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Möge dieses Buch allen Gutgläubigen und Geschädigten dazu verhelfen,
sich dem Mysterium Ratingagenturen nicht weiter auszuliefern
und wieder selbst zu überprüfen, ob die von ihnen getätigten
Geschäfte »wirklich« sicher sind.

Vorwort

Die Arbeit der Ratingagenturen ist erstmalig im Zuge der Finanzkrise 2007 in das Bewusstsein außerhalb der Banken- und Börsenwelt und dabei insbesondere bei Betroffenen von Fehlentscheidungen in die Kritik geraten. Aber selbst fünf Jahre nach der Finanz-, Euro- und Schuldenkrise sind viele Fragen offen, gar nicht gestellt oder beiseitegeschoben: Sind die Ratingagenturen vielleicht nur ein Sündenbock, da nur passiv beteiligt, oder waren sie gar als Spielmacher des Finanzkapitalismus, und damit höchst aktiv, Krisen verstärkend involviert? Wie konnten dabei die sogenannten »Großen Drei«, Standard & Poor’s (S&P), Moody’s Investors Service (Moody’s) und Fitch Ratings (Fitch) immerhin eine monopolartige Stellung erringen? Warum können sich Ratingagenturen erlauben, so gut wie intransparent zu agieren, ähnlich dem Orakel von Delphi? Warum werden diese Orakel bedenkenlos akzeptiert, obwohl die Grundlagen der Entscheidungsfindung gar nicht bekannt sind? Wie verzahnen sich Finanzmärkte, Regierungsstellen und Ratingagenturen, und liegt hier der Schlüssel, wie sie sich finanzieren? Warum sind schließlich trotz der scheinbar »staatstragenden Funktion« die führenden Ratingagenturen mit kommerziellen Interessen privatwirtschaftlich organisiert und keine Behörden mit klaren staatsrechtlichen Regulierungsvorgaben? Aus diesem Fragenkatalog lassen sich dann gleich Prüfansätze ableiten, wie »Was läge nach alldem näher, als die Finanzanalyse von kommerziellen Interessen zu befreien?« Um hier mehr Klarheit zu gewinnen, ist weiter zu klären, wem die Ratingagenturen gehören, und welche Interessen die Eigner verfolgen. Profitieren sie eventuell sogar von der Ausweitung der Krise?

Fragen über Fragen, auf die dieses Buch Antworten sucht. Viele Antworten konnten dank der besonderen fachlichen Unterstützung meiner Kollegin Asja Hossain sowie meiner Kollegen Miraji Othman und Rainer Gross gefunden werden.

Trotz der Vielfalt an Informationen und der sich ständig »bewegenden Materie« den Überblick zu behalten, und im Zuge der sich anschließenden Bewertungen ein Manuskript zu erstellen, erwies sich erneut als schwierig. Umso mehr bin ich der Lektorin Claudia Strauf für die (wie bei meinen Büchern »Die Währungsreform kommt!« und »Womit wir morgen zahlen werden«) kritische Begleitung des Manuskripts in diesen Phasen dankbar. Danken möchte ich auch meinem früheren Kollegen Dr. Thomas Rehermann, der inzwischen in den USA lebt. Er warnte vor der Finanzkrise weit früher als andere. Auch mein Bruder, Dr. Michael Horstmann, obwohl beruflich in einem ganz anderen Bereich tätig, erwies sich immer wieder als kreativer »Ratgeber gegen den Strom«, aber auch als kritischer Kommentator des Marktgeschehens. Dies gilt ebenso für meinen langjährigen Freund Dr. Knut Meyer, er recherchierte unermüdlich, wie auch bei meinen früheren Büchern, zur Thematik gut passende Literatur. Dank schulde ich auch Marie-Louise Rubner, die das Projekt jederzeit unterstützte. In gemeinsamen Diskussionen motivierte sie mich, wie schon bei meinen letzten Büchern, leserfreundlich zu schreiben und Informationen zu liefern, die nützlich sind, anstatt thematische Nebenaspekte zu sehr auszubreiten.

Dem Verlag schulde ich Dank für das Vertrauen, erneut ein Buch von mir zu publizieren sowie für das professionelle Lektorat durch Jana Stahl und die begleitende kreative Unterstützung, zuletzt insbesondere im Rahmen anregender Diskussionen mit Georg Hodolitsch.

Prolog: Krisenszenario eines Finanzkollapses 2013/20 aufgrund von nacheinander folgenden Abstufungen Spaniens, Italiens und der USA durch die »Großen Drei«

Ende 2013 kommt es – ungeachtet aller Anstrengungen und besserer Wirtschaftsdaten – zu unerwartet deutlichen Herabstufungen Spaniens und Italiens auf Ramschniveau und deshalb zu starken negativen Marktbewegungen. In Südeuropa steigt danach die Gewaltbereitschaft auf den Straßen. Es drohen sogar Militärdiktaturen, um die über Jahrzehnte bestehende »Ruhe und Ordnung« wiederherzustellen. Die überraschende Herabstufung der USA in die »B-Liga« durch Standard & Poor’s Anfang 2014 löst eine weitere Kettenreaktion an den Finanzmärkten aus. Automatisch folgende Verkäufe durch die verpflichtende Sicherheitsregel, nur bestgeratete Anlagen im Portfolio zu haben, verschärften die Situation. Der angelsächsisch geprägte Finanzkapitalismus gilt inzwischen als gescheitert. Und obwohl die Rating­agenturen als Spielmacher der Finanzmärkte international längst in Verruf geraten sind, fragen wir uns ohnmächtig, wie konnte es so weit kommen, wie können drei Agenturen ganze Staats- und Wirtschaftsgebilde aus den Angeln hebeln? Wer sind die, durch die ökonomische wie wirtschaftsrechtliche Katastrophen ausgelöst werden können?

Das Berufsbild des »Raters« ist etwas unscharf. Die oft noch jungen und relativ frisch ausgebildeten Wirtschaftswissenschaftler oder Mathematiker sitzen in Großraumbüros oder auch kleineren, neutral eingerichteten Zimmern und sind bereit, stoisch Zahlenkolonnen um Zahlenkolonnen zu beackern. Verlässliche Datenanalyse ist ein harter Job, der die Einsteiger vielfach bis zum Burn-out bringt. Im Gegensatz zu Analysten in Finanzinstituten sprechen sie keine Kauf-, Halten- oder Verkaufs-Empfehlung aus, auch wenn dies durch die Anforderung für Anleger, nur Papiere mit bestimmten Mindestratings erwerben zu können, oft genauso wirkt. Die Analysten in Ratingagenturen versuchen, die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, ob bei einem Schuldentitel die mit dem Emittenten vereinbarten Zinszahlungen und Tilgungen vertragsgemäß eingehalten werden. Bei staatlichen Anleiheemissionen muss auch neben der Zahlungsfähigkeit aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Landes geprüft werden, ob zudem die politische Absicht besteht, den Verpflichtungen nachzukommen. Dies ist bekanntlich häufig nicht der Fall. An den Märkten wird das Ausfallrisiko für Anleihen auch durch Renditeaufschläge (Spreads) angezeigt. Dabei verwundert am meisten, dass die Urteile der Ratingagenturen meist einer Entwicklung nach einer vielfach vertretenen Ansicht hinterherliefen.

Vielleicht haben sie deshalb vor dem Ausbruch von Finanzkrisen die Risiken nicht erkannt oder nicht publik machen wollen, so lautet jedenfalls ein häufiger Vorwurf. Angesichts der politischen Zwänge, der fehlenden Unabhängigkeit (Bezahlung durch die zahlenden Emittenten), des enormen Umfangs der zu beobachtenden Daten und des ständigen Zeitdrucks für die Abgabe vermeintlich solide erarbeiteter Ratingurteile, ist dies nicht überraschend. Die Datenflut und der vorauseilende Gehorsam, den kommerziellen Anforderungen des Arbeitgebers (möglichst hohe Gewinnerzielung durch Bezahlung der Ratings durch die Emittenten und damit gegebenenfalls verbundene Beratungsprovisionen) zu entsprechen, verursachen Stress. Dabei wirkt die Tätigkeit der in der Investmentbankszene als Buchhalter verschrienen Angestellten vordergründig eher langweilig und wenig abwechslungsreich, da immer wieder die gleichen Prüfungsstandards gelten. Diese müssen nicht angemessen sein, aber der Analyst hat sich – auch wider besseres Wissen – daran zu halten.

Der Aufstieg erfolgt durch Anpassung und nicht durch kritisches Hinterfragen. Im Zweifel werden die Analysten unter Druck gesetzt und sogar gemobbt. Kundenzufriedenheit steht über allem, und wenn sich ein wichtiges Unternehmen über das kritische Nachbohren eines Researchers unzufrieden äußert, wird auch schon einmal der zuständige Analyst ausgetauscht. Permanenter Zeitdruck bestimmt den Arbeitsalltag. Für die Bearbeiter ist die Tätigkeit damit nicht unbedingt sinnstiftend, was nicht einmal mit zunehmender Routine besser wird. Diese – nicht zuletzt wegen ihres Buchhalter-Images – introvertierten Angestellten leiden oftmals unter Minderwertigkeitsgefühlen, die erst in der Hochphase des Vertriebs strukturierter Produkte vor der Finanzkrise nachließen. Aber nachdem sie bislang als risikoscheu, allzu akribisch und wenig unternehmerisch denkend galten, wurden sie in der Hochphase vor dem Ausbruch der Finanzkrise zu Co-Stars der Wall-Street-Boys, die in der Lage waren, auch komplizierteste Finanzprodukte zu bewerten1. Zumindest taten sie so, da die Gier ihrer Arbeitgeber dies erforderte.

So wurden für nicht bewertbare Anlagen Schönwetterannahmen getroffen und die Gefahr eines generellen Abschwungs (»schwarzer Schwan«) ausgeschlossen. Statt einer Risikodiversifikation erfolgte eine Risikokumulation, aber schön verpackt und schnell an neue Kunden weitergereicht. Die spröden Ratingangestellten wurden Teil des Giftmischerhandwerks an der Wall Street, denn sie berieten nun auch die Investmentbanker, wie sie die Produkte bestmöglich gestalten könnten, um ein möglichst gutes Rating zu erhalten. Obwohl der Informationswert der Analysen durch eine unheilige Kooperation mit der Wall Street weiter sank, waren sie jetzt mehr als nur ein Rädchen im System, auch wenn gelegentlich Skrupel aufkamen: »Hoffentlich sind wir alle reich und im Ruhestand, wenn dieses Kartenhaus zusammenfällt«2.

Die Analysten in Ratingagenturen haben wohl immer wieder nach einem abgeschlossenen Bericht das Gefühl, sehr wichtig zu sein. So zum Beispiel, wenn ihr Report vom Vorstand besonders gewürdigt und breit diskutiert wird. Dann konnten sie dem Trugschluss verfallen, »gottähnlich« zu sein, wenn sie wie ein höchster Richter Urteile fällen und die Begründungen präsentieren3. Vor dem mehrköpfigen hausinternen Komitee können sie sogar Voten für ganz große Volkswirtschaften abgeben. Fast immer wird ihrem Vorschlag gefolgt, der dann an den Märkten durchaus große Wellen schlagen kann. Aber trotz solch fragwürdiger »Erfolgserlebnisse« bleibt eine Art »Minderwertigkeitsgefühl der Buchhalter«, obwohl sie doch ein großes Rad drehen und sich wie ein TÜV verhalten, der die Autos prüft, die er selbst gebaut hat – nur ohne kritische Überwachung. Und die Werkstattleiter, also ihre Arbeitgeber, halten sie noch dazu an, unkritisch zu bleiben, da der »Gebrauchtwarenhandel« so gut läuft und sie schließlich ordentliche Provisionen von den Händlern kassieren, die die fahruntüchtigen Autos immer schneller weiterreichen4. Deshalb wechseln extrovertiertere und ehrgeizige Analysten oft dann doch lieber direkt in das aggressive und kompetitive Umfeld einer Investmentbank. Denn dieses Umfeld verspricht eine größere Bühne mit mehr Gehalt und besseren Aufstiegsmöglichkeiten.

Vor diesem Hintergrund nimmt im Frühjahr 2014 für Roger S. (Name frei erfunden) die Dramatik zu. Er ist in seiner Agentur für die südeuropäischen Staaten Griechenland, Spanien und Italien zuständig. Die Schuldenverhandlungen bei dem Vorbereitungstreffen des G-20-Gipfels in Brisbane (Australien) sind erneut ins Stocken geraten. Bereits auf dem Gipfel in St. Petersburg im September 2013 war es zu keiner Einigung zur finanziellen Lastenaufteilung gekommen, insofern ist der Verhandlungsdruck dieses Mal besonders groß. Insbesondere die wirtschaftlich noch vergleichsweise soliden Schwellenländer China, Indien, Russland und Brasilien lehnen die Übernahme neuer Schulden der europäischen Krisenländer und jetzt auch der USA ab, die nach ihrer Ansicht ihre Volkswirtschaften überlasten würden.

Eine erneute Aufstockung der Finanzmittel des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde erneut blockiert. Insbesondere den krisengeschüttelten Ländern Europas will die Staatengemeinschaft kein weiteres Geld mehr zur Verfügung stellen, obwohl der seit der letzten Bundestagswahl wieder als Finanz- und Wirtschaftsminister tätige Steinbrück in einer Brandrede die Solidarität aller Staaten anmahnte. Er wies darauf hin, was sein Land für die Lösung der Krise bereits getan hätte (»Davon können sich andere eine Scheibe abschneiden«), und dass man jetzt fast über den Berg sei, zumal selbst Griechenland schon Fortschritte beim Umbau seiner Wirtschaft mache. Bei den anwesenden Finanzministern, vor allem außerhalb Europas, stieß seine Rede auf Unverständnis und wachsende Skepsis. Ein wütender Kollege aus Südamerika warf dem deutschen Finanzminister sogar das Versagen bei der Aufsicht der HRE vor, die den Staatshaushalt Deutschlands nach wie vor belaste. Aber Deutschland gilt inzwischen ohnehin international als »lahme Ente«. Von den Politikern will sich deshalb keiner mehr Vorhaltungen von den polternden Musterknaben anhören, erst recht nicht von denen, die in ihren Ländern Banken wie die HRE oder WestLB nicht in den Griff bekommen haben.

Durch seine ausgeweiteten finanziellen Verpflichtungen gegenüber den südeuropäischen Schuldenstaaten wurde Deutschland durch die verschärften systemischen Belastungen von Standard & Poor’s und Moody’s auf »A« heruntergestuft. Auch ein Downgrade in die »B-Liga« gilt nicht mehr als ausgeschlossen, da der Hauptbürge für die Eurozone zunehmend, um glaubwürdig zu bleiben, nunmehr Zug um Zug zu seinen Zahlungsverpflichtungen herangezogen wird.

Was ist bisher geschehen? In Italien und Deutschland wurden neue Regierungen gewählt, die sich sofort wieder mit dem anhaltenden Krisenmodus in der Eurozone befassen mussten. Eine 100-Tage-Schonfrist wurde nicht gewährt, die Tagesmeldungen hielten Politik und Finanzwelt weiter in Atem. In den USA wurde bereits Ende 2012 Obama wiedergewählt. Er setzte seine wachstumsorientierte Politik fort, um der Schuldenfalle zu entgehen. Zur Stützung wurde auch die Liquiditätsflutung durch die FED fortgesetzt mit weiteren QE-(Quantitative Easing = monetäre Lockerungs-)Maßnahmen. In Italien gelangte Silvio Berlusconi nach einem ressentimentgeladenen Wahlkampf, in dem die vermeintliche Sparpolitik von Kanzlerin Merkel in der Eurozone thematisiert wurde, erneut an die Macht. In Deutschland wurde trotz der Beteuerungen von CDU/CSU und der SPD vor der Wahl, genau dies nicht zu wollen, erneut eine Große Koalition gebildet, mit Angela Merkel als Kanzlerin und Superminister Steinbrück für die wichtigen Ressorts Finanzen und Wirtschaft. Ohne die weitreichenden Amtsvollmachten wären er und die SPD nicht mehr einer großen Koalition beigetreten. Steinmeier wurde wieder Außenminister.

Die unbegrenzte Bereitstellung von Geld durch die Europäische Zentralbank (EZB) zur Rettung des Euros konnte die Märkte zunächst beruhigen. Nun war klar, dass der Euro »um jeden Preis« gerettet werden würde, denn dies signalisierten neben der EZB auch die nationalen Regierungen und die EU-Kommission zunehmend eindringlich. Diese vermeintliche Einsicht führte zu weitreichenden Verwerfungen an den Märkten. Nachdem die Ratingagentur Standard & Poor’s erneut eine Überprüfung der Kreditwürdigkeit von Deutschland und Frankreich sowie weiterer Staaten der Europäischen Währungsunion ankündigte, gingen die Eurozinsen wieder deutlich nach oben.

Durch die Anleihekäufe der EZB, die Schuldenvergemeinschaftung durch Kredite an die Krisenländer und nicht zuletzt die Target2-Forderungen der Bundesbank fand bereits ein großer Schritt in die falsche Richtung statt, den aber auch die Ratingagenturen indirekt förderten. Für die Bonitätseinstufung der Banken nicht zuletzt in Frankreich und Deutschland mit großen Forderungen an südeuropäische Schuldner war es wichtig, dass die Staaten großzügig halfen. Sonst wäre das Rating der Banken ins Bodenlose gefallen und sie wären zahlungsunfähig und letztlich in die Pleite getrieben worden. Für die Ratingagenturen sind die Banken ein viel zu wichtiger Player im Emittentengeschäft. Außerdem bezahlen sie für die Urteile der Agenturen, die sie zu beeinflussen versuchen. Es galt für die Ratingagenturen der ungeschriebene Grundsatz, der auch andernorts geteilt wurde und die Krise unnötig verlängerte, lieber die Finanzinstitute zu schonen, da sich die sogenannten rettenden Staaten angesichts der Steuerhebungsmacht durch stärkere finanzielle Belastungen der Bürger schadlos halten können.

Mit ihrer hohen Reputation und ihrer meinungsprägenden »Informationswalze« trugen sie damit auch zur Schuldenvergemeinschaftung bei, die neue Haftungsformen begünstigte. Und obendrauf kamen dann doch Euro-Bonds, ohne dass weitgehende Eingriffsrechte in die Finanzpolitik der Krisenländer möglich wurden. Für Spekulanten wurden damit Bonds aus Südeuropa wieder relativ attraktiv. Finanzinvestoren verlangten für Bundesanleihen nach der extremen Niedrigzinsphase (durch die Anlageflucht aus den südeuropäischen Schuldenstaaten), die den Haushalt bislang deutlich entlastete, nunmehr Risikoaufschläge von bis zu fünf Prozent. Die Euroanleihen anderer staatlicher (südeuropäischer) Emittenten fielen dagegen jetzt wieder auf acht bis zehn Prozent, in der Spitze auf bis zu sechs Prozent Rendite in Spanien und Italien. Trotz bester Absichten mancher Politiker ging die Rettung dann doch schief und scheiterte auch an den großen drei Spielmachern des westlichen, angelsächsisch geprägten Kapitalismus. Die geschaffene Fiskalunion ohne Eingriffsrechte führte zu einer umfassenden Kritik durch die Ratingagenturen. Die weiter gestiegenen systemischen Belastungen in der Eurozone lösten aus ihrer Sicht erneut erheblichen Druck auf die Bonität der Eurozone insgesamt aus. Hedgefonds (teilweise Eigner der Ratingagenturen) spekulierten jetzt verstärkt auf den Bruch der Eurozone. Im Herbst 2013 eskalierten die Spannungen in der Eurozone, nicht zuletzt auch durch neue Massendemonstrationen in Griechenland, Spanien und Italien. Das Vertrauen der Bürger und der Marktteilnehmer, dass die Finanzprobleme in der Eurozone noch gelöst werden können, war an einen neuen Nullpunkt angelangt, obwohl EZB-Chef Draghi und die führenden Politiker in der Eurozone neue Zuversicht verbreiteten. Das wirkte nicht mehr glaubwürdig, immer mehr Kapital flüchtete bereits aus den Eurozonenstaaten in vermeintlich sichere Anlageländer wie die Schweiz und Norwegen, Kanada und Australien. Sogar der USD wurde wieder stärker von den verängstigten Investoren nachgefragt.

Unter dem Druck der Marktteilnehmer, die endlich Klarheit verlangten, haben Spanien und Italien Hilfsanträge gestellt. Beide Länder sind nach langem Drängen der übrigen Regierungen, die unter der nicht gelösten Zahlungsbilanz- und Schuldenkrise in der Eurozone selbst leiden und endlich ein Ende herbeisehnen, dem Rettungsschirm beigetreten. Spanien und Italien wollten sich anfangs den strengen Auflagen, die mit der Mittelfreigabe verbunden sind, nicht unterwerfen, aber dann wurde der Druck vor allem aus den USA und auch der Finanzmärkte doch zu groß. Die führenden Ratingorganisationen forderten seit Langem, den mutigen Schritt einer vertieften Schuldenvergemeinschaftung in der Eurozone zu gehen. Anders war die Krise nicht zu lösen, nicht zuletzt aufgrund der umfassenden Forderungen der vermeintlich systemrelevanten Banken, für die von der EZB und den noch zahlungskräftigeren Staaten eine Überlebensgarantie bis zur Krisenbewältigung in Aussicht gestellt wurde. Die Südstaaten waren also nach langem hinhaltenden Zögern bereit, unter den nochmals mit Hebelung auf zehn Billionen Euro ausgeweiteten Rettungsschirm zu schlüpfen, was an den Finanzmärkten ein paar Tage lang gefeiert wurde.

Zwischenzeitlich keimte wieder Hoffnung auf, dass sich die Schuldenkrise doch noch gemeinsam lösen lässt. Nochmals traten die Regierungen auf dem Brüsseler Krisengipfel im Herbst 2013 gemeinsam auf und gaben eine feierliche Erklärung ab, in der sie mehr Solidarität für das sich immer mehr einigende neue Europa verkündeten. Die »Vereinigten Staaten von Europa« sollten nicht auf Missgunst und Kleinmütigkeit alter Nationalstaaten gründen, sondern mit entschlossener Hilfe (wie z. B. ein Marshallplan für Europa) durch reichere Länder wie Deutschland geschaffen werden.

Die EZB hat danach großzügig weitere Staatsanleihenkäufe im Bedarfsfall angekündigt. Zu denen es dann auch tatsächlich kam. Aber wie im Fall Griechenlands hat diese umfassende Stützmaßnahme letztlich das Vertrauen der Marktteilnehmer nicht dauerhaft wiederherstellen können. Immer neue Meldungen heizen die Spekulation an, dass nach Griechenland auch die südeuropäischen Schwergewichte Spanien und Italien aus der Eurozone ausscheiden. Anhaltende Massenstreiks haben die wirtschaftliche Tätigkeit ohnehin zeitweise zum Erliegen gebracht, die Sparauflagen gelten realistischerweise nicht mehr als umsetzbar.

Und schließlich kam der vermeintliche Tiefschlag, der jegliche Hoffnung auf eine Entschärfung der Krise zunichtemachte: Spanien und Italien wurden von Standard & Poor’s und Moody’s endgültig auf Ramschniveau heruntergestuft. S&P hatte bereits am 10. Oktober 2012 die Kreditwürdigkeit Spaniens um gleich zwei Noten auf »BBB-« gesenkt, ein paar Tage später auch führende Banken des Landes. Die Bonitätsnote liegt damit nur noch eine Stufe über dem sogenannten Ramschniveau. Einen derartig drastischen Schritt hatte kaum ein Marktteilnehmer mehr erwartet, denn die Staaten hatten doch zuletzt alles getan, was die drei großen Ratingorganisationen S&P, Moody’s und Fitch forderten. Auch Portugals Anleihen waren nur noch Ramsch und längst nicht mehr marktfähig. Was war das Motiv der großen drei Agenturen? Ein Machtbeweis? Ökonomische Interessen? Es blieb Ratlosigkeit zurück. Die Länder verfielen in eine Mischung aus Agonie und Trotz. Zu befürchten ist gar, dass sich radikale Kräfte in Südeuropa durchsetzten, auch ein Rückfall in Militärdiktaturen der noch jungen Demokratien Portugal, Spanien und Griechenland wird nicht mehr ausgeschlossen.

Frankreich und Deutschland wurden zudem zwischenzeitlich von den Ratingagenturen mit heruntergestuft, wodurch die Rolle als europäischer Bürge für Europa nicht mehr glaubwürdig war. Bislang waren die Wirtschaftsdaten selbst von Spanien und Italien mit Ländern vergleichbar, die außerhalb Europas noch über weit bessere Noten verfügten, wie zum Beispiel die USA und Japan. Dies löste eine neue Schockwelle auf den Finanzmärkten aus. Die ökonomischen Verwerfungen mit Finanztransfers in den Süden und steigender Wirtschaftsflucht in den Norden werden immer stärker als Euro- oder Europakrise bezeichnet. Der alte Kontinent scheint zunehmend dabei aus den Fugen zu geraten. Auch die Angst vor neuen Ratingherabstufungen stieg, die einen Teufelskreis aus neuen Sparanstrengungen und immer neuen politischen Widerständen herbeiführen. Die Skepsis um die Schuldnerbonität marode wirtschaftender Südstaaten mit einem hohen Maß an Korruption schien begründet. IWF und die Geberstaaten in der EU zogen die Fesseln an, um sie dann wieder zu lockern, als die Reformbemühungen wieder erkennbar scheiterten. Durch den Euroverbund war eine Währungsabwertung, die schlagartig die Wettbewerbsfähigkeit erhöht hätte, weiter nicht möglich. So entwickelte sich eine selbsterfüllende Megakrise, die den Euro sprengte, nachdem die Zinsen für die Staatsanleihen von südeuropäischen Ländern wieder neue Rekordniveaus von weit über zehn Prozent erreichten und selbst die Euro-Bonds bei über sieben Prozent rentierten. In normalen Zeiten verkraftbar, aber nicht mehr angesichts von Schulden, die über 100 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts liegen.

Vermeintlich hatten sich die USA Luft verschafft, sie waren nicht mehr das Zentrum der Krise. Hedgefonds hatten erfolgreich auf den Zusammenbruch Euro-Europas spekuliert, sie sind die Profiteure einer Krise, die den Kontinent destabilisierte wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die dramatische Abstufung durch die Ratinginstitute hatte großen Reichtum für die Hedgefonds gebracht, aber eine Abwärtsspirale für die Volkswirtschaften in Südeuropa ausgelöst, die die Staaten um Jahre bei der Krisenbewältigung zurückwarf. Verlorene Jahre für die leidende Bevölkerung, die nicht zu den Begünstigten des heutigen Finanzsystems und ihrer politischen Unterstützer gehören. Niemand war mehr bereit, diesen Ländern frisches Geld zu geben.

Jetzt war die Schuldenkrise auch wieder in die USA zurückgekehrt. Weitere QE-Entlastungsmaßnahmen der FED verpufften an den Märkten, die Konjunktur erlahmte erneut: Die Schockwelle erfasste Amerika mit einer Wucht, die von Neuem die Sorge eines internationalen Finanzkollapses aufkommen ließ. Wenn die Staaten Südeuropas so schnell ins Taumeln geraten, waren dann die hoch verschuldeten USA noch sicher, fragten sich die Marktteilnehmer. Schnell gerieten die USA in den Fokus der Märkte und sogar der Ratingagenturen. Die zwar kleinere, aber zunehmend einflussreichere chinesische Ratingagentur Dagong Global Credit Rating (Dagong), die 1994 auf Initiative der chinesischen Zentralbank von Guan Jianzhong gegründet wurde, hatte die USA bereits heruntergestuft, viele kleinere andere ebenfalls. Die »Großen Drei« (S&P, Fitch und Moody’s) konnten nicht mehr zögern, obwohl auch hier lange der ungeschriebene Grundsatz galt: Wenn die Regierung der Vereinigten Staaten nicht als sicher eingestuft werden kann, dann ist nichts sicher. Dieses Dogma wurde jetzt infrage gestellt.

Was lange nicht möglich erschien, jetzt kam der unvermeidliche Schritt, nachdem die Führungsmacht lange von ihrer Hegemonie profitierte, die systematisch zu einer positiven Verzerrung auch bei den Ratinginstituten führte. Zwar sind die Ratingagenturen nie Regierungsorganisationen gewesen, sie waren aber auch immer Teil von »Corporate America«. Jetzt, einige Wochen nach der Herabstufung von Italien und Spanien, wurden die USA »mit« heruntergestuft, auch wenn es nur ein Downgrade in die »B-Liga« war. Für die Supermacht reichte dies, um die Glaubwürdigkeit an den Märkten zu verlieren. Bei den Schuldenverhandlungen des Vorbereitungstreffens des G-20-Gipfels in Brisbane (Australien) mussten US-amerikanische Politiker als Bittsteller auftreten. Sie waren ähnlich wie Japan und Deutschland als (wenn auch besonders wichtige) »lahme Enten« nicht mehr Gestalter, sondern vom Wohlwollen der neuen Aufsteigerstaaten abhängig. Viele Investoren rechnen nun mit einem Staatsbankrott in wenigen Monaten.

Wie konnte es so weit kommen?

Vor allem, welche Rolle spielten die Ratinginstitute bei der Verschärfung der Krise, die ohne große Vermögensverluste nicht mehr als beherrschbar galt. Eine sanierende Währungsreform mit tiefgreifendem Schuldenschnitt galt jetzt vor allem in der Eurozone als unvermeidbar. Die führenden Ratingorganisationen äußerten ihre Bereitschaft, eigene Experten für das Prozedere zur Verfügung zu stellen. Sie hatten das lukrative Beratungsgeschäft rund um die Schuldengestaltung weiter ausgebaut und waren trotz ihres Reputationsverlustes auf den Kapitalmärkten und in der Öffentlichkeit wieder gut im Geschäft. Vorauseilende und gefügige Politiker sowie das Lobbying des Finanzsektors, der wesentliche Eigner der großen Ratingagenturen, halfen dabei. Dank der weltweit unreguliert gewachsenen Hedgefonds besitzen sie inzwischen weit mehr Macht als früher der militärisch-industrielle Sektor. Die Ratingagenturen sind dabei ein wichtiger Helfer und Spielmacher der modernen Finanzmärkte, die entweder fehlgelenkt oder unreguliert weiter Schaden für die Volkswirtschaften anrichten.