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Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage April 2015)

© 2015 by ars vivendi verlag

GmbH & Co. KG, Cadolzburg

Alle Rechte vorbehalten

www.arsvivendi.com

 

Lektorat neue Kurzkrimis: Dr. Felicitas Igel

Umschlaggestaltung: ars vivendi unter Verwendung einer Fotografie von Thomas Kastura

Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

 

eISBN 978-3-86913-571-7

 

 

Thomas Kastura

 

Fünf Leichen zu viel

 

Brandeisen & Küps ermitteln

 

Kriminalgeschichten

 

 

 

 

 

ars vivendi

 

Inhalt

Vorwort

Partnersuche

Die Lichtlein brennen

Tempelchen des Todes

Fünf Leichen zu viel

Der Meisterfälscher

Rezensentenschicksal

Solo für den Staatsanwalt

Wasser des Lebens

Fnecken erfrecken

Die Jagd nach dem Kunigunden-Rubin

Der Geist der Wahrheit

Showdown im Steigerwald

Zwei Fremde rechnen ab

Die Bissgurrn

Der Glühweinstadtrat

Die Göögägäng

Textnachweis

 

Vorwort

Nach Drei Morde zu wenig erscheint nunmehr der zweite Band mit Kriminalgeschichten um das Bamberger Ermittlerpaar Brandeisen & Küps. Diesmal haben der hochgewachsene Staatsanwalt und der quadratische Kommissar ihren Wirkungskreis noch einmal erweitert: Bis nach Schottland führt sie die rastlose Verbrecherjagd, ins Fichtelgebirge, den Steigerwald und sogar nach Sachsen-Anhalt. Doch auch das heimische Bamberg kommt nicht zu kurz. Die Geschichten sind separat lesbar, was den Einstieg in die Welt der beiden eigenwilligen Gesetzeshüter erleichtert.

Fast alle Ortsnamen halten einer Überprüfung durch die Wirklichkeit stand – ausgenommen Gloomis Ca­stle in der Erzählung »Der Geist der Wahrheit«, welches jedoch dem realen Glamis Castle in der Grafschaft Angus nachgebildet ist.

Gleich drei Mundartkrimis sind in diesem Band enthalten. Warum? So manchem gilt Dialekt als derb und provinziell. Für mich stellt sein Sprachwitz und seine Lakonie jedoch eine literarische Bereicherung dar. Ich hoffe sehr, dass sich dem geneigten Leser etwas vom Charme des Fränkischen mitteilt.

 

Thomas Kastura

Bamberg, im März 2015

 

Partnersuche

»Unvorstellbar! Was für eine Schande. Dass es so weit kommen musste! Man möchte vor Scham im Boden versinken.« Staatsanwalt Brandeisen holte tief Luft. »Ich weiß nicht weiter.«

Küps raufte sich das dünn und dünner werdende Haupthaar. »Zwei Wochen sind wir schon an dem Fall dran. Und wir haben nichts, niente, nada. Es ist zum Auswachsen!«

Wenn der Kommissar schon Fremdsprachen benutzte, war guter Rat teuer. Brandeisen betrachtete die Weißwandtafel im Büro seines langjährigen Ermittlungspartners. Außer dem Tatort war dort nicht das Geringste verzeichnet. Ein großes X und der Schriftzug »Maxplatz«, mehr stand da nicht.

Wie das? Bamberg war von einem spektakulären Sprengstoffanschlag erschüttert worden. Zum Glück hatte er sich um drei Uhr nachts zugetragen, als die Besucher des diesjährigen Blues- und Jazzfestivals längst nach Hause gegangen waren und auf dem Maxplatz gähnende Leere geherrscht hatte. Ein friedliches Bild hatte sich geboten: die Bühne verwaist, alle Pappbecher ausgetrunken, Stille im Karree – bis der Bierausschankwagen einer auswärtigen Brauerei mit einem krakatauartigen Knall in die Luft geflogen war. An seiner Stelle befand sich jetzt ein Krater, bedeckt vom Fallout verdampften Bieres.

Die Explosion war noch in Laibarös zu hören gewesen, 57 Fensterscheiben waren dabei zu Bruch gegangen. Das am Maxplatz gelegene Rathaus war so sehr in seinen Grundfesten erschüttert worden, dass die städtischen Beamten Sonderurlaub bekommen hatten, um Personenschäden durch Zugluft oder herabrieselnden Putz vorzubeugen. Ein Statikerteam hatte begonnen, das Gebäude auf Einsturzgefahr zu überprüfen. Dabei waren Risse im Mauerwerk und durch puren Zufall auch mehrere mumifizierte Staatsdiener entdeckt worden. Man hatte sie in ihren Amtsstuben vergessen, weil sie sich seit Jahren um keinen Millimeter bewegt hatten – im Dienst entschlafen.

Doch was den atomisierten Bierausschankwagen betraf, fehlte buchstäblich jede Spur. Es gab keine Zeugen, keine Verdächtigen, keine Hinweise oder Anhaltspunkte, nur Spekulationen und ein vages Motiv.

»Gehen wir alles noch mal durch«, sagte Küps. »Dass die Bamberger kein Industriebier mögen, ist ja bekannt.«

»Sie lehnen es sogar leidenschaftlich ab, zumindest die Lokalpatrioten.« Brandeisen warf einen Blick auf den Bürokühlschrank. Dort lagerten, wie er wusste, stets einige Flaschen besten Rauchbieres, welches mit den Massenprodukten der Branche so viel gemein hatte wie edler Champagner mit Keller Geister. »Ich frage mich, warum diese Brauerei auf dem Blues- und Jazzfestival überhaupt zugelassen ist.«

»Die sind der Hauptsponsor. Irgendwie muss man solche Veranstaltungen ja finanzieren.«

»Manch einer betrachtet das womöglich als Übergriff auf heimisches Territorium. Und von der Infiltration zur Invasion ist es nur ein Schritt. Wir haben zehn Brauereien allein im Stadtgebiet und neunzig im Umland. Vor allem die kleineren würden auf der Strecke bleiben, wenn sich ein Großkonzern hier breitmacht.«

»Meinen Sie, die Bamberger Brauer haben für den Anschlag zusammengelegt, um die Konkurrenz einzuschüchtern?« Küps überlegte. »Sind die nicht total zerstritten?«

»Oder einer hat das Heft in die Hand genommen. Nach dem Motto ›Wehret den Anfängen‹.«

»Das setzt aber eine erhebliche Gewaltbereitschaft voraus.«

»In existenziellen Fragen sind Oberfranken nicht zimperlich.« Brandeisen öffnete seinen Aktenkoffer und holte eine Bierflasche heraus. Sie trug das Etikett der umstrittenen Fremdbrauerei.

»Was soll das werden?«

»Ein Selbstversuch.« Der Staatsanwalt stellte zwei Gläser auf den Tisch, entfernte den Kronkorken und schenkte ein. »Schließlich müssen wir wissen, worüber wir reden.«

Diese ungewöhnliche Maßnahme verriet, wie verzweifelt die Situation des unerschrockenen Duos war. Nach einigem Zögern und gegenseitigem Taxieren nippten Brandeisen und Küps gleichzeitig an ihrer Probe. Sie fühlten sich wie Madame Curie und ihr Mann Pierre, die freiwillig mit radioaktiven Elementen hantiert und dadurch ihre Gesundheit ruiniert hatten.

»Pfui Deufl!« Küps spuckte das Bier ins Glas zurück.

»Widerliches Gesöff«, bestätigte Brandeisen. »Höchstens eisgekühlt trinkbar, sonst kriegt man das nicht runter.«

»Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Kein Wunder, dass jemand diese Bierbude ins Nirwana gejagt hat.«

»Ein psychisch gestörter Einzeltäter?«

»Gestört muss der gar nicht sein«, sagte Küps unwirsch. »Grantig reicht schon.«

»Aber eine Bombe lässt sich nicht auf die Schnelle zusammenbauen. Ich denke, eine Tat im Affekt können wir ausschließen.«

»Was steht denn noch zur Auswahl? Islamisten? Der NSU? Vielleicht haben die was gegen Blues und Jazz?«

»Warum nicht gleich die Kastelruther Spatzen?« Brandeisen warf die Arme in die Luft. »Seien wir ehrlich: Wir haben nicht die geringste Ahnung, in welche Richtung wir ermitteln sollen. Ich fürchte, wir brauchen professionelle Hilfe. Zu zweit schaffen wir das nie.«

»Langsam glaub ich auch, dass wir allein nicht weiterkommen.« Küps nahm zwei Flaschen seines Lieblingsrauchbieres aus dem Kühlschrank und öffnete sie an der Schreibtischkante. Eine bot er Brandeisen an, damit sie den Geschmack der Kloakenprobe loswurden. »Was schlagen Sie vor?«

»Wir tun uns mit jemandem zusammen, der in keinster Weise mit der Strafsache befasst ist. Ein Blick von außen, unvoreingenommen, verstehen Sie? Nach diesem Prinzip funktionieren ganze Krimireihen.«

»Und an wen denken Sie?«

»Eigentlich habe ich gehofft, dass dieser bedauerliche Fall nie eintreten würde. Dennoch sehen Sie mich nicht unvorbereitet.« Der Staatsanwalt stöpselte das Kabel des Beamers in sein Laptop und startete eine Powerpoint-Präsentation, die einer seiner Assistenten in tagelanger Kleinarbeit zusammengestellt hatte. Ein Porträtfoto erschien auf der Weißwandtafel, garniert mit zahlreichen persönlichen Daten.

»Kommissarsanwärterin Schmidtlein.« Brandeisen wusste von den väterlichen Sympathien, die Küps für die junge Kollegin hegte. Mit ihrer forschen Art hatte ihnen die Nachwuchskraft bei der Verbrecherjagd gelegentlich geholfen.

»Zu impulsiv.« Küps winkte ab, ein bisschen zu schnell, wie es den Anschein hatte. »Außerdem macht die immer irgendwas kaputt.«

»Stimmt, die Gute ist ein bisschen unerfahren.« Brandeisen spürte sofort, dass dem Kommissar ein näherer Umgang mit der Schutzbefohlenen gar nicht geheuer war. Am Ende entstand daraus noch eine dieser billigen Affären, mit denen Drehbuchautoren plotschwache Vorabendserien aufpeppten. Dem war rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Mit einem Tastendruck rief er das nächste Profil auf. »Doktor Fabrizius, Rechtsmediziner.«

»Wie kann uns der denn nützen?«

»Er hat einen Sinn für schwarzen Humor. Das lockert die Fahndung ein wenig auf.«

»Fabrizius ist mit seiner Knochensäge verheiratet, von Polizeiarbeit versteht der gar nichts.« Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Möchten Sie sich dauernd unappetitliche Details von Obduktionen anhören? Da käme mir der Wurstsalat wieder hoch. Und wenn ich Sie daran erinnern darf: Bei der Explosion gab’s keine Toten.«

»Auch wieder wahr. Mal sehen, wen wir noch haben.«

Ein weiteres Konterfei stierte ihnen von der Projektionsfläche entgegen. Ein fülliger Mann mit wässrigem Blick und einer Haartolle wie Elvis. Insgesamt machte er einen eher verbeulten Eindruck.

»Drütschel!«, entfuhr es Küps. »Wie kommen Sie auf den?«

»Wenn wir unseren Polizeipsychologen einschalten, erfahren wir mehr über den beklagenswerten Zustand der Gesellschaft.«

»Sie meinen über Spielsucht, Midlife-Crisis und Eheprobleme?«

»Ist doch hochinteressant. Können Sie mit einer solchen Fülle emotionaler Labilitäten aufwarten? Ich nicht. Drütschel bringt Leben in die Bude.«

»Der säuft mir den Kühlschrank leer.« Der Kommissar ließ sich nicht überzeugen. »Weiter.«

Brandeisen hatte noch jede Menge Dossiers in petto. Sie unterzogen eines nach dem anderen einer eingehenden Prüfung. Wer konnte ihr enger Mitarbeiter werden, ihr Sidekick, wie es im Krimijargon hieß? Auf dem Sklavenmarkt im antiken Rom mochte es ähnlich wählerisch zugegangen sein.

Da war die attraktive Profilerin vom LKA, Körbchengröße D. Ein hübscher Anblick, auch beim Schießen machte sie eine gute Figur, wie ein Kurzfilm der Münchner Kollegen illustrierte. Doch schien sich die langmähnige Schönheit mehr mit den Kurven ihrer Seitenansicht als mit der Charakterisierung von Straftätern zu beschäftigen. Sie wirkte, als habe sie ihre Rolle zwischen einer Desperate Housewife und Agent Scully noch nicht gefunden.

»Die schleppt mich noch ins Fitnessstudio«, kommentierte Küps und tätschelte seinen Bauch. Er hatte den Sixpack der Jugend längst gegen ein Partyfass eingetauscht.

Ein in Bamberg mit erstaunlichem Erfolg agierender Privatdetektiv war der Nächste. Er weckte sogleich Brandeisens Argwohn. »Wie ist der überhaupt in die Datei reingerutscht? Falls wir den Bombenleger fassen, gibt dieser Schnüffler das als seine eigene Leistung aus. Der kennt nur den Klang barer Münze. Und seine Witze sind so prickelnd wie eines Ihrer Fußbäder im Hochsommer, Gerhard.«

Küps schaute verschämt zu der Schüssel auf dem Aktenschrank, die ihm an den Hundstagen Labsal verschaffte. Den dazugehörigen Bimsstein bewahrte er in einer gesonderten Schublade auf. Mit Hornhaut aus 30 Dienstjahren war nicht zu spaßen.

Die Diashow zeigte im Folgenden …

 

… einen Informanten aus der Drogenszene, der behauptete, sein stadtbekannter Nightclub wäre so etwas wie Luxemburg, weil dort eigene Gesetze gälten. Vorteil: Kontakte zur Unterwelt. Nachteil: durchgekokstes Gehirn.

 

… eine Journalistin, die schon so manchen Bamberger Skandal aufgedeckt hatte. Vorteil: superintelligent. Nachteil: Sie hatte ein Foto des Bierausschankwagenkraters an BILD verkauft, was darauf hindeutete, dass sie sogar Aufnahmen von Brandeisens ausgestopfter Dogge Hilda meistbietend versteigern würde. Zu indiskret.

 

… der Pförtner des Justizgebäudes, der eigentlich Geschichtsstudent im 14. Semester war. Vorteil: Er konnte noch die abseitigsten Zusammenhänge herstellen und war ein versierter Rotweinkenner. Das würde dem alkoholischen Teil der Ermittlungen eine gewisse Klasse verleihen. Nachteil: Er arbeitete neuerdings für einen Kommissar in Paris, der solche akademischen Originale gern um sich scharte. Bamberg galt dem Historiker inzwischen als finsterste Provinz und stand bei ihm unter Regiokrimiverdacht.

 

Sie fielen alle durch. Keiner erschien Brandeisen und vor allem Küps hinreichend qualifiziert.

»So landen wir nie beim Fernsehen«, schimpfte der Staatsanwalt und schaltete das Laptop aus. »Zwei Männer in den Vierzigern ohne prägnante Zivilisationsschäden. Wir sind viel zu normal!«

Küps merkte auf. »Haben Sie etwa ein konkretes Angebot?«

»Aber sicher. Diese Medienleute stehen auf Reality-Crime. RTL will mit uns eine ganze Staffel drehen.«

Küps verstand die Welt nicht mehr. »Und warum sagen Sie das erst jetzt?«

»Sollte eine Überraschung sein.« Brandeisen bemerkte, wie eingeschnappt der Kommissar plötzlich war. »Tut mir leid, ich hätte Sie natürlich einweihen sollen. Aber –«

»Teamwork. Wissen Sie, wie sich das schreibt?«

»Ist das jetzt ein Orthografietest?«

»Raus mit der Sprache! Was wollen die?« Küps wurde laut. Sein Ehrgeiz, sonst eine Qualität, die er gut zu verbergen wusste, war geweckt.

»RTL will zwei Idioten und einen Cleveren. So lautet das Konzept. Ich dachte, wenn wir noch jemanden finden, der zu uns passt …«

»Am besten eine Frau, wie?«

»Drei Männer gehen auch. Das hätte was von Die Drei von der Tankstelle. Obwohl ich persönlich Die drei Musketiere vorziehe.«

»Einen Idioten treiben wir wohl noch auf. Wär doch gelacht.«

Brandeisen verzichtete darauf zu klären, wer von ihnen beiden den Cleveren und wer den Idioten abgeben sollte. Wahrscheinlich gingen die Ansichten da auseinander. »Mir fällt nur noch ein Pfarrer ein.«

»Ein Schwarzkittel?«, fragte Küps renitent, doch war er katholischer, als er zugeben mochte. »Haben Sie eine Ahnung, wann ich zum letzten Mal bei der Beichte war? Man kommt ja zu nichts. Wie soll ich Ihrem Pfarrer so unter die Augen treten?«

»Keine Angst. Der Kandidat, der mir vorschwebt, nimmt es mit den Sakramenten nicht so genau.« Brandeisen hörte zum ersten Mal von den seelischen Nöten des Kommissars. Zur Beruhigung ergänzte er: »Übrigens, wenn Sie das Gewissen drückt, mein Lieber, habe ich für Sie jederzeit ein offenes Ohr.«

Das fehlte noch, dachte Küps. Eher rief er bei Domian an, als dem Staatsanwalt seine kleineren und größeren Verfehlungen anzuvertrauen. »Ein Pfarrer. Meinen Sie so einen Father-Brown-Klon? Kritischer Geist, der mit Bibelzitaten um sich wirft und herummenschelt, weil er angeblich mitten im Leben steht?«

»Ich hatte einen mehr solipsistischen Typus im Sinn.«

»Einen was?«

»Pater Paavo ist ein introvertierter Vertreter seiner Zunft, geradezu mönchisch. Ab und zu hilft er in der Dompfarrei aus.« Dass Brandeisen den Kleriker auch deswegen ins Casting einbezog, weil er Alliterationen liebte, verschwieg er lieber. »Ich habe ihn erst kürzlich kennengelernt, deswegen existiert noch kein Computerprofil von ihm.«

»Ein Schuss Skandinavien täte dem Ganzen bestimmt gut.« Küps brütete vor sich hin und nahm ein paar inspirierende Schlucke Rauchbier. »Die Leute kaufen ja jeden Dreck, Hauptsache aus Schweden.«

»Der Pater ist Finne.«

»Auch recht, bisschen exotisch.« Plötzlich kamen dem Kommissar Bedenken. »Und RTL hat keine Probleme damit, wenn wir auf der Skandinavien-Welle reiten?«

»Das deutsche Fernsehen kopiert mangels eigener Ideen seit Jahrzehnten irgendwelche Wellen aus dem Ausland. Dieses Gestaltungsprinzip arbeitet uns in die Hände, wenn wir mit Pater Paavo ins Rennen gehen.«

»Ist der Tatort nicht was Eigenständiges?«

»Wir wollen doch nicht der Volkshochschule unter den Krimis nacheifern«, wandte Brandeisen ein. »Nach meinem bescheidenen Dafürhalten werden die Abenteuer unseres Trios ein Straßenfeger. Und den Grimme-Preis geben sie uns obendrauf.«

»Na dann.«

»Darf ich das als Zustimmung werten?«

»Bestellen Sie den Kerl mal ein«, sagte Küps und seufzte. »Hoffentlich landen wir nicht in einem Kirchenkrimi. Meine Ministrantenzeit ist definitiv vorbei.«

Der Staatsanwalt holte sein Diensthandy hervor und wählte Pater Paavos Nummer, welche selbiger eigenhändig eingegeben hatte, damit Brandeisen ihn jederzeit erreichen konnte. Er bat den Geistlichen, unverzüglich in der Polizeidirektion zu erscheinen.

In der Zwischenzeit spielten Brandeisen und Küps Halma. Ungewöhnliche Idiosynkrasien machten sich in Krimis immer gut, fanden sie, da konnte man schon mal üben.

Als es 10:2 für Küps stand, klopfte es. Der Pater trat ein.

Er war noch kleiner als Küps und halb so breit. Ein glatzköpfiger Gnom – warum auch nicht? Paavo trug eine schwarze Mönchskutte und roch nach Motten­kugeln. Ein Bart von der Farbe räudigen Katzenfells umwölkte das Gesicht. In seinen tausendseenblauen Augen blitzte ein scharfer Verstand. Und war ihm nicht eine Stechmücke ins Büro des Kommissars gefolgt?

Nach den üblichen Höflichkeitsfloskeln bot der Staatsanwalt seine Überredungskünste auf. »Sie interessieren sich doch für Straftaten, Pater? Möchten Sie uns in einem äußerst schwierigen Fall zur Seite stehen?«

»Joo.«

»Vielleicht werden uns die Kameras eines Fernsehsenders dabei begleiten. Das stört Sie doch nicht, oder?«

»Minä ymmärrän. Alles klar.« Pater Paavo warf einen Blick auf das Halmabrett und machte einen Todeszug, der die Partie entschied und Brandeisen auf 3:10 herankommen ließ.

»Bravo! Ich sehe, wir haben es mit einem Meister der Logik zu tun.«

»Kiitos.«

»Das ist Finnisch, nicht wahr? Wunderbar! So authentisch.«

»Joo.«

»Ein Naturtalent«, raunte Brandeisen dem Kommissar zu. »Diese Lakonie! Ein wenig depressiv schaut er auch aus. Vielleicht hat er eine bewegte Vergangenheit, Spätberufener und so. Damit stellen wir die Wallander-Verfilmungen in den Schatten!«

Küps erschlug die Stechmücke mit der Akte eines Schwerverbrechers, die leider noch ein bisschen dünn war. Dann machte er den Pater mit dem Fall vertraut.

Paavo nickte in regelmäßigen Abständen. Die Zehen in seinen Sandalen gerieten in Bewegung. Hin und wieder kratzte er sich am Hinterkopf.

»Das wär’s«, schloss der Kommissar. »Ich weiß, die Fakten sind mager. Aber wir hoffen sehr, dass Sie uns helfen können.«

»Joo.«

Schweigen. Die Sekunden verstrichen.

»Und?«, fragte Brandeisen. »Haben Sie schon einen Geistesblitz?«

Der Pater ergriff eines der Gläser, die auf dem Tisch standen, und trank es leer. »Gut.«

Brandeisen und Küps warteten auf eine Abstoßungsreaktion. Die Bierprobe war so abgestanden wie eine Pfütze am Sandkerwamontag.

»Sie finden das gut?«, fragte Küps entsetzt.

»Waren Sie in letzter Zeit beim Arzt?«, fragte Brandeisen. »Zum Routinecheck? Der Verlust des Geschmackssinns kann das erste Anzeichen einer schweren Erkrankung sein.«

»Ich weiß, wer am Maxplatz gemacht hat Bumm«, sagte der Pater.

»Wie?«

»Ich habe geforscht. Ich kenne Täter.«

»Moment!« Küps brachte das nicht ganz auf die Reihe. »Sie spazieren hier rein wie der Michel aus Lönneberga und sagen: Fall gelöst?«

»Joo.«

»Und wer war’s?«

»Jünglinge. Tut ihnen sehr leid alles. War ein … Missgeschick.«

»Das müssen Sie erklären«, sagte Brandeisen.

Paavo zögerte. »Jünglinge sind sehr besorgt, wenn sagen Wahrheit.«

»Jünglinge kriegen Mordsdrümmaschelln, wenn sie nicht mit der Wahrheit rausrücken!«, rief Küps. »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich, Pater?«

Der Kirchenmann begann in gebrochenem Deutsch zu erzählen. Nach und nach buchstabierten sich die Ermittler alles zusammen.

Eine Gruppe Jugendlicher, die Paavo seelsorgerisch betreute, hatte einen Superkanonenschlag gebastelt, mit Schwarzpulver aus zahllosen gehorteten Silvesterböllern, es sollte einmal richtig krachen. Nach etlichen Bieren auf dem Blues- und Jazzfestival nahm ihre Stimmung zunehmend destruktive Züge an, was nicht zuletzt auf die miserable Qualität des Kaltgetränks zurückzuführen war. Als die musikalischen Darbietungen beendet und die Zuschauer nach Hause gegangen waren, brach sich der Zerstörungstrieb Bahn. Eigentlich wollten die Halbstarken den Kanonenschlag am Maximiliansbrunnen erproben, auf dessen Hauptpfeiler eine Statue des ersten Königs von Bayern steht. Der Ort erschien ihnen dann zu exponiert, und sie legten den Sprengsatz unter den Bierausschankwagen der Fremdbrauerei, um zu sehen, ob das Ding durch die Explosion ein bisschen abhebt. Nachdem die Lunte angezündet war, suchten die Früchtchen Deckung hinter der Musikbühne und hielten sich die Ohren zu – eine weise Vorsichtsmaßnahme, denn die Detonation des in seiner Wirkung stark unterschätzten Superkrachers war apokalyptisch. Sie kamen mit Knalltraumata, Gleichgewichtsstörungen und Zitteranfällen davon. Das Pfeifgeräusch in ihren Köpfen hielt drei Tage an. Als sie wieder einigermaßen hergestellt waren, hatte sie ihr schlechtes Gewissen zu dem Pater getrieben.

Dies alles sei natürlich in keinster Weise zu entschuldigen. Er, Paavo, habe die jungen Leute davon überzeugt, sich der Polizei zu stellen. Sie bereuten ihre schändliche Tat und nähmen jede Strafe bereitwillig an.

»Wo sind die kleinen Scheißer?«, grollte Küps.

»Draußen vor der Tür«, sagte Pater Paavo.

Brandeisen öffnete und empfing die Truppe mit einem gestrengen Blick. »Herein mit Ihnen!«

Es waren drei Jungs und ein Mädchen. Sie scharten sich sogleich um Pater Paavo und schauten so schuldbewusst drein wie eine Meute Dackel.

»Silvesterböller, so so.« Küps schnaufte aus und setzte sich hinter seinem Schreibtisch in Positur. »Sie wissen, wie gefährlich das ist?«

»Unverantwortlich«, fügte Brandeisen hinzu. Er nahm neben dem Kommissar Aufstellung und sah aus wie Göttervater Zeus kurz vorm Blitzeschleudern. »Was haben Sie sich dabei bloß gedacht? Das gibt Wochenendarrest, und nicht zu knapp!«

»Joo«, sagte der Pater zur Bekräftigung.

Die Jugendlichen schauten betreten zu Boden und machten keinen Mucks, wie Paavo es ihnen eingetrichtert hatte.

Nur einer begehrte auf. Ein sommersprossiger Blondschopf, dem eine Karriere als Kneipenfaktotum schon ins Gesicht geschrieben stand. »Aber des is doch a Dreggsbier, Herr Kommissar. Des mooch doch kanner dringn in Bamberch.«

Die beiden Kriminaler tauschten Blicke. Der Geschmack der Bierprobe kam ihnen in den Sinn, sogleich wurden ihre Zungen pelzig.

Küps erinnerte sich an seine eigene Jugend, als er am Milchweg Lagerfeuer geschürt und Durchschmorexperimente mit Einwegfeuerzeugen angestellt hatte. Und im Umkreis der US-Kasernen war Brandeisen früher an Army-Bestände herangekommen, deren Test fast einmal NATO-Alarm ausgelöst hätte.

Sie nickten einander zu. Eine Ermahnung musste genügen.

Viel war ja nicht passiert. Die Großbrauerei konnte den Verlust des – ohnehin versicherten – Schankwagens verschmerzen. Der Krater würde die Stadt vielleicht zur längst überfälligen Neugestaltung des Maxplatzes veranlassen. Und die Reparatur der zu Bruch gegangenen Fensterscheiben war ein Segen für die örtlichen Glasereien.

Küps ordnete eine erkennungsdienstliche Behandlung an, mit Lichtbildern, Fingerabdrucknahme, DNA-Abstrich und allem Pipapo. Brandeisen hielt den Jugendlichen noch eine wortreiche Gardinenpredigt, das war Strafe genug. Pater Paavo wurde aufgetragen, sich künftig besser um seine Schäflein zu kümmern. Natürlich sollten alle Stillschweigen bewahren.

»Lassen Sie es sich eine Lehre sein«, drohte der Kommissar. »Und jetzt raus hier.«

»Hyvin tehty tänään.« Der Pater verabschiedete sich. »Hyvästi.«

Damit war der Fall abgeschlossen.

Draußen brach die Dämmerung herein, ein anstrengender Arbeitstag ging zu Ende. Küps spendierte zwei weitere Biere. Das feinmalzige Aroma, die dezente Rauchigkeit und der süffige Abgang verscheuchten endgültig die bösen Geister des Selbstversuchs. Er würde heute ohne Albträume schlafen können.

Es dauerte eine Weile, bis Brandeisen aufhörte, mit dem Kopf zu schütteln. »Schneit doch dieser Pater herein und klärt alles im Handumdrehen auf.«

»Er war im Vorteil. Die Jugendlichen sind ja von allein zu ihm gekommen und haben gestanden.«

»Und wie sehen wir dabei aus? Ich will es Ihnen sagen: Wie zwei weltferne Schreibtischhengste, die keine Ahnung von der Realität haben.«

»Ach, Sie meinen die Krimiserie.«

»Pater Paavo macht uns überflüssig. Nach dem RTL-Konzept würde er die Rolle des Cleveren übernehmen, und wir wären die beiden Idioten.«

Das gab Küps zu denken. »Ein Trio … Vielleicht doch keine so gute Idee.«

»Drei sind einer zu viel«, stimmte Brandeisen ihm zu.

»Habe ich überhaupt ein Fernsehgesicht?«

»Auf dem Bildschirm wirkt man immer doppelt so dick.«

»O Gott!«

»Wir müssten Stunden in der Maske verbringen. Und dann diese ewige Warterei an den Drehtagen.«

Küps legte nach. »Nichts gegen Ausländer, aber der Pater kommt mir seltsam vor. Haben Sie gesehen, wie er die Pestbrühe ohne mit der Wimper zu zucken runtergeschluckt hat? Abartig.«

»Und das Finnische geht einem ziemlich schnell auf die Nerven«, sagte Brandeisen. »Scheint nur aus Is und Äs zu bestehen. Ob das TV-tauglich ist?«

»Zu Hause schau ich ja nur Sport.«

»Ich Naturdokus.«

»Ab und zu eine DVD mit einem schönen Spielfilm.«

»Aber nur anspruchsvolle Sachen. Zum Beispiel Staatsanwälte küsst man nicht. Kann ich immer wieder sehen.« Robert Redford war für Brandeisens Geschmack zwar etwas klein, aber das machten der Humor des Streifens und die wunderbare Debra Winger locker wett. »Ich sage den Fernsehfritzen wohl besser ab«, meinte er schließlich.

»Spart uns bestimmt viel Ärger«, sagte Küps.

»Bestimmt.«