Der einfacheren Lesbarkeit wegen wurde bei der Schreibung von Namen auf Akzente verzichtet.

Coverbild: Gasse im Stadtviertel Gion
mit Blick auf die Pagode Yasaka-no-to

Bilder Cover und Seite →: Kaiserpalast, Blick zum Shishinden (Audienzhalle) Pagode im To-ji

Torii im Fushimi-Inari-Schrein

Garten im Toji-in

Weltkulturerbestätten sind mit dem Symbol der UNESCO gekennzeichnet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abruoar.

© 2020 Hermann-Josef Frisch

Satz und Layout: Hermann-Josef Frisch, Overath

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

www.bod.de

Printed in Germany

ISBN 9783750459625

Inhalt

Einführung

»Eine Reise nach Japan ist wie eine Reise zu einem anderen Planeten«, so lautet ein Spruch und er erscheint mehr als zutreffend. Denn in Japan ist nahezu jeder zuerst einmal Analphabet; nicht nur die chinesischen Schriftzeichen und die beiden Silbenschriften sind eine Barriere, sondern auch die geringen Sprachkenntnisse der Japaner. Auf den ersten Blick erscheint Japan unzugänglich und fremd: die Blumensteckkunst Ikebana und das Sumo-Ringen adipöser Männer, Steingärten und die Teezeremonie, extrem heiße Onsen-Bäder und roher Fisch, eine völlig andere Wohnkultur und eine Fülle traditioneller Verhaltensregeln, die für den Fremden jede Menge Fettnäpfchen bereithalten.

Doch dann bezaubert das Land: Die schon beeindruckende Natur von tropischen Stränden im Süden bis hin zu alpinen Bergen in der Mitte und im Norden wird ergänzt durch eine großartige Gartenwelt, die einen ob der Vielfalt und der Präzision ihrer Gestaltung staunen lässt: Landschaftsgärten, Wandelgärten, Wassergärten, Steingärten ... Hinzu kommt die Fülle historischer Bauten in der japanischen Holzständerbauweise mit rot gestrichenen Säulen, die die weit geschwungenen Dächer tragen; dazwischen nicht tragende Wände aus Holz oder Reispapier. Solche Bauten wurden oft vor mehr als tausend Jahren errichtet, dann immer wieder unverändert erneuert, sodass sie die alte Geschichte Japans aufzeigen. Dies sind Paläste, buddhistische Tempel, Shinto-Schreine, traditionelle Stadtviertel und Dörfer, dazu Villen des Adels und über die Landschaft verstreute religiöse Bauten, Denkmäler für die Großen des Volkes und vieles andere mehr.

In Japan gibt es so viel zu bestaunen, dass ein Reisender immer wieder unendlich viel Neues entdecken kann. Dieses Buch eröffnet einen Einblick in das Herz Japans, die kaiserliche Stadt Kyoto mit ihren profanen und religiösen Bauten und ihren Gärten.

Zur Sakura, der japanischen Kirschblüte, wird japanweit das Hanami ge feiert, das Kirschblütenfest.

Japan –
Land der aufgehenden Sonne

Japan schließt Asien im Osten ab, es hat deshalb nur die beiden Koreas und Russland, im Süden auch China als Nachbarn. Aus China über Korea kamen vielfältige Einflüsse: Schriftzeichen, Buddhismus, Teezeremonie und Bauweise von Tempeln und Palästen. Doch hat Japan diese Einflüsse weitergeführt zu eigenständigen Formen von Gesellschaft, Kultur und Religion.

Mit 378 000 km2 ist Japan unwesentlich größer als Deutschland (357 000 km2), aber geografisch komplexer aufgestellt: Vier Hauptinseln (Honshu mit Tokyo und Kyoto, Hokkaido, Kyushu und Shikoku) gibt es, dazu fast 7000 kleinere Inseln. Japan ist ein Bergland am Rand einer Bruchzone zwischen der nordamerikanischen, eurasischen, philippinischen und pazifischen Platte; Erdbeben gehören in Japan zum Alltag; auch der höchste und heiligste Berg Japans, der Fujiyama (3776 m), ist ein Vulkan.

Aus diesem Grund ist die Bevölkerungsdichte sehr unterschiedlich: in den Städten hoch (Tokyo mehr als 15 000 Einwohner pro km2,, Berlin 4000, Köln 2700), in den Berggebieten niedrig. Insgesamt leben in Japan etwa 126 Millionen Einwohner (Deutschland 82,5 Millionen). Der Ursprung des japanischen Volkes ist nicht geklärt; der Hauptteil kam wohl vom ostasiatischen Norden (Sibirien, Altai), Teile aber auch von der pazifischen Inselwelt im Süden. Die Geschichte Japans verliert sich im Rückblick in Mythen; von der Jomon-Periode (10 000–300 v. Chr.) ist kaum etwas bekannt, auch vom legendären ersten Kaiser Jimmu (vermutet 660–585) nicht. In der Yayoi-Periode (300 v. Chr. – 300 n. Chr.), der Kofun-Periode (300–552) und in der Asuka-Zeit (552–710) entwickelt sich eine staatliche Ordnung mit Kaiserhaus und Adel, dazu der Shinto (vgl. Seite →). Auch kommt der Buddhismus ins Land. Die Nara-Zeit (710–794) ist ein erster kultureller Höhepunkt (vgl. Seite →ff.), gefolgt von der Heian-Periode mit Kyoto (alter Name Heian-kyo) von 794–1185. Kyoto bleibt auch danach Hauptstadt, aber die politische Macht wechselt zwischen Kaiser, Shogun (Militärregent) und Adel in den Perioden Kamakura (1192–1333), Muromachi (1333–1573), Sengoku (1477–1568), Momoyama (1568–1600). Ab 1603 wechselt der Shogun (vgl. Seite →) nach Edo, dem heutigen Tokyo. 1868 wird das Shogunat durch die Meiji-Reform beendet, auch der Kaiser residiert nun in Tokyo. Kyoto aber bleibt vor allem wegen seiner Tempel und Schreine das spirituelle Zentrum Japans.

Frauen in traditioneller Tracht im Kennin-ji

Kyoto –
Residenz der Kaiser und Götter

Die Metropolregion Tokyo-Yokohama mit ca. 37,5 Millionen Einwohnern ist das politische und wirtschaftliche Zentrum des Landes, seit 1868 auch Sitz des Kaisers; doch Kyoto war immer das spirituelle Herz Japans und wird es auch bleiben. Dabei sind die beiden Städte von völlig verschiedenem Charakter: Die dicht gedrängten Hochhausschluchten von Tokyo stehen gegen die nur mit zweigeschossigen Holzhäusern bebauten traditionellen Stadtviertel Kyotos – Steinwüste gegen Park- und Gartenlandschaft, Ökonomie gegen Kultur und Religion, Hektik gegen Verlangsamung, Moderne gegen Tradition, auch Verwestlichung gegen ursprünglich japanisches Leben. Natürlich hat auch Tokyo einige Tempel und Schreine, kulturelle Schätze besonders in den herausragenden Museen, aber in Kyoto lebt die Welt des Buddhismus und des Shinto in einem geradezu überbordenden Reichtum von Anlagen, Gebäuden und liebevoll gestalteten Arealen. Tokyo mag der Kopf Japans sein, Kyoto war und ist sein Herz.

Blick auf Kyoto von Osten aus (Kiyomizu-dera), links neben dem Kyoto Tower ist das gewaltige Gebäude des modernen Bahnhofs Kyoto

Kyoto hat eine Fläche von 828 km2, davon liegen ca. 20 x 10 km im flachen Gebiet, das von den westlichen, nördlichen und östlichen Bergen eingefasst, nach Süden in Richtung des 40 km entfernten Osaka aber offen ist – dies ist das eigentliche Zentrum. In Kyoto leben etwa 1,46 Millionen Menschen, das macht eine Bevölkerungsdichte von etwa 1760 Einwohnern pro km2 aus. Daran zeigt sich, dass Kyoto nicht mit den wuchernden Metropolen Asiens vergleichbar ist. Wegen der siebzehn Weltkulturerbestätten darf nur in wenigen Straßenzügen in Bahnhofsnähe höher gebaut werden. Vor allem in den Vierteln, die zu den Ostbergen (Higashiyama) aufsteigen wie Gion, finden sich schmale Gassen mit niedrigen Holzhäusern – das alte Japan wird gepflegt. Durch die großen Parks und Gärten der Tempel und Schreine, aber auch durch den Park des Kaiserpalastes und andere öffentliche Freiflächen ist Kyoto eine überaus grüne und angenehme Stadt – dies selbst in der schwülen Wärme des Sommers. Die Berge rund um Kyoto ragen bis auf eine Höhe von 848 m (Berg Hiei) auf. Der Kamo-Fluss durchfließt die Stadt im Osten, im Westen begrenzt der Katsura-Fluss das zentrale Siedlungsgebiet. Dazwischen befindet sich – entsprechend der auf die chinesische Geomantie aufbauenden Planung des 8. Jahrhunderte – das schachbrettartige Straßensystem mit Palästen, Tempeln und Schreinen – Sitz der Kaiser und Götter.

Eingangstor zum Gojo-in, einem kleinen Tempel östlich der Mauer des Kaiserpalastes.
Verehrt wird hier eine Gottheit, die vor Feuer schützt –
angesichts der Holzbauweise von Palast und Tempeln eine wichtige Funktion

Kyoto –
Stadt der Tempel, Schreine, Gärten

Kyoto ist eine Stadt der Tempel, Schreine und Gärten wie wohl keine andere Stadt der Welt. Während Kaiserpalast und Shogunpalast im Zentrum liegen, sind die buddhistischen Tempel und die Shinto-Schreine wie Perlen einer Kette an den östlichen Bergen und im Norden zu finden. Am Eingang von Schreinen sind Torii – zwei Säulen mit zwei Querbalken, der obere geschwungen, naturfarben oder in einem leuchtenden Rot. Tempel dagegen haben oft riesige Eingangstore mit drei Portalen, die mehrgeschossig bis zu 30 m hoch aufragen können. Dahinter finden sich die Gebäudeensembles der heiligen Stätten, durchzogen von Natur in Form der Parks und Gärten. Natur und (religiöse) Kultur stimmen in Kyoto in einer beeindruckenden Harmonie überein – hier ist der Sitz der Buddhas und Bodhisattvas, der Kami und Götter.

An der Mauer des Kaiserpalastes liegt der kleine Nashinoki-Schrein.

Im südlichen Teil des Parks rund um den Kaiserpalast

Kyoto – das Herz Japans

Kyoto hat eine ganz eigene Atmosphäre. Der Bereich um den Bahnhof und einige Geschäftsstraßen (etwa Shijo-dori und Oikedori) wirkt großstädtisch mit viel Betrieb und Geschäftigkeit. Doch in den kleinen Vierteln der elf Stadtbezirke verläuft das Leben anders, ruhiger, besinnlicher, an vielen Tagen des Jahres durch Tempelfeste oder Prozessionsumzüge auch festlicher. Die niedrige Bauweise, der Blumenschmuck, für den jeder Hausbesitzer an der Straßenfront sorgt, die nach wie vor vielen kleinen Geschäfte und Restaurants mit traditionellen Speisen statt Fastfood, die immer neuen Blicke auf Tempeltore und Shinto-Torii – Kyoto kennt eine ganz eigene Kultur, die in der Tradition des alten Japans steht. Wo sonst in ganz Japan kann man noch so viele Kimonos, die farbenprächtigen Gewänder der Frauen, sehen, auch die dunkel gehaltenen Yukatas der Männer dazu, wo sonst kann man noch Geishas und Meikos (Geisha-Schülerinnen) in ihrer aufwändigen Ausstattung begegnen, wo sonst wandern Mönche mit ihren großen Hüten durch die Straßen, wo sonst ist die Dichte der religiösen Stätten sowohl der vielen buddhistischen Richtungen wie auch des Shinto so groß wie in Kyoto. Kyoto ist weithin von den Bomben des Zweiten Weltkrieges verschont geblieben, zudem erneuert man liebevoll die alten Gebäude und pflegt sorgfältig die bis ins Detail hinein überlegt gestalteten Gärten. Kein Zweifel: Kyoto ist aufgrund seines großen kulturellen und religiösen Erbes das lebendige Herz Japans.

Blick vom Omuro-88-Tempel-Pilgerweg nördlich des Ninna-ji auf ein traditionelles Stadtviertel

Blick vom Omuro-88-Tempel-Pilgerweg auf den Norden Kyotos

Im Umkreis von Kyoto –
Nara, Uji, Otsu

Honshu, die größte Insel Japans, besteht neben den nördlichen Regionen und den südlichen um Hiroshima aus zwei großen Gebieten, die für Japan kulturprägend waren: Kansai und Kanto. Kanto umfasst das Gebiet der Region Tokyo, Kansai meint das Gebiet vor allem um die Städte Kyoto, Osaka und Kobe – hier war und ist das Herz japanischer Geschichte, Kultur und Religion. Die ersten Kaiserstädte Asuka-kyo, Heijo-kyo (= Nara) und Heinan-kyo (= Kyoto) liegen in Kansai. Tokyo war in alter Zeit dagegen nur ein Fischerdorf. In Kansai entwickelte sich der Shinto zu einer mit dem Kaiserhaus verbundenen Religion; hier entstanden die unterschiedlichen Schulen des japanischen Buddhismus zudem Ikebana, Teezeremonie und vieles andere mehr. Wer über Kyoto spricht, muss deshalb über die Stadt hinaus auf ihr Umfeld blicken. Das kann in diesem Band nur auf drei Städte hin erfolgen, auf Nara, Uji und Otsu (vgl. Seite →ff.).

Kofuku-ji (Nara), Guju-no-to

Das ca. 50 km südlich von Kyoto gelegene Nara ist heute eine Stadt mit ca. 350 000 Einwohnern, die von Tourismus und Industrie leben. Zudem ist Nara – wie auch Kyoto – ein Bildungszentrum mit mehreren Universitäten. Doch blickt Nara auf eine besondere Geschichte zurück und besitzt großartige Tempel und Schreine. Kyoto hat siebzehn Weltkulturerbestätten, Nara deren sieben, unter denen der Todai-ji (vgl. Seite →), der Kasuga-Taisha (Schrein, vgl. Seite →), der Kofuku-ji (vgl. Seite →) und der Horyu-ji (vgl. Seite →) von höchster Bedeutung sind. Nara war die erste richtige Hauptstadt eines vereinten Japans (Honshu mit Ausnahme der nördlichen Gebiete, Kyushu und Shikoku – noch ohne Hokkaido). Von 710 bis 784 war Nara Sitz des Kaisers, danach für wenige Jahre die Stadt Nagaoka, bis schließlich 794 Heian-kyo (Kyoto) zur neuen Hauptstadt wurde. Auch wenn manche Stätten in Nara wie etwa der Kaiserpalast Heijo im Norden im Laufe der Jahrhunderte verfielen, die Tempel und Schreine blieben weiterhin in Betrieb.

Uji, 15 km südlich von Kyoto, hat etwa 190 000 Einwohner. Es war für den innerjapanischen Handel bedeutsam. Zudem brachte im 12. Jahrhundert der Mönch Eisai (vgl. Seite →) aus China Teepflanzen nach Japan – Uji wurde ein Zentrum des Teeanbaus. Wegen seiner schönen Lage mit Fluss und Bergen wurde Uji ab der Heian-Zeit zur Sommerresidenz von Adeligen aus Kyoto – die Phönixhalle des Boydo-in-Tempels (vgl. Seite →), die zuvor ein Palast war, zeugt davon.

Byodo-in (Uji), Phönixhalle

Saikyo-ji (Otsu), Kloster und Steingarten

Otsu, 15 km östlich von Kyoto am Biwasee gelegen, zählt 340 000 Einwohner. Von 667 bis 672 war Otsu Hauptstadt Japans mit dem Namen Omi-kyo. Der Ort ist für Shinto und Buddhismus bedeutsam geworden und beherbergt wichtige Tempel und Schreine: Ishiyama-dera (vgl. Seite →) und Mii-dera (vgl. Seite →) gehören zu den 33 Tempeln des Saigoku-Pilgerweges; der Saikyo-ji (vgl. Seite →) ist Zentrum des Tendai-shu, der Omi-jingu (vgl. Seite →) ein beeindruckender Schrein aus unserer Zeit.

Kaiserpalast, Blick durch das Nikkamon (ein Tor zum Vorplatz der Audienzhalle)

Kyoto – Paläste

Kyoto war von 794 bis 1868 Residenz des japanischen Kaisers. Auch wenn die eigentliche Regierungsmacht spätestens seit dem Jahr 1192 (Kamakura-Zeit) nicht mehr vom Kaiser in Kyoto, sondern vom Shogun in anderen Städten des Reiches ausgeübt wurde, so blieb der Kaiser doch die spirituelle Mitte des japanischen Volkes, das Symbol des japanischen Reiches. Er verkörpert nicht nur die politische Zentrale, sondern auch die religiöse Einheit des Landes. In der japanischen Verfassung von 1946 wird der Kaiser als »das Symbol des Staates und der Einheit des Volkes« bezeichnet. Denn der Kaiser ist der Tenno, der »Himmlische Herrscher«, der über seine repräsentativen Aufgaben hinaus der oberste Priester des Shinto ist, der ethnischen Religion Japans (vgl. Seite →); er ist der Himmelssohn, der neben anderem für eine ausreichende Lebensgrundlage seines Volkes durch eine gute Ernte verantwortlich ist – deshalb leitet er etwa das jährliche Ritual des Erntedankfestes Niiname-sai. Diese Sichtweise wird in den alten japanischen Reichschroniken dadurch begründet, dass der Kaiser ein Abkömmling der shintoistischen Sonnengöttin Amaterasu ist. Historisch scheint ein erster Kaiser Jimmu in der Zeit von 660–585 v. Chr. fassbar, konkret nachweisbar sind die Kaiser aber erst seit dem fünften nachchristlichen Jahrhundert. Der jetzige (ab 2019) Kaiser Naruhito gilt als der 126. Tenno, seine Regierungsdevise lautet »Schöne Harmonie«.