Der Fall einer letzten Flocke im Flutlicht

Über Thomas von Steinaeckers frühe Prosa Juvenilia

 

Die Verlockung ist groß, Jugendwerke etablierter Autoren nur als Sekundanten, über den Spiegel des später Erreichten zu betrachten, sie wie einen schattenhaften Steinbruch nach Zukunftsrelikten dessen abzuklopfen, was das Feuilleton einmal bewundern wird. Gerade vermeintliche Naivitäten lassen sich so mit schmunzelnder Sympathie betrachten wie ein Jungtier, das wacklig seine ersten Schritte wagt, das man halten, stützen will im Wissen, es gleich einknicken zu sehen, spätestens beim nächsten Schritt, beim nächsten Satz. Doch meist beschwert das Schutzbefohlene so viel guter Wille nur, bürdet ihm das Gewicht gerade jener Jahre und Erfolge auf, von denen frei es sich doch erhoben und seine Gegenwart behauptet hat, in den besten Fällen mit unwiederbringlicher Leichtigkeit.

Eine delirierende Angriffslust ist darin dann am Werk, die den Schriftsteller – besonders einen so disziplinierten Strukturalisten wie Thomas von Steinaecker – wahrscheinlich später nie wieder ähnlich rückhaltlos antreibt, so blindlings auf den nächsten Abgrund zu, und sei es nur für diesen winzigen Augenblick des Schwebens, bevor die Leere nach einem greift; doch plötzlich trägt da etwas, von dem man sich später beim Lesen seines ersten Romans wünscht, auch Stefan Wallner spüre es noch, als er zu fliegen beginnt, um gleich darauf zu zerschellen, erst dieser, dann jener, dann der folgende Satz, und nie wieder glaubt man so sicher, platzen zu müssen vor Staunen über den Ausblick auf die Welt weit unter sich und zugleich so klar und in allen Details erkennbar und beschreibbar, und wenn nicht ich, wer dann, und wenn schon dieser Ausblick, warum dann nicht gleich die ganze Welt und alles andere eh?

Thomas von Steinaeckers frühen Prosastücke funkeln förmlich vor dieser Kraft aus Übermut und berstender Hemmung des Anfangs, vor der Gier

nach Buchstaben und

ihrem launischen

Verlauf, vor Wille und Vorstellung einer literarischen Form, die den Weltgeist zum Sprachspiel verführt, es geht ja nur ums Leben. Urgewaltige Elemente brechen sich hier Bahn, eine amorphe Sprachenergie steht am Anfang dieses Schreibens, das auch schon Ende sein will. Es tobt und birst, zum Urknall verdichteter Druck. Ein Universum entsteht in Maximum – Minimum – zuerst in der Sprache. Haltlos, rauchlos ist dieses ausgebrochene Feuer zunächst, doch bald züngelt es nach Zügelung, ohne die keine Literatur frei sein kann, Laute werden Wörter werden Bilder werden Fetzen werden Sätze werden wieder still. Die Selbstgeburt der Sprache, sie geht allem Sinn voraus, sie stößt und ruckt und drängt nach Rhythmus wie der hakenschlagende Lauf der Zeit, der den Autor nicht mehr loslassen wird. Vor dieser gleißenden »Leuchtspur durchs All« gibt es kein Wegsehen, und wenn es auch bedeutet, sie schließlich in ewigem Schwarz aufgehen zu wissen, in der Stille, die uns nachfolgen wird, so ist doch selbst dem NICHTS in der Sprache noch ein Zeichen gesetzt, und wenn es nur die Leere einer weißen Seite ist. »Die Sterne werden die Sterne sein. Die Sonne wird die Sonne sein.« Aber nichts wird nicht sein.

Immer wieder werden die kühnen, ja bisweilen kühlen Konstruktionen von Thomas von Steinaeckers Literatur durch solche Sehnsuchtsströme unterspült; doch gerade dadurch halten sie sich über Wasser. In dem nüchternen Analytiker verbirgt sich, etwas verlegen, auch ein Romantiker, der wie im Arbeitszimmer des späten Goethe der Konstruktion stets das Experiment zur Seite stellt, in der drängenden Gewissheit, darin auch tiefer in sich selbst zu blicken. Aus den experimentellen Versuchsreihen ist der Versuchende nie ganz herauszurechnen, er ist Teil der Anordnung, auch er ist in Versuchung geführt. Anders als bei den bräsigen Objektivisten des gängigen Realismus steht zu Beginn von Thomas von Steinaeckers Experimenten das Ergebnis nicht schon fest – und am Ende noch viel weniger. Keine festgesteckten Ziele verfolgen sie, sondern Phänomene, sie bündeln zerstreute Erfahrung. Es ist folglich eine Literatur, die Ambivalenzen aushält und aufnötigt, die irritiert, aber gerade darin bei Atem bleibt, durch teilnehmende Anschauung lebendig wird, wie Goethe es nannte, wahrhaftig wird, eine Literatur der Destabilisierung, vor allem des Erzählers selbst, nicht jedoch der Dekonstruktion.

Denn solange am offenen Herzen operiert wird, schlägt es zumindest noch. Auch in der Weltuntergangsüberschwemmungsgeschichte, dieser Sprachsintflut, halb Oper, halb Comicblase, deren Titel uns schon überwallt, pocht und hämmert etwas mit dem wilden Schlag eines sehnsüchtigen Herzens an die »Weltentür«, als begehrte hier ein junger Autor Zugang zur Flut und scheute nicht ihre Gewalt, solange an ein paar Kommas er sich halten kann. Der Weg zum Schafott kann ein schöner sein, wenn Engel zur Musik des Untergangs tänzeln und das Weltgericht im Takt der Sonnenstrahlen tatatagt. Voll dunkler Lust berichtet uns eine dröhnend schwere Epenstimme von Asche, Feuer, Glut, die heute in Reinhard Jirgls Zukunftsmythologien ihr Echo findet. Fische werfen sich aufs Trockene, befreit von ihrer Mythen Last, die Erde reißt auf, erhebt sich, bis Satzstrukturen bröckeln und Sprachzeichen splittern, »pirouettieren« in babylonischer Verwirrung wie die Eskimos, deren Heime »wasserfallern«. Jede Apokalypse kennt diese Euphorie der Erlösung, auf jeder Titanic intoniert ein Orchester Stücke von Christoph Willibald Gluck, gluck, gluck, und warum nicht in den Abgrund walzern, solange die Sprache »Wassermusik« spielt?

Einigen Abstraktionen des deutschen Expressionismus, dem die Weltuntergangsüberschwemmungsgeschichte