FINISH IN DEN
ROCKY MOUNTAINS

Robert Lee Walker

edition oberkassel

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1
  2. Kapitel 2
  3. Kapitel 3
  4. Kapitel 4
  5. Kapitel 5
  6. Kapitel 6
  7. Kapitel 7
  8. Kapitel 8
  9. Kapitel 9
  10. Kapitel 10
  11. Kapitel 11
  12. Kapitel 12
  13. Kapitel 13
  14. Kapitel 14
  15. Kapitel 15
  16. Kapitel 16
  17. Kapitel 17
  18. Kapitel 18
  19. Kapitel 19
  20. Kapitel 20
  21. Kapitel 21
  22. Kapitel 22
  23. Kapitel 23
  24. Kapitel 24
  25. Kapitel 25
  26. Kapitel 26
  27. Kapitel 27
  28. Kapitel 28
  29. Kapitel 29
  30. Kapitel 30
  31. Kapitel 31
  32. Robert Lee Walker
  33. Dank an die LeserInnen
  34. Impressum

Kapitel 1

Der heutige Herbsttag war sehr arbeitsreich. Doch nun war er endlich vorüber. Die Ermittlungseinheit um David Hodges hatte sich vielleicht ein letztes Mal zu einem Feierabendbier im BJ’s eingefunden. In den letzten Tagen waren sie mit dem Einrichten ihres neuen Büros beschäftigt gewesen. Lange Zeit hatten sie in den Räumen in der südlichen Abilene Street gearbeitet. Doch nach der letzten Jagd nach dem Mörder eines Handwerkers und dem anschließenden Auffliegen einer besonders kriminellen Szene in Aurora wurde die Ermittlungsabteilung infolge von Umstrukturierungen in das Headquarter an der Alameda verlegt. Zwar vermissten alle das Büro in der Abilene, aber hier waren sie näher an den anderen Ermittlungsabteilungen der Major Crimes und kamen sich nicht so abgeschieden vor. Es hatte alles sein Vor- und Nachteile.

Heute hatten sie die letzten Akten in die neuen Schränke geräumt. Alle vier hatten das Gefühl, jetzt erst wieder richtig arbeiten zu können. Dabei war der Job eigentlich nie wirklich vernachlässigt worden. Es war halt immer nur ein bisschen umständlicher.

Jetzt saßen Hodges, Alvarez, Brendup und Monaghan endlich wieder im BJ’s und genossen ein kühles Bier aus der hauseigenen Brauerei. Dieses Restaurant war an der Cedar Avenue nicht weit von dem vorherigen Standort in der Abilene entfernt. Deshalb hatte es sich zu einer Polizeikneipe entwickelt. Nun aber waren viele Abteilungen erneut auf der Suche nach einer Stammkneipe in der Nähe ihres Büros. Im BJ’s fand sowas wie der Abschied von den alten Räumlichkeiten statt.

»Meint ihr nicht, dass dies eigentlich auch unsere Stammkneipe bleiben kann?«, fragte Alvarez.

»Ein Fußweg entfernt vom Headquarter, nur von der anderen Seite«, sagte Saul Brendup und zog seine Schultern hoch.

»Es ist hier so gemütlich, dass ich es ungern missen möchte.«

»Ich übrigens auch nicht«, schaltete sich Jacqui Monaghan dazwischen. »Ich würde gern auch weiterhin mein Feierabendbier hier trinken. Was meinst du, David?«

»Ich hätte nichts dagegen, wenn wir es so beibehielten wie bisher«, sagte David Hodges und zog dabei seine rechte Augenbraue in die Höhe. »Wir sind eh nicht jeden Abend auf ein Bier gegangen. Außerdem können wir uns hier in der Nähe ja noch eine zweite Kneipe suchen, wenn es mal ganz schnell gehen soll.« Dabei kniff er sein linkes Auge zu, wie um den Satz zu besiegeln.

Zwar trug Hodges immer noch seinen Dienstanzug, wie sollte es auch anders sein, wo sie alle zusammen doch aus dem Büro hierhergekommen waren, aber jetzt hatte er wenigstens seine Krawatte weit geöffnet und sie schien einfach um den Hals gelegt.

Das Jackett war locker auf die Lehne des Stuhls gelegt und es drohte, bald herunterzurutschen, ohne dass es von Hodges bemerkt wurde.

Samuel Alvarez stand von seinem Platz auf. »Ich hole uns noch eine Runde. Für jeden noch ein Bockbier?«, fragte er in die Runde. Dann fiel sein Blick auf Hodges’ Jackett. Beherzt griff er zu, um es wieder etwas höher zu legen. Hodges nahm es Alvarez aus der Hand und hing es nun sorgfältiger über die Rückenlehne, sodass das Jackett nicht mehr hinuntergleiten konnte.

»Nein, ich bitte nur ein Pils«, antwortete Monaghan. »Der Bock ist doch ziemlich stark. Davon reicht mir einer am Abend. Schließlich möchte ich hier nicht übernachten.«

»Ach komm schon, Jacqui, eins geht noch«, versuchte Alvarez es erneut.

»Pils gern, aber keinen Bock, Sam.«

Brendup und Hodges sahen sich an und nickten sich zu. »Jacqui weiß, was sie will. Ob im Dienst oder beim Bier«, sagte Brendup und begleitete diese Worte mit einem sanften Nicken.

»Das sehe ich genauso«, antwortete Hodges.

»Okay, dann also drei plus eins,« fasste Alvarez zusammen, drehte sich um und ging an den Tresen.

»Also werden wir das BJ’s als Headquarter unserer Abteilung behalten?« Mit dieser Frage kehrte Monaghan wieder zum ursprünglichen Thema zurück.

»Jep«, antwortete Brendup und unterstrich seinen Zuspruch mit einem kräftigen Nicken.

»Ich denke auch, hier haben wir keine Probleme mit der Auswahl der Getränke.«

Alle drei am Tisch leerten mit einem letzten Zug ihre Gläser, als Alvarez auch schon mit einem Tablett von der Bar zurückkam. »Und«, fragte er, »habt ihr euch entschieden bezüglich einer Stammkneipe?«

»Jep«, antwortete alle drei wie aus einem Munde.

»Ihr macht das aber spannend.«

»Nö«, kam es wieder gleichzeitig aus allen Mündern.

»Ja, was denn nun? Rückt schon raus mit der Sprache.«

Brendup und Monaghan schauten ihren Chef an. Dessen Augen bewegten sich mehrmals von links nach rechts und umgekehrt, als würde er erst mal die Lage prüfen und ob er sprechen könne.

»Unsere Hauskneipe bleibt das BJ’s«, sagte er. Ein Lächeln glitt über Sam Alvarez’ Gesicht, während er das Tablett auf dem Tisch abstellte.

»Und jetzt sollten wir endlich auf die neue Bezeichnung unserer Einheit anstoßen«, sagte er. »Auf die neue Major Crime Second District!«

»Auf die MCSD!«, kam es aus aller Munde.

»Aber steht D nicht für Division?«, fragte Brendup. In seinem Gesicht standen unverkennbar Fragezeichen. Er hatte das Gefühl, irgendeine Information sei ihm zuvor wohl entgangen.

»Ist doch egal«, antwortete Alvarez. »Hauptsache MCSD.«

Lange hielten sie sich nicht mehr auf in ihrem »Hauptquartier«. Auf Brendup und Hodges wartete jemand zu Hause. Nur auf die beiden jungen Kollegen Monaghan und Alvarez wartete keiner. Doch auch sie hatten an diesem Abend keine Lust, weiter zu feiern. Drei Bier in Gemeinschaft mit den Kollegen war völlig ausreichend, um den Abend ausklingen zu lassen. Morgen würde es wieder im Büro rundgehen.

Kapitel 2

Jacqui Monaghan und Samuel Alvarez saßen am Morgen bereits im Büro, als David Hodges hereinkam. Beide hielten sich jeweils an einem Kaffeebecher fest, dessen wohltuender Duft ihnen in die Nase zog. Monaghan hatte ihren Kollegen gerade gefragt, ob er eine zuverlässige Autowerkstatt für ihren betagten Buick wüsste, denn sie müsse noch mal einen gründlichen Check-Up machen lassen. Schließlich sei ihr roter »Flitzer« schon in den Jahren und wolle immer noch bei den rasanten Autorennen im Dienst mitmachen.

»Hallo Chef«, sagte Monaghan, »auch einen kleinen Muntermacher aus Alvarez’ Kaffeeküche?«

»Ich fürchte, ich muss euren morgendlichen Plausch unterbrechen«, sagte Joe Pascian, der hinter David Hodges ins Büro getreten war. Der vorherige Commander vom zweiten District war nun ebenfalls in die Zentrale versetzt worden. Ob der Posten des Leiters der Kriminalpolizei ein Aufstieg war, vermochte er noch nicht zu sagen. Er freute sich aber, immer noch, wenigstens ein bisschen, zur Truppe von Hodges zu gehören. Jetzt unterstanden ihm zwar nur noch die nicht-uniformierten Beamten, aber mit seinen Ermittlern aus dem zweiten District einige Bekannte auf dem neuen Posten zu haben, gefiel ihm. »Es gibt eine Leiche. Ihr müsst den Fall übernehmen. Ich habe noch keine Details, aber um Selbstmord oder Unfall soll es sich nicht handeln.«

»Holla, die Waldfee«, sagte Monaghan. Sie musste sich ein Schmunzeln verkneifen, denn Pascian hatte heute wieder seine pinkfarbene Brille auf der Nase. Sie war ihm fast auf die Nasenspitze hinuntergerutscht und schien nur noch vom buschigen Schnauzbart gehalten zu werden. Für dieses Ungeheuer von Bart benötigte er sicherlich täglich eine Stunde Pflege. »Wer ist denn da so schnell mit seinem Urteil? Das ging nach unserem Einzug hier aber ziemlich rasant.«

»Ja, leider. Also wir haben einen neuen Fall«, sagte Hodges. »Kommst du mit, Jacqui? Sam, du hältst hier die Stellung. Wir melden uns, wenn wir dich oder Saul benötigen.«

»Alles klar, Chef. Ich hab eh genug zu tun«, antwortete Alvarez.

»Tut mir leid, dass ich eure Phase des Einlebens hier im Headquarter so abrupt unterbrechen muss«, sagte Pascian. »Aber ich verlasse mich auf euch. Ihr werdet den Tod des Mädchens schon aufklären.«

»Ja, sicher«, sagte Hodges. »Es war ein weibliches Opfer, was es allerdings auch nicht schöner macht.«

»Leider. Sie halten mich auf dem Laufenden, Captain?«

»Sicher, Commander. Sobald wir mehr wissen.«

Mit einem Nicken verließ Pascian das Büro und Hodges machte sich zusammen mit Monaghan ebenfalls auf den Weg.

***

Im Cherry Creek State Park stand bereits ein Großaufgebot an Polizeifahrzeugen. Bei einigen blinkten noch die roten und blauen Signallichter vor dem Kühlergrill oder auf dem Fahrzeugdach. Hodges war noch vor seinem Dienstbeginn über den Fund einer weiblichen Leiche informiert worden und hatte den Fall übertragen bekommen. Zwar stand auch ein Wagen vom EMC, dem Emergency Medical Center, zwischen den Fahrzeugen, aber soweit er wusste, gab es keinen besonderen Bedarf mehr für die Hilfe der Notfallmediziner. Höchstens, ein Kollege von der Polizei war beim Anblick der Leiche in Ohnmacht gefallen.

Hodges stellte seinen Wagen hinter alle anderen. Es war zu wenig Platz, um sich damit zum Fundort durchzudrängen. In großen Schritten eilten er und Monaghan zur Fundstelle.

Lediglich zwei Schaulustige hatten sich eingefunden, weil sie durch das Polizeiaufgebot im Wald neugierig geworden waren. Dieser riesige Park war nicht gerade ein Naherholungsgebiet für Jogger. In dieser Gegend wohnten nicht viele Menschen, die sich mal schnell etwas Bewegung verschaffen wollten. Dieser Park war eher ein unübersichtliches Waldgebiet mit viel dichtem Unterholz und hohen Laubbäumen.

Als Hodges und Monaghan auf das Absperrband zutraten, drehte sich ein uniformierter Polizist zu Ihnen um. McBarrett stand auf seinem Badge auf der linken Brust. Er war groß und stämmig gewachsen, hatte einen buschigen Schnauzbart auf der Oberlippe, der verhinderte, dass erkennbar war, ob er lächelte oder verstimmt war.

»Sie müssen Captain Hodges sein, der mir angekündigt wurde?«, fragte er die beiden Zivilisten.

»Richtig. Ich bin David Hodges und das ist Detective Monaghan. Wir sind die vom Zweiten District.« Hodges hielt ihm seine Polizeimarke entgegen.

»Ja, ich weiß. Die Major Crimes Homicide Division hat Verstärkung bekommen durch die erfolgreichen Ermittler vom Zweiten. Ich bin Lieutenant Steve McBarrett, meine Leute waren die ersten am Fundort.«

»Was können Sie uns zu der Leiche sagen?«, fragte Hodges.

»Es handelt sich um eine weibliche Leiche, die heute in den frühen Morgenstunden von einem Pilzsammler gefunden wurde. Ihr Alter dürfte etwa zwischen 25 und 30 Jahren sein. Hämatome überziehen den gesamten Körper, aber auch das Gesicht ist sehr schlimm zugerichtet. Ihr linkes Auge ist zugeschwollen. Kampfspuren hat es hier allerdings keine gegeben. Meine Leute haben den Ort sofort gesichert und die Spurensicherung gerufen. Die sind auch schon an der Frau dran.«

Während Hodges und Monaghan die Zusammenfassung hörten, hatten sich alle drei weiter in Richtung Leiche bewegt. Nun richtete sich eine Kollegin von der CSU, die vor der Toten kniete, auf und drehte sich zu den anderen um. Da sie einen Ganzkörperoverall trug, war außer dem ebenmäßigen Gesicht mit der schmalen Nase und den braunen Augenbrauen nicht viel von ihr zu erkennen. Doch während sie sich erhob, streifte sie die Kapuze des Overalls vom Kopf nach hinten weg. Hodges sah ihre braunen, gewellten Haare hervorquellen, die gerade mal bis zu den Schultern reichten.

McBarrett machte alle miteinander bekannt.

Hodges erfuhr, dass die Kollegin Westergard hieß. Sie war neu im APD, hatte diesen Beruf aber schon mehrere Jahre in Denver ausgeübt. Als Gerichtsmedizinerin ist sie der Spurensicherung zugeordnet und wird gern mal als medizinische Ermittlerin betitelt.

»Es ist noch nicht viel, was ich Ihnen sagen kann, Detectives«, sagte Amy Westergard. »Neben all den blauen Flecken ist das Gesicht sehr stark geschwollen und blutüberströmt. Es ist davon auszugehen, dass diese Verletzungen vor ihrem Tode erfolgten. Aber Genaueres kann ich erst sagen, nachdem sie bei mir auf dem Tisch lag.«

»Was ist mit sexuellen Merkmalen?«, frage Monaghan.

»Auch das kann ich leider noch nicht sagen. Der Körper ist so geschunden, dass eine Vergewaltigung momentan noch nicht bestätigt werden kann. Ebenso wenig ausgeschlossen.«

»Okay, vielen Dank. Wir sprechen uns sicher noch in Ihren Räumen, nachdem Sie die Frau genauer untersuchen konnten«, sagte Hodges und wollte sich gerade abwenden.

»Eine Sache ist da noch, die wichtig sein könnte.«

Hodges drehte sich interessiert zu ihr.

»Ihre Fingernägel sind alle ausgerissen. An beiden Händen.«

»Die Fingernägel an beiden Händen?« Hodges und auch Monaghan verzogen schmerzhaft ihre Gesichter. Was hatte das zu bedeuten?

»Ja, alle zehn Finger. Aber ich kann nicht sagen, ob post mortem oder davor.«

»Mein Gott, wer macht sowas. Mit was für einem Monster haben wir es denn hier zu tun?«

»Tut mir leid, dass meine Informationen noch nichts lösen, sondern nur mehr Fragen aufwerfen.«

»Nein, ist schon gut«, sagte Hodges. »Es wird letztendlich helfen, den Täter zu fassen.« Nach einer kurzen Pause: »Das war’s dann?«

»Ja, aus meiner Sicht zunächst ja.«

»Dann bis später. Vielen Dank.«

Hodges und Monaghan wollten sich noch ein bisschen am Fundort umsehen, als McBarrett noch mal an sie herantrat. Er hatte einen Plastikbeutel in der Hand, den er hochhielt.

»Dies wurde in ihrer Hand gefunden«, sagte er.

Monaghan griff nach dem Beutel und fragte: »Was soll das sein?«

»Ich glaube, das ist ein Schlüsselanhänger. Ein Schlüssel hing allerdings nicht dran.«

»Und ein Plüschtier, oder?« Monaghan hielt sich den Beutel näher an die Augen. »Ein Äffchen, soweit ich das erkennen kann.«

»Zeig mal her«, sagte Hodges und griff nun auch nach dem Beutel. Sein Gesicht verfinsterte sich.

Kapitel 3

Eigentlich wäre es angenehmer, stets mit vollem Elan an einem einzigen Fall zu arbeiten. Aber das war unrealistisch. Zwar wurde jeder Fall mit viel Energie begonnen, denn solange die Tat noch nicht weit zurücklag, waren die Chancen, Ergebnisse zu erzielen, ungleich größer. Je länger die Tat her war, umso schwieriger wurde es. Aber es wurde nicht unmöglich. Das bewiesen die vielen Cold Cases, die von entsprechenden Abteilungen noch nach zwanzig Jahren aufgeklärt wurden. Aber der erste Schwung war dann bei den ermittelnden Beamten raus.

Samuel Alvarez hing nun schon einige Zeit an den Fersen einer Drogenbande. Eigentlich hatte er diesen Fall selbständig und ehrenamtlich an sich gezogen, weil es damals um den Sohn eines Freundes ging. Über diesen Fall war er auch an seinen honorarfreien Nebenjob als Anti-Drogenberater der Schulen in Aurora gekommen. Nachdem er an der Del Mar Elementary School den Kids einen Vortrag über die Gefährlichkeit der Drogen und das geschickte Vorgehen der Dealer gehalten hatte, war er vom Bereichsleiter, dem Chief of Operations, immer wieder zu solchen ehrenamtlichen Aufgaben delegiert worden. So war Alvarez immer irgendwie bei den Drogen hängengeblieben, neben seinem Job als Ermittler im Morddezernat. Oft genug hing auch beides miteinander zusammen.

Jetzt hatte ihn Commander Pascian über den Standort eines neuen Drogenlabors informiert. Es waren zwei Laboranten festgenommen worden. Informationen über wichtige Köpfe der Bande hatte es keine gegeben. Alvarez sollte das Labor mal in Augenschein nehmen. Durch seine Kenntnisse in der Drogenszene von Aurora wäre Alvarez vielleicht in der Lage, auf bisher noch nicht entdeckte Informationen zu stoßen.

»Begleitest du mich zum Labor, Jacqui?«, fragte er seine Kollegin.

»Eigentlich habe ich gar keine Zeit dafür, ich stecke immer noch in meinem alten Fall. Und dann jetzt die Leiche im Cherry Creek State Park.«

»An der Leiche arbeiten wir ja eh alle. Aber solange wir keine verwertbaren Ergebnisse von der CSU haben, können wir an unseren anderen Fällen weiterarbeiten.«

»Nun gut. Überredet. Welches Auto?«

»Wir nehmen meines. Geht vielleicht doch schneller?«

»Hey, du darfst damit auch nicht schneller als ich mit meinem Buick fahren.«

»Rumpelt aber nicht so. Und man stößt nicht an die Sitzfedern.« Alvarez zeigte ein breites Grinsen in seinem Gesicht. Er wedelte mit seinem Autoschlüssel.

»Moment«, sagte Monaghan und trank den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Tasse, bevor sie diese auf ihren Schreibtisch stellte.

***

Auf dem Weg zum Drogenlabor, welches im Norden Auroras in einem Industriegebiet jenseits der I70 in Green Valley Ranch aufgedeckt wurde, summte das Smartphone von Jacqui Monaghan.

»Eine Information für uns?«, fragte Samuel Alvarez. Monaghan schaut auf die Nachricht, die sie via Messenger erhalten hat.

»Ist eigentlich nur für mich«, sagte sie. »Mein Betrüger hat erneut zugeschlagen. Gestern Abend hat er sich wieder an eine Frau rangemacht.«

»Das ist schon ganz schön dreist, was der veranstaltet.«

»Ja, er muss extrem charmant sein, da es immer wieder Frauen gibt, die auf ihn hereinfallen.«

»Du sitzt jetzt aber auch schon einige Monate an dem Fall und kommst nicht weiter. Er scheint richtig clever zu sein.«

»Bis jetzt konnte er immer alle Spuren verwischen. Keine Anhaltspunkte, mit denen ich ihn besser zu fassen bekommen konnte.«

»Und wie willst du jetzt weiter vorgehen?«

»Ich muss unbedingt mit dem neuen Opfer sprechen. Je frischer die Tat, umso besser ist das Erinnerungsvermögen der Opfer und sie können mir noch etwas zum Täter sagen. Für mich hat das Gespräch mit diesem Opfer eigentlich auch Vorrang vor der Leiche im Park. Wenn ich jetzt nicht dranbleibe, brauche ich gar nichts mehr in diesem Fall zu machen. Dann kann ich ihn sofort zu den Akten legen. Hoffentlich bekommen wir nicht noch mehr Fälle auf den Tisch.«

»Sag mal«, leitete Alvarez zu einem anderen Thema über, »hättest du nicht mal wieder Lust, ins Kino zu gehen? Wir waren schon lange nicht mehr gemeinsam dort. Was denkst du? Oder bin ich ztu anstrengend?«

»Ja, das sollten wir unbedingt wieder mal ins Auge fassen. Aber erst, wenn der Druck etwas raus ist, ja? Und red nicht solch Blödsinn, von wegen anstrengend

»Gut. Aber wir sollten es nicht vergessen.«

»Du kannst dich ja mal schon nach einem Film umschauen. Vielleicht hast du auch schon einen Favoriten?«

»Nicht wirklich. Da gibt es einige.«

Kapitel 4

Mit Schwung fuhr Sam Alvarez auf den Parkplatz vor der Lagerhalle, in welcher das Labor gefunden wurde. Ein Streifenwagen stand noch vor der Tür, um den Ort zu sichern. Die meisten anderen Kollegen waren hier schon mit ihrer Arbeit fertig und hatten den Platz bereits wieder verlassen.

Monaghan und Alvarez stiegen aus ihrem Fahrzeug und gingen zur Tür. Kurz davor hielten sie ihre Marken hoch, um sich auszuweisen. Der Officer an der Tür nickte ihnen zu. Sein Kollege saß noch im Streifenwagen und sprach ins Funkgerät.

»Gibt es etwas Besonderes hier?«, fragte Alvarez den Officer.

»Nein, hier ist alles ruhig. Hoffentlich können wir bald verschwinden.«

»Verstehe ich, wenn sich nichts tut, wird die Zeit lang.«

Mit einem tiefen Einatmen und einem Nicken stimmte ihm der Officer zu. Die beiden Detectives schritten durch die Tür. Ihnen stach sofort ein penetrant beißender Geruch, eine Mischung aus Chemie und sonst etwas, in die Nase. Sie sahen sich in der Lagerhalle um, die von einigen Oberlichtern im Dach nur spärlich, aber fürs Erste ausreichend beleuchtet war. Geradezu und auf der linken Seite standen große Regale bis unter die Decke. Sie waren teils mit Kisten und Kartons unterschiedlichster Größen gefüllt. Lediglich auf der rechten Seite war eine geräumige Fläche mit langen Tischen, Stühlen und Geräten ausstaffiert. Kühlschränke standen dazwischen, Glaskolben mit Brennern waren zahlreich zu sehen, das Ende eines langen Tisches wurde mit einer Waage geziert. Auf einer weiteren Abstellfläche stand ein Karton mit durchsichtigen Plastikbeuteln, halb so groß wie eine Hand. Offensichtlich Verpackungen für die Drogen, die hier hergestellt wurden. In einer Ecke der Lagerhalle standen ein Schreibtisch und daneben ein Aktenschrank. Diesen steuerte Alvarez jetzt an.

Alvarez stieß einen sanften Pfiff zwischen seinen Zähnen aus. »Das sieht doch ganz nach einer kleinen regionalen Bande aus«, sagte er. »Oder was meinst du, Jacqui?«

»Kann schon sein. Man weiß eh nie, wer oder was dahinter steckt.«

»Vernetzt sind die doch alle, alleine schon, um das Zeug zu verticken. Aber von der Größe dieses Labors ausgehend, könnte es durchaus die Zweigstelle einer größeren Organisation sein.«

»Was glaubst du zu finden?«, fragte Jacqui Monaghan.

»Ich weiß es nicht. Ich will mich ja nur mal umschauen, ob ich etwas finde. Irgendetwas. Irgendeinen Hinweis auf irgendetwas.«

»Besonders zielgerichtet sieht deine Ermittlung aber nicht gerade aus.«

»Das musst du mir nicht unter die Nase halten, Jacqui. Das weiß ich auch ohne dich. Doch mir bleiben nun mal die Strohhalme, um die Dealer und deren Hintermänner aufzudecken.«

Alvarez machte sich am Schreibtisch zu schaffen. Nacheinander öffnete er die Schubladen, zog das eine oder andere Papier heraus, hielt es sich vor die Augen und überflog es. Das musste alles eingepackt werden. Die Staatsanwaltschaft könnte darin Informationen finden, die zu Beweisen zu gebrauchen waren, wenn es zu einem Prozess käme.

Erst im Lichte des Großen und Ganzen würde aus einem einzelnen Blatt Papier ein Beweis werden, der jetzt noch gar nicht absehbar war. Doch auf den ersten Blick sah Alvarez nichts Besonderes auf den Blättern stehen. Es müsste Zufall sein, wenn sowas offen in den Schubladen herumlag. Oder Dummheit.

Derweil öffnete Monaghan den Aktenschrank. Der war halb leer. Sie zog einen Ordner heraus und blätterte darin. Stellte ihn dann aber wieder zurück. Auch sie fand nichts Auffälliges auf den ersten Blick.

Alvarez zog eine Glock mit Kaliber 9 mm Parabellum aus einer Schublade. Es war ein ähnliches Modell wie das, was sie selbst als Dienstwaffe trugen. »Schau dir das an«, sagte er. »Die werden unsere Leute doch nicht vergessen haben?«

»Und wenn schon, wenigstens hast du sie. Hier hast du etwas zum Eintüten.« Monaghan reichte ihm einen Beweismittelbeutel hinüber, den sie aus ihrer Gesäßtasche gezogen hatte. »Vielleicht ist der Revolver schon bei uns aufgetaucht und es gibt Hinweise in der Datenbank«

»Das wäre gut. Aber dennoch war hier von der CSU geschlampt worden.« Alvarez stecke die Pistole hinein und drückte den Verschluss an der Öffnung des Beutels zu. Dann wühlten beide in ihren Schränken weiter, bis Alvarez schließlich fragte: »Hast du etwas im Schrank gefunden?«

»Nein, das sieht nicht nach Drogen aus. Lieferpapiere, aber alles legale Waren. Zumindest dem Anschein nach. Ich denke, die Kollegen hätten das mitgenommen, wenn es Hinweise auf Drogen gegeben hätte. Diese Lagerhalle ist offensichtlich nicht nur für illegale Ware benutzt worden.«

»Ja, du hast recht. Ich kann auch nichts finden. Und Personalakten liegen hier schon gleich gar nicht herum. Lass uns wieder verschwinden. Aber ich glaube, wir sollten diese Akten dennoch abholen lassen. Wer weiß, in welchem Zusammenhang noch etwas davon gebraucht wird.«

»Ja, wir sollten die Schränke versiegeln und schicken dann jemanden raus, um die Sachen abzuholen. Lass uns das schnell machen und dann verschwinden wir von hier. Vielleicht gibt es im Büro neue Informationen zur weiblichen Leiche. Scheint so, als würden wir in mehreren Fällen gleichzeitig feststecken.«

»Hundert pro. Ich setze dich im APD ab.«

»Warum das? Kommst du nicht mit ins Büro?«

»Nein, ich habe noch einen Termin. Ich muss noch in der Del-Mar-Grundschule einen Vortrag halten. David weiß Bescheid. Die Glock kannst du ja schon zur CSU weitergeben. Vielleicht bekommen die etwas heraus und können sagen, warum sie die Waffe nicht gefunden haben.«

***

Nachdem Alvarez seine Kollegin in der Alameda abgesetzt hatte, steuerte er die Del-Mar-Grundschule an. Das Gebäude war ein üblicher Schulbau mit zwei Etagen. Die Wände waren mit roten Klinkern verschalt. Auf der Vorder- und Rückseite des Gebäudes bildeten die Fenster der Klassenräume spiegelnde Glasfronten. Es sah alles recht frisch und neu aus. Die Schule war nicht älter als zehn Jahre und hatte ein Schulgebäude verdrängt, welche seit den 1930er Jahren an gleicher Stelle stand.

Alvarez hatte noch gut eine halbe Stunde, bevor er vor die Schulklasse treten sollte, als er dort eintraf. Als Erstes meldete er sich bei der Leiterin der Schule. Ms Brennagan kannte er schon seit geraumer Zeit. Sie war es, die ihn damals gebeten hatte, die Schüler über Drogen aufzuklären. Und sie war es auch, die die Verbindung zu vielen anderen Schulen in Aurora hergestellt hatte, damit seine Warnungen nicht nur an einem einzigen Ort gesagt wurden. Mittlerweile duzten sich beide sogar, da sie gemeinsam schon einige Klassenprojekte bestritten hatten.

»Hallo Detective«, sagte Brennagan, als Alvarez ihr Büro betrat. Heute trug sie eine Bluse mit einem Blumenmuster darauf und einen hellen, beigen Rock. Die Haare, die ihr bis zu den Schultern reichten, waren in großen Locken gefönt. »Schön, dass du schon da sind. Ich habe eine ganz wichtige Information für dich.«

»Hallo Louisa, freut mich, auch dich zu sehen. Was gibt es denn Spannendes?«