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Renate Brandscheidt, Christine Görgen,
Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob

Gott – Mensch – Leid

Renate Brandscheidt, Christine Görgen,
Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob

Gott – Mensch – Leid

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Inhalt

Vorwort

RENATE BRANDSCHEIDT

Trost finden. Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob

WERNER SCHÜSSLER

Hiob – philosophisch gespiegelt

CHRISTINE GÖRGEN

Sinn des Leidens – Sinn im Leiden. Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob

MIRIJAM SCHAEIDT

„Ich weiß: Mein Erlöser lebt!“ Hiob nach Ostern gelesen

Vorwort

Thema des Hiobbuches, das im Verlauf des 6.-2. Jahrhunderts v.Chr. zu seiner Jetztgestalt gewachsen ist und dessen Hauptgestalt als Symbolfigur das alttestamentliche Gottesvolk in seinem Ringen und Hadern mit der Verborgenheit Gottes verkörpert, ist nicht das Leid aller Unglücklichen dieser Welt, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Weltführung, die durch das Leiden des Gerechten erschüttert zu werden droht.

Darauf bezogen behandelt Renate Brandscheidt in ihrem Beitrag „Trost finden. Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob“ die im Hiobbuch dargebotenen vielfältigen Formen der Auseinandersetzung mit dem unschuldigen Leiden sowie der Suche nach Trost. Sie reichen von der gottergebenen Annahme des Leides über die Anklage Gottes als Feind des unschuldig Leidenden in einer chaotischen Welt bis hin zur Rechtfertigung Gottes in einer problematischen Vergeltungstheorie sowie der Auffassung von einer den Frommen auf sein Endheil hin läuternden Leidenspädagogik und enden mit dem Aufweis der universalen Gerechtigkeit Gottes, die den Einzelmenschen und seine persönliche Geschichte als Glied der Schöpfung in eine universale Heilsgeschichte stellt.

Auch die Philosophie hat sich seit Anbeginn an mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Unheil und das Böse in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes zu vereinbaren ist, ist doch bekanntlich dieses Grundproblem menschlicher Existenz, wie Georg Büchner in seinem Drama „Dantons Tod“ zu Recht sagt, der „Fels des Atheismus“. Werner Schüßler geht in seinem Beitrag „Hiob – philosophisch gespiegelt“ zuerst dem philosophischen Ringen um diese Frage durch die Jahrhunderte hindurch nach, um sodann vier Denker vorzustellen, die ihre eigene philosophische Position im Hiobbuch allegorisch ausgedrückt sehen: Immanuel Kant, Karl Jaspers, Viktor E. Frankl und Paul Ricœur. Gegenüber den Theodizeeversuchen der klassischen Metaphysik von Augustinus bis Leibniz geht es diesen Denkern darum, auf die Geheimnishaftigkeit Gottes aufmerksam zu machen und mit Hiob zu betonen, dass der Glaube „bedingungslos“ ist.

Christine Görgen sucht in ihrem Beitrag „Sinn des Leidens – Sinn im Leiden. Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob“ aufzuzeigen, dass es dem Menschen trotz Leids immer noch möglich ist, Sinn zu finden und auch zu verwirklichen. Frankls These, dass im Leiden Sinn entdeckt werden kann, ist als ein Appell zu verstehen, das Leiden nicht nur hinzunehmen, sondern es anzunehmen. Damit wird kranken und leidenden Menschen eine Dimension der Hoffnung eröffnet, die darin besteht, dass der Mensch zwar vielleicht das Leid nicht ändern kann, aber immer noch seine eigene Einstellung dazu – und das aufgrund seiner geistigen Freiheit.

In ihrem Beitrag „‚Ich weiß: Mein Erlöser lebt!‘ Hiob nach Ostern gelesen“ sucht die Benediktinerin Mirijam Schaeidt, dem Hiobbuch vom Osterereignis her näher zu kommen, geht es ihr zufolge doch in diesem alttestamentlichen Buch wesentlich um die Geschichte einer Befreiung, einer Erlösung. Und Erlösung geschieht nie durch Verdrängung, sondern immer nur durch die Annahme der Realitäten, die uns bedrängen. Unfreiwilliges Leiden wird so zu freiwilligem Lieben, zur wiedergewonnenen ungetrübten Vertrautheit des Menschen mit Gott, wie dies im Hiobbuch eindringlich deutlich wird.

Die vorliegenden Beiträge werfen so von verschiedenen Seiten her spannende Schlaglichter auf das im alttestamentlichen Hiobbuch aufgeworfene Problem. Neben der exegetisch-alttestamentlichen Perspektive wird diejenige der Philosophie beleuchtet, und neben der Frage nach dem therapeutischen Umgang mit Leidenden wird diejenige nach der spirituellen Dimension des Hiobbuches aufgeworfen.

Trier, im Januar 2015

Renate Brandscheidt, Christine Görgen,
Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

RENATE BRANDSCHEIDT

Trost finden

Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob

Schlage mich! Peinige mich!

Aber ich komme! Ich komme

hinauf zu dir langsam, stetig.

Jede Stunde meiner Qual sende ich dir empor,

jede Stunde der Verzweiflung.

So komm ich:

Stück für Stück, nach und nach.

Aber wenn mein letzter Schrei zu dir gestiegen ist,

dann bin ich ganz bei dir, ganz, ganz!

Dann werde ich ganz versammelt sein, ganz, ganz.

Und dann trete ich vor dich hin

und fordere mich von dir,

mich, mein Leben, meinen Glauben, mein Glück,

alles, alles, was du mir gibst,

um es mir wieder zu nehmen.

Dein Geben war Schein, nur Trug und List,

dein Nehmen aber war Wirklichkeit.

Dann ringe ich mit dir, ich, ich!

Mit dir!1

Zu allen Zeiten haben Menschen mit der Frage gerungen, wie das Elend dieser Welt vereinbar ist mit der Gerechtigkeit Gottes und warum selbst Unschuldige abgrundtief leiden müssen. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik findet innerhalb der Heiligen Schrift ihren klassischen Ausdruck im alttestamentlichen Buch Ijob,2 das zwischen dem 6. und 2. Jahrhundert v.Chr. entstanden und eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur ist, geradezu ein „Meisterwerk an Sprache und Inhalt“3. Weithin bekannt ist die Erzählung vom frommen Dulder Ijob (1-2,10; 42,10-17), die den Anstoß für die poetisch gestalteten Reden im Buch Ijob (3-41) bildet. Sie berichtet, wie den gottesfürchtigen und mit Reichtum gesegneten Ijob unverhofftes und unverschuldetes Leid trifft, das all sein Lebensglück zerstört. Mit einem Schlag verliert er seine ganze Habe, danach all seine Kinder, dazu wird er mit einer bösen Krankheit geschlagen. Und als wäre das nicht genug, fordert seine Frau ihn auf, sich als ein vor Gott schuldig Gewordener zu verstehen und seine Leiden als ein todbringendes Strafgericht anzuerkennen. Ijob nimmt zwar das ihm Widerfahrene gottergeben und klaglos hin, gesteht aber weder seine angebliche Sündigkeit ein, noch legt er den Ärgernis erregenden Charakter seines unschuldigen Leidens Gott zur Last. „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gesegnet sei der Name des Herrn!“ (1,21) und: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (2,10) lautet das Fazit Ijobs, vorbildlich, ein Ausdruck demütiger Ergebung unter den Willen Gottes, der am Ende mit der Wiederherstellung Ijobs entlohnt wird. Und dennoch möchte man an Ijob mit dem Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard (1813-1855) die Frage richten: „Hast du wirklich nichts anderes gesagt als jene schönen Worte: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet, nicht mehr und nicht weniger, ebenso wie man Prosit sagt zu dem Niesenden!“4

Ijob hat. Denn die Erzählung vom getreuen Ijob ist wie ein Rahmen um die literarisch jüngeren Kap. 3-41 der Ijobdichtung gelegt, in denen Ijob Streitgespräche mit Gott und mit seinen Freunden führt. In diesen Streitgesprächen tritt an die Stelle der Gottergebenheit und Geduld Ijobs ein maßloses, Gott und seine Geschichtslenkung anklagendes Aufbegehren. Mit seinen Freunden, die gekommen sind, um ihn zu trösten, streitet Ijob über die Rechtfertigung Gottes in seinem Welthandeln. Vehement weist er ihre Lehre über eine mit Leiden verknüpfte Vergeltung Gottes zurück und belehrt sie über das staunenswerte Walten Gottes in der Schöpfung und über seine verborgene Weisheit (26,5-14; 28,1-18), aber auch über Gottes rätselhafte Weltlenkung und die Illusion menschlicher Gerechtigkeit (12,7-25; 21,22-34). Selbst hofft er trotz einer massiven Anklage Gottes, der sein Recht gebeugt habe, auf dessen Offenbarung als Erlöser am Ende der Zeit: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Als Letzter erhebt er sich über dem Staub.“ (19,25) Diese Spannungen im Ijobbild haben u.a. in der Forschung zu der Erkenntnis geführt, dass es sich bei Ijob nicht um eine biografische Einzelgestalt handelt, sondern um eine Symbolgestalt,5 an der das alttestamentliche Gottesvolk seine Leiderfahrungen und sein Hadern mit Gott im Lauf der Geschichte festgemacht und mit ihr nicht nur nach Hilfe, sondern auch und vor allem nach Trost gesucht hat. Insofern nämlich der Vorgang des Tröstens biblisch nicht einfach ein Bemitleiden durch Worte, sondern das Verändern einer Notlage zum Guten meint, führt er in der Tat zu einer Gewissheit, die dem Angefochtenen und Ängstlichen, der sich seines Lebens nicht mehr sicher und der von Leid umklammert ist, Halt und Orientierung verleiht.6 Unter dem Gesichtspunkt des Trostes soll daher die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Bedrängnis des Frommen im Buch Ijob angegangen werden. Ausgangspunkt der Darlegung ist das in den Augen Ijobs ausweglose Leid, das ihn schuldlos getroffen hat.

Ijob: trostlos und angefochten im Leid

Bereits die erste Klage Ijobs in Kap. 3,1-26 führt uns nicht nur die Nöte eines im Übermaß leidenden Menschen vor Augen, sondern zeigt auf, welche Belastung das unverstandene Leid für den Glaubensvollzug bedeutet. Zugleich macht sie deutlich, dass das Thema des Buches Ijob nicht das Leid Ijobs und mit ihm das Leid aller Unglücklichen dieser Welt ist, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Weltführung, die durch das Leiden des Gerechten erschüttert zu werden droht. Dem entspricht, dass Ijobs Klage mit einem Fluchwunsch beginnt, der nach den Anfängen seines Lebens greift: Der Tag seiner Geburt und die Nacht seiner Empfängnis sollen rückgängig gemacht und Ijobs Existenz somit ausgelöscht werden (V.3). Nicht ohne Grund klingt sein Wunsch: „Dieser Tag, er sei Finsternis“ (V.4) wie eine Umkehrung der Worte, mit denen das erste Schöpfungswerk von Gott ins Dasein gerufen wurde (Gen 1,3: „Es werde Licht“) und mit dem das nachfolgend Geschaffene ganz und ausschließlich der heilvollen Absicht im Wirken des Schöpfergottes zugeordnet wird. Damit verglichen lehnt sich Ijob, der auf den Tag seiner Geburt und auf die Nacht seiner Empfängnis Finsternis herabruft (V.4.9), nicht einfach nur vehement gegen sein Schicksal auf, sondern fordert als eine Art „Antischöpfer“ das Chaosdunkel zum Sieg über die Schöpfung heraus, weil er weder eine gedeihliche Schöpfungsordnung noch eine heilvolle Geschichtsplanung Gottes erkennen kann. Intensiviert wird diese, sein Leben bis auf den Grund negierende Sicht durch Ijobs Verlangen, dass Finsternis und Dunkel sein Leben als Eigentum beanspruchen (genauer: „auslösen“) sollen (V.5), womit Ijob wie schon zuvor einen bedeutsamen Sachverhalt des Glaubens Israels in sein Gegenteil verkehrt. Denn nach grundlegender Überzeugung Israels ist Jahwe der Löser bzw. Erlöser seines Volkes,7 das er aus den Banden von Gericht und Schuld freikauft und dem er neu die Lebensgemeinschaft mit sich schenkt (Jes 43,18). Spätestens an der das Erlösertum Gottes nivellierenden Aussage Ijobs wird deutlich, dass hier nicht nur ein Gepeinigter und Verzweifelter klagt, dem alles zum Feind geworden ist, sondern ein Mensch, dem die Fundamente seines Glaubens weggebrochen sind. Der Anlass für Ijobs massive Selbstverfluchung: ein Leben, niedergehalten von Mühsal und Schmach, die er so nie zu erleben dachte.

Aus diesem Grund verbindet Ijob seinen Todeswunsch mit der Frage nach dem Sinn seines leidvollen Daseins vor Gott, wodurch seine Klage viel grundsätzlicher ist als die Äußerungen notleidender Menschen, denen das Leiden jeden Lebenswillen raubt. Wozu hat Gott ihn am Leben gelassen? Warum haben sich Menschen um ihn gekümmert und ihn großgezogen? (V.11-12) Denn Ruhe, gemeint ist der Friede eines zur Erfüllung gelangten Daseins, blieb ihm versagt. Also ersehnt Ijob jetzt die Ruhe im Tod, wo seine Leiden aufhören. Sogar das Los einer verscharrten Fehlgeburt (V.16), der ein Lebensvollzug versagt blieb, wäre ihm lieber als sein jetziges Leben. Eine Antwort auf seine Fragen kann ihm der Tod zwar nicht geben, wohl aber seinen körperlichen Leiden und seiner Glaubensanfechtung ein Ende bereiten. Denn der Tod als der große Gleichmacher zwingt alle, von ihrem Treiben abzulassen und hebt die im Leben quälenden Gegensätze auf. Dahin sind die Privilegien des Reichtums (V.14-15), die Gegensätze zwischen Arm und Reich, sogar die zwischen Übeltätern und ihren Opfern (V.17-19). In geradezu paradiesischen Bildern malt Ijob die ersehnte Todesruhe aus, bevor die Sinnfrage (V.20.23) erneut aufbricht, jetzt aber verschärft in der Frage nach dem Sinn des Menschenlebens überhaupt. Wozu schenkt Gott Leben, wenn Menschen elend und verbittert in ihrem Herzen dahinvegetieren, sich nach dem Tod sehnen, aber nicht sterben können, sterben dürfen (V.21-22)? Ist das eine Gerechtigkeit Gottes, die dem Menschen zugute kommt? Ist das ein Schöpfungsverlauf, der Gottes Mitsein, so wie es der Gottesname Jahwe als Wesenseigentümlichkeit Gottes in seiner Offenbarung beinhaltet (Ex 3,14: „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘“), zum Ausdruck bringt? Ijobs Klage endet mit einer Bekundung dumpfer Hoffnungslosigkeit, hat doch die Realität all seine Befürchtungen hinsichtlich dessen, was einen Menschen an Leid treffen kann, überholt (V.25-26).

Die Freunde Ijobs: Tröster ohne Trost

„Die drei Freunde Ijobs hörten von all dem Bösen, das über ihn gekommen war, und sie kamen, ein jeder von seiner Heimat: Eliphas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zophar aus Naama. Sie vereinbarten hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten. Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Obergewand; sie streuten Staub auf ihr Haupt gegen Himmel hin. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte; keiner sprach ein Wort zu ihm; denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.“ (2,11-13)

Ausgangspunkt für das Handeln der Freunde Ijobs ist das Hören von seinem Unglück, das sie in Bewegung setzt, wohl wissend, dass ein von solchem Geschick Betroffener der Solidarität bedarf. Die Freunde gehen jedoch nicht jeder für sich, sondern verabreden sich zu einem gemeinsamen Tun, denn sie halten es für ihre Pflicht, den Freund in der Not nicht sich selbst zu überlassen, sondern ihm Teilnahme und Trost zu bezeugen. Als sie ihn sehen, vollziehen sie Trauerriten, machen also die fremde Not zu der eigenen und teilen sein Leid mit ihm. Den Trost durch Worte bezeugen, können sie zunächst nicht, denn sie sehen, dass Ijobs Schmerz sehr groß ist. Ihre Anteilnahme besteht vielmehr darin, dass sie bei Ijob sitzen und schweigen – sieben Tage und sieben Nächte. Eine Solidarität ohne Worte, ohne Geschwätzigkeit. Denn wenn der Schmerz so groß ist, kann oft nur noch das Schweigen bestehen und das schlichte Mitaushalten des Leids. Doch was kommt nach den Tagen und Nächten des Schweigens, wenn der Klagende selbst die Phase des Schweigens aufbricht, wenn aus dem frommen Dulder Ijob der Rebell Ijob wird, der sein Leben verflucht und den Schöpfergott zurückweist, so geschehen in der Eingangsklage Ijobs in Kap. 3? Diese Klage kann von den Freunden nicht stehen gelassen werden. Wie aber sieht jetzt der Trost aus?

Als Erster ergreift Elifas von Teman das Wort und entfaltet in seiner Rede die entscheidenden Aspekte der Theologie, die er und die beiden anderen Freunde Ijobs vertreten.9 Vorsichtig und einfühlsam tastet er sich nach Kap. 4-5 an Ijob heran und erinnert ihn an sein früheres Verhalten. Hat er selbst nicht Menschen mit „schlaffen Händen“ und „wankenden Knien“ durch Wort und Tat aufgeholfen?10 Warum also verliert er jetzt den Mut (V.2-5)? Danach kommt Elifas zur Sache und gibt Ijob in Frageform zwar, aber dennoch deutlich zu verstehen, dass Leid mit Schuld zusammenhängt und Ijob somit als ein schuldig Gewordener leidet: „Bedenk doch! Wer geht ohne Schuld zugrunde. Wo werden Redliche im Stich gelassen“ (4,7)? Denn, so Elifas, einen vor Gott Gerechten gibt es nicht, ja selbst die Engel sind vor Gott unrein, umso mehr der vergängliche Mensch, dessen Fundament auf Staub gegründet ist (4,19). Wie also kann ein derart flüchtiges Geschöpf Gott herausfordern und sich vor ihm als schuldlos behaupten (4,17-19; vgl. 15,14ff.; 25,4ff.)?

Nach diesen klärenden Worten kehrt Elifas zu seiner eigentlichen Absicht zurück, nämlich Trost zu spenden und einen Weg rechten Verhaltens im Leid aufzuweisen. Der Grundgedanke seiner Unterweisung ist folgender: Wenn sich Ijob vor Gott demütigt und seine Schuld bekennt, dann darf er hoffen, dass der gerechte Gott sein Schicksal wendet: „Ich aber, ich würde Gott befragen und Gott meine Sache vorlegen.“ (5,8) Als Motivation für Ijob, sich Gott anzuvertrauen, weist Elifas auf dessen Allmacht hin, denn Gott kann stürzen, aber auch erhöhen (V.9-15). Am Schluss formuliert Elifas sogar eine Seligpreisung, die das Leiden als einen Ausdruck göttlicher Erziehung zum Heil wertet, also nicht einfach nur als einen Ausdruck von Strafe ansieht, sondern auch als eine erzieherische Maßnahme Gottes (5,17: „Ja, wohl dem Mann, den Gott zurechtweist. Die Zucht des Allmächtigen verschmähe nicht!“). Danach zieht Elifas die Schlussfolgerungen für Ijob, der, wenn er umkehrt, die Gültigkeit dieser Seligpreisung erfahren wird (5,24-26). Mit dem Hinweis auf die göttliche Leidenspädagogik wird die starre Vergeltungslehre, die Elifas zuvor dargeboten hat, in gewisser Weise aufgesprengt. Dadurch aber, dass die Erziehung Gottes durch Leid nach Elifas immer die Schuld des Menschen zur Voraussetzung hat, vermag seine Weisung Ijob keinen Halt im Glauben zu vermitteln, denn dieser kann bei sich keine Schuld entdecken, die eine derartige Züchtigung verdient.

Die Theologie des Elifas und seiner Freunde zur Gerechtigkeit Gottes im Leid, die so ausschließlich Leid mit Schuld verknüpft und als Lösung die Abkehr von der Schuld und die Umkehr zu Gott fordert, ist nach Auskunft des Elifas das Ergebnis einer nachdenklichen Erforschung der heilsgeschichtlichen Überlieferung Israels, von der Erfahrung gedeckt und abgesichert (5,27: „Ja, das haben wir erforscht, so ist es. Wir haben es gehört. Nimm auch du es an!“). Ganz von der Hand zu weisen ist sie in der Tat nicht. Denn bewährt hatte sich eine solche Erklärung im babylonischen Exil Israels (586-539 v.Chr.), das nach dem Offenbarungswort der Propheten eine Folge des Scheiterns Israels an der Bundesgemeinschaft mit Gott und somit, was das Gottesvolk dann auch selbst erkannt und bekannt hat, schuldhaft verursacht war.11 In der Aufarbeitung dieser Erfahrung ging es den Theologen des Exils darum, das gerechte Gericht Gottes verständlich zu machen und die Umkehr als den Weg zur Überwindung des Gerichts anzumahnen.

Auf der Grundlage eben dieser Theologie argumentiert Elifas. Leid setzt Schuld voraus, also muss sich der Leidende vor Gott demütigen und umkehren. Was für die Bewältigung des Exils richtig war, weil man die Schuld erkennen konnte, wird jetzt losgelöst von der Situation des Exils zu einer starren Vergeltungslehre, die jede Form des Leidens mit Schuld erklärt und die Gott in seiner Gerechtigkeit damit zu einem Funktionär allein der Vergeltung macht. Wenn aber Gott nur noch der Zuteiler von Lohn und Strafe ist, kann von einer Lebensgemeinschaft Gottes mit dem Menschen keine Rede mehr sein. Und weil Elifas – ebenso wie den anderen Freunden Ijobs – in der Argumentation die Schöpferliebe Gottes (Weish 11,26. „Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“) aus dem Blick gerät, sind sie selbst im Letzten auch unfähig, dem Mitmenschen wahrhaft als Nächste zu begegnen. Aus diesem Grund werden die Reden der Freunde angesichts der Weigerung Ijobs, ihre Ausführungen und Ratschläge anzunehmen, zunehmend kürzer und liebloser; neben Schuld unterstellen sie Ijob Hinterlist (Elifas 15,4-5: „Du brichst sogar die Gottesfurcht, zerstörst das Besinnen vor Gott. Denn deine Schuld belehrt deinen Mund, die Sprache der Listigen hast du gewählt“) und werfen ihm vor, die „Tröstung Gottes“ missachtet zu haben (Elifas 15,11: „Ist zu gering dir Gottes Tröstung, ein Wort, das sanft mit dir verfährt?“), also jene Verheißungen, die die Freunde ihm für den Fall seiner Schuldeinsicht und Umkehr zugesagt haben (5,8ff.; 8,5ff.; 11,13ff.). Selbst Ijobs zu Tode gekommene Kinder werden beschuldigt und die Not Ijobs damit noch vergrößert (Bildad 8,4: „Haben deine Kinder gefehlt gegen ihn, gab er sie der Gewalt ihres Frevels preis“). Ohne Gespür für seine körperlichen und seelischen Leiden wird Ijob als Maulheld verurteilt und seine Klage als Geschwätz und Spott gegen Gott bezeichnet (Zofar 11,2-3: „Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben und soll der Maulheld recht behalten? Dein Geschwätz lässt Männer schweigen, du darfst spotten, ohne dass einer dich beschämt“), er wird aufgrund seiner Reden sogar einem Sünder gleichgestellt, der sich in seinem Zorn gegen Gott zerfleischt und mit seinem unbotmäßigen Reden erst recht das Zorngericht auf sich herabruft (Bildad 18,4: „Du, der sich selbst zerfleischt in seinem Zorn, soll deinetwegen die Erde sich entvölkern, der Fels von seiner Stelle rücken?“). Das einzige Argument, das die Freunde Ijobs in ihren weiteren Reden mehr und mehr entfalten, ist schließlich der Untergang des Frevlers, als den sie Ijob sehen (8,2-22; 11,12-20; 15,19-35; 18,5-21; 20,4-29).

Mein Zorn ist entbrannt gegen dich [sc. Elifas] und deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht von mir recht geredet wie mein Knecht Ijob