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Inhaltsverzeichnis

Impressum 2

Kapitel 1 3

Kapitel 2 18

Kapitel 3 29

Kapitel 4 46

Kapitel 5 62

Kapitel 6 81

Kapitel 7 98

Kapitel 8 106

Kapitel 9 119

Kapitel 10 135

Kapitel 11 146

Kapitel 12 157

Kapitel 13 173

Kapitel 14 191

Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2020 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-4504-3

ISBN e-book: 978-3-7103-4734-4

Umschlagfoto: © Alexandra Barbu, Terriana | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: united p. c. Verlag

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Kapitel 1

„Josie! Josie, hörst du mich?” Carmen Peters rief ihre Tochter zum wiederholten Male. „Komm endlich runter, es gibt bald Abendessen!“ Sie klopfte noch einmal nachdrücklich gegen die Badezimmertür und verließ dann seufzend das Obergeschoss. Eine Tochter von vierzehn Jahren allein großzuziehen, war wirklich nicht leicht. Sie war nicht streng genug, das musste endlich aufhören.

Josie saß indes in der Badewanne und sah fasziniert dem Rauch hinterher, der von ihrer Haut aufstieg. Sie dachte an die Zeit in Kelnas. Nie hätte sie sich träumen lassen jetzt hier zu sein, auf dem Land, in einem winzigen Ort der gerade so tausendfünfhundert Einwohner zählte. Draußen war kein Laut zu hören. Der Wind blies in sanften Wogen über die Felder und rüttelte sacht an den Fensterläden. Der Lärm der Großstadt lag noch nicht lange hinter ihr und auch nicht der Tag, der alles so verändert hatte. Selbst jetzt lief ihr immer noch ein Schauer über den Rücken, sie spürte noch das Kribbeln im Nacken und das Klopfen ihres Herzens, welches sie aus Angst jedes Mal fast wahnsinnig gemacht hatte.

Es war vor einem dreiviertel Jahr, an einem grauen Septembertag gewesen. Der Himmel war dunkel und ließ den nahenden Regen bereits ahnen. Josie lief wie jeden Morgen den gleichen Weg zur Schule, über die Mondsteinallee, mit ihren noblen Geschäften und Boutiquen, deren Auslagen immer den teuersten Schmuck und besten Wein der Stadt präsentierten, aber an diesem Morgen noch seltsam ruhig und verlassen wirkte. Dann, durch eine kleine Gasse, bei der man an einer alten Papierfabrik vorbei kam. Hier herumzustöbern hatte ihr Früher viel Spaß bereitet, doch jetzt kannte sie jeden Winkel des alten Gebäudes und fand nichts mehr Interessantes daran. Am Eingangstor der alten Fabrik spürte sie es dann zum ersten Mal. Dieses Gefühl von etwas Höherem, als ob jemand versuchte in ihre Gedanken einzudringen. Josie schaute sich panisch um. Die Straße hinter ihr und vor ihr war menschenleer. Als ihr Blick auf die alte Fabrik fiel wurde ihr Herz zusehends schwerer. Irgendetwas war anders heute. Es fehlte etwas oder war verstellt worden, wie in einem Stillleben, indem ein Gegenstand ausgetauscht worden war, um den Ausdruck zu verändern. Josie konnte sich nicht erklären, woher dieses ungute Gefühl kam, doch als sie nichts feststellen konnte ging sie weiter Richtung Schule. „He Josie, was ist mit dir, du siehst heute so blass aus?“ Eine Freundin Josies war schon mit wehenden Locken auf sie zugeeilt. Josie schüttelte nur mit dem Kopf. „Irgendwie ist mir einfach nur schlecht“, sagte sie nervös und setzte sich auf ihren Platz am Ende des Klassenzimmers. Den ganzen Vormittag über konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Als das letzte klingeln den Unterricht beendete, eilte Josie, ohne ein Abschiedswort an ihre Freunde zu richten, aus der Schule. Sie konnte es kaum erwarten, zurück zu der alten Papierfabrik zu kommen. Sie glaubte weder an Geister noch an sonst irgendwelche übernatürlichen Fähigkeiten, die ein Mensch angeblich haben konnte. Deshalb war sie sich sicher, sich dieses Gefühl nur eingebildet zu haben. In der Gasse angekommen, verlangsamte sie ihren Schritt. Es war wieder kein Mensch weit und breit zu sehen. Als sie das Eingangstor erreicht hatte, fühlte sie es wieder. Etwas Kaltes schlich sich in ihren Kopf, wie eine Schlange. „Aaaaaarrrrrrggghhhh, das ist doch alles Blödsinn!“, rief sie wütend aus und stapfte zähneknirschend in den Innenhof der Fabrik. Sie scannte alles genau, jeden Winkel, jede Mauer. Gerade, als sie sich schon triumphierend abwenden wollte, sah sie einen seltsam aussehenden Mann, an einer der Gebäudepfeiler lehnen. Josie rutschte das Herz buchstäblich in die Hose. Sie drehte sich prompt um und lief wie von Sinnen auf die Gasse zurück. Beim Laufen warf sie noch einmal einen panischen Blick zurück und sah zu ihrer Verblüffung nur eine ganz normale Hauswand in der ein alter Pfeil steckte. Konnte sie sich denn so sehr getäuscht haben? Sie rannte weiter nach Hause und blieb erst unmittelbar vor ihrer Wohnungstür stehen. Dann lief sie nach oben in ihr Zimmer und schloss sich ein.

Erst hatte sie geglaubt, es sei alles nur ein schlechter Traum gewesen und mied die kleine Gasse. Doch schon bald sah sie den Mann an jeder Straßenecke oder Häusernische. Auch jeder Schatten und jeder Stein, der dunkel genug war, zeigte sein Gesicht. Er hatte sehr grob geschnittene Züge, dichte dunkle Augenbrauen und eine feine aber schiefe Nase. Seine Augen waren sehr schmal und trotzdem sah man, dass er keine Pupillen hatte. Nur das Weiß seiner Augen starrte sie an. Er trug Kleidung aus Leder und Pelz und wirkte beinahe so, als würde er aus einer Zeit stammen, in der noch Burgen und Drachen genauso selbstverständlich waren, wie heute Fernseher und Internet. Josie konnte sich dies alles nicht erklären. Nacht für Nacht träumte sie nun auch von einer Burg und recherchierte stundenlang im Internet über derartige Aussetzer des Gehirns. Doch ihre Suche blieb erfolglos. Josie schloss sich immer öfter in ihrem Zimmer ein und ging immer seltener zu ihren Freunden. Ihre Mutter machte sich mehr und mehr Sorgen um sie. Sie war es nicht gewohnt einen verschlossenen, zurückhaltenden Teenie im Haus zu haben. Josie war immer sehr aufgeweckt und launisch gewesen. Ihre Sturheit machte ihrer Mutter schwer zu schaffen, doch da Josie nie unfreundlich oder aufsässig war, hatte sich ihre Mutter damit abgefunden. Doch diese drastische Veränderung hatte Carmen Peters nachdenklich gemacht und so hatte sie Josie kurzer Hand zu einem Arzt geschickt, um Gewissheit zu haben, dass Josie nicht doch ernsthaft krank war.

Die Ergebnisse des Arztes waren eindeutig. Josie hätte für ein vierzehnjähriges Mädchen nicht gesünder und kräftiger sein können. Josie hatte schon fast gehofft eine Krankheit zu haben, um ihre Panikattacken erklären zu können, die langsam immer schlimmer wurden.

Als es eines Tages so schlimm wurde, dass sie sich weigerte das Haus zu verlassen, sah sich ihre Mutter gezwungen einen Psychologen zu Rate zu ziehen. Nach langem Sträuben und Zetern, erzählte Josie endlich was sie bedrückte. „Ich bin nicht verrückt Doktor“, begehrte sie auf. „Glauben sie mir, ich bin selbst der Meinung, das ich mir das nur alles einbilde, aber ich habe einfach Angst vor diesem Trugbild. Bitte, können sie mir nicht irgendwelche Drogen geben, damit diese Wahnvorstellungen endlich aufhören?“ Der Doktor sah sie lange schweigend an. „Nagut Josie, wir machen ein Experiment. Du fährst mit deiner Mutter in den Ferien weit weg und schaust wie es dir in einer anderen Umgebung ergeht. Sollte es nicht besser werden nimmst du diese Pillen hier einmal täglich ein und kommst sofort wieder zu mir. Einverstanden? Josie grinste breit. „Jepp.“

Die Herbstferien bei ihrem Onkel waren super. Josie blühte wieder auf und wurde genauso frech wie Früher, dabei vergaß sie sogar ein paar Mal den Mann in der Stadt. Sie wohnten auf einem abgelegenen Bauernhof, nahe Hamelin und halfen ihrem Onkel Fred bei der Arbeit. Sie durfte Kühe melken, die Pferde striegeln und den Schweinen Futter bringen. Auch ihre beste Freundin Susan war immer dabei. Ihren Computer vermisste sie überhaupt nicht und Josie freute sich über ihre neu gewonnenen Muskeln. Doch als sie wieder nach Hause kamen, ging der Spuk wie gewohnt weiter und sie fing an, immer mehr Pillen zu nehmen. Ihre Mutter hatte sich das ganze voller Zweifel einige Wochen angeschaut, doch bald sah sie keinen Ausweg mehr. „Josie wir müssen reden.“ Josie war gerade dabei ein Poster ihrer Lieblingsband aufzuhängen. In ihrem Zimmer war mittlerweile kein Stück Wand mehr zu sehen. „Was gibt es denn?“ Josie sah kaum auf, so vertieft war sie in ihre Arbeit. „Es geht so nicht mit dir weiter. Ich kann nicht mit ansehen, wie du immer mehr Tabletten nimmst, nur um zur Schule gehen zu können. Ich habe einen Entschluss gefasst. Morgen werde ich meine Arbeit kündigen und wir werden zu Onkel Fred nach Hamelin ziehen.“ Josie schaute sie schockiert an. „Aber meine Freunde …“, setzte sie an, dann schwieg sie wieder. „Deine Freunde nützen dir gar nichts, wenn du aus purer Angst keine Zeit mit ihnen verbringen kannst.“ Carmen nahm ihre Tochter in die Arme. „Sieh es als Neuanfang, vielleicht finden wir ja beide unser Glück dort.“

Schon vier Wochen später zogen sie aus ihrer Stadtwohnung aus. Ihr Onkel gab der kleinen Familie ein großes Stück Land, auf dem ihre Mutter nun die Aufsicht über Kräuter, Gemüse, Obst und viele, viele Blumen bekam. So konnten sie sich ihren Lebensunterhalt finanzieren und die Arbeit machte beiden richtig Spaß. Das Stück Land beinhaltete eine Fläche von ungefähr vier Fußballfeldern, wobei die Hälfte davon noch mit Laub und Nadelwäldern bedeckt war. Das Beste waren nicht die unzähligen wilden Früchte die darin wuchsen, obwohl Josie kaum einen Tag ohne Bauchschmerzen vom vielen essen nach Hause kam, sondern die riesige Schaukel, die ihr Onkel Fred als Willkommensgeschenk in den höchsten Baum eingebaut hatte. Um sie benutzen zu können, musste Josie einige Meter an dem dicken Stamm nach oben klettern. Ihre Mutter hatte nur verständnislos mit dem Kopf geschüttelt. „Solltest du dir auch nur einen kleinen Knöchel damit verstauchen Josie Peters, lasse ich sie sofort wieder entfernen.“

Josie liebte diese Schaukel. Sie verbrachte fast mehrere Stunden am Tag damit, kopfüber hin und her zu schwingen, sich im Wind treiben zu lassen oder gefährliche Saltos zu üben. Sie wusste, dass es ziemlich merkwürdig für ein Mädchen in ihrem Alter war, doch das störte sie nicht. Wenn sie kopfüber in der Schaukel hing, hatte sie einen wunderbar freien Kopf und konnte sich fast so gut entspannen, als würde sie schlafen oder meditieren. Ihr schoss nie nach ein paar Minuten das Blut in den Kopf, wie bei normalen Menschen und sie war auch nicht gerade böse darum.

Die ganze Geschichte mit dem Umzug ist nun schon einige Monate her, dachte Josie und blies den Schaum von ihren Füßen. Seitdem war sie wieder so glücklich wie zuvor, doch den Streich, den ihr da ihr Gehirn gespielt hatte, kann sie sich bis jetzt nicht erklären. Sie wusch sich zu Ende und krabbelte dann ziemlich unbeholfen aus der Badewanne. Das Mädchen was sie nun im Spiegel vor sich sah lächelte und sah sie mit großen Augen an. Ihre Haare fielen in sanften Wellen bis hinunter auf die Schulterblätter. Das Blond stand ihr wohl ganz gut, wie sie fand und es betonte irgendwie ihre grünen Augen unheimlich. Sie band sich das Haar achtlos in einen leichten Knoten zusammen und ging dann zurück in ihr Zimmer. Ihr Zimmer war fast mit das größte im ganzen Haus. Sie hatte herrliche zwanzig Quadratmeter für sich alleine, die sie auch voll ausnutzte. Das Zimmer war in warmen orange und rot Tönen gehalten. Ihr Bett war riesengroß und sie liebte es stundenlang darauf herumzuspringen und lauten Poprock zu hören. Dem Bett gegenüber hing ein Fernseher an der Wand, der permanent lief selbst wenn sie Musik hörte. Sie mochte es nicht allein zu sein und ständig waren ihre neuen und alten Freunde bei ihr, um mit ihr zu tanzen oder einfach nur rumzuhängen. Ihre Mutter kam erst spät abends nach Haus und so bekam sie von dem Konsumgenuss ihrer Tochter wenig mit. Morgen war ihr fünfzehnter Geburtstag und alle ihre früheren und neuen Freunde kamen, um bei ihr im Garten zu übernachten. Seit Tagen hatte sie alles genau geplant, sodass es an nichts mangeln sollte. Ihre Mutter hatte eine großzügige Geldsumme für den Einkauf spendiert und die Tatsache, dass es ihre erste Party ohne Eltern war, beflügelte sie am meisten.

In dieser Nacht träumte Josie sehr schlecht. Sie war wieder zurück in Kelnas und beobachtete den Mann aus ihren Halluzinationen, wie er aus der Gasse in Richtung Hamelin loslief. „Er kommt!“, schrie sie immer wieder panisch, doch woher sie so überzeugt davon war, wusste sie selbst nicht. Die ganze Nacht noch verfolgte sie den Mann in ihren Träumen, der langsam immer näher und näher kam, bis sie schließlich am nächsten Morgen schweißgebadet erwachte. Josie vergrub das Gesicht in ihren Kissen und weinte bitterlich. Warum ich? Warum ausgerechnet Heute? Am ganzen Körper zitternd stand sie schließlich auf. Es war erst kurz nach sechs, doch sie konnte nicht mehr schlafen. Im Badezimmer warf sie einen Blick in den Spiegel. „Reiß dich zusammen Josie. Dieser Mann existiert nur in deiner Fantasie. Er kann dir nichts tun.“

Als ihre Mutter sie um acht Uhr wecken wollte, war Josie schon frisiert und fertig angezogen. „Stimmt etwas nicht mit dir Josie, du siehst so besorgt aus?“ Josie schüttelte schnell und heftig den Kopf. „Nein alles ok, es geht mir gut. Ich bin nur ein wenig aufgeregt, weil das meine erste Party ist, die ich ganz allein geplant habe.“ „Oh Josie, mach dir keine Sorgen, es wird eine wunderschöne Party werden und apropos … Alles liebe zum Geburtstag!“ Josies Mutter hielt ihr zwei Geschenke entgegen. „Das eine ist von mir und das andere von deinem Vater. Er hat es mir vor seinem Unfall gegeben und ich bin sicher er wollte das du es bekommst.“ Josie öffnete zuerst die kleine Schachtel mit dem Geschenk ihres Vaters. Sie konnte sich nicht mehr gut an ihn erinnern. Josie wusste nur, dass er einen schweren Unfall hatte, als sie vier Jahre alt gewesen war. Ihre Mutter sprach nicht gern von ihm, umso erstaunter war Josie jetzt über das Geschenk. Sie riss das Papier von der Schachtel und öffnete sie vorsichtig. Auf einem kleinen Samtkissen lag ein kleiner Schlüssel aus grob gehauenem Metall, mit einem wunderschönen blutroten Rubin in der Mitte. Josie starrte ihn lange an, wusste aber im ersten Moment nichts damit anzufangen. Dann bemerkte sie ein schmales Lederband und band es sich um den Hals. „Dein Vater hat ihn immer gehütet wie einen Schatz. Nicht ein einziges Mal hat er diesen Schlüssel abgenommen. Vielleicht ist er ein Talisman und eine Art Glückbringer.“ „Er ist wunderschön, ich werde ihn niemals wieder hergeben.“ Ihre Mutter lächelte sie an. „Dagegen sieht mein Geschenk ja richtig schäbig aus, soll ich es nicht lieber wieder umtauschen?“ Josie riss ihrer Mutter das zweite Päckchen aus den Händen. Es enthielt die neueste CD ihrer Lieblingsband. Josie fiel ihrer Mutter um den Hals. „Danke, danke, danke. Das sind die schönsten Geschenke die ich je bekommen habe.“

Es versprach ein wunderschöner Tag zu werden. Die Sonne schien klar und hell vom Himmel. Die Wetterfrösche hatten für den heutigen Tag siebzehn Grad versprochen und ihre Mutter hatte nur erlaubt draußen zu schlafen, wenn es mindestens fünfzehn waren. Josie schüttelte ihre trüben Gedanken beiseite und stürzte sich mit vollem Eifer in die letzten Vorbereitungen für das Fest. Sie machte Salate und kaufte Unmengen Saft und Fleisch ein. Als sie gegen Mittag fertig war, schlenderte sie schon voll bepackt den kleinen Waldweg entlang, der zu ihrem großen Garten führte. An einem umgefallenen Baum machte sie Rast, um ihre schweren Taschen abzustellen und ihre Muskeln zu entspannen. Sie blickte sich um und genoss den Augenblick. Die Sonnenstrahlen fielen durch die noch kahlen Zweige, die ersten Vögel sangen einsam ihre Lieder und eine sachte Brise lies den nahenden Sommer ahnen. Es war Mai und es roch nach Moos und nassem Gras. Ein Baum stach ihr besonders ins Auge, er besaß ein großes Astloch in etwa einem Meter Höhe und irgendetwas zog sie wie magisch dahin. Als sie näher kam flatterte gerade eine Amsel heraus und gab den Blick auf etwas silbrig Glänzendes preis. Sie nahm es heraus und erstarrte augenblicklich.

Das, das kann nicht sein …er ist nicht …er ist nicht schon so weit gekommen, … Josie zitterte am ganzen Körper und sah wie der Mann an einer Landstraße entlang schritt, die keine 30 km von ihr entfernt war. Taumelnd, starr vor Angst, ging sie langsam ein paar Schritte zurück und fiel über einen Ast der im Gebüsch lag. Es ist nicht möglich, … das kann einfach nicht sein, dachte Josie und blinzelte in die Sonne. In ihrer rechten Hand lag eine alte, grob gehauene Speerspitze.

Als sie sich die Speerspitze genauer betrachtete, fiel ihr ein kleines Zeichen, eine Art Symbol, auf, welches ihr sehr bekannt vorkam. Irgendwo hatte sie dieses Zeichen schon einmal gesehen, nur wo? Josie schüttelte den Kopf. „Jetzt reicht es aber langsam, steh auf“, sagte sie zu sich selbst. „Hör auf an so einen Unsinn zu denken, du hast eine Party vorzubereiten.“ Also rappelte sie sich auf, steckte die Speerspitze tief in die Hosentasche und lief zurück zu ihren Taschen.

Als sie endlich den Garten erreichte, war ihre beste Freundin schon längst angekommen. „Tut mir leid ich bin viel zu spät Susan“, fing Josie gerade an. „Ach, papperlapapp! Ich stehe hier auch erst seit zwei Minuten, alles Liebe zum fünfzehnten, ich hab für die Party noch jede Menge CDs mitgebracht. Oh und darf ich dir vorstellen, das ist Jack, er wohnt bei mir gleich um die Ecke und du hast doch gesagt ich könnte noch Freunde mitbringen.“ Wie nicht anders zu erwarten, redete ihre Freundin ohne Punkt und Komma weiter. Nach einer scheuen Begrüßung von Jack, stürzten sie sich dann alle in die letzten Vorbereitungen. Sie holten den Tisch aus einem alten Schuppen und arrangierten das Essen darauf. Susans Geschenk an Josie war eine riesige Geburtstagstorte, die Josie in der Eile des Gefechts ganz vergessen hatte. Dann kamen auch schon ihre neuen und alten Freunde und die Party konnte steigen. Der Nachmittag hätte besser nicht sein können. Sie hatten soviel Spaß, dass Josie sogar ihren Albtraum vergaß und unbekümmert mitlachte. Sie machten allerlei Unsinn, riefen fremde Handynummern an und versuchten den Leuten Waschmaschinen zu verkaufen oder spielten Dame in Lebensgröße, wobei manchmal zwei Personen auf den Schultern der Anderen saßen und gegeneinander kämpften. Gegen Abend saßen sie dann alle vor einem prasselnden Feuer, brutzelten Fleischstückchen, Marshmallows, Käse und andere Köstlichkeiten auf ihren Spießen und erzählten sich Peinlichkeiten aus ihrem Leben, wobei sie immer Punkte für besonders peinliche Situationen vergaben.

„Im Ernst Leute … die hat einen Ausschnitt, da kann man einfach nicht wegschauen …“, erzählte Brian gerade, er war ein Freund aus Josies alter Schule. „Josie kann euch das bestätigen, stimmt doch oder. Na jedenfalls bekomme ich überhaupt nichts mehr mit und starre die ganze Zeit, während mein Freund Tom mir in die Seite zwickt. Dann, ohne jede Vorwarnung, steht Miss Ketz auf, kommt zu mir herüber und knallt mir vor der ganzen Klasse eine. Das war vielleicht peinlich sag ich euch. Die ganze Klasse hat sich eine Woche lang das Maul über mich zerrissen. Aber das war noch nicht das Schlimmste. Ich hab auch noch einen Brief von der Schule erhalten den ich unterschreiben lassen musste und mein Alter war nicht da. So musste ich das Ding meiner Mutter geben. Von der hätte ich dann beinahe noch eine Ohrfeige bekommen, konnte mich gerade noch rechtzeitig ducken. Was für ein Drama sag ich euch.“ Brian schaute nun gespannt in die Runde. „Das ist ne glatte acht würde ich sagen“, fing Josie an. Alle anderen stimmten ihr zu. „Na wartet erstmal bis ihr meine Geschichte gehört habt“, begann jetzt Susan. „Ich habe mir vor zwei Wochen abends heimlich den Horrorfilm Haunted Hill angeschaut. Ihr wisst ja, diese Geschichte mit der Irrenanstalt wo sie die Verrückten gefoltert haben. Danach habe ich mich nicht mehr aus meinem Zimmer herausgetraut um die Katze rauszulassen. Ich muss mich immer um Krätze kümmern, sonst darf ich sie nicht mehr behalten. Na zumindest ist sie dann dadurch die ganze Woche über Nachts im Flur geblieben, ich hab mich einfach nicht hinausgetraut, der Lichtschalter ist genau am anderen Ende und ich muss fünf Schritte im Dunkeln gehen. Dann ist meine Mutter eines Nachts aufs Klo gegangen und ist über die Katze geflogen. Ihr glaubt nicht wie das geknallt hat. Meine Mutter war so wütend das ich bis heute Hausarrest hatte.“ „Pah, nicht mal eine fünf bekommst du dafür“, rief Paul aus. Die Anderen jubelten. „Jetzt ist aber unser Geburtstagskind dran. Du musst mindestens neun Punkte bekommen, na los Josie!“ Josie fühlte sich so wohl, dass sie beinahe ihre Geschichte mit dem seltsamen Mann erzählt hätte. Doch als sie in die strahlenden Gesichter der Anderen blickte, brachte sie es doch nicht übers Herz. Nachher glaubten noch alle, sie würde den Verstand verlieren. „Ich hab was für euch, das ist mindestens eine zehn Wert. Ok. Letzte Woche Dienstag bahnte ich mir gerade mit meinem vollen Essenstablett einen Weg durch die Cafeteria, als mir Tobias über den Weg lief und mir zuzwinkerte. Ich blieb wie angewurzelt stehen und schaute mich um, ob er nicht ein anderes Mädchen meinte. Dann lächelte er mir noch mal zu und ich hab nichts Besseres zu tun, als vor der ganzen Schule mein Tablett fallen zu lassen.“ Brian konnte nicht an sich halten. „Fällst du das nächste Mal in Ohnmacht, wenn er dich ansprechen sollte, das wäre witzig.“ Die Anderen stimmten mit ein. „So zart besaitet kenne ich dich ja gar nicht Josie.“ „Ich dachte du machst dir nichts aus Jungs“, rief Susan ihr verschmitzt zu. „Ja, ja lacht nur über mich. Ich hatte mich auch nur erschreckt, weil ich ein gelbes Leuchten in seinen Augen gesehen habe.“ Das hätte Josie nicht erzählen dürfen, jetzt kugelten sich alle vor Lachen auf dem Boden. Nur Jack war bei ihren Worten zusammengezuckt und ziemlich blass geworden. Josie war froh, dass sie ihnen nicht alles erzählt hatte, denn sonst wäre sie noch Wochenlang verspottet worden. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte sie einen Puma in seinen Augen gesehen zu haben. Es war wie eine Art Warnsignal, ein Radar das ihr sagte, dieser Mensch ist gefährlich. Josie fand das alles sehr seltsam. Und überhaupt. Dafür, dass sie nicht an solchen übernatürlichen Quatsch glaubte, passierten ihr in letzter Zeit recht häufig solche Anomalien.

Dabei schwärmte sie doch eigentlich so für Tobias. Er sah wahnsinnig gut aus, hatte rabenschwarze Haare, die in alle Richtungen abzustehen schienen und ein einfach zu verführerisches Lächeln, das sämtliche Mädchenherzen in seiner Umgebung zum Schmelzen brachte. Er trug immer verwaschene Jeans und einfache weiße T-Shirts, also so gar nicht der derzeitigen Mode entsprechend, was aber seiner Beliebtheit keinen Abbruch tat, ganz im Gegenteil. „Ok, Josie hat gewonnen. Das sind wirklich mal 10 verdiente Punkte.“

Der Abend verging viel zu schnell und die Nacht brach langsam herein. Zum Abschluss ihres gelungenen Festes wollten sie alle noch eine Runde Gruselversteck spielen. Josie war mehr als einverstanden. Sie hatte ihren Lieblingsplatz im Garten von wo aus sie niemand sehen, geschweige denn finden würde und ein wenig Ruhe konnte sie nach diesen turbulenten Stunden auch gut gebrauchen. Als alle sich versteckten, Susan mit dem Zählen anfing und Josie ihren Platz gefunden hatte, streckte sich Josie im Gras aus und schaute hoch in den Himmel, der die ersten Sterne der Erde preisgab. Sie holte die gefundene Speerspitze aus ihrer Hosentasche und betrachtete jede Vertiefung und jeden Kratzer. Sie fuhr langsam mit dem Zeigefinger über das Symbol und auf einmal wusste sie woher sie dieses Zeichen kannte. Es war ein altes Zeichen für Reue. Sie kannte es aus einem alten Buch ihres Vaters, das sie mal vor Jahren gelesen hatte.

Genau in diesem Moment der Erkenntnis, sah sie wieder den Mann vor sich, viel deutlicher als jemals zuvor. Er war an dem Ortseingangsschild ihres Dorfes Hamelin angekommen. Er nahm seinen Bogen vom Rücken, spannte einen Pfeil darin ein und schoss ihn hoch in die Luft. Josie fuhr, wie von einem Blitz getroffen, in die Höhe, bedachte aber den dicken Ast über ihr nicht und stieß sich heftig den Kopf. In diesem Moment kam Susan direkt vor ihr aus dem Gebüsch und jubelte laut über ihren unverhofften Fund. Ungefähr eine Sekunde später sauste ein Pfeil direkt an ihrem Kopf vorbei und in die dichter stehenden Bäume hinein. Susan starrte erst entsetzt in den Himmel, dann fing sie laut an zu fluchen und presste ihre Hand auf das linke Ohr.

Alle traten aus ihren Verstecken langsam auf sie zu. Keiner wusste so recht was passiert war, nur Josie war immer noch wie erstarrt und schaute auf die dunkle Stelle im Wald, in die der Pfeil verschwunden war. So langsam kam Leben in die Gruppe und sie versuchten Susan zu beruhigen. Als endlich alle begriffen hatten, dass Susan sich irgendwie verletzt hatte, liefen einige los um Pflaster und dergleichen zu besorgen. Susan war nur leicht verletzt und die Wunde am Ohr, bei dem jetzt ein winziges Stück fehlte, war schnell gesäubert und mit einem Pflaster verbunden. Alle dachten ein Ast sei heruntergekommen und hatte Susan verletzt, nur Eine kannte die Wahrheit und die war aus ihrer Starre erwacht und suchte nun die Stelle im Wald, an die der Pfeil aufgekommen sein musste. Ein Junge hinter ihr fragte was sie suche und ohne sich umzudrehen oder zu überlegen, dass es sich für ihn komisch anhören müsste, sagte sie es. Der Junge stutzte kurz, aber ohne ein weiteres Wort fing er ebenfalls an, neben ihr das Gras zu durchforsten.

Nach einigen Minuten oder Stunden, wie es Josie eher vorkam, hatte sie tatsächlich Glück und fand wonach sie suchte. Der Pfeil sah aus, als wäre er geradewegs aus einem Museum entsprungen. Er hatte lauter Verzierungen auf dem Schaft, blutrote Federn und die Pfeilspitze sah genauso aus, wie die in Josies Hosentasche. Jetzt erwachte Josie wie aus einer Art Trance. Die ganze Zeit über hatte sie sich einreden können, es sei alles nur Hirngespinste ihres Gehirns, aber das hier war echt. Sie hielt den Beweis in ihrer Hand. Josie konnte einfach keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie zitterte am ganzen Körper. Das konnte, durfte alles nicht Realität sein. Das war doch physikalisch unmöglich. Der Junge neben ihr, sagte immer noch nichts zu ihrem Fund, obwohl er ihn schon längst bemerkt hatte. Jetzt setzte er sich langsam neben Josie und legte behutsam den Arm um ihre Schulter. „Darf ich dich mal etwas fragen, Josie. Warum wusstest du, dass nicht ein Ast sondern ein Pfeil Susan getroffen hat? Du warst sehr zielstrebig in deiner Suche und wirktest überhaupt nicht überrascht.“ Josie sah Jack nachdenklich an. Seine Augen waren bei dieser Dunkelheit nur schemenhaft zu erkennen und doch beruhigten sie Josie irgendwie. „Ich habe gesehen wie der Pfeil von einem Mann abgeschossen wurde, vom Ortseingang aus, dreh ich jetzt komplett durch?“ Jack sah sie erstaunt an. „Du hast den Grafen gesehen?“ Josie zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung ob das ein Graf war, das kann ich nicht beurteilen.“ Dann dämmerte es ihr langsam. „Moment mal, wieso glaubst du mir das vorbehaltlos und erzählst noch was von einem Grafen?“ Jack sah sie lange an. „Das ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, von der ich nicht glaube, dass du sie verstehen wirst, zumindest noch nicht.“ Josie konnte es einfach nicht glauben. Was bildete sich dieser Junge denn ein, hielt er sie für so einfältig. Ihre vorherige Angst verwandelte sich binnen Sekunden in unfassbare Wut. Jack hatte voller Faszination Josies Gesicht beobachtet und wusste was ihm drohte. „Bevor du mit deinen Beschimpfungen anfängst, lass es mich kurz erklären. Glaubst du an das Übernatürliche, an Geister die auf der Erde wandeln und die Menschen beschützen oder selbst ihre Geheimnisse wahren wollen? Ich nehme mal an, die Antwort lautet nein. So und nun kommt das was du nicht verstehen wirst. Der Mann den du gesehen hast, ist so ein Geist und du bist nicht verrückt, sondern siehst nur das, was er dir zeigen will.“ Josie hatte genug. Geister, Gespenster und wer weiß was noch alles. War denn plötzlich die ganze Welt verrückt? „Was für ein ausgemachter Blödsinn.“ Josie schnaubte verächtlich und sah ihn herausfordernd an. Jack grinste sie breit an. „Ich weiß zwar nicht viel über dich, aber Susan hat erzählt, du bist erst kürzlich hierher gezogen, weil du in der Stadt Angstzustände hattest. Also lass mich mal die Puzzleteile zusammenfügen. Du glaubst also nicht an Übernatürliches, hast aber trotzdem vor deinen Halluzinationen soviel Angst, dass du extra mit deiner Mutter umgezogen bist. Liege ich soweit richtig?“ Josie schaute ihn perplex an. Woher wusste er …? Wie konnte er nur an diesen ganzen Quatsch glauben? Und was hatte sie eigentlich mit all dem zu tun? Josie war vollends verwirrt und außer das sie vergaß zu atmen, was mit einem bitteren brennen ihrer Lunge belohnt wurde, rührte sie sich nicht von der Stelle. Jack wartete geduldig bis sie aus ihrer Starre erwachte und als sie aufblickte, zeigte ihr der helle Mond, die schönsten grünen Augen, die Josie je bei einem Jungen gesehen hatte. In diesen Augen spiegelte sich für sie Vertrauen und Zuversicht wider und sie fing mit einem Seufzen an zu erzählen. Als sie zu Ende erzählt hatte, ließ Jack sie unvermittelt los und stand auf. Erst jetzt wurde Josie bewusst, dass er die ganze Zeit über seinen Arm um ihre Schulter gelegt hatte und plötzlich war ihr das alles furchtbar peinlich. „Ich glaube nicht das dieser Pfeil dir Angst machen und dich oder Susan treffen sollte“, fing Jack an. „Wenn das so wäre, hätte der Graf aus kürzerer Distanz geschossen.“ Josie versuchte noch immer ihre Verlegenheit zu überspielen und möglichst teilnahmslos zu klingen. „Und was bitte sollte es dann sonst bedeuten?“ Jack schaute sie amüsiert an. „Ich glaube er wollte dich entweder vor etwas warnen oder dir etwas zeigen, wobei ich auf Letzteres tippe.“ Jetzt konnte Josie ihre gleichgültige Fassade nicht länger Aufrecht erhalten. „Was soll ich mir denn hier unbedingt anschauen?“ Ohne eine Antwort zu geben, ging Jack in die Hocke und fing an, Moos und Gras von einem großen Stein zu kratzen. Was Josie jetzt sah, ließ sie erneut den Atem anhalten. Dies war kein gewöhnlicher Stein, er sah aus wie ein umgefallener Grabstein, nur ohne die eingemeißelten Todesdaten. Etwas ganz Anderes war darauf abgebildet. Es war wieder das Symbol mit unzähligen Rosen umschlungen.

Josie hatte genug gesehen, das war zuviel für einen Tag. Sie rammte den Pfeil wütend in den Boden und ging ohne sich noch einmal umzudrehen, Richtung Lagerfeuer davon. Genug ist genug, dachte sie. Erst diese Halluzination, die sie wieder quälte, wobei sie aber diesmal erstaunlich ruhig damit umging und dann Jack, dem das alles ganz logisch erschien und auch noch zu wissen glaubte, was hier vor sich ging. Das, nannte sie mal eine Gruselgeschichte, die sie jedem bereitwillig erzählen würde, wenn nicht alles so verworren und komisch zugleich wäre.

Jack hatte nicht schlecht gestaunt, als Josie plötzlich ohne Vorwarnung auf und davon stürmte. Dass sie ein derartiger Hitzkopf war, konnte ihn noch in große Schwierigkeiten bringen. Er hatte sie nun aber schnell wieder eingeholt und fing an, leise auf sie einzureden. „Es tut mir leid, ich hätte dich nicht so vor den Kopf stoßen dürfen, aber unter dem Stein ist vielleicht eine Höhle und wir sollten nachsehen, wo sie hinführt.“ Unterdessen waren sie beim Feuer angekommen und wurden mit einem spöttischen Lächeln der Übrigen begrüßt. Außer Susan, die ziemlich finster ausschaute, konnten sich alle kaum zusammenreißen. „Wir, werden gar nichts tun, hast du mich verstanden?“, zischte Josie. Dann ging sie zu Susan, um nach ihrem Ohr zu sehen.

„Na du bist mir ja eine schöne Freundin. Während ich hier halb verblute, treibst du dich mit Jack im Unterholz herum. War es wenigstens schön?“ Als auch Susan sich ein Lachen kaum noch verkneifen konnte, dämmerte es Josie endlich und sie wurde knallrot bei dem Gedanken, was ihre Freunde gerade dachten. Deshalb setzte sie sich so weit wie möglich von Jack weg und lenkte das Gesprächsthema auf etwas Unverfänglicheres.

Als nach zwei Stunden auch der Letzte müde in seinen Schlafsack kroch, ließen Josie die Gedanken an den Stein und den darunterliegenden Tunnel nicht mehr los. Ob Jack wohl mit seiner Geschichte recht hatte? Aber wohin führte dann dieser Tunnel? Was lag dahinter? Welches Geheimnis mochte wohl dieser Graf haben? Als sie dann sanft einschlummerte und davon träumte den Stein wegzuschieben und in den Tunnel hinab zu steigen, tauchte am Rande ihrer Träume der Mann wieder auf, der ihr nickend zustimmte.

Sie wachte schlagartig wieder auf, als ein Ast im Feuer lautstark knackte. Alle Anderen schliefen ruhig und friedlich weiter. Der Himmel über ihr war mit tausenden von Sternen überzogen, es wehte kein Lüftchen, eine Eule flog lautlos über sie hinweg. Josie konnte einfach nicht anders, ihre Neugier gewann nun die Oberhand und sie stand schließlich auf. Leise bahnte sie sich einen Weg über die Schlafsäcke und vergewisserte sich im Vorbeigehen, dass alle ruhig darin schnarchten. Als sie dann wieder bei dem Stein angekommen war, verließ sie fast ein wenig der Mut. Der Stein wirkte majestätisch so wie er im Mondlicht schimmerte. Jetzt, da das ganze Moos weg war, sah man, wie weiß der Stein eigentlich war und dass er so überhaupt nicht hierher passte. Josie fing mutlos an den Stein zu verschieben, in der Erwartung, dass sie bei dieser Größe wohl kaum eine Chance hatte und war beinahe erschrocken, wie leicht ihr das gelang. Sie schob den Stein ganz beiseite und konnte nun auf einen dunklen Schacht blicken, der anscheinend tief unter die Erde führte. Josie sah etwas darin leuchten und ohne weiter nachzudenken, ließ sie sich in die Höhle gleiten.