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Hartmann/Holtkamp

Die Kirche und das liebe Geld

topos premium

Eine Produktion des Lahn-Verlags

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Lahn-Verlag, Kevelaer

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.toposplus.de

ISBN: 978-3-8367-0001-6

E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5000-7

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Inhalt

Warum ein Buch über die „Kirche und das liebe Geld“? (Ha/Ho)

Die „Kirche und das liebe Geld“: im Trommelfeuer der Kritik (Ha/Ho)

Die zwei Gesichter der reichen und der armen Kirche (Ho)

Die reiche Kirche

„Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen“

Die „Kirche und das liebe Geld“: ein historischer Streifzug (Ha)

Als das Christentum zu uns kam

Die Situation gegen Ende des Heiligen Römischen Reiches

Die Umwälzungen in der Epoche um 1800

Wie es in Deutschland zur Kirchensteuer kam (Ha)

Die katholische Kirchensteuer in Preußen als Beispiel

Die Kirchensteuer kommt 1919 in die Verfassung

Wie die Kirchensteuer ab 1919 umgesetzt wurde

Was machten die Nazis mit der Kirchensteuer? – Zahlte Hitler Kirchensteuer?

Was geschah nach 1945?

Wie funktioniert nun in Deutschland die Kirchensteuer? (Ha)

Die gesetzlichen Grundlagen

Kirchensteuer bedeutet: Die Mitglieder finanzieren ihre Kirchen

Die Kirchensteuer ist sozial gerecht

Das große Missverständnis: der staatliche Einzug der Kirchensteuer

Verdient der Staat an der Kirchensteuer eigentlich zu viel?

Die Kirchensteuer als Sonderausgabe – werden damit die Kirchen subventioniert?

Die Abgeltungsteuer: „Viel Lärm um nichts!?“

Die deutsche Kirchensteuer ist kirchenrechtskonform und widerspricht nicht dem Neuen Testament

Die Kirchensteuer führte zu mehr Kontrolle

Wie viel wird an Kirchensteuern überhaupt eingenommen?

So manchen war und ist die Kirchensteuer ein Dorn im Auge

Die Diskussion um die Kirchenmitgliedschaft: das Herbeireden vom Ende der Kirchensteuer

Auch in Österreich finanzieren die Mitglieder ihre Kirchen (Ha)

Ein historischer Rückblick

Wie es in Österreich zum Kirchenbeitrag kam

Wie wird in Österreich der katholische Kirchenbeitrag berechnet?

Die Schweiz: ein besonderer Fall (Ha)

Die Vielfalt aufgrund der Kantone

Die demokratische Verfasstheit: das duale System

Wie sieht es anderswo aus? (Ha)

Italien: ein missverstandenes Vorbild

Spanien und Portugal

Frankreich

Benelux-Staaten

Skandinavien

Ostmitteleuropäische Staaten

Korea: ein christliches Hoffnungsgebiet

Die „Träume“ von der „Kultursteuer“, von der „Gemeinwohlabgabe“ und von Spenden (Ha)

Die „Kultursteuer“

Die „Gemeinwohlabgabe“

Der „amerikanische Traum“: Die Kirchen leben nur von Spenden

Die Kirchensteuer ist kein Auslaufmodell (Ha)

Die Staatsleistungen: eine unendliche Geschichte (Ha)

Die Kirchen verlieren ihre wirtschaftliche Grundlage

Die wirtschaftlichen Grundrechte der Kirchen

Die Staatsleistungen und deren Ablösung: eine unendliche Geschichte

Die negativen und weiteren Staatsleistungen (Ha)

Die negativen Staatsleistungen

Die Kirchen erhalten nur das, was auch andere bekommen: die Staatsleistungen im weiteren Sinn

Weitere Formen der Religionsförderung (Ha)

Der Religionsunterricht: Die Schule wurde von der Kirche erfunden

Die Theologischen Fakultäten: Mit ihnen entstanden die Universitäten

Die Militärseelsorge

„Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen“

Was macht die Kirche mit dem „lieben Geld“? (Ho)

Der kirchliche Haushalt

Wer kennt schon den Bischöflichen Stuhl und das Domkapitel? (Ha/Ho)

Der angeblich „große“ Immobilienbesitz der Kirche – eine „Blase“?

Not sehen und handeln: die Caritas

Vier konkrete Finanzbeispiele (Ho)

Das alte und große Bistum Münster

Das junge und kleine Bistum Essen

Das Erzbistum Wien als Beispiel für Österreich (Ha)

Eine „fusionierte“ Pfarre: Heilig Kreuz in Dülmen

Wie soll es weitergehen? (Ho)

Immer mehr Gläubige verlassen die Kirchen

Papst Franziskus und die Hierarchiekrise

Den Menschen in den Mittelpunkt stellen

Offen und ehrlich über Geld reden

Gedanken zum Verhältnis zwischen Staat und Kirche (Ha)

Einige Anregungen zum Weiterdenken (Ho)

Abkürzungen

Literatur

Anmerkungen

Personenregister

Bei den Hauptkapiteln wird mit den Kürzeln (Ha) [für Gerhard Hartmann] und (Ho) [für Jürgen Holtkamp] angemerkt, wer der jeweilige Autor ist. Gelegentlich steht bei Unterkapiteln ein anderes Kürzel als beim Hauptkapitel. Damit wird angezeigt, dass hier eine abweichende Autorenschaft vorliegt. Die Kennzeichnung (Ha/Ho) bedeutet, dass beide Autoren an diesem Haupt- bzw. Unterkapitel mitgewirkt haben.

Warum ein Buch über die „Kirche und das liebe Geld“?

Sie, liebe Leserin und lieber Leser, werden möglicherweise schon eine eigene Antwort auf diese Frage haben. Sie interessieren sich für die kirchlichen Finanzen und wollen mehr darüber erfahren. Vielleicht ist Ihr Motiv aber ein kirchenkritisches, oder Sie denken bereits an einen Kirchenaustritt. Vielleicht sind Sie auch neugierig, wollen „hinter die Kulissen“ der Kirchenfinanzen blicken und sich informieren. Wie auch immer, wir hoffen, zu allen diesen Motiven etwas beitragen und Ihre Fragen beantworten zu können.

Wir wollen das komplexe Thema Kirchenfinanzen sachlich darstellen. Wir sind aber insofern „tendenziell“, weil wir die Auffassung vertreten, dass die hauptsächliche Finanzierung der Kirchen durch ihre Mitglieder über die Kirchensteuer (bzw. den Kirchenbeitrag in Österreich) grundsätzlich sinnvoll und gerechtfertigt ist. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass wir alles für richtig oder zweckmäßig erachten, was in diesem Bereich seitens der kirchlichen Finanzbehörden bzw. der Bischöfe getan wird.

Es ist noch nicht lange her, da ist ein solcher über sein Finanzgebaren gestürzt. Mit dem „Protz-Bischof von Limburg“, wie die „Bildzeitung“ titelte, verbinden die Menschen Prunksucht, Verschleierungen und einen autoritären Führungsstil. Der Bischof von Limburg wurde nicht nur von den Medien an den Pranger gestellt, sondern auch seine Bischofskollegen haben sich letztlich – bis auf wenige Ausnahmen – von ihm distanziert.

Die Aufbruchsstimmung im Jahr 2005 durch die Wahl eines „deutschen“ Papstes und den Weltjugendtag in Köln wurde nach den Aufregungen um die Aufhebung der Exkommunikation des den Holocaust leugnenden Bischofs der Pius-Bruderschaft Richard Williamson (2009), nach der Affäre um den Augsburger Bischof Walter Mixa (2010) und nach dem Aufbrechen des Missbrauchskandals betreffend katholische Priester (ab 2010) bald zunichte gemacht. Die „Causa Limburg“ führte ab 2013 die katholische Kirche Deutschlands in eine weitere, schwere Vertrauenskrise. Diese betraf zum einen das bischöfliche Amt als solches und zum anderen den Umgang der katholischen Kirche mit ihren Finanzen. Wochenlang waren die Zeitungen, auch die überregionalen wie die „Frankfurter Allgemeine“, die „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“, „Die Zeit“ u. a., voll von immer neuen Berichten und Enthüllungen über die Ver(sch)wendung kirchlicher Gelder. Dabei wurde nicht selten über das Ziel hinausgeschossen, und man konnte ernsthaft die Frage stellen, wie „seriös“ das eigentlich noch sein soll. Es ging manchmal sogar so weit, dass alle Bischöfe unter Generalverdacht gestellt wurden. Der „Fall Limburg“ wird noch lange Zeit nachwirken.

Aber die Ver(sch)wendung kirchlicher Gelder betraf nicht nur Limburg: Jahrelang war das Augsburger Medien-Unternehmen Weltbild, das bis 2014 einer großen Zahl von deutschen Bistümern gehörte, Thema vor allem in den Wirtschaftsseiten der Zeitungen. Anfang 2014 meldete dieses Unternehmen endgültig Insolvenz an. Unter rein finanziellen Aspekten war der Schaden für die Kirche bzw. die betreffenden Diözesen um ein Vielfaches höher als der in Limburg. Da aber ein konkreter personeller Bezug fehlte, an dem man sich „reiben“ konnte, war die „Causa Weltbild“ medial jedoch nicht so wirksam. Trotzdem wurden hier über Jahre hinweg Unsummen an Kirchensteuergeldern in den Sand gesetzt, weil man kirchlicherseits glaubte, sich in dieser Branche unternehmerisch betätigen zu müssen.

Um es mit deutlichen Worten auf den Punkt zu bringen: Den Kirchen bläst also seit Jahren der Wind ins Gesicht. Ihnen laufen die Gläubigen scharenweise davon. Nur eine Minderheit nimmt am sonntäglichen Gottesdienst teil, und auch diese Gruppe schrumpft von Jahr zu Jahr. Ebenso tun sich insbesondere in der katholischen Kirche personell immer größere Lücken auf. Bischofsstühle bleiben länger als notwendig unbesetzt, und zwar nicht nur, weil „Rom“ so lange braucht, sondern weil es auch an geeigneten Kandidaten fehlt. Das ist eine Folge der seit Jahrzehnten sinkenden Priesterweihen und des daraus resultierenden dramatischen Priestermangels.

Ein Blick in die Priesterstatistiken der katholischen Bistümer zeigt nicht nur den hohen Altersdurchschnitt (über 63 Jahre) mit der Folge, dass immer weniger Priester immer größere Pfarrgemeinden leiten (müssen). Solche mit über 20.000 Gläubigen (man nannte sie früher „Seelen“) werden zur Regel, was verheerende Folgen für die Priester selbst und die Gemeinden nach sich zieht. Pastoraltheologen sprechen bereits von XXL-Gemeinden, und ein Ende dieser „Fusionitis“ scheint nicht in Sicht zu sein. Dass diese Zusammenlegungen nicht spurlos an den Gemeindemitgliedern vorbeigehen, ist eine betrübliche Tatsache. Und so werden mit jeder Fusion Ehrenamtliche und Engagierte eher abgeschreckt als an die neue fusionierte Großgemeinde gebunden. Zwar werden seit Jahren Alternativmodelle diskutiert, wie Laien stärker in die Leitung einer Pfarrgemeinde eingebunden werden können. (Das Kirchenvolk selbst hätte übrigens kein Problem damit, und so mancher Gemeindepriester tut dies bereits „unter der Hand“.) Aber noch ist das bei den allermeisten Bischöfen ein Tabu, die sich dabei nicht ungern auf kirchenrechtliche Bestimmungen oder gar auf scheinbar indisponible Dogmen berufen. Daran ändern leider auch die zarten Aufbrüche wie etwa im Bistum Osnabrück nichts. Dort wurden im Sommer 2014 von Bischof Franz-Josef Bode drei ehrenamtliche Laien für drei Jahre in einer ländlichen Pfarrgemeinschaft als Gemeindeleitungsteam beauftragt.

Im Windschatten dieser Entwicklung steht auch die dramatische Ausdünnung der Ordensgemeinschaften, und hier sind insbesondere die Ordensschwestern betroffen. Frauenklöster schließen reihenweise, werden zusammengelegt oder zu klösterlichen „Altersresidenzen“ umfunktioniert. Da die weiblichen Ordensgemeinschaften oft Träger von Schulen oder Krankenhäusern sind, hat das schwerwiegende Folgen für deren Bestand. Mit Holdings behilft man sich bei den Krankenhäusern, und bei den Schulen hat z. B. die Erzdiözese Wien solche der Ordensgemeinschaften übernommen. Bei diesen spielt auch der gesellschaftliche Wandel eine große Rolle. Es wird nämlich vergessen, dass bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im agrarischen Milieu der Eintritt in einen Frauenorden auch als „Versorgung“, mitunter aber auch als sozialer Aufstieg gesehen wurde. Diese Gründe sind nun weitgehend entfallen.

Dieser Trend trifft auch die männlichen Ordensgemeinschaften, und hier vor allem jene, die in den letzten rund 200 Jahren gegründet wurden. Ältere Ordensgemeinschaften üben – noch – eine gewisse Attraktivität aus. Das alles steht in einem Kontrast zu dem in jüngerer Zeit positiv konnotierten Begriff „Kloster“ (Tage im Kloster, Klosterküche, Klostergarten etc.). Die immer geringer werdende Bereitschaft junger Männer, ein Leben im Zölibat führen zu wollen, führt auch dazu, dass sich der Priesternachwuchs nicht mehr aus der Breite der volkskirchlichen Struktur rekrutiert. Es gibt eben nicht mehr den begeisterungsfähigen Jugendkaplan, der junge Menschen zu diesem Beruf animieren kann. Die Folge ist, dass jene, die unmittelbar nach dem Abitur bzw. der Matura die Ausbildung zum Priester beginnen, immer weniger werden. Der Typ des sogenannten „Spätberufenen“ nimmt zu, wobei sich darunter nicht selten „randständige“ Charaktere befinden, was sich wiederum auf den oben erwähnten Missbrauchskandal ausgewirkt hat.

Es knirscht also gewaltig im Gebälk der katholischen Kirche, wobei hier zum Teil auch die genannten strukturellen Gründe (u. a. Zölibat) maßgeblich sind, die man jedoch beheben könnte. Hinzu kommt noch, dass immer mehr hauptamtliche Mitarbeiter/-innen mit der (Lehr-)Meinung der Kirche nicht mehr konform gehen. Viele junge Menschen wollen erst gar nicht in der Kirche arbeiten mit der Folge, dass die angebotenen kirchlichen Ausbildungsplätze öfter unbesetzt bleiben, auch weil die Auswahl an Bewerbern mit „katholischem Profil“ zusehends kleiner wird.

Selbst der Wohlfahrtsverband Caritas bekommt zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiter/-innen zu finden. Hier macht insbesondere die kirchliche Grundordnung zu schaffen (siehe dazu ausführlicher S. 208f.). Eine Muslimin – möglicherweise mit Kopftuch – im Kindergarten, ein Konfessionsloser in der Erziehungsberatung oder ein geschieden-wiederverheirateter Chefarzt im katholischen Krankenhaus? Das sollte doch nicht sein! Oder etwa doch? Die Wahrheit ist eben konkret, und was in einem bischöflichen Papier geschrieben steht, muss nicht zwangsläufig die Realität der Menschen treffen.

Zuletzt zeigte dies der von Papst Franziskus in Auftrag gegebene Fragebogen in Vorbereitung zur Bischofssynode zur Familie (Beginn Oktober 2014, Fortsetzung Oktober 2015). Die Ergebnisse waren niederschmetternd. Nur ein Bruchteil der Katholiken geht mit den Vorstellungen der Kirche zu Ehe, Familie und Sexualmoral konform. Das horizontale Schisma wird immer stärker.

Es bröckelt aber auch an einer anderen Stelle: Über Jahrzehnte hinweg war das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen sehr eng und durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens getragen, ob z. B. bei der Schwangerschaftskonfliktberatung, dem Präimplantationsgesetz oder der Frage gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. Doch mittlerweile gehen in diesen Fragen die Meinungen zwischen verfasster Kirche und der Politik immer öfter auseinander. Hinzu kommt noch, dass hier zwischen den beiden Großkirchen ebenfalls unterschiedliche Auffassungen bestehen. Und so hat die Gleichgültigkeit gegenüber kirchlichen „Lehrmeinungen“ auch seitens der Politik bzw. staatlicher Organe zugenommen. Wie passt ein freiheitlich-demokratischer Staat bzw. eine offene Gesellschaft zur kirchlichen (besonders katholischen) Morallehre?

Es sieht momentan nicht danach aus, dass die institutionelle Kraft der beiden Großkirchen jemals wieder so dominant sein wird wie in den unmittelbaren Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch bleiben sie für den Staat und die Gesellschaft weiterhin wichtige Partner, die auch heute noch wirkmächtig sein können.

Wenn sich jedoch immer mehr Menschen von ihren Kirchen abwenden, weil sie mit deren Lehren nicht mehr einverstanden sind oder weil sie keinen Bezug mehr zu ihrer Kirche haben, schwindet zwangsläufig die Bereitschaft, Geld für ihre Kirche auszugeben.

Warum – fragen sich immer mehr – soll ich eine Steuer entrichten, wenn ich keine Bindung mehr zum Empfänger dieser Steuer habe? Schließlich zahlt eine solche niemand gerne freiwillig. Im Gegensatz zu den staatlichen Steuern muss der Bürger jedoch nicht zwangsläufig Kirchensteuer zahlen. Er braucht nur aus der Kirche auszutreten. 2013 wählten 178.805 Menschen diesen Weg und traten aus der katholischen Kirche aus. Teilweise spenden dann diese das Geld lieber für andere soziale Zwecke und Organisationen, die ihnen inhaltlich näher stehen.

In einer Zeit, in der das Thema Kirchenfinanzen aufgrund der erwähnten Vorkommnisse wieder stärker in den Fokus gerät, wollen wir mit diesem Buch die Diskussion versachlichen. Wir wollen aber nicht nur aufklären und darlegen, was eigentlich Sache ist, sondern, wo es nötig erscheint, auch kritisch und mahnend den Finger erheben. Wir werden in diesem Buch keine endgültigen pastoralen Antworten auf die Kirchenkrise oder Patentrezepte zu ihrer Überwindung geben können. Allerdings sind wir der Überzeugung, dass man den Komplex Kirchenfinanzen nicht isoliert von der pastoralen Wirklichkeit und den seelsorglichen Herausforderungen betrachten kann. Denn jede Kirchenkrise verschärft die Distanz zwischen dem Amt und den Gläubigen und führt gerade bei den kritischen sowie distanzierten Christen zu einer erhöhten Austrittsbereitschaft.

Wenn die „Bildzeitung“ über Wochen und Monate vom „Protz-Bischof in Limburg“ schreibt, setzt sich bei den Leserinnen und Lesern das Image einer mit Geld verschwenderisch umgehenden Kirche fest. An den Stammtischen war dann das Thema: „Habe ich etwa die Badewanne für 25.000 Euro für den Herrn Bischof mit meiner Kirchensteuer bezahlt?“ Dieses Bild von Kirche führt auf mehreren Ebenen zu fatalen Entwicklungen für sie:

Die Gläubigen werden unsicherer. Wie kann es sein, dass der Bischof bzw. die Kirche nicht ordnungsgemäß mit dem Geld umgehen?

Die Kritiker fühlen sich bestätigt, distanzieren sich weiter, möglicherweise bis zum Kirchenaustritt.

Die Neutralen, die durchaus die kulturellen, sozialen und caritativen Leistungen der Kirchen anerkennen, überlegen sich, ob sie nicht doch für andere Organisationen spenden sollten.

Die Medien beobachten nicht mehr nur Limburg, sondern forschen auch in anderen Bistümern nach „Unregelmäßigkeiten“. Das ist nachvollziehbar, doch neigen sie auch zur Übertreibung und geben ein oft medial gefärbtes und nicht immer objektives Bild von Kirche wieder.

Politiker fragen sich, ob das gegenwärtige staatskirchenrechtliche System angesichts dieser Skandale auf Dauer noch tragfähig ist, zumal sie ihren Wählern verpflichtet sind.

All die genannten Skandale und Affären haben ab 2009 die katholische Kirche in Deutschland (und auch darüber hinaus) negativ beeinflusst. Vermehrte Kirchenaustritte gab es nach deren Aufdeckung nicht nur in Augsburg und Limburg, sondern auch in anderen Bistümern, sogar die evangelische Kirche war davon betroffen. Die Menschen differenzieren nicht nach dem eigentlichen Verursacher, sondern wenden sich pauschal ab.

Es besteht daher die Gefahr, dass die Kirchen dadurch zusehends an den Rand gedrängt werden und damit ihrem eigentlichen Auftrag nicht mehr gerecht werden können, sich den Menschen zuzuwenden, ihnen seelsorglich beizustehen, ihnen Trost und Mut zuzusprechen und ihnen in sozialer Not zu helfen. Und somit wollen wir mit diesem Buch auch Denkanstöße für kirchliche Entscheider geben.

Die Kirchenfinanzen – und für Deutschland dabei besonders die Kirchensteuer und die Staatsleistungen – waren und sind also in Abständen immer wieder das Thema von Zeitungen und politischen Magazinen. Nicht selten „wird damit aufgemacht“, d. h., bereits auf der ersten Seite wird mit suggestiven Schlagzeilen, die natürlich inhaltlich verkürzen, um potenzielle Leser geworben. Im Text der Artikel, nicht selten von „Quickanalytikern“ (Zitat von Daniel Deckers) verfasst, kommen dann oft Dichtung und Wahrheit durcheinander, so dass die Leser/-innen dadurch irregeleitet oder bestenfalls ratlos zurückgelassen werden.

Seit den späten achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist dieses Thema auch vermehrt Gegenstand von wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Tagungen. Es gibt mehrere Gründe hierfür, die möglicherweise für sich genommen noch nicht ausreichend gewesen wären, jedoch im Zusammenspiel zu diesem Phänomen geführt haben.

Ab den achtziger Jahren war unter dem Pontifikat Johannes Pauls II. ein innerkirchlicher „Umdrehprozess“ zu beobachten. Es schien so, als ob man in Rom die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils marginalisieren wollte. Signifikant waren in diesem Zusammenhang die in Form und Inhalt ähnlichen und zeitgleich (1988) vorgenommenen umstrittenen Bischofsernennungen in Köln, Salzburg und Chur, aber auch anderswo in der Welt. Mit diesen wollte man den Kurs der Kirche rückwärtsgewandt korrigieren. Das positive Image, das durch das Konzil die katholische Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung genossen hatte, schwand damit. Und so scheute man sich nicht mehr, an ihr Kritik zu üben.

Mit der Wende 1989 und der Wiedervereinigung 1990 wurde die konfessionelle Struktur Deutschlands wesentlich verändert. Während in der alten Bundesrepublik die beiden Großkirchen eine eindeutige Dominanz besaßen, wurde nun durch die neuen Bundesländer das Phänomen der Konfessionslosen eine bedeutende Größe in der Religionsstatistik (siehe dazu auch S. 271). Es war also nicht mehr wie in der alten Bundesrepublik selbstverständlich, Christ zu sein. Zeitgleich verstärkten sich Säkularisierungstendenzen vor allem in urbanen Milieus. Im Generationenübergang blieb man nicht mehr ohne weiteres Christ (bzw. wählte auch nicht mehr dieselbe Partei, gehörte nicht mehr demselben Verein an, führte das Tageszeitungsabonnement nicht weiter usw.). In diesem Windschatten agierten auch vermehrt militante antichristliche Personen und Gruppen, die das staatskirchenrechtliche System infrage stellten.

Um 1990 wurde zuerst in Spanien und dann in Italien die sog. „Kultursteuer“ eingeführt (siehe dazu S. 135f.). Dieses Modell der Kirchenfinanzierung übt seitdem auch im deutschsprachigen Raum vor allem innerkirchlich eine gewisse Faszination aus.

Diese und auch noch andere Gründe führten zu einer vermehrten öffentlichen Diskussion des Themas Kirchenfinanzen bzw. Kirchensteuer, die sich zusätzlich durch die erwähnten „Skandale“ ab 2009 steigerte. In zahlreichen Büchern, Zeitungen und Zeitschriftenartikeln wird mehr oder minder profund darauf eingegangen. In Talk-Shows wird darüber diskutiert. Dem gegenüber stehen wiederum wissenschaftliche Tagungen, die sich auf hohem Niveau dieses Themas angenommen haben bzw. annehmen.

Eine der ersten dieser Art war wohl die der Arbeitsgemeinschaft der Professoren und Dozenten der Kirchengeschichte an den Katholisch-Theologischen Fakultäten und Hochschulen Österreichs in Brixen (Südtirol) am 24./25. Oktober 1993, die – wie der Veranstaltungsort auch dokumentiert – nicht zuletzt unter dem Eindruck der gerade eingeführten italienischen „Kultursteuer“ stand. Aus jüngerer Zeit seien beispielhaft vier genannt:

Im September 2012 fand die Tagung „Grund und Grenzen staatlicher Religionsförderung unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Staat und katholischer Kirche in Deutschland und Europa“ im Erbacher Hof in Mainz statt. Sie wurde vom Seminar für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht der Universität Mainz (Prof. Matthias Pulte) und vom Institut für Staatskirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz Bonn (Prof. Ansgar Hense) veranstaltet.

Kurze Zeit später fand im Oktober 2012 die Tagung „Kirchenfinanzierung in Europa. Modelle und Trends“ an der Universität Graz statt, die vom Institut für Kirchengeschichte der dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät (Prof. Rudolf K. Höfer) veranstaltet wurde.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung lud Mitte Oktober 2014 zu einer internationalen Expertentagung mit dem Titel „Geld, Gott und Glaubwürdigkeit“ ein, die entsprechende mediale Aufmerksamkeit erhielt. Und am 8. Dezember 2014 fand ein Actus Academicus der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Kapuziner in Münster mit dem Titel „Betteln und Predigen. Wie arm soll die Kirche sein?“ statt. Gerade diese Tagung hat gezeigt, dass das Thema Kirchenfinanzen einen zusätzlichen, zweifelsohne von Papst Franziskus angeregten Schwerpunkt bekommen hat.

Das vorliegende Buch will dem Anspruch gerecht werden, das komplexe Thema Kirchenfinanzen in verständlicher Weise und sachgerecht darzustellen. Es beginnt als Einstieg mit dem Thema reiche und arme Kirche und einer Auflistung der üblichen Kritikpunkte am gegenwärtigen System der kirchlichen Finanzen. Hier ist zwischen „kirchenexterner“ und „kircheninterner“ Kritik zu unterscheiden. Es folgt dann ein historischer Streifzug. Vor rund 1500 Jahren begann mit der Taufe des merowingischen Frankenkönigs Chlodwig bei uns das Christentum, Strukturen anzunehmen. Unter dem hl. Bonifatius und Kaiser Karl dem Großen wurde eine große Zahl der derzeitigen Bistümer gegründet. Seitdem stellt sich hierzulande die Frage, wie Kirche bzw. deren Handeln finanziert wird. Was wir heute in dieser Sache vorfinden, hat daher einen langen Entwicklungszeitraum von mehr als 1000 Jahren hinter sich, der zu bestimmten Strukturen geführt hat. Das wird leider oft vergessen. Um Verständnis für die Gegenwart zu haben, muss man die Vergangenheit kennen. Das gilt übrigens nicht nur für diesen Bereich, sondern ebenso für andere, insbesondere auch für die Politik.

Einen entsprechenden Platz in der Darstellung nimmt die Kirchensteuer in Deutschland ein. Dies vor allem deshalb, weil sie in dieser Art wohl einzigartig in der christlichen Welt ist und auch immer wieder die Gemüter erregt. In der Diskussion um sie bleiben aber oft verschiedene Tatsachen zu ihrer Entstehung und Funktion im Hintergrund. Ebenso werden um sie „Mythen“ aufgebaut und in der veröffentlichten Meinung präsentiert, die mit der Realität dann nichts mehr zu tun haben. Die Kirchensteuer hat ihren Anfang im 19. Jahrhundert genommen und wurde 1919 in der Weimarer Reichsverfassung festgeschrieben.

Zu erklären, was eigentlich Sache ist, ist gerade bei diesem Thema besonders notwendig. So geht es u. a. um die Fragen, wieso die staatliche Finanzverwaltung die Kirchensteuer einzieht, wie viel an Kirchensteuer überhaupt eingenommen wird und ob sie überhaupt dem biblischen Auftrag Jesu entspricht. Besonders wird auf das „Sommerlochthema“ des Jahres 2014 eingegangen, nämlich die Kirchensteuer auf die Abgeltungsteuer, die die Gemüter erregt hat.

Wichtig ist auch die Nachfrage, wie es um den Kirchenbeitrag in Österreich steht und was das Besondere am System der Kirchenfinanzen in der Schweiz ist. Ein wichtiges Anliegen von uns ist auch, die Kirchenfinanzierung in einigen signifikanten Ländern Europas vor allem der Nachbarschaft darzustellen (z. B. Italien, Spanien, Frankreich, Beneluxstaaten, Skandinavien, Ungarn, Polen, Slowenien). Im Vergleich mit anderen Systemen fällt die Beurteilung des eigenen dann wesentlich differenzierter aus.

Aus unterschiedlichen Motiven heraus wird die Kirchenfinanzierung durch allgemeine Beiträge der betreffenden Kirchenmitglieder oft kritisch gesehen (wer zahlt schon gerne Steuern?). In diesem Zusammenhang werden dann immer wieder Alternativen genannt, die aber ebenfalls einer kritischen Betrachtung unterzogen werden müssen – und eigentlich dieser nicht standhalten. So gibt es, wie erwähnt, seit Ende der achtziger bzw. Anfang der neunziger Jahre in Spanien bzw. in Italien die sog. „Kultursteuer“, die bei uns unreflektiert oft als Allheilmittel gesehen wird. Doch ist sie ein Rückfall in eine Staatsalimentation der Kirchen und kein geeignetes Modell für den deutschsprachigen Raum.

Ein in Abständen immer wiederkehrendes „Sommerlochthema“ sind für Deutschland auch die Staatsleistungen im engeren Sinn. Das sind in der Hauptsache jene hauptsächlich geldwerten Leistungen des Staates, meistens der Länder, die vor allem in Zusammenhang mit den Enteignungen der Kirche (sog. Säkularisation) in der napoleonischen Zeit vor mehr als 200 Jahren stehen. Wegen des komplizierten, vor allem historisch bedingten Sachverhalts vermengen sich hier in der öffentlichen Berichterstattung ebenfalls häufig Dichtung und Wahrheit miteinander. In der Weimarer Reichsverfassung wurde deren Ablöse verlangt, jedoch wurde dieser fast 100-jährige Verfassungsauftrag bis jetzt nicht erfüllt. Das führt zu Irritationen in der Öffentlichkeit, wobei hier „Ausdem-Bauch-heraus-Argumente“ nicht selten sind, selbst von Personen, die es eigentlich besser wissen sollten. Daher ist eine Versachlichung gerade bei diesem Thema besonders angesagt.

Als Religionsförderungen gelten die staatlichen Finanzierungen des Religionsunterrichts, der Theologischen Fakultäten, der Militärseelsorge und der Anstaltsseelsorge (z. B. in Gefängnissen). Warum diese Kosten der Staat tragen soll, dazu werden Antworten gegeben.

Im Anschluss daran werden grundlegende Fragen der kirchlichen Finanzstruktur behandelt. So etwa über die Prinzipien der kirchlichen Haushaltsgebarung, die 2013 ins Gerede gekommenen Bischöflichen Stühle und die Domkapitel. Auch wird der Frage nachgegangen, wie es mit den Immobilienbesitz der Kirche und dessen Wert steht. Einen wichtigen Teil nimmt auch die Caritas ein, denn sie gehört zum wesentlichen Urauftrag der Kirche und kostet naturgemäß Geld.

Um die Leser/-innen möglichst an die reale Wirklichkeit heranzuführen, werden in diesem Buch vier konkrete Finanzbeispiele angeführt – und zwar die detaillierten Ausgaben und Einnahmen der alten und großen Diözese Münster sowie der jungen und kleinen Diözese Essen. Hinzu kommt als Beispiel für Österreich die Erzdiözese Wien. Das Finanzgebaren dieser drei Bistümer ist vom Volumen zwar höchst unterschiedlich, aber in der Einnahmen- und Ausgabenstruktur sehr ähnlich. Da sich die kirchliche Lebenswirklichkeit in einer Pfarrgemeinde abspielt, wird das beispielhaft auch mit einer solchen gemacht.

Wie soll es weitergehen – das ist ein wichtiges Anliegen von uns. Allein eine schonungslose Bestandsaufnahme und eine realistische Sachverhaltsdarstellung sind zu wenig. Wir machen Vorschläge, wie es unserer Meinung nach besser werden könnte, und hoffen, dass damit ein Diskussions- und Umsetzungsprozess in Gang gesetzt werden wird.

Das Buch endet kommentarlos mit den 13 Punkten des sogenannten „Katakombenpaktes“, den 40 Bischöfe am 16. November 1965 – kurz vor Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils – unterzeichnet haben und damit ein Zeichen setzen wollten. Sie dienen einfach zum Nachdenken.

Trotz aller ernsthaften Wichtigkeit, die mit der Frage nach den Kirchenfinanzen verbunden ist, sollte eine distanzierte, vielleicht sogar etwas heitere Gelassenheit dabei nicht fehlen. Dazu können die Karikaturen zu diesem Thema von Greser & Lenz in den Umschlaginnenseiten beitragen.

Gerhard Hartmann

Jürgen Holtkamp

Kevelaer und Dülmen, am 23. Januar 2015

Der 23. Januar 2015 ist der 70. Todes- und in Köln auch der Gedenktag des seligen Märtyrers Nikolaus Groß (ansonsten ist dieser am 15. Januar). Er stammte aus Hattingen bei Essen, war ursprünglich Bergmann und engagierte sich schon in jungen Jahren in der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB). Er gehörte zu der Gruppe der nicht wenigen Christen, die aus dieser Überzeugung heraus in den Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegangen sind. Nikolaus Groß wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Die „Kirche und das liebe Geld“: im Trommelfeuer der Kritik

Im Sinne einer sachlichen Auseinandersetzung nehmen wir Kritik ernst und wollen darauf angemessen sowie faktenorientiert antworten. In den folgenden Kapiteln werden wir immer wieder auf diese eingehen. Nachstehend werden die wichtigsten Kritikpunkte, die sich übrigens in fast gleichem Maße auf beide Großkirchen beziehen, aufgeführt. Seitenverweise zeigen an, wo sie behandelt werden. Diese Kritiken kommen aus zwei unterschiedlichen Richtungen, und zwar von „kirchenexterner“ wie von „kircheninterner“ Seite.

Die „kirchenexternen“ Kritiker lehnen Religion grundsätzlich ab und sind teilweise militante Atheisten. Es hat sich im deutschsprachigen Raum aber auch anderswo ein aggressives Neuheidentum gebildet, das kein Verständnis für jene aufbringt, die in Freiheit und in der Öffentlichkeit ihr religiöses Bekenntnis leben wollen. Es ist eine intellektuell agile, aber zahlenmäßig nicht signifikante Gruppe, die u. a. eine bedingungslose Trennung von Staat und Kirche fordert. Sie liegt im Trend einer wachsenden Religionsverachtung, die teilweise sogar in Hass umschlägt und für die westeuropäischen Industriegesellschaften typisch geworden zu sein scheint.

Die „kircheninternen“ Kritiker, hier besonders am Kirchensteuersystem, finden sich in der katholischen Kirche vor allem an ihren beiden Rändern. Von „progressiver“ Seite werden dabei pastorale Gründe vorgebracht. Die Art der Kirchensteuerbeitreibung durch das Finanzamt (bzw. den Lohnsteuerabzug) verstärke die Kirchenaustritte, ihr hafte auch das Odium einer gewissen „Unbarmherzigkeit“ an. Von vor allem extrem „traditionalistischen“ Kreisen hingegen, die sich im Besitz der allein gültigen Glaubenswahrheit und Spiritualitätspraxis wähnen, wird in dem als „Zwangssystem“ gedeuteten deutschen Kirchensteuersystem die Finanzierung der als „von Rom“ (immer noch?) abgewichenen deutschen Kirche (oft als sog. „Lehmann-Kirche“ disqualifiziert) gesehen.

Aber es finden sich unter den „kircheninternen“ Kritikern sowohl enttäuschte Christen als auch engagierte Kirchenmitglieder beider Konfessionen, die ihre Kirchen in diesem Bereich auf einem falschen Weg sehen. Sie wünschen sich organisatorisch entschlackte Kirchen mit glaubensüberzeugten Mitgliedern oder romantisch-verklärend die (angeblichen) idealen Zustände in der Urkirche.

Die Hauptkritikpunkte sind also vor allem das deutsche Kirchensteuersystem, aber auch die zu starke Verflechtung von Staat und Kirche insgesamt. Darüber hinaus geraten die diversen Staatsleistungen immer wieder ins Visier. Die wichtigsten sind:

Das in Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) i. V. mit Art. 140 GG festgehaltene Verbot einer Staatskirche werde durch die Kirchensteuer u. v. a. m. gebrochen. Dazu siehe S. 106f.

Vor allem „kircheninterne“ Kritiker weisen darauf hin, dass durch den staatlichen Einzug der Kirchensteuer der Eindruck entstehe, sie sei kein Mitgliedsbeitrag, und dass die Kirchen als staatliche Einrichtungen wahrgenommen würden. Insbesondere wird die damit zusammenhängende Möglichkeit einer Zwangsvollstreckung kritisiert. Dazu siehe S. 80f.

Auch würden sich die Kirchen durch die Kirchensteuer an einem ungerechten Steuersystem beteiligen und immer abhängiger von der staatlichen Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik werden. Dazu siehe S. 75f.

Weil die Kirchensteuer als Sonderausgabe bei der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden kann, werde darin eine bevorzugte Behandlung der kirchensteuereintreibenden Religionsgesellschaften gesehen. Der Staat verzichte dabei auf Steuereinnahmen, was zu Lasten der Allgemeinheit gehe. Dazu siehe S. 86f.

Die Kirchensteuer auf die Abgeltungsteuer wird als eine zusätzliche Schröpfung seitens der Kirchen gewertet, was zu Kirchenaustritten führt. Dies wiederum ist für „kircheninterne“ Kritiker Anlass, gleich die Abschaffung der Kirchensteuer zu fordern. Dazu siehe S. 87f.

Das deutsche Kirchensteuersystem führe im Vergleich zu den europäischen Nachbarn (siehe S. 118f.) bei den Kirchen zu überhöhten Einnahmen, fördere damit eine ausufernde Bürokratie und verfestige Kirchenstrukturen.

Die deutsche Kirchensteuer widerspreche dem katholischen Kirchenrecht und dem „Geist“ des Neuen Testaments. Dazu siehe S. 97f.

Vor allem von „kircheninternen“ Kritikern wird bemängelt, dass die deutsche Kirchensteuer aber auch der österreichische Kirchenbeitrag zum Kirchenaustritt animieren. Daher wird eine sog. „Kultursteuer“ oder „Gemeinwohlabgabe“ gefordert. Siehe dazu S. 150f.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Kirchen verschwenderisch mit Kirchensteuergeldern umgingen. Als Beispiel wird der Skandal in Limburg genannt. Weil die Kirche zu viel Geld habe, horte sie es, verstecke es vermutlich in dubiosen schwarzen Kassen, gebe es für Prunk und Luxus und nicht für die Armen oder Bedürftigen aus.

Außerdem gehörten den Kirchen zu viele Immobilien in bester Citylage. Dazu siehe S. 202f.

Besonders werden immer wieder die sog. „Staatsleistungen im engeren Sinn“ der „kirchenexternen“ wie zunehmend auch der „kircheninternen“ Kritik unterworfen. Das sind jene Leistungen, die vor allem in Zusammenhang mit der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts stehen und wo der Verfassungsgesetzgeber in Art. 138 WRV i. V. mit Art. 140 GG fordert, dass diese abgelöst werden sollen. Die (katholische) Kirche betreibe hierbei eine Doppelmoral: Einerseits poche sie auf den Schadensersatz für die Enteignungen im 19. Jahrhundert, lasse andererseits aber zu, dass die Sexualverbrechen von Priestern an minderjährigen Schutzbefohlenen verjährt werden. Entschädigungszahlungen an die Opfer würden so vermieden. Siehe dazu S. 166f.

Kritisiert werden auch die Religionsförderungen, nämlich die direkte staatliche Finanzierung des Religionsunterrichts gemäß Art. 7 Abs. 3 GG und der Theologischen Fakultäten im Rahmen der staatlichen Universitäten, ebenso die Militär- und Gefängnisseelsorge. Sie widersprechen der Trennung von Kirche und Staat. Siehe dazu S. 184f.

Ebenso kritisch werden die „Staatsleistungen im weiteren Sinn“ gesehen. Gemeint sind dabei vor allem die Subventionen für Kindertagesstätten und Schulen in kirchlicher Trägerschaft sowie für den Denkmalschutz. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang auch die gelegentliche Monopolstellung der Kirchen bei Kindertagesstätten, Behinderteneinrichtungen, Krankenhäusern etc. Damit setzten die kirchlichen Träger in vielen Regionen die Kommunen so unter Druck, dass diese deren Konditionen akzeptieren müssten. Siehe dazu S. 182f.

Eher grundsätzlicher bzw. staatskirchenrechtlicher Natur sind nachstehende Kritikpunkte:

Dadurch, dass die Kirchen und Religionsgesellschaften gemäß Art. 137 Abs. 5 WRV Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, werden sie bevorzugt und andere Religionsgesellschaften, die diesen Status nicht haben, benachteiligt.

Damit die Kirchensteuer eingezogen werden kann, müssen die Steuerpflichtigen bzw. Beschäftigten ihr Religionsbekenntnis bei der Einkommensteuererklärung bzw. beim Meldeamt wegen der Lohnsteuerkarte angeben. Das verstoße gegen die Religionsfreiheit nach Art. 4 GG. Siehe dazu S. 106f.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Kirchen konzernähnliche Strukturen aufgebaut hätten und wie Konzerne schalteten und walteten. Als Beleg wird angegeben, dass die beiden Kirchen zusammengerechnet die größten nichtstaatlichen Arbeitgeber Deutschlands und die größten privaten Grundbesitzer sind. Sie verfügen über Aktienpakete und viele Firmenbeteiligungen.

Caritas und Diakonie seien Konzerne, die sich gerne am Staat bereichern. Das zeigten auch die Zahlen der beiden Wohlfahrtsverbände: Obwohl die Kirchenmitgliederzahlen schrumpfen, wachsen deren Mitarbeiterzahlen. Dazu siehe S. 204f.

Als weitere Belege werden die Skandale um die Vatikanbank genannt. Der Kirche gehe es gar nicht um das Seelenheil, sondern nur um Macht, Einfluss und Geld.

Es wird kritisiert, dass die Kirchen eigene Vertreter in die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten entsenden und dort Sendeplätze bekommen.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Kirchen nutzten den Staat aus, manipulierten das politische System durch aktiven Lobbyismus und bauten sich ein eigenes Wirtschaftsimperium auf – und das auf Kosten der Steuerzahler. Im Auftrag der Kirchen seien Lobbyisten tätig, deren Aufgabe darin bestehe, die Privilegien der Kirchen zu sichern und Glaubensinhalte in Politik und Gesellschaft durchzusetzen.

Unverständnis herrscht bei den Kritikern darüber, dass die Kirchen – basierend auf Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. mit Art. 140 GG – das Privileg eines eigenen Arbeitsrechts besitzen. Kirchliche Mitarbeiter müssten aufgrund dessen nach den Vorgaben der Kirche leben, sonst verlieren sie ihren Arbeitsplatz (dazu siehe S. 208f). Weil es kein „Streikrecht“, sondern nur Mitarbeitervertretungen gibt, würden die Menschen „ausgebeutet“.

Kritisch nachgefragt wird auch, warum der religiös-weltanschaulich neutrale Staat den Kirchen und Religionsgesellschaften generell solche Privilegien zuerkennt.

Alle diese Kritikpunkte waren gewissermaßen Ausgangspunkt unserer Darlegungen. Sie haben sich teilweise – ungeprüft und nicht hinterfragt – in einer veröffentlichten Meinung verfestigt, gegen die nur schwer mit sachlichen Argumenten anzugehen ist. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie bis hin zu den öffentlich(rechtlich) en Stammtischen, nämlichen den diversen Talkshows, fast schon zu einem politisch-korrekten Allgemeingut geworden sind. Hier mit PR-Maßnahmen entsprechend gegenzusteuern, wurde bislang von den Kirchen weitgehend versäumt.

Die zwei Gesichter der reichen und der armen Kirche

Der bekannte Verfassungsrechtler und ehemalige deutsche Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat einmal gemeint: „Der freiheitliche, säkulare Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Damit wollte Böckenförde deutlich machen, dass der Staat nicht alles durch Gesetze regeln kann, vielmehr braucht er Menschen, die aus sich heraus, aus ihrer moralischen Verpflichtung oder ihrem religiösen Gewissen handeln und den Staat damit humaner und sozialer machen. Diesen Beitrag leisten neben den beiden Großkirchen auch viele Verbände, Vereine und private Initiativen.

Ohne diese Zusammenschlüsse gäbe es kein bürgerschaftliches Engagement, ohne die Hunderttausende von Ehrenamtlichen, die sich in Sportvereinen, Parteien, Elterninitiativen, Hospizen, Feuerwehr, Jugendarbeit oder Schwimmvereinen engagieren, wäre unser Land um vieles ärmer. Damit sich die Menschen engagieren können, benötigen sie Strukturen, die sie sich mitunter durch Satzungen selbst schaffen, oder sie greifen auf staatliche Vorgaben zurück. Bürgerschaftliches Engagement kann der Staat nicht selbst erschaffen und vor allem kann er es nicht in der Hauptsache finanzieren. Wohl kann er sie fördern und günstige Rahmenbedingungen setzen, damit sich Menschen engagieren können.

Die Motive, aus denen heraus Menschen sich einbringen, sind so verschieden wie die Menschen unterschiedlich sind. Manche sehen es als ihre religiöse Pflicht an, nicht nur den Sonntagsgottesdienst zu besuchen, sondern sich auch in der Jugendarbeit, der Gemeindecaritas, in Chören oder Besuchsdiensten zu engagieren, andere sind wieder in Gruppen tätig, die lokale Projekte anstoßen. Unabhängig von den Motiven: Gewinner in einem solchen Prozess ist die Gesellschaft.

Auch die Kirche profitiert vom ehrenamtlichen Engagement. Die Besuchsdienste zu den älteren oder kranken Mitbürgern müssten ohne die Ehrenamtlichen eingestellt werden. Familienkreise gäbe es ebenso wenig wie das Pfarrfest. Die Gottesdienste wären langweilig, weil die Chöre fehlten. Diese leisten sehr oft einen unschätzbaren Kulturbeitrag – auch bei der musikalischen (Aus)Bildung. Ohne ehrenamtliches Engagement liefe in der Kirche nichts, und für alle Aufgaben hauptamtliche Mitarbeiter/-innen einzustellen, könnte die Kirche gar nicht finanzieren.

Der eigentliche Schatz der Kirchen und ihr Reichtum sind die vielen Christen, die sich ehrenamtlich engagieren.

Die reiche Kirche

Die Priester, die den Gottesdienst mit den Gläubigen feiern, benötigen Geld, um ihren Lebensunterhalt in angemessener Weise zu finanzieren. Auch wollen die Gläubigen den Gottesdienst in der Regel nicht unter freiem Himmel feiern, sondern in entsprechenden gottesdienstlichen Räumen, in Kapellen und Kirchen, die im Winter auch geheizt sind, mitunter auch gerne im repräsentativen Dom. Die Kirchen benötigen zunächst Geld, um das „Bodenpersonal“ zu bezahlen. Daneben verwenden sie es, um die Kirchen zu erhalten. Manche ältere Gebäude stehen unter Denkmalschutz, einige sind sogar Weltkulturerbe – wie etwa der Kölner Dom – und müssen laufend saniert werden. Das kostet viel Geld.

Daneben gibt es Aufgaben, die der Staat den Kirchen überlässt. Hier greift das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, das besagt, der Staat soll nur dann Träger von Einrichtungen sein, wenn dies kein anderer übernehmen kann.

Als Gegenleistung erhalten die Träger – ob konfessionell oder nicht, spielt keine Rolle – finanzielle Mittel, um diese Aufgaben wahrnehmen zu können. Die Träger zahlen jedoch einen Eigenanteil, und das macht es für den Staat durchaus lukrativ, nicht selbst solche Einrichtungen zu betreiben.