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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Der Autor: Jesse Fink arbeitete als führender Sportjournalist in Australien und Südostasien. Seine Memoiren Laid Bare wurden von Australiens umsatzstärkster Tageszeitung The Herald als „fesselnde Lektüre“ gelobt. Er lebt in Sydney, Australien.

Deutsche Erstausgabe 2015

Titel der Originalausgabe von Ebury Press book, einem Imprint von Random House Australia Pty Ltd, Sydney, Australien:

„The Youngs – The Brothers Who Built AC/DC“ © 2013 by Jesse Fink

ISBN: 978-1-74275-979-1

Dieses Werk wurde vermittelt durch Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Coverdesign: © Blue Cork

Coverabbildung: © Chris Walter

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat: Dr. Rainer Schöttle, www.schoettle-lektorat.de

© 2015 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

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ISBN 978-3-85445-467-0

Auch als Paperback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-466-3

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Widmung

Für Tony Currenti und Mark Evans

und in Gedenken an Michael Klenfner

Zitat

„Gewalt und Energie … darum dreht sich doch letztendlich alles beim Rock ’n’ Roll.“

Mick Jagger

Inhalt

VORWORT

„Gimme A Bullet“

EINLEITUNG

„Rock And Roll Ain’t

Noise Pollution“

1. THE EASYBEATS

„Good Times“ (1968)

Bildstrecke 1

2. STEVIE WRIGHT

„Evie“ (1974)

3. AC/DC

„It’s A Long Way To The Top

(If You Wanna Rock ’N’ Roll)“ (1975)

4. AC/DC

„Jailbreak“ (1976)

5. AC/DC

„Let There Be Rock“ (1977)

6. AC/DC

„Riff Raff“ (1978)

7. AC/DC

„Highway To Hell“ (1979)

Bildstrecke 2

8. AC/DC

„Back In Black“ (1980)

9. AC/DC

„You Shook Me All Night Long“

(1980)

10. AC/DC

„Hells Bells“ (1980)

11. AC/DC

„Thunderstruck“ (1990)

DRAMATIS PERSONAE

„Who Made Who“

DANKSAGUNGEN

„For Those About To Rock

(We Salute You)“

BIBLIOGRAFIE

„Ride On“

DISKOGRAFIE

„High Voltage“

ANHANG

„What Do You Do

For Money Honey“

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Wenn der Name der Band fällt, haben wir alle eine Geschichte zu erzählen. Ich selbst kann weder ein Datum noch einen exakten Zeitpunkt nennen. Meine Erinnerungen sind verschwommen – vom Nebel des Whiskys, der mir an einem trostlosen Abend den Rest gab. Ich saß allein zu Hause und fragte mich, wie ich nur in diesem unordentlichen Zimmer in einer klammen, beschissenen Kellerwohnung im Stadtkern Sydneys landen konnte, wo ich doch so lange alles gehabt hatte: das gemütliche Haus in einem Vorort, die glückliche Familie, eine schöne Frau und sogar einen Streuner aus dem Tierheim mit wedelndem Schwanz. Und nun hatte sich mein Leben auf das Zusammenfalten schwarzer Socken reduziert, um die Zeit zu überbrücken, bevor ich zu Bett gehen konnte in der Sicherheit, nicht schon wieder um vier Uhr morgens aufzuwachen. Wenn für einen erst kürzlich geschiedenen Mann zwei Uhr morgens das Gefühl der Einsamkeit symbolisiert, steht vier Uhr für das Unerträgliche.

Der Wunsch, mit einer Frau eng zusammen zu sein, mit irgendeiner Frau, sie zu drücken und zu berühren, wurde von der Tatsache blockiert, dass meine Ex-Gattin, die ich immer noch liebte und mit der ich leben wollte, nun mit einem anderen Mann liiert war – obwohl ich genügend „Notfall-Dates“ hinter mich gebracht hatte, um die Nächte zu überstehen. Ich fühlte mich machtlos, wütend, vor allem festgefahren und völlig deprimiert. Meine Situation war recht bedauernswert.

Und dann – es war ein einfaches „Dann“ in dieser Geschichte des Elends – schnappte ich mir mein ramponiertes MacBook, öffnete iTunes und spielte AC/DC.

Ich entschied mich gegen „Back In Black“, „Highway To Hell“, „Thunderstruck“ oder einen anderen Titel der Stadion-Songs aus dem Repertoire der australischen Band. (Die Australier vereinnahmen AC/DC immer noch für sich, obwohl Angus und Malcolm Young ihnen in den letzten Jahren aus dem Weg gegangen sind, womit sie den Kontinent effektiv enterbt haben.) Ich wählte „Gimme A Bullet“, einen allgemein vergessenen Titel des 78er-Albums Powerage, das aus irgendeinem Grund von der Bildfläche verschwand, was sich auch in den eher kümmerlichen Verkaufszahlen niederschlug. Es war das fünfte Studioalbum [gerechnet nach der australischen Diskografie, A. T.], produziert vom Ex-Easybeats-Duo George Young (der ältere Bruder) und Harry Vanda – in der goldenen Ära der Jahre 1975–1980, und die wohl unspektakulärste, aber zugleich künstlerisch ausgefeilteste Platte der Band. Hier findet sich kein einziger schlechter Track.

Oh, she hit me low.

Ja, Bon, genau das machte meine Frau. Konnte die Gruppe meine Gedanken lesen? Natürlich hatte ich AC/DC schon früher gehört, doch in dieser Nacht saß ich auf der Bettkante und fühlte mich wie gebannt von der Musik. Der brettharte Klang! Die bahnbrechende Energie! Die sorgfältig getrennten, aber trotzdem verwobenen Gitarren! Keine expressiven Soli von Angus, was bei AC/DC nur selten vorkommt, sondern die beiden Young-Brüder, die ihre Gitarren zu einem treibenden Groove verzahnen! Und die Texte: Worte, die wie Balsam für den Teil meiner Seele wirkten, den meine Frau zerrissen hatte. Schließlich kapierte ich es! Nach dem ersten Hördurchgang musste ich mir das Album ein zweites Mal anhören – und dann ein weiteres Mal. Powerage hat eine Spielzeit von unter 40 Minuten und setzt sich von den vorhergehenden und folgenden Platten ab, denn das Album ist ein knalliges Polaroid des realen und zugleich gewöhnlichen Lebens – betrachtet durch die Linse einer Gruppe verwegen aussehender Typen, die ernsthaft den Anspruch erheben können, die größte Rock ’n’ Roll-Band aller Zeiten zu sein.

Powerage wurde im Studio des fünften Stocks des mittlerweile abgerissenen Boomerang House in Sydney in nur wenigen Wochen zusammengeschustert und handelt nicht von Ficken, Saufen, Knarren oder dem rauen Wetter. Glücklicherweise finden sich hier keine der infantilen sexuellen Doppeldeutigkeiten, mit denen Brian Johnson, der dritte und letzte Sänger der Gruppe, einige der besten Gitarrenarbeiten der Young-Brüder in den Achtzigern verdarb. Es ist ein Album, zu dem ernsthafte Zuhörer (ein wichtiger Unterschied zu ernsthaften Fans von AC/DC) eine Beziehung aufbauen können, da es – und das liegt maßgeblich am nicht zu unterschätzenden Input von Bon Scott – von der menschlichen Zerbrechlichkeit und Schwäche handelt.

Kurz auftauchende Themen wie Erniedrigung und Pathos unterscheiden Powerage vom restlichen AC/DC-Repertoire. Andere Alben sind durch die geballte zerstörerische Kraft der Gretsch, Gibson, Music-Man-Verstärker und Sonor-Drums gekennzeichnet, wohingegen die neun Titel von Powerage (zehn auf der europäischen Vinyl-Ausgabe) Themen anschneiden, die nur selten im Hardrock behandelt werden. Das Verlassenwerden. Die Sehnsucht. Enteignung. Ambitionen. Entbehrungen – sowohl emotional, als auch finanziell. Richtig einen verpasst zu kriegen! Und, vor allem und auch am spannendsten – das Risiko. Der majestätische Bon Scott hätte sein Leben niemals einem anderen Credo verschrieben.

Der Refrain von „Rock ’N’ Roll Damnation“, dem ersten Track der CD, drückt eigentlich alles aus: „Take a chance while you still got the choice. Was ich auch tat. Ich ließ die Whiskyflasche und die unsortierten schwarzen Socken hinter mir, um nach New York zu flüchten, wo ich eine Burlesque-Tänzerin aufgabelte, die wie Scarlett Johansson aussah. Ich würde nicht im Zustand des ewigen Grübelns sterben. Ich verfasste ein Buch und verliebte mich wieder. Es gelang mir, mein Leben in geordnete Bahnen zu lenken.

Doch erst „Gimme A Bullet“ gab mir den wichtigen Anstoß, und dieses Gefühl empfinde ich bei jedem Hören. Wenn Cliff Williams’ Bass bei einer Spielzeit von ungefähr 1:17 Minuten die Gitarrenwand der Young-Brüder und Phil Rudds Beat durchbricht, knallt und donnert der Song auf eine andere Ebene der Perfektion der Rockmusik. Es ist wahrscheinlich die Passage, die den hart arbeitenden „Malocher“ Williams – wie ihn Rob Riley, der Gitarrist von Rose Tattoo, lakonisch beschrieb – in 30 Jahren mit AC/DC zumindest in die Nähe eines Solos bringt. Hinsichtlich der Kreativität hat er kaum etwas geleistet. Nach den zuverlässigsten Aussagen lassen die kompromisslosen Young-Brüder ihm auch keinen Freiraum. Es ist weder seine Band noch seine Aufgabe.

War es überhaupt Williams’ Instrument? Mark Evans, sein britischer Vorgänger in der Band, erzählte mir später: „So, wie ich die damalige Situation in Erinnerung habe, spielte George den Bass auf dem gesamten Album.“ Möglicherweise ist das einer der Gründe, warum Powerage so gut ist? Diese Art der Geheimnisse bestimmen jedes Gespräch über AC/DC. Jedoch war die Wirkung auf mich dieselbe, egal, wer denn nun Bass spielte.

„Gimme A Bullet“ zu hören und von dem Song mitgerissen zu werden, gab mir den Willen und die Entschlossenheit, mein Selbstmitleid zu vergessen. Ich spielte das Stück im Auto, beim Joggen durch die Straßen Sydneys oder beim Fitness-Training in der nahe gelegenen Muckibude. Meine damals siebenjährige Tochter, die eigentlich Selena Gomez, Taylor Swift und Ke$ha hörte, mochte ihn so sehr, dass sie dazu in ihrem Zimmer tanzte. Mich überkam väterlicher Stolz, als sie mir die Zeichnung eines großen Herzens mit ausgiebigen Verzierungen zeigte, unter dem gekritzelt stand: „Mein Dad liebt AC/DC und die Rolling Stones.“ Es ist wunderschön, wenn man durch die Musik eine Beziehung zu seinem Kind aufbauen kann. Mit 37 Jahren, nach einem halben Leben voller guter, melodischer, doch vergleichsweise unauffälliger Musik, verstand ich endlich die Tragweite von AC/DC.

Ich kann die Bedeutung von „Gimme A Bullet“ in dieser bestimmten Nacht nur mit einer Szene aus High Fidelity vergleichen, in der John Cusacks Charakter gesteht, dass er seine Platten weder alphabetisch noch chronologisch ordnet, sondern autobiografisch. Jedes Mal, wenn ich den Song höre, führt er mich zu dem Moment zurück, in dem ich glaubte, alles verloren zu haben, in dem ich ohne einen Gedanken zu verschwenden nach draußen gegangen wäre und mich vor einen Müllwagen gestellt hätte, es aber glücklicherweise nicht machte. Er verbesserte meine Stimmung. Durch ihn fühlte ich mich wieder gut. Ich hatte das Gefühl, nicht allein auf der Welt zu sein, wusste, dass es dort draußen noch andere Typen gab (auch schon in der Vergangenheit), darunter ein Bon Scott, die ähnliche Nächte der Einsamkeit durchmachen mussten, aber die Zähne zusammenbissen und weiterkämpften. Nur die beste Musik vermag das. Sie macht die wunderschönen, einsamen Momente existenzieller Erkenntnis unsterblich.

Jahre später, wieder in New York, rannte ich während eines Schneesturms über die Brooklyn Bridge und hörte „Gimme A Bullet“ auf dem iPod. Wie schon so oft zuvor, brachte mich der Sound richtig auf Trab. Ich hielt einen Moment lang in der schneidenden Januarluft an – Manhattan zu meiner Linken, Brooklyn zu meiner Rechten, Sydney und das alte Leben weit, weit entfernt – und lächelte, da ich meine Gesundheit und Fröhlichkeit wiedererlangt hatte. Die Musik von AC/DC half mir mehr als alles andere dabei, diesen Punkt zu erreichen.

Angus und Malcolm Young mögen mit einem Achselzucken reagieren, erwidern, dass sie nur Rock ’n’ Roll spielen und die persönlichen Geschichten von Fans ignorieren, die erzählen, wie sehr sie die Musik berührt hat. Sie mögen Autoren und Journalisten ignorieren, die mehr wollen als die knappen Floskeln, die sie bei der Promotion einer neuen Platte affektiert in einen Raum werfen, ähnlich wie den Ballast eines Bootes. Doch mit George, ihrem zurückgezogenen älteren Bruder, Mentor und Produzenten sind sie weitaus bedeutender, als sie sich zugestehen. Die Musik der Youngs handelt nicht nur vom Saufen, Ficken und dem Rock ’n’ Roll, was sie sich vielleicht nicht eingestehen mögen. Von mir aus können sie so viel protestieren, wie sie wollen, doch niemand kauft es ihnen ab.

Auch wenn sie sich nur noch selten blicken lassen, wird es irgendwo einen verlorenen Typen geben, der „Gimme A Bullet“ zum ersten Mal hört und sich entscheidet, am nächsten Morgen wieder aufzuwachen. Wir alle haben Songs der Youngs, die so eine Wirkung auf uns ausüben.

Diese besondere Gabe – und nicht der Ruhm, die Plattenverkäufe oder das kaum überschaubare Vermögen – rechtfertigt die Auseinandersetzung mit ihrer Musik.

Jesse Fink, Januar 2015