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Wiglaf Droste

Auf sie mit Idyll

Die schöne Welt der Musenwunder

Mit einer Gastgeschichte von

Rayk Wieland

FUEGO

für H.

Jesus und die Lärmbolde

Ostersamstag war Anbaden, im Großen Zermittensee, nordwestlich von Rheinsberg. Ein erster Versuch, im Großen Patschsee schwimmen zu gehen, war wenige Stunden zuvor gescheitert; der Patschsee ist moorig und modrig, bis tief über die Knie war ich in schwarzen Schlick eingesunken. Kein angenehmes Gefühl, in glibschigem Schmadder zu stehen, und die Sumpf- und Faulgase, die aus dem schmandigen Untergrund aufstiegen, ließen die Phantasie erst recht in unschöne Gefilde schweifen. Was oder wer dort unten wohl alles lag? Wasserleichen? Ertrunkene und Hingemeuchelte aus sieben Jahrhunderten? Mich schauderte; ich sah zu, dass ich Land gewann und machte, unter dem fröhlich entenschnattrigen Gelächter meiner Liebsten, dass ich aus dem Wasser kam.

Die Schrecken, die sich aus der Vorstellungskraft speisen, waren vergessen, als wir in den Zermittensee glitten. Kühl war es, erquickend, und dann bald kneifend kalt – aber endlich war die persönliche Badesaison eröffnet. Das erste Bad des Jahres in einem freien Gewässer ist immer etwas Besonderes – eine Taufe ohne christliches Gedöns, eine Verheißung des Sommers und eines freien, ungezwungenen Lebens. Auf zwei frisch erworbenen Diamant-Rädern zischten wir durch Wald und Flur retour nach Rheinsberg, den Fischen entgegen, die just für uns aus dem Wasser gezogen worden waren:

Maräne, Aal und Zander,

legt euch zueinander!

Macht ruhig etwas schneller,

ja, kommt auf diesen Teller!

So saßen wir in der Abendsonne und ließen’s uns wohl sein wie im Grimmschen Märchen. Die Feiertage hatten Touristen ins Städtchen gespült, die Gastronomen zeigten sich vorbereitet und hatten ihre Angebote mit Kreide auf große Tafeln geschrieben. Mancher Offerte waren die Worte »Für unsere Senioren« vorangestellt – das Wort »unsere« hat in diesem Zusammenhang einen etwas herabsetzenden Klang: als erwarte man entmündigungsreife Rollatorengeschwader, die es abzufüttern und anschließend zügig zurück ins Heim zu schicken gilt.

Zwar umhüllt den Touristen als solchen oft etwas Dämmriges, wenn er, in Gruppe oder Tross, herumtrottelt und die Welt mit sich vollmacht und verstopft. Doch tritt gerade der Seniortourist bevorzugt demonstrativ sportlich auf, um seine Hinfälligkeit nicht nur vor den anderen, sondern besonders vor sich selbst zu verbergen. Dutzendfach kann man an einem Wochenende jugendlich sportiv gewandete Fitnessrentner auf Hochleistungsrädern herumjagen sehen. Knotenwadig lassen sie die Kränze ihrer Kettenschaltungen knacken und zeigen eine hochtrainierte Virilität vor, die niemand mehr von ihnen möchte, auch nicht geschenkt.

Doch die christlichen Feiertage haben auch ihre guten Seiten. Zwar tobt das Reisebusunwesen, andere Quellen der Unbill aber versiegen zumindest temporär. Bauarbeiter, also Trommelfellterror verbreitende Lärmlinge, müssen feiertags innehalten.

Bauarbeiter sind die Helden von vier- bis sechsjährigen Jungs, eben weil sie lärmen und Krach machen können, wie es ihnen gefällt, und weil ihnen dazu sämtliche Folterwerkzeuge zur Verfügung stehen. Wer auf dem Entwicklungsstand eines Vier- bis Sechsjährigen hängen bleibt, wird dann idealerweise selbst Bauarbeiter; so kann er sich Tag für Tag eine Freude machen.

Jede Frau weiß, wie anstrengend und nervtötend baggernde Männer sind; sie machen so viel Wind und Geräusch, sie drücken auf die Tube und geben keine Ruhe. Bauarbeiter aber, die mit einem veritablen Bagger herumbaggern, ziehen nicht nur das weibliche Geschlecht in Mitleidenschaft, sondern unisono alle. Dem akustischen Schrecken fügen sie optischen hinzu, indem sie in Sichtweite anderer ihre Dixi-Toiletten aufstellen, zu denen sie dann ihre Maurerdekolletees schleppen, von deren Existenz sie andere so gern in Kenntnis setzen.

Unter den Bauarbeitern nimmt der Gerüstbauer eine gesonderte Stellung ein. Er ist noch zeigefreudiger als seine Kollegen; wenn er auf dem Gerüst herumturnt, muss jede und jeder ihn sehen, ihn und seine Prachtpakete, und damit auch alle zusammenzuckend hinschauen, schmeißt der Gerüstbauer sein Gestänge durch die Welt und lässt es scheppernd herniederkrachen.

Es kam der Tag, an dem sie mich mit dem Rücken zur Wand hatten. Von allen vier Seiten war das Haus eingerüstet, unten wurden die Fundamente freigelegt, zu welchem Zwecke Metallverblendungen weggeflext werden mussten, und eine weitere Abordnung von Krachschlägern kletterte aufs Dach, um mir von oben zu kommen, denn der Augenblick schien gut gewählt, auch im Kamin einmal nach dem Rechten zu sehen und auch dort gleichermaßen sinnfern wie geräuschvoll herumzumocheln. Die Kräfte, die ich hatte aufbringen können, um meine Trommelfelle von innen zu verstülpen, waren versiegt. Ich griff zur Waffe des Dichters und schrieb den Satz »Der Gerüstbauer ist ein Irrtum der Evolution« auf ein Blatt Papier, das am Gerüst hing. Und wartete ab.

Nach nur fünf Tagen hatten die Fachleute für das Ohrenbohren sich offenbar durch den Text hindurchgefriemelt und rückten an. Es klingelte; eine Abordnung Gerüstbauer stand in der Tür, vier Mann breit und hoch, allesamt ordentliche Kanten und Humpen. Ihr Anführer zeigte auf das Papier am Gerüst und sprach im zarten Argot der Brandenburger: »Watt soll’n ditte?«

Sagenhaft, dachte ich; der Gerüstbauer kennt das Wort Evolution und seine Bedeutung, hat sich jedoch entschlossen, nicht an ihr teilzunehmen. Das aber sagte ich nicht, sondern äußerte mich eher allgemein über Arbeit, die Lärm erzeugt und solche, die bei Lärm zu verrichten unmöglich ist.

Beiderseits unbeschadet gingen die Gerüstbauer und ich auseinander, und in der folgenden Zeit zeigte ich mich hochgeradig sensibilisiert für das Leben der Gerüstbauer. Ich entdeckte eine Brandenburger Gerüstbaufirma mit dem Namen »Peiniger Rö Ro« – wobei »Rö« und »Ro« allerdings nicht für Röhren und Rohre steht, sondern für röhrende Rohheit. Der aber hin und wieder Grenzen gesetzt werden: Zu Ostern müssen selbst Gerüstbauer schweigen. So gesehen ist Jesus nicht völlig umsonst gestorben.

Schon am Dienstag nach Ostern allerdings traten sie samt und sonders wieder an, die Lärmbolde und Dixi-Toilettisten. In meinem Herzen und in der Natur habe ich einen Platz für sie gefunden: den Großen Patschsee. Das Hohe Lied des Moores will ich singen. Erst wenn der letzte Bauarbeiter und der letzte Gerüstbauer Heimat genommen haben im tiefen, modrigen Grund, werden wir mit Friedrich Schiller sagen können: Das Moor hat seine Schuldigkeit getan, das Moor kann gehen.

P.S. In einer ersten Fassung hatte ich das Zitat von Mohr und Schuldigkeit noch William Shakespeare und seinem Drama »Othello« zugeschrieben. Es stammt aber aus Friedrich Schillers »Verschwörung des Fiesco« – von dessen Existenz ich nicht einmal Kenntnis hatte und mit »Fiesco« auch gar nichts assoziierte; allenfalls hätte ich es für ein verzichtbares Produkt des gleichfalls überflüssigen Autoherstellers Ford gehalten. So ist das mit den Bildungsdebatten in Deutschland: Der Anwurf gegen andere, ihre Bildung sei mangelhaft, fällt immer auf den Anwerfenden selbst zurück, und der steht dann da wie ein begossener Gerüstbauer.

P.P.S. Eine Blende zum glücklichen Ende: Mit Hilfe eines Freundes gelang es mir, die abscheuliche Dixi-Toilette aus meiner Optik zu entfernen. Eines Nachts drangen wir auf das Gelände der Baustelle ein, packten das blaue Ungetüm, vandalierten es jedoch nicht, sondern trugen es hinfort und versorgten es hinter einen Mauervorsprung. Und während wir das taten, sangen wir ein altes Lied: »The night they drove Old Dixi(e) down…«

Später, als wir den Sieg über optische wie olfaktorische Niedertacht mit einem starken Rouge feierten, erklärten wir uns auch die Herkunft des Wortes »Dixi-Toilette«; ersonnen wurde die optische und olfaktorische Grausamkeit beim Dixieland-Festival in Dresden, von drei Herren in Lederwesten, die schon ihr Lebtag Zwangsfrohsinn mit Musik verwechselten und auf der Suche waren nach etwas, das zu ihnen und ihrer Mucke passte, das ihnen Abbild und Sinbild zugleich war. Dixi – da hatten sie es. Bebop-Toiletten heißen die Stinkbuden schließlich nicht.

Restgast in der Ochsenreuse

Schöner sprechen mit Scrabble

Dass Zahlen nicht nur zum Rechnen taugen, sondern auch bestens zum Spielen geeignet sind, weiß man von Goethe genauso wie von Astrid Lindgren. »Zwei mal drei macht vier, widdewiddewitt und drei macht neune«, singt Pippi Langstrumpf, und auch im »Hexen-Einmaleins« geht es arithmetisch ziemlich strubbelig zu: »Aus eins mach zehn, und zwei lass gehn, und drei mach gleich, so bist du reich (…) und neun ist eins, und zehn ist keins.« Das mag der Taschenrechnersorte Mensch nicht korrekt erscheinen, doch der magische Mehrwert ist unbestreitbar.

Ich schlenkerte durch Leipzig und gab dem Zahlenteufel Auslauf. Halblaut rechnete ich vor mich hin: »Leipzig ist eine ganz erstaunliche Stadt. Sie hat 500 000 Einwohner, und nur zwei Millionen von ihnen sind Helden.« Das geschah am 9. Oktober 2009. Vier Wochen lang zählten die Leipziger die Rechnung mit den Fingern nach: »Hümmsendrümmsen … 500 000 minus zwei Millionen … zehn im Sinn … einen runtergeholt … nichts im Sinn … Also wie jetzt …?«

Als sie drauf kamen, nahmen sie’s mir übel. Sodass ich am 9. November lieber nach Berlin ausbüxte – wo am Brandenburger Tor Domino gespielt wurde: Kippende Dominosteine sollten den Fall der Mauer symbolisieren. Ach du grüne Neune; warum nicht gleich Mau-Mau für Mauerspechte? Ich sah den Jubelberlinern bei ihren olympisch infantilen Spielen zu und rechnete kühl: »Der 9. November 1989 war das Nine-eleven der Deutschen. Sie haben es nur noch nicht gemerkt.«

Das mochten die Berliner nicht hören; ich machte, dass ich fortkam, und dachte über weniger gefährliches Spielzeug nach. Schön sollte es allerdings auch sein. Vielleicht sind Buchstaben harmloser als Zahlen? Man muss ja nicht das Gestammel aus den Zeitungen mühsam ins Deutsche buchstabieren, man kann doch Schabernack damit treiben, al gusto beziehungsweise al gut so.

Zu diesem Zweck ist mitunter ein Spiel mit dem englischen Namen ›Scrabble‹ hilfreich. Wenn ich meine Eltern besuche, ist es nur eine Frage der Zeit, bis meine Mutter verkündet: »Scrabble ist für alte Damen / eines von den schönsten Dramen.« Dann kommen das Brett und der Beutel mit den Buchstabenplättchen auf den Tisch, und los geht es.

Das heißt, es könnte losgehen, wenn Mutter nicht Mutter wäre. Mutter spielt fürchterlich, sie will immer gewinnen, unbedingt. Hat das Spiel begonnen, kuckt sie kniepig – und verzögert. Zaudernd wandert ihr Blick von den gezogenen Buchstaben aufs Spielfeld, wendet sich dann nach innen und verjüngt sich ins Tragödische. Zwischen den Ohren springt die Rechenmaschine an und rattert fast hörbar, die Lippen schmackern beim Durchzählen der Buchstaben- und Wortwerte, der Kopf wiegt beim Wägen von Für und Wider auf und ab und pendelt hin und her. »Komm, erstes Wort«, drängele ich und drohe: »Sonst lege ich gleich WACKELDACKEL.«

»Das kannst du gar nicht«, erwidert Mutter und schenkt mir den bösen Blick, der mir dafür ja auch zukommt. »Viel zu viele Buchstaben«, sagt sie noch spitz – und entscheidet sich aber endlich, ein erstes Wort zu legen. Mit einem Blick, in dem sie alle Vergeblichkeit von Welt und Sein zu einen weiß, legt sie es aus, obwohl es ihr nicht viele Punkte einbringt: REST. Ist es der Rest, den sie mir mit ihrem Zögern schon vor dem ersten Spielzug beinahe gegeben hätte? Nein, dieser Rest ist prima, denn ich kann ihn zu RESTGAST ergänzen.

»Restgast?«, fragt Mutter streng. »Was soll das sein?« – »Na, der zähe Restgast, der Gottseibeiuns der Gastronomie«, erkläre ich. »Der Kerl, der nachts um drei noch am Tresen hängt und partout nicht gehen will. Das ist der Restgast.«

Mutter lässt das nicht gelten: »Das ist frei erfunden. Und außerdem steht Restgast garantiert nicht im Duden.« – »Duden, Duden, was willst duden?«, gebe ich albern zurück und frohlocke: »Aber im Gebetbuch steht es. Du kennst es selber: ›Komm, Herr Jesus, und sei unser Restgast …‹«

Mutter lächelt milde und ist kein bisschen überzeugt: »Nein, Restgast gibt es nicht.« Menno, denke ich und antworte entschlossen: »Scrabble heißt als Verb zwar kritzeln, krabbeln, kratzen, scharren, suchen, sich abmühen, sich plagen und abrackern, aber das muss hier doch keine mühsame Scharrerei werden. Ich schlage dir Folgendes vor: Ich darf den Restgast legen, aber die Punkte bekommst du. Dann hast du deine Additionstriumphe, und ich habe meinen Spaß.« Der Restgast gefällt Mutter zwar immer noch nicht, aber die Punkte …! Sie willigt ein.

Endlich also kann man spielen. Wo es MUSIK gibt, da gibt es auch KÄSMUSIK, wer hätte sie nicht schon selbst gehört und dann das Radio erschossen? Apropos: Wenn das Radio in den Nachrichten ganz ernsthaft Wörter wie »Wesentlichkeitsschwelle« ausspuckt, dann kann auf dem Scrabble-Tisch aus einem ASYL leicht ein ASYLCHRIST werden, da ist der Schaden vergleichsweise geringer und die dazugehörige Freude größer. Mutter stöhnt, schreibt sich aber mit gleichermaßen rollenden wie eben auch glitzernden Augen die Punkte gut.

Wo es TOFU gibt, da gibt es auch TOFUKNÄSTE, das ist ein anderes Wort für Veganläden, an denen »Veni, Vegi, Vici« steht. Das Bild eines Berliner Jungvaters schiebt sich vors Auge, der mit seinem zweijährigen Sohn nichts Schönes unternimmt, sondern ihm eine Diskussion aufdrückt: »Wollen wir im Veganladen Saft kaufen?« Die Reaktion des Zweijährigen ist erfreulich klar und kraftvoll: »Neiiiiin!«, schreit er – und meint damit den Veganladen genauso wie seinen charakterfernen Vater.

Zu dem allerdings Mutters OCHSEN gut passen, aus denen anschließend eine OCHSENREUSE wird; als Mutter die Brauen hochziehen will, erkläre ich schnell den Nutzen dieses Geräts: »Damit kann man Quälgeister wegfangen. Zum Beispiel die Puhdys, die passen da rein, alle in eine Ochsenreuse.«

Ich gebe zu, dass es sich bei den Puhdys mittlerweile um eine eher museale Belästigung handelt. Es gibt dergleichen mannigfach in jüngerer Ausführung; denken Sie nur einmal an den Mannheimer Wimmerschinken. Oder an die Zeilen »Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit …« Man fragt sich schon, in welcher psychischen Beschaffenheit junge Menschen unterwegs sind, die sich solch gehirngewaschen wolfgangschäublischsicherheitsarchitektonisch paranoiden Zeilen ausdenken, freiwillig anhören oder mitsingen: »Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit …« Wer wünscht sich da in den Seelenzustand der Sicherungsverwahrung hinein, und warum nur? Dass die Band »Silbermond«, deren Sängerin diese Zeile entquillt, aus Bautzen stammt, einer Stadt, die jahrzehntelang eine ganz eigene Definition von Sicherheit prägte, mag als Erklärung für ihr unwürdiges Betteln und Barmen nach Sicherheit vorläufig genügen.

Mutter kennt die Puhdys nicht, sie hat noch niemals etwas von diesen Leuten läuten gehört, geschweige denn ein Lied. Mutter hat es gut, denke ich, und sie findet das auch; sie hat schließlich haushoch gewonnen.

In der nächsten Partie wächst die MEISE zur ALTERSMEISE heran, die im ALTERSMEISENKASTEN ein Zuhause findet. Und wenn es ein ALTERSHEIM gibt, das im Beschönigungsjargon »Seniorenstift« genannt wird, dann muss es auch ein ALTERSHEIMKIND geben. Mutter sieht das ein und akzeptiert auch die Abkürzung für Intelligenzquotienten: I-K-U-H, IKUH. Und ist der Greis auch manchmal schlapp, es grast der Geist die Weide ab.

Die Tierwelt ist ohnehin bestens geeignet, um schöpferisch tätig zu werden. So kann aus einem menschlichen ollen MUFFEL eine MUFFELENTE werden, der ein MUFFELENTERICH beigegeben wird. Der WURM wird zum LINDWURM aus der Sage – der dann mit einer nur ein Feld entfernten PASTE zu LINDWURMIPASTE kombiniert wird, zu Lindwurmipaste aus Italien, die sehr gut zu GUMMIPASTA passt. Und wer sagt denn, dass es keine TAUMELAMÖBE gibt? Dass man sie nicht kennt, gilt nicht als Argument – auch nicht beim INTIMLURCH, unter dem man sich allerdings eher einen öligen Herrn aus dem Reich der Menschen vorstellt, der sicher gern bei einer JESUITENQUEEN vor Anker ginge.

Wer Kunde der POST ist, kennt auch POSTDEBILE, und wo geLUDERt wird, fallen JETLUDER. Ohne jede Menge POSTDEBILE JETLUDER gäbe es Zeitschriften wie Bunte, Focus, Gala oder Cicero nicht. Dass gegen HUSTEN die Einnahme von HUSTENSAFT hilft, fand Mutter fast schon langweilig – weshalb ich ihr mit einem MÖSENHUSTENSAFT eine Freude machen wollte. Als ihr das jedoch zu weit ging, erläuterte ich höchst seriös, dass gerade in der kalten Jahreszeit an zugigen Bus- und Straßenbahnhaltestellen unter Mänteln und Röcken ein Mösenhusten deutlich zu vernehmen sei – »öch-öch« –, den es mit ärztlicher und pharmazeutischer Kunst zu lindern gelte. Allein die gigantische Punktzahl konnte Mutters Widerstand aufweichen.

Als ich aber eine RUNKELRÜBE in RUNKELRÜBEINTIM wandelte, halfen mir keine Eloquenz und keine Lüge mehr weiter. Runkelrübe intim sei eine Fachzeitschrift für den Landwirt von Welt, beteuerte ich zwar noch, sie, Mutter, solle nur einmal »Bauer sucht Frau« anschauen, da werde das Blatt beworben. Doch Mutter ließ sich nicht länger foppen. »Von so was verstehst du nichts«, beschied sie kategorisch. »Du hast doch gar keinen Fernseher.«

Treffer, versenkt. »Bauer sucht Frau« war ein Fehler. Es ist allein meine Schuld, dass die Zeitschrift Runkelrübe intim niemals das Licht dieser Welt erblicken wird.

Die Renaissance der Raucherecke

Am späteren Abend gleitet man durch die Stadt, magnetisch magisch schimmern Mond und Sterne, da und dort leuchtet eine Straßenlaterne, deren Widerschein zusätzliches Restlicht auf den Asphalt wirft. Weit sind Blick und Herz; man fühlt jenen spezifischen Trost, den nur die steinernen Städte spenden können. Den kühnen, klaren Linienwurf der Straßen möchte man auskosten und genießen – doch halt, was ist das? Die geraden Fronten der Häuser haben unförmige Ausstülpungen bekommen. Oder kleben Kokons an den Fassaden, wie gewaltige Spinnenbäuche, in denen Glühwürmchen wabern?

Tritt man näher, riecht man, was man sieht: Raucher, Raucher im Rudel, vor Häusern zusammengepulkt. Gastwirtschaften sind es zumeist, in deren Nähe Rauchende lungern. Dafür hat kein Städtebauer Straßenzüge und Trottoirs erdacht, dass Knäuel und Haufen die Blickachsen verstopfen.

Nota bene: Es ist nicht das Rauchen, das stört; es sind die Klumpen, zu denen die Rauchenden sich ballen. Selig und gepriesen oder doch wenigstens unkritisiert sei und bleibe der Einzelraucher. Aber alles, das den Menschen dazu bringt, als amorphe Masse aufzutreten, macht ihn zu einer Last für die Welt. Den Schrecken sportiver Massenveranstaltungen und der öffentlichen Religionsausübung ist nun auch noch das Draußenrauchen hinzugefügt.

Rauchen ist keine Angelegenheit der Gesundheit, sondern eine der Ästhetik. Bei manchen Menschen sieht es unniederringbar gut aus, wenn sie rauchen. Humphrey Bogart und Lauren Bacall wären auch ohne ihre Filterlosen astrein gewesen – aber erst rauchend wurden sie Ikonen. Wie hinreißend war es, Peter Hacks ein Flüppchen nach dem anderen in seine Zigarettenspitze hineindrehen und ihn daran saugen zu sehen. Nicht allein, dass die Nikotinzufuhr seinen Geist sichtlich und hörbar scharf hielt, nahm mich für das Rauchen des Dichters ein; es war auch die Geste, mit der Glut der Zigarette in das Dunkel der Welt hinein zu leuchten.

Jede Zigarette, die Marlene Dietrich im Film rauchte, ist bis heute ein Gegengift, mit dem man gesundheitsschluffige Wellness-Tanten und das ihnen innewohnende Anödungspotential erfolgreich vertreiben kann. Ich kenne Frauen, die aus Protest gegen den Gesundheitsterror sogar während der Schwangerschaft mit einer allerdings nicht angezündeten Zigarette im Mundwinkel auf die Straße gehen, um zu demonstrieren, dass sie nicht bereit oder gewillt sind, von der Frau zum volksgesunden Muttertier herabzusinken. Werden sie mit aggressiven Blicken und Worten bedacht, und, o ja, das werden sie, kontern sie so kühl wie zuckersüß, sie rauchten ja gar nicht, sondern hielten sich nur bereit für die erste Zigarette »danach«. (Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen in dem Aberglauben leben, Schwangere oder Frauen mit Kleinkindern dürften von jedermann angesprochen, belehrt und sogar angefasst werden, und die Frauen hätten das auch noch gern.)

Ich rauche so gut wie gar nicht, doch der Satz »Ich bin Nichtraucher!« käme mir nie über die Lippen. Das hat so etwas pedantisch Auftrumpfendes und präpotent nachdrücklich auf sich selbst Stolzes: »Ich bin Nichtraucher.« Ist Nichtrauchen ein Beruf? Oder bittet der Satz um Vergebung dafür, dass sein Sprecher sonst nichts kann? Warum sich mit einer Sache brüsten, die man nicht tut oder nicht beherrscht?

Doch auch Raucher geben Rätsel auf. Wenn man schon raucht – warum dann so etwas wie »Lord Ultra«? Nikotinfrei rauchen ist wie onanieren mit Kondom. Dass solche Verneinungen von Zigaretten nach abgebranntem Papiertaschentuch schmecken, kann jeder riechen, der in die Nähe eines light paffenden Rauchersimulanten gerät. Die paar Zigärrchen im Jahr, die ich mir gönne, halten mit ihrem erdigen Wumms die Erinnerung an Kuba wach. Und enthalten pro Dömmel auf einen Schlag soviel schöne Dröhnsubstanz wie vier Schachteln hastig und genusslos weggesogener Pseudozichten. Anderntags gilt dann wieder: Der Atemweg ist das Ziel.

Selbstverständlich ist bei Rauchern oft Sucht im Spiel; viele möchten nicht rauchen, müssen es aber tun, weil sie es ihrem Stoffwechsel und ihren Nerven einstmals beigebracht haben und sich nicht neu programmieren können. Einen sah ich, der hatte solchen Schmacht, dass er sich sein Nikotinpflaster von der Glatze riss, es zusammenrollte und aufrauchte. Denn es geht ja nicht nur um die bloße Aufnahme des ersehnten und dringend benötigten Stoffs, sondern auch um die orale Befriedigung des Jiepers.

Diese Befriedigung vollzieht sich nicht mehr privat oder im anheimelnden Milieu eines schönen Lokals, sondern schrappig draußen. Sodass es auf der Straße nicht nur schal und kneipig riecht, sondern vor allem unwürdig aussieht. Besonders arg ist es im Winter, wenn permanent auf und zu klappende Türen es ziehen lassen wie Hechtsuppe und die nach dem Stoß- und Zwangsrauchen wieder ins Innere zurück diffundierenden Draußenraucher den Hautgout von nassem Hund mitbringen, der in ihren Mänteln klebt und ihren Mündern entströmt. Lieber sollen sie drinnen sitzen und quarzen, wie sie es müssen. Dann könnte man, wenn es einem nicht passte, wenigstens selber hinausgehen – an eine frische Luft, wie es sie noch gab, bevor die Nichtraucherschutzverordnung in die Welt kam. Dort aber, draußen, herrscht unterdessen der Schrecken der Raucherecken: der gesellige Gestank.

Rauchen ist mir ziemlich egal; ich mag nur nicht, wenn draußen pflichtgeraucht wird. Draußen kann man nicht lüften, denn draußen ist ja schon draußen.

Drinnen soll meinetwegen alles beraucht werden: Mann, Frau, Hund oder anderes Hausgetier, und bitte auch die Zimmerpflanze nicht vergessen. Für Kinder aber gilt die alte Eltern-, Pastoren- und Pädagogenregel:

Kinder darf man schlagen, quälen und missbrauchen.

Doch niemals darf man, wo ein Kind ist, rauchen.

Dies gebietet schon der Humanismus.

Nur wer selber kreuzigt, lebt in Christus.

Jesus aber, der erst auf Golgatha von seinen Folterern und Mördern zum Christus gemacht wurde, zum Gekreuzigten, Jesus hätte geraucht – jedenfalls so lange er noch eine Hand frei hatte.

Auch literaturhistorisch trägt die absurde Draußenrauchverordnung peinliche und rückschrittliche Züge – setzt sie doch den pathetischen Nachkriegsdichter Wolfgang Borchert wieder ins Recht:

Ist es nicht schön, wenn man den Abend durch hat

und nur noch fragt: zu dir oder zu mir?

Doch alle Raucher heißen Wolfgang Borchert

denn sie stehen draußen vor der Tür…

Happy bei »Happi-Happi«

Sie heißen »Futterluke«, »Brutzel-Baude«, »Bei Mampf-Fred« oder »Plocken-Otto«. Appetitanregend klingt das nicht, und doch sind die Imbissbuden des Landes gut besucht. Am Geruch, den sie üblicherweise weiträumig abstrahlen und ausdünsten, kann das auch nicht liegen – es sei denn, der Besucher liebte die Vorstellung, als nicht nur kurz mümmelndes, sondern ewig müffelndes Mufflon zu leben. Was macht die Grillstation attraktiv? Warum sieht man so viele Männer hartnäckig an der Imbissbude stehen? Was treibt sie an, wer treibt sie dorthin? Sind sie unbehaust? Werden sie von Einsamkeit ausgehöhlt, diesem bösen Tier, vor dem sie in die Geselligkeit der Frittenbude fliehen?

Vielleicht liegt die sirenenhafte Verlockungskraft der Bude aber im Gegenteil auch darin, dass sie nur ein ambulantes Zuhause bietet und nicht ein stationäres – in das so viele sich unbedacht selbst eingeliefert und abgekippt haben und aus dem sie, sobald die Erkenntnis ihrer Lage ihnen zuteil wurde, zu entweichen trachten? Nestflüchter sind viele unterwegs, vorwärts getrieben vom dringenden, oft lange aufgestauten Wunsch, dem allzu trauten Heim zu enteilen, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. Und wie auch nicht? Der Bäcker bietet ein »Brot des Monats« an und hat ihm einen Namen gegeben: »Familienkruste«. Wer bei diesem bösen Wort mit F nicht Schrecken fühlt noch den Wunsch zu gehen, der fühlt nichts mehr, der hat es hinter sich. Familienkruste, das ist härter, als Kruppstahl je war oder sein könnte und gibt dem Menschen erst die Beine in die Hand.

Mancher flieht auch vor aggressiver kulinarischer Aufrüstung in die Einfachheit der Imbisswelt. Beim Kaufhallenhöker Rewe wird eine »Expedition Genuss« angedroht. Und was ist, wenn man einfach nur einkaufen möchte? Geht das noch, oder muss man dazu einen Tropenanzug anlegen? »Feine Welt« heißt »die neue Genuss-Marke« von Rewe; feilgehalten werden unter anderem Bio-Ravioli »für Besseresser«. Das klingt nicht nur nach antisozialer Kampfansage, das ist eine: »für Besseresser«. Da lassen ein paar gefüllte Nudeln die Muskeln spielen und führen sich auf wie die überdimensioniert dicken Autos Marke Omniprotz.

Die heiße Angeberluft kulinarischer Selbstaufblähung verströmt auch Jürgen Dollase. Was der einstige Krautrocker der Band Wallenstein für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Küchenkultur und Kulinarik schreibt, endet noch stets als rhetorischer Krautwickel: »Es ist die reine Entmaterialisierung des Aromas, eine so leichte Textur, dass man von der Befreiung des Aromas von den Lasten der Textur reden könnte.« Könnte, wenn man wöllte; aber nicht jeder liebt Crème de Schwall – von der Jürgen Dollase genug für alle im Kopf hat. Da er ohne den Humus des Humors durchs Leben kommen muss, mündet seine Verbissenheitskulinarik in unfreiwillige Komik. In seinen Texten gibt Dollase der Welt Sprach- und Bedeutungsrätsel auf; als er allerdings im Januar 2010 in der FAZ »Grünkohls Lobgesang« anstimmte, lieferte er die Lösung gleich im ersten Satz mit: »Auf der Suche nach Ansatzpunkten für eine verbesserte Akzeptanz der regionalen und traditionellen Küche in Deutschland scheint es immer wieder ein fehlendes Glied zu geben.«

Nun weiß die Welt, was Jürgen quält,

Weil es Dollase immer fehlt.

Vor Grünkohl mit feinem Pinkel nimmt man gern Reißaus. Und landet, wenn man Pech hat, bei Johann Lafer. Im Verein mit der Porzellanfirma Villeroy & Boch heckte Lafer das Wortspiel »Essthetik« aus – mit »E« und Doppel-«s« – »Essthetik«. Allein dafür wird er dereinst in der Wortspielhölle schmoren und köcheln – langsam und qualvoll, versteht sich. Jedesmal, wenn ich den Werbeständer Lafer ein Schaufenster vollgrinsen sehe, fällt mir eine Liedzeile des Sängers Danny Dziuk ein:

»Und das Klo, zu dem ich kroch

War von Villeroy und Boch.«

Gibt es eine Kulinarik ohne geschwätzige Mitesser, ohne Prahlwerbung und ohne Sprachverrenkungen? Vielleicht in der freien Wildbahn, draußen, auf der Straße? Am Bahnhof liegt Angebot neben Angebot, eins am anderen, und sie alle verbinden sich zu einer olfaktorischen Kakophonie, die sämtliche mannigfach vorhandenen Schrecken der optischen, architektonischen und akustischen Vergehen noch steigert. Verschiedenste Gestänke brennen sich in die gequälten Nüstern; man sieht Nahrungsersatzstoffkonsumenten mit konvulsivisch zuckenden Bewegungen. Ob sie im Stehen oder Gehen etwas in ihren abgeknickten, vorn aufgeklappten Kopf hinein oder es schon wieder aus ihm herauswürgen oder sogar beides auf einmal, bleibt unersichtlich; geschmacklich macht es ohnehin keinen Unterschied.

So flieht man zu guter Letzt an die solitäre Bude, wo man die Welt schnell im Biss hat. Jahrelang war der »Happi-Happi-Grill« in Kassel mein Lieblingsimbiss; gern mischte ich mich unter die Besucherschaft und sah in vielen Gesichtern, was zu sehen ich erahnt hatte: das stille Glück, die Freuden der Regression, die erfüllte Sehnsucht nach einem Bewusstseinszustand, der mit den Worten Happi-Happi hinlänglich und zutreffend beschrieben ist.

Den »Happi-Happi-Grill« gibt es nicht mehr, und einen gleichwertigen Ersatz vermochte ich lange Zeit nicht zu finden. Eines Abends jedoch, als ich zu Fuß die Stadt Halle an der Saale durchmaß, sah ich ein Licht, nein: Ich sah DAS Licht, »I saw the Light«, wie Hank Williams es besang. Ich erkannte das Licht, es war eine Schrift, und die Schrift leuchtete durch das Dunkel der Welt: »don’t worry, be curry«.

Be happy bei happi-happi gab es nicht mehr, aber dieses war genauso gut: »don’t worry, be curry«. Es war ganz einfach: Man musste nur in den psychisch-seelisch-geistigen Bewusstseinszustand einer Currywurst gelangen, und schon war jede Sorge wie nie gehabt und nie gewesen. Ob man sich in diesen Zustand herab- oder heraufwurschteln musste, spielte keine Rolle, das war im Wortsinne wurst und nur eine Frage der Perspektive und der Selbsteinschätzung. Hauptsache, man kam dort an. Dann war alles gut.

Ich stand bei »don’t worry, be curry«, verzehrte eine Currywurst und wurde eins mit ihr. Ich sank ein in das Murmeln um mich her, niemand sprach zuviel oder zu laut, jeder war für sich, und alle zusammen waren eine Wolke auf Zeit. Imbissbude ist demokratisch und egalitär: Ob Mann oder Maus, hier bekommt jeder Flüchtling Asyl, hier darf jedes Würstchen Würstchen sein und Würstchen essen.

Man steht einfach nur da und muss nichts – nichts leisten, nichts tun, nichts sagen, nichts anhören. Es ist der Zustand der Seligkeit. Das absolut Verblüffende daran ist: Man muss dazu nicht einmal tot sein.