Theodor Storm


Zur Chronik von Grieshuus



Novelle

Impressum



Klassiker als ebook herausgegeben bei RUTHeBooks, 2016


ISBN: 978-3-945667-35-4


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Zweites Buch



Das siebenzehnte Jahrhundert war hinabgerollt; es saßen andere Leute auf Grieshuus.

Viele Jahre hindurch war Niemand dort gewesen, als ein gerichtlicher Verwalter; denn man wußte nicht, wem das Gut gehörte, ob dem Abwesenden, der jeden Tag sich wieder einstellen könne, ob dessen Tochter, einem schwachen Mädchen mit blaugeaderten Schläfen und dünnem blondem Haupthaar, das zu Schleswig im Kloster in der Hut einer entfernten Verwandten auferzogen wurde. Als sie mündig geworden, hatte sie von dieser sich getrennt und sich in der Nähe des Klosters eingemiethet; heirathen wollte sie nicht, obgleich dazu schon mehr als eine Anfrage an sie ergangen war; denn unter Vorbehalt der väterlichen Rechte war das Gut ihr übereignet worden. Gleichwohl hat sie gemeint, ihr Vater werde wiederkommen, und die Freier etwa so beschieden, indem sie hastig nach einer begonnenen Arbeit griff: "Zu danken für die erwünschete Gewogenheit! Aber mein Papa wird nicht so gar von seinem Hof und seiner Tochter lassen; sobald er heimgekehret, wird er für mich zu reden wissen." Das aber haben Alle für einen Abschlag aufgenommen, und von dem schon vergessenen Vater auch nur ungern reden hören.

Zu Grieshuus und überall im Lande hat es wüste ausgesehen; unser Herzog Christian Albrecht, nachdem er mit dem von seinem Vater ererbten Diplom des Kaisers Ferdinand die Universität zu Kiel gestiftet hatte, war vierzehn Jahre lang von seiner Residenz vertrieben; dessen getreue Beamte ließ der Dänenkönig verjagen oder gefangen setzen, und die Kraft des Landes durch seine nie ruhenden Kriegesrüstungen erschöpfen. So mochte es auch zu Grieshuus nicht heimelig sein, und Jungfer Henriette, wie sie nach ihres Vaters Namen war getauft worden, ist nimmer dort gewesen; das Archiv aber hat sie nach einem Zimmer in ihrem Hause zu Schleswig bringen lassen, und um Ostern und Martini mußte der Verwalter dort ihr Rechnung legen. Dann hat sie tagelang vor den großen Büchern dagesessen und über Kopfweh vor der Magd geklagt; "denn," hat sie gesagt, "es muß doch stimmen, wenn er wieder selbst regieren will."

Aber der Junker Hinrich ist doch nicht gekommen. Zu Grieshuus blühte die Haide und verging; Sonnenschein und Schneewinde wechselten über den mächtigen Eichenwäldern; sie wuchsen, geschlagen wurde nicht darin, insonders seit die Vormundschaft zu Ende ging; das Schlimmste war, daß das Unzeug sich in ihnen mehrte, Weihen und Falken, die in den Wipfeln horsteten, vor allen der Wolf, "de grise Hund", wie ihn die Bauern nannten, der unter den Höhlen der mächtigsten Eichenwurzeln im Dickicht seine Jungen warf. Noch jetzt zeigt man die Stelle, wo eines Tagelöhners Kind, das Dohnen in dem Wald gestellt hatte, von ihm zerrissen worden; denn einen Jäger hat es zu Grieshuus nicht mehr gegeben, und bei dem Thurmhaus hing die rothe Pforte klappernd in dem Winde; der Verwalter wollte keinen neben sich. Oben im Herrenhause, in dem Gemache über dem Portal des Hausthores und gegenüber in dem weiten Saale lag fingerdicker Staub und todtes Geziefer auf Simmsen und Geräthen. Und Junker Hinrich war noch immer nicht gekommen.

Als aber mehr als ein Menschenleben so vorüber war, langten schwedische Völker vom Wellingischen Regimente aus dem Bremischen an; dabei ein Oberst, der wegen einer aufgebrochenen Wunde in Schleswig sich verweilen mußte. Er hatte sich in der Nachbarschaft des Klosters eingemiethet, und die Dame von Grieshuus hatte ihm durch den Friseur ein sonderbar heilendes Wasser offeriren lassen, was er dankbar acceptiret hatte. Als er sodann nach seiner Genesung seine Aufwartung machte und alsbald ihr seinen Eheantrag ausrichten ließ, hat sie nicht mehr den Muth gehabt, ins Ungewisse zu verweisen, sondern nur gesagt: "Ich hoffe wohl, mein Vater, der unter Karl X. jung gewesen ist, wird nicht dawider sein."

So ist sie des Obersten Weib geworden, der seinen Abschied aus dem Dienst genommen hat; aber nach Grieshuus hat sie auch jetzo nicht hinüber wollen; "denn," sagte sie ihrem Eheherrn, "die Wölfe kommen dort gar in die Küche, und über die Haide geht ein Spukwerk; o nein!"

"Ei, Narrethei! Wer hat Dir das erzählt?"

"Der Verwalter; der wird's doch wissen!"

Der Oberst lachte: "Das wohl, er hat die Herrin nicht ins Haus gewollt!"

Sie wurde dunkelroth und strich das dünne Haar sich von den Schläfen: "Nein, nein; Du glaubst mir immer nicht!"

"Nun, ich werde selbst dahin gehen und mich informiren, Henni."

Dann ist er ohne sie dahin gegangen; er hat im Hause etwas räumen und mit den Bauern einmal auf die Wölfe treiben lassen; aber die Wälder sind zu dicht und die rechten Hunde nicht am Platze gewesen; sie haben keinen Wolf gesehen. So ist er nach Schleswig wieder heimgekehrt.

Und am Jahrestag der Hochzeit ist ein Kind geboren worden; ein Knabe, in welchem von des Weibes Eltern alle Schönheit aufgestanden ist. Es ist auch zur glücklichen Niederkunft gratuliret worden; aber die Mutter hatte doch all' ihre Kraft dem Kinde hingegeben. Noch ein paar Jahre hat sie, meist in Kammerluft, dahingelebt; dann eines Septembermorgens, da schon die gelben Blätter vor ihrem Fenster wehten, hat sie das Kind sich bringen lassen; und, ihre magre Hand in seinen goldnen Haaren, hat sie gesprochen: "Er ist doch nicht gekommen, Rolf; und ich sterbe nun; ich war nur eine schlichte Frau, aber Du, mein schöner Sohn," und der Knabe stand an ihrem Kissen und sah mit seinen durchdringenden Augen zu ihr auf ... "Du wirst ihn sehen; grüß ihn von mir! Rolf! Vergiß nicht ... " Lallend hatte sie die letzten Worte gesprochen; ihre Hand fiel von des Kindes Haupt. Und als sie eine Weile so gelegen, hat der Knabe mit seiner Hand ihr in das magere Angesicht gegriffen; aber sie rührte sich nicht mehr. Da schrie er, und die Wärterin trug ihn hinaus.

Als der Oberst vom Begräbniß auf dem Klosterkirchhof, wo man seine Frau nach ihrem Wunsch bestattet hatte, heimgekommen war, nahm er seinen Buben auf den Arm: "Die Mutter hat hier schlafen wollen," sagte er, "wir beide gehen nach Grieshuus; ich will nun selber Deinen Hof verwalten; da sollst Du reiten lernen!"

Und der Junge sah seinen Vater fest aus seinen dicht beisammenstehenden blauen Augen an; dann that er einen lauten Lustschrei.

So ist der Oberst, da im nächsten April an den Waldrändern von Grieshuus die Schlüsselblumen blühten, da die Äcker gedüngt und die Wintersaaten gewalzt wurden, mit seinem Buben in das Herrenhaus dort eingezogen. Eine ältliche Verwandte der Verstorbenen, das Kloster-Fräulein Heide von der Wisch, ist mit dahin gegangen, um, wie sie sagte, bis die Flüttezeit vorüber, être la mère à ce pauvre enfant; sie ist aber dort hängen geblieben und nach dem Kloster nicht zurückgekommen, obwohl der Knabe nie nach ihrer Hand gegriffen hat.

Oben im Hause sind die ungeschlachten Möbeln nach dem Boden hinauf oder in die Gesinderäume hinabgeschafft worden; im Wohngemache standen nun geschweifte Schränke und Chiffonièren, und auch ein Kanapee mit farbig gemustertem Bezuge, worüber neben dem vorgefundenen Bild der Urgroßmutter auch das der Mutter des Besitzers hing. Es pflegt so zu geschehen: das schönste, das Bild der Großmutter fehlte zwischen beiden; sie war gekommen und gegangen, und keiner wußte noch von ihr.

Im Wesentlichen wurde es auf dem abgelegenen Hofe nicht gar anders, als es im vorigen Jahrhunderte gewesen war. Denn Deutschland erhob sich eben erst aus wüsten Träumen. Die neue Koppelwirthschaft wurde freilich eingeführt; aber der Oberst war ein melancholicus und litt an den Uebelständen einer alten Wunde; überdieß war er weder ein Landwirth, noch ein Jäger, und beides war hier groß von Nöthen. Für letzteren gab sich zwar ein hungriger Verwandter der alten Herrschaft, der nach Jahr und Tag sich zum Besuche eingefunden hatte und gleichfalls nicht wieder fortgegangen war; aber es hatte nichts Sonderliches zu bedeuten. Nur einmal, an einem Winterabend, war hinter dem Thurmhaus ein Rehbock von ihm geschossen worden; allein zur Küche war er nicht gekommen, denn mit selbigem, daß das Tier zusammengebrochen, hatte ein dürrbeiniger Wolf sich darauf zugestürzt und es an der Kehle mühsam fortgeschleift; der Vetter aber war mit erhobenen Händen durch die Haidemulde nach dem Hofe zugerannt. "Hol' der Teufel Euere Wölfe hier! Das ist nicht in der Ordnung!" hatte er im Hausflur dem Oberst zugerufen; der aber hatte nur gelächelt: "Freilich nicht, Vetter; jedoch ich meinte, das sei Ihre Sache."

"Ei, das versteht sich Oberst! Aber die Hunde! Ich soll nur erst die rechten Hunde haben."

"Aber ich denk', Ihr habet ja den ganzen Stall schon voll davon."

"Nun, nun; gehet nur hinauf und kramet die Karten vor; ich will mir nur den nassen Rock vom Leibe ziehen; dann wollen wir die vier Könige jagen!"

Und bald saßen sie sich gegenüber bei ihrem Piquet; und der Oberst war damit zufrieden.

Als der Junker Rolf im siebenten Jahre war, lehrte der Vetter ihn lesen und nach Adam Riese rechnen; das konnte er, sogar auch mensa und amo dekliniren und conjugiren. Der Knabe lernte leicht und rief mitunter: "Ich kann's doch besser noch als Du!" Dann freute sich der Vetter und lief zu dem Vater: "He, Oberst, höret, was Euer philosophus da redet!" und den Jungen, wenn er hintennach gelaufen war, bei den Ohren in die Höhe hebend, rief er: "Ich hab's Dich doch gelehret, Tausendsakramenter!"

Des Knaben Freundin war eine alte Magd, die schon die Mutter als kleines Kind getragen hatte, die von hier zur Stadt und wieder von dort hieher zurückgebracht war. "Ich will Matten fragen!" rief der Bube, wenn er selbst nicht wußte, was er wollte. Sie hatte ihr Augenlicht fast ganz verloren und saß meist unten in der großen Gesindestube oder am Heerde in der Küche, beschaffend, was einem blinden Menschen möglich war; und wenn er sie gefunden hatte und auf sie losstürmend sie an der Schürze riß, dann sagte sie wohl: "Kind, Kind, gieb Ruh'; was willst Du denn? Bei Gott ist Rath und Tath!" und sah mit ihren todten in seine lebendigen blauen Augen. Und frug sie weiter: "Sprich, was willst Du, Rolfchen?" dann sprach er wohl ganz kleinlaut: "Weiß nicht, Matten; erzähl' mir was!" Und sie legte das Messer, oder, was sonst ihre Finger hielten, fort und frug: "Was denn erzählen, Kind?" Er war auf ihren Schooß gekrochen und rief: "Von Owe Heikens, wie Du zu viel Holz gebrochen hattest! Nein" und er flüsterte ihr ins Ohr: "erzähl' mir von der schönen Frau, da auf dem Meierhof; wie hieß sie doch?"

"Kind, Kind, das war ja Deine Großmutter!" Der Knabe sah ihr lange ins Gesicht: "Großmutter?" sagte er langsam. "War sie denn schon alt?"

"Alt?" und Matten wiegte ihren grauen Kopf. "So jung wie Maililien! Wenn der Tod kommt, bleiben auch die Großmütter jung. Sei still und halt's für Dich, so will ich Dir erzählen!"

In Einem aber war der Vater selbst des Buben Lehrmeister; er kaufte ihm erst einen, und als er größer wurde, einen zweiten von den kleinen türkischen Kleppern, und ließ draußen an der Ostseite eine Reitbahn richten; und die Peitsche des Obersten klatschte und der Junge lag bald auf dem Rappen, bald auf dem braunen Klepper.

Plötzlich aber wurde es anders zu Grieshuus. Der Oberst, da an dessen Geburtstage der Junker mit einem unter des Vetters Anweisung gefertigten Glückwünschungs-Briefe vor den herzallerliebsten Papa getreten war, hatte danach nichts Eiligeres zu thun, als durch seinen pastor loci einen Informator zu besorgen. Dadurch ist der Magister Caspar Bokenfeld auf den Hof gekommen, und mit ihm ein Mann, dem ich von nun an die Erzählung in eigenem Namen überlassen kann.

Während der ersten Herbst-Vacanz in meiner Studentenzeit war ich daheim und wurde bei einem Besuche der Stelle von Grieshuus durch ein heftig Wetter in das Haus des Küsters in dem nahen Dorfe eingetrieben. Er war ein schon bejahrter Mann, den ich bisher nicht kannte; wir saßen uns bald am Fenster gegenüber, und ich sah auf die Ostseite der alten Felsenkirche, an welcher noch die schweren Eisenringe hingen, so daß ich ohne Umstand das Gespräch auf jene alten Dinge bringen konnte. Er hatte mir ruhig zugehört; als ich jedoch bekannte, daß mir die dortigen Ereignisse des achtzehnten Jahrhunderts minder klar geworden seien als die des vorigen, stand er auf und ging nebenan in eine Kammer, aus der ich das Auf- und Zuschließen eines Schrankes oder einer Lade zu vernehmen glaubte. Als er zurückkam, legte er ein vergilbtes Schriftstück in den mir hinlänglich bekannten Zügen des letzten Jahrhunderts vor mir hin.

"Klar ist das auch nicht;" sagte er; "aber es ist erzählt, was sich begeben hat. Der Autor war einer meiner Vorfahren und Pastor an hiesiger Kirche, nachdem er sich das als Informator auf dem Hof verdient hatte."

Ich faßte mit Andacht das Papier; die alte Zeit begann ja selbst zu sprechen. Dann hab' ich's mit des Küsters Erlaubniß noch am selben Nachmittage abgeschrieben, und bin erst nach Haus gekommen, als die derzeit einzige Gassenleuchte an der Hafenstraße schon von dem Nachtwächter ausgethan war.

Und hier ist es.


Die Niederschrift des Magisters Caspar Bokenfeld


Anno 1702, in welchem nachmals unser Herzog Fridericus IV., des hartgeprüften Christian Albrechts Sohn, bei Klissow in Polen für seinen Schwager, den Schwedischen Carolum XII., sein junges Leben gab, im Januar am SonntageEpiphanias war es, da ich Grieshuus zum ersten Mal betrat. Es bimmelte schon unten von dem Kirchthurm zum Gottesdienste, und die helle Wintersonne strich an den Fenstern entlang, als der Herr Oberst auf seinem zierlich ausgerüsteten Zimmer mir seinen Sohn als Zögling zuführte. "Das ist der Magister Bokenfeld," sprach er zu dem elfjährigen Knaben; "der soll nun versuchen, was aus Dir zu machen ist."

Der Bube sah mich aus ein Paar scharfen blauen Augen an, als ob er im hintersten Hirnwinkel mich aussuchen wolle, und sagte dann, mirabile dictu: "Kann Er auch reiten, Magister?"

Da lachte der Herr Oberst und schlug ihn auf die Schulter: "Ei, Teufelsjunge, reiten soll er Dir nicht weisen; aber 'Sie' sollst Du den Magister tituliren; er wird Dir schon zeigen, wo die Geigen hängen!"

Siehe, da wurde mir der Odem leicht; denn mit denen von Adel hatte ich nimmer noch verkehret; der kleine Junker aber hat mich in Tagen nimmer angesprochen, bis das Herz ihm einmal jählings überquollen; da sprach er: "Sie sind gut, Herr Magister!" und gab mir seine feste kleine Hand; ich aber nahm das edle Kind in meinen Arm: "Wir wollen Freunde werden, Rolf!" sagte ich; da umfassete er mich heftig, und sein geringelt Goldhaar hing noch lange über meine Hand herab. Auch war das nicht umsonst gesprochen; mein Rolf, mein schöner guter Knabe, weshalb der Vater droben Dich doch so früh begehret hat!

Es war recht einsam zu Grieshuus. Der Oberst kränkelte und verließ das Haus nur selten; an jeglichem Abend spielte er sein Piquet oder eine Partie Dame mit einem Familien-Vetter, der hier im Hause lebte; ein sonderlicher Mann, der Alles zu verstehen meinte und gleichwohl ohne alle Erudition war. Der Oberst war ein Wittmann; aber eine adelige Klosterjungfer Adelheid hielt strenge Hauswirthschaft; sie rief mir selber einmal am Sonntag-Nachmittage zu: "Gieb Er mir seinen linken Strumpf, Magister; da soll die Sonn' Ihm bald nicht mehr auf Seine Wade brennen!" Und als ich hinsah, siehe, da war ein Loch im Strumpfe, und ich schlich gar beschämt davon, um solchen Fehler aufzubessern.

Mir war das Zimmer über der Einfahrt in dem Thorhaus eingeräumt; ich hatte meine Bücher mit mir, und war es wohl zum ersten Male, daß Homerus und Virgilius, Arnoldus und Thomasius die Wände hier verzierten. In der Thorfahrt unten hatte der Meierei-Keller ein Fenster, und es hieß, oftmals, so man nächtens vorüberschreite, solle von dort aus ein Rahmschöpfen und Umgießen deutlich hörbar werden, was in Wirklichkeit nicht sei; aber das sind nugae; es ist allzeit ruhig gewesen, wenn ich gegenüber meine enge Treppe aufgestiegen bin. Aber drinnen in meiner Kammer war es gar einsam, wenn die Nachtruhe über den Hof gekommen war, und ich noch über meinen Büchern saß. Wenn dann der Mond am Himmel stand, und ich von der Arbeit zu dem einzigen Fenster trat, dann sah ich ein tiefes Haidefeld, das zwischen zwei hohen Waldseiten auslief; und mitunter drang ein seltsam Heulen aus der Ferne, von dorten, wo ich bei Tage ein altes Thurmhaus hatte stehen sehn; da ich es zum ersten Male hörte, schritt ich zur Thür und schob den Riegel vor; dann löschte ich das Licht und legte mich schlafen. Das Heulen, das noch länger durch die Nacht scholl, ist aber von den hungerigen Wölfen kommen, deren derzeit im Uebermaße hier gewesen; und ich hab' noch lang gelegen und gehorchet; mir war, als könnten sie durch die offene Thorfahrt kommen und mit den Tatzen meine Thür anfallen.

Als ich am Morgen dem Junker Rolf davon erzählte, sprach er: "Da in der Haide müssen Sie itzt nimmer gehen, Herr Magister; ich bin zu Pferde dort gewesen und doch fast vom Leben abgekommen!"

Und auf meine Bitte hat er es also mir erzählet: Eine grimmige Kälte ist es dazumal gewesen, am Nachmittage vor dem letzten Heiligabend, zwei Wochen nur vor meiner Herkunft, und wie bleicher Messingglanz hat die Dezembersonne über die Haide hingeglinstert. Droben in dem großen Saale hat die Tante Heide herumgehamstert, ganz mutterseelenallein, und hat Niemand hinein dürfen, weder vom Gesinde, noch auch der Junker Rolf, wohl selber kaum der Oberst; denn für Alle ist da drinnen die Weihnachtsbescheerung aufgebauet worden; der Vetter nur ist eigenwillig aus- und eingehuschet; denn er hat's gar besser noch verstanden, als die Tante. Junker Rolf aber ist vor Ungeduld Trepp auf und abgesprungen auch auf den Hof und in die Ställe eingelaufen und zuletzt dann in des Oberst Zimmer, wo dieser mit dem Verwalter vor der Gutsrechnung gesessen: "Was soll ich anfangen, Papa? Um 5 Uhr erst will Tante Heide schellen!"

"So geh' zu Deiner Freundin, der alten Matten!"