Lukas Diringshoff

Der islamische Terror

Wie der IS unsere Weltordnung gefährdet

Mit einem Vorwort von Hamed Abdel-Samad

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Originalausgabe
1. Auflage 2015
© 2015 CBX Verlag, ein Imprint der Singer GmbH
Frankfurter Ring 150
80807 München
info@cbx-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf in keinerlei Form – auch nicht auszugsweise – ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Nina Knollhuber
Umschlagabbildung: Depositphotos | Olesha
Buchsatz: text-wird-buch.de
Druck und Bindung: Druckerei Theiss, St. Stefan
Printed in Austria

ISBN: 978-3-9816801-2-6

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Hamed Abdel-Samad

Vorzeichen: Die schwarze Flagge des Dschihad

Was ist der „Islamische Staat“ (IS)?

Wie IS entstand

2000–2006: Ursprünge und Gründung

Exkurs: das Verhältnis zu al-Qaida

2006–2010: Neue Führung und Niederlagen

Exkurs: IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi

Ab 2011: Terror im syrischen Bürgerkrieg

Von der Terrorgruppe zum „Islamischen Staat im Irak“ (ISI)

Was hat der „Islamische Staat“ mit dem Islam zu tun?

Der Wahhabismus

Exkurs: Wahhabiten und Salafisten

Konfliktträchtige Mischung

Saudi-Arabien im Visier des IS

Die Charidschiten – Inspiration für den IS?

Islamische Elemente beim IS

IS als Kalifat

Tradition und Interpretation des Kalifats

Regeln und Werte

Strategie gegen Feinde und Abtrünnige

Was man über das IS-Kalifat wissen sollte

Die Strategien von IS

Brutalität als Strategie

Irak 2006 und 2014: ein Vergleich

Die Situation in Syrien

Psychologische Kriegsführung mittels Social Media

Dabiq – das Magazin des IS

Harte Fakten: Zahlen und Daten rund um den IS

Der IS-Jahresbericht „al-Naba“ – mehr als nur Statistik

Der IS in zehn Zahlen auf den Punkt gebracht

Geldquellen und Geldflüsse: So wird der Terror finanziert

IS gegen den Rest der Welt

Die islamischen Länder

Irak

Syrien

Jordanien

Libanon

Israel

Die Palästinensischen Autonomiegebiete

Türkei

Die PKK (Kurdische Arbeiterpartei)

Saudi-Arabien

Warum sind die Länder so machtlos?

Reaktion gemäßigter Muslime

Muslime in Europa

Die USA

Starke Führerschaft statt „Checks and Balances“

Hoffnung auf demokratischen Wandel

Das Scheitern Obamas

Der Einfluss der Neokonservativen

Die USA und die Krise im Irak

Der Irakkrieg und die Folgen

Das Zögern der USA

Militärisches Engagement gegen IS

Russland: Kritik an den Einsätzen

Großbritannien: begrenzte Beteiligung

Frankreich: IS-Terror und Bombardements

Australien: größter Anti-Terror-Einsatz der Geschichte

Deutschland und IS

Die Verantwortung von Politik und Gesellschaft

Ist Deutschland auch in der Pflicht?

Was kann die Gesellschaft tun?

Können auch kleine Gemeinden etwas tun?

Medien und Meinungsbildung

Religionsfreiheit und ihre Grenzen

Die Folgen für Deutschland

Abschiebung im Fall Erhan A.

Die Macht der Medien

Soziale Netzwerke und ihre Gefahr

Die Wuppertaler Scharia-Polizei

Exkurs: Der deutsche Salafist Bernhard Falk

Der Lockruf des Terrors

Aus den Ghettos in den Krieg

Welche Rolle spielt der Glaube?

Auf der Seite der Stärkeren

Die Geschichte wiederholt sich

Die Werber des Todes

Wer trägt die Schuld?

Gezielte Anwerbung – live und online

Exkurs: Vom Gangsta-Rapper zum IS-Propagandisten – die Geschichte von Denis Cuspert

Kindheit und Jugend

Der Gangsta-Rapper

Radikalisierung

Kampflieder

Cuspert schließt sich „Millatu Ibrahim“ an

Deutschland als Kriegsgebiet

Cuspert und der IS

Musik-Tantiemen zur Terror-Finanzierung

Die UN-Terrorliste

Vorwort

von Hamed Abdel-Samad

Eine Theologie von Terror und Gewalt breitet sich aus. Sie stellt nicht nur eine Bedrohung für die westliche Welt dar, sondern vor allem für die Mehrheit friedlicher Muslime. Der Begriff „Islam“ bedeutet wörtlich die Unterwerfung, die völlige Hingabe an Gott. Im Glauben, dass die Religion Gewalt toleriert, ja sie geradezu fordert, lässt sich jegliche Art von militantem Vorgehen rechtfertigen.

Diese folgenschwere Unterwerfung beginnt mit dem Irrglauben „So will es Gott, und ich habe keine andere Wahl“. Allzu viele Muslime leben im Glauben, dass Gott nicht nur ihre Gedanken permanent überwacht und jedweden Fehltritt abstraft, sondern dass sie geradezu dazu verpflichtet sind, ihre Religion mit Gewalt zu verteidigen. Ungläubige und Andersgläubige zu töten ist keine Sünde, sondern wird u.a. mit Sure 48 aus dem Koran gerechtfertigt: „tötet sie, wo auch immer ihr sie findet“. Aus Angst vor der Strafe Gottes geraten immer mehr Anhänger des Islam in eine fatale innere Abhängigkeit, die dazu führt, dass einige von ihnen bedingungslos den Heilsversprechungen des IS folgen. Dass dahinter nicht nur religiöse, sondern oft rein politische oder kriminelle Absichten stecken, ist vielen Anhängern des IS nicht bewusst.

Der selbst ernannte Kalif Abu Bakr al-Baghdadi drückt es in einer Ansprache an seine Anhänger so aus: „Ich verspreche euch nicht, was andere Herrscher ihren Untertanen versprechen: keine Sicherheit, keinen Wohlstand. Nein, ich verspreche euch, was Allah den Gläubigen im Koran versprach: dass Er sie zu seinen Stellvertretern auf Erden werden lässt. […] Ein islamischer Staat kann nur bestehen, wenn das Gesetz Allahs vollstreckt wird. Dazu brauchen wir Macht und Stärke: ein Buch, das den Weg weist, und ein Schwert, das der Religion zum Sieg verhilft.“

Besteht Grund zur Angst vor dem IS? Ja, denn der Terror im Namen Allahs breitet sich immer weiter aus, der militante Islamismus findet mittlerweile seine Anhänger auch im Westen. Warum aber ist der IS so erfolgreich und was versprechen sich junge Kämpfer davon, ihr Leben dem Kampf für den Glauben zu verschreiben?

Um begreifen zu können, was den IS auch hierzulande so gefährlich macht, müssen wir uns mit dem religiösen und weltanschaulichen Hintergrund genauer beschäftigen. Nur wer die Gefahren und die Verlockungen des radikalen Islamismus kennt, hat auch eine Chance, sich – und die Jugendlichen in seinem Umfeld – zu schützen.

Das vorliegende Buch gibt einen Einblick in die Entwicklung einer Terrororganisation, die sehr wahrscheinlich noch gefährlicher ist als al-Qaida. Denn anstelle von Rachefeldzügen gegen den unterdrückerischen und ausbeuterischen Westen strebt der IS ein weltweites Kalifat an – einen islamistischen Staat. Für die Errichtung dieses Staates sind alle Mittel recht, die man sich irgendwie aus dem Koran oder seinen Auslegungen herleiten kann. So bleiben die Anhänger in dem Glauben, sie würden das Richtige tun, wenn sie sich nicht gegen die Menschenrechtsverletzungen auflehnen, die durch den IS begangen werden. In dem Wunsch, ein gottgefälliges Leben zu führen, werden sie für den Terror instrumentalisiert.

Der IS hat im Gegensatz zu al-Qaida nicht nur vor, den Westen anzugreifen, um ihn zu erschüttern. Vielmehr geht es den Anführern um konkrete Eroberungspläne, um die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Dies ist eine Kampfansage nicht nur an die Denkweise des Westens, sondern auch an die gemäßigteren Muslime – doch von ihnen kommt (noch) zu wenig Widerstand. Und oft genug findet der Traum vom Kalifat als einer neuen Lebensordnung in ihnen Widerhall.

Besonders junge Muslime und Konvertiten sind gefährdet, den radikalen Ansichten zu folgen – nicht ohne Grund gehen Tausende junger Männer aus dem Westen nach Irak und Syrien, um sich dem selbsternannten Kalifen anzuschließen. Sie sind bereit zu kämpfen – und zum ersten Mal in ihrem Leben haben sie wirklich etwas zu gewinnen: Ruhm und Ehre (im Diesseits wie im Jenseits) genauso wie die Macht, sich als Herr über Leben und Tod zu gebärden. Die Wut über die soziale Benachteiligung und die Chancen, die ihnen im Westen verwehrt wurden, dies alles können sie nun kompensieren. Endlich führen sie ein Leben, in dem sie Aufstiegschancen haben – auch wenn dies andere Menschen das Leben kostet. Für die Errichtung des islamischen Staates sind sie sogar bereit, ihr eigenes Leben zu geben.

Lukas Diringshoff nimmt den Leser in diesem Buch mit auf eine Reise in die Welt des islamistischen Terrorismus. Die Terrororganisation wurde zu Beginn unterschätzt, sie galt als lediglich regionales Phänomen. Dass der IS jedoch eine kriminelle Vereinigung ist, die über umfangreiche finanzielle Mittel und über Tausende von Kämpfern verfügt, die zu allem bereit sind, ist vielen Menschen nicht klar.

Die Enthauptungen vor laufender Kamera schockieren zwar, doch dass wir in Deutschland in Gefahr sind, glauben nur wenige. Lukas Diringshoff zeigt jedoch auf, warum dieses Thema gerade jetzt auch in Deutschland brandaktuell ist – und warum wir unsere Jugend vor den Einflüssen islamistischer Propaganda schützen müssen. Denn nicht nur ist Deutschland ebenfalls Teil des Gebietes, das für das Kalifat „erobert“ werden soll, die Jugendlichen, die in den Kampf ziehen, kehren auch in unser Land zurück – tickende Zeitbomben, die jederzeit gezündet werden können. Sie predigen, bekehren und rekrutieren. Und sie sind nach wie vor bereit, Gewalt anzuwenden. Niemand weiß, welche Verbrechen sie bereits im Namen Allahs begangen haben – und welche sie noch begehen werden.

Hier ist nicht nur Prävention vonnöten. Ein Eingreifen ist nötig, bevor die Situation eskaliert. Und auch die gemäßigten Muslime sind gefragt. Sie können Radikalisierung schon weitaus früher erkennen und entgegenwirken. Denn Religion ist – wie so vieles – Auslegungssache. Man kann sie also auch als friedenstiftend auslegen. Um die Jugendlichen davon zu überzeugen, braucht es jedoch einer neuen Perspektive für sie. An dieser Stelle sind Gesellschaft und Politik gefragt – schlussendlich wir alle.

Vorzeichen: Die schwarze Flagge des Dschihad

Am 12. Oktober 2014 wurde eine schwarze Flagge am Zwehrenturm in Kassel gehisst. Wie die Hessische Niedersächsische Allgemeine berichtet, meldeten sich einige Bürger beunruhigt bei der Zeitung. Die schwarze Flagge mit den in Weiß gehaltenen, arabischen Schriftzeichen erinnere sie an die schwarze Flagge des Dschihad.

Dass es sich dabei nicht um die schwarze Flagge des „Islamischen Staates“ gehandelt hat, wird die Bürger wohl in diesem Fall beruhigt haben. Die Flagge sollte nämlich auf eine aktuelle Kunstausstellung des persischen Künstlers Farhad Fozouni im Museum Fridericianum aufmerksam machen und hatte nichts mit IS zu tun. [1]

Doch durch solche Verwechslungsaktionen wird deutlich, wie erschreckend die schwarze Flagge des Dschihad selbst hierzulande bereits wirkt. Spiegel Online schreibt zu diesem Phänomen: „Die Dschihadisten wollen mit dem Symbol Angst verbreiten – und haben Erfolg.“ [2] Sie nutzen die schwarze Flagge offenbar gezielt, um Ängste zu schüren und ihre Propaganda zu verbreiten.

Nahezu immer, wenn der „Islamische Staat“ (kurz IS, manchmal auch ISIS) öffentlich auftritt oder etwas veröffentlicht, ist die schwarze Flagge des Dschihad auf den Bildern zu sehen. Wegen der Dauerpräsenz dieses Symbols schreibt Spiegel Online ein wenig ironisch: „Stoffproduzenten gehören zu den großen Gewinnern im ‚Islamischen Staat‘. Wo immer IS-Milizionäre vorrücken, haben sie riesige schwarze Flaggen im Marschgepäck, die sie über eroberten Dörfern und Städten hissen.“ [3] Doch was genau symbolisiert die schwarze Flagge des Dschihad eigentlich und welche Bedeutung hat sie für den „Islamischen Staat“?

Auf der Flagge sind vor einem komplett schwarzen Hintergrund in der Regel zwei Zeilen eines Schriftzugs in weißer Farbe ersichtlich. [4] Dieser ist meist in arabischer Sprache verfasst. [5] Auf dem oberen Teil der Flagge kann man die Hälfte der Schahāda lesen, dabei handelt es sich um das islamische Glaubensbekenntnis. [6] Die Schahāda bildet gemeinsam mit Salat, dem Gebet, Zakat, der Almosensteuer, Saum, dem Fasten, sowie Haddsch, der Pilgerfahrt, die fünf Säulen des Islam. [7] Wörtlich übersetzt steht folglich auf der schwarzen Flagge des Dschihad: „Es gibt keinen Gott außer Allah.“[8] Auch der zweite Schriftzug, der sich darunter befindet, ist auf die Schahāda zurückzuführen. Dort steht: „Mohammed ist der Prophet Gottes“. [9]

Der Schriftzug hat im Islam eine große Bedeutung, was vor allem in seiner Geschichte begründet liegt. So fand man ihn unter anderem auf einem Siegel Mohammeds. [10] Der IS nutzt die schwarze Flagge nicht ohne Grund. Die Symbolik des Glaubensbekenntnisses auf schwarzem Grund taucht an wichtigen Schlüsselstellen in der Geschichte des Islam auf – und dass es sich auf den Propheten beruft, will IS seinen Anhängern wie auch seinen Feinden suggerieren.

Woher genau die schwarze Flagge stammt, ist nicht eindeutig belegbar; dennoch finden sich zahlreiche Legenden und Überlieferungen, in denen die schwarze Flagge eine symbolträchtige Bedeutung hat. Diese sind im Bewusstsein vieler Muslime präsent. Darauf bezieht sich der IS, wenn er vorgibt, die Interessen des Islam weltweit zu vertreten: „Wer gegen das Banner des Propheten kämpft, kann schließlich kein rechtschaffener Muslim sein – das ist die Botschaft, die der IS verbreiten will.“ [11] Die historischen Bezüge dienen also mehr der Propaganda, als dass sie geschichtlich korrekt wären. Doch selbst wenn man die Legenden nicht kennt, so dienen die schwarzen Flaggen dem Wiedererkennungswert. Der Vorfall in Kassel zeigt, dass nicht nur bei Werbung funktioniert, etwas immer und immer wieder auf die gleiche Weise zu zeigen: Der weiße Schriftzug auf schwarzem Grund funktioniert mittlerweile als Auslöser von Angst vor dem Terror.

Doch IS ist nicht die erste terroristische Vereinigung, welche das schwarze Banner verwendet: 1996 wurde es zur Staatsflagge der Taliban in Afghanistan nach deren Machtübernahme. Auf diese Weise löste die Farbe Schwarz, die erst in den 1990er-Jahren unter Salafisten wiederentdeckt wurde, das Grün der Muslimbrüder und der Hamas ab. [12]

Schon früh in der Geschichte des Islam soll die schwarze Flagge im Zusammenhang mit Kämpfen gestanden haben, die der Islam auszufechten hatte. Zwar gab es auch die weiße Flagge, die als „Al-Liwaa“ bekannt ist und als Zeichen des muslimischen Armeeführers galt. Doch die schwarze Flagge unter dem Namen „Ar-Raya“ soll ebenfalls bei der muslimischen Armee zum Einsatz gekommen sein. [13] Bekannt ist die Flagge auch unter dem Namen „Die Flagge des Djihad“. Sie gilt als Symbol des Kampfes, mit ihr zog man in die Schlacht. [14] In Überlieferungen heißt es, dass Mohammed bei seinem Einzug in seine Heimatstadt Mekka nach acht Jahren im Exil als Eroberer zurückkehrte und von muslimischen Soldaten begleitet wurde. Sie trugen die schwarzen Flaggen, das Wort „Bestrafung“ soll auf einer dieser Flaggen erkennbar gewesen sein. [15]

Eine weitere Überlieferung besagt, dass die Flaggen auf die Schlacht von Mutâ zurückzuführen sind. [16] Demnach soll der Herrscher von Basra einen Abgesandten getötet haben, was Allahs Gesandter nicht hinnehmen konnte. Mit 3000 Kämpfern zog er in einen Krieg gegen eine Übermacht von 200 000 feindlichen Römern. Der Prophet soll drei Kämpfern eine Flagge gegeben und genau bestimmt haben, wer die Führung der Kämpfer übernimmt, solle einer von ihnen sterben – die Flagge steht also hier auch für die direkte Nachfolge des Propheten. [17] Nach und nach starben die Führer und Flaggenträger den Märtyrertod. Erst als ein „Schwert der Schwerter“ (ein Krieger Gottes) die Flagge übernahm, ermöglichte Allah den Sieg. [18]

Der Islam-Wissenschaftler Sheikh Kabbani sieht einen Bezug der Flaggen zum Erscheinen des „Mahdi“ (ein Nachkomme des Propheten, der die Endzeit einleitet und das Unrecht in der Welt beseitigt): „Im Hadith [also nicht im Koran, sondern in den Überlieferungen, Anm. d. Red.] gibt es den Hinweis, dass schwarze Flaggen aus dem Gebiet Khorasan kommend das baldige Erscheinen des Mahdi bedeuten. Khorasan befindet sich im heutigen Iran, und manche Gelehrte haben (schon) gesagt, dieser Hadith bedeute das bevorstehende Kommen des Mahdi, wenn die schwarzen Flaggen aus Zentralasien, d. h. aus Richtung Khorasan, in Erscheinung treten.“ [19] In einer anderen Tradition heißt es ähnlich: „Der Gesandte Allahs sprach: Die schwarzen Banner werden aus Osten kommen und ihre Herzen werden so hart wie (aus) Eisen sein. Wer auch immer sie (kommen) hört, sollte sich ihnen anschließen und ihnen Treue erweisen, auch wenn es heißt, durch den Schnee zu kriechen.“ [20]

Immer dann, wenn es um den geschichtlichen Zusammenhang geht, ist es wichtig, die Unterschiede zwischen dem Koran und dem Hadith zu kennen. Der Journalist Yassin Musharbash erklärt im Zeit-Blog, warum das so ist: „Erstens, weil man nach gängiger Lehre Koran und Hadith nicht vermischen darf. Zweitens, weil der Koran-Inhalt Muslimen als ewig richtig und wahr gilt, der Hadith-Kodex hingegen zeitgebunden zu interpretieren ist.“ [21] Um das zu verdeutlichen, gibt er ein Beispiel, das auch im so genannten „Brief an Baghdadi“ wiederzufinden ist. Es handelt sich dabei um einen Brief, den 126 Islamgelehrte aus verschiedenen Ländern der Welt unterzeichnet haben, um gegen die IS-Führung zu protestieren. Yassin Musharbash greift das Beispiel wie folgt auf: „In einer Rede erklärte al-Baghdadi, der Prophet Mohammed sei mit dem Schwert als eine Gnade in die Welt gekommen. Tatsächlich steht im Koran, der Prophet sei als eine Gnade in die Welt gekommen. Dass er mit dem Schwert gekommen sei, findet sich aber im Hadith – im Kodex der überlieferten Aussagen und Aussprüche und Handlungen des Propheten.“ [22]

Dies bedeutet, dass diese gewalttätige Auslegung des Koran eine Interpretation ist, die der Großteil der Muslime nicht mit den radikalen Islamisten teilt. Einige Experten betonen sogar, dass die schwarze Flagge, wie al-Qaida, der IS oder die Nusra-Front sie verwenden, mit den schwarzen Flaggen aus der Überlieferung, die den Mahdi ankündigen, nichts zu tun haben. Vielmehr sei es im Sinne des Propheten, sich den verschiedenen „Sekten“ nicht anzuschließen und sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen. [23]

Der IS hingegen nutzt die Überlieferung zur Selbstinszenierung, vor allem um jungen Menschen zu imponieren, die für seine Zwecke rekrutiert werden sollen. Wie Focus Online mitteilte, ist Rom nun ins Visier der Terrormiliz geraten: „Der neueste Videoclip der Terrorgruppe untermauert die bizarren Welteroberungspläne – es zeigt, wie IS die italienische Hauptstadt Rom erobert. In einer Animation prangt eine Flagge der Terroristen auf einer Säule, direkt neben dem wohl bekanntesten Wahrzeichen Roms: dem Kolosseum.“ [24] Die Szenen könnten an die Schlacht von Mutâ angelehnt sein, da es auch in dieser Schlacht gegen die Römer ging. [25]

Dass bereits echte Flaggen auf dem Petersplatz in Rom gesichtet wurden, ist für viele erschreckend. Ein Bild, das auf der Webseite katholisches.info veröffentlicht wurde, zeigt einen jungen Mann mit fast kahl geschorenem, schwarzem Haar. Er trägt einen relativ langen schwarzen Bart und lächelt in die Kamera, neben ihm ein schwarzer Koffer. In den Händen hält er die schwarze Flagge des Dschihad, die so groß ist, dass sein Oberkörper davon bedeckt wird. Stolz hält er die schwarze Flagge, und es hat fast den Anschein, als wäre es ein normales Touristenfoto. Doch ganz so harmlos ist das Bild nicht. [26] Denn wie der Imam Bilal Hussein Bosnic der italienischen Tageszeitung La Repubblica gegenüber offenbart, hegt der IS Eroberungsabsichten: „Ich spreche zu den Moslems, damit sie eines Tages den Vatikan erobern können.“ [27]

Einer der ersten Deutschen, die über die IS-Propaganda angeworben wurden, war Kreshnik B. Als mutmaßlicher IS-Terrorist stand er im September 2014 vor einem deutschen Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 19-Jährigen vor, für den „Islamischen Staat“ gekämpft zu haben. Zuvor hatte er bereits mehrere Schwüre geleistet, einen davon auf die schwarze Flagge. [28] Das zeigt deutlich, wie wichtig den IS-Kämpfern die schwarze Flagge des Dschihad ist.

Der „Islamische Staat“ versucht die schwarze Flagge des Terrors stets prominent zu platzieren – sei es in Propaganda-Videos oder bei öffentlichen Auftritten und in Publikationen. Auch wenn Gewalttaten verübt werden, ist die Flagge stets mit dabei: „Inzwischen ist die schwarze Flagge zu einem Symbol geworden, mit dem die IS-Dschihadisten ihre Gegner bewusst einschüchtern wollen.“ [29] Kein Wunder also, dass die schwarze Flagge auch immer wieder in den Hinrichtungsvideos des IS zu sehen ist. Die BILD-Zeitung schreibt hierzu: „Mit erhobener IS-Flagge steht einer der Terroristen da, als die Gefangenen ankommen. Mit über dem Kopf erhobenen Händen müssen sie zu ihrer eigenen Hinrichtung gehen.“ [30] Das grausame Ereignis selbst wird mit folgenden Worten beschrieben: „Dutzende junge Männer werden auf Lkws zusammengepfercht, möglicherweise Deserteure der schiitischen irakischen Armee. In ihren Gesichtern steht die Panik geschrieben, sie müssen gewusst haben, was geschieht. Irgendwo in der Wüste halten die Fahrzeuge an, die Terroristen brüllen sie an, einer der IS-Kämpfer hält stolz die Flagge der Gruppierung hoch. In einer flachen Mulde müssen sich die Männer hinlegen, Arme über dem Kopf, eng nebeneinander. Unerträglich: Einer der ISIS-Männer erschießt scheinbar in aller Ruhe einen nach dem anderen.“ [31]

Doch nicht nur die schwarze Flagge allein besitzt eine besondere Symbolik für den IS, sondern auch ganz generell die Farbe Schwarz: „Die Besessenheit des IS mit der Farbe Schwarz geht sogar so weit, dass sie ihre wichtigsten Bauten wie Scharia-Gerichte und Verwaltungsgebäude in Rakka, Manbidsch und anderen eroberten Städten komplett schwarz angemalt haben.“ [32] Außerdem sorgen sie für immer größere Flaggen, die ihnen immer mehr Aufmerksamkeit schenken, um so ihre Präsenz noch stärker zu verdeutlichen: „Die Dschihadisten lassen immer größere Fahnen nähen, die weithin sichtbar sein sollen. Wenn Kobanê erobert ist, wollen sie ein Banner über der Stadt hissen, das Dutzende Quadratmeter groß ist.“ [33]

Doch auch ein weiteres muslimisches Zeichen macht sich der IS zu eigen. In zahlreichen Videos und auf Fotos winkeln die IS-Kämpfer den rechten Arm an und strecken ihren Zeigefinger nach oben. Der erhobene Zeigefinger verweist wieder auf das Glaubensbekenntnis, die Schahāda. Dieses Bekenntnis ist Teil des Tauhid, womit der Glaube an die Einheit Gottes gemeint ist. Die IS-Kämpfer jedoch nutzen dieses Zeichen für ihre Propaganda. [34]

Das Symbol ist jedoch auch ein Produkt geworden, das ähnlich wie in Souvenirläden oder Fan-Shops beispielsweise in der Türkei vertrieben wird. Neben den Flaggen selbst gibt es auch Aufkleber, T-Shirts, Schlüsselanhänger und vieles mehr, die mit dem Symbol des IS versehen sind. Inwiefern mit diesen „Fan-Artikeln“ und Spenden, damit gesammelt werden, die Terror-Akte mitfinanziert werden, ist unklar. Fakt ist jedoch, dass die symbolträchtige schwarze Flagge des Dschihad verkauft wird und viele Interessenten anlockt – auch über die sozialen Netzwerke, wie zum Beispiel durch Facebook. [35]

Problematisch ist vor allem, dass der IS mit der Flagge auf allgemeine muslimische Symbole verweist und diese für seine Machenschaften missbraucht. Das, was diese Symbole aussagten, galt für die Gläubigen insgesamt, sie hatten vorher nichts mit islamistischen oder dschihadistischen Strömungen zu tun. Und es stört die Muslime sehr, dass ihr Glaubensbekenntnis und ihre Geschichte für die IS-Propaganda genutzt werden: „Viele nicht-dschihadistische Muslime finden aber, dass der ‚Islamische Staat‘ ihre Symbole gewissermaßen gehijackt hat.“ [36]

Keinesfalls stehen alle Muslime hinter dem IS oder einer anderen Terrororganisation, auch wenn der IS das durch das alle Muslime verbindende Glaubensbekenntnis suggerieren will. Immer mehr distanzieren sich auch prominente Einzelpersonen und sogar ganze Gemeinden von der Gewalt des IS gegen Menschen gleich welcher religiösen Zugehörigkeit. [37]

Viele Muslime sehen die Entwicklung des IS mit größter Besorgnis. Der saudische Scheich Abd al-Aziz bin Abdullah brachte den Unfrieden, der auch innerhalb der muslimischen Weltgemeinschaft gesät wird, auf den Punkt: „Extremistische und militante Ideen und Terrorismus, die der Erde Ruin bringen und die menschliche Zivilisation zerstören, sind nicht Teil des Islam, sondern sein größter Feind.“ [38] Auch Scheich Abdel Asis und der ägyptische Großmufti Shawqi Allam bezogen öffentlich Stellung und erklärten den IS zu einer „Gefahr für den Islam und die Muslime“. [39]

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek verurteilt die Vertreibung der irakischen Christen durch die Terrororganisation und betont, dass dies gegen die Grundsätze des Islam sei. Mazyek ist außerdem der Meinung, dass alles dafür getan werden müsse, damit den „christlichen Brüdern und Schwestern ihr Recht zurückgegeben wird“. [40]

Es wird schnell klar, dass das radikale Gedankengut nur von einer Minderheit der Muslime stammt – doch auch wenn es im Verhältnis nur wenige sind, so sind sie dennoch gefährlich. Die marokkanisch-deutsche Journalistin Sounia Siahi erwiderte in einem bei Spiegel Online veröffentlichten Brief den Beitrag des Kolumnisten Jakob Augstein, der vor einer übertriebenen Hysterie bezüglich der Scharia-Polizei gewarnt hatte: „Natürlich gibt es solche und solche Muslime. Und natürlich darf man nicht alle über einen Kamm scheren. Schließlich bin ich ja selber Muslimin und habe persönlich und beruflich sehr viel mit Muslimen zu tun.“ [41] Sie möchte mit ihrem Schreiben dennoch deutlich machen, welche Gefahr sie in den radikalen salafistischen Strömungen sieht: „Ich liebe meine Heimat, aber ich kann dort nicht leben, weil ich dort nicht frei bin. Diese Welt akzeptiere ich so, wie sie ist, und lasse sie dort, wo ich nichts dagegen ausrichten kann: in Nordafrika, hinter dem Mittelmeer. Jetzt aber greifen diese Anmaßungen, Bedrängungen und Nötigungen aus Ländern, die ich meinte, hinter mir gelassen zu haben, in mein wunderbares Deutschland.“ [42]

Auch der Verfassungsschützer Behnam T. Said meldet Grund zur Besorgnis an: „Bei Isis handelt es sich um extreme, dschihadistische Salafisten. Grundsätzlich unterscheiden sie sich ideologisch nicht von al-Qaida, sind aber in ihrem Vorgehen noch kompromissloser und brutaler.“ [43] Und tatsächlich: „Alle Attentäter des 11. September 2001 in den USA waren Salafisten – drei der vier Todespiloten kamen aus Hamburg“ [44], so die Süddeutsche Zeitung.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek hat noch weitere Bedenken in Bezug auf den IS und die Lage in Deutschland: „Wir befürchten, dass die Trennschärfe zwischen Islam und Extremismus weiter aufgeweicht wird. Und das geht zulasten des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland.“ [45] Ähnlich sieht das auch Ali Dogan, Vorstandsmitglied der Alevitischen Gemeinde Deutschland: „Ich sehe eine sehr große Gefahr. Ich wohne ja ganz in der Nähe von Bonn-Tannenbusch, eine Hochburg der Salafisten in Deutschland. […] Die Gefahr für Deutschland besteht nicht nur durch die Rückkehrer, sondern auch durch die gesamte Vorlaufphase der Radikalisierung dieser jungen Menschen. Sie haben dieses Gedankengut schon vor ihrer Abreise hier präsent – und es verbreitet sich rapide.“ [46]

Die schwarze Flagge des Dschihad ist seit dem 12. September 2014 in Deutschland verboten. Dazu zählt vor allem das Zeigen der Flagge in der Öffentlichkeit, wie zum Beispiel bei Versammlungen. Das gilt insbesondere dann, wenn mit der schwarzen Flagge für die Rekrutierung von weiteren Kämpfern geworben wird. Wer die schwarze Flagge in Deutschland seit diesem Tag verbreitet, öffentlich zur Schau stellt oder diese für die Zwecke des IS nutzt, macht sich strafbar. [47] Konkret bedeutet das: „Jedem, der ab sofort ein IS-Symbol öffentlich zeigt, drohen Geldbußen oder Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren.“ [48] Das Verbot geht also über das Einsetzen der Flagge zu Propagandazwecken hinaus. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärt dies wie folgt: „Verboten sind das Werben für den Islamischen Staat, das Zeigen seiner Symbole, jede Art von Unterstützungshandlung, das Einwerben von Geld, von Material und vor allem das Anwerben von Kämpfern für diesen mörderischen Krieg.“ [49]

Die Entscheidung, die schwarze Flagge des Dschihad in Deutschland zu verbieten, wurde stark kritisiert. Das liegt vor allem am Schriftzug mit einem Teil des Glaubensbekenntnisses, denn dieses gehört zum Schutzbereich der Religionsfreiheit. [50] Das Bundesinnenministerium teilte hierzu gegenüber dem Handelsblatt mit: „Das Kennzeichenverbot richtet sich nicht gegen islamische Symbolik allgemein. Es werden weder Teile des islamischen Glaubensbekenntnisses noch das sogenannte Prophetensiegel an sich verboten, sondern allein die spezifische Verwendung dieser Kennzeichen durch den IS für seine verfassungswidrigen Zwecke. Der IS benutzt dieses Kennzeichen in dieser spezifischen Kombination seit 2004 ausschließlich in einem terroristischen Kontext. Er missbraucht damit zentrale Symbole des Islam für seine terroristischen Zwecke. Das heuige Verbot erschwert diesen Missbrauch von Religion und religiöser Symbole durch den IS oder Extremisten und Terroristen, die dem IS nahestehen.“[51]

Dieser Ansicht ist auch der Journalist Yassin Musharbash: „Ein verzwicktes Problem. Denn diese spezielle Kombination verwendet tatsächlich nur der ‚Islamische Staat‘.“[52] Musharbash erklärt weiter: „An diesem Dilemma zeigt sich übrigens das propagandistische Geschick des ‚Islamischen Staates‘. Er verwendet eine Flagge, gegen die ein gläubiger Muslim eigentlich nichts einzuwenden haben kann – und dürfte sich so richtig freuen, wenn es durch ein Verbot zu Situationen kommt, in denen Muslime, die mit dem IS gar nichts zu tun haben, sich über das Flaggenverbot empören und womöglich sogar strafrechtlich verfolgt werden. Ganz sicher würde der ‚Islamische Staat‘ das nämlich als Ausweis genereller Islamfeindlichkeit im Westen ebenfalls propagandistisch ausnutzen: Dort dürfen wir nicht einmal unser Glaubensbekenntnis zeigen! Es gibt hier also eine Falle, in die man tappen kann.“[53]

Der deutsch-ägyptische Politologe und Autor Hamed Abdel-Samad erklärt in seinem Werk „Der islamische Faschismus“ detailliert, wie wichtig eine Abgrenzung zwischen dem Islam und einer solchen Terrororganisation ist. „Die Mehrheit der in Europa lebenden Muslime ist apolitisch und will das Beste für ihre Kinder. Sie pauschal als potenzielle Terroristen anzusehen wäre falsch und ebenfalls eine Gefahr für den Frieden. Eine generelle Verdächtigung oder offene Abneigung kann ebenfalls leicht in Gewalt münden.“ [54] Trotz dieser Ansicht ist sich Abdel-Samad sicher, dass die Muslime einen wichtigen Teil zur Bekämpfung solcher Terrororganisationen und anderen radikalen Denkweisen beitragen könnten: „Aber genau diese schweigende Mehrheit ist nun gefragt. Sie hat es in der Hand, den Extremisten etwas entgegenzusetzen. Doch sie lässt sich kaum mobilisieren, um den Einfluss von Salafisten und konservativen Islamverbänden einzudämmen. Sie lässt Reformer wie Mouhanad Khorchide und Lamya Kaddor alleine kämpfen. Diese Mehrheit schaut einfach nur zu, bis diese Einzelkämpfer entkräftet aufgeben.“ [55] Und genau hier sieht Abdel-Samad das Problem. Wenn Muslime diese Entwicklungen weiterhin stillschweigend hinnehmen würden, so ist sich der Autor sicher, dass dies dem Ansehen der Muslime weltweit schaden wird: „Wenn das geschehen ist, wird eine Mehrheit der Deutschen behaupten, es gäbe keinen Reformislam, sondern nur ‚Vogelisten‘ und Dschihadisten. Was die apolitischen Muslime wiederum als Rassismus und Diskriminierung deuten werden. Ein Teufelskreis.“ [56] Abdel-Samad appelliert dafür, nicht nur auf die Straße zu gehen, wenn es um Mohammed-Karikaturen und antiislamische Filme gehe, sondern auch dann zu protestieren, wenn es um Islamverbände und Salafisten geht. [57]

Ein erstes Zeichen haben die Muslime in Deutschland bereits gesetzt. Am 19. September 2014 gab es einen Aktionstag in deutschen Moscheen. Aiman Mazyek, der Chef des Zentralrats der Muslime, erklärt, warum das so wichtig ist: „Wir wollen klarmachen, dass die Terroristen und Verbrecher nicht im Namen des Islam sprechen, dass sie die Gebote des Islams mit Füßen treten und dass Mörder und Verbrecher in unseren Reihen, in unserer Religion keinen Platz haben.“ [58]

Doch auch der deutsche Staat ist laut Abdel-Samad gefragt. Er dürfe nicht zulassen, dass die Islamverbände zu viel Macht über die anderen Religionsmitglieder erhielten. [59] Inzwischen hat die deutsche Regierung reagiert und den „Islamischen Staat“ verboten. Doch handele es sich laut Terrorismus-Experte Guido Steinberg bei diesem Verbot allerdings in erster Linie um eine symbolische Maßnahme: Da der IS vorher schon als terroristische Organisation verboten war und es eine Verfolgungsermächtigung des Bundesjustizministeriums gab, liegt der Schwerpunkt jetzt darauf, auch die Propaganda unter Strafe zu stellen. [60] Der Terrorismus-Experte sieht die Schwierigkeiten in der Umsetzung: „Das wird allerdings sehr schwierig nachzuweisen, und ich möchte auch gerne sehen, wie deutsche Polizisten beispielsweise die Flaggen von al-Qaida und von IS auf der Straße unterscheiden. Das wird in der Praxis sehr schwierig werden.“ [61] Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft kündigte deshalb an: „Wir müssen die Ermittlungsbehörden, wir müssen die Nachrichtendienste weiter stärken, um die Szene hier in Deutschland im Griff zu behalten.“ [62] Konkret bedeutet das, dass die Polizei jetzt nach dem Verbot die IS-Fahnen, aber auch Spendengelder, die in die terroristische Organisation fließen, beschlagnahmen kann. Ferner sollen in den sozialen Netzwerken keine IS-Botschaften mehr verbreitet werden, die in deutscher Sprache verfasst wurden. Zu einer entsprechenden Maßnahme soll die Polizei entsprechende Plattformen, wie beispielsweise Facebook oder YouTube, angewiesen haben. [63]

Die schwarze Flagge des Dschihad und der IS werden stark kritisiert – ganz besonders von weiblichen Aktivistinnen. Am 23. August 2014 veröffentlichte die 23-jährige Aliaa Magda Elmahdy, eine Aktivistin und Bloggerin aus Ägypten, ein Bild auf ihrem Facebook-Profil, das für Aufsehen sorgte. Auf diesem Bild ist Elmahdy mit einer weiteren Frau zu sehen. Sie selbst ist komplett nackt und schaut in die Kamera. Auf ihrer Brust stehen die Buchstaben „IS“. Neben ihr sitzt eine Frau mit dem Rücken zur Kamera, sie trägt einen Hidschāb (einen Schleier) und ist ansonsten ebenfalls nackt. Sie streckt ihren Mittelfinger zum Betrachter des Bildes und auf ihrem Rücken steht „o/o“, das Symbol für die FEMEN-Aktivistinnen, das zwei nackte Brüste darstellen soll. Darunter erkennt man die zwei Buchstaben „IS“. Die beiden Frauen sitzen auf der schwarzen Flagge. Elmahdy menstruiert auf die Flagge, während ihre Mitstreiterin offensichtlich Kot auf der Flagge ausscheidet. Hinter ihnen erkennt man zwei auf dem Boden liegende Maschinengewehre. [64]

Inna Schewtschenko, die Gründerin von FEMEN, die mit ihren Aktivistinnen bereits für Furore gesorgt hat, zum Beispiel durch Oben-ohne-Proteste, verbreitet das Bild der beiden Frauen weiter im Netz – via Twitter. Wenige Tage später gibt Schwetschenko gegenüber der französischen Zeitschrift Paris Match an, dass die Aktion von Elmahdy im Namen der Organisation FEMEN durchgeführt wurde. Sie stellt klar, dass sie eine Kritik an dieser Darstellung als heuchlerisch empfindet. Denn angesichts der Taten, für die der IS stehe, sei das Bild keinesfalls als zu „heftig“ zu bezeichnen. [65]

Das Magazin Vice interviewte schließlich Schwetschenko, um mehr über Elmahdys Motivation herauszufinden. Elmahdy selbst lehnt Interviews mit den Medien nämlich strikt ab. Auf die Frage, warum FEMEN diesmal ein Bild gewählt haben und nicht auf die Straße gegangen seien, antwortete Schwetschenko: „Dieses Mal haben wir eine fotografische Botschaft gewählt, weil wir eine passende Antwort auf die letzte Videobotschaft des IS geben wollten, bei der die Hinrichtung des Journalisten James Foley gezeigt wird. Durch das Foto wollen wir zeigen, wie wir die Ideen des Islamischen Staats ‚hinrichten‘“. Die Bildunterschrift lautet entsprechend: „Ihr Tiere, so sieht unsere Hinrichtung eurer Ideen aus! Seht genau hin! Wir verlangen kein Lösegeld, wir drohen nicht mit weiteren Morden, wir SCHEISSEN EINFACH AUF EUCH, IS!“ [66]

Die Aktivistin erzählt dann auch, warum sie sich für die Veröffentlichung des Bildes entschieden hat: „Mit dem Bild wollen wir die Morde, die Vergewaltigungen und die öffentlichen Hinrichtungen der islamischen Faschisten kritisieren, die immer die Schlagzeilen bestimmen … genau das will der IS doch. Die wollen, dass sich die Welt ihren Ideen unterwirft. Durch das Verbreiten der Videobotschaften mit Hinrichtungen und der Ansprachen tun wir dem Islamischen Staat nur einen Gefallen. Stattdessen sollten wir ihnen lieber unsere Botschaft mitteilen. Unsere Toleranz hat ihre Grenzen erreicht! Habt keine Angst davor, sie wütend zu machen. Lasst uns lieber mit unseren Antworten zurückschlagen, anstatt ihnen einen größere Bühne zu geben. Die Welt hat Angst und damit hat der IS sein Ziel erreicht. Wir rufen dazu auf, keine Angst mehr zu haben und zu protesieren.“ [67]

Die FEMEN-Aktivistinnen wagen sich in den Kampf gegen die Terroristen und Unterdrücker, und sie versuchen mit den medialen Waffen zurückzuschlagen, die auch der IS für seine Propaganda nutzt. Nicht alle muslimischen Frauen heißen die feministischen Aktionen gut, da sich in den Aussagen der FEMEN-Aktivistinnen islamische Kultur und Terrorismus vermischen. Es ist also immer wieder wichtig zu betonen, dass es einen Unterschied zwischen den Muslimen und den salafistischen oder gar dschihadistischen Radikalen gibt.

Was ist der „Islamische Staat“ (IS)?

Seit einigen Monaten steht der IS (Islamischer Staat, manchmal auch die Abkürzung ISIS für Islamischer Staat im Irak und Syrien) so stark wie keine andere islamistische Gruppe im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Aber was sind die Wurzeln der militanten Gruppe, was ihre Geschichte und Motivation? Welche Werte und Vorstellungen treiben die Kämpfer an? Kann der IS in Verbindung mit dem Islam gebracht werden und wenn ja, wie? Welche Rolle kommt der Terror-Miliz im Syrien-Krieg zu? Und inwiefern besteht ein Zusammenhang mit al-Qaida – ist es nur die schwarze Flagge, die beide Gruppen benutzen, oder ist IS gar die Nachfolgeorganisation?

Was IS genau ist, lässt sich nicht in einem Satz abhandeln – zu vielfältig sind die Hintergründe und das Spektrum seiner Aktivitäten: So handelt es sich zum einen um eine Terrormiliz, die auf ihrem Vormarsch eine blutige Spur nach sich zieht, er ist zum anderen aber auch eine politische Einheit, die Steuern abkassiert und diverse Dienstleistungen und Beschäftigungsmöglichkeiten anzubieten hat. Und schließlich ist er eine überterritoriale islamische Idee. Der IS ist zudem eine kriminelle Vereinigung mit den oft üblichen Merkmalen wie der Erpressung von Schutzgeldern und der Organisation von Schmuggel. Genauso greift die Bezeichnung als Verbrecherbande, die Bankraub und Plünderungen begeht und die mittels Entführungen Lösegelder einfordert. Nicht zuletzt agiert der IS als finanzkräftiger Konzern mit vielfältigen Geschäftsfeldern, die vom Antiquitäten- bis zum Ölhandel reichen. Die Liste dessen, was der IS ist, könnte man aber noch lange fortführen – die Widersprüche dabei sind allerdings enorm: Einerseits glaubt man sich ins Mittelalter zurückversetzt, wenn ein mit einem Schwert bewaffneter Mann die Kehle eines anderen durchtrennt, andererseits wird die Veröffentlichung dieser Tat mit Hilfe moderner Medien erst möglich. [1]

Ein wenig verwirrend können die diversen Bezeichnungen für die radikalislamistische Terrorgruppe sein, die derzeit im Nahen Osten für blutigen Schrecken sorgt. In der Regel beinhalten Begriffe bereits Deutungen der jeweils beschriebenen Dinge – das bewahrheitet sich auch hinsichtlich der Suche nach der richtigen Bezeichnung jener Terrororganisation, die in unseren Breitengraden vornehmlich „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) oder „Islamischer Staat“ (IS) genannt wird, während in anderen Ländern auch die Begrifflichkeiten ISIL (vor allem in den USA) oder DAESH auftauchen. Dabei ist die Gruppe selbst an dem Begriffswirrwarr nicht ganz unschuldig: Zu Beginn haben sich die Kämpfer selber als ISI (Islamischer Staat im Irak) bezeichnet, mit der Ausdehnung ihres Machtanspruches wurde entsprechend das Wort „Levante“ angehängt: ISIL ist das Ergebnis. Das aus dem Italienischen kommende Wort Levante (levare = in die Höhe heben; auch im Deutschen seit dem 15. Jh. verbunden mit der Vorstellung, es handele sich um die Länder der aufgehenden Sonne des östlichen Mittelmeers) steht folglich für ein Gebiet, das Syrien, Jordanien, Palästina, Irak und Teile der Türkei, manchmal auch Zyperns, umschließt und welches auch Groß-Syrien oder al-Sham genannt wird – das wiederum ist der eigentliche Hintergrund für die Abkürzung ISIS: Der Begriff ISIS, verstanden als „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“, ist nämlich ungenau, weil die Terroristen gar nicht ausschließlich das Staatsgebiet Syriens im Visier haben. Ein weiteres Pendant zu ISIL ist DAESH – die Abkürzung setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der arabischen Bezeichnung des Islamischen Staates zusammen. „DAESH“ wird seit Kurzem auch von der französischen Regierung verwendet, verbreitet ist der Terminus ebenso im Hebräischen. Die Kämpfer selbst lehnen diese Variante allerdings ab, da es wie ein Schimpfwort klingt und so auch von ihren Feinden eingesetzt wird. Ebenso wirkt es im Französischen etwas abwertend, weil es an „dèche“ (Pleite) erinnert. Frankreichs Präsident François Hollande benutzt diesen Ausdruck jedoch bewusst, um direkte Assoziationen mit dem Islam zu vermeiden – muslimische Geistliche und Politiker in Frankreich kritisierten nämlich, dass ihre Religion sprachlich in einen Zusammenhang mit Verbrechern gebracht wird, deren Opfer faktisch größtenteils selbst Muslime sind. In Deutschland bzw. in den Papieren des deutschen Verfassungsschutzes, des BKA und des BND kursierte übrigens bis vor einiger Zeit noch die Bezeichnung ISIG (Islamischer Staat im Irak und Groß-Syrien), welche die von der Terrorgruppe fokussierten Länder auch sehr genau beschreibt. Ende Juni 2014 hat die Organisation ihre Eigenbezeichnung allerdings kurz in IS (Islamischer Staat) umfunktioniert – damit sollen die universellen Ziele hervorgehoben und die alten Staatengrenzen endgültig für bedeutungslos erklärt werden. [2]

Um eine einheitliche Begriffsverwendung in diesem Buch beizubehalten, werde ich meistens von IS sprechen. Nur dann, wenn gezielt die Organisation in einer anderen Namensgebung gemeint ist, wird die Bezeichnung verwendet, die zur jeweiligen Zeit aktuell war.

Aktuell gilt IS als eine der brutalsten Terrororganisationen im arabischen Raum, die in den Gebieten rund um Syrien und im Irak aktiv ist. Die Mitglieder zählen sich zur Religionsgruppe der Sunniten und kämpfen für einen sunnitischen Gottesstaat zwischen dem Mittelmeer und Irak, der in erster Linie Syrien, den Irak, zudem den Libanon, Israel und Jordanien umfassen soll – das würde eine Überwindung der teilweise durch die Kolonialmächte eher willkürlich gezogenen nationalen Grenzen in diesem Gebiet bedeuten. Um ihr Vorhaben umzusetzen, geht die Terrorgruppe mit aller Gewalt vor. 2013 forderten Terroranschläge im Irak beispielsweise mehr als 7000 Menschenleben. [3] Weite Teile Syriens und des Irak stehen bereits unter der Kontrolle von IS.

Wie IS entstand

Ende 2014 beherrschte die Terrororganisation IS mit ihren wechselnden Bezeichnungen die Schlagzeilen wie keine andere – dabei war der Name in der breiten Öffentlichkeit bis Mitte 2014 noch so gut wie unbekannt. Tatsächlich führt die militante Gruppe aber bereits seit 2011 einen verheerenden Terrorkrieg in Syrien. Hätte man damals einen beliebigen Syrer oder Iraker gefragt, was sich hinter dem Begriff verbirgt, die Antwort wäre rasch gekommen: eine islamistische Terrorgruppe, die sich bis vor einiger Zeit auf al-Qaida berief.

Vor allem 2013 und 2014 befand sich der IS in Syrien auf einem grauenvollen Terror-Feldzug gegen die gesamte Gesellschaftsordnung, die Regierung, die vorhandene Infrastruktur und vor allem auch gegen die Menschen. Der Grund, wieso in unseren Breitengraden bis vor Kurzem beinahe niemand Genaueres von dieser Terrorgruppe weiß, ist einfach erklärt: In den Massenmedien und der westlichen Politik galten sie als die „Demokraten, Rebellen und Oppositionellen“, die sich in einem verzweifelten Kampf gegen den Diktator Assad befinden. [4]

Es war im Juni 2014, als der IS ins Zentrum der Weltöffentlichkeit rückte – damals nahm die Organisation weite Teile des Nordwest- und Westiraks inklusive der Millionenmetropole Mosul ein. Nur wenig später ernannte sich der aktuelle Anführer der Terrorkämpfer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen aller Muslime, gleichzeitig fand die Umbenennung seiner Organisation in „Islamischer Staat“ (IS) statt. Hinter der großspurigen Rhetorik rund um IS steckt in Wahrheit allerdings „lediglich“ eine militante Gruppierung, die es unter mehrfach wechselndem Namen erst seit dem Jahr 2000 gibt und welche vor Mitte 2014 nie mehr als 10.000 bis 20.000 Kämpfer in ihren Reihen zählte. Als Begründer gilt der aus Jordanien stammende Terrorist Abu Musab al-Zarqawi (1966–2006). Dieser war ursprünglich ein Kleinkrimineller, der in einer jordanischen Haftanstalt zu extremistischen Ideen fand. In Afghanistan kämpfte er von 1989 bis 1992 gegen die Regierung in Kabul, wurde 1994 wieder von den Jordaniern inhaftiert, kam aber fünf Jahre später im Zuge einer generellen Amnestie erneut auf freien Fuß [5]. Ein Jahr später gründete er die terroristische Vereinigung, die heute als IS bekannt ist. Auf eine lange Historie kann der IS zwar nicht zurückblicken, doch ist seine Geschichte wechselvoll und dramatisch.

2000–2006: Ursprünge und Gründung

Als der jordanische Terrorist Abu Musab ab-Zarqawi im Jahr 2000 die Organisation „Tauhid“ (Bekenntnis zur Einheit Gottes) ins Leben rief, begründete er damit die Ideologie und die Strategie, welche die Geschichte von IS bis heute beeinflussen. Die ersten Anhänger waren Dschihadisten aus Jordanien, Syrien, Palästina und dem Libanon. Abu Musab al-Zarqawi schlug sein Hauptquartier damals zwar in Afghanistan auf und befand sich in engem Kontakt mit der Al-Qaida-Führung, dennoch hatte er einen direkten Anschluss an die Organisation zunächst vermieden. Nichtsdestotrotz erhielt er von den im Lande herrschenden Taliban die Genehmigung, ein Trainingslager in der Nähe der Stadt Herat aufzuschlagen. Dabei waren die Ziele des Anführers von „Tauhid“ zu Beginn noch begrenzt und spiegelten vor allem die überwiegend palästinensische und jordanische Zusammensetzung der Organisation wider: Abu Musab al-Zarqawi hatte vor, das Königshaus seiner Heimat zu stürzen und danach Jerusalem zu befreien.

Ende 2001 mussten al-Zarqawi und seine Gefolgschaft aus Afghanistan flüchten, sie begaben sich über den Iran in den Nordirak. Dort wartete die Gruppe die britisch-amerikanische Invasion ab, welcher es im Frühling 2003 schließlich gelang, Saddam Hussein zu stürzen, dessen nationalistische Baath-Partei zu verbieten und das Militär aufzulösen. Im Sommer desselben Jahres begann ein Aufstand gegen die fortbestehende US-amerikanische Anwesenheit – beteiligt daran waren diverse sunnitische Gruppierungen, die unterschiedliche ideologische Ausrichtungen aufwiesen. Die Extremisten führten allerdings nicht nur Angriffe auf US-Soldaten durch, sondern verübten zudem Selbstmordattentate auf Christen und Schiiten. [6]

Es war al-Zarqawi, der eine der größten Gruppen anführte; ihm gelang es nämlich, viele Iraker in seine Organisation einzugliedern. [7]