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Das Buch

Eine Lüge! Delias ganzes Leben basiert auf einer Lüge, denn ihr Vater ist nicht ihr leiblicher Vater. Diese Erkenntnis wirft Millionen von Fragen auf, weckt Wünsche, sät Zweifel. Nichts ist mehr, wie es vorher war. Trost findet das Mädchen nur bei Kodiak, dem Jungen mit der Gitarre, der Gedichte schreibt. Doch er ist auch der Junge mit der dunklen Vergangenheit, vor dem alle warnen …

Ein berührender Roman über die eigenen Wurzeln, Identität und die Liebe in all ihren Facetten

Die Autorin

© Autumn Clarkson

Dante Medema schreibt Bücherfür junge Leser. Sie lebt in Anchorage, Alaska, mit ihrem Ehemann, vier Töchtern und einem Raum voller außerirdischer Fanartikeln - und natürlichBüchern. Wenn sie nicht schreibt, versucht sie sich im Backen, Dekorieren, Nähen und Malen. Außerdem interessiert sie sich für Enneagramm-Persönlichkeitstypen.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

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Viel Spaß beim Lesen!

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Für Bug. Mein erstes Baby. Meine Schwester, für alle Zeit.

Meine Eltern schufen alles nach dem Bildnis
der perfekten Familie in Alaska.

Das Eigenheim mit Ausblick,
eine Hütte auf Kenai,
2,5 Kinder,
zusammenpassende wasserdichte Stiefel,
ein im Sicherheitstest mit fünf Sternen bewerteter Volvo
mit Allradantrieb.

Das halbe Kind bin wohl ich.

Sana-Freundin <3

SANA: Weißt du, was ich glaube?

ICH: Dass es eigentlich viel zu spät ist, um Nachrichten zu
schreiben?
Vielleicht sollte ich andere Leute schlafen lassen?
Vielleicht sollte ich selbst lieber schlafen?

SANA: Du bist doch nicht andere Leute.
Du bist meine Cordelia.

ICH: Was gibt es denn?

SANA: Sie ist immer so mies drauf, wenn sie müde ist.
Was willst du denn machen, wenn du erst an deiner schicken
Columbia-Universität studierst und dir die Nächte bei
irgendwelchen Verbindungspartys um die Ohren schlägst,
nur um nicht aus dem Raster zu fallen?

ICH: Kann ja sein, dass ich mir die Nächte um die Ohren
schlage, aber zu Verbindungspartys gehe ich bestimmt nicht.

SANA: Du Spaßbremse. Hast du schon das Konzept für dein
Abschlussprojekt eingereicht?

ICH: Nein, ich habe gedacht, ich warte lieber bis zum
allerletzten Moment.

SANA: . . .

ICH: Nur ein Witz. Ich habe es schon am ersten Tag abgegeben, gleich zu Beginn der Frist.

SANA: Na also. Genau aus diesem Grund haben sie dich an
der Columbia-Universität schon vorab zugelassen.
Hast du daran gedacht, mich als Partnerin zu beantragen?
Tut mir leid, dass ich dich noch mal damit belästige, aber ich
bin nervös. Ich brauche unbedingt eine gute Partnerin.
Du weißt doch, dass ich nichts auf die Reihe kriege, wenn es
um Schriftliches geht.

ICH: Klar hab ich dran gedacht. Aber du kriegst das schon
hin, selbst wenn wir einander nicht zugeteilt werden.

SANA: Du hast gut reden. Du hast ja auch keine Probleme
mit der Schule. Selbst wenn ich einen Platz im College
kriegen sollte, brauche ich unbedingt eine gute Note für
mein Abschlussprojekt, damit ich meinen Notendurchschnitt
halten kann.

ICH: O Mann, hör auf damit.

SANA: Du musst dich ja gar nicht erst bewerben, also
kannst du deine ganze Energie darauf verwenden, mir zu
helfen, wenn ich ein paar Stunden Fußballtraining aufnehme.
Und schneide. Und dann alles ins Internet stelle. Und
vielleicht kannst ja du den kompletten schriftlichen Teil für
mich erledigen? Okay, danke!

ICH: Hey, ich muss mir mit meinem Projekt auch Mühe
geben. Wie jeder andere.
Ich habe das Gentest-Set schon bestellt.
In den nächsten Tagen fange ich damit an, meine Herkunft zu
erforschen und darüber Gedichte zu schreiben.
Und dann kommt endlich ans Licht, dass ich adoptiert bin.

SANA: Jetzt geht das wieder los.

ICH: Was?

SANA: Du immer mit deinem ewigen ›ich bin adoptiert‹ und
›ich bin anders als die anderen‹. Schon kapiert. Du hast das
Gefühl, dass du anders bist, aber adoptiert bist du verdammt
noch mal nicht.
Du hast so ein Superleben, echt.
Mach das doch nicht ständig schlecht.
Ich würde unseren Trailer jederzeit gegen eure Villa mit
Aussicht eintauschen.

ICH: Zum letzten Mal: Es ist keine Villa.
Ich finde euren Trailer super. Er ist gemütlich und keiner platzt
einfach in dein Zimmer, ohne anzuklopfen.

SANA: Das liegt daran, dass ich gar kein Zimmer habe.
Mann, Delia! Super hingekriegt, wenn du willst, dass ich mich
dafür schäme, wie ich lebe!

ICH: . . .
Tut mir leid. Du weißt doch, dass ich es nicht so gemeint
habe.

SANA: . . .

ICH: Sana.

SANA: Ich weiß.
Aber es klingt immer so, als müsste sich ein Hund im Tierheim
anhören, wie sich ein Familienhund über sein abgesichertes
Leben auf dem Sofa beschwert.
Danke, auch deine Hilfe bei meiner Collegebewerbung ist
willkommen.
Es dauert ja nicht mehr lange, dann bist du an der Uni und
dein Leben startet so richtig durch.
Während ich hier in Tundra Cove festklebe.
Ich und mein Fußball.

Auf dem Schild an der Einfahrt zur Stadt steht:

Tundra Cove

Bevölkerung: 5356.

Falls wir uns noch fremd sind – bald kennen wir Sie!

Sana sagt immer, hier ist nichts los,

immer nur dieselben Partys,

mit denselben Leuten,

die dir unbedingt beweisen müssen,

dass du sie nicht kennst,

nicht so gut, wie du glaubst.

Ich habe ja immer gedacht,

ich könnte hier alt werden,

umgeben von der Schönheit der kleinen Dinge:

Die Stadt liegt so nah an der Bucht,

dass man manchmal Belugawale springen sieht,

oder beobachten kann, wie Blau und Rosa

in einem perfekten Sonnenuntergang aus Zuckerwatte

verschmelzen.

Aber die Stadt liegt auch auf einem Berg

mit endlosen Fußwegen, auf denen

man verloren gehen kann,

und riesigen Bäumen,

die sich aus dem Nirgendwo erheben,

so hoch, man vergisst ganz,

dass die Blätter ihrer Kronen

nicht Teil des Himmels sind.

Aber Sana war schon immer

zu groß für diese Stadt.

Sie muss immer allen klarmachen,

dass sie ihr wahres Ich gar nicht sehen können.

Muss widerlegen, was sie denken.

Ich sage nie, dass ich anders bin.

Denn wozu die Mühe?

Sie würden mir ja doch niemals glauben.

Von: Vidya Nadeer ‹nadeer.vidya@tchs.edu

An: Cordelia Koenig ‹koenig.cordelia@tchs.edu

Betreff: Re: Exposé für Abschlussprojekt

Cordelia,

es freut mich sehr, dass Du mir endlich Deinen Projektvorschlag geschickt hast! Deine Idee finde ich großartig: Ein DNA-Gentest-Set dazu zu benutzen, Deine Wurzeln zu erforschen und herauszufinden, in welchem Maße Deine Vorfahren Deine Persönlichkeit beeinflusst haben – und das alles in Gedichtform umzusetzen. Ich habe schon als Kind in Tundra Cove gelebt, aber meine Familie stammt ja aus Kaschmir, und da herrschen ganz andere Traditionen und Sitten.

Mir gefällt die Idee, wirklich, aber es ist natürlich nicht zu übersehen, dass Du Dir genau dasselbe Thema ausgesucht hast wie Deine ältere Schwester, Beatrice (abgesehen von dem Aspekt mit der Gedichtform). Ich habe damals auch ihr Projekt betreut. Bestimmt überzeugst Du mich mit Deinem Projekt genauso wie sie, aber ich möchte sichergehen, dass Du Dir Mühe gibst, etwas Eigenes daraus zu machen. Schüler, die schon vorab im College angenommen sind, können sich manchmal ganz locker durch ihr Abschlussjahr mogeln, aber ich möchte, dass Du alles herausholst, was möglich ist. Diese Note ist für Deinen Durchschnitt immer noch wichtig. Bitte erkläre mir, inwiefern sich Dein Projekt von dem Deiner Schwester Beatrice unterscheiden soll.

Ich habe Dir Kodiak Jones als Partner zugeteilt. Ich stimme dem zu, was Du in Deiner Mail geschrieben hast. Ihr zwei werdet gut zusammenarbeiten, und außerdem hoffe ich, dass ich euch beide überreden kann, mich in vier Wochen zu begleiten, wenn ich zum Northwest-Pacific-Regionaltreffen junger Dichter fahre. Ich habe ja im Unterricht schon mal erwähnt, dass ich dort einen Vortrag halte und einige talentierte Schüler mitnehmen möchte. Bitte denkt darüber nach, ob ihr euch anschließt.

Das wär’s erst mal von mir.

Vidya Nadeer

Ich kann Sana niemals die Wahrheit sagen:

dass ich, noch bevor sie mich bat,

sie als Partnerin zu beantragen,

schon Kodiak Jones beantragt hatte.

Weil er letztes Jahr, als er

beim Slam-Poetry-Wettbewerb las,

zersprang, frei wie die Seeadler,

die nahe der Bucht leben.

Seine Arme spreizen sich zu Flügeln aus,

es ist zu sehen,

wie sein Brustkorb bebt.

Wer in der Schule wagt ein Urteil?

Als Kodiak Jones seine Worte beinah sang,

als könne er sie anders gar nicht äußern,

im weichen Rhythmus,

bis hinein ins Crescendo,

spürte ich sie in meiner Seele.

Denn er ist nicht der alberne Junge

von damals, als wir uns noch

Geistergeschichten erzählten.

Der Junge, den ich immer so bewunderte.

Er ist jener Junge, der Seiten

in seinem Notizbuch zusammentackert,

als fürchte er sich davor,

zu lesen, was dazwischen steckt.

Dessen braune Augen davonflitzen,

wenn ich es wage, zu lange hinzusehen.

Der Junge, der seine Gedichte so singt,

wie ich sie nur träumen kann.

Das Abendessen folgt immer demselben Muster.

Meine kleine Schwester Iris spricht in Hashtags, ­

schließlich ist sie zwölf und findet das lustig.

Sie zeichnet Anführungszeichen in die Luft.

#langweilig

#müde

#ichwillnichtmehrzurschulegehen

#kannesnichtsommerseinichwillnachdraußen

Dad spricht wie Shakespeare,

schließlich ist er Professor und findet das lustig.

Sein Tag war ruhig.

Er hat Arbeiten aus dem Literaturkurs korrigiert.

Dieses Jahr hat er ein paar vielversprechende Studenten.

Mom verdreht über beide die Augen,

schließlich ist sie Immobilienmaklerin

und findet nichts davon lustig.

Sie hat ein neues Objekt,

das sie so schnell wie möglich

verkaufen will.

Vielleicht lächelt sie dann und klebt nicht mehr

mit grimmiger Miene am Telefon.

Ich räuspere mich und alle starren mich an.

Weil ich mich in Metaphern verliere, die sie nicht verstehen.

Meine Geschichten leben in Tagträumen,

sind in Verse gefasst.

Ich behalte sie immer, immer für mich.

Sie eignen sich nicht für lockere Tischgespräche.

Jeden. Abend. Gleich.

»Mein Tag ist gut gelaufen«, sage ich.

»Wir haben unsere Projektpartner zugeteilt bekommen.«

Sie warten,

und ich sehe, dass Mama in sich zusammensinkt,

als ich sage:

»Kodiak Jones.«

Moms Miene verzieht sich, als sei etwas sauer.

Doch ich weiß, es liegt nicht am Wein.

Sie ist mit Kodiaks Mom befreundet.

Zwei Immobilienmaklerinnen.

Dieselbe Kirchengemeinde.

Dasselbe Softballteam.

Sie tauschen Geheimnisse aus wie Kochrezepte.

Dad ist das mit Kodiak egal.

»Was für ein Projekt hast du gewählt?

Lyrik, das ist großartig – kann ich dir helfen?«

Aber er unterrichtet Shakespeare, nicht Lyrik.

»Das ist ein weiser Vater, der sein eigenes Kind kennt.

William war ein Dichter!«

Er witzelt.

Er zitiert.

Immer witzelt und zitiert er.

»Sei vorsichtig«,

sagt Mama.

»Dieser Junge ist ein Problem.«

Wer ist der Junge, den du da siehst?

Kodiak ist kein Problem.

Er hat Probleme.

Bevor er »ein Problem« war,

war er »Kodiak«.

Und er war der Junge, dem ich in Tundra Cove

jedes Jahr den ganzen Sommer lang

hinterherradelte,

mit aufgeschürften Knien und

scheußlichen Bräunungsstreifen,

wo Shorts und Schenkel aufeinandertrafen.

Der, dessen Familie mit uns zur Messe fuhr –

eine zweistündige Fahrt, jedes Jahr.

Und unsere Eltern gingen herum,

während wir an Maiskolben knabberten

und Karussell fuhren, bis uns übel wurde.

Er war der Junge, der mich pfeifen lehrte.

Und als seine Lippen ein kleines O formten,

spürte ich zum ersten Mal,

wie mein Herz aussetzte.

Er war derjenige,

dem ich mein erstes Gedicht zeigte,

und das war in Ordnung,

denn auch er zeigte mir seine Gedichte.

Kodiak war mein bester Freund,

noch bevor ich überhaupt wusste,

wer Sana war.

Und eines Tages

auf dem Heimweg von der Schule,

als wir unter den riesigen Fichten

Steine über den Pfad kickten,

erzählte ich ihm

von meiner ersten Liebe.

Dass mein Magen so seltsam rumorte,

wenn er in der Nähe war.

Und dass ich in meinem Kopf

lange Gespräche mit ihm führte,

mich fragte, ob ich es jemals wagen würde,

vor ihm laut auszusprechen,

was ich im Herzen fühlte.

Kodiak lächelte nicht

und witzelte nicht.

Und ich sagte ihm nie,

dass ich von ihm geredet hatte.

Es geschah ganz allmählich.

Zuerst ging er nicht mehr mit mir nach Hause,

denn er blieb lieber in den Wäldern

hinter der Schule.

Dort fing er an zu rauchen.

Und eines Tages, als ich zurückging,

dorthin, wo Bäume die knorrigen Wurzeln

vor dem Schnee schützten,

standen sie alle um eine Grube,

mit leeren Dosen und Müll überall.

Ich fragte warum.

Er sagte:

»Manchmal macht man Dinge,

die man nicht versteht,

damit die Dinge, die man tut,

einen Sinn bekommen.«

Aber er sah nicht mich an.

Sie sah er an.

Liv.

Die Neue mit dem wilden Lächeln,

den lila Haaren.

Und als er erst Liv gehörte,

gehörte er sonst niemandem mehr.

Wie er sie ansah.

Ich hatte mir immer gewünscht,

er würde mich so ansehen.

Wie er sie küsste.

So hatte ich es mir immer gewünscht.

Als seine Mutter an unserem Küchentisch weinte,

weil sie die beiden in seinem Zimmer ertappt hatte,

sagte sie, sie wisse nicht,

was sie noch mit ihm tun solle.

Sie fand Zigaretten und Wodka und

wenigstens-haben-sie-aufgepasst-Kondome.

Er schwänzte die Schule.

Er kam nicht nach Hause.

Und wenn ich ihm zuwinkte,

irgendwo im Schulhaus,

sah er mich nicht an

wie ein Junge, den ich einmal kannte.

Ich dachte, wir hätten ihn für immer verloren.

Aber dann passierte das alles letztes Jahr

und er veränderte sich noch einmal.

Als ich ihn dann sah,

irgendwo im Schulhaus,

lächelte er wieder.

Als hätte er den Sinn gefunden in dem,

was er zuvor nicht verstand.

Sana–Freundin <3

SANA: Deeeeeeelia.

Deeeeeeelia!

CORDELIA ANN KOENIG BEANTWORTE SOFORT MEINE NACHRICHT!

ICH: Du weißt genau, dass mein zweiter Vorname nicht Ann
lautet, oder?

SANA: Blödsinn.

ICH: Was benötigst du, oh meine Freundin, die du mich
nicht mein Abendessen genießen lässt, ohne mein Telefon zu
sprengen?

SANA: Ich habe gerade eine E-Mail von meinem
neuen Betreuer gekriegt. Sie haben mich zu Mr Kim
rübergeschoben. Purer Rassismus. Ich wette, ich bin ihm nur
deswegen zugeteilt, weil er asiatischer Herkunft ist und ich
halb asiatischer Herkunft.

ICH: Also, Ms Nadeer ist indischer Herkunft und ich bin
durch und durch weiß, also kannst du diese Theorie knicken.

SANA: Ich hatte doch Ms Nadeer! Das kapiere ich nicht.
Urplötzlich schieben sie mich zu Mr Kim und teilen mir
Madison Lee als Partnerin zu. Verstehst du, worauf ich
hinauswill?

ICH: Du meinst, das hat überhaupt nichts damit zu tun, dass
du und Maddy sozusagen die ganze Fußballmannschaft
managt, dass ihr beide euer Abschlussprojekt über Fußball
macht und Mr Kim zufällig eurer Trainer ist?

SANA: Außerdem haben sie uns beide für das Projekt nicht
zusammen eingeteilt, und das ist total dämlich. Praktisch
bei allen anderen, die einen Partner beantragt haben, hat es
geklappt.

ICH: Ich weiß! Ich habe meinen Brief auch eben gekriegt. Ich
hatte in der Mittelstufe mit Maddy Englisch Leistungskurs. Sie
kann dir beim schriftlichen Teil auf jeden Fall helfen.

SANA: Du hilfst mir aber trotzdem, ein paar Stunden
Fußballtraining aufzunehmen?

ICH: Hast du schon eine Schülerin aufgetrieben?

SANA: Ja! So ein Mädchen drei Trailer weiter möchte gern,
dass ich es ihr beibringe. Ihre Mutter hat gesagt, sie bezahlt
mich in Zigaretten, das wäre also cool.

ICH: Das ist doch perfekt! Da kannst du ja gleich damit
anfangen, dir Vorräte fürs Gefängnis anzulegen. Da sind
Zigaretten die gängige Währung.

SANA: Mit wem haben sie dich zusammengesteckt?

ICH: Ich traue mich gar nicht, dir das zu sagen.

SANA: Sag nichts. Hauptsache, es ist nicht Emma. Wenn es
Emma Daniels ist, fange ich an zu schreien.

ICH: . . .

SANA: Das darf doch nicht wahr sein. Es ist Emma Daniels.
Kannst du sie bitte fragen, ob sie lesbisch ist?
Oder bi?
Ach bitte, sie soll doch wenigstens ein bisschen bi sein.

ICH: Warum nutzt du nicht dein Talent als Internet-
Schnüfflerin, um das herauszufinden?
Spoiler-Alarm:
Es ist nicht Emma.

SANA: Das habe ich doch längst versucht. Kannst du sie
trotzdem fragen?

ICH: Maaaaaaaann! Ich frage sie doch nicht, ob sie
lesbisch ist.

SANA: Oder bi.
Waaaas? Ich bin ja auch erst seit der Neunten in sie verknallt.

ICH: Damals, als du noch so getan hast, als würdest du dich
für Jungs interessieren.

SANA: Ja. Emma hätte immerhin verhindern können, dass
ich Liam das Herz breche.

ICH: Armer Liam.

SANA: Er möge in Frieden ruhen.

ICH: Er ist doch nicht tot!

SANA: Für mich schon. Auf mein Coming-out hat er gar
nicht gut reagiert.

ICH: Na ja, man muss ihm zugutehalten, dass du ihm
ungefähr ein Jahr lang vorgemacht hast, du würdest dich für
Jungs interessieren.

SANA: Ach.
Also jetzt im Ernst.
Mit wem arbeitest du zusammen?

ICH: Kodiak Jones.

SANA: Das ist ja der Hammer. Kodiak?
Ich fasse es nicht, dass er überhaupt jemandem zugeteilt
worden ist, nach dem, was letztes Jahr passiert ist.
Hm.
Der passt zu dir wie die Faust aufs Auge, oder?
Die perfekte kleine Dichterin, die niemals aus der Rolle fällt,
und . . .?
Wie würdest du denn diese Katastrophe letztes Jahr
beschreiben?

ICH: Na ja, das ergibt eigentlich schon einen Sinn. Immerhin
schreibt er auch Gedichte.

SANA: Schon, aber wie konnte das passieren?

ICH: Keine Ahnung.

SANA: Der braucht doch überhaupt keine Hilfe –
wahrscheinlich zieht er sein Projekt gar nicht durch.
Ich habe gehört, er hat so viel Unterricht verpasst, dass er das
nächste Jahr sowieso wiederholt. Also kannst du immer noch
mir dabei helfen, mit meinem Projekt durchzufallen.
Wenn du nächstes Jahr im College bist, kann ich ja im
letzten Videoverleih der Welt arbeiten und all die Zigaretten
aufbrauchen, die mir meine Nachbarin versprochen hat.

ICH: Du wirst aufs College gehen.
Ich habe deine Bewerbungen gesehen.
Die sind hieb- und stichfest. Mach dir keine Sorgen.

SANA: Die Frauen der Familie Sasaki sind nicht gerade für
ihre College-Karrieren berühmt.

ICH: . . .

SANA: Na gut, ich habe niemanden aus der Familie meines
Vaters kennengelernt.
Keine Ahnung, wofür die Frauen der Sasakis bekannt waren.
Aber nach der Seite meiner Mutter zu urteilen, ist es
wahrscheinlicher, dass ich in sechs Monaten schwanger bin.

ICH: Ziemlich schwierig, schwanger zu werden, wenn man sich nur mit Mädchen abgeben will.

SANA: Punkt für dich.

Von: Cordelia Koenig ‹koenig.cordelia@tchs.edu

An: Vidya Nadeer ‹nadeer.vidya@tchs.edu

Betreff: Re: Re: Exposé für Abschlussprojekt

Liebe Ms Nadeer,

vielen Dank für Ihre Tipps.

Sie erinnern sich vielleicht noch daran, dass mich Ihr Lyrikseminar für Fortgeschrittene im letzten Halbjahr unendlich inspiriert hat. Und damals habe ich mir etwas vorgenommen: Bis ich diesen Herbst im Columbia College anfange, soll Lyrik so viel Platz in meinem Leben einnehmen wie nur möglich. Ich habe vor, in meiner Abschlussarbeit weitestgehend mit Lyrik zu arbeiten, wenn ich langsam erforsche, wie meine Herkunft mich persönlich geprägt hat. Ich weiß, dass die Erkenntnisse über unsere Vorfahren das Leben von Beatrice verändert haben und ich kann nur hoffen, dass dieses Projekt mir dabei helfen wird, mich als Lyrikerin weiterzuentwickeln und dabei gleichzeitig etwas Neues zu lernen.