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Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2020

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Alle Rechte vorbehalten

Printausgabe: © Weidle Verlag 2020

© Essay : Marion Detjen

Die Ausgabe folgt dem Typoskript im Nachlaß Helen Wolffs

unter Berücksichtigung handschriftlicher Korrekturen

in dem Exemplar der Zentralbibliothek Zürich,

Verlagsarchiv Oprecht / Europa-Verlag. Orthographische

Besonderheiten wurden beibehalten, Rechtschreibung

und Zeichensetzung ansonsten behutsam angepaßt.

Lektorat: Stefan Weidle

Korrektur: Kim Lüftner, Ludger Tolksdorf

Erfassung: Schreib- und Büroservice Thiel, Berlin

Fotos: Privatbesitz Christian Wolff

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: März 2020

ISBN 978-3-95988-166-1

Über das Buch

Hintergrund für Liebe, der Roman eines Sommers, entstanden 1932/33, erzählt die Geschichte des Beginns einer großen Liebe während einer Flucht auf Zeit aus den kippenden Verhältnissen in Deutschland: »Hie Cointreau, hie Pernod rufen die Plakate – Hitler und Hindenburg sind weit«.

Der zwanzig Jahre ältere Mann, ein Bonvivant und Ladies' Man, muß von der jungen Frau , die mit ihm im Auto nach Südfrankreich reist, erst verlassen werden, damit er begreift, was in dieser Beziehung – und im Leben – wirklich zählt. Sie verzichtet auf ihn, zieht sich nach Saint-Tropez in ein winziges Häuschen im Schilf zurück, lebt ihr eigenes Leben, findet neue Freundschaften und Ruhe in sich selbst.

Der Mann trifft sie zufällig wieder und ist beeindruckt von ihrer Kraft und Unabhängigkeit. Doch leicht macht sie ihm den Beginn eines gemeinsamen Lebens nicht. Sie fordert von ihm grundsätzliche Veränderungen in seiner Haltung zu sich und der Welt und eine Rückkehr zur Einfachheit.

 

Am Schluß hat die junge, mittellose, unerfahrene Frau dem älteren, wohlhabenden, erfahrenen Mann den Hintergrund für Liebe, den er ihr zum Geschenk machen wollte, einfach aus der Hand genommen, radikal verändert und ihm zurückgeschenkt. Marion Detjen ergänzt diesen deutlich autobiographischen Roman Helen Wolffs mit einem Essay, der die Situation Kurt und Helen Wolffs in den ersten Jahren ihres gemeinsamen Lebens und Arbeitens schildert.

 

Über die Autorin

Helen Wolff (1906-1994) ist vor allem als legendäre Verlegerin bekannt. Ihre eigenen Theaterstücke und Romane, die in den frühen dreißiger Jahren entstanden, hielt sie unter Verschluß. In München arbeitete sie seit 1928 für den Kurt Wolff Verlag. 1933 heiratete sie Kurt Wolff und emigrierte mit ihm nach Frankreich. Im New Yorker Exil baute sie 1942 gemeinsam mit Kurt Wolff den Verlag Pantheon Books auf. Als Verlegerin eroberte sie nach dem Zweiten Weltkrieg mit zahlreichen deutschen und europäischen Schriftstellern (so Günter Grass, Max Frisch, Uwe Johnson, Italo Calvino) den US-amerikanischen Buchmarkt. Ab 1961 veröffentlichte sie die Werke ihrer Autoren in der Reihe »Helen and Kurt Wolff Books« bei Harcourt, Brace & World, für die sie – Kurt Wolff starb 1963 – bis 1981 verantwortlich war. Das Manuskript des Romans Hintergrund für Liebe aus ihrem Nachlaß wird nun zum ersten Mal veröffentlicht.

 

Über die Herausgeberin

Marion Detjen studierte Geschichte und Germanistik und promovierte 2005 über Flucht­helfer nach dem Bau der Berliner Mauer. Sie unterrichtete an der Humboldt-­Universität zu Ber­lin und forschte am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam. Sie ist Teil des Redaktions­kollektivs 10nach8 bei ZEIT Online und Mitgrün­derin des Aktionsbündnisses WIR MACHEN DAS. Zur Zeit lehrt sie Migrationsgeschichte am Bard College Berlin. Außerdem arbeitet sie seit 1994 biographisch und kulturgeschichtlich zu Helen Wolff, die ihre Großtante war.

 

Helen Wolff

 

Hintergrund für Liebe

 

Das Buch eines Sommers

 

Herausgegeben und mit einem Essay von Marion Detjen

 

CulturBooks Verlag

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Dies also ist wirklich Aufbruch. Decken und große Koffer und Mäntel, viele Karten, und Brillen gegen Staub und Sonne; Schokolade, harte Eier, Cognac, Bananen – denn es soll eine lange Reise werden, eine Reise ohne Mittagessen, mit hastigen Bissen vor gesperrten Bahnübergängen und mißvergnügtem Kauen, wenn es bei den Grenzen zu langsam geht.

Wir haben einen langen Winter hinter uns, Arbeit und Sorgen, Regen, Nebel, Hagel und Schnee. Es ist fünf Uhr früh. Wir haben das Gefühl durchzubrennen, in das leichte Leben, in die besonnte Welt. Es ist fast wie Verrat, diese Reise im Morgengrauen, Verrat an den Freunden, die frierend zurückgeblieben sind, Verrat am Morgen- und Abendblatt, das uns jetzt immer viel zu spät erreichen wird, schon fast geruchlos und fast nicht mehr wahr. Wir haben Schuldgefühle, während Deutschland unter uns entgleitet und aufgefressen wird von den vier Rädern unseres Complicen und der Scheibenwischer, eifriger Helfershelfer, den feinen kalten Sprühregen emsig beiseite schiebt.

Wir sind unterwegs, der Wagen, Du, und ich.

O ja, trotz allem, es ist eine Lust, unterwegs zu sein. Es kann uns dies und das passieren, ein Pneu kann platzen, ein Unfall uns zurückholen, wie ein Gendarm, der den Ausreißern auf den Fersen ist – aber jeder Kilometer macht uns sicherer. Das ungewisse Licht der Frühe wird gewisser und zuversichtlicher. Wir sind unterwegs …

Ich rücke näher an Dich. Du hast dicke Handschuhe an, das Kamel, das gute Tier, als Reisemantel, Du verschwindest in seiner warmen Haut und bist sehr beschäftigt mit Deinen Kurven, Deiner glatten Straße und den Hindernissen, die sich Deiner Eile entgegenwerfen. Ich weiß, später wird es besser, klarer, Dein angestrengter Blick entspannt sich, wenn die Welt aus dieser Stunde in den entzauberten Morgen übergeht. Aber noch sehen Büsche aus wie Heuwagen und Heuwagen wie Büsche, noch ist Gefahr, die Bauern haben lange Stangen seitlich an ihren Wagen, und das frühe Licht versteckt sie. Wir wollen doch weiter, wir wollen nicht stolpern, wir sind unterwegs.

»Es ist wunderschön«, sage ich. »Noch nicht ganz wahr.«

Der Wagen biegt scharf zur Seite. Irgendein Urwelttier schwankt uns entgegen und dröhnt und knattert an uns vorbei.

»Das war lebensgefährlich«, sagst Du.

»Du hättest hupen sollen.«

»Um sechs Uhr früh?«

Die Straßen sind abenteuerlich wie ein Dschungel. In jeder Kurve kann etwas lauern und uns anspringen. Aber wir lieben Abenteuer und lassen uns ihren Wind um den Kühler wehen.

»Annemarie hat gesagt: Wie könnt ihr an diese mondäne Allerweltsküste …«

Du: »Wart’s ab …«

Ich versinke wieder in Schweigen und Rausch. Wir zählen Kilometer, wir voranschlagen Stundendurchschnitte. Du erzählst mir von den breiten und geraden Straßen Frankreichs, tout droit, tout droit, comme un billard, Madame – mit den gefleckten Platanenstämmen rechts und links. Wir sprechen von der Reise, nicht von uns, obwohl dies auch ein Aufbruch ist aus alten Gewohnheiten in neue. Wir haben Mahlzeiten zusammen genommen, Musik zusammen gehört, miteinander getanzt, Gespräche geführt, uns gestritten und auch geliebt. Aus vielen Stunden bist Du mir vertraut, aber wie Du beim Rasieren aussiehst, das weiß ich nicht. Ich kenne nicht Deine Vormittagslaune und Dein Schweigen bei der Arbeit, ich kenne nur Deine Ausnahme, nicht Deine Regeln. Diese Reise soll uns in Gemeinsamkeit führen, wir wollen noch andere Abenteuer bestehen als bisher. Wir fordern uns nicht mehr heraus zum kleinen Krieg und zum kleinen Frieden, wir wagen uns an den großen Drachen, der jeder Tag heißt und die Höhle jede Nacht bewohnt. Wie lange wird es dauern, und ich werde alle Vorräte erschöpft haben, die angelesenen, die erinnerten, und ich werde Dich nicht mehr mit Worten bezaubern können, weil Du sie alle schon kennst. Und Du wirst merken, wie leicht ich müde werde, und – aber vor dem, was ich merken werde, habe ich keine Angst.

»Was denkst du?«

Nein, ich sage Dir nicht, wovor ich Angst habe.

»Wieviel Kilometer bis zur Grenze?«

»Hol die Karte heraus.«

Ich hole die Karte. Ich suche mühsam die Orte und kann die Straße nicht finden. Schließlich finde ich sie und kann die Kilometer nicht addieren. Ich sinke in Deiner Achtung. Ich soll das Steuer halten. Nein, ich bin keine Diana der Landstraße, keine kühne Ritterin vom Steuerrad, das merkst Du allzufrüh. Ich träume leicht und sehe Bäume statt Meilensteinen und Dächer statt Dorfnamen. Wenn Du mich für tüchtig gehalten hast …

»Woran denkst du?«

»Ich denke, ob wir ein Häuschen finden werden …«

»Wollen wir nicht im Hotel wohnen? Das ist doch viel bequemer.«

»Alle Leute wohnen im Hotel. Nein, es muß ein Häuschen sein. Und es soll auf einer Wiese stehen, und eine weiße Katze soll auf dem Brunnen sitzen, und sie soll schnurren, wenn man sie nur ansieht. Und ich will einen Feigenbaum vor der Türe, und dann wollen wir alt werden wie Philemon und Baucis und nie wieder fortgehen, nie wieder nach München oder Berlin.«

»Ja«, sagst Du ernst und gibst Vollgas, denn die Straße ist jetzt ganz gerade und fast breit. »Ja. Nie wieder, bis zum Herbst.«

Bis zum Herbst, hat er gesagt, denke ich, das kann September sein oder November. Aber danach fragt man nicht. Bis zum Herbst ist eine lange Zeit, das sind mehr als Monate, das sind ja Vierteljahre. Du schneidest mit ein paar Worten ein großmütiges Segment aus dem Jahreskreis und legst es auf meinen Teller. Ich betrachte es ehrfürchtig, weil es noch ganz ist, kaum daß die Krume einer Stunde davon abbröckelt.

Da es mittlerweile ganz hell geworden ist, legst Du einen Arm um mich und steuerst mit der linken Hand. Ich bewundere das sehr.

Wir sind frei. Wir sind glücklich. Wir haben Geld für ein paar Monate, Du mehr, ich weniger, wie das so unsere Art ist. Ich glaube fast bestimmt, daß Du mich liebst und daß es vielleicht für einen Sommer vorhält. Besonders im Süden, wo es in der Luft liegen soll. Ja – tritt auf den Gashebel, teile den Nebel und den Regen, bald sind wir in der Schweiz. Das ist schon der Bodensee, und die zarte Baumblüte beginnt.

Jemand fragt uns, wieviel Geld wir haben und ob wir auch bestimmt nicht mehr haben. Ein anderer will die Wagennummer sehen und wissen, wieviel Zigaretten und Tabak. Der Wagen rattert ungeduldig, weil Du Dich nie entschließen kannst, den Motor abzustellen. Die Zollbeamten sind naß und verfroren und haben ein Einsehen. Sie wenigstens begreifen, daß wir fortmüssen, und schon tut ein anderes Land sich vor uns auf.

Es ist gastlich, es ist friedlich. Aber wir nehmen es kaum in Anspruch. Wir sind auf der Durchfahrt, schöne blaue Seen, Züricher und Vierwaldstätter und Genfer. In keinem Eurer Dörfer machen wir Rast. Es ist schön hier, aber wir fahren vorüber, und die Landschaft geht nicht in uns ein. Kleine Fragmente nur, Fetzen von Bergen, eine schöne, ansteigende Kurve, viele Fahnen an Genfer Hotels. Wir haben die ganze Schweiz gefressen. Der Tag wird müde wie wir, aber Du willst noch heute nach Frankreich, warme rote Weine trinken und im breiten Bett schlafen, wie Du es mir versprochen hast.

Wir haben nicht geredet, nicht gelebt, nur gedrängt, noch weiter, noch weiter. Du sitzt verbissen an Deinem Steuer und gehst mit Gier in die Kurven. Die Berge sind Dir Hindernisse, und Du fluchst die langsamen Wagen an und möchtest die Bahnübergänge nehmen wie Hürden. Du machst den Mund nur auf, wenn ich harte Eier hineinstopfe oder Bananen oder mit Hühnerbeinchen locke. Du siehst mich nicht an. Aber ich weiß, wir sind eins, wir sind stumm auf das gleiche Ziel gerichtet, auf den gleichen Bogen gespannt, ich bin Dir unbeschreiblich dankbar, daß Du mich mitgenommen hast, daß ich mit aufsitzen durfte. Und während Du galoppierst, halte ich mich atemlos fest, wie Frauen sich wohl immer, voll Glück und voll Angst, an die Mähne entführender Pferde geklammert haben.

Du hast noch Dein Wintergesicht, etwas gefurcht und gleichzeitig müde und ungeduldig, aber schon spannt sich darunter eine neue Haut. Vierzig Jahre alt, denke ich verwundert, so oft sattgegessen und immer wieder so hungrig. So viel gesehen, und soviel Sehenslust, so viel geliebt, und immer wieder verführt.

Ganz unvermittelt sagst Du: »Erinnere mich, ich muß der Eva eine Karte schreiben, sie ist immer besorgt.«

Da ist es wieder. Ich habe Mut und frage Dich ganz heiter: »Warum bist du eigentlich mit mir?«

»Mit dir will ich einen Sommer haben.«

»Und mit Adelheid?«

»Die Karwoche«, sagst Du vergnügt. »Und jetzt laß uns von heute und von morgen reden. Hast du schon einmal eine Bouillabaisse gegessen?«

Nein, ich habe nicht. Ich habe überhaupt nichts gesehen und nichts gegessen, was interessant oder aufregend wäre.

»Du hast eine Jungfrau heimgeführt«, sage ich.

»Wir werden mit der Entjungferung fortschreiten. Hier ist Frankreich.« Du sagst es großartig, als reichtest Du mir das Land auf einem Präsentierteller.

Jedes Land empfängt uns mit der gleichen Begrüßungsformel: Cigares – Cigarettes – Tabac. Auch Frankreich. Der Zollbeamte ist in sympathischer Weise faul. Aus ça ira ist ça va geworden, die Republik ist konsolidiert. Wir dürfen weiter und brauchen über keine Grenze mehr. In einem tieferen Sinn sind wir angekommen. Und schon tun sich französische Landstraßen auf. Landstraßen sind es wohl nicht, weit eher Heerstraßen, schnurgerade und von noch kahlen Bäumen überwölbt. Die Kilometersteine tragen rote Kappen und sind numeriert – Route Nationale 201 – jetzt finde sogar ich mich zurecht –, und auf dieser Straße bleiben wir bis Chambéry.

»Chambéry – das ist ein Ort, wo Trüffeln wachsen«, belehrst Du mich.

»Es ist ein Verbrechen, durch einen Trüffelort durchzufahren, nur entschuldbar, weil es nicht die ganz echten Trüffeln sind. Die wachsen im Périgord.«

Man kann den Mund so schön voll nehmen mit französischen Ortsnamen, und fast alle haben einen würzigen Nebenklang. Wir werden kühn. Wir vergessen die heimatlichen Gewitterwolken. Du redest von Trüffeln und willst heute abend einen warmen Châteauneuf du Pape trinken – es gibt doch Grenzen, die man überschreitet, Lust am Leben, die aus der Erde wächst. Hie Cointreau, hie Pernod rufen die Plakate – Hitler und Hindenburg sind weit.

Wir haben uns vor der Abreise kaum gesehen.

»Wie lange ist es eigentlich?« fragst Du.

»Ich bin so gut wie neu, so lange ist es«, sage ich.

»Heute abend«, sagst Du.

Heute abend wirst du müde sein und Wein trinken und viel essen, und morgen früh aufbrechen wollen, und darum ist es heute abend nichts.

Wir geben uns einen Kuß. Der Abend rückt näher. In Gre­noble wollen wir übernachten. Grenoble an der Isère, links läuft der Fluß neben der geraden Allee. Ich bin zum ersten Mal in Frankreich. Die Straßen sind schön, die Bäume sind schön, das eine hat Gott gemacht, das andere die Menschen, und es ist wohl gelungen. Ich möchte Dich sehr gern noch einmal küssen, aber die Stadt schickt ihre Vorposten in Gestalt von Radfahrern aus, und Du mußt vorsichtige kleine Kurven um sie fahren.

Wir streiten uns heftig wegen des Hotels. Du willst ins Majestic, und ich finde es zu fein. Schließlich nehmen wir den Schutzmann zum Schiedsrichter und landen im Majestic.

Wir sind in Frankreich. Wir bekommen ein Zimmer mit einem Riesenbett. Es ist ein kupplerisches Hotel, finde ich. Nach meinem Namen fragt kein Mensch. C’est la dame à Monsieur. Ob wir verheiratet sind, will keiner wissen; wenn wir nur zusammen schlafen, dann ist alles ganz in Ordnung.

Wir waschen uns. Die Fenster sind weit offen, vom Platz schlägt Lärm herauf, irgendein Fest mit Circus und Karussell. Du willst noch hinunter und auf die große Schaukel, aber ich werde klein und kleiner, ungern gestehe ich Dir, daß ich müder bin als Du. Dann kommt das Essen. Vielmehr das Menu. Der Kellner zerlegt das Huhn auf dem Seitentisch, und wir sitzen dem großen Bett gegenüber und trinken Wein.

Dann erzählst Du von Monte Carlo. Du wirst ganz aufgeregt und zeichnest das tapis und malst rouge et noir, pair et impair, passe et manque. Mein Kopf dreht sich wie eine Roulettekugel, ich sage Ja und nicke und verstehe nichts.

»Die Bank hat eine Chance mehr als der Spieler«, sagst Du. »Siehst du, wenn dann Zéro herauskommt …«

Du schenkst mir ein. Der ungewohnte Wein zieht seine Kreise, ich glaube, ich bin ein Stein, der ins Wasser fällt, jetzt versinke ich ganz tief, und da treibt es mich wieder ganz leicht an die Oberfläche, wo ich liegen bleibe, selig.

Der Kellner hat abgeräumt. Wir sind allein in einer fremden Stadt, nichts habe ich von ihr gesehen, es war Nacht, als wir ankamen, ich weiß nur: Stendhal ist hier geboren: literarische Reminiszenz, schäme dich, setz dich.

»Geh schlafen – komm, ich zieh dich aus.«

»Du wolltest doch noch – du wolltest noch eine Karte schreiben.« Das Badewasser rauscht, und Du sitzt am Tisch, in ein Badetuch gewickelt, und schreibst wirklich noch eine Karte. Ich bewundere Dich. Achthundert Kilometer gefahren, soviel Wein, und Karten schreibst Du auch – Karten schreiben, das scheint mir jetzt so schwer wie die Besteigung des Matterhorns.

»Hm«, sagst Du, leckst eine Marke an und hast wirklich französische Marken herausgezaubert, »die Karte soll gleich weg. So kann ich nicht herunter. Tu mir den Gefallen.«

Ich gehe vorsichtig den Korridor entlang bis zur Treppe. Gott – diese Treppe! Sie ist ganz entsetzlich breit, und in der Mitte läuft ein schmaler roter Streifen. Ich muß auf diesem Streifen gehen, das ist ganz klar. Der Streifen mündet in die Halle, und alle Menschen sehen zu. Er ist gespannt wie ein Seil. Ich denke verzweifelt an den Schutzengel, ob er mich wohl unsichtbar hält, damit ich nicht abstürze in die glatte weiße Marmortreppe rechts und links. Und alles wegen Eva, denke ich, entsetzliche Gefahren wegen Eva, entsetzliche Anstrengungen wegen Eva. Ich werde zornig und bin plötzlich auf sicherem Boden, ein kleiner Page – es gibt doch Schutzengel – nimmt mir die Karte ab und steckt sie in einen Schlitz, der ganz schmal ist, ein wenig weiter oben, als man denkt, und ein wenig weiter unten, als man denkt, ich bewundere den Pagen, und der Engel hilft weiter, ich gerate in den Lift und werde nach oben gefahren, im richtigen Stockwerk ausgesetzt, das letzte Abenteuer ist bestanden, es muß die richtige Tür sein, denn da liegst Du, Geliebter, und hast das große breite Bett schon in Besitz genommen, die Beine weit voneinander gestreckt, ich suche eine kleine Ecke, in die ich mich hineinfalten kann, und dabei sehe ich: Du schläfst.