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Helge Stadelmann Kommunikativ predigen Plädoyer und Anleitung für die Auslegungspredigt

Aber die Summa sey die / das es ia alles geschehe /

das das wort ym schwang gehe /

vnd nicht widderumb eyn loren vnd dohnen draus werde /

wie bis her gewesen ist.

Es ist alles besser nach gelassen / denn das wort.

Vnd ist nichts besser getrieben denn das Wort.

Martin Luther

Der ernste Beruf des Predigers

fordert alles und das Allerbeste,

was ein Mensch geben kann.

Charles Haddon Spurgeon

Wer heute, gegen den Strom, jenen Ort aufsucht,

da man das alte Buch aufschlägt,

dem darf man etwas zumuten.

Der Kirchgänger ist anspruchsvoll.

Er erwartet […] »lebensnahe«,

das heißt dem Osterleben nahe

Auslegungspredigt

mit klarem, christlichem Lehrgehalt.

Walter Lüthi

Den Pastoren,

die nie aufhören, ihr Predigen zu verbessern.

Den Theologiestudenten, Seminaristen und Bibelschülern,

die unermüdlich ihr Talent entfalten, um gute Prediger zu werden.

Den Laien, die treu Gottes Wort verkündigen.

INHALTSVERZEICHNIS

Inhalt

Vorwort

1. WAS AUSLEGUNGSPREDIGT IST – UND NICHT IST

1.1Herausforderungen für eine evangelikale Predigtlehre

1.1.1Probleme und Chancen der Predigt heute

1.1.2Tendenzen der neueren Predigtlehre

1.2Biblische Grundlagen für den Predigtdienst

1.2.1Der biblische Predigtauftrag

1.2.2Die Berufung des Predigers

1.2.3Die Begabung des Predigers

1.3Wesen und Formen der Auslegungspredigt

1.3.1Predigt als Entfaltung einer biblischen Aussage

1.3.2Predigt als Ergebnis genauer Textauslegung

1.3.3Predigt als Herausforderung von Prediger und Gemeinde

1.3.4Möglichkeiten der Auslegungspredigt

1.3.5Besondere Formen der Verkündigung

2. DIE ERARBEITUNG DER PREDIGT ZWISCHEN TEXT UND HÖRER

2.1Hermeneutische Grundentscheidungen

2.1.1Die Entwicklung weg vom Bibeltext als Verstehensnorm

2.1.2Thesen zu einer evangelikalen Hermeneutik

2.1.3Die Notwendigkeit gründlicher Bibelauslegung

2.2Die Wahl des Predigttextes

2.2.1Der ›ganze Ratschluss Gottes‹

2.2.2Die Predigtplanung

2.2.3Die Abgrenzung von Predigttexten

2.3Texterarbeitung und Textfokussierung

2.3.1Die Texterarbeitung

2.3.2Die Textfokussierung

2.4Die Predigtmeditation

2.4.1Vorüberlegungen

2.4.2Die Reflexion

2.4.3Die Konzeption

3. DIE PRAXIS DER AUSLEGUNGSPREDIGT

3.1Bausteine der Predigt

3.1.1Die ›Predigtkrawatte‹

3.1.2Die Einleitung

3.1.3Die Erklärung des Textsinnes

3.1.4Die Veranschaulichungen

3.1.5Die Anwendungen

3.1.6Die Übergänge

3.1.7Der Schluss

3.2Gestaltung des Predigtkonzepts

3.2.1Das Predigtmanuskript

3.2.2Das Stichwortkonzept

3.2.3Die Visualisierung des Predigtentwurfs

3.3Die Kunst der Rede (Rhetorik)

3.3.1Der Streit um die Rhetorik

3.3.2Elemente der Kommunikation

3.3.3Des Redners Angst und Emotionen

3.3.4Rednerpult und Kanzel

3.3.5Sprechtechnik (hör-orientierte Rhetorik)

3.3.6Körpersprache (seh-orientierte Rhetorik)

4. PREDIGT UND GOTTESDIENSTGESTALTUNG

4.1Predigt und Gottesdienst – Aspekte einer Problemgeschichte

4.1.1Streiflichter aus der Liturgiegeschichte

4.1.2Anmerkungen zur evangelikalen Situation

4.2Predigt und Gottesdienst – Hinweise zur Gestaltung

4.2.1Maßstäbe zur Gottesdienstgestaltung

4.2.2Planung eines Gottesdienstentwurfs

5. AKTUELLE ENTWICKLUNGEN ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIE KOMMUNIKATIVE AUSLEGUNGSPREDIGT

5.1Herausforderungen durch die Entkirchlichung der Gesellschaft

5.1.1Kirchenmitgliedschaft und distanziertes Teilnahmeverhalten

5.1.2Selbstsäkularisierung der Kirche als Problembeschleunigung

5.1.3Gastfreundliche Gottesdienste und Kommunikation des biblischen Wortes

5.2Herausforderungen durch die Mediengesellschaft

5.2.1Die Vielfalt der Medien und das Evangelium

5.2.2Dramaturgik auf Kosten des Schriftbezugs der Predigt?

5.2.3Lernen für kommunikatives Predigen

ANHÄNGE: BEISPIELE FÜR GOTTESDIENSTORDNUNGEN

Anh. 1 Der Wort-Gottesdienst (Muster)

Anh. 2 Der Abendmahls-Gottesdienst (Muster)

Anh. 3 Der landeskirchliche Gottesdienst (Evang. Gottesdienstbuch)

Anh. 4 Der freikirchliche Gottesdienst (Nösser/Reglin)

Anh. 5 Der Gottesdienst einer landeskirchlichen Gemeinschaft

Anh. 6 Die gemeindliche Trauung (Muster)

Anh. 7 Die Trauerfeier und Beerdigung (Muster)

Personen- und Autoren-Register

Bibelstellen-Register

VORWORT

Dieses Buch will zu kommunikativer Auslegungspredigt aufrufen und anleiten. Auslegungspredigt ist für den Dienst der Verkündigung die Einlösung der erheblichen Hochachtung, die Evangelikale der Bibel als dem Wort Gottes entgegenbringen. Sie hilft, dass diese Hochachtung nicht nur schöne Theorie bleibt. Diese Art des Predigens ist zugleich nah am biblischen Wort und nah am Hörer. Solche Predigt, die aus dem Wort Gottes schöpft, baut die Gemeinde auf. Sie tut dies umso mehr, als ihr im Hinblick auf Vorbereitung und Darbietung die Liebesmühe gewidmet wird, die sie als Herzstück ausdrucksstark gestalteter Gottesdienste verdient.

Das Buch ist die wesentlich überarbeitete Neufassung des zwischen 1990 und 2001 in fünf Auflagen erschienenen Lehrbuches Schriftgemäß predigen: Plädoyer und Anleitung für die Auslegungspredigt, das nicht mehr erhältlich ist. Es hat bei vielen Lesern und an vielen Ausbildungsstätten eine freundliche Aufnahme gefunden. Ein Rezensent (Heinz Schäfer) hatte dies so ausgedrückt: »Das ist für alle, die in der Wortverkündigung stehen, ein wichtiges Buch: Für Anfänger ein hilfreiches Kompendium, das Predigen zu lernen, soweit es überhaupt lernbar ist; für Leute, die mit dem Kanzelholz schon vertraut sind, eine ausgezeichnete Checkliste, die eigene Verkündigung wieder einmal unter die Lupe zu nehmen …« Damit ist die beabsichtigte Leserschaft zutreffend beschrieben.

Auch für die Neuausgabe wünsche ich mir eine breite Leserschaft. Dieses Buch richtet sich nicht nur an Theologen, sondern an jeden, der das Wort Gottes gründlich, verständlich und motivierend predigen will. Das Buch bemüht sich um eine einfache Sprache. Innerhalb des Buches sind Abschnitte, die eher den Charakter von Fachdiskussionen tragen, in Kleindruck gesetzt. Der Leser, der sich für diese Abschnitte nicht interessiert, kann sie überspringen, ohne dass ihm dadurch der Zusammenhang verloren geht. Zur Schreibweise: Das »ss« wird entsprechend der neuen Rechtschreibung durchgehend verwendet, auch in Zitaten.

Möge dieses Buch dazu beitragen, dass eine wachsende Zahl von Gemeinden das erhält, was allein ihnen festen Grund und gesundes Wachstum geben kann: das Wort Gottes. Weniger wird der Gemeinde nicht wirklich das geben, was sie braucht.

Gießen, im Sommer 2005

Helge Stadelmann

1. WAS AUSLEGUNGSPREDIGT IST – UND NICHT IST

1.1 Herausforderungen für eine evangelikale Predigtlehre

1.1.1 Probleme und Chancen der Predigt heute

Martyn Lloyd-Jones, einer der größten Prediger des 20. Jahrhunderts, schrieb vor einigen Jahren: »Für mich ist die Arbeit des Predigens die höchste und größte und herrlichste Berufung, zu der jemand überhaupt berufen werden kann!«1 Aus solchen Worten spricht Predigtfreude und Predigtüberzeugung. Und diese Freude muss ansteckend gewirkt haben. Als ich vor einigen Jahren die Predigtstätte von Lloyd-Jones, die Westminster Chapel in London, besuchte, fand ich dort begeisterte Predigthörer vor, für die die Predigten des Wochenendes das Zentralereignis der Woche waren. Und das obwohl Lloyd-Jones (gestorben 1981), der von seiner Ausbildung her Arzt und nicht Theologe war, vor seinen 1000 bis 2000 Zuhörern jeweils runde 45 Minuten sprach und drei Predigten pro Woche hielt: freitags eine gründliche lehrmäßige Bibelarbeit, sonntagmorgens eine praktisch-erbauliche Predigt und sonntagabends eine evangelistische Ansprache.2

1.1.1.1 Die Predigtnot heute

Für die Predigtsituation in unserem Land dürften Nachrichten dieser Art allerdings kaum typisch sein. Auch wenn nach wie vor jeden Sonntag mehr als eine Million Menschen an einem evangelischen Gottesdienst teilnehmen, ist doch zu sehen, dass der Gottesdienstbesuch an den Zählsonntagen – einschließlich Kindergottesdienste – tatsächlich nur zwischen durchschnittlich 3,9 Prozent (Sonntag Invokavit) und 8,0 Prozent (Erntedankfest) der Kirchenmitglieder liegt. Durch Massenmedien wie das Fernsehen, das mit hoch entwickelten Kommunikationstechniken arbeitet, hat die Predigt in ihrer jahrhundertealten Monologform Konkurrenz bekommen. Manche meinen, in einer von Bildern und abwechslungsreichen Kurzprogrammen geprägten Zeit habe sich die Predigt als Mittel der Verkündigung überlebt.

In der Tat ist die Art der Predigten, die man zu hören bekommt, oft nicht dazu angetan, solche Bedenken zu zerstreuen. U. Parzany berichtet: »In einer Kirche schrieb vor einiger Zeit ein Gottesdienstbesucher mit Kugelschreiber an die Wand: ›Hier starb ich vor Langeweile.‹ Der Küster muss wohl Mitgefühl gehabt haben. Er ließ diese Feststellung eines kirchlichen Todesfalles zwei Wochen lang an der Wand stehen.«3 Und in einem Gemeindeblatt4 wird gar folgende Statistik eines Predigtmisserfolgs dokumentiert: Laut Umfrage konnten von 100 Kirchenbesuchern nach Schluss des Gottesdienstes nur vier inhaltlich präzise wiedergeben, was in der Predigt gesagt worden war; 28 hatten das Gesagte noch oberflächlich im Gedächtnis, 32 hatten die Ausführungen falsch verstanden und 36 wussten gar nichts zu sagen. Welcher Prediger könnte sich mit solchen, vielleicht nicht einmal so ungewöhnlichen Resultaten zufrieden geben?

Wenn Predigten nicht gelingen und keine Wirkung erzielen, kann das an der Predigt liegen, am Prediger oder am Predigthörer. Predigten können nach Form und Inhalt missraten. Es ist wichtig, dass die Predigt in Aufbau, Darbietung und Länge aus Liebe zum Hörer so gestaltet wird, dass dieser gut und gerne folgen kann. Gerade in einem Zeitalter effektiver Massenkommunikation sollten Predigten nicht ausgerechnet durch lieblos langweilende Darbietungsformen auffallen. Und doch scheint mir, dass die eigentliche Predigtnot heute nicht im Formalen begründet liegt. Würde überall in Predigten das Wort Gottes »unter Beweisung des Geistes und der Kraft« (1Kor 2,4) ausgelegt und prophetisch auf das Leben der Hörer bezogen, würden gewiss manche Mängel in der Form verziehen. Die Apostel – Fischer von Beruf – hatten keinen Kurs in griechischer Rhetorik besucht, aber sie sagten das Wort Gottes »mit freimütiger Gewissheit« und »mit großer Kraft« (Apg 4,31.33).

Eine Ursache für die Predigtnot unserer Tage ist zweifellos, dass viele Prediger auf Grund ihrer theologischen Ausbildung geistlich verarmt und verunsichert sind. Auf diesen Zusammenhang hat K. H. Michel zu Recht hingewiesen:

»Die Predigtnot unserer Tage resultiert, so möchte ich behaupten, auch aus einer theologischen Not: aus einer theologischen Verarmung. Die Konkretheit, Lebensnähe und Fülle biblischen Redens ist der Theologie in erschreckendem Maß verloren gegangen.«5

Schon in den 1960er-Jahren hatte Rudolf Bohren, Professor für Praktische Theologie, diese Krisenwirkung einer kritischen Theologie auf die Praxis der Predigt festgestellt. Er schrieb:

»Gegenüber dem Pathos, mit dem die historisch-kritische Methode geübt und die Theologie als Hermeneutik betrieben wird, erschüttert die Lahmheit angesichts der Predigt: war man kühn im Aufstellen exegetischer Hypothesen, so gibt man sich jetzt wohltemperiert kirchlich, bleibt merkwürdig fern aller Modernität, verharrt ängstlich in müder Richtigkeit und kultiviert einen säuerlichen Hang zur Gesetzlichkeit. Damit stellt sich die Frage, woher es komme, dass die junge Generation zwar eine Leidenschaft hat für exegetische Fragen, dass aber diese Leidenschaft nicht bis zur Predigt durchhält. Vielfach ist es gerade der intelligente Student, der im Seminar als Neurotiker ankommt.«6

Und dann stellt Bohren die Diagnose für jene von der Theologie Rudolf Bultmanns geprägte Zeit:

»Das Unglück sehe ich nun darin, dass die historisch-kritische Methode den Prediger mit dem Text ungut allein lässt und von ihm im Grunde ein Mirakel verlangt. Nachdem er den Text historisch-kritisch beerdigt hat, soll er ihn existential wieder auferwecken. Kein Wunder, wenn der Prediger hier verzweifelt und in vielen Fällen entweder das Predigen oder die Methode lässt.«7

Was Rudolf Bohren als Theologieprofessor für den Bereich der Universität bemerkt, wird von Pfarrer Parzany für die kirchliche Praxis bestätigt:

»Ich meine, die Predigtnot hat eine […] Wurzel in dem gebrochenen Verhältnis vieler Prediger zur Bibel. Die Bibelkritik, die jeder Theologe in seinem Studium gelernt hat, verunsichert. Da muss er nun mit Legenden und mit angeblichen Worten Jesu zurechtkommen, von denen er gehört hat, dass sie gar nicht historisch echt, sondern Bildungen der Gemeinde sind. Da liest er in den Kommentaren zur Bibel die gegensätzlichsten Theorien über Quellen, aus denen der Bibeltext entstanden ist. Wer will sich da noch hinstellen und sagen: ›So spricht der Herr‹?«8

»Am Anfang unserer Behandlung steht zunächst eine schonungslose Diagnose«

Zeichnung: Werner »Tiki« Küstenmacher

Nun wäre es allerdings falsch, in der modernen Theologie die alleinige Ursache für alle Predigtnöte zu suchen. Predigtkrisen gibt es auch in evangelikalen Kreisen. Es lässt sich beobachten, dass durchaus ›orthodoxe‹ Prediger in konservativen Gemeinden formvollendete Kanzelreden halten – die doch ohne Wirkung bleiben. Warum? Die Ursachen der Not sehe ich im Predigtansatz, in der Person des Predigers, in der geistlichen Situation der Gemeinde oder in einer Kombination dieser Faktoren.

Zum Predigtansatz: Man bekennt sich theoretisch zwar zur Bibel, tatsächlich aber benutzt man das Bibelwort nur als ›Aufhänger‹ für seine Ausführungen und bringt in der Predigt statt Auslegung des Wortes Gottes geistreiche und erbauliche eigene Gedanken. Andere bieten tief schürfende Texterklärungen, geben sich aber nicht die Liebesmühe, das biblische Wort anschaulich, dynamisch und lebensnah zu kommunizieren. Wir werden auf diese Problematiken weiter unten noch ausführlich eingehen (Abschnitte 1.3.1 bis 1.3.3).

Aber auch Probleme in der Person des Predigers wiegen schwer. So kann die Predigtkrise einer Gemeinde darin begründet liegen, dass der Prediger – weil nicht von Gott zu diesem Dienst berufen – schlichtweg die nötige Begabung zum Predigen vermissen lässt (vgl. Abschnitte 1.2.2 und 1.2.3). Ebenso könnte es sein, dass der Prediger sich zwar mit den Lippen zu biblischer Rechtgläubigkeit bekennt – und dies vielleicht sogar in sehr beredter Weise –, dass er aber mit dem Leben dem widerspricht, was er sagt. Vollmachtlose Predigt ist das Resultat. Denn das lebendige Reden Gottes zu den Hörern ist dem Prediger nicht verfügbar, auch wenn er das Wort Gottes formal richtig auslegt. Gott kann ihm sozusagen ›das Wort‹ entziehen. Wer das verkündigte Wort nicht zuerst für sich selbst gelten lässt, macht sich und seine Botschaft unglaubwürdig und riskiert als Gericht das Schweigen Gottes.

Die Forderung nach einem der biblischen Verkündigung entsprechenden Lebenswandel des Verkündigers hat nichts mit billiger Werkgerechtigkeit zu tun. Sie ergibt sich vielmehr aus dem biblisch-paulinischen Anliegen, »nicht anderen zu predigen und selbst verwerflich zu werden« (1Kor 9,27). Wenn heute gelegentlich im Namen ›reformatorischer Gesinnung‹ gefordert wird, dass Lebensführung und Predigtamt des Pfarrers getrennt zu betrachten seien, erhebt sich die Gefahr, dass aus dem teuren ein billiges Evangelium gemacht wird. Übersehen wird dann, dass schon Jesus nicht den Worten, sondern den ›Früchten‹ der Propheten entscheidende Bedeutung zugemessen hat (Mt 7,15–20), dass es für Paulus einen untrennbaren Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung gibt (Röm 3–8), und der Zusammenhang von Glauben und Werken (Jak 2,14ff) – auch für evangelische Christen! – nicht ohne Schaden aus dem Neuen Testament wegdiskutiert werden kann.

Der moderne Praktische Theologe Dietrich Stollberg sieht das allerdings anders. Er beschäftigt sich mit dem Fall eines evangelischen Pfarrers, der wegen wiederholten Ehebruchs mit verschiedenen Frauen seiner Gemeinde von der Disziplinarkammer seiner Kirchenleitung vom Dienst beurlaubt wurde, weil seine ehebrecherischen Verhältnisse im Widerspruch zu seinem Verkündigungsauftrag stünden. Dieses Urteil ist in den Augen Stollbergs »massive theologische Irrlehre«,9 und er stellt die Gegenthese auf:

»1. ist es der Normalfall, dass der Pfarrer predigt, was er selber durch seine Existenz nur bruchstückhaft abzudecken vermag, 2. kommt das daher, dass er nicht das Gesetz, sondern das Evangelium zu predigen hat, welches eben die Unfähigkeit aller Glieder der Gemeinde voraussetzt, dem Gesetz zu entsprechen, 3. predigt deshalb der Pfarrer stets auch sich selber. Eine Kirche, die meint, das Gesetz predigen zu müssen und dieser Predigt auch noch durch ein den Geboten entsprechendes Leben der Heiligung ihrer Glieder Glaubwürdigkeit verschaffen will, frönt der Grundsünde der Werkgerechtigkeit.«10

Hier ist das Evangelium zur billigen Gnade und zur Rechtfertigung der Sünde (statt des Sünders) verflacht. Unbußfertigkeit provoziert im Neuen Testament Gemeindezucht, nicht aber den zudeckenden Trost eines psychologisierten Evangeliumsverschnitts. Nicht die Unvollkommenheit, wohl aber die Unbußfertigkeit und ein vorsätzliches und fortgesetztes In-der-Sünde-Leben, das dokumentiert, dass der Prediger die Autorität des Wortes Gottes für sich selbst nicht ernst nimmt, raubt dem Verkündiger die Vollmacht. Sein Leben redet dann so laut, dass die Gemeinde nicht mehr hört, was er von der Bibel her sagt. So gilt immer noch das paulinische »achte auf dich selbst und auf die Lehre!« (1Tim 4,16).

Diese Wahrheit von der Notwendigkeit eines gehorsamen Lebens des Verkündigers gilt genauso wie die andere Wahrheit, dass das biblische Wort auch abgesehen vom Verkündiger Gottes Wort ist und bleibt, durch das Gott nach seinem Wohlgefallen wirkt. Insofern hat Luther Recht, wenn er schreibt:

»Wer dem Wort glaubt, der achtet nicht auf die Person, die das Wort sagt, und ehret auch nicht das Wort um der Person willen; sondern das Gegenteil, die Person ehret er um des Wortes willen, stellt die Person immer unter das Wort. Und ob die Person unterginge oder gleich vom Glauben abfiele und anders predigte, so lässt er eher die Person als das Wort fahren, bleibt bei dem, was er gehört hat. Es sei die Person, es komme die Person, es gehe die Person, wie und wann es mag und will.«11

Beide genannten Wahrheiten ergänzen sich dialektisch und keine darf um der anderen willen aufgegeben werden.

Predigtkrisen können aber nicht nur im Prediger und seinem Predigtansatz begründet liegen, sondern auch in der Hörerschaft. Es kann geschehen, dass der Prediger als treuer Bote Gottes die Schrift auslegt – und trotzdem Predigt um Predigt scheinbar wie eine Seifenblase zerplatzt. Die beste Predigt verpufft im Raum, wenn sie auf taube Ohren stößt. Wo der Verkündiger vor einer Gemeinde steht, deren Ohren und Gewissen gegen geistliche Wahrheiten bereits abgehärtet sind, die aus Gewohnheit zum Gottesdienst kommt und die Predigt mehr oder weniger teilnahmslos über sich ergehen lässt, kann schon der Eindruck entstehen, er predige gegen eine Wand. Wo unbereinigte Sünde – etwa Uneinigkeit in der Gemeinde – das Hören auf Gottes Wort verhindert, wo man gehetzt zum Gottesdienst kommt und in Gedanken bereits bei anderen Aktivitäten ist, wird die Predigt kaum fruchten. Auch in diesen Fällen haben wir es mit einer Predigtnot zu tun. Der Predigt fehlt die Resonanz im Hörer. Sie verhallt ungehört und wird in ihrem Ungehörtsein zum Gerichtswort.

1.1.1.2 Chancen der Predigt heute

Und doch liegen in schriftgemäßer Predigt so viele Chancen! Chancen, die es lohnend erscheinen lassen, an der Überwindung aller Predigthindernisse zu arbeiten.12 Gott will durch sein verkündigtes Wort Glauben wecken, Neugeburt schenken, zur Umkehr rufen, Maßstäbe setzen, Weisung geben für das Leben und die Fülle seiner geoffenbarten Gedanken entfalten. Kaum je entstand eine Erweckung ohne vollmächtige Predigt. Und dauerhaftes, gesundes Gemeindewachstum ist ohne schriftgemäße Verkündigung nicht denkbar.

Eine Gemeinde in New Jersey/USA, die innerhalb von zehn Jahren von 300 auf 1200 Gemeindeglieder gewachsen war, entwarf zur sorgfältigen Planung künftiger Gemeindeprioritäten einen Fragebogen. Dabei ging es um zwei Fragen.13

Erstens: »Was waren die beiden Hauptfaktoren, die Sie veranlassten, erstmals in diese Gemeinde zu kommen?« 900 Gemeindeglieder beantworteten diese Frage, und zwar mit folgendem Ergebnis (in der Reihenfolge der Häufigkeit der Antworten):

1.Die persönliche Einladung durch einen Freund oder Nachbarn.
2.Das Mitgenommenwerden durch Eltern oder Verwandte.
3.Ein mehr zufälliges Kennenlernen der Gemeinde.
4.Kontakt zur Gemeinde durch die eigenen Kinder.

Es zeigt sich, dass die persönliche Einladung noch immer die beste Werbung für eine Gemeinde ist – und nicht etwa die Anzeige in der Tageszeitung oder der Ruhm des Predigers.

Zweitens wurde gefragt: »Was hat Sie veranlasst, nach Ihrem ersten Besuch weiterhin regelmäßig in unsere Gemeinde zu kommen?« Auf dem Fragebogen wurden nun eine Reihe von Faktoren und Programmpunkten aufgezählt, die zum Gemeindeleben gehören; und die Gemeindeglieder hatten die Gelegenheit, diese auf einer Fünf-Punkte-Skala nach der jeweiligen persönlichen Bedeutung zu werten. Die Antworten, von denen wir im Folgenden die wichtigsten nennen, ergeben ein Bild, das die Chancen guter Predigt deutlich werden lässt. Denn zu dem Entschluss, regelmäßig die Gemeinde zu besuchen, trugen bei:

1.Die Predigten4,0 Punkte
2.Die freundliche Atmosphäre3,2 Punkte
3.Chorgesang und Gemeindemusik2,7 Punkte
4.Bekannte und Freunde dort2,6 Punkte
5.Die Gemeindebibelschulgruppe14 2,4 Punkte
6.Gemeinschaftsaktivitäten2,1 Punkte
7.Besuch durch Gemeindemitarbeiter1,5 Punkte

Eines wird hier ganz deutlich: Gute Predigt trägt wie kaum etwas anderes dazu bei, dass Menschen gern in eine Gemeinde kommen. Dass es sich in dem vorliegenden Fall um schriftgemäße Predigt handelt, geht im Übrigen aus dem Bericht über jene Gemeinde in New Jersey hervor. Der Prediger bekennt sich zur Autorität der Bibel und vertritt die Grundsätze gründlicher Auslegungspredigt (expository preaching). Persönlicher evangelistischer Einladedienst und eine lebendige biblische Verkündigung gehen Hand in Hand, wenn es um gesundes Gemeindewachstum geht.15

Für den Erfolg der Verkündigung hängt (menschlich gesehen) viel vom Prediger und vom rechten Predigtverständnis ab. Die Tendenz der neueren Predigtlehre führt aber eher vom biblischen Wort weg, als es zu betonen. Hier liegt eine Herausforderung für evangelikale Predigtlehre.

1.1.2 Tendenzen der neueren Predigtlehre

Dass Predigt etwas mit der Verkündigung des Wortes Gottes und folglich mit der Auslegung biblischer Texte zu tun hat, dürfte – so allgemein gesprochen – die Zustimmung der allermeisten finden. Und doch hat es der anthropozentrische (d.h. den Menschen ins Zentrum rückende) Megatrend der Moderne und Postmoderne mit sich gebracht, dass Gott und sein Wort nicht im Mittelpunkt des Predigtgeschehens blieben. Evangelischerseits hatte die Reformation Gott und sein Wort, seine Ehre sowie sein Heilshandeln durch das Evangelium ins Zentrum gestellt. Im neuzeitlichen aufgeklärten Denken rückte seit dem 18. Jahrhundert der Mensch in die Mitte. Der aufgeklärte Protestantismus blieb von diesem Trend nicht unbeeinflusst: der Mensch, seine Vernunft, seine Bedürfnisse und seine subjektive Meinung rückten zunehmend ins Rampenlicht und begannen einen zweiten Fokuspunkt neben dem eigentlich theologischen Fokus zu bilden.

Nun ist der Mensch in der Predigt bzw. Predigtlehre logischerweise immer im Blickfeld gewesen. Auch da, wo die Predigt als Verkündigung des göttlichen Wortes Gott im Mittelpunkt hatte, war sie doch zugleich Anrede an den Menschen. Dabei blieb aber der unendliche qualitative Unterschied zwischen dem autoritativ redenden Gott und dem hörenden, glaubenden und gehorchenden Menschen gewahrt. Die Haltung entsprach der weisen Mahnung des alttestamentlichen Predigerbuches: »Bewahre deinen Fuß, wenn du zum Haus Gottes gehst, und komm um zu hören! … Sei nicht vorschnell mit deinem Mund, und dein Herz eile nicht, ein Wort vor Gott hervorzubringen; denn Gott ist im Himmel – und du bist auf der Erde!« (Pred 4,17-5,1). Anders heute: Der moderne und postmoderne Mensch will nicht in erster Linie Adressat des Redens Gottes sein. Mit seinen Bedürfnissen gibt er die Themen vor, zu denen Gott reden kann. Mit seiner Vernunft setzt er den Maßstab für das, was in der Bibel als wahr oder unwahr, wirklich oder mythisch, akzeptabel oder veraltet gelten kann. Und gerade in der Postmoderne hört er – wenn er denn auf die Bibel hört! – prinzipiell subjektiv: Was sie ihm in einer gegebenen Situation und Zeit sagt, wird für ihn (und nur für ihn) so, wie es ihm zur Anrede wird, existentiell bedeutsam. Objektiven, allgemein gültigen Sinn gibt es nicht. Für den nächsten Hörer wird, wenn überhaupt, der Text wieder in anderer Weise bedeutsam. Die Bibel und ihre Bedeutung wird zur Variablen; der Mensch als Beurteiler und Bedeutungssetzer ist die Konstante. Die Bedeutung biblischer Aussagen gilt nicht mehr als durch den Text gesetzt, sondern wird in der Begegnung des Lesers oder Hörers mit dem Text immer neu produziert. Setzten die Reformatoren ihr Motto »Allein die Schrift!« der altkirchlichen Normenkombination von »Schrift und kirchliche Tradition« entgegen, gilt nun weithin die neuzeitlich-protestantische Doppelgröße »Schrift und subjektives Urteil«.

In dem Themenheft ›Homiletik auf neuen Wegen‹ der Zeitschrift Praktische Theologie fassen die Herausgeber David Plüss und Uta Pohl-Patalong den neuesten Trend so zusammen: »Eine wesentliche Diskussionslinie ist dabei eine zunehmende Relativierung des klassischen Schemas ›Vom Text zur Predigt‹, das auf der Grundlage von Exegese, theologischen Überlegungen und homiletischen Erwägungen einen über den Bibeltext reflektierenden Predigttext entwirft. Der Bibeltext und seine Aktualisierung für das Leben von Menschen heute bzw. besonders für die vielen unterschiedlichen Leben und Lebenserfahrungen tritt stärker ins Blickfeld.«16

Wie ist es dazu gekommen? Nach dem ersten Weltkrieg hatte die neo-orthodoxe ›Theologie des Wortes Gottes‹ von Karl Barth und seinen Weggenossen die Verkündigung des Wortes Gottes als Auslegung des biblischen Textes und der ihm eigenen Sache wieder betont in den Mittelpunkt gerückt und damit mehr als vier Jahrzehnte lang die Szene bestimmt. Barth ging davon aus, dass dem Prediger aufgetragenen ist, das Wort Gottes zu sagen. Weil er nur ein Mensch, und nicht Gott, ist, liegt es nicht in seiner Macht, diesen Auftrag zu erfüllen. Ihm bleibt nur die Möglichkeit, die Heilige Schrift getreu und in der Hoffnung auszulegen, dass Gott unter solcher Schriftauslegung selbst das Wort ergreift und das Bibelwort dem Einzelnen zur göttlichen Anrede werden lässt.17

In den 1960er-Jahren hielt Dietrich Rössler dem entgegen, dass in Wirklichkeit in den Predigten doch tatsächlich gar nicht nur oder in erster Linie der Predigttext ausgelegt werde, sondern im Gespräch mit dem Text von den Bedürfnissen der Zuhörer oder von Ereignissen her, die sie zu Besorgnis veranlassenden, jeweils eine Predigtidee entwickelt und entfaltet werde. Diese Realität solle eine Predigtlehre künftig doch bitte ehrlich zur Kenntnis nehmen und in ihrer Theorie berücksichtigen.18 Damit war die so genannte ›empirische Wende‹ in der Predigtlehre eingeläutet, die vor allem von Ernst Lange geprägt wurde. Lange vertrat, dass neben die ›Was-Frage‹ (d. h., was in der Predigt als Textauslegung zu sagen sei) nun betont die ›Wem-Frage‹ (wem zu predigen ist), die ›Wo- und Wann-Frage‹ (also die Berücksichtigung der Situation), die ›Wie-Frage‹ (das Beachten rhetorischer und kommunikativer Aspekte) sowie die ›Wozu-Frage‹ (das Herausarbeiten des jeweils aktuellen Zwecks der Predigt) zu treten habe.19 An sich sind dies durchaus wesentliche Fragen. Folge war aber, dass in der Predigtlehre die je aktuelle ›Situation‹ immer mehr Interesse auf sich zog – und die biblische ›Tradition‹ vergleichsweise ins Hintertreffen geriet. Predigt war nun nicht mehr in erster Linie Schriftauslegung, sondern – wie Ernst Lange das formuliert – »Rede mit dem Hörer über sein Leben im Licht der Verheißung.«20 Martin Nicol fasst das heute so: »Predigen bedeutet nicht, über einen Text zu reden, sondern Leben zu deuten.«21

Die neuere Predigtlehre entfernt sich aber nicht nur dadurch vom biblischen Wort, dass sie ihr Interesse stärker dem Hörer und seiner Situation zuwendet – was ja nicht schon an sich von der Schrift wegführen müsste! Nur wenn der Mensch zum eigenen maßgeblichen Thema neben der Schrift bzw. gar an Stelle des Wortes Gottes wird, beginnt die Bewegung weg vom Wort der Schrift. Hinzu kommt, dass die neuere Predigtlehre nicht mehr von einer Hermeneutik ausgeht, für die die ursprüngliche Bedeutung des Bibeltextes maßgebend ist. Vielmehr werden Tür und Tor geöffnet für eine doppelte Absetzbewegung vom Literalsinn des Textes, wie ihn der biblische Autor beabsichtigt hatte: 1. Dem emanzipierten Prediger wird die subjektive Deutungshoheit eingeräumt über das, was der Predigttext (ihm) bedeutet22. 2. Und zusätzlich wird dem emanzipierten Predigthörer die subjektive Deutungshoheit über das, wie er die Predigt verstehen will, gegeben. Letzteres bedarf einer kurzen Erläuterung: Früher hatte man es als Problem gesehen, dass die Hörer das, was der Prediger sagte, oft anders verstanden, als dieser es gemeint hatte. Aus dieser Not hat man heute eine Tugend gemacht. Moderne Predigttheoretiker verstehen die Predigt als ein ›offenes Kunstwerk‹23. Wie ein Kunstwerk – zum Beispiel ein Bild – jedem Betrachter etwas anderes sagt, so soll das nun auch für die Predigt gelten. Maßgeblich für ihr Verständnis ist nicht mehr, was der Prediger (gar in Treue zur Aussageabsicht des biblischen Autors) mit dem meint, was er in seiner Predigt sagt. Vielmehr gilt es als völlig akzeptabel, dass die Predigt jeden Hörer anders anspricht und jeder Hörer sie folglich anders hört. Und so ist es in den evangelischen Kirchen, die sich ursprünglich ja als ›Kirche des Wortes (Gottes)‹ verstanden haben, seit der empirischen Wende mancherorts zu einem Predigtverständnis und einer Predigtpraxis gekommen, bei der die Bibel und ihr eigentlicher Sinn hinter den Hörer, seine Situation, seine Bedürfnisse und subjektive Sinndeutung zurücktreten musste.

Gegen die Auswüchse dieses Trends hat es seit den 1980er-Jahren auch gewisse Gegenentwürfe gegeben. So veröffentlichte Horst Hirschler 1988 eine umfangreiche Predigtlehre mit dem bezeichnenden Titel »biblisch predigen«24. Prediger sollen lernen Bibeltexte so auszulegen, dass man etwas davon hat (S. 15). Der Normalfall ist für ihn Predigt als lebensnahe Auslegung eines Bibeltextes. Allerdings bindet sich der Existentialtheologe Hirschler auf Grund seiner historisch-kritischen Überzeugungen nur bedingt an das biblische Wort. Der vorliegende Bibeltext ist für ihn nicht Gottes Wort, sondern Umschlagplatz von Glaubenserlebnissen der Vergangenheit (S. 18); er kann dem Leser aber im Kontext gegenwärtiger Gotteserfahrung zum Gotteswort werden (S. 37). Keinesfalls solle sich der Prediger dem Bibeltext einfach ausliefern, sondern nur »mit Hilfe des Textes in eigener theologischer Verantwortung predigen« (S. 294) – was für Hirschler gelegentlich auch heißt, gegen den Text zu predigen (S. 41). Und doch, für den Normalfall empfiehlt er eine »möglichst eindrückliche Bibelauslegung« als Kernstück der Predigt (S. 381f). – Auch der gegenwärtig einflussreichste Predigttheoretiker, Wilfried Engemann, spricht sich nachdrücklich gegen den ›Texttod‹ in der Predigt aus.25 Das Problem bleibt Engemanns Hermeneutik, die auf dem Weg von der Bibel zum Hörer von beständigen kreativen Sinnveränderungsprozessen ausgeht: So habe der biblische Autor ein (Offenbarungs-)Ereignis interpretiert und daraus den Bibeltext produziert; der Prediger habe in der Vorbereitung den Bibeltext interpretiert und ein Predigtmanuskript produziert; dann habe er auf der Kanzel sein Predigtmanuskript interpretiert und den Predigtvortrag produziert; und schließlich habe der Hörer den Predigtvortrag interpretiert und sein Hörprodukt (das ›Auredit‹, wie Engemann das nennt) produziert.26 Die Gefahr ist dabei, dass letzteres mit ersterem nur noch entfernt zu tun hat.

Auf diesem Hintergrund wird es Aufgabe einer evangelikalen Predigtlehre sein, zweierlei zu leisten: Erstens ein Predigtverständnis zu entwickeln, das darauf zielt, dass wirklich der biblische Text als Wort Gottes gepredigt wird. Und zweitens das berechtigte Anliegen aufzugreifen, dass konkret, lebensnah, situations- und hörerbezogen in anschaulicher sowie nachvollziehbarer Weise gepredigt wird. Das Predigtmodell, das beides verbindet, ist die kommunikative Auslegungspredigt. Dieses Modell soll im Folgenden entfaltet werden.

1.2 Biblische Grundlagen für den Predigtdienst

Im Blick auf die biblischen Grundlagen für den Predigtdienst befassen wir uns mit folgenden drei Themen: 1) Dem biblischen Predigtauftrag; 2) Der Berufung des Verkündigers; und 3) Der Begabung des Verkündigers.

1.2.1 Der biblische Predigtauftrag

Seit der Reformation bildet die Predigt das Kernstück des Gottesdienstes. Für ein evangelisches Verständnis gemeindlichen Handelns ist die Predigt zentral.

Martin Luther vertrat in seiner Schrift Von der Ordnung des Gottesdienstes in der Gemeinde von 1523 vehement:

»Aber die Summa sey die / das es ia alles geschehe / das das wort ym schwang gehe / vnd nicht widderumb eyn loren und dohnen draus werde / wie bis her gewesen ist. Es ist alles besser nach gelassen / denn das wort. Vnd ist nichts besser getrieben denn das Wort / denn dz das selb sollt ym schwang vnter den Christen gehen / tzeygt die gantze schrifft an / vnd Christus auch selb sagt / Luce x. Eyns ist von notten. Nemlich das Maria tzu Christus fussen sitze vnd hore seyn wort teglich […]«27

Umso wichtiger ist es, dass wir uns als evangelische Christen Gedanken machen über ein biblisch verantwortetes Predigtverständnis.

1.2.1.1 Die Vielfalt der biblischen Predigtbegriffe

Unser Wort ›predigen‹ kommt von dem lateinischen Begriff praedicare, was »öffentlich bekanntmachen, laut ankündigen, preisen« heißt. Erst im Lauf der Zeit, vor allem durch Luthers Bibelübersetzung, wurde es zum Fachwort für die kirchliche Verkündigung. Dieses allgemeine Wort ›predigen‹ kann allein aber kaum einen Eindruck von der ganzen Fülle dessen vermitteln, was in den vielfältigen biblischen Begriffen für die Verkündigung der biblischen Botschaft mitschwingt. Heiko Krimmer stellt fest: »Im NT wird das öffentliche Zeugnis des Evangeliums mit mehr als 30 griechischen Begriffen ausgedrückt.«28

Wir können hier nur einige beispielhaft nennen. Ganz ähnliche Bedeutung wie das lateinische praedicare (s.o.) hat das griechische Wort kerysso. Es bedeutet »durch Herold bekanntmachen (›herolden‹), laut beziehungsweise öffentlich verkündigen«. So werden die großen Taten Gottes, aber auch sein offenbarter Wille im Namen und in der Autorität Gottes öffentlich bekannt gemacht.

Ein anderes Wort ist euangelizo, »die gute Nachricht (vom Sieg) ansagen, frohe Botschaft verkündigen, evangelisieren«. Die Nachricht von der Erlösung in Christus weiterzusagen, sein Heil, seinen Sieg – aber auch das Gericht – anzusagen, gehört zum neutestamentlichen Evangelisationsauftrag.

Wichtig ist auch das schlichte Wort martyreo, »bezeugen, Zeugnis ablegen«. Es macht einen unverzichtbaren Aspekt biblischer Verkündigung deutlich, nämlich, dass der Prediger für seine Botschaft auf Grund von deren Zuverlässigkeit als wahr und zugleich als persönlich erfahrbar und erprobt eintreten kann.

Fast einhundert Mal kommt das Wort didasko, »lehren«, vor. Es zeigt, dass neutestamentliche Predigt ganz wesentlich auch Vermittlung von Erkenntnis ist. Sie will Verständnis bewirken und dem Hörer Einblick in den geoffenbarten Ratschluss Gottes geben. Predigt zielt damit auf die Erkenntnis – und durch Änderung der Erkenntnis auf ein verändertes Leben.

Ein sehr wesentlicher Aspekt der apostolischen Predigt war das seelsorgliche »Ermahnen« und »Ermuntern«, griechisch parakaleo, das von seinem biblisch-hebräischen Hintergrund her die Aspekte des Erbarmens, der Zuwendung, des Aufatmen-Lassens enthält (hebr. nacham). Die neutestamentlichen Briefe, die im Grunde ein Extrakt der apostolischen Verkündigung darstellen, sind voll von ›Paraklese‹, das heißt dem seelsorglichen Mühen um den Einzelnen und um die Gemeinde angesichts von konkreten Problemen. Seelsorgerliche Verkündigung ist, neutestamentlich gesehen, nie nur Mahnwort oder nur Zuspruch. Sie ist beides. Und dieses seelsorgliche Element in der Predigt, das tröstet, aufrichtet, ausrichtet und den Einzelnen in seinen Problemen anspricht und abholt, ist unverzichtbar. Parakletische Predigt, die nicht moralischer Appell bleibt, hilft und baut auf. Lloyd-Jones war sogar der Überzeugung, dass Gemeindeseelsorge weithin durch die Predigt geschehen kann.29

Es ließen sich noch manch andere Begriffe anführen. Doch wird eines bereits deutlich: Schriftgemäße Predigt hat vielfältige Akzente, auch wenn ihr das eine Wesensmerkmal immer zu Eigen ist, dass sie Gottes Wort auslegt und allein in diesem Wort gründet. Schriftgemäße Predigt kann Lehrpredigt oder Evangelisation sein, sie kann Freuden- und Gerichtsbotschaft vermitteln, sie bezeugt, kündigt an, spricht autoritativ im Namen Gottes, belehrt, tröstet und weist zurecht. Der Fülle des Inhalts der Bibel muss die Predigt in ihren Ausdrucksformen entsprechen.

1.2.1.2 Der Ausgangspunkt der Predigt heute

Die Ausgangssituation all unseres Predigens, hinter die wir nicht zurückkönnen und die wir nicht verleugnen dürfen, ist diese: »Gott hat vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise durch die Propheten zu den Vätern geredet, zuletzt aber hat er zu uns geredet durch seinen Sohn.« (Hebr 1,1) Gott hat geredet – und zwar vielfältig und endgültig! An diesem ein für alle Mal ergangenen Reden Gottes muss unser Predigt-verständnis ansetzen – und nirgends sonst. Nicht an dem, was der Prediger persönlich gerne sagen möchte; auch nicht an dem, was der Hörer gerne hört und scheinbar braucht. Diese Dinge werden in der Predigtvorbereitung an ihrem Ort zwar eingehend mit bedacht werden müssen, aber sie sind nicht die Basis.

Unsere Verkündigung setzt immer das geschehene Wort Gottes voraus und setzt bei diesem Wort ein. Sie hat nichts anderes und nichts Neues zu sagen. Sie kennt keine andere Autorität und keine andere Offenbarung als die, die ein für alle Mal geschehen ist und uns im Wort der Bibel vorliegt.

Schon die Propheten des Alten Bundes waren Prediger. Und ihre Bücher, die wir im Alten Testament finden, sind zum Teil niedergeschriebene ›Predigten‹. Aber ihre Predigt unterscheidet sich wesenhaft von der unseren. Unmittelbar von Gott angesprochen, verkündigten sie Offenbarung direkt von Gott her.30 Ähnlich verkündigten Jesus und – in geistgewirkter Deutung seiner Sendung – die Apostel Gottes Wort als unmittelbare Offenbarung (vgl. 1Thess 2,13; 1Kor 2,6-13).31 Dieses Offenbarungsreden geschah ein für alle Mal und ist grundlegend für alle künftige Predigt. In Christus ist uns die unüberbietbare, nicht mehr ergänzungsbedürftige und damit letztgültige Offenbarung Gottes gegeben, die uns durch die erwählten Boten der apostolischen Generation übermittelt und erschlossen wurde (Hebr 1,1ff; 2,2-4; vgl. Joh 15,26f; 16,13). Seit der apostolischen Generation kann kein weiteres authentisches Christuszeugnis beigebracht werden. Im Neuen Testament ist uns die neue, für die gesamte Gemeindezeit gültige Offenbarung abschließend gegeben. Alle künftigen Generationen in der Kirchengeschichte bauen auf diesem Fundament, das durch die neutestamentlichen Apostel und Propheten ein für alle Mal gelegt ist und wo Christus der die Richtung bestimmende ›Eckstein‹ ist (Eph 2,20; vgl. Röm 16,25f).

Unsere Verkündigung heute ist also nicht mehr unmittelbares Offenbarungsgeschehen. Sie setzt vielmehr das geschehene Offenbarungswort voraus und setzt dieses in unsere Zeit hinein. Vom alttestamentlichen Vergleich her gesprochen entspricht unsere Predigt weniger der Tätigkeit der inspirierten Propheten – wobei wir allerdings noch auf einen gewissen ›prophetischen‹ Aspekt in unserem Predigen zu sprechen kommen werden –, als vielmehr dem Lehr- und Verkündigungsauftrag der Priester und priesterlichen Schriftgelehrten32, die die Schrift auszulegen hatten (5Mo 33,9b-10; Mal 2,7; 2Chr 17,7-9; Neh 8,1ff). Und vom Neuen Testament her gilt: Während die Apostel inspirierte Zeugen des fleischgewordenen Wortes waren, sind die Lehrer und Prediger der Gemeinde Jesu seither Ausleger und bevollmächtigte Verkündiger des geschriebenen Wortes.

Wer daher heute in seiner Predigt, ohne von der Bibel her zu sprechen, unter Berufung auf den Heiligen Geist direkte Offenbarungsrede für sich beansprucht oder unter dem Vorwand geistgeleiteter Einsicht Dinge aus der Schrift herausliest, die dem klaren Wortsinn nicht entsprechen, setzt sich dem Vorwurf der Schwärmerei aus. Der Geist bindet sich an das Wort, das er selbst eingegeben hat. In diesem Zusammenhang hat Luther schon zu Recht darauf bestanden,

»dass Gott niemand seinen Geist oder Gnade gibt, ohne durch oder mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort. Damit wir uns bewahren vor den Enthusiasten, das ist, Geistern, so sich rühmen ohne und vor dem Wort den Geist zu haben, und dadurch die Schrift […] richten, deuten und dehnen nach ihrem Gefallen; […] die zwischen dem Geist und Buchstaben scharfe Richter sein wollen, und wissen nicht, was sie sagen oder setzen.«33

Die Basis und der Ausgangspunkt schriftgemäßer Predigt ist das biblische Wort – und sonst nichts. In diesem Sinne müssen wir jeder schwärmerischen Unabhängigkeit von der Schrift im Predigtverständnis wehren.

Zugleich muss aber auch jeder säkular bestimmten Unabhängigkeit von der Schrift gewehrt werden. Gemeint ist damit ein Verständnis von Predigt, das nicht mehr fest im Wort der Bibel wurzelt.

Ein Beispiel für solch eine säkular bestimmte Unabhängigkeit von der Schrift ist die rhetorische Homiletik von Gert Otto. Sein Predigtverständnis geht von der Problematik aus, dass zwar noch erstaunlich viele Menschen Sonntag für Sonntag zur Predigt gehen, die Predigt aber in Verruf gekommen ist, weil sie teils nicht begriffen wird, teils zu wenig überzeugend wirkt und als blutarmes Geschwätz empfunden wird. Diese Beobachtungen sind für G. Otto grundlegend: »Ihr Gewicht liegt allen steilen theologischen, dogmatischen Aussagen, was eine Predigt sei und was sie nicht sein dürfe, weit voraus. Diese anspruchsvolle wie verpflichtende Ausgangssituation ist so ernst zu nehmen, dass sie die beliebte Frage, wodurch sich eine Predigt von einer weltlichen Rede unterscheide, eindeutig an die zweite Stelle verweisen muss.«34 Otto zieht daraus die Konsequenz, dass man die Predigt – im Interesse der Predigt! – von der Rhetorik her verstehen und entwickeln müsse. ›Rhetorik‹ ist für ihn dabei nicht nur Redetechnik, sondern der Versuch, in einer gegebenen Situation zu erkennen, was Wahrheit ist, sowie die Mitteilung dieser Wahrheit an die Zeitgenossen in geeigneter Weise. Für die Homiletik bedeutet das, dass der Predigt die Wahrheit nicht schon vorgegeben ist im Wort der Heiligen Schrift, sondern dass die zu verkündigende ›Wahrheit‹ erst im Dialog mit der konkreten Situation gefunden werden muss beziehungsweise in diesem Dialog entsteht.35 Und gerade das wird als Teil des neuen rhetorischen Bemühens um die Predigt verstanden. Es ist klar, dass von daher auch die Bedeutung der biblischen Basis und der theologisch-exegetischen Vorarbeit für die Predigt relativiert werden muss.36 Sie tritt in der Predigtvorbereitung nur noch als ein Gesprächspartner neben anderen bei der Wahrheitsfindung und -verteidigung auf: neben den gleichgewichtigen Fragen nach der angemessenen Form des Weitersagens heute, nach den sozialen Umständen, die zeigen, wie das damals Gesagte in konkreten Situationen jetzt zu sehen und zu sagen ist, sowie neben weiteren psychologischen und profanhistorisch-politischen Erwägungen. Fazit:

»Was Theologie jeweils zu bedenken hat, was der Glaube jeweils sagen kann, als sein Wort in der Zeit, das ergibt sich nicht allein aus der Konzentration auf innertheologische Überlieferung und ihre möglichst wortgetreue Wiederholung, sondern genau umgekehrt ist es: Was heute notwendige Theologie oder die notwendige Aussage des Glaubens ist, das ergibt sich immer erst, wenn ich mich mit der Überlieferung auf die Situation der Zeit einlasse. Oder noch konkreter, und darin streng rhetorisch gedacht: Was ich zu sagen habe, etwa als Prediger, wird allererst vernehmbar in der Hinwendung zum redenden und hörenden Menschen in seiner, meiner jeweiligen konkreten Situation. Theologie, die sich auf Rhetorik einlässt, kennt also den Glauben nicht als fertige, situationslose Substanz, sondern erfährt ihn in vielfältigen Dialogen, die über die Mauern der Theologie hinausführen.«37

Der konkrete Umgang mit dem Bibeltext im Blick auf die Predigt sieht dann so aus:

»– Ich entnehme dem Text einen (komplexen) Begriff, der mir geeignet erscheint, außerhalb des Textes, in der Situation meiner Hörer weiterverfolgt zu werden.

– Oder: Der Text bietet mir […] ein Bild, das mich inspiriert.

– Oder: Ein Wort, vielleicht ein nebensächliches, oder ein Gedanke, vielleicht ein am Rande liegender, weckt Assoziationen, denen ich folge.

– Oder: Zu einer aus der Situation vorgegebenen Thematik fällt mir ein Gedanke, ein Bild, eine sprachliche Wendung aus einem biblischen Text ein, die ich aufnehme und weiterverwende.

– Oder auch: Ich exegesiere einen Text und entwerfe vom Skopus, vom Textwillen her unter notwendiger Verwendung weiterer Materialien eine Predigt.«38

Was Gert Otto hier schreibt, ist in der Tat das Gegenteil von dem, was in diesem gesamten Buch vertreten wird. Es ist im Grunde die Absage an eine evangelische Theologie, die in der Reformation einmal angetreten war, um gegründet auf das Wort allein (sola scriptura) den Traditionen der Menschen und den Phantasien der Schwärmer den Abschied zu geben und vollmächtig zu sagen, was Gott selbst geoffenbart hat. Vermutlich wären Thomas Müntzer und seine Mitstreiter in der Reformationszeit mit einem Ansatz dieser Art besser klargekommen als mit dem Wittenberger Reformator. Hinter Gert Ottos moderner Predigtkonzeption steht eine historisch-kritische Hermeneutik, die das Vertrauen in die Bibel als Gottes Wort längst verloren hat (siehe dazu die Ausführungen unten, Abschnitt 2.1). Man möchte sich angesichts dessen an die Klage Gottes durch den Mund des Propheten Jeremia erinnern: »Mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben« (Jer 2,13).

»Ich bitte Sie, erschrecken Sie nicht über das Wort, das ich Ihnen zum Schluss unserer Feier einige Sekunden lang zeigen werde.«

Zeichnung: Werner »Tiki« Küstenmacher

1.2.1.3 Der Auftrag zu biblischer Predigt

In 2Tim 3,16-4,3 findet sich eine geradezu klassische Stelle für den biblischen Predigtauftrag. Angesichts drohender Irrlehren in der Gemeinde sowie gesellschaftlicher Auflösungserscheinungen erhält Timotheus folgende apostolische Weisung:

»Die ganze (Heilige) Schrift ist von Gott gehaucht und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Neuausrichtung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit ein Gottesmensch zubereitet werde, zu jedem guten Werk voll ausgerüstet. Ich beschwöre dich vor Gott […]: Predige das Wort! Stehe dazu zur Zeit und zur Unzeit. Überführe, tadele, gib Zuspruch – mit aller Ausdauer und Lehre!«

In brenzliger Situation wird Timotheus hier an die Heilige Schrift (Alten Testaments) als seinen Verkündigungstext gewiesen. Diese Schrift stammt in ihrer Ganzheit von Gott (ist also ›inspiriert‹, griech. theópneustos) und vermag daher allein die notwendige Belehrung, Veränderung und geistliche Zurüstung zu geben.39 Dieses biblische Wort erschließt die Gedanken Gottes, indem es lehrt (griech. didaskalía). Es deckt die Situation des Menschen vor Gott auf, indem es überführt (griech. elegmós). Es ›renkt‹ den Schaden des Menschen wieder ›ein‹ (griech. epanórthosispaideía