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Impressum
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-22510-8)
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© 2011 Beltz Verlag, Weinheim und Basel
Herausgeber und Lektorat: Bernhard Schön, Idstein
Umschlaggestaltung: www.anjagrimmgestaltung.de (Gestaltung), Stephan Engelke (Beratung)
Umschlagabbildung: © plainpicture/PhotoAlto
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-22568-9

Inhalt

Respekt
Respektlos kann vieles sein
Was ist Respekt?
Woher kommt respektloses Verhalten?
Respekt funktioniert gegenseitig
Was können Eltern für einen respektvollen Umgang tun?
Schule und Motivation
Eltern und Jugendliche stehen unter Druck
Warum Jugendliche »null Bock« auf Schule haben
Warum Schule und Pubertät nicht zusammenpassen
Wenn Eltern Druck machen …
Was die Jugendlichen motiviert
Die Kinder so nehmen, wie sie sind
Körper und Sexualität
Manche Kinder kommen schon sehr früh in die Pubertät
Der Beginn der Erwachsenensexualität
Medien und Alltag
Jugendliche wachsen mit elektronischen Medien auf
Wie Eltern den Medienumgang der Kinder begleiten können
Pornografie auf der Festplatte
Identität und Markenklamotten
Auf der Suche nach der Identität
Alkohol und Drogen
Extremer Alkoholkonsum nimmt zu
Worauf Eltern achten können
Wenn Jugendliche Drogen nehmen
Wie Eltern helfen können
Grenzen und Grenzüberschreitungen
Jugendliche brauchen Halt und Freiräume gleichzeitig
Eltern haben Angst davor, zu versagen
Elterliche Präsenz heißt Position beziehen
Vertrauen und Selbstwertgefühl
Eltern können (und sollten) nicht alles kontrollieren
Erziehung ist Beziehung
Im Kontakt mit den Jugendlichen
Pubertät ist eine kraftvolle Zeit

Liebe Leserin, lieber Leser!

Louisa, 14 Jahre: »Manchmal fühle ich mich, als ob ich vor Kummer sterbe, und dann wieder seh ich die Welt durch eine rosarote Brille! Es ist ein Chaos voller Gefühle und eine Achterbahn durch das Leben! Vieles ist verwirrend, aber es ist eine unglaublich aufregende Zeit!«
Unter »Jugend« fand sich 1896 in Meyers Konversationslexikon der Verweis »siehe Alter«. Im Mittelalter gab es keine Jugendzeit im heutigen Sinne. Es ging nahtlos von der Kindheit in die Erwachsenenzeit.
Heute weiß jedes Grundschulkind, dass es die Pubertät gibt und dass es sich für manche um hoch vermintes Gelände handelt. Eltern nicken sich verständig und manchmal mitleidvoll zu: »Mein Kind ist in der Pubertät« – die Probleme damit scheinen geradezu schicksalhaft gegeben. Ein Pubertierender ist dann nicht nur ein Jugendlicher auf dem Weg zum Erwachsenwerden, sondern jemand, den man mit Samthandschuhen oder auch mit »starker Hand« anfassen muss. Nur: Was ist gerade das Richtige?
Pubertät heute, das ist mehr als neue Verkabelungen im Gehirn und vermehrte Hormonproduktion. Pubertät heute, das beginnt manchmal bereits mit zehn Jahren, geht weiter mit G8 und mündet in Rätseln wie: Was passiert im Chat? Welches Video läuft auf dem Handy? Nimmt meine Tochter die Pille?
Pubertät ist heute definitiv anders als zu der Zeit, als die Eltern sie selbst durchlebt haben. Für die meisten Jugendlichen ist es die Zeit, in der sie sich neu erfinden, in der sie ausprobieren, wie sie leben und lieben wollen, und das ist manchmal schmerzhaft, manchmal herrlich, manchmal traurig – oft turbulent. Pubertät heute hat viele Seiten: Sie ist unersättlich, empfindlich, begehrlich, unergründlich, in jedem Fall unersetzlich.
Pubertät ist unersättlich, empfindlich, begehrlich, unergründlich, in jedem Fall unersetzlich.
In diesem Buch geht es um die Herausforderungen, denen Eltern heute gegenüberstehen – in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft, in der wie nie zuvor die Zeit des Heranwachsens von Neuen Medien geprägt ist.
Kann man in der Pubertät überhaupt noch erziehen?
Viele Eltern und auch Erziehungsexperten haben das Gefühl: Wenn die Kinder in der Pubertät sind, dann ist die Erziehung »gelaufen«. Jugendliche kann man nicht mehr erziehen. Ich bin da anderer Meinung. Eltern werden sehr wohl noch als Erzieher und präsente Begleiter in dieser Zeit gebraucht.
Nur: Der Erziehungsstil wandelt sich im guten Fall. Eltern werden immer mehr dazu übergehen, zu verhandeln. Es wird mehr diskutiert, mehr ausgehandelt, und es ist gut, wenn Eltern sich als Diskussionspartner bereithalten. Und zwar als Diskussionspartner, die auch den Mut haben, eine Meinung zu vertreten, die in den Augen der Jugendlichen nicht so populär ist. So können die Jugendlichen sich orientieren, und sei es, um eine Haltung vorzufinden, von der sie sich abgrenzen können und sicher sind: »So möchte ich es nicht machen.«
Pädagogen definieren Erziehung als »soziales Handeln, das bestimmte Lernprozesse bewusst und absichtlich herbeiführen und unterstützen will, um relativ dauerhafte Veränderungen des Verhaltens zu erreichen«. Und das geht nicht nach dem »Trichterprinzip«, das heißt: »Ich muss oben nur genug Erziehungsappelle reinstecken, dann wird schon das Richtige unten rauskommen.« Auch bewusstes Vorleben ist Erziehung. Kinder lernen zum Beispiel, wie man sich sozial verhält, indem sie es an den Eltern sehen. Präsente Eltern zu haben ist bis in das Erwachsenenalter hinein gut und hilfreich.
Im siebten Kapitel, »Grenzen und Grenzüberschreitungen«, geht es darum, wie Eltern, die das Gefühl haben, »machtlos« zu sein, ihre Präsenz in der Familie wiedererlangen können. Wie sie aktiv Lernprozesse und Verhaltensänderungen bei ihren Kindern unterstützen können.
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© kunterbunt/Heidi Velten
Immer wieder erlebe ich in meinen Beratungsgesprächen mit Eltern, dass Ratschläge oft auch Schläge sein können. Deshalb stehen in diesem Buch keine direkten »Handlungsanweisungen«. Die würden auch nicht funktionieren, da jedes Kind und jede Familie verschieden ist. Aber es gibt viele Anregungen, Ideen, Tipps für eine gute Pubertätszeit – für Jugendliche und Eltern.
In den Schuhen der Jugendlichen
Es kommen Eltern und Experten zu Wort, aber vor allem die Jugendlichen selbst habe ich gefragt, was sie zu den Themen »Respekt«, »Schule und Motivation«, »Sexualität«, »Medien«, »Identität und Markenklamotten«, »Alkohol und Drogen«, »Grenzen«, oder »Vertrauen und Selbstwertgefühl« zu sagen haben. Ihre Meinung ist eine große Hilfe dabei, sich hineinzufühlen in die Welt eines Menschen, der kein Kind mehr ist und sich auf der Suche nach der eigenen Identität befindet.
Ich habe sie nicht gefragt, um die Verhältnisse umzukehren und die Jugendlichen zu Erziehern zu machen. Die Meinungen der Jugendlichen eröffnen uns die Chance, einmal die Perspektive zu wechseln, kurz in die Haut der Jugendlichen zu schlüpfen und zu sehen: Wie wirkt das, was ich tue und sage?, letztlich: Wie wirkt Erziehung?
Wenn wir hören, dass der 15-jährige Philipp findet: »Erwachsene haben oft keinen Respekt vor den Jugendlichen und denken, sie würden nur Mist bauen«, ist das ein guter Hinweis, um zu überprüfen, wie wir denken und uns vielleicht unbewusst verhalten. So kann es gelingen, die Jugendlichen mit Wertschätzung und Respekt zu begleiten auf ihrem Weg ins eigenständige Leben.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei und eine gute und spannende Zeit mit den Jugendlichen!
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© iStockphoto/Yuri Arcurs
Respekt
»Erwachsene haben oft keinen Respekt vor den Jugendlichen und denken, die würden nur Mist bauen.« (Philipp, 15 Jahre)
  
  
Lisa telefoniert. Ihre Mutter findet, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen: »Lisa, würdest du bitte auflegen?« Keine Reaktion. »Lisa leg jetzt bitte auf und geh ins Bett.« »Ja, gleich«, kommt die etwas gereizte Antwort. Nach fünf Minuten ist nichts passiert. Die Mutter ermahnt Lisa noch einmal: »Lisa, leg jetzt bitte auf«, und da schießt es genervt aus der Tochter heraus: »Jetzt halt doch mal die Klappe, du alte Schlampe.« Zisch. Das ist die Zündung für Mamas Wortsalve: »Bescheuerte Zicke!« »Was bildest du dir ein?« »Du telefonierst überhaupt nicht mehr.« Und so kann das Wortgefecht weitergehen, bis Türen knallen, die Fetzen fliegen, Verletzungen ausgetauscht sind.
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© mauritius images/Image Source
Was ist passiert? Lisa fühlte sich beim Telefonieren gestört. Sie hat sich gewehrt, auf verletzende Weise. Die Mutter empfand das zu Recht als Angriff. Sie will sich nicht so behandeln lassen und münzt ihre Kränkung in Verletzungen der Tochter um. Auch die Tochter war getroffen. Beide gehen als Verlierer vom Platz. Das »Wortgefecht« brachte sie noch weiter auseinander
Die Mutter könnte auch anders reagieren. Sie könnte die Lippen aufeinanderpressen und gar nichts sagen, sich nach der ersten »Wortattacke« gekränkt zurückziehen und nicht mehr mit ihrer Tochter sprechen. Auch das ist eine Reaktion, die Unklarheit hinterlässt, Ärger und Hilflosigkeit.
Es gab Zeiten, da ging es anders zu: »Du sollst deine Eltern ehren – und zwar bedingungslos«, hieß die Parole. Dass von Kindern blinder Gehorsam und Ehrerbietung gefordert wurden – egal, wie ungerecht die Eltern waren –, gehört nicht mehr zum normalen Erziehungsstil heutiger Eltern. Und die Prügelstrafe ist auch kein gängiges Erziehungsmittel mehr. Zum Glück! Nur, was jetzt?

Respektlos kann vieles sein

Respektlosigkeiten können überall »lauern«. Manche haben sich vielleicht schon so eingeschliffen, dass wir sie gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Aber sie prägen die Atmosphäre.
Respektlosigkeiten können überall »lauern«.
Zwei andere Situationen:
Die Mutter hat Freundinnen eingeladen. Das Gespräch dreht sich um die Kinder. »Puh, meine Tochter ist voll in der Pubertät«, hört Lisa ihre Mutter »posaunen«, als sie an der Küche vorbeikommt, »die führt einen Tanz auf, wenn etwas nicht nach ihrer Nase geht.« Lisa zuckt zusammen.
Peter hat seinen Ranzen im Wohnzimmer abgelegt. Sein Vater kommt von der Arbeit nach Hause und stolpert darüber. »Peter, verdammt noch mal, du bist echt zum Kotzen, kannst du nicht mal deinen Scheiß hier wegräumen?«, tönt es aus seinem Mund.
Pit, 13 Jahre: »Die Atmosphäre bei mir zu Hause ist schlecht, weil ich oder meine Eltern keinen Respekt haben.«
Es gibt grobe und sehr subtile Arten von Respektlosigkeiten: Die »alte Schlampe« der in ihrem Telefonat gestörten Tochter ist ähnlich unwürdig wie die »bescheuerte Zicke« der provozierten Mutter oder der »Scheiß« des Vaters. Alles sind grobe Beleidigungen, die man sich dem Kollegen gegenüber nicht unbedingt erlauben würde. Anstatt den anderen direkt zu beleidigen, »reicht« es manchmal auch, das runterzumachen, was diese Person mag: die Lieblingsmusik, die Freunde, die Kleidung, die Art, sich zu geben. Manchmal ist es auch nur ein missbilligender Ton oder eine abfällige Geste, die verletzt.
Manchmal ist es auch nur ein missbilligender Ton oder eine abfällige Geste, die verletzt.

Respektlosigkeiten sind Kult

Im Fernsehen putzen Dieter Bohlen, Heidi Klum oder Stefan Raab Gäste, die sich nicht wehren können, vor einem Millionenpublikum runter. »Na, schau dir doch mal deine dicken Oberschenkel an, wer hat dich denn auf die Idee gebracht, dich hier zu bewerben?«, tönt es vor laufender Kamera. Respektlosigkeiten sind Kult für die Fans solcher Fernsehshows, aber auch im wahren Leben. Lehrer mobben, Schüler dissen, via Internet oder auch Aug’ in Aug’, scheint cool zu sein – für manche jedenfalls. Drei Mädchen aus der achten Klasse haben einen Siebtklässler entdeckt. Sie halten ihn fest, schubsen ihn herum und ziehen ihm dann gemeinsam die Hose herunter. Sie lachen ihn aus und lassen ihn weinend zurück.
Andere Schüler haben sich über einen Lehrer geärgert, der einen Klassenkameraden hat sitzen lassen. Ihre Rache folgt im Internet. Dort montieren sie seinen Kopf auf die Körper von Pornodarstellern und verschicken diese Montagen an andere Schüler.

Was ist Respekt?

Wenn von Respekt die Rede ist, gibt es vor allem zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen: Respekt, das heißt einerseits »Wertschätzung«, »Aufmerksamkeit«, »Ehrerbietung«. Aber es kann damit auch »Ehrfurcht«, etwa vor einer Gottheit, gemeint sein.
Manche Eltern glauben, es sei wichtig, dass die Kinder vor ihnen Ehr-Furcht haben, und sind stolz, sagen zu können: »Vor mir hat er aber Respekt.« Sie sind stolz, weil sie meinen, ihre Kinder so »gebändigt« zu haben, dass die sich nicht trauen, ihnen zu widersprechen oder ihre Anweisungen zu missachten. Das ist hier nicht gemeint, wenn wir von Respekt reden. Vielmehr geht es um die Wertschätzung der Person des oder der Jugendlichen.
Respekt als die Achtung vor dem anderen. Jeder Mensch ist anders als wir und auch anders, als wir es vielleicht gerne hätten. Das trifft auch auf unsere Kinder zu. Sie haben eine andere Meinung, sie regeln Dinge anders, sie sind nicht so gut in der Schule, sie machen nicht so gerne Sport, suchen sich Freunde aus, die uns nicht gefallen und sie haben nicht dieselben Vorlieben wie wir. Für manche Eltern ist es eine bittere Erkenntnis, dass ihr Sohn ganz andere Musik liebt als sie selbst oder dass die Tochter die eigenen Träume von der Ballettkarriere nicht erfüllen mag.
Es ist wichtig, dass Eltern die Kinder so annehmen, wie sie sind, und sie nicht anders haben wollen. Wer den Kindern immer wieder klarmacht, dass sie nicht »richtig« sind, dass er sie gerne anders hätte, besser in der Schule, ruhiger zu Hause oder auch lebhafter, sportlicher oder schlanker, und gleichzeitig alle Verhaltensweisen und Eigenschaften, die ihm nicht gefallen, verächtlich macht, der darf sich nicht wundern, dass seine Kinder kein Selbstvertrauen entwickeln und ständig mit dem Gefühl leben: An mir stimmt was nicht; ich bin falsch. Ein schreckliches Gefühl, das verunsichert und sehr traurig macht. Diese Traurigkeit zeigt sich kaum, sie wird häufig hinter Verschlossenheit oder auch hinter Aggression versteckt. Kinder müssen nicht durch Erziehung nach unseren Vorstellungen zurechtgebogen werden. Von Geburt an sind sie eigene Lebewesen und verdienen Respekt.
Kinder müssen nicht durch Erziehung nach unseren Vorstellungen zurechtgebogen werden. Sie sind von Geburt an »komplett« und verdienen Respekt.

Woher kommt respektloses Verhalten?

»Respekt« ist ein zentrales Thema, das Eltern von Jugendlichen heute beschäftigt. Sie schütteln den Kopf, wenn sie nur daran denken, was ihre Kinder ihnen alles an den Kopf werfen, was sie sich herausnehmen, wie sie mit ihnen umspringen. »Alte Schlampe« gehört da fast noch zu den harmloseren Beschimpfungen.
Heute wird Eltern gern vorgeworfen, sie wollten sich bei den Jugendlichen nur beliebt machen, scheuten die Konfrontation, hätten wenig Zeit und würden alles erlauben, wenn die Kinder nur laut genug maulen.
Das ist zu kurz gegriffen, denn für Respektlosigkeiten gibt es viele Ursachen: