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Vorwort des Herausgebers

»Ihr Kirchenführer, … nachts geht ihr zu euren Konkubinen

und morgens zu euren Sakramenten.«

Girolamo Savonarola (Dominikanermönch)

Savonarola wurde exkommuniziert, verhaftet, erhängt und verbrannt.

 

Im Sommer 1492 liegt Papst Innozenz VIII. im Sterben. Viele Kardinäle eifern um seine Nachfolge. Als der Spanier Rodrigo Borgia (1431–1503) unter dem Namen Papst Alexander VI. durch Intrigen und Bestechung auf den Stuhl Petri gelangt, stattet er seine unehelichen Kinder Cesare, Juan und Lucrezia mit hohen Ämtern aus. Von nun an werden Mord, Vergewaltigung und Inzest zum Alltag innerhalb der Mauern des Vatikan gehören.

Lucrezia Borgia, die Tochter des Papstes, die er noch in seiner Zeit als Kardinal mit seiner Geliebten Vanozza de’ Cattanei zeugte, ist eine der schillerndsten Gestalten dieser Zeit. Ein libidinöses Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare wird ihr genauso nachgesagt wie der Beischlaf mit ihrem Vater, dem Papst – der andererseits noch im hohen Alten von über Siebzig mit seiner blutjungen Geliebten Giulia Farnese beschäftigt war.

Stoff, aus dem Hollywood-Filme sind, ebenso wie TV-Dramen. Stoff, den aber schon lange vorher Alfred Henschke alias Klabund für seinen großen historisch-zeitkritischen Roman »Borgia« aufgriff. Er zeigt uns den Klerus in Zeiten der Renaissance von einer Seite, von der wir wenig wissen und die bis heute erfolgreich von der Kirche totgeschwiegen wird: Sexsüchtig, korrupt, machthungrig, mordlüstern und skrupellos.

Neben Vanozza de’ Cattanei und Giulia Farnese hatte Alexander IV. Beziehungen zu zahlreichen weiteren Mätressen. Manche sprachen sogar von einem geheimen Harem des Papstes. Mindestens acht Kinder, vermutlich mehr, entsprangen diesen Verbindungen. Dass sich der Papst noch als Siebzigjähriger Giulia Farnese als sehr junge Mätresse hielt, erregte selbst zur damaligen Zeit Widerspruch. Die Römer nannten die junge Schönheit blasphemisch »Sponsa Christi« (Braut Christi).

Als Hauptquellen für seinen Roman dienten Klabund sowohl die Aufzeichnungen des Deutschen Johannes Burckhard, der für Rodrigo Borgia alias Papst Alexander VI. (Amtszeit: 1492–1503) als Zeremonienmeister fungierte, als auch das Werk des Schweizer Kulturhistorikers Jacob Christoph Burckhardt: »Kultur der Renaissance in Italien«, erschienen 1860.

Klabunds Romanstil in Borgia ist äussert modern: Knappe, reportagehafte Darstellung, Wort-Sparsamkeit statt ausufernder Erklärungen, harte Schnitte, schnelle Szenenwechsel. Wie ein Puzzle fügt sich nach und nach ein plastisches Bild der Zeit – mit Einblicken, die einen sprachlos zurücklassen.

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Über den Autor: Alfred Henschke (1890–1928), der sich den Namen Klabund gab, ist einer der vielen großen Vertreter deutscher Literatur zwischen den beiden Weltkriegen, ein Zeitgenosse von Stefan Zweig, Franz Kafka, Kurt Tucholsky oder Rainer Maria Rilke – um nur einige zu nennen. – Aber trotz seines großen und umfangreichen Werkes blieb eine echte Wiederentdeckung dieses Autors, dessen Bücher wie so viel andere während der Nazizeit verboten waren, nach dem zweiten Weltkrieg aus.

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Alfred Henschke alias Klabund, um 1915. Trotz seiner Krankheit ein unermüdlicher Arbeiter und akribischer Wortakrobat (Lithographie von Emil Orlik)

Klabund – es klingt wie der Name eines fahrenden Sängers, eines Zugvogels und Wandersmanns, und so war es von Henschke auch gewollt. Eine Zusammensetzung aus Klabautermann und Vagabund sei der Name. Gleichzeitig aber auch ein in Nord- und Nordostdeutschland geläufiger Familienname, den oft Apotheker tragen – und aus einer Apothekersfamilie stammte auch Alfred Henschke.

Nach den Abitur 1909, das er mit ausgezeichneten Noten abschloss, sollte er etwas Vernünftiges lernen, und ging nach München, um Chemie und Pharmazie zu studieren. Schnell geriet er aber in den Sog der Bohème und wechselte die Fächer: Der Philosophie, Philologie und den Theaterwissenschaften widmete er sich schließlich, verkehrte in Künstlerkreisen, und lernte zum Beispiel den Schriftsteller Frank Wedekind kennen. – Obwohl er schon mit 16 Jahren an Tuberkulose erkrankt war, und die Krankheit ihn nie mehr loslassen sollte, ließ sich Klabund in seiner Schaffenskraft nicht hemmen. Auch auf verschiedenen Kurreisen (Italien, Davos), suchte er die Gesellschaft von Gleichgesinnten. Im Tessin schloss er sich einem Kreis pazifistischer deutscher Emigranten an, die eng mit dem Monte Verità von Ascona, der heute als eine der Wiegen der Alternativbewegung gilt, verbunden waren. In Locarno zog er mit seiner Geliebten in eine Villa, in der um dieselbe Zeit Ernst Bloch, Hermann Hesse oder Else Lasker-Schüler verkehrten.

Klabunds erster Band mit Gedichten erschien 1913 in Berlin unter dem Titel »Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!« Danach folgten viele weitere Werke – 25 Theaterstücke und 14 Romane. Die Nachdichtung der chinesischen Geschichte »Der Kreidekreis« inspirierte später Bertold Brecht zu seinem bekannten Theaterstück »Der kaukasische Kreidekreis«.

›Borgia‹, einer von vier Klabund-Romanen mit geschichtlichem Hintergrund, erschien 1928 – kurz nach dem Tod des Autors.

Redaktion eClassica