setzt, das von sich selbst Ursache und Wirkung ist – in die absolute Identität des Subjektiven und Objektiven, die wir Natur nennen und die in der höchsten Potenz wieder nichts anderes als Selbstbewußtsein ist.

Der Dogmatismus, dem das Sein das Ursprüngliche ist, kann überhaupt nur durch einen unendlichen Regressus erklären; denn die Reihe von Ursachen und Wirkungen, an welchen seine Erklärung fortläuft, könnte nur durch etwas, was zugleich Ursache und Wirkung von sich ist, geschlossen werden; aber eben dadurch würde er in Naturwissenschaft verwandelt, welche selbst wiederum in ihrer Vollendung in das Prinzip des transzendentalen Idealismus zurückkehrt. (Der konsequente Dogmatismus existiert nur im Spinozismus; der Spinozismus kann aber als reelles System wiederum nur als Naturwissenschaft fortdauern, deren letztes Resultat wieder Prinzip der Transzendental-Philosophie wird.)[30]

Aus dem allem ist offenbar, daß das Selbstbewußtsein den ganzen auch ins Unendliche erweiterten Horizont unsers Wissens umgrenzt, und in jeder Richtung das Höchste bleibt. Jedoch bedarf es zum gegenwärtigen Zweck dieser weitaussichtigen Gedanken nicht, sondern nur der Reflexion über den Sinn unserer ersten Aufgabe. – Jeder wird ohne Zweifel folgendes Räsonnement verständlich und evident finden.

Es ist mir vorerst bloß darum zu tun, in mein Wissen selbst ein System zu bringen, und innerhalb des Wissens selbst dasjenige zu suchen, wodurch alles einzelne Wissen bestimmt ist. – Nun ist aber ohne Zweifel das, wodurch alles in meinem Wissen bestimmt ist, das Wissen von mir selbst. – Da ich mein Wissen nur in sich selbst begründen will, so frage ich nicht weiter nach dem letzten Grund jenes ersten Wissens (des Selbstbewußtseins), der, wenn es einen solchen gibt, notwendig außerhalb des Wissens liegen muß. Das Selbstbewußtsein ist der lichte Punkt im ganzen System des Wissens, der aber nur vorwärts, nicht rückwärts leuchtet. – Selbst zugegeben, daß dieses Selbstbewußtsein nur die Modifikation eines von ihm unabhängigen Seins wäre, was freilich keine Philosophie begreiflich machen kann, so ist es für mich jetzt keine Art des Seins, sondern eine Art des Wissens, und nur in dieser Qualität betrachte ich es hier. Durch die Beschränktheit meiner Aufgabe, die mich ins Unendliche zurück in den Umkreis des Wissens einschließt, wird es mir ein Selbständiges und zum absoluten Prinzip – nicht alles Seins, sondern alles Wissens, da alles Wissen (nicht nur das meinige) davon ausgehen muß. – Daß das Wissen überhaupt, daß insbesondere dieses erste Wissen abhängig sei von einer von ihm unabhängigen Existenz, hat noch kein Dogmatiker bewiesen. Es ist bis jetzt ebenso möglichfür unsere Wissenschaftin sich selbst