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Inhalt

 

Die Bedeutung von Niccoló Machiavellis »Fürst« für die Politik

 

Zueignung

(ans Buchende versetzt)

Erstes Kapitel

Verschiedene Arten der Herrschaft, und Wege, zu ihr zu gelangen

Zweites Kapitel

Von den erblichen Fürstentümern

Drittes Kapitel

Von den gemischten Herrschaften

Viertes Kapitel

Warum das Reich des Darius nach Alexanders Tode gegen seine Nachfolger nicht aufstand?

Fünftes Kapitel

Wie Städte oder Fürstentümer zu behandeln sind, die vor der Eroberung ihre eigne Verfassung hatten

Sechstes Kapitel

Von neuen Herrschaften, die durch eigne Waffen und Tapferkeit errungen werden

Siebentes Kapitel

Von neuen Fürstentümern, die durch fremde Unterstützung und durch Glücksfälle erworben werden

Achtes Kapitel

Von denjenigen, welche durch Verbrechen zur Herrschaft gelangen

Neuntes Kapitel

Vom Volke übertragene Herrschaft

Zehntes Kapitel

Wie die Kräfte der Fürstentümer zu schätzen sind

Elftes Kapitel

Von geistlichen Fürstentümern

Zwölftes Kapitel

Von den verschiedenen Arten der Truppen

Dreizehntes Kapitel

Von den Hilfstruppen

Vierzehntes Kapitel

Was der Fürst im Kriegswesen zu beobachten hat

Fünfzehntes Kapitel

Wodurch die Fürsten Lob und Tadel erwerben

Sechzehntes Kapitel

Von der Freigebigkeit und dem Geize

Siebzehntes Kapitel

Von der Grausamkeit und Milde, und ob es besser ist, geliebt, oder gefürchtet zu werden.

Achtzehntes Kapitel

In wie fern ein Fürst sein Wort halten muß

Neunzehntes Kapitel

Verachtung und Haß sind zu vermeiden

Zwanzigstes Kapitel

Ob Festungen und andere Sicherheitsanstalten den Fürsten nützlich oder schädlich sind?

Einundzwanzigstes Kapitel

Wie ein Fürst sich zu betragen hat, um großen Ruhm zu erwerben

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Von den Ministern

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Schmeichler sind zu fliehen

Vierundzwanzigstes Kapitel

Wie die Fürsten Italiens ihre Herrschaften verloren haben

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Welchen Einfluß das Glück auf die Angelegenheiten der Menschen hat

Sechsundzwanzigstes Kapitel

Aufruf, Italien von der Fremdherrschaft zu befreien

 

Erläuterungen zu einzelnen Kapiteln

Impressum

 

Innentitel

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Die Bedeutung von Niccoló Machiavellis »Fürst« für die Politik

 

Auf seinem Totenbett wurde Niccoló Machiavelli bedrängt, den Teufel und all dessen Werke zu verfluchen. »Dies ist nicht die Zeit, um sich Feinde zu machen« erwiderte er, lehnte sich in sein Kissen zurück und verschied.

Zitiert nach Theo Sommer, der hinzufügt, dass es sich um eine nicht verbürgte Anekdote handelt.

 

Aus Tradition trägt dieses Buch einen falschen deutschen Titel. »Il Principe«, so der Originaltitel, spricht nämlich nicht explizit über den Monarchen, der qua Adelsstand und Titel an der Spitze des Staates steht – nein, es bezieht sich auf den Herrscher und Anführer ganz allgemein, egal welche Staatsform er vertritt, egal welcher politischer Couleur er angehört. Gerade dies, diese allgemein gültige Führungstheorie, die Machiavelli sachlich und analytisch aufstellte, machte das Buch zu einem Weltbestseller. Und zu einer begehrten Lektüre für Menschen in Führungspositionen, in der Politik, aber auch in anderen Bereichen, in denen Macht eine zentrale Rolle spielt: Früher war das zum Beispiel die Kirche, heute ist es die Wirtschaft und die Finanzindustrie.

Das Ganze ist nicht unmoralisch, nein, es ist moralfrei. Moral ist keine Kategorie, die in Machiavellis Überlegungen wirksam wird. Als ungemein erfahrener Politiker und Diplomat seiner Zeit war er lediglich ein präziser Analytiker der Funktionsmechanismen, die er vorfand. Er sagte nicht, dass sie die besten seien, er sagte nicht, dass sie anzustreben seien, er erklärte nur, dass und wie sie wirkten.

Seine Herangehensweise an das Thema war eine empirisch-wissenschaftliche. Und damit war er der erste – das Buch ist immerhin bereits im Jahre 1513 verfasst – der politische Verhältnisse methodisch analysierte. Heute würde man sagen: wissenschaftlich. Damit war er seiner Zeit weit voraus. Einige Biographen vermuten, das die über Jahre enge Zusammenarbeit mit Leonardo da Vinci, der zeitweise am gleichen Hofe tätig war, Machiavelli in seinem Denken geschult habe.

Eines der meist gelesenen Kapitel des Buches ist wohl das Siebzehnte, in dem Machiavelli fragt, ob es für den Fürsten wohl besser sei, geliebt oder gefürchtet zu werden. Er antwortet: »Beides (ist) gut ist; da aber schwer ist, beides miteinander zu verbinden, so ist es viel sicherer, gefürchtet zu werden, als geliebt«. Mit Furcht ist man also auf der sicheren Seite, so Machiavelli. Denn: »Die Menschen machen sich weniger daraus, den zu beleidigen, der sich beliebt macht, als den, der gefürchtet wird; denn die Zuneigung der Menschen beruhet auf einem Bande der Dankbarkeit, das wegen der schlechten Beschaffenheit der menschlichen Natur abreißt, sobald der Eigennutz damit in Streit gerät: die Furcht aber vor Züchtigung lässt niemals nach.«

Und weiter: »Doch muss der Fürst sich auf solche Art fürchten machen, dass er nicht verhasst werde; denn es kann recht gut miteinander bestehen, gefürchtet zu sein und nicht gehasst. Hierzu ist vornehmlich erforderlich, dass er sich der Eingriffe in das Vermögen seiner Bürger und Untertanen, und ihrer Weiber enthalte. Ist es ja notwendig, einem das Leben zu nehmen, so geschehe es so, dass die gerechte Ursache am Tage liege.«

Eine Handlungsanweisung für alle Diktatoren der Welt, und spontan kommt einem dabei der gestürzte Libysche Staatschef Muammar al-Gaddafi in den Sinn. 42 Jahre lang, so lange wie kein anderer afrikanischer Herrscher, hat er es geschafft, mit der machiavellinischen Methode sein Volk still und ruhig zu halten. Bis ihm irgendwann die Balance zwischen Furcht und Hass entglitt: Am Ende war er nicht mehr respektiert, vielleicht noch gefürchtet, aber auf jeden Fall verhasst – und endete wie ein auf der Flucht erschlagener Verbrecher, nicht wie ein Staatsmann. Doch andererseits ist es erschreckend, wie lange sein Regime funktionieren konnte – und dass es dabei sogar von den westlichen Demokratien unterstützt und gestärkt wurde.

Machiavelli, der Ratgeber der Diktatoren, was war er eigentlich für ein Mensch? Ein Lehrer des Bösen, ein Bote des Teufels, ein gefühlskalter Krieger? Alles andere als das. Er war im Grunde seines Herzens ein Republikaner, einer, der an das Recht des Volkes, sein Schicksal selbst zu bestimmen, glaubte.

Der Italiener Pasquale Villari, einer der ersten Machiavelli-Biographen, lieferte diese äusserliche Personenbeschreibung: »Er war »von mittlerer Größe, mager, mit sehr lebhaften Augen, einem etwas kleinen Kopf, einer leicht gebogenen Nase, einem stets zusammengepressten Mund: Alles hatte bei ihm den Eindruck eines sehr gewandten Beobachters und eines Denkers, doch nicht eines achtungsgebietenden und auf andere einwirkenden Mannes. Er konnte sich nicht leicht von seinem Sarkasmus frei machen, der immerfort um seine Lippen spielte, aus seinen Augen sprühte und ihm den Anschein eines berechnenden und nüchternen Kopfes gab.«

Ein Fürst, ein Herrscher, das war für Machiavelli nur das kleinere, notwendige Übel, das er in Kauf nehmen musste. Denn sein Land befand sich in einer Zeit chaotischer Auflösung. Italien wurde überschwemmt von französischen und spanischen Eroberern, in den Städten herrschten Aufruhr und Umsturz, wechselnde Regierungen und Mächte waren an der Tagesordnung. Auch der florentinische Staatssekretär Machiavelli geriet in den Strudel, wurde des Verrats angeklagt, verhaftet, gefoltert, schließlich aufs Land verbannt.

Warum schrieb Machiavelli, dessen anderes großes Werk »Discorsi« für Anstand, Moral und Rücksichtnahme plädiert, »Il Principe« als kalkulierte Handlungsanweisung für einen Autokraten? Zwei Motive lassen sich ausfindig machen: Machiavelli sehnte sich nach politischer Ordnung, und die herzustellen, traute er nur einem starken Fürsten zu. Das war sein politisches Motiv. Daneben hatte er ein persönliches: Durch seine Schrift wollte der in Ungnade Gefallene bei den regierenden Medici seine Reputation wiederherstellen, sich wieder für ein Staatsamt qualifizieren.

Daher die überschwängliche Zueignung des Buches an den »Großmächtigen Lorenzo, Sohn des Piero von Medici«, die vor Beginn des eigentlichen Textes steht (in unserer Ausgabe ans Ende des Buches versetzt). Doch die Medici reagierten nicht wie erhofft. Erst als nach dem Aufstand gegen die Führerclique der Medici am 16. Mai 1527 die Republik wieder ausgerufen wurde, konnte sich Machiavelli erneut um eine Sekretariatsstelle bewerben – wurde aber auf der Sitzung des Großen Rates am 10. Juni 1527 mit 555 gegen 12 Stimmen abgelehnt. Dieser Schlag traf ihn auch körperlich: Nur knapp zwei Wochen später, am 21. Juni 1527, starb er.

Die aktuelle Politik und Machiavelli: Auch der Politikstil unserer aktuellen Kanzlerin ist in dem Sinne machiavellistisch, als sie alles für den Erhalt der Macht tut. Jede politische Kehrtwendung, jede Taktik und jedes strategische Manöver ist ihr probates Mittel, um die Macht zu behalten. Wie »Il Principe« verbrüdert sie sich mit den Mächtigen im Lande (Atomlobby, Banken usw.), hält nebenbei das einfache Volk mit kleinen (z.B. Steuer) Erleichterungen bei Laune, vermeidet, dass Hass aufkommt. Wirklich vorwerfen kann man ihr das nicht, denn das ist leider das Funktionsprinzip der Politik – auch in der heutigen Zeit, 500 Jahre nach Machiavelli. Und nicht nur in der Monarchie, sondern sogar in der parlamentarischen Demokratie.

Schlimm ist, dass man damals wie heute die Herrschenden unsäglich schwer wieder von der ihnen verliehenen Macht trennen kann. Denn die inzestuösen Strukturen, die die Parteien geschaffen haben, lassen einem bei der Wahl, der einzigen legitimen rechtsverbindlichen Einflussnahme des Bürgers, meist nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und in der Zeit zwischen den Wahlen sind die Bürger sowieso entmündigt. Sie werden nicht gefragt, egal, wie gewichtig die Entscheidungen sind. Deshalb fehlt eigentlich als Gegengewicht eine ähnlich und brauchbare Handlungsanweisung für die Bürger: »Wie der Souverän, das Volk, einen versagenden Herrscher aus dem Amt befördern kann«. Leider hat uns Machiavelli so ein Buch nicht hinterlassen.

Fassen wir zusammen: Machiavellis Theorie für den Herrscher ist gut, sie funktioniert, aber es fehlt etwas: Es ist die, nun ja, nennen wir es Moral. Die Verantwortung des Fürsten ein eigenes Versagen, ein eigenes Scheitern anzuerkennen. Einen Weg des Rückzugs. Doch das wäre radikal, dann hätte man ein völlig anderes Denken, ein völlig anderes System, wie Politik auch funktionieren kann. Und wie sie insbesondere heute, in Zeiten der Transparenz, der theoretisch möglichen hundertprozentigen Mitbestimmung der Bürger in allen Dingen, der sekundenschnellen Aufklärung von Verdunkelungen via Internet, sein könnte und sollte: Macht nicht um des Machterhalts, sondern Macht im Auftrag, im Sinne und zum Nutzen der Bürger, die man heute nicht mehr Untertanen nennt, die aber oft noch immer so behandelt werden.

Nun kann man überlegen, ob die Tatsache, dass Machiavellis Theoreme, heute, 500 Jahre später, in der Politik immer noch funktionieren, ein Beweis dafür ist, wie genial, allgemeingültig und weitsichtig sein Buch war. Oder ob es ein Armutszeugnis dafür ist, dass sich die Politik in ihren archaischen und primitiven Mechanismen seit 500 Jahren kaum weiterentwickelt hat. Wahrscheinlich beides.

A. Fischer, Redaktion eClassica

 


Erstes Kapitel

Verschiedene Arten der Herrschaft, und Wege, zu ihr zu gelangen

Alle Staaten und Gewalten, welche Herrschaft über die Menschen gehabt haben und noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer. Diese sind entweder ererbt, indem sie von dem Geschlechte des Herrschers schon lange regiert worden sind; oder sie sind neu errichtet. Die neuen sind entweder von Grund aus neu, so wie die Herrschaft des Franz Sforza zu Mailand; oder sie sind nur als Teile dem erblichen Staate dessen, der das Land erwirbt, hinzugefügt, wie z. B. das Königreich Neapel dem Könige von Spanien gehört. Solche neu erworbene Staaten sind entweder schon früher an die Herrschaft gewöhnt gewesen, oder die Freiheit ist in ihnen hergebracht. Sie werden erworben: durch fremde Gewalt, oder durch eigne Kräfte; durch Glück, oder durch Tapferkeit.


Zweites Kapitel

Von den erblichen Fürstentümern

Von Republiken will ich nicht reden, weil dies von mir bereits in einem andern Werke ausführlich geschehen ist. Ich wende mich zur Alleinherrschaft, und werde nach der oben angegebenen Ordnung erörtern, wie solche erworben und behauptet werden kann. Ich sage also, daß in den erblichen Fürstentümern, die an die Dynastie ihrer Herren gewöhnt sind, viel weniger Schwierigkeiten entstehen, sie zu erhalten und zu behaupten, als bei neuen: weil es nur darauf ankommt, die Verhältnisse, so wie sie unter den Vorfahren waren, nicht zu verändern, und bei allen Vorfällen in die Gelegenheit zu sehen. Ein solcher Fürst wird sich also stets auf dem Throne erhalten, es sei denn, daß ganz ungewöhnliche und außerordentliche äußere Gewalt ihn desselben beraube; und wird er der Herrschaft beraubt, so vermag er sie wieder zu erlangen, sobald dem, der sie ergriffen hat, etwas Widriges begegnet. Wir haben in Italien ein Beispiel an dem Herzoge von Ferrara, der den Venezianern im Jahre 1484 und darauf dem Papst Julius dem Zweiten durch nichts Anderes Widerstand geleistet hat, als durch seine in langer Zeit fest begründete Herrschaft. Denn der angeborne Fürst hat weniger Veranlassung, und ist selten in der Notwendigkeit, zu beleidigen. Er ist daher mehr beliebt, und es ist natürlich, daß die Seinigen ihm wohlwollen, wenn er sich nicht durch außerordentliche Last verhaßt macht. In der Länge der Zeit einer fortgesetzten Herrschaft wird die Veranlassung und die Erinnerung der Neuerungen vergessen, wohingegen Eine Neuerung immer durch sich selbst die Veranlassung zu andern nachfolgenden zurückläßt.

 


Drittes Kapitel

Von den gemischten Herrschaften

Aber die neuen Herrschaften sind ganz andern Schwierigkeiten unterworfen. Und zwar erstens, wenn nicht das ganze Reich neu ist, sondern nur ein Teil davon, und es also ein vermischtes Reich genannt werden könnte, so entstehen gewaltsame Veränderungen aus natürlicher Schwierigkeit, welche allen neuen Herrschaften gemein ist, und daher rührt, daß die Menschen gern ihren Herrn verändern, in Hoffnung, daß es besser werden könne, und die Waffen hierauf ergreifen: darin aber irren sie, indem sie bald erfahren, daß es schlimmer wird. Und das liegt wieder in der Natur der Dinge: weil der neue Herr seine Untertanen mit Soldaten und auf manche andre Art zu bedrücken genötigt ist, bloß weil die Herrschaft neu ist. Du wirst also alle diejenigen zu Feinden haben, die du durch die Eroberung selbst beleidigt hast, ohne diejenigen, durch deren Hilfe du Herr geworden bist, zu Freunden zu behalten, weil du sie nicht nach ihren Wünschen befriedigen kannst, und auch keine kräftigen Heilmittel anwenden darfst, wegen der Dankbarkeit, die du ihnen schuldig bist. Denn auch der Mächtigste bedarf der Begünstigung von Einheimischen, um in das Land einzudringen. Aus dieser Ursache hat Ludwig der Zwölfte von Frankreich Mailand so geschwind erobert, und so geschwind wieder verloren. Das erste Mal war die eigne Kraft des vertriebenen Herzogs Ludwig Sforza hinreichend, weil das Volk, das jenen eingeführt hatte und sich in seiner Hoffnung getäuscht fand, den Widerwillen gegen die neue Herrschaft nicht ertragen mochte. Es ist wahr, daß so zum zweiten Male eroberte Länder nicht wieder so leicht verloren gehen, weil der Herr von der Rebellion Veranlassung nimmt, sich durch strenge Maßregeln zu sichern, Verbrecher zu strafen, Verdacht aufzuklären, und an den schwachen Stellen Vorkehrungen zu treffen. Wenn es, um Mailand den Franzosen zu entreißen, das erste Mal hinreichend war, daß ein Herzog Ludwig an der Grenze Rumor anfing, so mußte sich zum zweiten Male die ganze Welt dagegen vereinigen, um die französischen Heere zu vernichten oder zu vertreiben. Die Ursachen sind oben angegeben. Dennoch verlor Frankreich das mailändische Gebiet zum zweiten Male. Die allgemeinen Veranlassungen der ersten Begebenheit sind erzählt; es bleibt also noch übrig, die Ursachen der zweiten zu betrachten, und die Mittel anzugeben, wie man sich in solcher Lage besser behaupten kann, als der König von Frankreich getan hat. Ich sage also, daß solche Provinzen, welche erobert und mit den alten Staaten des Eroberers verbunden werden, entweder zu demselben Lande gehören und dieselbe Sprache reden, oder nicht. In dem ersten Falle ist es sehr leicht, sie festzuhalten, vorzüglich, wenn sie nicht an Unabhängigkeit gewöhnt gewesen sind. Um sie mit Sicherheit zu beherrschen, ist es hinreichend, die Familie ihrer vorigen Beherrscher auszurotten; denn weil die Einwohner ihre alten Gewohnheiten und Verhältnisse beibehalten, auch übrigens gleiche Sitten mit ihren neuen Mituntertanen haben, so leben sie ruhig; wie man es in der Bretagne, Gascogne, Normandie gesehen hat, welche schon lange mit Frankreich verbunden sind. Wenngleich zwischen diesen Provinzen und dem übrigen Frankreich in der Sprache geringer Unterschied ist, so kommen doch die Sitten überein, und daher vertragen sie sich leicht mit einander. Wer solche Provinzen erobert hat und sie behalten will, muß auf zwei Dinge Rücksicht nehmen. Erstens: die Familie der vorigen Regenten zu verlöschen; zweitens: die alten Gesetze und Verfassungen nicht abzuändern: so werden alte und neue Staaten baldmöglichst zu einem Ganzen zusammenschmelzen. Aber wenn Provinzen eines Landes erobert werden, das an Sprache, Sitten, Verfassung verschieden ist, so entstehen Schwierigkeiten, und es gehört viel Glück und große Bemühung dazu, sie zu behalten. Eines der kräftigsten Mittel ist, daß der Eroberer selbst sich hinbegebe, um daselbst seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Dadurch wird der Besitz gesichert und dauerhaft. So haben es die Türken mit dem griechischen Reiche gemacht, welches sie trotz aller andern angewandten Bemühungen nicht hätten behaupten können, wenn sie nicht die Residenz in Konstantinopel genommen hätten. Denn wenn der Regent sich selbst da befindet, so sieht er alle Unordnungen in ihrer Entstehung und kann geschwind abhelfen. Ist er nicht gegenwärtig, so vernimmt er sie erst, wenn sie schon sehr angewachsen sind, und keine Hilfe mehr ist. Außerdem wird das Land nicht von den Beamten des Regenten ausgeplündert: es beruhigt die Einwohner, zu ihm selbst seine Zuflucht nehmen zu können. Ist er gut, so wird er geliebt; wo nicht, so wird er doch gefürchtet. Fremde, die den Staat angreifen möchten, haben mehr Rücksicht zu nehmen. So lange der Regent da wohnt, ist es schwer, ihn dessen zu berauben.

Das zweite vorzügliche Mittel ist, Colonien an einen oder zwei Orte zu senden, die Schlüssel des Landes sind. Dies ist notwendig. Wer es unterläßt, muß wenigstens hinreichende Kriegsmacht daselbst halten. Die Kolonien kosten dem Fürsten nicht viel. Er besetzt sie ohne vielen Aufwand und beleidigt nur diejenigen, die von Haus und Hof vertrieben werden, um neuen Bewohnern Platz zu machen. Dies ist immer nur der kleinere Teil. Diese Beleidigten leben zerstreut und sind arm: sie können wenig schaden, und alle übrigen werden leicht beruhigt, oder sie fürchten sich, daß es ihnen so ergehen möchte wie Jenen, wenn sie sich rührten. Wohl zu merken ist, daß die Menschen entweder zur Ruhe geschmeichelt, oder vernichtet werden müssen. Denn wegen geringer Beleidigungen rächen sie sich; wegen großer vermögen sie das nicht. Jede Verletzung muß also so zugefügt werden, daß keine Rache zu besorgen ist. Wird statt der Colonien Besatzung gehalten, so kostet das so viel, daß die Einkünfte des neuen Staats daraufgehen. Die Eroberung schlägt also zum Schaden aus und verletzt weit mehr, weil sie den ganzen neuen Staat trifft. Jeder fühlt die Last der Einquartierung, und Jeder wird Feind; diese Feinde aber bleiben, wenn sie geschlagen sind, in ihren eignen Wohnungen. Nach allen Seiten also ist diese Besatzung schädlich: die Colonien hingegen sind nützlich. Ferner muß der Herr einer solchen für sich bestehenden abgesonderten Provinz sich zum Oberhaupte und Beschützer der schwächeren Nachbarn machen, und die Mächtigen unter ihnen zu schwächen suchen: vor allen Dingen aber verhindern, daß kein andrer Fremder, der so mächtig wäre als er selbst, hereindringt. Solche werden immer von Unzufriedenen, aus Ehrgeiz oder aus Furcht hereingelassen. Man hat einst gesehen, daß die Römer durch die Ätolier nach Griechenland gelassen wurden. Eben so sind sie in alle Länder, in die sie gedrungen, durch die Einwohner hereingerufen. Es geht damit also zu. Sobald ein Fremder in einem Lande Fuß faßt, so hängen sich alle Mindermächtigen in demselben an ihn, aus Neid gegen denjenigen, der im Lande selbst der Mächtigste war. Gegen jene Mindermächtigen ist also nur wenig zu tun. Sie sind leicht gewonnen, und machen gemeinschaftliche Sache mit dem neu eingedrungenen. Dieser hat nur zu sorgen, daß jene nicht mächtiger werden; und er kann leicht diejenigen, welche das Haupt emporheben, niederdrücken, und also selbst die Oberhand behalten. Wer diese Verhältnisse nicht gut zu regieren weiß, verliert seine Eroberung, und hat unendliche Mühe und Verdruß, so lange er sie behält. Die Römer führten ihre Sache in den eroberten Provinzen sehr gut, sandten Colonien hin, unterstützten die Schwachen, ohne sie zu stark werden zu lassen, demütigten die Mächtigen, und ließen das Ansehen mächtiger Fremden nicht aufkommen. Griechenland dient hinlänglich zum Beispiele. Sie hielten die Achäer und Ätolier aufrecht, sie erniedrigten die Könige von Macedonien, vertrieben den Antiochus. Achäer und Ätolier konnten durch alle ihre Verdienste um sie doch nicht die Erlaubnis auswirken, irgend einen Staat mit sich zu verbinden; durch alle Schmeicheleien des Philipp ließen sie sich nicht verleiten, seine Freunde zu sein, ohne ihn niederzuhalten; Antiochus konnte mit aller seiner Macht nicht bewirken, daß sie ihm zugestanden hätten, in Griechenland festen Fuß zu fassen. Die Römer taten in diesen Fällen, was alle vorsichtigen Regenten tun müssen, welche nicht allein auf die gegenwärtigen, sondern auch auf die künftigen Unruhen achten und diesen begegnen. Was man von ferne kommen sieht, dem ist leicht abzuhelfen; wenn man aber wartet, bis das Übel da ist, so kommt die Arznei zu spät, und es geht, wie die Ärzte von der Lungensucht sagen: daß sie zu Anfang leicht zu heilen, aber schwer zu erkennen; wenn sie aber im Anfange verkannt worden, in der Folge leicht zu erkennen und schwer zu heilen sei. Eben so geht es dem Staate. Auch in ihm sind die Übel, die man von fern erkennt, (das vermag aber nur der, welcher Verstand hat) leicht und geschwind geheilt; hat man sie aber so weit anwachsen lassen, daß Jeder sie erkennt, so ist kein Mittel mehr dagegen zu finden. Die Römer also sahen die Verlegenheiten, ehe sie entstanden, von ferne, und ließen sie nicht näher kommen, um einen Krieg für den Augenblick zu vermeiden. Denn sie wußten, daß man einem Kriege nicht so entgeht, wohl aber nur zum Vorteile des Gegners aufschiebt. Sie beschlossen also mit Philipp und Antiochus in Griechenland Krieg zu führen, um ihn nicht in Italien selbst bestehen zu müssen. Sie konnten ihn zu der Zeit wohl vermeiden; aber es gefiel ihnen nicht, was die Weisen unsrer Zeit im Munde führen: Zeit gewonnen, Alles gewonnen. Sie verließen sich vielmehr auf ihre Tapferkeit und Klugheit. Denn die Zeit treibt Alles vor sich her, Gutes wie Schlimmes; Schlimmes führt sie aber auch eben so leicht herbei als Gutes.