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Ulrich L. Lehner

Mönche und Nonnen im Klosterkerker

topos taschenbücher, Band 1004

Eine Produktion der Verlagsgemeinschaft topos plus

Alphonso Huber –
magistro quondam meo dilectissimo

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Eine Initiative der

www.topos-taschenbuecher.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8367-1004-6
E-Book (PDF): ISBN 978-3-8367-5014-1
E-Pub: ISBN 978-3-8367-6014-0

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
Das © und die inhaltliche Verantwortung liegen bei der
Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer.
Erweiterte Lizenzausgabe
Aus dem amerikanischen Englisch
Umschlagabbildung: © Fotolia
Einband- und Reihengestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
Herstellung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany

Inhalt

Vorwort

I.

Einführung: Mythen, Missverständnisse und Legenden

II.

Der Klosterkerker als Verwahrungsort für Geisteskranke

III.

Das Leben im Klosterkerker

IV.

Orden mit und ohne Gefängnisstrafen

V.

Der „Kriminalprozess“ der Franziskaner

 

Die Folter im Dienst der Beweisführung

 

Die Befragung des Angeklagten

 

Die Verteidigung des Angeklagten

 

Urteil, Strafen und Berufungsmöglichkeit

VI.

Physische Gewalt in Frauenklöstern

VII.

Sexuelle Delikte und Kindesmissbrauch

VIII.

Flucht aus dem Kloster

IX.

Ausblick

Anmerkungen

Bibliografie

Vorwort

So this is the castle of your ideas
now show me the dungeon
.
Robert Gray1

Dieses Buch war nie wirklich geplant. Die Tatsache, dass es dennoch geschrieben wurde, verdankt sich bestimmten Umständen, die ich hier darlegen will, um den Eindruck zu vermeiden, dass Sensationshascherei bei der Abfassung des Buches eine Rolle gespielt habe. Als ich im Jahr 2008 meine Forschungen für ein neues Buch über die Geschichte des Benediktinerordens in der Aufklärungszeit aufnahm2, stolperte ich in den Werken vormaliger Mönche immer wieder über die Erwähnung von Klosterkerkern. Insbesondere aufgeklärte Mönche verurteilten diese als Bastionen der Unmenschlichkeit und der Intoleranz. In polemischen Schriften fand ich zudem zahlreiche Beschreibungen klösterlicher Folter oder körperlicher Bestrafung im Kerker. Dies war eine völlig neue Erkenntnis für mich. Konsequenterweise schickte ich mich an, mehr über Klosterkerker herauszufinden, musste aber feststellen, dass die verfügbare Literatur entweder apologetisch oder antiklerikal war, mit der Ausnahme einiger Darstellungen mittelalterlicher Gefängnispraktiken. Die Abwesenheit einer ausgewogenen historischen Darstellung klösterlicher Gefängnisse in der Neuzeit, also von etwa 1600 bis 1800, bewog mich nun, selbst in Archiven und Bibliotheken gezielt nach Belegen für klösterliches Kriminalrecht und Kerkerbestrafung zu suchen, mit der Absicht, einen Artikel darüber zu publizieren. Als ich jedoch die Literatur der verschiedenen Orden untersuchte, wurde mir klar, dass sich das Forschungsprojekt zu einem kleinen Buch ausgewachsen hatte. Es ist natürlich keine erschöpfende Geschichte von Verbrechen und Bestrafung in frühneuzeitlichen Klöstern, sondern eine Einführung in einen Themenkomplex, den Historiker wie Theologen bisher völlig links liegen gelassen haben. Dieses Büchlein ist ein Wegbegleiter in neue Forschungsfelder, die sich durch die Beschäftigung mit klösterlicher Strafkultur auftun: die Geschichte des Kriminalrechts, das Verhältnis von Staat und Kirche, Gewalt im Kloster, Entwicklung klösterlicher Mentalitäten, Sexual-und Gendergeschichte, usf.

Die Rekonstruktion einer Kultur von Verbrechen und Strafe, von Folter und anderen unmenschlichen Vorgehensweisen, war eine persönliche Herausforderung und keine angenehme Erfahrung. Trotzdem: Als Historiker bin ich davon überzeugt, dass eine solche Rekonstruktion notwendig ist für ein besseres Verstehen des frühneuzeitlichen Katholizismus und damit auch der Kultur der frühen Neuzeit. Als Theologe glaube ich ferner, dass nur die Wahrheit frei macht (Johannes 8,32). Obwohl die folgenden Kapitel für Katholiken vielleicht etwas beschämend sind, dürfen zwei Dinge nicht außer Acht gelassen werden: Die Bestrafungspraxis der Orden und ihr Umgang mit Verbrechen waren im Großen und Ganzen nicht schlechter als die Praxis der Staaten und regierenden Herrscherhäuser. Daher wäre es völlig unberechtigt, katholische Orden an den Pranger zu stellen. Ferner dürfen die neuen Erkenntnisse über Klosterkerker nicht den Blick verstellen für die überragenden Errungenschaften katholischer Ordensgemeinschaften in der Zeit nach dem Konzil von Trient (1545–1563). Die Bestrafung von Mönchen und Nonnen war eine seltene Erscheinung und sollte nicht derart überbetont werden, als ob jedes Kloster einen sadistischen Folterknecht besessen hätte. Das Engagement der Orden für die Armen, die Einsamen und an den Rand der Gesellschaft Gedrängten sowie ihre Bemühungen um ein heiligmäßiges Leben und die Reform der Kirche verdienen weitaus mehr Beachtung als das Klosterstrafrecht.3

Meine Kollegen an der theologischen Fakultät unterstützten meine Suche nach der historischen Wahrheit auch in Phasen, in denen ich, angeekelt von so manchen Details, das ganze Projekt aufgeben wollte. Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Ralph del Colle (†), Prof. Dr. D. Stephen Long, Prof. Dr. Daniel C. Maguire und Prof. Dr. Mickey Mattox. Daneben haben mich stets Prof. Dr. Chad Pecknold, School of Theology and Religious Studies of the Catholic University of America, Prof. Dr. Julius Ruff, Marquette University, und Prof. Dr. Daniel-Odon Hurel, Université Jean Monnet/Saint-Étienne, unterstützt und mich zu neuen Fragestellungen angehalten. Meiner Universität schulde ich Dank für die Bereitstellung wertvoller Ressourcen und ausreichend Zeit für die Forschung – beides Dinge, die im akademischen Umfeld rarer werden. Zu Dank bin ich auch dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv Wien und dem Bistumsarchiv Trier verpflichtet. Das Zentralarchiv der deutschen Franziskaner unter der großartigen Leitung von Fr. Hans-Ulrich und das Zentralarchiv der Bayerischen Kapuziner unter der Leitung von Dr. Carolin Weichselgartner waren offen für meine Fragen und gewährten mir Zugang zu allen Archivalien. Die Franziskaner von Paderborn gewährten mir außerdem außerordentliche Gastfreundschaft, für die an dieser Stelle gleichfalls gedankt sei.

Zwei Orden werden nach der Lektüre besonders mit Klosterkerkern in Verbindung gebracht werden, nämlich die Kapuziner und die Franziskaner. Ich möchte festhalten, dass ich beide Orden zutiefst verehre und nur der Quellenlage gefolgt bin. Besonders die Franziskaner entwickelten ein ausgeklügeltes Strafrecht, das so in anderen Orden nicht existierte. Zwei meiner verstorbenen Onkel waren zudem Kapuziner, und obwohl ich glaube, dass sie die Lektüre dieses Büchleins nicht genossen hätten, so meine ich doch, dass sie für die historische Aufarbeitung Verständnis aufgebracht hätten.

Dieses Buch ist zuvorderst meinem Gymnasiallehrer im Fach Geschichte gewidmet, Alphons Huber. Er war stets ein Vorbild an akademischer Präzision und Kreativität, aber auch ein Mentor, der mich schon als Zwölfjährigen für die Paläografie und Archivstudien interessierte. Ich möchte aber noch eine zweite Widmung anschließen, nämlich an meine Verwandten und Freunde in Ordensgemeinschaften, die mich stets an die Tiefe und Schönheit einer Ordensberufung erinnern.

Milwaukee, 25 August 2014
Ulrich L. Lehner

I.  Einführung: Mythen, Missverständnisse und Legenden

Wo immer Menschen nach Heiligkeit streben, fallen sie auch in Sünde, denn der Weg zur Vollkommenheit ist lang und schwierig, und nicht jeder bewährt sich auf ihm. Es sollte uns daher nicht überraschen, sündhaftes Verhalten auch in Klöstern anzutreffen. Ein Kloster ist, wie der hl. Benedikt bemerkte, stets eine „Schule des Herrn“, und als solche ein nie abgeschlossener Prozess der Angleichung des eigenen Ich an den Herrn. Die Frage ist allerdings, warum Historiker daran interessiert sein sollten, wie Klöster mit schweren Sünden oder Vergehen umgingen.

Es gibt eine Reihe legitimer Antworten auf eine solche Frage. Zu allererst demonstrieren klösterliche Regeln über Kriminalprozesse und Bestrafung die verschlungene Geschichte der Entwicklung des modernen Strafrechts im Kontext des Kirchenrechts. Heutzutage sehen wir es als Selbstverständlichkeit an, dass ein Angeklagter das Recht auf einen Verteidiger hat, ohne zu bedenken, dass diese Praxis ihren Ursprung in den Inquisitionsprozessen des Kirchenrechts hatte und erst auf Umwegen ins moderne Recht übersetzt wurde.4 Andererseits beleuchtet die Geschichte der Klosterkerker auch einen völlig unbekannten Aspekt der Kirchengeschichte, nämlich die Folter von Ordensangehörigen, und zeigt neue Wege auf, Gewalt unter Personen zu untersuchen, die sich als Familienangehörige verstanden. Zweitens demonstriert eine Geschichte von Verbrechen und Bestrafung im Kloster das Bestreben kirchlicher Autoritäten, öffentliche Skandale unter allen Umständen zu vertuschen, auch wenn dies bedeutete, staatliche Autoritäten in die Irre zu führen oder gar staatliches Recht zu brechen. Diese aus dem Mittelalter stammende Tendenz, Skandale – und damit auch jede Transparenz – um jeden Preis zu verhindern, existierte auch in der Frühneuzeit weiter und wurde allem Anschein nach erst im 21. Jahrhundert aufgegeben. Drittens sind Klöster und Orden ein wesentlicher Bestandteil europäischer wie transatlantischer katholischer Kultur. Daher führt die Erforschung der klösterlichen Rechtskultur und -pflege auch zu einem besseren Verständnis für den Katholizismus nach dem Konzil von Trient (1545–1563). Insbesondere eröffnet sie die Möglichkeit, genauer zu analysieren, wie Orden den „heiligen Raum“ ihres Klosters verstanden, von dem sie straffällig gewordene Mitglieder ausschlossen. Das Augenmerk auf Vergehen und Verbrechen in den Orden zu richten hilft dem Historiker auch, ein lebensnahes Bild der Klosterkultur zu erhalten. Ein Einblick in die dunkle Seite der Klosterwelt erinnert an die alltäglichen Probleme, die im Kontext der evangelischen Räte von Keuschheit, Armut und Gehorsam entstehen, und ermöglicht eine überzeugendere, realitätsnahe Analyse frühneuzeitlichen Klosterlebens.5 Viertens: Besonders im achtzehnten Jahrhundert wurde die juristische Souveränität der Klöster durch staatliche Autoritäten hinterfragt oder sogar rundweg bestritten. Klösterliche Kriminalprozesse und Klosterkerker sind daher ein Brennpunkt in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, und neues Wissen über sie bereichert konsequenterweise auch unser Bild von Staat und Kirche im „Langen Achtzehnten Jahrhundert“. Fünftens: Klösterliches Kriminalrecht ermöglicht es Historikern, eine vergessene Gender-Perspektive genauer unter die Lupe zu nehmen: Gab es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Orden im Hinblick auf Vergehen und ihre Bestrafung? Gab es körperliche Strafen auch in Frauenklöstern? Zu guter Letzt ist eine Geschichte der Klosterkerker und des Klosterstrafrechts notwendig, um die vielen Legenden und Gerüchte, die vor allem antiklerikaler und antikatholischer Literatur entstammen, zu korrigieren.

Es bleibt die Frage, warum Klosterkerker selbst unter Fachhistorikern so gut wie unbekannt sind. Trotz der Tatsache, dass selbst der berühmte Karmelitenheilige und Kirchenlehrer Johannes vom Kreuz (1542–1591) einmal ein ganzes Jahr im klostereigenen Kerker schmachtete (1577/78)6, ist der carcer oder das ergastulum als Verwahrungsort für Mönche und Nonnen7 aus dem Bewusstsein verschwunden. Selbst Standardwerke zur Geschichte des Katholizismus erwähnen Klosterkerker nur nebenbei und vermeiden die Frage, wie Klöster (und Bistümer) mit Priestern und Ordensleuten umgingen, die wegen ihrer Vergehen gegen Ordensregeln, Kirchenrecht oder biblische Normen als „geächtet“ oder als „Kriminelle“ angesehen wurden. Dies ist umso erstaunlicher, da schwere Vergehen einen Kriminalprozess erforderten, der je nach Ordensgemeinschaft genau geregelt war.8

Es ist das Ziel dieses Buches zu demonstrieren, dass Klosterkerker und klösterliche Kriminalprozesse einen komplexen Teil des Klosterlebens ausmachten und dessen Dynamik zwischen Reformation und Aufklärung beeinflussten, sowie den Leser zu neuen Forschungsfeldern hinzuführen, welche diese Erkenntnisse eröffnen. Der Fokus dieser Studie liegt auf Zentraleuropa, besonders auf den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, obwohl auch Vergleiche zu anderen europäischen Kulturgebieten gezogen werden. Die Geschichte dieser Gefängnisse erlaubt uns eine neue, erfrischende Perspektive darauf, wie Orden ihren „heiligen Raum“ vom Profanen abgrenzten. Wenn Mönche oder Nonnen inhaftiert wurden, betrachteten sie die Autoritäten des Ordens nicht mehr als Teil des „heiligen Raumes“ der Klausur und daher nicht mehr als Mitglieder ihrer Kommunität. Während kleinere Vergehen nicht die Verbindung zur Kommunität zerstörten, wurde ein Fluchtversuch aus dem Kloster als schweres Vergehen angesehen, das im Wiederholungsfalle zu ewiger Einkerkerung führen konnte. Ordensleute, welche zu lebenslanger Haft verurteilt waren, wurden von Prioren, wie zumindest ein Fall belegt, ermahnt, ihr Schicksal als irdisches Fegefeuer und daher als letzte Chance auf ihre Erlösung im Jenseits anzunehmen. Die Geschichte der Klosterkerker zeigt zudem, dass es kaum einen Unterschied gab zwischen der Bestrafung einer Sünde, einem Verbrechen, und der Übertretung kircheninterner Gesetze. Eine solche Unterscheidung war anscheinend weniger wichtig als der Schutz einer makellosen, heiligen Klausur. Anders als mittelalterliche Stadtgefängnisse war der Klosterkerker unzugänglich für Nicht-Ordensmitglieder.

Auf der Grundlage archivalischer und gedruckter Quellen werde ich versuchen aufzuzeigen, wie man sich das Leben in einer klösterlichen Kerkerzelle vorzustellen hat, welchen körperlichen Züchtigungen man unter Umständen unterworfen war, aber auch wie man zu allererst überhaupt zu Kerkerhaft verurteilt werden konnte.

Klostergefängnisse waren keine freistehenden und vom Rest der Klausur abgeschnittenen Gebäude, sondern meistens Kellerzellen oder speziell ausgewiesene und verschließbare Räume auf höheren Etagen. Nicht einmal die bahnbrechende Arbeit Michel Foucaults (1926–1984), Überwachen und Strafen (1975), die behauptet, dass Gefängnisse als Justizvollzugsinstitutionen erst um 1800 aufkamen, und feststellt, dass frühneuzeitliche Inkarzerierung nur für Bettler, Vaganten und Schuldner vorgesehen war, erwähnt die klösterliche Einrichtung. Auch Pieter Spierenburgs Studie, The Prison Experience (1991), welche einige von Foucaults zentralen Thesen relativierte9, kennt keine Klosterkerker, obwohl sein Argument, säkulare Gefängnisse seien in den Niederlanden und Deutschland bereits im siebzehnten Jahrhundert nachweisbar, durch die Klöster eine nachhaltige Bestätigung erfahren hätte.10

Es gibt also zahlreiche Hinweise auf Klostergefängnisse in Archivalien und gedruckten Quellen. Warum wurden sie von Historikern konsequent ignoriert?11 Ein Grund ist wohl darin zu suchen, dass Historiker zu vorsichtig waren und den Gerüchten der anti-klösterlichen Literatur der Aufklärung12 über dunkle Verliese in Klöstern, mönchische Tyrannei und religiösen Fanatismus nicht einen Deut historische Wahrheit beimaßen. Bei genauerer Untersuchung hätte aber ein durchaus wahrer Kern dieser Erzählungen eruiert werden können. Ein Beispiel ist die Denunziation des Frauenklosters von Reutberg im Jahr 1769 bei der kurbayerischen Regierung: Besorgte Bürger meinten in der Hysterie der Klosterkerkeraufhebungsgesetze, eine arme Nonne schmachte dort in einem unmenschlichen Verlies seit Jahrzehnten vor sich hin. Eine Untersuchung ergab, dass keine einzige Nonne eingekerkert war, dass aber etwa 17 Jahre zuvor eine geistig verwirrte Nonne in der Tat „an die Kette gelegt“ worden und bald darauf verstorben war.13

Ein anderer Grund liegt sicher darin, dass die frühneuzeitliche Kirchen- und Klostergeschichte bis vor einigen Jahrzehnten fast ausschließlich von Kirchenhistorikern behandelt wurde, welche entweder die Existenz von kirchlichen Gefängnissen verschwiegen, kleinredeten oder apologetisch uminterpretierten.14 Die Vorstellung, dass ein Mönch einen anderen folterte, war gerade für Ordenshistoriker ein unerträglicher Gedanke und wurde ebenso wie der des Kerkers aus dem Bewusstsein des Ordens getilgt. Die Protokolle der Kapitelkonferenzen der Bayerischen Franziskaner bezeugen eine solche damnatio memoriae: Die Namen aller zu Kerkerstrafen verurteilten Mönche wurden nachträglich geschwärzt15; Selbstmörder wurden in der Chronik der Bayerischen Kapuziner ohne Namen angeführt („ein Bruder aus dem Kloster zu X hat sich das Leben genommen“), aber zum Großteil sogar kirchlich bestattet.16 Außerdem haben manche Historiker den Klosterkerker ins Reich der Fabel verbannt, weil archivalische Beweise fast nirgends zu finden waren. Diese existieren, allerdings muss man sich manchmal durch Hunderte von Seiten von Visitationsprotokollen oder Sitzungsprotokollen wühlen, um eine oder zwei Zeilen Informationen zu finden. Manchmal ist Material über Klostergefängnisse auch in den Annalen der Ordensgemeinschaften verborgen, oder aber in ansonsten unverdächtigen Dokumenten über „Klosterdisziplin“.17 Auch hätte man durchaus einfach Informationen über klösterliches Strafrecht in den Konstitutionen der Orden finden können, welche aber zumeist nur von Kirchenhistorikern gelesen wurden. Eine weitere Quelle bilden die autobiografischen Schriften ehemaliger Mönche; Akten von Kriminalfällen selbst aber sind wirklich außerordentlich selten. Allerdings sollte uns dies nicht verwundern.18

Dass Akten über Kriminalprozesse im Kloster kaum vorhanden sind, sollte nicht als Argument gegen die Existenz solcher Verfahren oder gegen die Existenz von Kerkern gewertet werden. Der Grund für die Seltenheit solcher Unterlagen liegt vielmehr in der „Diskretion“ der Orden.19 Straffällig gewordene Mönche oder Nonnen waren ein Skandal, und es war die Pflicht jeder Ordensgemeinschaft, ihren guten Ruf zu wahren (fama ordinis) und jegliche öffentliche Aufmerksamkeit im Hinblick auf solche Untaten zu vermeiden.20 Daher wurden sensible Dokumente zerstört, sodass sie nie in die falschen Hände geraten konnten. Die Kartäuser-Statuten von 1582, zum Beispiel, schreiben die Vernichtung der Visitationsprotokolle alle zwei Jahre vor, um sicherzugehen, dass kein Außenstehender je über Disziplinprobleme in ihrem Orden Bescheid bekäme.21 In ihren Statuten von 1782 drohten die österreichischen Piaristen demjenigen, der Geheimnisse ihres Ordens preisgab (extraneis sive secularibus) und einen Skandal verursachte (infamia), eine sechsmonatige Kerkerstrafe an.22 Die Franziskaner hatten eine ähnliche Regel, welche Verschwiegenheit garantierte.23 Die Hieronymiten in Spanien gingen noch einen Schritt weiter und verwahrten alle Kriminalprozessakten im Zentralarchiv der Provinz – wohl mit dem Hintergedanken, dass diese im Fall des Falles einfacher zu vernichten waren, als wenn sie auf mehrere Klöster verteilt gewesen wären.24

Diese Verschwiegenheit der Orden erlaubte sogar die gezielte Vertuschung und Irreführung staatlicher Autoritäten. Als der Kaiser des Hl. Römischen Reiches, Joseph II. (1780–1790), im Jahr 1783 eine offizielle Kommission in die erbländischen Kapuzinerklöster entsandte, um den Gerüchten und Anklagen über unterirdische Verliese und Folterpraktiken nachzugehen, logen die Kapuziner den kaiserlichen Kommissaren ins Gesicht und machten ihnen glaubhaft, dass Kriminalstrafakten in ihrem Orden nie geführt worden wären.25 Der Abt des berühmten Stiftes Klosterneuburg bei Wien behauptete sogar gegen besseres Wissen, dass sein Stift keinen Kerker besäße26, und die Dominikanerinnen-Priorin von Kirchberg gab sich „überrascht“, als die Kommissare einen leeren Kerkerraum fanden, obwohl sie zuvor angegeben hatte, ihr Kloster habe keinen Kerker.27 Orden informierten staatliche Behörden nicht nur falsch, sondern gaben auch Unkenntnis über neue Gesetze vor, welche die Klostergefängnisse abgeschafft hatten. Es war billiger, einen geistig verwirrten Ordensmann in eine Kerkerzelle zu stecken, als für seine Unterbringung bei den Barmherzigen Brüdern Kost und Logie zu bezahlen; wenn der Insasse ein skandalträchtiger Mönch war, dann wollte man ihn umso mehr von der Öffentlichkeit fernhalten, auch wenn dies nun illegal war. Erzherzogin Maria Theresia (1740–1780) schaffte in den Habsburgischen Erblanden 1771 die Klosterkerker ab, aber 1783 schien dies der Prior der Kapuziner in Braunau noch nicht zu wissen. Dies gab er zumindest zu Protokoll. Sicherlich war Braunau erst seit 1779 österreichisch, aber selbst in Bayern, wozu Braunau zuvor gehört hatte, waren die Kerker seit 1769 abgeschafft worden. Allerdings fanden die österreichischen Kommissare in der Klosterbibliothek ein Exemplar des Klosterkerkeraufhebungsgesetzes, das eindeutig die Lüge des Priors entlarvte.28 Im galizischen Augustinerkloster von Zalozce ignorierte der Prior das neue Gesetz ebenso und inkarzerierte bis 1781 Mönche. Er ließ sie zudem auf eine Folterbank spannen und traktierte sie zum Teil mit dreihundert Stockhieben täglich.29 Auch die Bischöfe sahen die staatliche Gesetzgebung, welche die kirchliche Strafgerichtsbarkeit aufhob, als einen Frontalangriff auf ihre Machtstellung an. Es kann daher nicht verwundern, dass der Erzbischof von Wien, Kardinal Migazzi (1714–1803), inoffiziell angeklagt wurde, die Existenz von Klosterkerkern nach dem Aufhebungsgesetz vertuscht zu haben.30 Nur die schwere Bestrafung von Ordensoberen durch den Staat und die Androhung, Klöster zu schließen oder Orden aufzuheben, führten zum Ende der Klostergefängnisse in der Habsburgermonarchie.

II. Der Klosterkerker als Verwahrungsort für Geisteskranke

Ein Klostergefängnis hatte drei Aufgaben: Es war eine Besserungsanstalt für diejenigen Ordensleute, welche wieder in die Kommunität eingegliedert werden konnten, ein Kerker für die unkorrigierbaren Ordensleute und schließlich auch ein Verwahrungsort für Geisteskranke.31

Obwohl aus der Literatur allgemein bekannt ist, dass Klöster geisteskranke oder mental instabile Mitglieder inkarzerierten, haben Kirchenhistoriker vergangener Generationen oft versucht darzulegen, das Schicksal der so inhaftierten Mönche oder Nonnen sei nicht schlimmer, ja sogar wahrscheinlich besser gewesen als in der säkularen Welt. Für die extremsten Fälle von Geisteskrankheit trifft dies in der Tat wahrscheinlich zu, allerdings nicht für die milden Formen. Eine leicht geistig gestörte Person konnte immerhin in Freiheit leben, obwohl sie oder er als „schrullig“ verschrien war, während ein Kloster auch auf die leichten Fälle geistiger Verwirrung mit Wegsperrung in den Kerker reagierte. Ein solch schwerwiegender Freiheitsentzug, der bis weit ins achtzehnte Jahrhundert gang und gäbe war, wurde durch die damals angeordnete medizinische Fachbehandlung noch erschwert: Als Therapiemaßnahmen wurden nämlich durchweg körperliche Züchtigungen verschrieben, welche die gesunden Mönche oder Nonnen zu verabreichen hatten. Dies hatte oft zur Folge, dass sadistisch veranlagte Personen, wie etwa der zuvor erwähnte Augustinerprior, ihre Gewaltfantasien ungezügelt auf dem Rücken der Kranken ausleben konnten, ohne sich je der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen.32

Der österreichische Kapuzinerbruder Nemesian Peikl (gest. 1784) war 1728 in den Kerker gesperrt und erst 1783 in eine psychiatrische Klinik der Barmherzigen Brüder überwiesen worden, und zwar auf Druck der staatlichen Behörden, welche ihn aus seinem Verlies befreit hatten. Nemesian war nicht einmal ein besonders schwerer Fall von Geisteskrankheit. Er war weder gewalttätig noch laut, er hielt sich rein und war fromm. Einige Quellen beschreiben ihn als geistig völlig normal.33 Allerdings konnte sein Verhalten den Orden brüskieren: „Er kniet vor anderen nieder, geht im Garten spazieren und hilft anderen, das Wasser zu tragen.“34 Hier ist eine Erklärung angebracht. Während man durchaus meinen könnte, dass das Niederknien vor anderen, um ihren Segen zu empfangen, eine Geste gewesen sei, die mit der franziskanischen Demut in Eintracht schien, war genau das Gegenteil der Fall. Gemäß den Ordensstatuten war das Niederknien vor anderen eine schwerwiegende Straftat, welche immer (!) eine Gefängnisstrafe forderte. Den staatlichen Kommissaren aber, die den Fall untersuchten, wurde diese Tatsache geflissentlich verschwiegen. Die Kapuziner wussten, dass die staatlichen Behörden ihre Ordensstatuten nicht kannten, und beuteten diese Unwissenheit geschickt aus. Man gab zu, dass Nemesian vor anderen niederkniete, aber beharrte darauf, dass er deswegen natürlich nie zu ewiger Einzelhaft verurteilt worden war.

Es ist für den Historiker schwer auszumachen, ob ein Mönch einfach nur charakterlich schwierig war oder tiefergehende psychische Störungen aufwies, die sich in auffälligem Verhalten niederschlugen. Ende des 18. Jahrhunderts etwa beklagte sich das Münchener Augustinerkloster über einen Frater, der „völlig von Sinnen“ gewesen sei. Als man ihn in eine reguläre Zelle sperren wollte, drohte er, sich aus dem Fenster zu stürzen, sodass man ihn im Kerker unterbrachte und einen Arzt zu Rate zog.35 Ein anderer Fall ist aus Herrenchiemsee überliefert, wo von 1771 bis 1784 und dann wieder ab 1786 ein Frater Benedict eingekerkert war. Er gab an, zur Profess gezwungen worden zu sein, aber sein Gesuch um Entlassung wurde abgewiesen. Er wurde extrem bösartig und gewalttätig, sodass man sich genötigt sah, ihn einzusperren. Allerdings scheint er es im Arrest nicht schlecht gehabt zu haben: Der Propst gab an, dass er zu jedem Mittagessen eine Kanne Wein oder drei Quart Bier bekam, sowie mittags und abends ein Drei- oder Vier-Gänge-Menü. Er scheint aber auch eine exzessive Liebe zu Tieren empfunden zu haben: „Er hatte seine Ergötzung mit Vögeln, Hunden und Katzen, die er vor seinem Fenster und unten an dem Fuße des Gebäudes mit dem Überfluss seiner Speisen nährte.“36 In Reichenhall hatte der Propst in Ivo Elixhauser einen derart „lasterhaften und bösartigen“ Menschen, dass er ständig um Gefahr für Leib, Leben und Güter des Stifts fürchten musste. Elixhauser war nicht nur gewalttätig, sondern wilderte auch im Jagdrevier, sodass die Klage, man befürchte, dass er eines Tages einen Mitbruder im Zorn erschießen könnte, durchaus zu Recht bestanden habe. Nachdem alle Ermahnungen erfolglos geblieben waren und auch der Arrest keine bessernde Wirkung gezeigt hatte, wurde der Salzburger Erzbischof 1772 gebeten, den renitenten Chorherren in seinem diözesanen Kerker einzusperren. Unter Begleitung von bewaffneten Soldaten wurde er in einem verschlossenen Wagen über die salzburgische Grenze gebracht, wo ihn Bediente des Erzbischofs in Gewahrsam nahmen.37

Offiziell fand die Einkerkerung von unliebsamen Mönchen und Nonnen in den österreichischen Landen 1771 ihr Ende, doch wurde, wie oben angemerkt, anscheinend oftmals der Vorwand der Geisteskrankheit benutzt, um dasselbe Resultat, nämlich die Einsperrung, zu erreichen. Daher gab die österreichische Regierung 1783 einen Erlass heraus, der nun vorschrieb, dass alle Geisteskranken dem Kreisamt gemeldet werden sollten. Man erwähnte ausdrücklich, dass Insassen nicht wegen ihres Geisteszustands, sondern „unter dem Vorwand der Geisteskrankheit … aus bloßem Verfolgungs-Geiste“ eingesperrt worden waren. Dies schloss die Klöster ein. Ursprünglich war vorgesehen, dass alle kranken Mönche den Anstalten der Barmherzigen Brüder, welcher der einzige Orden war, der sich auf die Pflege dieser Kranken spezialisiert hatte, zu überlassen seien. Jedoch waren die freien Plätze bald vergeben und die Brüder hoffnungslos überlastet. Daher erlaubte ein neues kaiserliches Hofdekret vom Juni 1783 den Klöstern, ihre Geisteskranken zu behalten, ermahnte sie aber, diese mit „aller Menschenliebe“ zu behandeln.38

Es sind Episoden wie jene aus dem Kapuzinerorden, welche selbst dem hartgesottenen Kirchenhistoriker einen Schauer über den Rücken jagen: Mit eiskaltem Kalkül wurden Mitbrüder und Mitschwestern einer Kommunität gewalttätig bestraft, auch wenn es gegen staatliches Recht verstieß; der Ruf des Ordens war sogar wichtiger als das göttliche Verbot der Lüge.39 Ein anderes Beispiel ist der Kapuzinerbruder Fr. Thuribius. In Poysdorf bei Wien war er im Kerker eingesperrt, da er völlig ruhelos war, laut schrie und sich und seine Zelle nicht reinlich hielt. Der Gefängnisraum war unbeheizt, was bei ihm und anderen Inhaftierten zu Frostbeulen führte. Ferner wurde er von seinen eigenen Mitbrüdern nach deren Gutdünken gezüchtigt. Wann immer der Prior in Rage geriet, wurde der arme Thuribius in die Bibliothek gezerrt und dort mit Ochsenziemern ausgepeitscht, bis er sich nicht mehr bewegen konnte.40 Der verantwortliche Prior wurde von Kaiser Joseph II. wegen unmenschlichen Verhaltens und Verstoßes gegen das Klosterkerkeraufhebungsgesetz seines Amtes enthoben. Allerdings zeigte er sich wenig einsichtig; er verteidigte seine sadistischen Ausfälle mit dem Hinweis, dass Thuribius entweder geisteskrank sei und folglich die Auspeitschungen eine anerkannte medizinische Therapie seien, oder dass er eine moralisch verkommene Person sei, die ebenfalls eine Bestrafung verdiene.

Die Behandlung von geisteskranken Mönchen und Nonnen scheint auf den ersten Blick bei den Barmherzigen Brüdern oder anderen Krankenpflegeorden, die auf derartige Fälle spezialisiert waren, besser gewesen zu sein. Allerdings haben sich Historiker noch relativ wenig mit der Behandlung von geisteskranken Laien in solchen Einrichtungen auseinandergesetzt. Manchmal scheinen Kirchenhistoriker, vor allem solche, welche apologetisch arbeiten, nahezulegen, dass die Orden ihre Patienten besser behandelten als andere Institutionen. Der Beweis für diese These scheint mir aber noch nicht erbracht. Vielmehr gibt es Quellen, die das genaue Gegenteil zu belegen scheinen. Ein Brief über die Behandlung der Kranken im Alexianerkloster von Neuss bei Köln von 1781 etwa berichtet, dass die Patienten und Kerkerinsassen nicht einmal die nötigste Kleidung am Leibe trugen, ihnen aber auch Essen in angemessener Qualität und Quantität vorenthalten wurde, dass sie gewalttätige Misshandlungen durch die Klosterbrüder erlitten und keinerlei Möglichkeit zu körperlicher Bewegung hätten. Sie schmachteten auf durchnässten Strohsäcken, in verdreckte Fetzen gekleidet, zumeist angekettet vor sich hin.41