Madeleine Roux

World of Warcraft: Traveler. Das leuchtende Schwert

Aus dem Englischen von Andreas Kasprzak

Mit Illustrationen von Brandon Dorman

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Madeleine Roux

Madeleine Roux ist »New York Times«-Bestseller-Autorin der »Asylum«-Reihe, die sich weltweit über eine Million Mal verkauft hat. Außerdem ist sie bekannt für ihre »House of Furies«-Reihe und Kurzgeschichten im »Star Wars«-Universum. Seit mehr als 13 Jahren spielt sie schon »World of Warcraft« und kennt sich bestens in Azeroth aus. Ihre »Dragon Kill Points« gibt sie am liebsten für Hundeleckerlis aus. Sie lebt zusammen mit ihrem Hund in Seattle, Washington.

 

Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage finden Sie unter www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Ein neues Abenteuer in der Welt des weltbekannten Computerspiel-Bestsellers »World of Warcraft«.

 

Dunkle Wolken ziehen über Azeroth auf. Mithilfe seines magischen Kompasses muss Aram Dorn die Splitter einer legendären Waffe finden. Das Geheimnis dieses Schwerts scheint ebenso wie das drohende Unheil, das sie abwenden soll, mit seinem Vater Greydon Dorn auf hoher See verschollen zu sein. Doch nicht alle Geheimnisse sollen für immer verborgen bleiben. Das Schicksal von Azeroth liegt jetzt allein in Arams Händen. Der fulminante Abschluss der Traveler-Trilogie endet in einem letzten Gefecht zwischen Gut und Böse: Wird Aram es schaffen, Azeroth vor der ewigen Dunkelheit zu bewahren?

Impressum

Deutsche Erstausgabe

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Originalausgabe:

World of Warcraft: Traveler. The Shining Blade, by Madeleine Roux, Scholastic Inc., New York, Januar 2020

 

© 2020 Blizzard Entertainment, Inc. All Rights Reserved. Traveler is a trademark, and World of Warcraft and Blizzard Entertainment are trademarks and/or registered trademarks of Blizzard Entertainment, Inc. in the U.S. and/or other countries.

 

German-language edition published by Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH by arrangement with Scholastic Inc, 557 Broadway, New York, NY 100012, USA.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 Fischer Kinder- und Jugendbuch Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Coverabbildung: Brandon Dorman

Covergestaltung: Norbert Blommel, MT-Vreden

Lektorat: Michelle Gyo

 

©2020 Blizzard Entertainment, Inc. Alle Rechte vorbehalten

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-7336-0379-3

Neue Ufer

Er hatte von zu Hause geträumt, von Seenhain – oder zumindest glaubte er, dass er davon geträumt hatte. Im einen Moment war er im Laden seines Stiefvaters und beobachtete, wie die Esse rot und heiß glühte, im nächsten züngelten Flammen an ihm hoch, die aus schwarzen Ranken kamen, ihn packten und ihm die Arme an den Körper fesselten.

Und als wäre das nicht schlimm genug, sah Aramar Dorn einmal mehr in die verzerrte, grausame Miene des Mörders, der seinen Vater auf dem Gewissen hatte – des hassenswertesten Mannes von ganz Azeroth: Malus, Kapitän der Unausweichlich. Er knurrte Aram an, war so dicht vor ihm, dass man den Schweiß riechen konnte, der von seiner Stirn tropfte. Arams Mutter hatte immer gesagt, dass sich das Böse im Inneren einer Person in ihrem Äußeren widerspiegelte, und so war es bei Malus, dessen einst so nobles Gesicht sich verzog und dessen Augen und Lippen allein zu einem hämischen Grinsen imstande zu sein schienen. Sie konnten nichts als Verachtung ausdrücken.

»Ich habe dir mehr als eine Chance gegeben, Junge. Das hast du dir selbst eingebrockt. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm«, sagte er, seine Stimme ein tödliches Wispern.

Es fühlte sich genauso an wie seine Erinnerung daran, wieder in Gadgetzan zu sein, in Winifreds Haus, gefangen von furchteinflößender Magie. Er hatte sich nicht bewegen, nicht atmen können, war ganz allein und verzweifelt gewesen, hatte gewusst, dass jeder Moment der letzte sein könnte. Aram versuchte, nach seinem Säbel zu greifen, aber dann fiel ihm ein, dass die Waffe gegen diese dunkle Energie nutzlos war, also streckte er die Hand stattdessen nach dem Griff des unvollständigen Kristallschwerts aus, das unter seinem Gürtel steckte. Er tastete danach und keuchte. Der Schwertgriff war nicht mehr da. Wie konnte das sein? Jetzt war er wirklich hilflos …

Diesmal war das Licht nicht da, um ihn zu retten. Diesmal gab es nur Malus und seine riesigen Hände, die sich langsam näher schoben, um Aram zu entreißen, was ihm am allerwichtigsten war – die eine Sache, die er zu beschützen geschworen hatte, für seinen Vater …

»Tick, tack«, zischte Malus. »Deine Zeit ist abgelaufen, Junge.«

Und dann löste sich der Albtraum ebenso schnell auf, wie er gekommen war. Malus zerbarst zu dichtem schwarzem Rauch, und nur ein Abbild seiner Augen blieb noch in der

Es war, als wäre er wieder zurück auf der Wellenschreiter; da hatte sie ihn auch immer aus dem Schlaf gerissen, begleitet von einem eisigen »Aramar Dorn, beweg deinen Hintern endlich aus dieser Koje!«. Er hatte die Worte so oft aus Makasas Mund gehört, dass sie sich ihm ins Gedächtnis eingebrannt hatten. Doch diesmal schrie sie ihn nicht an. Sie wirkte nicht ungeduldig, nur besorgt, und ihre Brauen waren beunruhigt zusammengezogen.

»Bruder? Wir sind gelandet. Es ist Zeit weiterzugehen.«

»Sicher«, wisperte Aram. »Ich bin gleich so weit.«

»Schlecht geträumt?«, fragte sie und trat zurück, um sich ihre Tasche umzuhängen und noch einmal zu überprüfen, ob sie ihre Waffen und ihre Feldflasche dabeihatte.

»Das kannst du laut sagen«, erwiderte er und verzog das Gesicht. Die anderen waren bereits vorgegangen und hatten den Goblin-Zeppelin verlassen, also packte Aram hastig seine Sachen, obwohl seine Hände noch immer schweißnass waren vor Nervosität. Er konnte den Albtraum einfach nicht abschütteln. Normalerweise träumte er vom Licht, das ihn leitete und schützte, aber jetzt? Hoffentlich war das kein böses Vorzeichen. Andererseits, war es wirklich so seltsam, dass die wilden und nicht selten beängstigenden Ereignisse der letzten Wochen ihn im Schlaf verfolgten? Die meisten Zwölfjährigen hatten Angst, an einem Schultag zu verschlafen oder erwischt

Vielleicht wurde er gerade wirklich erwachsen. Sie waren inzwischen unglaublich weit von dem Ort entfernt, an dem alles begonnen hatte; in Arams Fall war der Ausgangspunkt dieses langen, weitschweifigen Abenteuers der Wunsch, seinen Vater besser kennenzulernen, aber dieser einfache Plan war aus dem Ruder gelaufen, als der abscheuliche Kapitän Malus ihr Schiff versenkt hatte. Bewaffnet mit seinem getreuen Skizzenbuch, war Aram dem Kompass und den Visionen des Lichts gefolgt, und er hatte sein Bestes getan, die Mission seines Vaters zu vollenden und die über ganz Azeroth verstreuten Splitter der Diamantklinge zu finden und einzusammeln. Diese Aufgabe war von größter Wichtigkeit. Nur war Azeroth sehr groß, so groß, dass es beinahe Arams Verständnis überstieg – ebenso wie die Mission, mit der er betraut worden war, sein Fassungsvermögen überstieg. Dennoch hatte er es bis hierher geschafft. Oder besser gesagt: Sie hatten es hierhergeschafft. Denn wohin es Aram auch verschlug, stets schien er mehr Verbündete zu finden, die ihn bei seiner Sache unterstützten, einschließlich des mächtigen Druiden Thalyss Graueiche, der eines ungerechten Todes gestorben war. Und dasselbe Schicksal drohte Aram und weiteren seiner Freunde, falls sie den Herausforderungen vor ihnen nicht gewachsen waren.

Also straffte er die Schultern und stieg von Bord des

Die Leiter war bereits heruntergelassen, und Aram stieg so schnell hinab, wie es eben ging, wenn man all seine Sachen balancieren musste und versuchte, dabei noch seine Würde zu wahren. Als er unten ankam, stand er mit dem Rücken zum Meer. Im Norden und Osten erstreckte sich geschwärztes Terrain bis zu einem Tal, im Süden erhoben sich Berge. Dies war die Landschaft, die sie nun erwartete, und während er sie betrachtete, geriet sein Optimismus ein wenig ins Wanken.

Das Verbrannte Tal war … na ja, verbrannt, und von dem Moment an, in dem sie Gazlowes Zeppelin, die Wolkenwirbler, verließen, spürte Aramar Dorn, wie Rauch und Asche in seiner Lunge brannten.

Aber was hast du denn erwartet?, dachte er und schnaubte. Die anderen wirkten nicht gerade erfreut, dass sie diese versengte und schwarze Landschaft durchqueren mussten, aber Aram tat sein Bestes, sich auf das Positive zu konzentrieren. Die schwelenden Hügel vermittelten eine harte, brutale Schönheit, und die noch immer glühende Asche stellte einen krassen Kontrast zu dem verbrannten Land dar. Es würde nicht leicht sein, das in einer Zeichnung festzuhalten oder auch, mit welcher Ehrfurcht dieser Ort einen erfüllte, aber das war nun mal die Aufgabe eines Künstlers – er musste es zumindest versuchen.

Er stand noch immer auf dem ansonsten unberührten Sand, und seine Stiefelspitzen berührten das geschwärzte Gras, das

»Wir sind definitiv nicht mehr in Feralas«, murmelte sie.

So viel war sicher. In jenem Regenwald waren sie verlassen und gejagt worden und beinahe verhungert, aber zumindest hatte es Regen gegeben. Trotzdem, vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm werden. Immerhin könnten sie Feinde hier schon aus einer Meile Entfernung sehen; das war mehr, als man von einem dichten, dunstigen Dschungel behaupten konnte.

Das Luftschiff, das hinter ihnen in der Luft schwebte, richtete seine spitze Nase tuckernd nach Norden aus. Gazlowe, der kleingewachsene grüne Goblin-Ingenieur, den Aram inzwischen sehr bewunderte, schritt mit einem Seufzen über den Strand auf sie zu und streckte die Arme über den Kopf. Der Rest der Mannschaft blieb an Bord, ein eindeutiges Zeichen, dass sie nicht lange bleiben würden.

»Alles in Ordnung, Junge?«, krächzte Gazlowe fröhlich. Natürlich war er fröhlich. Ihm stand ja auch kein zweitägiger Marsch durch einen verbrannten Wald bevor. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und klopfte Aramar auf den Rücken. »Da wären wir also: das Verbrannte Tal. Nicht übel, hm?«

Drella, ihre ewig ehrliche Dryaden-Begleiterin, wickelte ein

»Ich dachte, alles stirbt irgendwann«, sagte Makasa. Sie schmunzelte, während sie Drella die Worte entgegenhielt, die die Dryade selbst so gern benutzte.

»Ja«, erwiderte Drella, und ihre Mundwinkel verzogen sich. »Aber nicht so langsam

»Ach, das hatte ich ja ganz vergessen, du und dein Natur … Dingens«, sagte Gazlowe mit einem Schulterzucken. Er meinte das tiefe druidische Band zwischen Drella und Azeroth mitsamt all seinen Kreaturen. Das war mehr als nur ein Natur-Dingens. »Ich bin sicher, du gewöhnst dich dran. He! Immerhin werdet ihr nicht erfrieren. Und ein Feuer fürs Abendessen zu machen, dürfte auch ein Kinderspiel sein.«

Niemand reagierte auf seine Scherze.

»Wie auch immer.« Gazlowe streckte sich erneut und ging um die Gruppe herum, bis er vor ihnen stand. Er zischte unvermittelt und rieb sich den Hintern, der offenbar von einem herabschwebenden Funken versengt worden war. »Wie gesagt, weiter können wir nicht. Spross und ich müssen zurück. Die Mechanische Entwicklergilde von Azeroth wird den Wettbewerb für niemanden pausieren, sei es nun ein Mensch oder ein Ingenieur oder ein Goblin.« Er zwinkerte, aber nur Drella erwiderte die Geste. Mit einem Husten bot Gazlowe Aram die Hand an, und als der Junge danach griff, schüttelte er sie fest. »He, Kleiner, falls du mich je brauchen solltest – und du genug Geld oder einen profitablen Geschäftsvorschlag hast –, melde dich.«

»Schon gut, schon gut! Genug Nettigkeiten. Bis zur Aussicht von Thal’darah habt ihr noch einen langen Weg vor euch.« Gazlowe schüttelte Arams Hand noch ein letztes Mal, dann schob er sich zwischen den Abenteurern hindurch. Sie machten ihm Platz und wandten sich um, damit sie den Abflug des Goblins beobachten konnten. Einige Mitglieder seiner Mannschaft, einschließlich Spross und Charnas, hatten sich am Geländer der Wolkenwirbler versammelt und winkten. Aber taten sie es, weil sie die Gruppe aufmuntern wollten oder weil sie sich freuten, wieder von hier zu verschwinden? Aram war sich da nicht sicher.

»Halt die Ohren steif, Junge!«, rief Gazlowe, während er einen regelrechten Freudensprung auf die Leiter machte, die hoch zum Zeppelin führte. »Bleibt zusammen. Ihr seid eine gute Mannschaft.«

Aramar Dorn winkte und nickte ihm zu. Ja, er hatte eine gute Mannschaft. Eine verlässliche Mannschaft. Sie hatten so viel durchgemacht: Piratenangriffe, Gladiatorenkämpfe, Schlachten, Rennen, noch mehr Gladiatorenkämpfe … und sie hatten überlebt. Mit einem Mal fühlte er sich alt und müde, aber dann schüttelte er den Kopf und verdrängte den Gedanken. Es lag noch immer ein langer Weg vor ihnen – und zuallererst mussten sie die Aussicht von Thal’darah erreichen und ihr Versprechen Drella gegenüber einlösen. Die Wolkenwirbler hüllte sie in einen warmen, salzigen Windhauch, als sie mit surrenden und tuckernden Maschinen davonflog.

»Ich bin nicht sicher, ob wir Malus wirklich abgehängt haben«, sagte sie, die Hand erhoben, um ihre Augen abzuschirmen, während sie den Abflug des Zeppelins verfolgte.

»Falls wir Glück haben, sucht er noch immer auf dem Meer nach uns. Die Krustazee sollte uns ein wenig Zeit verschaffen.« Nur wie viel Zeit, das konnte er nicht sagen. Makasa schien seine Gedanken zu lesen. Sie kratzte sich am Kinn.

»Wir hatten auf der Wolkenwirbler jede Menge Gelegenheit, uns auszuruhen. Jetzt ist es Zeit, unsere Sohlen weiter abzulaufen.« Motiviert hob sie die Hände und musterte die Gruppe, die in einem Halbkreis vor ihr versammelt war: Ganz links stand Murky, der Murloc, der seine neuen, heißgeliebten Netze wie eine Weste trug; daneben Hackel, der Gnoll, mit seiner Keule über der Schulter; in der Mitte dann Drella, eine unwahrscheinlich mächtige Dryade; und auf der anderen Seite Aram, der ungeduldig darauf wartete, dass seine Schwester ihre Ansprache fortsetzte.

»Verzeihung!«, meldete sich Drella zu Wort, ihre Stimme melodisch, aber fordernd. Sie war dabei, sich in eine ältere, etwas zahmere Version der grellen Halb-Elfen-Halb-Rehkitz-Erscheinung zu verwandeln, die sie anfangs gewesen war. Für die Dryade ging der Frühling gerade in den Sommer über, auch wenn es für die anderen die ganze Zeit schon Sommer war. Es war eine Eigenheit der Dryaden, die Aram nur langsam zu verstehen begann. Ungeachtet der trostlosen Ödnis des verkohlten Waldes hatte ein Schmetterling Drella

»Ist es wichtig?«, fragte Makasa, die sich den Nasenrücken massierte.

»Natürlich ist es wichtig! Wenn ich mich nur daran erinnern könnte. Hmm …«

Makasa stöhnte.

»Gib ihr eine Chance«, murmelte Aram, was seine Schwester nur noch weiter irritierte. Augenverdrehen war bei ihr strikt verboten, aber jetzt brach sie sogar ihre eigene Regel, um zu demonstrieren, was sie von Arams nachsichtigem Verhalten der Dryade gegenüber hielt.

»Ah, jetzt weiß ich es wieder!« Drella tat so, als würde sie den Gedanken einfangen und ihn zurück in ihren Mund stecken. »Als ich eine Eichel war, hat Thalyss mir viele Geschichten über die großen Helden der Vergangenheit erzählt und darüber, wie sie alle gute und wahre Namen hatten, die ihre guten und wahren Taten widerspiegelten. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir unsere eigenen wahren Namen wählen. Namen, die uns wirklich beschreiben.«

Makasa stöhnte erneut. »Drella …«

»Seht nur, wie weit wir gekommen sind. Wir haben den Knochenhaufen überlebt und die Donnerkuppel, wo ich Taryndrella die Beeindruckende wurde, die Tochter des Cenarius, aber das wisst ihr natürlich alle! Und du« – sie deutete auf Murky, der gurgelnd zu ihr hochblickte, während eine Spuckeblase zwischen seinen Lippen hervorwuchs – »bist Murky der Ungestochene! Weil du immun gegen das Gift des Skorpids bist! Gut, oder?«

»Drella.« Makasa sah aus, als wäre sie kurz davor, jemanden umzubringen.

»Und du!« Sie deutete auf Hackel, der seinen pelzigen Kopf schräg legte. »Du bist Hackel der Rächer!«

Damit spielte sie auf den Triumph des Gnolls über Marjuk, den Oger, an – einen furchteinflößenden Feind, dem viele von Hackels Artgenossen beim Waldpfoten-Clan zum Opfer gefallen waren.

»Und Aram ist Aramar Dorn der Lichtkämpfer!«

Er konnte nicht anders, als zu nicken, und er war froh, dass Makasa davon abgesehen hatte, ihn umzubringen, bevor er seinen neuen ›guten und wahren‹ Namen zu hören bekommen hatte. Der Name hatte seinen Ursprung in einem ihrer seltsameren Abenteuer in Gadgetzan, bei dem Aram nur mit knapper Not dem Tod durch seinen Erzfeind Malus entgangen war. Gefangen von Ranken schwarzer Magie hatte er den Griff der Diamantklinge geschwungen, um die Magie zu brechen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Klinge hatte ihm damals gute Dienste geleistet, aber in seinen Albträumen konnte er leider nicht auf eine solche Waffe des Lichts zurückgreifen; dort fühlte er sich einfach nur schrecklich verwundbar …

»DRELLA.« Makasa schnaubte, was nie ein gutes Zeichen war.

»Du bist Makasa die Binderin!«, trällerte Drella unbeeindruckt, während sie auf ihren Rehbeinen um Makasa herumging. Der Schmetterling flatterte von ihrem Haar hoch und landete auf Makasas Unterarm … nur um eine Sekunde später zu buntem Staub zerquetscht zu werden. Drella schien es

»Die Binderin?« Makasa verzog das Gesicht, und selbst die Narben auf ihrer Stirn und ihrer linken Wange krümmten sich. Hackel setzte zu dem hohen, hysterischen Lachen an, das so typisch für ihn war, aber er verstummte rasch wieder, als Makasa ihm einen Blick zuwarf. »Aramar ist der Lichtkämpfer, und ich bin die verfluchte Binderin?«

»Ja! Die Binderin – weil du uns alle zusammenhältst. Du bist wie Kleber! Nur stärker! Stärker als Kleber.«

Das ließ die junge Frau innehalten, so hochgewachsen und muskulös und wild sie auch war. Aramar wusste, wenn es eine Sache gab, die seine Schwester aus dem Konzept bringen konnte, dann waren es ernst gemeinte Gefühle. Wenn er es zum Beispiel wagte, das Wort »Schwester« laut auszusprechen, gab sie seinen Bitten in der Regel nach.

»Na schön. Wundervoll. Ich bin die Binderin.« Makasa wischte die Überreste des Schmetterlings von ihrer Hand, bevor die Dryade sie sehen konnte. »Darf ich jetzt endlich was sagen?«

Alle schwiegen, sogar Drella. Sie hatte ihren Willen bekommen und allen ihren guten und wahren Namen geben dürfen; das schien ihr zu reichen.

»Wir haben uns ausgeruht und gestärkt«, erklärte Makasa. Die Wolkenwirbler war bereits wieder hoch über ihnen, und das laute Surren der Maschinen wurde immer leiser, während der Zeppelin Gazlowe, Charnas und Spross zurück zu ihrem MEGA-Wettbewerb trug. »Ich halte es für das Beste, wir machen nur einmal Rast, während wir das Tal durchqueren. Es

»Das sehe ich auch so«, sagte Aram und nickte. Aus zusammengekniffenen Augen blickte er zu dem Rauch hinüber, der hinter Makasa emporstieg, dann schnitt er eine Grimasse. »Bindet euch etwas vor den Mund. Wir sollten nicht diesen ganzen Qualm einatmen.«

»Aram hat recht.« Diese Worte aus dem Mund des älteren, erfahreneren Mädchens zu hören, erfüllte Aram jedes Mal mit Stolz. Lange Zeit – lange, lange Zeit – hatte er sich nicht vorstellen können, dass sie je so etwas sagen würde. Das war damals auf der Wellenschreiter gewesen, als sie ihn noch wach gerüttelt oder mit einem Tritt hochgeschreckt hatte. Doch jetzt gingen er und Makasa Schulter an Schulter, und sie zogen sich die Hemden über die Münder, um sich in den verkohlten, rauchenden Hinderniskurs vorzuwagen, der zwischen ihnen und der Aussicht lag.

Zu Arams Überraschung setzte sich der kleine grüne Murky raschen Schrittes an seine Seite, und seine flossenartigen Füße klatschten auf den aschebedeckten Boden, während er neben ihm dahinmarschierte.

»Mrgle, nk teergle, slorlem n Murky Tilurgel-gurgel«, erklärte Murky. Er hob seinen kleinen Speer und deutete damit in die Tiefen des Tals.

Die anderen und Aram blickten hilflos zu Drella hinüber, die von ihrem Druidenmentor, dem Nachtelfen Thalyss Graueiche, die Sprache der kleinen Kreatur erlernt hatte.

»Er sagt, ja, wir sollten uns beeilen.« Drella folgte dem Murloc dichtauf, und sie blieb nicht stehen, während sie

Leicht angebraten

Makasa beobachtete, wie ihre Begleiter die Köpfe gefährlich tief hängen ließen. Nach sieben Stunden Fußmarsch durch die trostlose schwarze Weite des Verbrannten Tals war ihre Moral so weit gesunken, dass man sie aus der rauchenden Erde unter ihren Füße hätte ausgraben müssen, wäre sie greifbar gewesen. Sie schleppte sich weiter, atmete nur, wenn es sein musste, und kniff die Augen gegen die brennende Luft zusammen, die Hände um die Ketten vor ihrer Brust geschlossen, als könnte sie sich an ihnen schneller vorwärtsziehen.

Ihr Blick huschte zu Aram, der nur ein paar Schritte hinter ihr ging. Bislang schlugen er und Hackel sich am besten. Hackels dick gepolsterte Füße und sein Fell schirmten ihn vor der gnadenlosen Hitze ab. Ascheflocken legten sich wie Schnee auf sein fleckiges Fell, und seine unablässig zuckende Nase gab komische pfeifende Geräusche von sich. Arams Schultern sanken zusehends nach unten, aber er marschierte weiter, ohne sich zu beschweren. Makasas wachsamer Blick wanderte weiter zu Drella. Die Dryade war zu einem

Das neue Leben, das aus dem Baum wuchs, erstarb und begann, in der grausamen heißen Luft zu qualmen.

Makasa hatte noch immer Kraft in ihren Beinen, und sie rannte los, schlitterte durch die feine, weiche Ascheschicht auf dem Boden und blieb dann direkt neben der Dryade stehen, um Murky aufzufangen, bevor er auf der Erde aufprallte.

»Ist alles in Ordnung mit ihm?« Aram eilte an ihre Seite und wischte Schmutz von der Stirn des Murloc.

»Murky nk blurg mlger.« Seine Augen rollten nach oben, und Drella keuchte.

Dann hustete sie.

»Oh! Ich dachte, ich könnte vielleicht diese Bäume heilen, aber meine Kräfte … ich bin einfach noch nicht stark genug. Und Murky! Er ist so schwach! Jetzt ist er wirklich leicht angebraten.« Sie nahm Makasa den Murloc aus den Armen. Das war Makasa ganz recht; Murky war glitschig und klebrig und nicht gerade angenehm zu halten. Trotzdem konnte sie nicht

»Nein«, murmelte Makasa, während Drella versuchte, den erschöpften Murky aufzuwecken. »Wir können nicht schon wieder haltmachen.« Sie drehte sich nach Norden und schauderte. Dunkle Wolken zogen sich dort zusammen, aber sie hingen zu tief über dem Boden, um Regen zu sein. Das war kein natürlicher Sturm, sondern eine seltsame wirbelnde Staubformation. Schlimmer noch, das Tageslicht verblasste, und die hohen gezackten Felsgrate rings um sie herum sahen mehr und mehr wie schwarze Dolche aus, die in den Himmel stachen. Außerdem war da ein weit entferntes Fauchen, das nur Makasa zu bemerken schien, aber es kam stetig näher.

Drachen, dachte sie. Todesboten.

Ihre Fußspuren hinter ihnen waren verschwunden, verschluckt von den ständig wechselnden heißen Winden, die ihr all den Schmutz in die Augen geblasen hatten. Makasa wischte sich über das Gesicht und seufzte. Nachdem sie stundenlang einen Bogen um Drachennester und feurige Risse im Boden gemacht hatten, waren sie alle mit einer dicken Schicht aus Asche bedeckt.

»Und wir können auch nicht umdrehen«, wandte sie sich an ihre Begleiter. »Die Aussicht ist inzwischen sicher näher als die Küste. Außerdem, was sollen wir tun, wenn wir jetzt kehrtmachen?«

Aram rückte seine Tasche zurecht, und Hackel schnüffelte die Luft, bevor er lautstark schnaubte.

»Hackel tragen Murloc«, schlug er vor. »Murloc erholen. Hackel stark, noch nicht müde.«

»Wir müssen weiter«, beharrte Makasa. Die anderen nickten, rührten sich aber nicht. Erneut sah sie zu Aram hinüber, der nervös am Riemen seiner Tasche herumspielte.

Wie um Makasas Worte zu bekräftigen, schnitt ein Chor schriller Schreie durch die unheimliche Stille des Tals. Je länger sie zögerten, desto länger wurden die Schatten ringsum, und Makasa riss an der Kette, um sie von ihrer Brust zu lösen. Anschließend schwang sie die Waffe ein paarmal und wirbelte sie probehalber im Kreis. Die schwelenden Feuer des Tals flackerten und spielten ihren Augen Streiche, aber sie erkannte einen hungrigen Schrei, wenn sie einen hörte. Bei Tageslicht wagten sich die kleinen Drachenjungen vielleicht nicht näher heran, aber dieser Vorteil wäre schnell dahin, wenn ihre größeren Artgenossen erst in den Himmel aufstiegen.

Schwarze Drachen. Sie konnte sich ihre gewaltigen Silhouetten bereits vorstellen, wie sie vor den Monden vorbeihuschten.

»Ich sage es ja nur ungern«, begann sie, während sie an die

»Vielleicht könnte ich die Drachen ja zur Vernunft bringen!« Drella klang so selbstsicher wie eh und je, aber sogar sie war ein wenig ermattet. Nichtsdestotrotz eilte sie zu Makasa vor, und die warme Erde wirbelte unter ihren Hufen hoch. Wie nicht anders zu erwarten, trat Aram neben die Dryade.

»Ich bezweifle, dass das funktionieren wird«, warnte Makasa. »Drachen sind nicht sonderlich gesprächig, weißt du?«

»Das weißt du nicht. Und ganz sicher haben sie noch nie mit jemandem wie mir gesprochen!«, hielt Drella dagegen.

»Jetzt ist nicht der Moment für unnötige Risiken, Drella! Wir verstecken uns im Sturm«, rief Makasa – und keine Sekunde zu spät. Ein weiterer schriller Schrei hallte aus der Staubwolke vor ihnen, und Makasa hätte schwören können, dass er vom Windhauch mächtiger Flügel begleitet wurde.

Der Pfad beschrieb eine Kurve nach Nordosten, auf die Hügel zu, und der brodelnde Wirbel des Sturms schien ihnen auf ihrem Weg entgegenzukommen. Hackel wurde als Erster erfasst, und er gab ein hicksendes Gnolllachen von sich – kein Laut der Belustigung, sondern des Schreckens. Makasa senkte den Kopf und marschierte in den rauen Wind hinein, der ihr Gesicht und ihre Hände wundschliff. Sie weigerte sich, die Kette loszulassen, denn sie war sicher, dass die Drachen ihnen jetzt, wo die Sonne so tief stand, schneller folgen würden. Obwohl sie ihr Gesicht abschirmte, spürte sie Sandkörner im Mund. Ihre Augen brannten, und Tränen rannen

»Was?«, brüllte sie zurück. Die Worte schmerzten in ihrem trockenen, rauen Hals.

Es klang, als würde er sagen: »Bär aus!« Aber das ergab keinen Sinn.

Makasa neigte sich zur Seite und stapfte um Drella herum, bis sie Seite an Seite mit ihrem Bruder war. »Sag das noch mal!«

ȆBER UNS

Aram zog den Kopf ein, packte Drella an ihrem schlanken Hals und zog. Doch die Warnung kam einen Sekundenbruchteil zu spät, und Makasa richtete den Blick gerade noch rechtzeitig zum Himmel hoch, um zu sehen, wie ein gewaltiger schwarzer Schatten auf sie herabstieß.

Fauchen und Zähneklacken, der beißende Gestank von Schwefel, das trommelnde Schlagen riesiger ledriger Schwingen … Die Drachen waren gekommen.

In einem Punkt hatte Makasa recht gehabt – die näher kommenden Schreie waren die Vorboten des Todes gewesen. Was den Rest anging, hatte sie sich aber aufs Grausamste geirrt: Der Sturm hielt die Drachen nicht auf Distanz, er machte sie nur noch aggressiver. Das war ihr letzter Gedanke, bevor klauenbewehrte Füße ihr Wams zerrissen und ihre Haut aufkratzten. Dann wurde sie, begleitet von einem lauten Brüllen, in die Luft hochgerissen.

Makasa konnte die Rufe und die Panik der anderen hören. Das Herz schlug wie wild in ihrer Brust, während sie verzweifelt ihre Waffe festhielt, denn der Wind riss ihr die Kette fast

Der Drache war verdammt stark, und riesig war er auch. Mindestens so groß wie vier Pferde. Es fiel Makasa schwer, zu denken oder sich zu bewegen, trotzdem versuchte sie weiter, die Kette zu der Kreatur hochzuwirbeln. Leider lösten sich dadurch nur ein paar trockene Schuppen. Die Flügel des Drachen schlugen energisch, schienen gegen die Urgewalt des Sturms aber kaum etwas ausrichten zu können, und sie wagte zu hoffen, dass er nicht bis auf gefährliche Höhe über den Boden aufsteigen könnte. Die fliegenden Monster riefen einander schrill und alarmiert zu, dann hörte Makasa ein seltsames Geräusch: Das langgezogene, tiefe Dröhnen eines Horns hallte durch das Tal. Das war definitiv kein Drache. Nein, es klang nach etwas viel Erfreulicherem.

Sie strengte ihre Ohren an, um über das Lärmen der Drachen und das Tosen des Wirbelwinds hinweg etwas zu hören. Auf den Hörnerschall folgte das Geräusch schwerer Schritte – einer ganzen Menge Schritte. Und sie kamen von Norden, aus der Richtung ihres Ziels. Während das Monster in der Luft hing und vergeblich versuchte, sich von den Sturmwinden loszureißen, eilte Hilfe über die Berghänge herab. Drei große Umrisse näherten sich ihnen mit großer Geschwindigkeit, und sie wirbelten selbst einen Sandsturm auf. Makasa hörte die anderen Drachen und Drachenjungen kreischen

Sie zuckte zusammen, als das Zischen von Pfeilen die Luft durchschnitt. Es kam direkt auf sie zu, begleitet von weiteren Rufen aus der Tiefe. Ihre Freunde. Eine zweite Salve aus Pfeilen surrte ihnen entgegen, und sie trafen ihr Ziel. Der Drache zuckte und schauderte und brüllte vor Schmerz. Makasa fand die Kraft, um einen letzten Versuch zu starten. Sie wirbelte ihre Kette nach oben, und das Ende wickelte sich um einen der Pfeile, die aus dem Oberschenkel des Drachen ragten. Jetzt stieß Makasa selbst einen Schrei aus und zog an der Kette, so fest sie nur konnte.

Es funktioniert!, dachte sie, einen Moment später gefolgt von: Oh, oh.

Ohne Vorwarnung kippten sie dem Boden entgegen. Der Sturm war wie eine Mauer, in die sie hineindonnerten, und Makasa schloss die Augen. Sie hatte Angst vor dem Aufprall, Angst davor, was passieren würde, sollten die Winde nachlassen. Angst davor, hilflos in die Tiefe zu stürzen.

Verschnaufpause

»Kannst du mich hören? Makasa? Makasa …«

Diesen Traum hatte sie schon hundertmal gehabt: Ihre Mutter rief nach ihr, ihre Stimme wie eine Schlaflied. Makasa irrte ihr hinterher durch eine Düsternis, so tief und dicht, dass es sich wie durch einen Ozean anfühlte. Meersalz hing in der Luft, der Geruch von Feuer. Das Gesicht ihrer Mutter, wunderschön und verschwommen, wartete knapp außerhalb ihrer Reichweite, und wann immer Makasa ihm näher kam, wich es weiter vor ihr zurück. Trotzdem gab sie nicht auf. Sie stürzte sich in die klebrige Dunkelheit, aber als sie schließlich auf die andere Seite durchbrach, empfingen sie nicht die Arme ihrer Mutter. Stattdessen spürte sie, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte, als sie in eine schaurige Fratze blickte. Sie grinste, aber es war das starre Lächeln eines Skeletts, und der süßliche Geruch des Todes ging davon aus.

»Kannst du mich hören?«, fragte die Fratze mit gelbzahnigem Grinsen. »Makasa?«

Sie schlug um sich und setzte sich auf, keuchte, als sie sah,

»Ja.« Er schüttelte den Kopf und lachte leise, während er auf der Erde lag. »Sie kann mich definitiv hören.«

Zwei fremde Gesichter starrten auf sie herab, zwei purpurhäutige Kaldorei. Nachtelfen. Makasa stöhnte und hielt sich erst die eine Schulter, dann die andere, aber darauf folgte nur eine weitere Woge Schmerzen, so stark, dass ihr übel wurde. Also ließ sie sich auf den Boden zurücksinken, wobei sie feststellte, dass man sie auf ein Bett aus Laub und weichen Zweigen gelegt hatte.

Ihr verstärktes Wams war fort, das Hemd darüber blutverschmiert, aber größtenteils intakt. Jemand hatte die Ärmel nach unten gezogen, um ihre Schultern zu behandeln, und sie konnte die ölige Salbe riechen, mit denen ihre Wunden bestrichen waren. Sie hatte einen penetranten Geruch, beinahe wie Salz, aber nicht so durchdringend. Das erklärte ihren Traum. Sie sah nach links und erblickte den dunklen Horizont des Tals, das sich noch immer südlich von ihnen erstreckte. Daher also der Rauchgestank. Der Staubsturm war jedoch verschwunden, und die Drachen kreisten in weiter Ferne, hielten auf die Küstenlinie zu.

»Du bist wohl eine Kämpfernatur«, bemerkte der größere Elf. Er hatte langes silbernes Haar, das geflochten über seine Schulter herabhing, und in der Hand hielt er einen gefiederten Helm. Nun richtete er sich auf und musterte sie mit einem schwach glühenden lavendelfarbenen Auge; das andere Auge schien verletzt zu sein und war unter einem grünen Lederstreifen verborgen.

»Sie ist hier«, versicherte Aram ihr. Dabei tätschelte er ein Bündel neben ihren Füßen, zu dem auch ihr Wams gehörte. »Iyneath und Llaran haben den Drachen erlegt. Er hatte keine Chance!«

Makasa schnaubte angesichts von Arams Enthusiasmus. Ihr kleiner Bruder strahlte zu den beiden Nachtelfen hoch – Wächtern, wie sie sich nannten –, deren identische Langbögen hinter ihren Köpfen aufragten. Aber falls es den Kaldorei gelungen war, einen Drachen mitten in einer Staubwolke zu Boden zu bringen, und zwar, ohne dabei das Mädchen in seinen Fängen ebenfalls zu durchbohren, dann war Arams Bewunderung vermutlich gerechtfertigt, entschied sie. Llaran, die Elfenfrau, war nur eine Winzigkeit kleiner als Iyneath, und sie hatten beide feine Gesichtszüge, mit langen, schmalen Nasen und vorgestülpten Lippen, die ihnen etwas Verträumtes verliehen. Sie waren Bruder und Schwester, tippte Makasa. Wenn nicht sogar Zwillinge.

»Aiyell hat ihre Eule vorausgeschickt, um alle bei der Aussicht über euer Kommen zu informieren«, erklärte Llaran. »Sie werden sicher mehr Wachen schicken, um sich um diese Drachen zu kümmern. Sie sind in letzter Zeit viel aggressiver geworden.« Anschließend kniete sie sich hin und betastete die Wunde an Makasas Schulter. Es tat nicht so sehr weh, wie es sollte, überlegte sie – was wohl bedeutete, dass die Elfen mit mehr als nur einem Verband ausgeholfen hatten. Trotzdem

»Danke«, sagte sie gedehnt. »Allein hätten wir das nicht überlebt.«

»Wir? Du meinst wohl eher, du«, stichelte Aram. »Wir wären mühelos aus dem Sturm herausspaziert.«

Sie trat nach ihm, und er lachte.

»Ruh dich jetzt aus«, forderte Iyneath sie mit angenehm tiefer Stimme auf. »Aiyell wird etwas zu essen zubereiten, und sobald du kräftig genug bist, brechen wir zur Aussicht auf.«

Die Nachtelfen gingen davon – nicht dass man allzu weit davongehen konnte. Wie es aussah, teilten sie sich alle ein Lager hinter einem kleinen, hügeligen Vorsprung. Makasa blickte sich zufrieden um; es war ein guter Platz für ein Lager, geschützt und leicht zu verteidigen. Die unangenehme Luft des Verbrannten Tals klärte sich hier ein wenig, und sie sah sogar ein wenig frisches grünes Gras aus Rissen im Boden hervorwachsen. Im Westen glänzte eine Handvoll Grabsteine, und ein dürrer Baum reckte sich in die Höhe, seine Wurzeln überwuchert von einem Gewirr wilder Wildstahlblumen. Nicht weit entfernt brannte ein Lagerfeuer, dessen Knistern und Knacken das leise Gemurmel von Stimmen übertönte. Das mussten die anderen sein. Makasa sank wieder auf ihr behelfsmäßiges Bett zurück. Sie war müde, aber neben der Müdigkeit war da noch etwas anderes.

»Ich hätte uns beinahe alle umgebracht«, sagte sie, die Augen fest geschlossen. »Hätten diese Späher uns nicht entdeckt …«

»Ja. Und genau darum war es töricht.«

»Jetzt sind wir hier, oder?« Er seufzte. »Glück kann man nicht planen. Man kann nur darauf hoffen. Außerdem kannst du jetzt damit angeben, dass du einen Drachenangriff überlebt hast. Ich kann es kaum erwarten, das Ganze zu zeichnen.«

»Vermutlich haben wir wirklich ein wenig Glück verdient.«

Aram nickte und steckte das Tuch wieder ein. Kurz huschte seine Hand zu seinem Kragen, und sie konnte sehen, dass er versuchte, nicht nach dem Kompass zu greifen. Vielleicht sah er ja deshalb älter aus; weil er dieses Ding um seinen Hals trug, wie ein Symbol seiner Mission, die Diamantklinge wieder zusammenzusetzen. Es musste schrecklich schwer auf ihm lasten. Nun war Aram an der Reihe, betroffen dreinzublicken, und Makasa drehte sich zu ihm herum, wobei sie versuchte, sich nicht ihre verwundete Schulter zu stoßen.

»Glaubst du den Nachtelfen?«, fragte sie mit gesenkter Stimme. »Wer sie sind, wo sie herkommen?«

»Du hältst mich vielleicht für leichtgläubig, aber sie hätten uns nicht helfen müssen. Sie hatten keine Ahnung, wer da durch den Sturm irrte. Ich habe ihnen zwar zugerufen, dass sie aufpassen sollen, dich nicht zu treffen, aber wer weiß, ob sie mich überhaupt gehört haben. Ich glaube, sie meinen es ehrlich. Und du kannst auch immer noch misstrauisch sein, nachdem sie uns zu Thal’darah gebracht haben.«

Sie nickte. Deswegen würde sie aber nicht in ihrer Wachsamkeit nachlassen, nicht mal, falls diese stinkende Heilsalbe der Nachtelfen die dunkle Wolke über ihrem Kopf auf magische Weise zu vertreiben vermochte.

»Ich bin froh, dass du es geschafft hast«, sagte Aram und stand auf. »Denk nicht weiter über den Sturm nach, Makasa; du hast die richtige Entscheidung getroffen. Und vielleicht hätten wir es ja auch alleine geschafft. Jetzt ruh dich aus. Ich kann es kaum erwarten, diesen Ort hinter mir zu lassen.«

Makasa lächelte schmal, als er davonging, dann streckte sie sich wieder auf ihrem Laubbett aus. Denk nicht weiter über den Sturm nach. Leicht gesagt. Aber wie könnte sie nicht weiter darüber nachdenken? Und was war mit dem Sturm vor ihnen – nicht dem aus Staub und Asche, sondern dem aus Menschen und Stahl und kalter, schrecklicher Rache? Sollte sie den etwa auch ignorieren? Fürs Erste saß Malus ihnen

Makasa wusste, dass sie nicht schlafen konnte, trotzdem schloss sie die Augen und versuchte angestrengt, nicht die fernen Kriegstrommeln zu hören.

Die Aussicht

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