Umschlag

Andreas Lukoschik wurde in den 1990er-Jahren bekannt mit der TV-Sendung »Leo’s Magazin«, für die er den Grimme-Preis bekam. Für den Schweizer Kanton Schwyz etablierte er das Printmagazin »Y-Mag«, für das er beim größten Corporate-Publishing-Wettbewerb Europas den »Best of Corporate Publishing Award in GOLD« erhielt und dessen Chefredakteur er ist. Sein satirisches Kreuzfahrt-ABC »Schläft das Personal auch an Bord?« gilt als der finale Guide zum Thema Kreuzfahrten. »Rothkos Fälschung« ist sein Debütroman.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© Deutsche Erstausgabe Hermann-Josef Emons Verlag
© 2013 Andreas Lukoschik
Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch
eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
ISBN 978-3-86358-414-6
Originalausgabe

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Der Tag davor

Kühlungsborn, Ostseehotel, Lobby

Anatol Balthasar Trockau fuhr frisch geduscht und bester Laune mit dem Lift ins Erdgeschoss und dachte darüber nach, ob der Traum aus der ersten Nacht in einem fremden Bett in Erfüllung gehe. Dieser Satz seiner Mutter war ihm vorhin unter der Dusche wieder eingefallen, weil er sich – merkwürdig genug – an seinen letzten Traum erinnern konnte. Darin war es um einen Maler gegangen, der auf einer Strandpromenade vor seiner Staffelei saß und die See mit Wasserfarben malte. Ein Mann kam von irgendwoher und entlarvte das Bild als Fälschung. In hohem Bogen warf er es in Richtung Meer, aber in der Luft verwandelte es sich in eine Möwe, die ein kühnes Flugmanöver vollführte und sich dann auf Trockaus Schulter setzte. Er lachte laut auf, weil es sich schön anfühlte. Von diesem Lachen war er aufgewacht. Und hatte gute Laune gehabt. Umso mehr, als er im Erwachen realisierte, dass heute der erste Tag seiner »Sommerfrische« war.

Er liebte dieses altmodische Wort. Es klang so herrlich nach Ferien an der See. Deswegen hatte er sich auch in diesem Hotel einquartiert. Es war perfekt für die See – eine Mischung aus dem Charme mediterraner Landhäuser und der kulinarischen Kompetenz eines Feinschmeckerrestaurants. Genau wie er es liebte und so ganz anders als die Hotels, in denen er in seinem Alltagsleben verkehren musste. Meist piekfeine »Leading Hotels of the World«, in denen er millionenschwere Klienten traf, denen ein Kunstwerk, eine Stradivari oder ein wertvoller Foliant »abhandengekommen« war. Er traf sie dort im Auftrag ihrer Versicherungen und klärte mit ihnen die Umstände des Diebstahls, machte sich dann auf und beschaffte das Kunstwerk wieder. Diese Aufgabe machte ihm – man kann es nicht anders nennen – bei allen Schwierigkeiten, die es dabei zu überwinden galt, Spaß.

Er musste dabei nämlich nicht wie ein staatlicher Ermittler miese Ganoven einer Tat überführen, um dann mit anzusehen, dass die Justiz der Gerechtigkeit nicht zum Sieg verhelfen konnte, weil spitzfindige Anwälte die Ergebnisse harter Ermittlerarbeit immer wieder ad absurdum führten. Nein, Trockau musste die Kunst lediglich wiederbeschaffen und bei seinem Auftraggeber abliefern. Wie ihm das gelang, blieb ihm überlassen. Ob er dabei Diebe beklaute oder Betrüger betrog, wollte keiner von ihm wissen. Am Ende musste das vermisste Objekt nur wieder da sein, wo es schmerzlich vermisst wurde.

Er blickte in den Spiegel des Aufzugs und sah einen hochgewachsenen, schlanken Mann von Anfang fünfzig. An den Schläfen wurden seine schwarzen Haare bereits grau, was ihn jedoch nicht alt wirken ließ, sondern ihm in Einklang mit seinen vielen Lachfalten eine verschmitzte Seriosität verlieh. Dank der Gene seiner italienischen Großmutter war er außerdem ganzjährig braun. Wer ihn nicht kannte, dachte leicht, dass er gerade aus dem Urlaub käme. Wer ihn öfter sah, vermutete, dass er genügend Zeit und Geld habe, sich ständig in der Sonne aufzuhalten, was für die meisten gleichbedeutend war mit »Erfolg haben«.

Erfolg aber hatte Trockau keineswegs immer in seinem Leben gehabt. Nein, er kannte auch die dunklen Zeiten, die das Leben bereithalten kann. Und in denen man wächst – oder verzweifelt. Trockau hatte immer versucht, die Wachstumsmöglichkeiten einer Herausforderung zu sehen. Und damit oft genug gewonnen. Seltener Reichtümer, dafür öfter das, was man Erfahrung nennt. Sie verlieh ihm das Wissen um die Tiefen der menschlichen Existenz und wie schnell sich strahlender Sonnenschein in einen heftigen Platzregen verwandeln konnte. Und umgekehrt. Deshalb fühlte er sich dem Wetter auf den Meeren dieser Erde besonders verbunden und hatte sich zum Batterienaufladen für ein paar Tage an die Ostsee zurückgezogen. Nur seine Sekretärin wusste, wo er war – »unerreichbar«, das hatte er ihr gründlich eingeschärft.

Stillvergnügt und mit gutem Appetit auf ein üppiges Frühstück schlenderte er an dem grünen Pavillon aus Gusseisen in der Empfangshalle vorbei. Er hätte von Gustave Eiffel erbaut worden sein und bei den alten »Les Halles« in Paris stehen können. Aber an die konnten sich die meisten Menschen sowieso nicht mehr erinnern, dachte er mit leiser Wehmut. Bis seine Aufmerksamkeit von einem jungen Hotelangestellten absorbiert wurde, der zielstrebig auf ihn zukam.

Er spürte sofort, dass das kein gutes Zeichen war. Der junge Mann murmelte mit einer angedeuteten Verbeugung, dass er eine Nachricht für ihn habe, und drückte ihm einen verschlossenen Briefumschlag in die Hand. Vor dem Frühstück. Musste das sein?

Merkwürdigerweise fiel ihm dabei auf, dass »Muße« und »Müssen« ähnlich klangen, aber so ganz Unterschiedliches bezeichneten. Wie auch immer. Jetzt würde das »Müssen« wohl die »Muße« ablösen, die schon zum Greifen nah gewesen war. In der morgendlichen Unschuld nach einer wunderbar durchträumten Nacht hatte er seine Deckung abgelegt und war prompt getroffen worden. Genau zwischen die Augen.

Er setzte sich in einen der Fauteuils in der Lobby und riss den Umschlag auf. »Chef, rufen Sie bitte umgehend Dr. Schmoller an« stand da. Mehr nicht.

Das war’s mit dem Urlaub, dachte er und ließ den Zettel sinken.

»Schlechte Nachrichten?«, fragte ihn Hoteldirektor Mayrhuber, ein sympathischer Österreicher, der gerade des Weges kam.

»Wie man’s nimmt«, antwortete Trockau lakonisch. »Heutzutage sollte man ja froh sein, wenn der Laden brummt. Aber manchmal wären eben auch ein paar Tage Nichtstun ganz schön.«

»Wem sagen Sie das?« Mayrhuber lächelte verständnisvoll. »Soll ich Ihnen einen Kaffee rausbringen lassen?«, fragte er fürsorglich.

Wann hatte der Hotelchef wohl das letzte Mal Urlaub gemacht?, fragte sich Trockau, während er ihn still anschaute. Und wohin fährt so ein Mann dann? Wieder in ein Hotel? Vermutlich geht’s dem viel schlimmer als mir. Und mit diesem Gedanken zog er den für die Dauer der Ferien in seinem Innersten auf einen hinteren Kleiderbügel weggehängten Schutzanzug wieder an, antwortete wacker »Danke, es geht schon« und gab sich einen Ruck. Jetzt hieß es also wieder: »Angreifen statt flüchten!«.

Er ging durch die Drehtür hinaus auf die noch leere Terrasse und schaltete dabei das Handy ein. Die Hoffnung, auf diese Weise nicht erreichbar zu sein, war nun ohnehin obsolet. Trockau wählte die Nummer von Dr. Schmoller, dem Chef der »Spezialabteilung für die Wiederbeschaffung von Kunstgegenständen«. Diese Abteilung gehörte zu einer Versicherung, die Trockau sehr schätzte. Sie zahlte nämlich pünktlich seine durchaus sportlichen Honorare. Und zwar ohne zu zicken. Außerdem setzte Schmoller ihn immer auf die interessantesten Fälle an; für die langweiligen bemühte er freundlicherweise andere Kollegen.

»Schmoller«, meldete sich seine Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Trockau«, erwiderte Trockau und schielte dabei kurz von der sonnenbeschienenen Terrasse durch die großen Fensterscheiben in den Wintergarten des Restaurants »Papageno«. Dort waren die Frühstückstische mit weißem Leinen eingedeckt, und die Gäste trugen die köstlichsten Leckereien zu ihren Plätzen, wo der Kaffee aus vollen Tassen dampfte.

Tapfer fuhr er fort: »Herr Dr. Schmoller, Sie haben mir eine Nachricht zukommen lassen, dass ich mich melden solle. Hier bin ich.« Er versuchte, so locker und entspannt wie möglich zu wirken, und hoffte, Schmoller würde sein Magenknurren nicht hören. Um die Produktion weiterer Verdauungssäfte zu vermeiden, wandte er seinen Blick von den einladenden Frühstückstischen ab und schaute stur auf die Weite der Ostsee, deren Wellen mit unerschütterlichem Gleichmut auf den Sand schwappten.

»Das ist ja prima, dass Sie so schnell zurückrufen«, antwortete Schmoller mit der ihm eigenen Begeisterung für seine Arbeit. »Um gleich zur Sache zu kommen – Sie sind im Urlaub, und da störe ich nur ungern –, es ist nichts gestohlen worden. Und das soll auch so bleiben. Deshalb möchten wir Sie um einen Gefallen bitten. Um unserer guten Zusammenarbeit willen.«

Trockau verstand die Botschaft auch ohne den Zaunpfahl: Er sollte gratis arbeiten.

»Im Kunsthaus Rostock«, fuhr Schmoller geschäftig fort, »soll in den nächsten Tagen eine ziemlich spektakuläre Ausstellung beginnen: Achtundvierzig Werke des amerikanischen Expressionismus, die bislang als verschollen galten, werden dort ausgestellt. Seit gut vierzig Jahren werden sie zum ersten Mal wieder gezeigt. Das sorgt in der Kunstszene für einigen Wirbel. Wir haben deshalb eine Art Sponsorship für die Ausstellung übernommen, indem wir dem Kunsthaus bei vollem Versicherungsschutz die Versicherungsprämie erlassen haben. Damit dabei nichts schiefgeht, haben wir die Kosten für eine vernünftige Sicherheitsanlage in dem Haus gleich mit übernommen. Sie verstehen, damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir erhöhen die Sicherheit des Hauses so, dass die Werke optimal geschützt sind, und können uns gleichzeitig als Freunde der Kunstwelt feiern lassen. Hallo? Sind Sie noch da?«

Trockau hatte aufmerksam zugehört. In den Krimis, die er trotz seines Berufes gelegentlich las, genossen die meisten Ermittler das Privileg, ein angespanntes Verhältnis mit ihren Chefs pflegen zu können – und hatten damit jemanden, auf den sie sauer sein konnten. Er dagegen hatte keine Chefs, sondern nur Kunden – und zu denen musste er immer freundlich sein. Laut sagte er: »Herr Schmoller, ich lausche Ihren Ausführungen!«

»Gut. Ich dachte schon, unsere Leitung wäre unterbrochen.«

Voller Elan sprach er weiter: »Ich würde Sie jetzt gern bitten, dort einmal nach dem Rechten zu schauen. Man weiß ja nicht, ob das Geld für die Alarmanlage auch ordnungsgemäß eingesetzt worden ist. Sie müssen wissen, das Kunsthaus Rostock hat bis jetzt nur zeitgenössische Kunst ausgestellt. Schöne Sachen zwar, aber nicht so teuer wie das, was ihnen jetzt ins Haus steht. Ich glaube, die sind ein bisschen nervös. Wäre schön, wenn Sie mal beim Chef des Hauses vorbeischauen könnten – einem gewissen … warten Sie … Guggenstrom, Jürgen Guggenstrom. Ein gelernter Anwalt. Also bitte Vorsicht. Solche Kerle können sehr spitzfindig sein. Sagen Sie uns danach, ob wir ruhig schlafen können oder ob wir uns da gerade ein Ei legen. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Vollkommen«, antwortete Trockau. »Also nur mal nach dem Rechten schauen, und damit hat es sich? Habe ich das richtig verstanden?«

Jetzt war Schmoller dran, »Vollkommen« zu sagen.

Trockau schloss die Augen, atmete tief durch und verabschiedete sich freundlich aus der Leitung. Die dreißig Kilometer zum Rostocker Kunsthaus würde er gleich nach dem Frühstück mit seinem Auto runterreißen, sich das Ganze anschauen, und das war’s dann. Die Ferien konnten also doch beginnen.

Jetzt musste er dringend etwas essen.

Eine Woche davor

Rostock, Ikea-Parkplatz

Der Verkehr brauste wie üblich in beide Richtungen über die Hamburger Straße. Auf dem Parkplatz des Ikea-Einrichtungshauses stand ein Mercedes-Lieferwagen mit laufendem Motor. Am Steuer saß ein gut gekleideter Asiate und wartete. Zwei Landsleute manövrierten einen der üblichen Ikea-Einkaufswagen über den Parkplatz. Sie mussten ordentlich schieben, weil der Wagen gut beladen war. Als der Fahrer die beiden kommen sah, stieg er aus, öffnete die Tür auf der Rückseite des Lieferwagens und half beim Einladen. Allen drei ging die schwere Last schnell von der Hand.

Während der eine danach den Ikea-Wagen zur Sammelstation zurückbrachte, setzte sich der andere zum Fahrer in den Wagen.

»Danke, dass Sie uns helfen«, sagte er.

»Ich habe zu danken, dass ihr das Museum im Auge behaltet.«

»Nein, es ist uns eine Ehre, für Sie zu arbeiten.«

»Danke. Ich weiß zu schätzen, dass mir mein Land vier Ihrer besten Agenten ausleiht. Ist so weit alles bereit?«

»Wenn wir in der Linzer Straße alles eingeräumt haben, beginnen wir mit der ersten Schicht. Nächste Woche übernehmen Thet und Thein, danach wieder wir.«

»Gut, dann fahre ich euch zur Wohnung, helfe beim Ausladen und bringe anschließend den Wagen zurück. Ihr habt sonst alles im Griff?«

»Absolut.«

Der Fahrer nickte. »Gut, ich kann euch nämlich nicht sagen, wie lange ihr dort ausharren müsst, ehe ihr losschlagen könnt. Vielleicht kommt ihr auch gar nicht zum Schuss«, sagte er gerade, als der dritte Asiate zu ihnen in den Wagen stieg.

»Wir werden sehen«, erwiderte der humorlos.

Der Fahrer schaute ihn stumm an, legte den Gang ein und fuhr los. Nach dreieinhalb Kilometern waren sie bei der konspirativen Wohnung in der Linzer Straße angekommen. Von hier aus hatten sie freie Sicht auf die Rückseite des Kunsthauses.

Der Tag davor

Kühlungsborn, Ostseehotel, Restaurant »Papageno«

Schwungvoll betrat Trockau das »Papageno«. Am liebsten hätte er ein Glas Champagner bestellt, aber er musste ja noch fahren und konnte einen kleinen Morgenrausch nicht im Strandkorb wegdösen. Leider.

So weit sein Auge blickte, sah er auf dem Frühstücksbuffet nichts Abgepacktes. Alles vom Bauern um die Ecke. Das versprach, ein guter Start in den Tag zu werden.

Zum Auftakt wählte er einen goldbraunen Roiboshtee mit Kamille, Anis und Ginseng. Das heiße Wasser aus dem Samowar versüßte er mit einem Löffel Kleehonig und trug die dampfende Tasse an einen von Sonnenlicht beschienenen Tisch im Wintergarten, von wo aus er einen schönen Blick auf die Ostsee im wechselnden Licht der vorbeiziehenden Wolken hatte. Kurz darauf brachte ihm eine junge Kellnerin das bestellte Rührei mit Schnittlauch, Champignons und ein wenig Zwiebeln. Dazu stellte sie einen Teller mit Vollkornbrötchen vor ihm ab sowie ein Schüsselchen mit einem Klacks eines mild gepfefferten, cremigen Ziegenkäses. Genau die Mischung, die er jetzt brauchte.

Als er sich bedankte, sah er die junge Bedienung freundlich an. Sie hatte kurze rote Haare, Sommersprossen und eine etwas – aber wirklich nur etwas – zu groß geratene Nase. Trockau hatte ein Faible für Frauen mit einer etwas – aber wirklich nur etwas – zu groß geratenen Nase. Modell: Anne Hathaway. Sein Faible war entstanden, als ihn Mädchen erstmals zu interessieren begannen. Da hatte es im Mädchengymnasium seiner Heimatstadt eine Madlen gegeben. Groß, sehr sportlich, mit dem Prototyp dieser Nase. Leider befand sich der junge Trockau zu diesem Zeitpunkt gerade in der Wandlung vom hässlichen Entlein zum ungelenken Giraffenbaby, was besagter Madlen nicht entging. Deshalb blieb seine Zuneigung unerwidert. Geblieben war sein Faible für etwas zu große Nasen.

Trockau musste grinsen. Sie grinste zurück, und so merkte er sich den Namen auf dem Schildchen an ihrer Bluse – »Amelie«. Er beschloss, sich für den Rest der Ferien immer dort hinzusetzen, wo Amelie bediente. Damit verband er keine besonderen Absichten, sie machte ihm einfach gute Laune.

Während er sich sein Frühstück schmecken ließ, fiel sein Blick auf ein altes Paar, das sich während des Frühstücks immer mal wieder verstohlen an der Hand hielt. Er Mitte achtzig, sie Mitte siebzig. Die liebevolle Zuneigung der beiden rührte ihn. You made my day, dachte er und bestellte beim Hinausgehen für die beiden diskret einen Champagner. Auf seine Rechnung. Wenn er schon nicht dem prickelnden Getränk zusprechen konnte, dann sollten es wenigstens diese beiden tun können.

Derart körperlich und seelisch gestärkt machte er sich auf den Weg nach Rostock. Genauer gesagt, sein 7er BMW machte sich auf den Weg – er saß nur am Steuer.

Fünf Wochen davor

Saigon, Hotel Rex

Der alte Cuong saß in seiner Suite im Hotel Rex im Herzen von Saigon vor einer Tasse Tee. Es war eine Mischung aus den teuersten Ernten seiner eigenen Teepflanzungen in China. Der köstliche Duft erfüllte die Zimmerflucht – und beflügelte seinen Geist.

Er war zu dem Schluss gekommen, dass Hausmann der richtige Käufer für das Bild war. Für Cuong war es das Bild, obwohl er es noch gar nicht hatte. Kleiner Bruder, ein Mann seines Vertrauens, würde in Kürze aufbrechen, um es zu beschaffen.

Erich Hausmann lebte in Kubas Hauptstadt Havanna. Nicht als Tourist, sondern als ein von der sozialistischen Regierung sehr gern gesehener Gast. Das lag weniger daran, dass Hausmann als hohes Parteimitglied der ehemaligen SED stets die »Waffenbrüderschaft im Kampf gegen den Kapitalismus« hochgehalten hatte. Viel entscheidender war, dass dieser Mann die SED-Milliarden verwaltete, die nach dem Fall der Mauer auf rätselhafte Weise verschwunden waren – und zwar in Havanna. Denn das kommunistische Kuba war auch heute noch ein weißer Fleck auf dem Globus der Bankenwelt. Der ideale Ort also, an dem man sein Schwarzgeld verschwinden lassen konnte.

Der alte Cuong wusste, dass Hausmann dieses Geld dort nicht mehren konnte. Im Gegenteil. Er lief Gefahr, dass die kubanische Regierung ihre Wirtschaftsprobleme mit einem beherzten Griff in die frühere Parteikasse der ehemaligen »Schwester-Partei« lösen würde, je länger das Geld auf einer staatseigenen Bank in Havanna lag. Zumal es niemanden gab, bei dem sich die verflossenen SED-Bonzen darüber hätten beschweren können.

Mit jeder Überlegung, die er auf Hausmann und »sein« kubanisches Geld richtete, erschien dem alten Cuong der Plan vernünftiger. Er würde Hausmann mit einem Preis von zwanzig Millionen und der Aussicht ködern, mit dem Bild von Mark Rothko später auf dem internationalen Kunstmarkt dreißig Millionen Profit rauszuholen. Cuong bezweifelte zwar, dass Hausmann gerissen genug war, das zu schaffen, aber er würde ihn glauben machen, dass er ihm so viel Geschick zutraute. Er ging davon aus, dass Hausmann eitel genug war, darauf reinzufallen. Cuong fühlte sich wie die Schlange, die sich dem Kaninchen nähert.

Der Tag davor

Rostock, Kunsthaus

Die Häuser in Rostock boten an diesem sonnigen Tag ihre bunte Stirn den Winden und zeigten – sehr hanseatisch – Flagge.

Als Trockau auf der Hamburger Straße einen hellen Sechziger-Jahre-Bau an einem kleinen See bemerkte, geriet auch gleich das Hinweisschild »Kunsthaus« in seinen Blick. Er war es gewohnt, Verkehrsschildern und ihrer organisatorischen Durchdachtheit zu vertrauen, und so folgte er ihm in der Hoffnung, zum Parkplatz des Kunsthauses zu gelangen.

Er fuhr einmal um den ganzen Block. Nichts. Auch bei der zweiten Umrundung zeigte sich kein Parkplatz. Das war fürs Autoabstellen wenig hilfreich, der Sicherheit diente es schon eher.

Wo Fahrzeuge nicht ganz selbstverständlich direkt ans Museum heranfahren können, da kann auf demselben Wege auch nichts wegtransportiert werden, dachte Trockau. Zumindest nicht schnell und ohne dass es auffiel. Der Lkw von Kunstspediteur Hasenfeld stand zum Beispiel sehr nahe dem Museum – aber auf einem Rasenstück ganz prominent und gut sichtbar.

Trockau beschloss, seinen Wagen am Ende der Linzer Straße abzustellen, einer netten kleinen Wohnstraße mit roten Backsteinhäusern.

Trotz des herrlichen Lichts an diesem windigen, aber strahlend schönen Tag glaubte Trockau, dass das Kunsthaus schon bessere Zeiten gesehen hatte. »Bessere« vielleicht nicht, korrigierte er sich, aber zumindest war es früher wohl besser in Schuss gewesen.

Trockau ging auf eine schwere Eisentür an der Rückseite des Museums zu, die einen Spalt weit offen stand. Er steckte seinen Kopf ins Innere, um das Terrain zu erkunden, und betrat vorsichtig den Raum, der offensichtlich als Lagerraum des Museums genutzt wurde. Dort herrschte das typische Gewusel der Aufbauarbeiten einer großen Ausstellung. Eine kleine Heerschar von Männern in weißen Overalls steuerte Spezialwagen mit weiß-blauen Bilderkisten und dem Schriftzug »Hasenfeld« durch die Räume. Trockau kannte diese auf Maß gefertigten Kisten, die die Bilder nicht nur erschütterungsfrei bewegten, sondern auch unter klimatisch konstanten Bedingungen. Da konnte es draußen fünfzig Grad sein, im Innern blieb das Bild in der optimal eingestellten Temperatur. Diese Klimakisten zeigten Trockau, dass hier hochkarätige Kunst transportiert wurde.

Nachdem er dem geschäftigen Treiben eine Weile zugesehen hatte, baute sich ein Wachmann vor ihm auf und herrschte ihn in sächsischer Mundart und astreinem Verhörton an: »Was suchen Sie hier?«

Im Prinzip fand Trockau es richtig, wenn ein Wachmann wachsam war. Nur erwischte ihn der befehlsgewohnte Wachpostenton dieses zweibeinigen Schäferhunds auf dem komplett falschen Fuß. Und so schnarrte Trockau in befehlsgewohntem Herrschaftston zurück: »Was ich hier suche, geht Sie gar nichts an.« Als sich der Obrigkeitsbüttel gerade wie ein Ochsenfrosch aufblasen wollte, fügte Trockau ausgesucht freundlich hinzu: »Aber Sie können mir helfen – wenn Sie mögen. Ich suche nämlich den Herrn Guggenstrom.«

Diese Taktik von Zuckerbrot und Peitsche hatte er sich im Umgang mit solchen Schranzen zugelegt. Denn das waren die einzigen Tonlagen, die solche Naturen kannten, so seine Erklärung. Wo Vorschriften das Hirn vernagelten, hatte er es sich abgewöhnt, auf Vernunft zu hoffen.

»So! Und wer sind Sie?«, fragte der menschliche Wachhund mit lauter Stimme zurück und versuchte, Überlegenheit zu demonstrieren.

»Trockau«, kam es kurz und scharf zurück. Und dann so leise und geschmeidig, dass es dem legendären Gustaf Gründgens als Mephisto zur Ehre gereicht hätte: »Ich komme von der Versicherung.«

Das änderte die Haltung des Wachmannes schlagartig. War er bislang mit dem Misstrauen des Obrigkeitsvertreters aufgetreten, der gerade einen potenziellen Missetäter erwischt zu haben glaubte, machte er sich jetzt klein und gab sich devot: »Ah ja, da werde ich Sie gleich beim Chef anmelden. Wenn Sie hier ein Momentchen warten wollen!« Und damit verschwand er.

Wann werden wir diese widerlichen Typen endlich los sein?, fragte sich Trockau. Erst hatten wir die Volksgenossen aus der braunen Brühe an der Backe, und gerade als der biologische Faktor dafür sorgte, dass sie auf natürliche Weise final ausdünnten, kam der Nachschub aus der roten Soße! Und als Nächstes dann die rattenkurz rasierten Raufrüpel aus der Neo-Ecke?

Trockau zwang sich, an das schöne Wetter zu denken und daran, dass er im Urlaub war, sonst wäre ihm die Magensäure in die Kehle gestiegen.

»Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Herr Guggenstrom erwartet Sie«, flötete das Sicherheitsfaktotum jetzt sehr manierlich und schritt eilfertig voran.

Sie gingen durch einen Flur, der mindestens einen, wenn nicht zwei Anstriche hätte vertragen können, und hielten vor einer klapprigen Tür mit der Aufschrift »Direktor«. Klar, dachte Trockau, die Funktion ist wichtiger als der Name des Individuums, der dieses Museum leitet. Trockaus Geleitschutz klopfte, und schon flog die Tür auf.

»Guten Tag, lieber Herr Trockau«, dröhnte ein aufgeräumter Enddreißiger mit sonorer Stimme und nahm dabei fast die ganze Türfüllung ein. »Sie sind mir schon avisiert worden.« Damit trat Guggenstrom beiseite und ließ Trockau eintreten. »Ich hoffe, Sie sind von unserem Sicherheitschef, Herrn Stufenhag, gut durch unser kleines Chaos geführt worden. Danke, Herr Stufenhag.« Damit entließ die sonore Stimme den Wachmann, der noch kurz » …barg, Stuvenbarg« vor sich hin murmeln konnte, ehe die sich schließende Tür Trockau die Sicht auf ihn nahm.

»Lieber Herr Trockau, ich hoffe wirklich, dass Sie unser Herr Stuvenhag ordentlich behandelt hat. Sie kennen das ja: Während der Aufbauzeiten neuer Ausstellungen sind alle Museen dieser Welt in einer Art Ausnahmezustand, und gerade die Sicherheitsleute sind ganz besonders aus dem Häuschen – damit ja nichts schiefgeht. Aber das kann ja nur in Ihrem Interesse sein. Und dem Ihrer Versicherung. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, dröhnte Guggenstrom weiter.

Gegen einen Kaffee in zwangloser Atmosphäre hatte Trockau in der Tat nichts einzuwenden. Schließlich war er weder zum Verhör noch zur Ermittlung hier.

Auf sein Nicken reagierte der Direktor mit einem erfreuten: »Ja? Dann gehen wir doch in unser Café, da gibt’s nämlich einen vortrefflichen Espresso.«

Sie gingen auf demselben Flur – den nun keine menschliche Bulldogge mehr verunzierte – weiter, öffneten eine Holztür und standen in einem angenehm gestylten Café, hinter dessen Tresen eine chromblitzende Carimali-Kaffeemaschine thronte.

»Donnerwetter, Ihr Haus ist ja bestens bestückt«, bemerkte Trockau.

»Ja, beim Kaffee verstehe ich keinen Spaß«, erwiderte Guggenstrom unvermindert laut. »Wissen Sie, ich hasse diese braune Brühe, die im Schneckentempo durch Filtertüten tröpfelt und aus dem Kaffeebrei alles rauswäscht, wovon man Sodbrennen bekommt. Ich will das würzige Aroma eines knackfrischen Espressos, der mit Hochdruck durch das Kaffeepulver gejagt wird. Das weckt meine Lebensgeister.«

Sehr dynamisch, der Mann, dachte Trockau und sagte jetzt ebenso laut wie er: »Ja, ein kleiner Pusher wäre nach dem Frühstück im Hotel jetzt gar nicht schlecht.«

Das irritierte Guggenstrom. Vermutlich war nur einer hier befugt, laut zu reden: er. Aber er bemerkte Trockaus Absicht und dämpfte seine Stimme, als er fortfuhr: »In welchem Haus sind Sie denn abgestiegen, wenn man fragen darf?«

Die Zimmerlautstärke nahm ihm ganz entschieden seine dynamische Ausstrahlung. Vermutlich wusste er das. Doch als er merkte, dass das bei Trockau besser ankam, blieb er dabei und machte sich fachgerecht an der Maschine zu schaffen.

»Man darf: etwas außerhalb, im Ostseehotel in Kühlungsborn«, sagte Trockau, wieder in normaler Lautstärke.

»Im Ostseehotel! Da wohnt auch unser Herr Ko Chan Tha. Muss ein prima Haus sein. Er spricht nur in den besten Tönen davon.«

»Sie kennen es nicht?«

»Na, Sie wissen doch, wie das ist: Da, wo man wohnt, kennt man sich mit den Hotels nicht aus. Warum auch, man hat ja sein eigenes Zuhause.«

Guggenstrom hatte die Maschine so weit präpariert, dass sie zu zischen begann, um einen Espresso zu brauen, wie er sein musste – heiß, schwarz und konzentriert.

»Ja, ich finde dieses Hotel auch ganz ausgezeichnet«, hielt Trockau das Gespräch im Gang und dachte, dass dieser familiäre Ton der richtige sei, um Guggenstroms Auskunftsbereitschaft am Laufen zu halten.

»Sie kennen Herrn Ko Chan Tha?«, fragte der und balancierte die inzwischen gefüllten Tassen um den Tresen herum. »Ich hab gleich mal Doppelte gemacht.« Er setzte eine Tasse vor Trockau ab.

»Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen.«

»Er ist der Eigentümer dieser wunderbaren Exponate, die wir bald ausstellen werden. Und noch so jung! Fünfunddreißig Jahre ist er erst alt.« Damit schob er Trockau den großen Zuckerpott rüber.

»Wie hoch war doch gleich die Versicherungssumme, die unser Haus als Sponsorship übernommen hat?«, fragte Trockau, als er zwei gehäufte Löffel in die Tasse gab.

»Die Ausstellung ist auf einen Wert von zweihundert Millionen Euro versichert«, antwortete Guggenstrom. »Wussten Sie das nicht?«

»So genau nicht«, erwiderte Trockau wahrheitsgemäß. »Ich bin eher der Mann für die Sicherheit. Unter diesen Umständen muss natürlich alles ganz besonders gut funktionieren.« Er nahm einen Schluck des heißen Konzentrats. »Woher kommt dieser Herr eigentlich? Wie heißt er noch?«

»Ko Chan Tha. Er ist aus Burma geflohen.«

»Burma! Geflohen! Und mit fünfunddreißig schon Kunstsammler? Ist ja sagenhaft.« Trockaus Interesse war geweckt. Nicht so sehr in professioneller Hinsicht. Eher wie solche Leute es schafften, in Nullkommanix gewaltige Reichtümer anzuhäufen. Er selbst verdiente zwar nicht schlecht, aber für eine eigene Kunstsammlung hatten seine Einnahmen bislang noch nicht gereicht. Irgendetwas machte er verkehrt, dachte Trockau. Zumindest wirtschaftlich. Ansonsten war er mit seinem Leben ganz zufrieden.

»Herr Guggenstrom«, fuhr er fort, »ich bin wie gesagt wegen der Sicherheit hier. Darf ich deshalb zuallererst die Frage nach der Herkunft der Bilder stellen. Ist sie lückenlos nachweisbar?«

»Selbstverständlich. Ich habe Herrn Ko Chan Tha vor einiger Zeit in Zürich besucht, wo die Bilder im Keller einer Bank in Klimakisten eingelagert waren. Da stehen übrigens noch mehr. Wenn ich das richtig gesehen habe, hat er noch Exponate für vier bis fünf Ausstellungen in seinem Bestand. Wir haben uns aber erst einmal auf diese achtundvierzig geeinigt – abstrakter Expressionismus aus den USA und Pop-Art. Das wird mit Sicherheit ein Renner werden.«

»Bestimmt«, erwiderte Trockau bewusst zuversichtlich.

»Als ich zum ersten Mal gesehen habe, was das für unglaubliche Stücke sind«, fuhr Guggenstrom fort, »wollte ich selbstverständlich wissen, ob das nicht Fälschungen sein könnten, zumal ja die Initiative zu der Ausstellung von Ko Chan Tha ausging. Da stellt man sich natürlich als Erstes die Frage nach der Echtheit, vor allem weil alle Bilder – alle! – noch nie gezeigt wurden. Sie verstehen: Ich will ja nicht ins offene Messer rennen und achtundvierzig Bilder ausstellen, von denen die Legende geht, sie seien vierzig Jahre lang verwahrt gewesen, die in Wirklichkeit aber Neuanfertigungen sind. Auf solche Geschichten sind schon ganz andere reingefallen.«

Tja, dachte Trockau, auch solche Fälle sind mein täglich Brot. Versonnen blickte er in seine Tasse und nickte lächelnd.

»Deshalb haben wir«, berichtete Guggenstrom in Erwartung, Eindruck für sein kühnes Engagement zu schinden, »unter Aufbietung unserer sämtlichen wirtschaftlichen Ressourcen einen ganzen Stab von Experten nach Zürich geflogen, damit die sich die Exponate anschauen konnten. Und das Verblüffende war und ist: Alle Bilder sind zweifelsfrei echt. Das war nicht nur das Urteil unserer Kunsthistoriker. Herr Tha konnte die Echtheit zum großen Teil sogar noch durch die Originalkaufbelege und Rechnungen belegen. Und die Bank zeigte uns auf Anordnung von Herrn Tha die Benutzerprotokolle dieses Schließfachs. Die Bilder wanderten nachweislich von der Galerie direkt in den Tresorraum der Bank, und dort schaute sich diese Meisterwerke niemand mehr an.«

»Ja, es gibt merkwürdige Menschen. Kaufen sich Kunst und verstecken sie dann im Dunkeln«, sagte Trockau.

»Und jetzt kommen diese geradezu jungfräulichen Werke seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder ans Tageslicht. Bei uns! Ist das nicht toll?«

Stolz schwang unverkennbar in Guggenstroms Worten mit. Dann setzte er in eher vertraulichem Ton hinzu: »Wenn Sie sich auf den Rechnungen anschauen, was der Erwerber auf Kunstmessen und bei Galerien damals dafür bezahlt hat und was die Bilder heute wert sind – da verschlägt’s einem die Sprache. Aber Respekt! Der Käufer hatte nicht nur ein sehr geschicktes Händchen in wirtschaftlichen Fragen, sondern auch einen sicheren Geschmack.«

»Hm. Und wann sind die Bilder gekauft worden?«

»Die meisten Ende der sechziger bis Ende der siebziger Jahre.«

»War da Herr Tha schon auf der Welt?«

»Nein, die hat er von seinem früheren Chef geerbt, für den er wohl so etwas wie ein Sohn war. Er hat mir die notariell beglaubigten Erbenpapiere gezeigt, die er auch der Schweizer Bank als Beweis vorlegen musste, dass diese Bilder nun ihm gehören. Das ist alles hundertprozentig wasserdicht.«

Drei Tage davor

Tokio, Narita Airport

Der kleine, drahtige Mann war ganz in Schwarz gekleidet und zog seinen Handgepäcktrolley wie viele andere auch hinter sich her. Die Augen hatte er hinter einer großen Sonnenbrille verborgen, damit ihm niemand den Kater ansehen konnte. Er fürchtete, dass er immer noch eine heftige Fahne hatte und die Dame am Check-in-Schalter ihn deshalb womöglich nicht mitnehmen würde.

Kleiner Bruder, wie ihn sein Auftraggeber einschmeichelnd nannte, tröstete sich damit, dass auch andere männliche Japaner nach der Arbeit gerne einen über den Durst tranken und er vielleicht nicht auffiel, wenn er sich zusammenriss. Der Haken war nur: Um siebzehn Uhr hatte noch kein japanischer Arbeitnehmer Zeit, sich einen hinter die Binde zu kippen. Und Kleiner Bruder war überdies Vietnamese. Unterwegs im Auftrag seines Chefs, dem »alten Cuong«.

Er lenkte seine Schritte zum All-Nippon-Airways-Schalter, wo er nur mit Handgepäck für den Flug um achtzehn Uhr zehn nach Shanghai einchecken wollte. Dieser späte Flug war seine Rettung gewesen, denn das Saufgelage mit seinem alten japanischen Kumpan aus der Einzelkämpferausbildung hatte erst heute Morgen gegen fünf Uhr mit einem fürchterlichen Absturz geendet.

Als sie beide wieder ansprechbar gewesen waren, waren sie zum Bahnhof Akihabara im Stadtteil Kanda gefahren, wo sie einen kleinen Laden aufsuchten, in dem sie sehr spezielle elektronische Bauteile kauften. Er hatte bar bezahlt und sich dann schweren Herzens von seinem alten Freund verabschiedet. Mit dem Narita Express war er die sechzig Kilometer zum International Airport gefahren und befand sich jetzt auf dem Weg zum Check-in.

Als er vor dem First-Class-Counter stand, zeigte er sein strahlendstes Lächeln, sprach sein deutlichstes Englisch und war die Freundlichkeit in Person. Die gut aussehende junge Frau am Counter schaute ihn zunächst prüfend an, doch dann wünschte sie ihm einen guten Flug, da er einer der wenigen Passagiere der First Class war. Vermutlich hielt sie ihn für einen Typen aus der Musikindustrie. Die hatten ja auch gerne einen im Tee. Bei der Gepäckdurchleuchtung und der Body Control lief alles planmäßig. Um zwanzig Uhr fünfzehn würde er in Shanghai ankommen und um dreiundzwanzig Uhr vierzig weiter nach München fliegen.

Der alte Cuong hatte ihm diesen First-Class-Flug nach Shanghai spendiert, weil in keinem anderen Flug zu dieser Zeit ein Platz frei gewesen war. Kleiner Bruder ging davon aus, den Rest des Rausches bis Shanghai ausgeschlafen zu haben. Dann würde er sich ein bisschen den Shanghai Pudong Airport anschauen und sich gegen eins ein spätes Abendessen oder ein »frühes Frühstück« im Flugzeug kommen lassen. Er freute sich auf den Flug, nicht nur weil er gerne flog, sondern auch weil es eine angenehme Abwechslung zu dem ständigen Einerlei seines Lebens an der Grenze zwischen Vietnam und Laos war.

Der Tag davor

Rostock, Kunsthaus

»Hatte der Erblasser alle diese Bilder selbst gekauft?«, fragte Trockau und behielt den interessierten Ton bei.

»Das legen die Rechnungen nahe«, erwiderte Guggenstrom.

»Haben Sie die vorliegenden Rechnungen mit denen der Galerien verglichen?«

»Äh, weniger. Wir haben uns eher auf die Expertisen der Kunsthistoriker verlassen. Warum?«

»Auch Rechnungen kann man fälschen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin hier, um nach dem Rechten zu sehen. Und da gehören solche Fragen dazu.«

»Hm. Aber auch für Kunstgalerien gilt, dass sie ihre Unterlagen für die Steuerbehörden nur zehn Jahre aufheben müssen. Außerdem gibt es mehrere der Galerien nicht mehr, in denen die Bilder damals gekauft wurden.« Der bislang so aufgeräumte Direktor wirkte etwas kleinlaut.

»Haben Sie auf der Seite des Sammlers die Frage nach dem Geld klären können, mit dem die Bilder gekauft wurden?«

»Nun, auch das ist mehr als vierzig Jahre her. Da gibt es keine Belege mehr bei den Banken. Und wenn, dann zeigen sie uns die nicht. Sie verstehen: Schweizer Bankgeheimnis. Außerdem vermute ich mal – aber das muss bitte streng vertraulich bleiben …« Guggenstrom machte eine Pause. »Kann ich mich darauf verlassen?«

»Selbstverständlich!« Diskretion war Trockaus dritter Vorname.

»Also, soweit ich Herrn Tha verstanden habe, hat sein Chef die Einnahmen aus einer Provinz in Burma, die er als eine Art Ministerpräsident kontrollierte, seit den siebziger Jahren in diesen Bildern angelegt.«

Trockau schaute den Direktor verblüfft an; dem wiederum dämmerte, dass er sich da gerade ein bisschen verplappert hatte. Er biss sich auf die Lippen und blickte angestrengt aus dem großen Fenster.

Vorsichtig fragte Trockau: »Kann es sein, dass diese Provinz an der Grenze zu Laos und Thailand liegt?«

Guggenstrom blinzelte kurz und heftete seinen Blick auf die Spitzen seiner Schuhe. Dann hob er die Schuhspitzen, machte eine Schnute, schnalzte mit der Zunge, sog ganz leicht Luft durch die Zähne ein und senkte die Schuhspitzen wieder auf den Boden.

Trockau half noch ein bisschen nach: »Stichwort ›Goldenes Dreieck‹?«

»Das … ist nicht auszuschließen. Aber«, und damit hob der Direktor Stimme und Augen und sah Trockau mit professionellem Anwaltsblick an: »Was ändert das? Die Bilder sind korrekt gekauft, gut gelagert und gehören ganz legitim jetzt demjenigen, der sie hier zum ersten Mal seit vierzig Jahren wieder der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das sind sehr rare Exponate, meist aus den frühen Schaffensperioden der ganz Großen. Und allesamt eine Sensation.«

Guggenstrom machte eine Pause und änderte den Tonfall wieder zu »vertraulich«: »Der muss damals bei der Marlborough Gallery und bei Leo Castelli ein und aus gegangen sein: mit Koffern voller Geld rein und leeren Taschen wieder raus – aber toller Kunst unterm Arm. Damals hatte doch noch niemand eine Idee davon, dass man mit Kunst schmutziges Geld waschen kann. Ich vermute, dass der Chef von Herrn Tha irgendwie Spaß am Kunstsammeln hatte, sonst wären mehr Blindgänger in der Sammlung. Also Sachen, die ihm die Kunsthändler aufgeschwatzt hatten. Sind es aber nicht. Der hatte ein gutes Gespür für das, was wir heute ›gute Kunst‹ nennen. Deshalb sollten wir uns jetzt nicht den Kopf über seine Finanzierungsquellen zerbrechen. Diese Geschäfte sind vor vier oder fünf Jahrzehnten abgeschlossen worden. Und mehr muss man dazu nicht wissen.«

Jetzt deutete Trockau eine Schnute an und gab damit zu verstehen, dass er hier nicht ganz der Meinung von Guggenstrom war: »Ich weiß nicht so recht …«

Das brachte Guggenstrom dazu, sich zu ereifern: »Ja, sollen wir diese Meisterwerke jetzt wegen der Finanzierung durch angebliche Drogengelder verbrennen? Dann müssten wir auch die Kathedrale von Sevilla einreißen. Die besteht nämlich aus dem Blutgold, das die Spanier bei ihrer Conquista aus den Ureinwohnern Südamerikas rausgepresst haben. Und die meisten Schlösser in unserem hehren Europa sind auch nicht aus purer Menschenliebe, sondern mit dem Geld der Armen erbaut worden. Vom Petersdom ganz zu schweigen. Also lassen wir die Kirche im Dom … äh … Rom … na! … Dorf – und diese Bilder in unserer Ausstellung.« Damit stand er auf und ging an Trockau vorbei zur Tür.

Als er dort angelangt war, hatte er sich wieder gefangen. »Wissen Sie was, wenn Sie möchten, dann kommen Sie doch morgen Abend zu unserem Essen im Ostseehotel dazu. Meine Frau und ich haben den Herrn Tha eingeladen. Dann können Sie ihn kennenlernen und sich Ihre eigene Meinung bilden. So gegen neunzehn Uhr?«

»Ich bin da.« Mit einem Lächeln fügte Trockau hinzu: »Ich hab’s ja nicht weit.«

»Prima. Und jetzt zeige ich Ihnen unsere Sicherheitstechnik.« Damit schritt Guggenstrom voran.

»In jedem Ausstellungsraum des Museums«, begann er, jetzt wieder ganz Direktor, seine Führung durch das Aufbaugewusel, »sind Infrarot-Bewegungsmelder, Kameras und Wärmesensoren installiert, die sowohl menschliche Bewegungen als auch Wärmekonzentrationen wahrnehmen. Sämtliche Informationen dieser Rezeptoren werden drahtlos in mein Büro übermittelt, wo alle Kamerabilder auf einer Festplatte aufgezeichnet werden. Durch diese drahtlose Übermittlung – das ist so eine Art WLAN – konnten wir das System ohne großes Aufstemmen der Wände installieren. Außerdem«, führte er weiter aus, »sind alle Fenster elektronisch so gesichert, dass in der nahen Polizeiwache die Sirenen losgehen, wenn jemand von außen eindringt. Und dorthin gehen natürlich auch alle Alarmmeldungen der Bewegungssensoren während der Nacht. Diese Verbindung beruht allerdings in bewährt klassischer Technik auf einer soliden Kabelverbindung. All das haben wir Ihrem Hause zu verdanken. Und das tun wir auch – Ihnen danken.«

Trockau lächelte verbindlich, als ob er für diese Großzügigkeit persönlich verantwortlich wäre.

»Übrigens habe ich das alles auch Herrn Ko Chan Tha gezeigt, damit er beruhigt ist«, fuhr der Direktor fort. »Es wurde ihm sogar en détail von dem Ingenieur der Sicherheitsfirma erklärt, der die Anlage installiert hat. Sonst hätte er uns seine Sammlung nämlich gar nicht zur Ausstellung übergeben. Aber das versteht man ja auch. Bei den Werten. Tja, und wenn Sie sonst keine Fragen mehr haben, dann würde ich mich jetzt wieder über meinen Schreibtisch hermachen.«

»Keine weiteren Fragen«, sagte Trockau.

»Dann sehen wir uns morgen Abend um neunzehn Uhr«, verabschiedete sich der Direktor und überließ es Trockau, sich die Sicherheitstechnik noch einmal allein und gründlicher anzuschauen. Doch der war lediglich von den gezeigten Geräten an den Wänden beeindruckt. Zu mehr Sachkenntnis reichte es bei ihm nicht. Schließlich war er weder ein Nerd noch ein Sicherheitsingenieur, sondern Kunsthistoriker mit einem Faible für Psychologie.

Er beschloss, Dr. Schmoller zu empfehlen, sich ein detailliertes Protokoll von der Sicherheitsfirma zusenden zu lassen, damit er etwas Konkretes in Händen hatte. Mehr konnte er jetzt nicht tun. Ein professioneller Einbrecher, der sich mit so was auskannte, hätte ihm bestimmt mehr sagen können.

Als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihm wieder einmal klar, dass sein Mitarbeiterstab eine eklatante Lücke aufwies: Es fehlte ein mit allen Wassern gewaschener Langfinger. Bislang hatte er einen genialen Fälscher, eine Expertin, die sich in den Auktionshäusern und Museen dieser Welt auskannte, einen Kunsthistoriker und dessen Bruder, der ein elektronisches Tüftelgenie war, in seiner »Wurmbüchse« – wie er sein Team gerne nannte. Es wurde wirklich Zeit, dass er einen kunstfertigen Dieb fand.

Viereinhalb Wochen davor

Saigon, Hotel Rex

»Hausmann!«

Nach schier endlosen Wahlwiederholungen hatte Cuong Hausmann endlich auf dessen Cubacell-Handy erreicht.