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Editorische Notizen

Dieses Buch ist durchgängig in neuer Rechtschreibung gehalten, auch schriftstellerische Eigenarten Mühsams (z.B. »giltig« statt »gültig«) und differierende Schreibweisen (etwa bei »Bohème«) wurden dabei korrigiert. In Einzelfällen wurden auch offensichtliche Fehler in den historischen Vorlagen behoben. Mühsam-Kenner mögen uns derlei Leseerleichterungen für Mühsam-Neulinge verzeihen.

I .

Nolo – 1902 in der anarchistischen Wochenzeitschrift Der arme Teufel, Albert Weidner Verlag Friedrichshagen, Hrsg.: Albert Weidner, Redaktion: Erich Mühsam.

Redet mir nicht von Kunst, ihr Stümper! – 1904 in Mühsams erstem Gedichtband »Die Wüste«, Eißelt Verlag Berlin.

Was den Künstler ausmacht – Auszug aus »Latente Talente«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, Artikel-Serie von 1927 bis 29 in der Vossischen Zeitung, Ullstein Verlag Berlin, Chefredakteur: Georg Bernhard. In Buchform erschienen sie erstmals 1949.

Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst – 1904 in »Die Wüste«, s.o.

Das neue Jahrhundert – Auszug aus »Namen und Menschen«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Töff Töff – Hurra! – 1903 in der Satirezeitschrift Der wahre Jakob, J. H. W. Dietz Verlag Berlin, Hrsg.: Johann Heinrich Wilhelm Dietz.

Armer Teufel – Auszug aus »Friedrichshagen«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Das Trinklied – 1904 in »Die Wüste«, s.o.

Die Bohème – 1903 in der Wochenzeitschrift Berliner Illustrierte Zeitung, Ullstein Verlag Berlin, Hrsg.: Leopold Ullstein.

Der Revoluzzer – 1907 geschrieben, veröffentlicht 1909 in Mühsams zweitem Gedichtband »Der Krater«, Morgen Verlag Berlin.

»Möblierter Herr« – Auszug aus »Allerlei Begegnungen«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Siegeslied – 1908 unter dem Pseudonym »I. Diot« in Morgen – Wochenschrift für deutsche Kultur, Morgen Verlag Berlin, Hrsg.: Werner Sombart.

Terror – 1907 in der sozialpsychologischen Monatszeitschrift Polis, Polis Verlag Zürich, Hrsg.: Fritz Brupbacher.

Anmerkung: Ursprünglich hatte Mühsam den Text Karl Kraus für Die Fackel angeboten: »Wie denken Sie über das Thema: Politischer Terror? Ich würde darin eine psychologische Begründung anarchistischer Gewaltakte geben, aus der sich die Rechtfertigung von selbst ergibt.« Kraus lehnte ab.

Freiheit – 1908 unter dem Pseudonym »I. Diot« in Morgen – Wochenschrift für deutsche Kultur, s.o.

Das Cabaret – 1907 in Die Fackel, Fackel Verlag Wien, Hrsg.: Karl Kraus

Geschütteltes 1 – verschiedene Originalquellen, hier zitiert nach: »Schüttelreime und Schüttelgedichte von Erich Mühsam«, Sammlung der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 1994, zusammengestellt von Reiner Scholz.

Brief an Julius Bab – gekürzt übernommen aus der Briefsammlung »In meiner Posaune muss ein Sandkorn sein«, erschienen 1984 im Topos Verlag Vaduz, Hrsg.: Gerd W. Jungblut.

Anmerkung: Mit Johannes Nohl unterhielt Erich Mühsam mehrere Jahre lang eine enge homosexuelle Beziehung, wenngleich Mühsam auch weiterhin mit Frauen verkehrte und Nohl mit oft sehr jungen Männern. Letzterer Umstand wurde Mühsam 1910 in der öffentlichen Darstellung des Prozesses um die Gruppe Tat zum Verhängnis. Auch nach dem Ende ihrer Beziehung unterstützte Mühsam Nohl noch häufig mit Geld. Die Studie, für die die beiden hier Material lieferten, veröffentlichte der Dramatiker und Theaterkritiker Julius Bab 1904 unter dem Titel »Die Berliner Bohème«.

Der tote Kater – 1914 in Mühsams drittem Gedichtband »Wüste – Krater – Wolken«, Verlag Paul Cassirer Berlin.

Monte Verità – Auszug aus »Ascona – Eine Broschüre«, 1905 erschienen im Verlag Birger Carlson, Locarno.

Der Gesang der Vegetarier – Auszug aus »Ascona – Eine Broschüre«, s.o.

Deutsche im Ausland – 1906 in Die Fackel, s.o.

Reichstagsfrühling – 1908 unter dem Pseudonym »I. Diot« in Morgen – Wochenschrift für deutsche Kultur, s.o.

Anmerkung: Der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger (Zentrum) machte bereits 1904 die Vergewaltigung mehrerer minderjähriger Afrikanerinnen durch einen deutschen Kolonialbeamten zum Politikum. Damit entfachte er eine hitzige Debatte darüber, ob auch Schwarze eine Seele haben. Diese setzte sich während der Aufstände der Herero und Nama gegen die deutschen Kolonialherren fort, bis es 1907 zu Neuwahlen kam, den sogenannten »Hottentottenwahlen«.

Zur Naturgeschichte des Wählers – 1907 in Die Fackel, s.o.

Die Demokraten – 1904 in der Wochenzeitschrift »Kampf – Zeitschrift für gesunden Menschenverstand«, Kampf Verlag, Hrsg.: Senna Hoy.

Anmerkung: Der Anarchist Senna Hoy hieß eigentlich Johannes Holzmann. Das Pseudonym erhielt er von Else Lasker-Schüler. 1907 ging er nach Russland, um dort politisch zu wirken, und starb dann 1914 31-jährig in einem Warschauer Gefängnis. In einer der letzten Vorkriegsausgaben des Kain schrieb Mühsam einen wütenden Nachruf.

Der Künstler im Zukunftsstaat – 1906 in Die Fackel, s.o.

Das Verhör – 1909 in Mühsams zweitem Gedichtband »Der Krater«, s.o.

Wiener Gastspiel – Auszug aus »Wiener Episode«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Anmerkung: Mühsam deutet hier sein Zerwürfnis mit Karl Kraus an. Grund dafür war die Harden-Eulenburg-Affäre. Der Publizist Maximilian Harden hatte dabei in mehreren Artikeln ab 1906 die persönliche Entourage Kaiser Wilhelm II. angegriffen. Dabei outete er auch den homosexuellen Grafen Eulenburg. Karl Kraus stellte sich daraufhin gegen Harden und brach auch mit Mühsam, als dieser ihn in seiner Streitschrift »Die Jagd auf Harden« verteidigte.

Geschütteltes 2 – verschiedene Originalquellen, hier zitiert nach: »Schüttelreime und Schüttelgedichte von Erich Mühsam«, s.o.

Café des Westens – Auszug aus »Berliner Nachlese«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Gebt mir Schnaps – 1909 in »Der Krater«, s.o.

Schwabing – Auszug aus »Schwabing«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Spiel nur, lustiger Musikante – 1914 in »Wüste – Krater – Wolken«, s.o.

Die Gruppe Tat – Auszug aus dem Aufsatz »Mein Geheimbund«, 1911 in der Tageszeitung Neues Wiener Journal, Verlag Neues Wiener Journal Wien, Hrsg.: Jakob Lippowitz.

Lumpenlied – 1914 in »Wüste – Krater –Wolken«, s.o.

Protest – 1910 in der Wochenzeitschrift Die Zukunft, Verlag der Zukunft Berlin, Hrsg.: Maximilian Harden.

Anmerkung: Mit dem Abdruck von »Protest« erklärte sich Maximilian Harden solidarisch mit Mühsam, der ihn zuvor in der Harden-Eulenburg-Affäre verteidigt hatte. Zu den Unterzeichnern: Frank Wedekind war ein Freund Mühsams und Heinrich Mann sehr interessiert an Mühsams Arbeit mit der Gruppe Tat. Überraschend ist die Unterschrift Thomas Manns, mit dem Mühsam nicht in Austausch stand, der sich aber Jahre später auch für die in der Sowjetunion inhaftierte Zenzl Mühsam einsetzte.

Dies ist der Erde Nacht – 1914 in »Wüste – Krater – Wolken«, s.o.

Tagebuch – Herbst 1910 – gekürzt übernommen aus »Erich Mühsam: Tagebücher / Band 1«, Verbrecher Verlag Berlin, Hrsg.: Chris Hirte und Conrad Piens.

II.

An die Leser! – 1911 in Kain – Zeitschrift für Menschlichkeit, Kain-Verlag München, Hrsg.: Erich Mühsam.

Appell an den Geist – 1911 in Kain, s.o.

Übergangskunst – Auszug aus dem Aufsatz »Heinrich Mann«, 1911 in der Wochenzeitschrift Die Aktion, Verlag Die Aktion, Hrsg.: Franz Pfemfert.

Der Mahner – geschrieben 1910, veröffentlicht 1920 in Mühsams viertem Gedichtband »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, Kurt Wolff Verlag, München.

Anmerkung: Für viele Gedichte von Mühsam ist kein Entstehungsjahr bekannt. In »Brennende Erde« ließ er das aber jeweils mit abdrucken.

Menschlichkeit – 1911 in Kain, s.o.

An allen Früchten unbedenklich lecken – 1914 in »Wüste – Krater – Wolken«, s.o.

Tagebuch – Frühling 1911 – gekürzt übernommen aus »Erich Mühsam: Tagebücher / Band 2«, s.o.

Anmerkung: Die Schauspielerin, Dichterin und Gelegenheitsprostituierte Emmy Hennings blieb eine lebenslange Freundin von Mühsam, auch nachdem sie 1915 mit ihrem späteren Ehemann Hugo Ball in die Schweiz emigriert war. Nach Mühsams Verhaftung 1933 kämpfte sie intensiv für seine Freilassung und versuchte auch, den späteren Nobelpreisträger Hermann Hesse, mit dem sie befreundet war, dazu zu bringen, seine gewichtige Stimme für Mühsam zu erheben. Hesse verweigerte die Unterstützung.

Das Problem der Erotik – Auszug aus »Rückblick – Ausblick«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Wider die Zensur! – 1911 in Kain, s.o.

Hoch die Moral! – 1911 unter dem Pseudonym »Pudel« in der Wochenzeitung Deutsche Montagszeitung, Berlin, Hrsg.: Artur Landsberger, Siegfried Jacobsohn und August Stehle.

Anarchie – 1912 im zusätzlich zur Zeitschrift Kain herausgegebenen »Kain-Kalender«, Kain-Verlag München, Hrsg.: Erich Mühsam.

Sei’s in Jahren, sei’s schon morgen – 1914 in »Wüste – Krater – Wolken«, s.o.

Betrachtungen über den Staat – 1911 in der Satirezeitschrift Der Komet, Komet-Verlag, München, Hrsg.: Paul L. Fuhrmann.

Anmerkung: Mühsam druckte den Text auch im »Kain-Kalender« für das Jahr 1913 ab, ließ dabei aber den letzten Absatz weg. Die Zeitschrift Der Komet war ursprünglich von Mühsams Freund Frank Wedekind mitgegründet worden.

Kain-Kalender 1913 – 1912 im zusätzlich zur Zeitschrift Kain herausgegebenen »Kain-Kalender«, s.o.

Verbrecher und Gesellschaft – 1912 in Kain, s.o.

Politisches Varieté – 1912 in Kain, s.o.

Lieb Vaterland – 1912 in Kain, s.o.

Das Abendmahl – 1911 unter dem Pseudonym »Moritz« in Der Komet, s.o.

Idealistisches Manifest – 1914 in Kain, s.o.

Hoffnung – 1910 geschrieben, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, s.o.

Fasching – 1911 in Kain, s.o.

Geschütteltes 3 – verschiedene Originalquellen, hier zitiert nach: »Schüttelreime und Schüttelgedichte von Erich Mühsam«, s.o.

Ritualmord – 1913 in Kain, s.o.

Entlarvung – 1915 geschrieben, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, s.o.

Das große Morden – 1914 in Kain, s.o.

Tagebuch - August 1914 – gekürzt übernommen aus »Erich Mühsam: Tagebücher / Band 3«, s.o.

Kriegslied – 1917 geschrieben, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, s. o.

Brevier für Menschen – Der Abschnitt »Vom Tode« erschien 1917 in der Monatszeitschrift Ver!, Verlag der freien Künstlervereinigung Wien, Hrsg.: Karl F. Kocmata. Die Abschnitte »Tapferkeit« und »Selbstverantwortung« 1918 in der pazifistischen Wochenzeitschrift Der Friede, Wien, Hrsg.: Benno Karpeles.

Anmerkung: Während des Krieges hatte Mühsam kaum Publikationsmöglichkeiten, wenn überhaupt, dann eher in Österreich und nur in der verklausulierten Form, der er sich hier bediente. Unter dem Titel »Brevier für Menschen« stellte er diese und weitere Kurztexte 1928 für sein Buch »Sammlung 1898–1928« zusammen.

An dem kleinen Himmel meiner Liebe – 1914 in »Wüste – Krater – Wolken«, s.o.

Tagebuch – Frühling 1915 – gekürzt übernommen aus »Erich Mühsam: Tagebücher / Band 4«, s.o.

Gefährtin – 1915 geschrieben, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, s. o.

Abrechnung – Auszug aus dem gleichnamigen unvollendeten Essay zur Kriegsschuldfrage, geschrieben 1916/17.

Anmerkung: Als Mühsam die Arbeit an »Abrechnung« 1916 begann, dachte er tatsächlich, das Ende des Krieges stünde bevor. Dass dem nicht so war, hatte sicher seinen Anteil daran, dass das Werk unvollendet blieb.

Barbaren – 1915 geschrieben, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde – Verse eines Kämpfers«, s.o.

Frank Wedekinds Tod – Auszug aus »Frank Wedekinds letzte Jahre«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

III.

Kain-Flugblatt – November 1918

Anmerkung: Das Datum 06. November unter dem Gedicht verweist darauf, dass Mühsam zeitlebens für sich in Anspruch nahm, an eben jenem Tag als Erster öffentlich die Revolution ausgerufen zu haben.

Zenzl Mühsam: Brief an Martin Andersen Nexö – verfasst im November 1918, zitiert nach »Zenzl Mühsam – Eine Auswahl aus ihren Briefen«, Schriftenreihe der Erich-Mühsam-Gesellschaft Heft 9, 1995, Hrsg.: Chris Hirte und Uschi Otten.

Studenten 1918 – November 1918 in Kain, s.o.

März – März 1919 in Kain, s.o.

Trutzlied – März 1919 in Kain, s.o.

Bayerns zweite Revolution – März 1919 in Kain, s.o.

Baiern ist Räterepublik – April 1919 in Kain, s.o.

Anmerkung: Die veränderte Schreibweise mit i statt y sollte den Bruch mit der bisherigen Geschichte verdeutlichen, ohne das bayerische Traditionsbewusstsein allzu sehr vor den Kopf zu stoßen.

Sechs Tage im April – Auszug aus »Von Eisner bis Leviné – Die Entstehung der Bayerischen Räterepublik«, Fanal Verlag Berlin, 1929.

Tagebuch – Mai 1919 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, dtv München 1994, Hrsg.: Chris Hirte.

Der Gefangene – verfasst im August 1919, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde«, s.o.

Standgericht – Aus den Prozessakten vom Juli 1919, zitiert nach »Scheinwerfer. Färbt ein weißes Blütenblatt sich schwarz«, Verlag Klaus Guhl Berlin 1978, Hrsg.: Fidus.

Silvester 1919 – verfasst im Dezember 1919, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde«, s.o.

Tagebuch – März 1920 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

Rechtfertigung – verfasst im Dezember 1919, veröffentlicht 1920 in »Brennende Erde«, s.o.

Tagebuch – August 1921 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

Zur Judenfrage – Auszug aus »Zur Judenfrage«, erschienen 1920 in der Wochenzeitschrift Die Weltbühne, Verlag der Weltbühne Berlin, Hrsg.: Siegfried Jacobsohn.

Das schwarze Schmachlied – 1921 verfasst; Erstveröffentlichung.

Anmerkung: Der Text ist in einem teils schwer zu entziffernden Notizbuch Mühsams enthalten. Die dritte Zeile der vierten Strophe wurde entsprechend des Endreims von den Herausgebern gemutmaßt. Inhaltlich geht es hier um von nationalistischen Medien verbreitete Gerüchte, die französische Armee würde im besetzten Ruhrgebiet bevorzugt schwarze Soldaten einsetzen, »um das deutsche Blut zu verunreinigen«. Die Existenz dieses Gedichts wurde erst über Herbert Wehners erste Ehefrau Lotte Loebinger bekannt, die in den 1920er-Jahren zu Mühsams Umfeld gehörte. Sie sang den Text 1992 in deutlich veränderter Form (z. B. »von der Etsch bis an den Belt« statt »von dem Allgäu bis zum Harz«) in einer Sendung des Deutschlandfunks. Seither taucht diese veränderte Fassung, in der die vierte Strophe gar nicht vorkommt, immer wieder auf Nazi-Websites auf. Mehrheitlich wird das Gedicht dort als »jüdischer Aufruf zur Rassenschande« zitiert.

Tagebuch – Oktober 1922 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

In der Zelle – 1928 in »Sammlung 1898–1928«, s.o.

Tagebuch – August 1923 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

Das Volk der Denker – 1925 in »Alarm – Manifeste aus 20 Jahren«, Verlag Der Syndikalist, Berlin.

Tagebuch – Juli 1924 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

Herbstmorgen im Kerker – 1928 in »Sammlung 1898–1928«, s.o.

Tagebuch – Dezember 1924 – zitiert nach »Erich Mühsam: Tagebücher 1910–1924«, s.o.

IV.

Verlauf des 21. Dezember 1924 – Auszug aus dem Original-Polizeibericht.

Pflicht – 1925 in »Alarm – Manifeste aus 20 Jahren«, s.o.

Zwei Gäule – Auszug aus »Soll man Memoiren schreiben?«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Die Wacht im Bürgerbräu – 1928 unter dem Pseudonym »Jolly« in der Wochenzeitung Welt am Montag, Verlag Die Welt am Montag Berlin, Hrsg.: Hellmut von Gerlach und Hans Leuss.

Brief an Carl-Georg v. Maaßen – gekürzt übernommen aus der Briefsammlung »In meiner Posaune muss ein Sandkorn sein«, s.o.

Anmerkung: Obwohl eher dem konservativen Lager zugehörig war der Literaturhistoriker Carl-Georg v. Maaßen ein lebenslanger Freund Mühsams.

Kein Hüsung – 1931 unter dem Pseudonym »Tobias« im satirischen Wochenblatt Ulk, Mosse Verlag Berlin, Chefredakteure: Hermann Sinsheimer und Hans Flemming.

Anmerkung: »Hüsung« bedeutet sowohl Wohnrecht als auch Wohnung. Gleichzeitig ist »Der Hüsung« ein Teil der Hufeisensiedlung in Berlin-Britz, in der Mühsam bis 1933 lebte.

Mitteilung – Rundbrief von 1926

Staatsverneinung – 1926 in Fanal, Fanal Verlag Berlin, Hrsg.: Erich Mühsam.

Die Träger der Zukunft – 1927 unter dem Pseudonym »Jolly« in Welt am Montag, s.o.

Amnestie – auch in Russland – 1926 in Fanal, s.o.

Absage an die Rote Hilfe – 1929 in Fanal, s.o.

Barden-Schwur – 1925 unter dem Pseudonym »Jolly« in Welt am Montag, s.o.

Bismarxismus – 1927 in Fanal, s.o.

Widmungsgedicht – Buchwidmung für Myona in einem Auswahlband aus den »Unpolitischen Erinnerungen«, den Mühsam 1931 für Freunde und Bekannte drucken ließ.

Anmerkung: Das Gedicht hat noch einen zweiten Teil, in dem Myona persönlich angesprochen wird. Myona (Anagramm von anonym) war das Pseudonym des Schriftstellers Dr. Salomo Friedländer. Dieser hatte zuvor einen Artikel zur Anthologie »100 Autoren gegen Einstein« beigesteuert.

Freiheit als gesellschaftliches Prinzip – 1930 in Fanal, s.o.

Der Einfall – 1931 unter dem Pseudonym »Tobias« im satirischen Wochenblatt Ulk, s.o.

Fahrt in den Nebel – 1932 unter dem Pseudonym »Tobias« im satirischen Wochenblatt Ulk, s.o.

Das Werk des Lebenden – Auszug aus »Soll man Memoiren schreiben?«, Teil der »Unpolitischen Erinnerungen«, s.o.

Leitsatz – 1929 in Fanal, s.o.

V.

Fasching 1933 – 1931 unter dem Pseudonym »Tobias« im satirischen Wochenblatt Ulk, s.o.

Mühsams letzte Rede – gehalten am 26. Februar 1933. Überliefert von Johann Breitner, zitiert aus Chris Hirtes Biografie »Erich Mühsam. Ihr seht mich nicht feige«, Verlag Neues Leben, Berlin 1985.

Zenzl Mühsam: Erich Mühsams Leidensweg (1) – Auszug aus »Kreszentia Mühsam: Der Leidensweg Erich Mühsams«, Mopr-Verlag, Zürich/Paris 1935.

Anmerkung: Zenzl Mühsam verfasste diese Broschüre ein halbes Jahr nach Mühsams Ermordung im Prager Exil, wo sie mehrfach Besuch von ehemaligen Mitgefangenen ihres Mannes erhielt.

Für meine liebe Zenzl – Auszug aus »Bilder und Verse für Zenzl«, Gefängnis Plötzensee 1933, fotografisch archiviert im Archiv der Akademie der Künste.

Verse aus Plötzensee – Auszug aus »Bilder und Verse für Zenzl«, s.o.

Zenzl Mühsam: Erich Mühsams Leidensweg (2) – Auszug aus »Kreszentia Mühsam: Der Leidensweg Erich Mühsams«, s.o.

Zenzl Mühsam: Brief an Milly Witkop & Rudolf Rocker – verfasst im Oktober 1934, zitiert nach »Zenzl Mühsam – Eine Auswahl aus ihren Briefen«, s.o.

Zenzl Mühsam: Brief an Charlotte Landau-Mühsam – zitiert nach »Else Levi-Mühsam: Zwei geistverwandte Menschen« in »europäische ideen, Heft 5/6«, Berlin 1974, Hrsg.: Andreas W. Mytze.

Der Tote – 1928 in »Sammlung 1898–1928«, s.o.

Impressum und Copyright

Erste Auflage
Verbrecher Verlag Berlin 2014
www.verbrecherverlag.de

© Verbrecher Verlag 2014

Lektorat: Kristina Wengorz
Satz und Ebook-Herstellung: Christian Walter

ISBN Print: 978-3-943167-84-9
ISBN EPUB: 9783957320254
ISBN Mobipocket: 9783957320261

Der Verlag dankt Stefanie Gimmerthal und Philipp Zöhrer.

Vorwort

Es ist nicht möglich, Leben und Werk Erich Mühsams getrennt voneinander zu betrachten, und es gibt wohl kaum einen Schriftsteller, bei dem ein solcher Versuch sinnloser wäre. Der schüttelreimende Kabarettist lässt sich ebenso wenig vom staatsfeindlichen Freigeist trennen, wie der melancholische Poet vom politischen Häftling, der anarchistische Agitator nicht vom lebenslustigen Erotomanen und der Dramatiker nicht vom handelnden Revolutionär. Selbst Mühsams langsames und qualvolles Sterben als eines der ersten Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie war kein bitterer Zufall. Denn er wurde nicht vorrangig seiner jüdischen Herkunft wegen ermordet, wie so viele nach ihm, sondern als Anarchist und Autor jenes umfangreichen Werkes, das er uns hinterlassen hat, ein Werk, das weder im unverwechselbaren Sound und Witz seiner Sprache noch in seinen emanzipatorischen Inhalten an Aktualität verloren hat. Mühsams Kernthemen waren unbeschränkte Freiheit im Leben und Denken sowie der Kampf »für Gerechtigkeit und Kultur«. Zwar entwickelte sich seine politische Weltsicht mit den gesellschaftlichen Brüchen, die er erlebte, aber zum revolutionären Anarchisten wurde er nicht erst mit den Jahren, er war es von Anfang an. Und dafür gab es gute Gründe.

Als Mühsam am 6. April 1878 als Sohn eines jüdischen Apothekers in Berlin geboren wurde, war das deutsche Kaiserreich erst sieben Jahre alt, der entscheidende Grundstein für zwei Weltkriege und das Grauen der Naziherrschaft somit gerade erst gelegt. In der Gründung dieses Reiches hatten sich die Träume des deutschen Bürgertums erfüllt, dessen Mehrheitshaltung sich nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 zunehmend konservativ-nationalistisch und antisemitisch ausprägte. Noch in Mühsams Geburtsjahr wurde Bismarcks »Sozialistengesetz« verabschiedet, das zur Aufspaltung der Sozialdemokratie in die spätere SPD einerseits, und die sogenannten Linkssozialisten bzw. Anarchisten andererseits führte. Vorrangiges Ziel der Ersteren wurde es, um nahezu jeden ideologischen Preis als Partei in den Reichstag zurückzukehren und dort staatstreu wirken zu dürfen. Letztere blieben von der Notwendigkeit einer radikalen gesellschaftlichen Neugestaltung überzeugt, die über die Teilnahme am Parlamentarismus nicht zu erreichen sei. Das war auch Mühsams Haltung und scheint sie bereits in jungen Jahren gewesen zu sein. Zumindest wurde der angehende Schriftsteller schon als Siebzehnjähriger wegen »sozialistischer Umtriebe« vom angesehenen Lübecker Gymnasium Katharineum verwiesen.

In vielen literaturwissenschaftlichen Abhandlungen oder Vor- bzw. Nachworten zu postumen Publikationen seiner Werke wird Mühsams leidenschaftlicher Anarchismus aus der Rebellion gegen den äußerst autoritären Vater heraus erklärt, und damit aus der politischen in die psychologische Sphäre verlagert. Derlei Versuchen, den Revolutionär Mühsam und seine politischen Überzeugungen herunterzuspielen, um so den Dichter Mühsam für ein sozialdemokratisches Bürgertum zu »retten«, das er verachtete, möchten wir mit diesem Buch deutlich entgegentreten. Zu stringent ist die Entwicklung seiner politischen Ideen, und zu aufopferungsvoll bemühte er sich stets darum, sie gegen alle Widerstände tatsächlich zu leben, bis hin zur Bereitschaft, für sie zu sterben, als dass man seine Überzeugungen primär auf pubertäre Auflehnung zurückführen könnte. Auch mit dem Beruf des Schriftstellers verband er nie die Vorstellung eines weltabgewandt-schöngeistigen Künstlertums, sondern den Wunsch, politisch zu wirken und die Welt zu verändern. Seine Motivation, ja, sein ganzes Programm, dem er lebenslang treu bleiben sollte, verkündete er 1902 in der anarchistischen Zeitschrift Der arme Teufel. »Nolo« (»Ich will nicht«) lautet der Titel dieses literarischen Befreiungsschlages, mit dem Mühsam gleichzeitig die politische und die literarische Bühne betritt, weshalb wir diesen Text auch an den Anfang des Buches gestellt haben.

Zu Mühsams weiterem Werdegang sei an dieser Stelle nichts gesagt. Das wollten wir ihm selbst überlassen und haben daher die lyrischen und essayistischen Texte so mit autobiografischem Material kombiniert, dass Mühsams Leben in seinen eigenen Worten mit erzählt wird. Die Auswahl der Texte erfolgte dabei nicht nach dem Best of-Prinzip, sondern stellt unseren – sehr persönlichen – Versuch dar, möglichst viele Facetten seines Lebens und Wirkens zu beleuchten. Daher enthält das Buch auch Passagen aus längeren Prosaschriften sowie Texte, die er seinerzeit unter Pseudonym publizierte, und die in anderen Sammlungen in der Regel nicht auftauchen. Auf manche seiner politischen Irr­tümer, wie etwa die kurzzeitige ideologische Verwirrung zu Beginn des Ersten Weltkrieges (für die er sich noch lange schämen sollte), haben wir aus reinen Platzgründen verzichtet, nicht etwa, um sie zu unterschlagen. Gerne hätten wir dagegen den Artikeln aus seiner zweiten selbstherausgegebenen Zeitschrift Fanal mehr Platz eingeräumt. Diese sind jedoch meist so stark dem tagespolitischen Geschehen in der Weimarer Republik verhaftet, dass eine Fülle von Erläuterungen nötig geworden wäre, was dem Charakter eines Lesebuches widersprochen hätte. Die wenigen Anmerkungen, die wir dennoch für angebracht hielten, haben wir in den editorischen Notizen am Ende des Bandes untergebracht.

Was Mühsams letzte grauenvolle anderthalb Jahre in den Gefängnissen und KZs Nazideutschlands betrifft, so gibt es hierzu naturgemäß nur wenige eigene Aufzeichnungen. An dieser Stelle lassen wir seine Frau Kreszentia (Zenzl) Mühsam zu Wort kommen. Zum einen, weil wir der Ansicht sind, dass die Beschreibung seines Martyriums in dieses Buch gehört, zum anderen, weil dasselbe auf die Person Zenzl zutrifft. Von 1915 an lässt sich Erich Mühsams Leben und Wirken ohne ihre Mitwirkung und Unterstützung nicht mehr denken. Gemeinsam standen sie während der Revolution 1918/19 auf den Barrikaden, gemeinsam durchlitten sie die Jahre seiner Festungshaft und die Zeit seiner Folterung. Mit Erich Mühsams Tod begann für Zenzl dann ein lebenslanger Kampf um Nachlass und Andenken ihres Mannes. Im Zuge dessen musste sie – als Stellvertreterin seiner »gefährlichen« Ideen – in die Sowjetunion flüchten, wo sie wenig später denunziert wurde und Lubjanka, Arbeitslager und Verbannung zu überstehen hatte, bevor sie, 19 Jahre später, in die DDR ausreisen durfte. Dort ertrug sie es stoisch, dass man sie als »unsichere Kantonistin« unter Aufsicht stellte, hielt sich sogar an die unmenschliche »Empfehlung«, dem Grab ihres Mannes in West-Berlin fernzubleiben und schrieb betont herzliche Briefe an eben jenen Wilhelm Pieck, der sie seinerzeit in Moskau als »Trotzkistin« ans Messer geliefert hatte – alles nur, damit Mühsams Werke wieder gedruckt werden konnten. Erst 1962, auf dem Totenbett, gab die achtundsiebzigjährige Zenzl Mühsam widerstrebend die Urheberrechte aus der Hand.

Auch ihrem Andenken ist dieses Buch gewidmet.

Markus Liske und Manja Präkels
Ventspils, Dezember 2013

I.
Freiheit als Prinzip

(1901–1911)

Nolo

»Nolo« will ich mich nennen – nolo: Ich will nicht! Nein, ich will in der Tat nicht! Nein, ich will nicht mehr all die unnötigen Leiden sehn, deren die Welt so übervoll ist; mich all den Torheiten fügen, die uns die Freude rauben und das Glück in all den Ketten hängen, die unsere Füße hindern auszuschreiten und unsere Hände zuzugreifen. Ich will nicht mehr mit ansehen, wie ungerecht und chaotisch des Lebens höchste Güter – Kunst und Wissen, Arbeit und Genuss, Liebe und Erkenntnis – verstreut liegen. Ich will nicht mehr – nolo!

Lindern will ich die Leiden und sprengen die Fesseln, soweit meiner Sprache Kraft reicht. Doch nicht zu euch rede ich, die ihr euch sonnt im Glanze derer, welche den andern das Licht abfangen; – nicht zu euch, die ihr die Füße küsst, die euch treten; sondern zu euch, die ihr Abscheu und Ekel davor empfindet, die ihr gleich mir ausruft: Nolo – ich will das alles nicht mehr sehn, nicht mehr dulden.

Euch rufe ich, die ihr meinen Schwur versteht: Nolo! – die ihr euren König in euch wisst und euren Gott, deren Thron euer Herz ist, und die ihr Treue haltet den Gesetzen der Wahrheit und der Menschlichkeit; euch rufe ich herbei und will mit euch aufräumen mit aller Schmach und aller Unterdrückung. Unsere Waffen sind Freude und Begeisterung. Unsere Losung schallt, wo wir auf Herrschsucht und Bosheit stoßen: Nolo! – Ich will nicht.

Und sind einmal meine Worte sarkastisch und voll lauten Lachens – schaut unter die Maske, und ihr werdet den grimmen Ernst erkennen, der die Feder führt. Ob Anklage oder Glossen, ob Peitschenhiebe oder Nadelstiche – jeder Satz soll ein Ringen sein nach Befreiung, ein Weckruf und ein Gelübde, dass ich’s nicht mehr schleppen will: Nolo!

Ein neues Wissen, eine neue Kunst ringt hervor. Neue Wahrheiten erzwingen sich ihren Weg. Helfen wir ihnen zum Licht und zum Leben! Die alten Dogmen müssen dem Neuen weichen, das gewaltig hereintritt.

Es gibt keinen Kompromiss zwischen Altem und Neuem. Und wir wollen keine Brücken. Die ewig alten und immer neuen Werte Friede, Freiheit, Freude vertragen keine Einschränkung.

Von hoher Warte aus wollen wir Menschenrechte und Menschenwürde bewachen und ins Horn stoßen, wenn ihnen Gefahr droht, allen Mannen zur Mahnung, auf der Hut zu sein.

Aus jedem Satz, aus jedem Wort soll der Name klingen, den ich von nun an führen will, der mir Kampfgeschrei und Siegfanfare sei: Ich will nicht! Nolo – Nolo – Nolo!

Redet mir nicht von Kunst, ihr Stümper!

Redet mir nicht von Kunst, ihr Stümper!

Redet mir nicht von Leben, Krüppel!

Missgunst blinzelt euch unter der Wimper,

Hundeangst vor dem Knotenknüppel!

Was schert euch mein Tun! – Lasst mich zufrieden! –

Was wisst ihr, ob meine Fiebern sieden!

Lasst mich allein meine Weltluft schnappen –

Und kühlt euch selber mit feuchten Lappen!

Doch ich verdiene, dass ihr mich betupft

Und an mir riecht und an mir zupft! –

Was greine ich um euch! – Was spei’ ich euch nicht

In das eitle grinsende Angesicht! –

Geht mir vom Leibe! – Lasst mich allein! –

Ich höre nach mir einen Menschen schrei’n.

Was den Künstler ausmacht

[…] Was den Künstler ausmacht, ist, neben der angeborenen Veranlagung, Gesehenes, Erdachtes und Erlebtes zu formen: Gesinnung, Fleiß und das Streben nach einem Weltbild. Wirklich tragische und unüberwindbare Künstlerkonflikte, die grundverschieden sind von privaten Differenzen mit der Umwelt, ergeben sich fast nur aus dem Fehlen einer dieser Eigenschaften. Selbstverständlich ist besonders der Mangel an Fleiß in zahllosen Fällen begründet im Mangel an materiellen Mitteln, und ich kenne keine widerwärtigere Weisheit als die, dass Not und Entbehrung geniebefördernde Antriebsmotoren sein sollen. Übrigens habe ich, sooft er mir auch begegnet ist, den Trostspruch niemals von anderen Leuten gehört als von kunstfremden Banausen oder gehemmten Mäzenaten, deren eigener Leib zeitlebens von Not und Entbehrung verschont geblieben ist. Dagegen bedingt das Vorhandensein aller Voraussetzungen echter Künstlerschaft durchaus nicht immer die Klarheit des begnadeten Individuums über das Gebiet seines Könnens und seiner Berufung. Goethe ist mit seinem Jugendwahn, sein Genie habe ihn zum Maler bestimmt, keine Ausnahmeerscheinung. Künstler, die sich verschiedenen Musen ergeben haben, beweisen nichts für die onkelhafte Lehre, wer in mehreren Künsten brillieren wolle, könne in keiner etwas leisten; sie beweisen nur, dass Künstlerschaft im Drange zu metaphorischem Ausdruck in Erscheinung tritt, nicht in der Zufälligkeit einer formalen Begabung. […]

Was meine eigene künstlerische Laufbahn betrifft, so habe ich allerdings Zweifel darüber, wohin ich durch Neigung und Fähigkeit gehöre, niemals kennengelernt. Ich glaube, ich habe Verse gemacht, ehe ich schreiben und lesen konnte. Als Elfjähriger dichtete ich Tierfabeln, verdiente mit knapp sechzehn Jahren in der Woche drei Mark, indem ich – in ängstlicher Heimlichkeit vor Eltern und Geschwistern – für den Komiker eines Lübecker Zirkus-Varietés regelmäßig die letzten lokalen und politischen Aktualitäten in seine Couplets hineinwob, und verfasste als Sekundaner das übliche Gymnasiasten-Drama in fünf aus je mindestens drei Vorhangszenen bestehenden Akten in fünffüßigen Jamben mit gereimten Kraftstellen und Aktschlüssen; es hieß »Jugurtha«, hielt sich in seinem Verlauf eng an Sallusts Beschreibung und ließ zuletzt den trotzigen König von Numidien auf offener Szene im Kerker verhungern. Mit siebzehn Jahren flog ich aus dem Lübecker Katharineum heraus, weil ich den Direktor und einige Lehrer in anonymen Berichten an die sozialdemokratische Zeitung bloßgestellt hatte, was die feierliche Bezeichnung »sozialistische Umtriebe« erhielt, und entfaltete, nach einjährigem Besuch des Gymnasiums in Parchim in Mecklenburg in die Vaterstadt zurückgekehrt, als Lehrling der Adler-Apotheke in Gemeinschaft mit meinem Freund, dem damaligen Unterprimaner Curt Siegfried, eine lebhafte Tätigkeit als ungenannter Artikelschreiber für sämtliche Lübecker Tageszeitungen. […]

Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst

Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst. –

Es ist zwölf Uhr und Mittagsruh. –

Sie fluchen und schreien. – Der eine schmeißt

Dem andern lachend die Flasche zu,

Die heizend von Mund zu Munde reist, –

Und keiner weiß es, wie arm er ist. –

Ich komme des Weges. Und einer erblickt

Den lässigen Gang, die groteske Gestalt:

»Hallo! ein Kerl, dem es oben tickt!« –

Und wildes Gelächter ans Ohr mir schallt.

Ich sehe nicht auf. – Die wissen ja nicht,

Dass dem, um den ihre Rohheit lacht,

Ihr Schicksal klagend zum Herzen spricht, –

Sie fragen auch nicht, ob er Verse macht.

Und ich geh’ weiter. Da kommen mir zwei

Verlebte Dirnen kreischend vorbei.

Aus ihren Augen starrt freudlose Gier,

Am Munde frisst wüster Nächte Lust, –

Nur Leiber, nur seelenloses Geschlecht, –

Die armen Wesen, die nie gewusst,

Dass sie arm und verlassen sind, – und nicht schlecht. –

Da stößt eine die andere an: »Du, hier!

Der dürfte mir nicht für ein Goldstück ins Bett!«

Und sie kichern frech. – Sie können nicht wissen,

Dass ich mein Herzblut gegeben hätt’,

Wüsst’ ich sie in treuer sorgender Hut –

Wüsst’ ich ihrem Frieden ein weiches Kissen, –

Auch nicht, wie weh ihr Lachen tut.

Und ich geh’ meines Wegs. Aus der Schule kommen

Erblühende Mädchen, halbwüchsige Knaben,

Die eben vom schrulligen Lehrer die frommen

Gelehrsamkeiten empfangen haben,

Mit denen die Menschen die knospenden Seelen

Verkümmern, unmerklich zu Tode quälen.

Doch mit der Jugend schnellem Erspähn

Hat mich ein Dutzend Augen gesehn.

Da machen sie höhnisch die Zungen breit

Und richten spottend auf mich die Finger. –

Ahnen sie denn, dass ein Mensch in der Näh’,

Der sinnt, wie man aus dem Geisteszwinger

Die werdenden jungen Geschlechter befreit? –

Fragen sie: Tut unser Spott nicht weh? – –

Und endlich bin ich, wohin ich gewollt:

Am Kinderspielplatz – bei den Kleinen.

Hei, wie es mir da entgegentollt!

Es hängt mir am Hals, an den Armen, den Beinen.

Ach – hier sind doch Menschen, die menschlich fühlen,

Die kleinen Kinder, die sorglos spielen,

Die wissen, wer ihnen Freund, wer Feind,

Wer mit ihnen lacht und mit ihnen weint.

Hier bin ich glücklich – hier, wo ich fand

Die ich suchte, die Heimat: mein Kinderland!

Das neue Jahrhundert

[…] Das letzte Quartal meiner pharmazeutischen Laufbahn war ich in Berlin engagiert, in einer Apotheke am Weddingplatz. Die Absicht, zum 1. Januar 1901 den Beruf aufzugeben, stand schon fest, als ich die Berliner Stelle antrat. Wie das eigentlich sein würde, wenn ich nun mein Brot als freier Schriftsteller suchen sollte, davon hatte ich nur sehr dunkle Vorstellungen. Die wenigen Menschen, denen ich mich anvertraute, rieten mir dringend ab, auch Siegfried, dessen materialistische Besorgnisse mich ärgerten und meinen Trotz versteiften. Hans Land, dem ich mit einem Novellenmanuskript einen Brief mit meinen Nöten und Konflikten schickte, ermahnte mich in der Antwort ausführlich, ich solle das Heer des geistigen Proletariats nicht vermehren helfen. Dass er dazu aber fand, dass meine eingesandte Geschichte »irrelevant« und als Beitrag seiner Wochenschrift abzulehnen sei, das kränkte mich so, dass ich von dem Entschluss, ihn persönlich aufzusuchen, abstand. Ich habe Hans Land erst Jahre später persönlich gesprochen. Er wird wohl erst jetzt erfahren, wie viel Verstimmung er vor siebenundzwanzig Jahren in einer vertrauensvollen und ringenden Seele aufgerührt hat.

Aber gerade in Hans Lands »Das neue Jahrhundert« hatte ich den enthusiastischen Hinweis auf eine Schrift und eine Vereinigung gefunden, die dann für meine Entwicklung und sogar für die Gestaltung meines Lebens größte Bedeutung bekam. Es war die erste Schrift einer beabsichtigten Serie von »Flugschriften zur Begründung einer neuen Weltanschauung«, die unter dem Namen »Das Reich der Erfüllung« von Heinrich Hart und Julius Hart bei Eugen Diederichs herausgegeben war. Ob ich bei der Lektüre der violett kartonierten Schrift den philosophischen Kern der zum Begreifen der All-Einheit aufrufenden Essays »Vom höchsten Wissen« und »Vom Leben im Licht« gut gekaut und solide verdaut habe, bezweifle ich. Aber das weiß ich, dass mich die mystisch-trunkene, gonghaft schallende Prosa benebelte: »Vom Wahnsinn wollen wir euch befreien. Apokalyptische Reiter brausen in der Luft. Von den Bergen steigt der Paraklet herab, der Tag des Wieder-Christus bricht an.« Und im Schlussappell »Unsere Gemeinschaft« wurde aufgefordert, die Erkenntnis der Identität von Welt und Ich umzusetzen in Leben und Tat. »Über all die Trennungen hinaus, welche die heutige Menschheit zerklüften, will unsere Gemeinschaft diejenigen zusammenführen, in denen sich klares Schauen, reife Einsicht mit dem festen Willen verbindet, die neue Weltanschauung zu leben und das höchste Kulturideal zu verwirklichen.« Wer nähere Mitteilungen haben wollte, sollte sich bei einem der Brüder Hart melden. Da der feste Wille, das höchste Kulturideal zu verwirklichen, bei mir vorhanden war, ich auch in mein klares Schauen und meine reife Einsicht keine Zweifel setzte, so schrieb ich an Heinrich Hart und war so glücklich, postwendend von ihm eine sehr freundlich gehaltene Antwort zu erhalten, in der er mich aufforderte, ihn zu besuchen. Der nächste freie Nachmittag sah mich zum ersten Male in der drei Stock hoch gelegenen Mietwohnung eines berühmten Mannes, in der Rönnestraße 11. Das wird im Dezember 1900 gewesen sein.

Heinrich Hart schien meine Befangenheit gar nicht zu bemerken. Er behandelte mich wie einen Gleichaltrigen und Gleichklugen und berichtete von den Veranstaltungen, die die Neue Gemeinschaft schon geleistet hatte, von denen, die demnächst folgen sollten, von der Wohnung in der Uhlandstraße, wo bald im eigenen Heim Vorträge und gesellige Zusammenkünfte neue Menschen zu neuem Leben vereinigen würden, bis ein großes Landgut erworben werden könne, und da sollten wir dann als Vorläufer einer in sozialer Verbundenheit wirkenden großen Kommune der Menschheit eine Gemeinschaft des Glücks, der Schönheit, der Kunst und der von neuer Religiosität erfüllten Weihe »vorleben«. Ich war aufs Höchste begeistert von all den herrlichen Aussichten und auch von dem Mann, der so gläubig und von seiner Mission erfüllt, und dabei doch so klar und stellenweise sogar humorvoll in seiner harten westfälischen Aussprache mir jungem Menschen seine Ideen und Pläne darlegte. Dann fragte er mich nach meinen eigenen Angelegenheiten, und als ich ihm nun erzählte, dass mir die Apothekerei bis zum Halse stehe, dass ich die Berufung zum Dichter in mir fühle, dass ich deshalb meine Existenz als freier Schriftsteller führen wolle, dass mir aber von allen Seiten abgeraten und die schrecklichste Enttäuschung prophezeit würde, da rief er fröhlich: »Unsinn! Wenn Sie keine Angst haben vor ein bisschen Hunger und ein paar Fehlschlägen, dann tun Sie getrost, was Sie ja doch tun müssen. Wie kann man denn einem Menschen von dem abraten, wozu es ihn drängt!« Er stellte mir seinen Rat zur Verfügung, ermunterte mich, ihm meine Gedichte zu bringen, und lud mich ein, zur Eröffnung des Gemeinschaftsheims und zu dem Vortrag zu kommen, den Gustav Landauer an dem und dem Tage im Architektenhause über Tolstoi halten werde. Beim Abschied schenkte er mir die zweite Flugschrift vom »Reich der Erfüllung«. Die Neue Gemeinschaft, ein Orden vom wahren Leben. Vorträge und Ansprachen, gehalten bei den Weihefesten, den Versammlungen und Liebesmahlen der Neuen Gemeinschaft mit Beiträgen von Heinrich Hart, Julius Hart, Gustav Landauer und Felix Hollaender.

Beglückt zurückgekehrt an meine Arbeitsstätte am Wedding, stürzte ich mich auf das Buch. Darin aber fand ich einen Aufsatz, den ich fünf-⁠, sechsmal hintereinander las, der mich erschütterte, aufwühlte, überwältigte und mit einer Klarheit erfüllte, die mir zugleich zeigte, wie wenig Klarheit ich aus den Hymnen und Lyrismen des ersten Bändchens gewonnen hatte. Den Namen des Verfassers dieses Aufsatzes kannte ich bis dahin noch nicht, diese Berühmtheit war meinem und offenbar auch Curt Siegfrieds literarischem Spürgeist entgangen, und ich ahnte auch jetzt noch nicht, wie schlechthin entscheidend für mich der geistige Einfluss und die bis zu seinem gewaltsamen Tode anhaltende Freundschaft mit der Persönlichkeit werden sollte, die hier als Autor der Arbeit »Durch Absonderung zur Gemeinschaft« zum ersten Male in meine werdende Welt trat. Es war Gustav Landauer. Die von Heinrich und Julius Hart in den violetten Heften zuerst publizierte Arbeit aber hat Landauer später in sein Werk »Skepsis und Mystik« übernommen, ein Buch, dessen wesentlicher Inhalt bezeichnenderweise gerade eine scharfe Polemik gegen Julius Harts verschwommene Philosophie vom Neuen Gott und von der neuen Weltanschauung ausmacht. Der Eindruck, den ich von Landauers revolutionär-philosophischem Aufsatz erhielt, vertiefte sich noch, als ich seine Vorträge über Tolstoi und Nietzsche hörte. Welche Wege mich dieser große Denker und Mensch geführt hat, als in kurzer Zeit die persönliche, bald sehr nahe menschliche Beziehung sich auswirkte, wieviel Grund ich habe, dem Freunde, der mein Lehrer war, dankbar zu sein, davon zu sprechen würde sofort in Gebiete führen, die hier nicht berührt werden sollen. […]

Töff töff – Hurra!

Puff puff puff und töff töff töff –

Kindsgeschrei und Hundsgekläff!

Durch die Linden rase, rase!

Patriotisch, mit Emphase!

Hurra, hurra! Ganz Berlin

stinkt nach Gummi und Benzin.

Holla, holla, Polizei!

Halte Platz und Straßen frei,

dass das Auto nicht mehr weichen

oder stolpern über Leichen

braucht, denn das gab erst Geschrei

und ’ne Straßenschweinerei.

Maul gehalten, Bürgersmann!

Was gehn dich die Autos an?

Schleunigst ran zu Huldigungen,

»Deutschland, Deutschland« mitgesungen!

Andernfalls fliegst du ins Loch.

Hurra, hurra – dreimal hoch!

Tutend, pustend kommt’s gesaust,

Jubel und Begeist’rung braust.

Mütter krähen, Väter niesen:

Deutschlands Treue ist erwiesen.

Kindsgeplärr und Hundsgekläff –

Deutschland – hoch! hurra! töff töff!

Armer Teufel

[…] Ich kam nach Friedrichshagen als Mitbegründer, Mitarbeiter und verantwortlicher Redakteur der Wochenschrift Der arme Teufel, als dessen Herausgeber Albert Weidner zeichnete. Weidner war von Hause aus Setzer, die Zeitschrift wurde dadurch materialisiert, dass er sich auf Abzahlung den erforderlichen Schriftsatz kaufte; seine Artikel flossen stets ohne Manuskript aus dem Kopf in den Setzkasten, während dem ich dabeisaß und mir bei einer Tasse Kaffee und einer Zigarre das aktuell-satirische Gedicht abquälte, das unter dem Pseudonym »Nolo« jede Nummer beleben musste oder technische Redaktionsarbeiten erledigte. Doch gehören die Erinnerungen, die unmittelbar mit dem Armen Teufel verbunden sind, nicht in den Zusammenhang dieser unpolitischen Rückschau. Um so mehr gehört das übrige Erleben meines Friedrichshagener Jahres hinein.

Schon die Wohnung. Kurz bevor ich mein Köfferchen packte, um den großen Umzug zur Vorortstation einzuleiten, klagte mir Margarete Beutler ihre Not: Sie war im Begriff, nach München zu ziehen, wo sie bei den »Elf Scharfrichtern« auftreten sollte. In ihrer Schöneberger Wohnung stand ihr ererbtes Mobiliar, das sie aus Pietät nicht verkaufen wollte, dessen Transport nach München aber zu teuer war und das bei einem Spediteur einzustellen ihr ebenso sinnlos wie kostspielig schien. Wir lösten das Problem damit, dass ich in Friedrichshagen statt eines möblierten ein leeres Zimmer mieten sollte, worin ich die Möbel aufzustellen, zu benutzen und zu betreuen hätte. Zum Unglück fand sich in ganz Friedrichshagen kein leeres Wohnzimmer, sondern nur ein höchst primitiver Nebenraum zu einer Waschküche im Hofe eines Hauses in der Ahornallee. Dort mietete ich mich ein. Ein Ofen war nicht vorhanden, auch keine Tapete, dafür aber eine Kalkwand, die früher von weißer Farbe gewesen sein sollte. Die Tür war ein gewaltiges, ungehobeltes Brett, außen wie innen ohne Klinke; sie schnappte beim Zuschlagen ins Schloss und konnte nur mit einem mächtigen Scheunentorschlüssel geöffnet werden. Der unbezahlbare Vorzug der Behausung war aber das Fenster, das, vom Hofe aus nicht erreichbar, in die das ganze Anwesen rückwärts abschließende Mauer eingelassen war und ins dichte Kieferngehölz hinauszeigte. Verließ ich mein Zimmer auf diesem Wege, so brauchte ich bloß einiges Gebüsch und Gestrüpp zur Seite zu kämpfen und befand mich auf der schönen Waldchaussee zwischen Friedrichs­hagen und Köpenick. So gelang es mir mehrmals, unwillkommenen ­Besuchern behördlicher Persönlichkeiten auszuweichen, und einmal konnte ich auch ein junges Mädchen aus dem Rheinland, dem es in unserer Friedrichshagener Gesellschaft besser gefiel als zu Hause, durch mein von keiner Straße sichtbares Fenster den Armen der ihr nachjagenden Mutter entreißen.

Unsere Gesellschaft! Eine gewisse Verwandtschaft mit der, die um das Jahr 1890 am Müggelsee gehaust hatte, war durch die enge freundschaftliche Beziehung des Kreises um den Armen Teufel mit den Künstlern und Schriftstellern, die den Ort reichlich belebten, von selbst gegeben. Die Rolle des Mittlers, der in beiden Lagern zu Hause war, fiel mir zu. Von der vorigen Generation hatten nur noch Bruno Wille und Wilhelm Bölsche ihren Wohnsitz in Friedrichshagen. Sie pilgerten Morgen für Morgen zusammen nach Rahnsdorf; einige wenige Male durfte ich sie begleiten und beobachten, dass ihre Gespräche nie um banale Dinge gingen, sondern literarische und zumeist naturwissenschaftliche Gegenstände betrafen, von denen Bölsche mit fröhlicher Forscherfreude, Wille mit der etwas pastoralen Würde sprach, die ihn nie verließ, selbst dann nicht, wenn sich die beiden unzertrennlichen Dioskuren einmal mit uns Jüngeren an den Zechtisch setzten; das geschah nur ausnahmsweise, aber diese Ausnahmen wurden in der »Klause« durch sehr ausgedehnte Sitzungen gefeiert, und an Trinkfestigkeit nahmen es die beiden Ehrensenioren durchaus mit uns auf. […]

Das Trinklied

Stimmt eure Seelen zu festlichen Klängen,

Füllt eure Herzen mit jauchzendem Wein! –

Denn die Jahre der Jugend drängen,

Und das Alter bricht polternd herein, –

Noch strahlen uns Sonnen, noch blinken uns Gläser,

Noch lachen uns Lippen und Brüste heiß, –

Noch blühen die Blumen, noch grünen die Gräser,

Aber eilt euch: Was rot ist wird weiß!

Rasch ziehen vorüber die glücklichen Stunden.

Hält uns nicht Jugend, – wir halten sie nicht!

Wehrt euch der Würde! – Der ist überwunden,

Den fromme Sitten plagen und Pflicht!

Nieder mit dem, den Sorgen bedrücken, –

Denn der weiß nicht, was Leben heißt:

Lebend genießen, lebend beglücken, –

Aufs Leben trinken, bis es zerreißt!

Trinken! Trinken! Auf Leben und Sterben!

Leben! Leben! Auf Blut und Kuss!

Leert den Pokal, dann keilt ihn in Scherben!

Lebt euer Leben – und dann ein Schuss!

Trinken ist Leben, und Leben ist Trinken!

Nieder der Schwächling, der trunken fällt!

Wein her! – Wir wollen im Leben versinken!

Das Leben her! – Es lebe die Welt!

Die Boheme

Boheme! – Was denkt sich der brave Mann am häuslichen Herd und seine noch bravere Gattin nicht alles bei diesem mystisch-abenteuerlichen Wort: ein Maleratelier mit primitiven Holzmöbeln, ein halbes Dutzend Mal-Stellagen, an der Wand prickelnde Aktbilder, verschmierte Paletten, genialisch wüst gruppierte Gipsmasken. Der Inhaber sitzt, eine Fiedel in der Hand, auf der Ecke des Tisches, um ihn herum eine Anzahl dekolletierter Modelle, jedes ein Sektglas in der Hand, und eine Batterie Henkell trocken schussbereit auf dem Fußboden.

Nein, meine Herrschaften, so sieht Boheme nicht aus – aber anders. Überhaupt – suchen Sie sich mal erst in Berlin echte Bohemiens. Ach, du große Güte! Davon gibt’s verdammt wenige.

Ja, in München! – Schöne, göttliche Münchener Tage, wann kehrt ihr zurück? – Da saßen sie dicht bei dicht gedrängt im Café Stefanie. Der wilde Ludwig Scharf und der wüste Leo Greiner, der freche Frank Wedekind und der tolle – aber nein! Wie darf ich den Namen nennen! – Na, die Münchner sind weit weg, die können mir nichts tun, und ich habe mich ja mit der Berliner Boheme zu befassen. Da werd’ ich mich natürlich vorsehen. Was in München das Café Stefanie, das ist in Berlin das Café des Westens – aber in kleinerem Maßstab. Da sitzen sie –––­–