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Impressum

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

Projektleitung: Eva Dotterweich, Ariane Hug

Lektorat: Eva Dotterweich

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Isabell Rid

impressum ISBN 978-3-8338-7503-8

1. Auflage 2020

Bildnachweis

Illustrationen: Lisa Borgenheimer; Shutterstock; Science Photo Library

Fotos: Kay Blaschke

Syndication: www.seasons.agency

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Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

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Wichtiger Hinweis

Die Informationen in diesem Buch stellen die Erfahrungen und die Meinung der Autoren dar. Sie wurden von ihnen nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für persönlichen kompetenten medizinischen Rat. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Ein Wort zuvor

Gestatten, wir sind die Autoren dieses Buches mit dem leicht provozierenden Titel »ALTERN WIRD HEILBAR«:

NINA RUGE, Jahrgang 1956. Durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau dieses Jahrgangs in Deutschland: etwa 69 Jahre.

Dr. Dr. med. DOMINIK DUSCHER, Jahrgang 1987. Durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes dieses Jahrgangs in Deutschland: etwa 72 Jahre.

Obwohl der eine von uns beiden, Dr. DUSCHER, ein Mann ist – und Männer ja bekanntlich in etwa sieben Jahre früher das Zeitliche segnen als Frauen – wird Dominik wahrscheinlich eine höhere Lebenserwartung haben als Nina. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Aber das Wissen um die Ursachen seines längeren Lebens ist hoch aktuell.

»Man baut halt ab.« »Das ist der Zahn der Zeit.« »Es geht nicht mehr so gut wie früher.« Volksmund tut Wahrheit kund? Zum Thema Alterung verkündet des Volkes Mund sicherlich das, was viele Menschen fühlen. Doch die Unerbittlichkeit des Verfallsprozesses nährt sich aus Unwissenheit. Körper und Geist nutzen sich im Laufe der Jahrzehnte ab wie Sommerreifen auf heißem Asphalt? Irgendwann ist das Profil runtergefahren, ist das Ding platt?

Wir können aufatmen. So brutal einfach läuft die Sache mit dem Altern nicht. Denn zum Glück ist der menschliche Körper ein Wunderwerk. Und dieses Wunderwerk zeigt keinen schlichten Abrieb wie der Autoreifen. Die aktuellen Erkenntnisse der physiologischen und genetischen Altersforschung legen komplexe Prozesse der altersbedingten Systemstörungen frei, und damit keimt Hoffnung auf.

Denn diese vielfältigen Abläufe betreffen nicht einzelne Organe, bedeuten nicht Kapitulation des Herz-Kreislauf-Systems oder bestimmter Areale des Gehirns. Nein. Das Altern beginnt im Detail, im Kleinen. Es beginnt in der Zelle – ja, »die Geburt des Todes« ist sogar noch viel kleiner dimensioniert: Sie wird auf molekularer Ebene definiert.

»Wie schrecklich!«, mögen Sie denken. Dann löst sich der Körper ja geradezu von seiner Substanz her, von ganz innen auf! Wir dürfen Sie beruhigen. Denn das Gegenteil ist der Fall. Wissen ist Macht. Und das Wissen über die zellulären Prozesse eröffnet uns die Chance auf Einflussnahme. Faktisch wurde das ja schon längst bewiesen! Dominik wird, statistisch gesehen, länger leben als Nina, weil Medizin und Erkenntnisse über gesunde Lebensweise Jahrgang für Jahrgang das Leben verlängern halfen. Dem ist so. Allerdings wissen wir erst heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, ein wenig mehr über die genauen Mechanismen der Lebensverlängerung. Und exakt diese Spur eröffnet uns weitere ungeahnte Chancen. Jedem von uns. Egal, welcher Jahrgang.

Moment, sagen Sie jetzt vielleicht. Was ist denn mit den altersbedingten Krankheiten? Was ist mit Alzheimer, Altersdiabetes, Osteoporose, Arthrose, was ist mit Herzinfarkt und Schlaganfall? Wo liegen da die ungeahnten Chancen?

Müssen wir nicht, wenn wir ehrlich sind, das Alter als eine Krankheit betrachten?

Die modernen Forschungserkenntnisse lassen uns da zum Glück in eine neue Richtung denken. Wenn wir die molekularen, die zellulären Prozesse des Alterns kennen, dann können wir das Altern selbst als Ursache behandeln – und nicht die altersbedingte Krankheit als dessen Symptom.

Doch wie kann das gehen? Kann man das Altern therapieren? Und wenn ja, wie? Das Alter selbst zu behandeln würde ja bedeuten, auf Zellebene einzugreifen. Wie kommen wir denn an diese heran? Die Antwort lautet: Mit Medikamenten, mit Nahrungsergänzungsmitteln, mit stimulierender Ernährung und Lebensweise, mithilfe von Fasten, Fremdblut, Stammzellen … Wird Ihnen schwindelig?

Genau das wollen wir erreichen. Wir wollen, dass Ihnen schwindelig wird angesichts der Möglichkeiten, die die moderne Zellforschung eröffnet. Sie gibt uns sanfte (und auch nicht ganz so sanfte) Zell-Booster an die Hand, um die drei elementaren Kompetenzen unserer Zellen zu vitalisieren:

Wenn wir diese drei elementaren Kompetenzen unserer Zellen verstehen, werden wir erkennen, wie wir sie gezielt stärken können. Diesem Verstehen und Fördern gilt dieses Buch. Deshalb ist es auch in drei große Teile gegliedert und ein jedes widmet sich einer dieser Zellkompetenzen.

Unsere Zusammenarbeit

Wir haben dieses Buch von Seite 1 bis Seite 352 gemeinsam geschrieben und diese Zusammenarbeit funktionierte so: Dominik hat den gesamten wissenschaftlichen Input geliefert, hat den Denkansatz, die Struktur entwickelt, hat seine eigenen Forschungsergebnisse eingebracht. Er hat die schier unendliche Fülle an Studien gesichtet und das seriöse Wesentliche, die Grundlagen für das Verständnis bis hin zu den brandaktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Verfügung gestellt. Nina hat aus diesem hoch anspruchsvollen Konvolut etwas gemacht, das – so hoffen wir jedenfalls – die Faszination des Themas so spannend formuliert, dass jeder interessierte Nichtfachmann und jede neugierige Nichtfachfrau geradezu lustvoll eintauchen mag in die Welt der Stammzellennester, Zombiezellen und Miniaturkraftwerke ihrer Körper …, die jeden Tag um einen Tag älter und damit um einen Tag leistungsschwächer werden. Es geht in diesem Buch auch darum, was jeder Einzelne dagegen tun kann.

Wir haben diejenigen Passagen durch Kursivdruck kenntlich gemacht, die jeweils ganz eigene Erfahrungen, Erkenntnisse oder Einschätzungen von einem von uns beiden sind. Alles andere ist nicht dividierbares Gemeinschaftswerk.

Also dann! Wir wünschen Ihnen beim Lesen jede Menge Gänsehaut, Aha!-Effekte sowie Impulse fürs Verändern der Lebensweise – und am Ende eine gute Portion geballten Optimismus. Denn Altern wird heilbar!

Eine tödliche Krankheit?

»Alter ist eine der tödlichsten Krankheiten auf unserem Planeten.«

DAVID SINCLAIR

Diese nicht wirklich gemütliche Feststellung stammt von einem Professor an der Harvard Medical School, der also der Meinung ist, dass Alter eine Krankheit sei. Folglich müsste diese Krankheit – je mehr wir über die Mechanismen der Alterungsprozesse wissen – auch zunehmend heilbar bzw. zu lindern sei.

Dies lässt hoffen, dass irgendwann viele der gruseligen Begleiterscheinungen des Alterns etwas weniger gruselig sein mögen. Doch die nackten Tatsachen zum körperlichen Verfall bleiben bis dahin leider so fies, wie sie sind: Wir finden leider, leider fürchterlich viele Prozesse der Selbstzerstörung in unserem Körper. Entsprechend viele wissenschaftliche Theorien, Hypothesen und Teilerklärungen kursieren also zu dem unerbittlichen Degenerationsprozess, dem wir, dem unser Körper ausgesetzt ist. Und das Zusammenspiel der vernichtenden Kaskaden – wenn es auch bis heute noch so gar nicht im Detail geklärt ist – zwingt jeden von uns früher oder später in den Totentanz. Das einzig Sichere im Leben ist und bleibt nun mal der Tod.

Deshalb müssen Sie jetzt beim Weiterlesen ganz stark sein. Wir führen Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Theorien des Alterns vor – und Sie werden am Ende des Kapitels unendlich froh sein: Darüber, dass Sie leben dürfen. Hier und jetzt. Noch.

Von den Evolutionstheorien

Fangen wir mit den Theorien an, die fast etwas Versöhnliches haben, weil sie unsere Sterblichkeit in den ganz, ganz großen Zusammenhang der Weltentwicklung stellt.

Begonnen hat die Evolution ja freundlicherweise mit der Unsterblichkeit. Die schlichteren Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben zumindest die theoretische Chance, Milliarden Jahre zu erleben. Auch Bakterien, Hefen, Amöben, Polypen gehören zu diesen Privilegierten. Sie bezahlen natürlich dafür. Denn sie kennen weder Sex noch geschlechtliche Fortpflanzung. Sie vermehren sich sterbenslangweilig durch schlichte Zellteilung. Da ihr genetisches Material damit brav immer weiter und weiter gegeben wird, wenn es nicht tödlich mutiert oder der Einzeller vom Feind gefressen wird – leben diese Organismen also gewissermaßen ewig. Wir Menschen sind zu 90 Prozent immer noch genauso unterwegs. Rund 90 Prozent der Gesamtheit unserer Körperbestandteile werden binnen sieben Lebensjahren komplett ersetzt. Wir leisten uns also regelmäßige, aufwendige Totalüberholungen. Wie ein Oldtimer, der endlos auf den Straßen herumrollen kann, wenn regelmäßig und penibel alle Teile, die kaputtgehen können, ausgetauscht werden.

Wir verfügen sogar über großartige Reparaturmechanismen unserer Steuerungseinheiten, unseres Genmaterials nämlich. Im Durchschnitt werden jeden Tag rund 55.000 Einzelstrangbrüche der DNA, 12.000 Bausteinverluste der Erbsubstanz und sogar zehn Doppelstrangbrüche repariert. Eine geniale Leistung, geradezu auf Unsterblichkeit hin getrimmt! Wieso wir dann trotz dieses enormen Aufwandes der Natur für unseren körperlichen Erhalt allerspätestens nach 120 Jahren abtreten müssen, das versucht die Evolutionstheorie zu erklären. Und wir denken insgeheim: Der Tod, was für eine Verschwendung, oder? Erst einmal: Geschlechtliche Fortpflanzung ermöglicht einen immer wieder neuen Mix an Genen und auch deren spontane Mutationen. Damit erzeugt die Evolution über Jahrtausende hinweg ein Riesenangebot an immer wieder neu programmierten Lebewesen – und diejenigen aus der Vielheit, die sich den wandelnden Umweltbedingungen am besten anpassen können, die überleben. Die anderen sterben früher oder später. Flexible Wandlung der Arten ist also nur möglich, wenn der Motor dafür die geschlechtliche Fortpflanzung und der Treibstoff spontane Mutationen im Genmaterial sind. Alte Systeme müssen irgendwann ausgemustert werden. Das bedeutet im kühlen Klartext der Evolution: Der Tod überholter Systeme macht absolut Sinn. Also auch unserer.

Evolutionstheorie – die Erste

Doch auch schon CHARLES DARWIN rätselte, wieso es dann einen komplexen, multifaktoriellen Alterungsprozess geben müsse, zum Teil über Jahrzehnte hinweg. Der hochkomplexe Vorgang des Alterns – welchen biologischen Sinn sollte der haben? Außerdem gibt es Arten, die altern nur minimal: Ein Schwamm, den Forscher in der Antarktis entdeckt haben, lebt seit 10.000 Jahren. Der Felsenbarsch wird 250 Jahre alt – ohne gebrechlich zu werden. Der afrikanische Nacktmull übertrifft in seiner Lebenserwartung sämtliche seiner Verwandten – nämlich Nagetiere wie Hamster und Mäuse – um das bis zu Dreizehnfache (während andere kleine Nager nur rund zwei Jahre leben, bringt er es auf bis zu 26 Jahre). Was hat sich die Evolution denn bitteschön dabei gedacht?

Offenbar gar nicht so viel. Wer einmal auf Safari in Afrika war, hat sicher das brutale System von Fressen und Gefressenwerden blutig in Erinnerung. Ich (Nina) werde nie vergessen, wie sich in Botswana ein Leopard an eine Familie von niedlichen Warzenschweinen heranpirschte. Den weiteren Verlauf des Gemetzels habe ich dann nicht mehr anschauen wollen. Wer nicht morgens um halb fünf auf Tour gehen will, um dann stundenlang in der Savanne auf eine Wildtierbegegnung zu warten (oft auch vergeblich), der kann sich das Prinzip des Fressens und Gefressenwerdens in schauerlichen TV- oder Streaming-Dokumentationen zu Gemüte führen. Ich Zartbesaitete halte das multiple Töten jedoch nicht aus.

Außerhalb der weitgehend geschützten Lebensräume des Menschen schafft es kaum eine Art, überhaupt in die Nähe der genetisch programmierten maximalen Lebensspanne zu gelangen. So gut wie alle sterben weit vorher den Katastrophentod. Das hört sich fürchterlich an, ist aber in der freien Wildbahn völlig normal. Fressfeinde, Unfälle, Krankheiten. Meist kommt der Nachwuchs noch nicht mal ins fortpflanzungsfähige Alter. Wieso dann spezielle Mechanismen der Alterung entwickeln? Das braucht es doch gar nicht. Deshalb lässt die Natur – genauer gesagt, die Evolution – einfach zu, dass die Reparaturmechanismen der Gene nur auf eine bestimmte Zahl von Reparaturvorgängen ausgelegt sind. Mit den Jahren häufen sich dann die schädlichen Mutationen an, weil die Reparatursysteme nicht nachkommen. In der Wildbahn wird ein so beeinträchtigtes Tier – dessen Nieren vielleicht nicht mehr richtig wollen – dann sowieso vom Feind vernichtet. Diese stichhaltige Abbaustrategie in Eigenregie trägt den attraktiven Namen »Mutations-Akkumulations-Theorie«.

Sie wird ergänzt durch die sogenannte »antagonistische Pleiotropie« (1957 von GEORGE C. WILLIAMS entwickelt). Darunter versteht man einen Mechanismus der Selbstzerstörung, der eine gewisse Tragik aufweist: Nehmen wir das Beispiel des menschlichen Testosterons oder Östrogens. Mutationen, die zu einer höheren Produktion dieser Hormone führen, machen ja erst einmal richtig etwas her: Potentere Männer, kurvigere Frauen, um es platt zu formulieren. Im Evolutionsjargon gesprochen bringt das »Fortpflanzungsvorteile«. Tragischerweise können erhöhte Hormonspiegel im Alter allerdings höchst schädlich sein. Prostatakrebs oder Brustkrebs können die Folge sein. Pleiotrope Gene sind also Gene, die in der Fortpflanzungsphase Vorteile bieten, nach dieser Phase sich aber äußerst ungut auswirken können. Da es in der Evolution aber nur auf gelungene Fortpflanzung ankommt und nicht auf gesundes Altern, sind pleiotrope Gene (nicht nur beim Menschen) evolutionär gesehen förderlich – und tödlich. So werden sie im Erbgut locker mitgeführt. Oder mit anderen Worten: Was junge Lebewesen sich optimal fortpflanzen lässt, kostet sie viele Jahre später vielleicht das Leben.

Evolutionstheorie – die Zweite

Also: Die klassische Evolutionstheorie des Alterns kann vieles erklären, aber eine Frage bleibt offen: Weshalb gibt es so viele Arten, einschließlich die menschliche, bei denen sich die Natur den Luxus leistet, sie auch dann noch gesund weiterleben zu lassen, wenn sie schon längst unfruchtbar geworden sind?

Ein amerikanischer Forscher wartet hier mit der »Großmutter-Theorie« auf und zeigt, dass die Fixierung auf die Fortpflanzungsphase allein eindeutig zu kurz greift. Viele Lebewesen investieren nämlich nicht nur in die Geburt ihrer Kinder, sondern auch in deren Aufzucht. Und genau hier kommen nach RONALD D. LEE von der University of California, Berkeley, die älteren Generationen zurück ins evolutionäre Spiel: Je intensiver die Senioren an der Aufzucht von Jungtieren beteiligt sind, desto eher wird deren Lebensspanne über das reine Fortpflanzungsalter hinausreichen.

Und das muss nicht einmal die eigenen Kinder betreffen. Von den bekanntesten Delfinen, den Großen Tümmlern, weiß man etwa, dass die Großmütter ihre Enkel nicht nur beaufsichtigen und beschützen, sondern sogar säugen. Und aktuelle anthropologische Studien weisen zum Beispiel darauf hin, dass in bestimmten afrikanischen Pygmäen-Gesellschaften durchschnittlich elf – vor allem ältere – Personen den Eltern bei der Kindererziehung zur Hand gehen.

So weit, so knapp die Evolutionstheorien des Alterns. Sie lassen uns sozusagen aus der Perspektive der Jahrtausende das Prinzip des Werdens und Vergehens nachvollziehen und sind nach wie vor relevant. Oder um mit HERMANN HESSEs Urmutter Gaia zu sprechen: »Ihr spielender Finger schreibt in die flüchtige Luft unsere Namen.« Das Prinzip verstehen wir ja. Nur das Prinzip des Werdens und Vergehens bringt die unfassbare Vielfalt der Natur hervor – und bringt sie weiter. Das lehrt uns Demut, hilft uns aber noch nicht, die Details des Selbstzerstörungsprogramms zu begreifen, das »Altern« heißt.

Von den Schadenstheorien

Fragt man allerdings nicht nach den evolutionären (mit der Frage »Wozu?«), sondern nach den genetischen und physiologischen Ursachen des Alterns (mit der Frage »Wie?«), dann lauten die Antworten freilich ganz anders. Hier möchten die sogenannten »Schadenstheorien« Abhilfe schaffen. Sie erklären den Alterungsprozess gewissermaßen als sich selbst aufbauende Müllhalde: Mit den Jahren sammeln sich mehr und mehr schädliche Stoffwechselprodukte in unseren Zellen, Geweben und Organen an – und nicht nur das. Zugleich wimmelt es in uns nur so von Abnutzungs- und Zerstörungsprozessen. Wir sagten ja eingangs: Sie müssen stark sein beim Lesen dieses Kapitels …

»Abnutzung« und »Verschleiß« als Ursache des Alterns anzunehmen, ist natürlich naheliegend und hat MAX RUBNER schon 1908 zu einer wegweisenden Überlegung geführt: Je schneller der Puls, je höher also der Stoffwechsel eines Organismus läuft, desto kürzer die Lebenserwartung. Heißt: Wer »an zwei Enden gleichzeitig brennt«, stirbt früher. Dazu kam die Beobachtung, dass Taufliegen deutlich länger lebten, wenn die Umgebungstemperatur gesenkt wurde und damit der Stoffwechsel langsamer lief. Ähnliches war zu beobachten, wenn Organismen auf strenge Diät gesetzt wurden. Der Stoffwechsel fährt runter – die Lebensspanne steigt.

Die Lebensrhythmus-Theorie

Aus diesen Erkenntnissen entwickelte der US-Altersforscher RAYMON PEARL die »Rate-of-Living-Theorie«. Die »Lebensrhythmus-Theorie des Alterns« sah also den Organismus sozusagen als ein Behältnis voller Zellbestandteile etc. an – und je schneller der Stoffwechsel liefe, desto schneller würden diese Zellbestandteile beschädigt oder zerstört. Er ging sogar so weit zu behaupten, dass ein Individuum nur eine streng limitierte Zahl von Herzschlägen zur Verfügung hätte. Seien diese »verbraucht«, wäre Schluss. So naiv das zunächst klingen mag, es scheint etwas dran zu sein. Je schneller der Stoffwechsel, desto schneller der Alterungsprozess. Die bekannte »Maus-Elefanten-Kurve« von MAX KLEIBER (1932) veranschaulicht das wunderbar: Große, schwere Organismen leben länger. Ein Elefant lässt die Maus weit hinter sich. Aber: So angesagt die »Lebensrhythmus-Theorie des Alterns« über viele Jahre hinweg war, so wenig war sie in der Lage zu erklären, weshalb eigentlich Sportler oft deutlich länger leben als Couchpotatoes, obwohl sie ja eine deutlich höhere Stoffwechselrate haben. Wieso sterben große Hunderassen viel früher als kleine? Fragen über Fragen. Diese Alterstheorie muss nicht falsch sein, sie greift aber offensichtlich deutlich zu kurz.

Die Theorie der freien Radikale

Das war die Chance der »Theorie der freien Radikale«, die bis heute en vogue und für die Hersteller von Antioxidantien sehr einträglich ist. Und doch ist die Wirksamkeit der Präparate auf den Alterungsprozess bis heute nicht nachgewiesen.

Ich (Dominik) habe die aktuelle Forschungslage zu diesem Thema sondiert und komme zu einem überraschenden Schluss. Die aggressiven freien Radikale führen – so die Theorie – zu Zellschäden und einem beschleunigten Alterungsprozess. Mit ihrer Freisetzung schädigen die Radikale für die Funktion der Zelle wichtige Moleküle, wie die DNA, die RNA und eine Vielzahl von Proteinen und Lipiden. Die Gabe von Antioxidantien führt bei einigen Spezies zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Überlebenszeit, wenn diese Substanzen schon sehr frühzeitig verabreicht werden. Die maximale Lebensdauer konnte dagegen nicht erhöht werden. Die jüngere Forschung lässt immer mehr Zweifel an der Freien-Radikale-Theorie entstehen. Zusätzlich zu MICHAEL RISTOW, der Stress durch freie Radikale bis zu einem gewissen Maß im Sinne eines »Impfungseffekts« als positiv bewertet (siehe weiter unten), gibt es sogar Forscher, die freie Radikale als gänzlich ungefährlich einstufen. Eine prominente Stimme dazu kommt von einer Gruppe Wissenschaftler um ANTHONY SEGAL vom University College London. Im führenden Wissenschaftsjournal »Nature« berichteten sie, dass die so übel beleumundeten freien Radikalen lediglich Nebenprodukte einer recht komplexen Reaktionskette seien. Die britischen Forscher konnten eindeutig zeigen, dass freie Radikale auf keinen Fall jene giftigen Partikel sind, für die sie gehalten wurden, und betonen, dass die grundlegende Theorie zur Toxizität der Sauerstoffradikale fehlerhaft sei. Viele Patienten verwenden möglicherweise teure antioxidative Medikamente, die auf völlig falschen Theorien basieren. Aus diesen Erkenntnissen kann abgeleitet werden, dass alle Theorien, die sich auf die Entstehung von Krankheiten durch freie Radikale beziehen, sowie der therapeutische Wert von Antioxidantien zumindest neu bewertet werden müssen. Zu diesen Gegenthesen aus der Wissenschaft stellte das Landwirtschaftsministerium der USA 2012 fest, dass es keinen Beweis für die Theorie der freien Radikale gebe, sodass die Theorie in ihrer Grundform als überholt betrachtet werden könne. Was jedoch sehr wohl für unsere Zellgesundheit von Relevanz ist, ist die Mitochondrienfunktion. Sie ist unerlässlich für die Energieproduktion unserer Zellen und viel mehr Quelle des alles antreibenden Moleküls ATP als freie Radikale (dazu später mehr).

Naja! Bislang waren auch wir überzeugt: Frischer Salat, Gemüse in rauen Mengen und dazu antioxidative Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin E und C – all das hält jung. Denn die Theorie scheint so unglaublich schlüssig. Und was ihren zerstörerischen Effekt für unsere Jugend und Gesundheit angeht, dürfte sie bis heute eine der anerkanntesten in der Altersforschung sein. Die Theorie der »freie Radikale« stammt von DENHAM HARMAN, Professor am Nebraska Medical Center in Omaha. Er war Chemiker und Mediziner, deshalb hatte er eine besondere Spürnase für molekulare Prozesse in unserem Körper. Seine Überlegung lautete: Wenn Lebewesen mit niedrigerer Stoffwechselrate länger leben, könnte das an der geringeren Menge von Sauerstoff liegen, die sie jeden Tag pro Kilogramm Körpergewicht einatmen? Was wäre, wenn es der Sauerstoff wäre – oder genauer gesagt, seine aggressiven Nebenprodukte bei der Verstoffwechselung dieses Moleküls, die den Körper altern lassen? Das würde bedeuten, dass Tiere mit schneller Atmung und hohem Stoffwechsel viel mehr davon bilden und deshalb früher sterben. So entdeckte er die freien Radikale, und seine Veröffentlichung dazu im Jahr 1956 machte Furore. Mehrmals wurde er für den Nobelpreis vorgeschlagen, erhielt ihn aber nie.

Sauerstoff – Lebenselixier und zugleich heimlicher Mörder?

Freie Radikale entstehen in unserem Körper, wenn unsere Mitochondrien (die Zellkraftwerke, dazu hören wir später noch viel mehr) Energie unter Sauerstoffverbrauch produzieren. Der Vorgang wird »Atmungskette« genannt. Der Sauerstoff, den wir über die Lunge aufnehmen, wird dabei »radikalisiert« – zu einem sogenannten Hydroxylradikal zum Beispiel. Dieses wird enorm aggressiv allein durch die Tatsache, dass einem seiner Elektronenpaare ein Elektron verloren geht. Das Molekül mit dem verbliebenen, nun »ungepaarte« Elektron geht nun sofort auf Raubzug. Es sucht sich nämlich andere Moleküle, denen es ein Elektron entreißen kann – um erneut sein Elektronenpaar wieder zu vervollständigen. Dabei kann es Proteine, Fette und sogar unsere DNA zerstören. Das ist zum einen ein ganz normaler Prozess, weil er permanent abläuft, zum anderen ist er ganz und gar nicht angenehm – und wird, wenn viele freie Radikale in den Zellen unterwegs sind, »oxidativer Stress« genannt.

Es wäre schwer nachvollziehbar, wenn unser Körper keine Abwehrmechanismen gegen diese Bataillone von Miniatur-Zerstörern entwickelt hätte. Schließlich sind diese ja wohl seit Hunderttausenden von Jahren in sämtlichen tierischen und menschlichen Zellen unterwegs. Dem ist wohl auch so, und da ist der Haken in HARMANs Theorie. Denn heute weiß man: Der Anstieg von freien Radikalen in der Zelle führt zu einer oxidativen Stressreaktion, die Schutzmechanismen in der Zelle aktiviert. MICHAEL RISTOW, Professor für Energiestoffwechsel an der ETH in Zürich, fand heraus, dass unser Körper offenbar Abwehrkräfte gegen oxidativen Stress entwickelt, wenn er mit freien Radikalen konfrontiert wird. Er hat diese Abwehrreaktion »Mitohormesis« getauft. Und noch mehr: Wer nun hochdosiert Antioxidantien zu sich nimmt, erreicht das Gegenteil – er blockiert diese körpereigene Abwehr. Zur Verdeutlichung: Beim Training von Sportlern beispielsweise entstehen – aufgrund der erhöhten Sauerstoffaufnahme – sehr viel mehr freie Radikale als im Ruhezustand. Wenn diese Sportler hochdosiert Antioxidantien einnahmen, wurden die freien Radikale blockiert – und die gesundheitsfördernde Wirkung des Trainings gleich mit. Woran das liegt? Nun, bereits seit PARACELSUS wissen wir, dass geringe Mengen einer prinzipiell schädlichen Substanz gesundheitsfördernd sein können. Diese Form der »Impfung« mit freien Radikalen scheint für unseren Organismus höchst positiv zu sein. Aber ebenfalls von PARACELSUS haben wir gelernt: »Dosis facit venenum.« (»Die Dosis macht das Gift.«) Also: Unser Körper braucht offenbar eine aktive Auseinandersetzung mit freien Radikalen, um die natürlichen Schutzmechanismen zu aktivieren. Starker oxidativer Stress allerdings ist nachgewiesenermaßen schädlich. Das gilt zum Beispiel für Raucher, die mit jedem Zug an der Zigarette gigantische Mengen an freien Radikalen inhalieren, aber auch für Menschen, die in stark verschmutzter Luft leben müssen. Und schlechte Nachrichten auch für Sonnenanbeter: UV-Licht lässt freie Radikale sprudeln.

Wie ist nun der Alterungsprozess hier einzuordnen? Es sieht leider ganz danach aus, als ob bei jungen Zellen freie Radikale und die entsprechenden Schutzmechanismen in einem ausgeglichenen Verhältnis stehen. Diese hübsche Balance scheint sich im Laufe des Lebens zu verschieben – zugunsten der Mörder, der freien Radikale. Das System unserer selbst gebildeten Antioxidantien scheint schwächer zu werden. Oxidierte, aggressive Substanzen häufen sich in den Zellen an. Bei der Parkinson-Erkrankung zum Beispiel gehen bestimmte Nervenzellen im Gehirn zugrunde. Und genau dort wurde ein stark erniedrigter Oxidationsschutz festgestellt.

Freie Radikale sind also offenbar entscheidenend für den schleichenden Selbstzerstörungsprozess unserer Zellen. Sie zerstören DNA, oxidieren Proteine und die körpereigenen Schutzmechanismen lassen mit dem Alter nach. Auch gelingt es immer weniger, die von freien Radikalen schachmatt gesetzten, oxidierten Proteine abzubauen und aus den Zellen »in den Müll« zu schleusen. So stehen Radikale unter Generalverdacht, ja unter Anklage: Sie sollen erheblich an der Entstehung von altersbedingten Krankheiten wie Krebs, Arteriosklerose und Diabetes mellitus beteiligt und auch Mittäter bei Parkinson und Alzheimer sein. Also: Obwohl die antioxidative Schutzwirkung von Salat und Gemüse, von Vitamin C und E, sowie von Q10 bis heute nicht eindeutig nachgewiesen ist, scheint es immer noch sinnvoll zu sein, darin geradezu zu baden.

Wie gesagt: Sie müssen stark sein. Nun geht es weiter mit dem, was unser Körper an Selbstzerstörungsmethoden auf Lager hat.

Die Telomertheorie

Eine weitere wissenschaftlich akzeptierte Theorie im Mosaik der Degenerationsprozesse ist die »Telomertheorie«.

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Telomere erinnern an Hartkapseln, die die Enden unserer Schnürsenkel schützen. Die schützenden Enden nehmen im Alter ab.

Telomere sind die Schutzkapseln am Ende der in der arbeitenden Zelle ordentlich zusammengefalteten und aufgerollten Chromosomen. Sie sorgen dafür, dass die 46 Chromosomen in jeder unserer Zellen weder untereinander verkleben noch verhaken – und, dass die Zellteilungen, bei denen sich sämtliche Chromosomen auswickeln und verdoppeln, schön geordnet ablaufen.

Was die beiden Nobelpreisträger BARBARA McCLINTOCK und HERMANN JOSEPH MULLER über diese Schutzkapseln herausfanden, war eine Sensation: Mit jeder Zellteilung verkürzen sie sich an den Chromosomenenden ganz leicht. Und das Bestürzende dabei ist: Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen der Kürze der Telomere und dem Alter. Je kürzer die Telomere, desto weiter fortgeschritten ist der Alterungsprozess.

Und wenn die Kapselenden eine bestimmte Kürze erreicht haben, dann hört die Zelle auf, sich zu teilen. Aus, basta. Dann beginnt im besten Falle die Selbstzerstörung der Zelle: Dieser programmierte Zelltod wird als »Apoptose« bezeichnet. Schlimmer wird es, wenn die Zelle plötzlich anders tickt als vorgesehen – oder gar Amok läuft. Dann kann im schlimmsten Fall sogar Krebs drohen, dann degenerieren ganze Gewebe.

ALTER

TELOMERLÄNGE (Anzahl Basenpaare)

Neugeborenes

10.000

35-Jährige

7500

65-Jährige

4800

Zellteilungen – nur begrenzt möglich

Mit diesen bahnbrechenden Enthüllungen zu der Funktion der Telomere konnten die Forscher eine frühere, ebenso bedeutsame Erkenntnis von LEONARD HAYFLICK begründen. Der hatte nämlich schon 1965 mit der verbreiteten Auffassung aufgeräumt, dass sich unsere Zellen ewig weiter und weiter teilen würden. Wie bei den Einzellern halt. Nix da! Zumindest der allergrößte Teil unserer Körperzellen hat nur eine bestimmte Zahl von Teilungen im Köcher … bis sie sich zunächst nur noch ganz langsam, später aber gar nicht mehr teilen und schließlich den programmierten Zelltod einleiten. Nur Krebszellen ticken anders, leider. Sie können sich unendlich teilen. Unsere Stammzellen teilen sich ungleich länger als Körperzellen, aber auch sie altern. Die schleichende Impotenz der Zellen hängt also mit sich verkürzenden Telomeren zusammen.

Und nun beleuchte ich (Dominik) die gängige Auffassung, der Stein der Weisen – also die Alterungsursache – sei mit der Theorie der sich verkürzenden Telomere gefunden. Denn ob sie tatsächlich der Treiber für unseren Alterungsprozess sind, ist weiterhin Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Es muss immerhin auch festgestellt werden, dass in normalen Körperzellen die Telomerverkürzung von geringer Bedeutung ist, weil sich die ausdifferenzierten Körperzellen weniger teilen. Für den Ersatz alter Körperzellen sind hauptsächlich unsere Stammzellen verantwortlich, die wiederum eine Telomerase, also die selbständige Telomerverlängerung, zur Verfügung haben. Die Telomerase ist ein Enzym im Zellkern, das dafür sorgt, dass verkürzte Telomere in ihrer vollen Länge wiederhergestellt werden.Außerdem zeigte sich kürzlich, dass nicht die bloße Länge, sondern sehr wohl die Telomerstruktur entscheidend ist für die »Telomergesundheit«. Ein Team von Wissenschaftlern aus Sydney unter der Leitung von Dr. TONY CESARE (Head of the Genome Integrity Unit, Children Medical Research Institute) hat 2018 entdeckt, dass die Schleifenbildung der Telomere der entscheidende Faktor ist, der das Ende der Chromosomen schützt. Im nächsten Schritt muss nun geklärt werden, ob die Gesundheit des Menschen mit seiner Telomergesundheit wirklich zusammenhängt. Aktuelle Forschungsergebnisse wie das aus Sydney legen nahe, dass es um mehr geht, als um die Messung der Telomerlänge. Es ist immer noch nicht restlos geklärt, ob die Telomerverkürzung die Ursache oder nur ein Symptom des Alterns ist.

Spannend bleibt allerdings, dass die Länge der Telomere bei der Geburt offenbar sehr unterschiedlich sein kann. Die einen haben also genetisch ein längeres Zellleben programmiert, die anderen ein kürzeres. Aber auch Umweltfaktoren, Lebensstil und vor allem Stress haben direkte Auswirkungen auf die Länge oder eben die Kürze der Telomere. So untersuchte ELIZABETH BLACKBURN von der University of California die Telomerlängen von zwei Gruppen von Müttern. Die eine Gruppe zog gesunde Kinder auf, die andere Gruppe musste sich ihren chronisch kranken Kindern widmen. Eindeutig wies die Gruppe der dauergestressten Mütter kranker Kinder viel kürzere Telomere auf als die der weniger belasteten Mütter – obwohl sie gleich alt waren. Auf dieser Erkenntnis bauten die Wissenschaftlerinnen des BLACKBURN-Teams eine Theorie der Hoffnung auf, die sich mittlerweile vielfach nachweisen ließ: Die Telomerlänge lässt sich durchaus beeinflussen – von uns selbst nämlich! Der Lebensstil macht’s möglich.

Kurz vor Weihnachten 1984 hielt sie – gemeinsam mit ihrer Kollegin CAROL GREIDER – endlich den Nachweis der Telomerase in Händen. Eine Weltsensation! Das war 2009 den Nobelpreis wert. Denn das Team um ELIZABETH BLACKBURN legte nicht nur den physischen Einfluss auf die Telomerlänge offen, sondern entdeckte auch das »Jungbrunnenenzym« Telomerase. Ausgerechnet die unscheinbaren Einzeller mit Namen »Tetrahymena« (oder auch Wimpertierchen genannt) waren die willfährigen Gefährten dieser Entdeckung. Wie alle Einzeller teilen und teilen und teilen sie sich – unendlich. Wenn sie nicht gefressen werden oder an anderen Schrecklichkeiten zugrunde gehen. Das haben wir ja bereits gelernt.

Die Besonderheit der Wimpertierchen-DNA: Deren Telomere verkürzen sich nicht – was sie dem Enzym Telomerase zu verdanken haben. Dieses sorgt unermüdlich dafür, dass bei Teilungen verlorengegangene Basen hübsch ordentlich ersetzt und die Kapsellänge konstant gehalten wird. Von dieser Telomerase haben Wimpertierchen (im Verhältnis natürlich) viel mehr als wir. Ersetzt man bei ihnen die Telomerase durch eine inaktivierte Variante, verkürzen die Telomere sich bei jeder Zellteilung, bis die Zellen irgendwann ihre Teilungen einfach einstellen … und zugrunde gehen.

So konnte auch nachgewiesen werden, dass Menschen mit einer genetisch bedingten höheren Telomerase-Produktion deutlich weniger altersbedingte Krankheiten erleiden wie Alzheimer oder Herzinfarkt – aber sehr viel krebsanfälliger sind. Das ist die Schattenseite des Jungbrunnenenzyms: Es ist der »Sprit«, der die aggressive Teilung der Krebszellen befeuert. Was allerdings die Pharmaindustrie und Biotech-Start-ups nicht davon abhält, an Telomerase-Medikamenten zu forschen, um die Telomerlänge zu stabilisieren und damit den Alterungsprozess zu verlangsamen. Das bedeutet natürlich auch: Da muss und wird noch sehr viel Forschung laufen – gegen die Krebsgefahr! Denn umgekehrt könnte man die Telomeraseaktivität in Krebsgeschwüren hemmen, was das Tumorwachstum blockieren würde.

Eine Frage drängt sich jetzt natürlich auf: Was passiert denn mit unseren Organen und Geweben – wenn immer mehr Zellen den programmierten Zelltod sterben? Dann ist es doch eigentlich ein Wunder, dass wir bis zu 120 Jahre alt werden können!?

Mit der Antwort auf diese Frage machen wir später ein ganz großes Fass auf – das der Stammzellen. Die sitzen sozusagen in Erste-Hilfe-Nischen überall im Körper herum: Im Dünndarm, im Knochenmark, in den Gefäßwänden, in der Leber und in den Haarfollikeln, also überall dort, wo Zellen schnell und zuverlässig neu gebildet werden müssen. Die Fähigkeit dieser adulten Stammzellen (also derjenigen Stammzellen, die anders als die embryonalen Stammzellen noch nach der Geburt vorhanden sind), abgestorbene Zellen neu zu bilden, lädt natürlich zu großartigen Fantasien ein, Alterungsprozesse zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Dazu ab > mehr.

So, zurück zu den über 300 Theorien zu der Frage, woran es denn nun liegen mag, dass wir alle sterblich sind – innerhalb der Spanne von allerhöchstens 120 Jahren. Mögen Sie wirklich noch mehr dazu erfahren? Über das »Entzündungsaltern« zum Beispiel, für das die verkürzten Telomere genauso verantwortlich gemacht werden wie ein mit den Jahren überreagierendes Immunsystem? Über die damit verbundene »Immunalterung« vielleicht, die besagt, dass die im Laufe der Jahre erworbene Immunabwehr langsam, aber sicher abnimmt?

Oder wie wäre es mit der »Hormontheorie« des Alterns? Die Hormonproduktion lässt nach, die Rezeptoren für diese Hormone an den Zielorganen funktionieren nicht mehr richtig, die Organe schrumpfen (besonders schöne Vorstellung, oder?) – und das Wachstumshormon sagt leise Servus …

Na, und dann ist natürlich alles rund um das Thema Genregulation und Altern zu diskutieren. Liegt im Anstieg der Mutationshäufigkeit vielleicht der wichtigste Schlüssel für das Verständnis des Hormonschwunds, der Immunproteine und der Telomeraseaktivität?

Schließlich noch die Epigenetik! Das Helmholtz Zentrum München beispielsweise fand heraus, dass junge Zellen der Lunge sehr synchron arbeiten – ältere Zellen sind da weniger diszipliniert, manche sind sehr aktiv, andere trödeln und schränken die Lungenfunktion ein. Das scheint nicht an Veränderungen innerhalb der DNA zu liegen, also etwa Mutationen als Auslöser zu haben. Der Grund dafür ist in sogenannten epigenetischen Ursachen zu finden: Steuerungsfaktoren um die DNA herum entwickeln im Laufe der Zeit offenbar ein gewisses Eigenleben …

Möchten Sie auch hier noch ein bisschen tiefer gehen? Wir meinen: Es reicht erst einmal. Zweierlei dürfte Ihnen im Laufe dieses Kapitels sicherlich nicht entgangen sein. Zum einen: Die Natur hat viele, viele todsichere Mechanismen kreiert, die uns garantiert zu sterblichen Wesen machen. Zweitens: Wie die vielen verschiedenen Kaskaden des Verfalls ineinandergreifen, sich verstärken, blockieren, dem einen vielleicht noch ein paar schöne Jahre verschaffen, dem anderen aber einen frühen Tod bescheren, ist noch überhaupt nicht geklärt. Klar ist nur: Die Sache mit dem Altern ist enorm komplex – und damit enorm spannend. Je mehr wir die einzelnen Zusammenhänge des Verfalls verstehen, umso mehr wächst die Sehnsucht danach, dann doch eine Art roten Faden zu spinnen, an dem wir uns mehr und mehr orientieren können, um zu verstehen: Was ist hier Henne und was ist Ei in diesem unerbittlichen Prozess des Verfalls? Wenn wir davon mehr verstehen, dann eröffnet sich auch die eine oder andere Chance, für jeden von uns ein wenig verlängernd am Rad der Zeit zu drehen. Und genau an diesem roten Faden wollen wir im Folgenden spinnen.

Gibt es nun doch noch etwas zu sagen, am Ende dieses, sagen wir, existentiellen Kapitels? Wie wäre es mit der Weisheit von einem, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte und es immerhin bis zum römischen Kaiser und auf ein Alter von 58 Jahren brachte? »Verachte nicht den Tod, sondern befreunde dich mit ihm, da auch er eines von den Dingen ist, die die Natur will.« (MARC AUREL)