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Nr. 1481

 

Keine Chance für Raumfort Choktash

 

Die Leute der ARCHIBALD – auf einer Mission am Rand der Galaxis

 

von Robert Feldhoff

 

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Im Sommer des Jahres 1146 NGZ sollte die jahrhundertealte galaxisweite Herrschaft der Cantaro und derer, die über diesen Klon-Wesen stehen, längst so gefestigt sein, dass niemand den gegenwärtigen Zustand verändern kann.

Perry Rhodan mit seinen Tarkan-Rückkehrern, die Freihändler und die Angehörigen der galaktischen Widerstandsorganisation WIDDER versuchen trotzdem, die Gewaltherrscher der Milchstraße zu stürzen und den unterjochten Völkern die Freiheit zurückzugeben.

Die Bemühungen der Widerständler sind bei eindeutiger militärischer Unterlegenheit sogar zeitweilig von Erfolgen gekrönt. Nach Perry Rhodans Amagorta-Expedition kommen die Freiheitskämpfer jedoch in Bedrängnis, denn der Gegner startet die Generaloffensive.

Während die Widder und ihre Verbündeten erbittert um ihre Existenz kämpfen, werden gleichzeitig Mittel und Wege gesucht, den Gegner entscheidend zu treffen.

Unter anderem bringt die Crew eines schrottreifen Raumschiffes auf einer mehr als riskanten Mission am Rande der Galaxis den Cantaro eine Schlappe bei.

Und so gibt es KEINE CHANCE FÜR RAUMFORT CHOKTASH ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner leitet eine riskante Aktion ein.

Loydel Shvartz – Ein Kommandant opfert sein Schiff.

Constancca – Die Chirurgin setzt ihren Willen durch.

Finnek Strabo und Guilar Maru – Besatzungsmitglieder der ARCHIBALD.

Khebikto und Quaroch – Zwei Cantaro, die bereit sind, für WIDDER zu arbeiten.

1.

Prolog Vergangenheit

Die Chirurgin

 

An der medizinischen Fakultät der Akademia Terrania war Constancca die einzige Absolventin, die den Studiengang in weniger als zehn Jahren abschloss. Medizin war fast eine Berufung für sie. Natürlich hatte sie noch verschiedene Ergänzungsfächer hinzugenommen – Exomedizin, Exodiagnostik besonders, und natürlich ein Minimum an psychologischer Ausbildung.

Dazu kam als ungewöhnlichstes Element eine Ausbildung in Hyperphysik. Alles in allem steckten nicht mehr als zwanzig Jahre in ihrer Grundausbildung.

In Anbetracht der Lebenserwartung einer durchschnittlichen Terranerin war das nicht viel.

Jedenfalls nicht, wenn man den Standard des Jahres 448 NGZ zugrunde legte.

Aber das war siebenhundert Jahre her! Wie es heute an der Akademia Terrania aussah, wusste niemand, denn das Solsystem war hinter einem Schirm unbekannter Natur verschwunden. Heutzutage, nach dem Zeitsprung der Tarkan-Flotte, herrschten dort die Cantaro und Monos, jener geheimnisvolle Unbekannte ... Constancca strich nachdenklich mit den Fingern durch ihr schulterlanges, glattes Haar. Ein paar Strähnen behinderten den Blick auf ihren Monitor.

Doch sie störte sich nicht daran, weil sie ganz andere Probleme hatte. Heutzutage interessierte sich kein Mensch mehr für hervorragende Ausbildungsergebnisse. Heutzutage zählte ausschließlich Leistung. Sie gehörte zum Team von Sedge Midmays, dem Chefmediker der CIMARRON. Und dort, so gestand sich Constancca unwillig ein, hatte sie bisher nicht eben Ruhm erworben.

Aber dabei musste es ja nicht bleiben. Erst in den letzten Wochen hatte sie begonnen, die Verhältnisse in der Milchstraße wirklich zu akzeptieren. Sie fand sich endgültig damit ab, dass ein unmenschliches System alles beherrschte.

Nur die Mitglieder der Organisation WIDDER leisteten organisierten Widerstand, und sie und die anderen Mitglieder der Tarkan-Flotte waren ebenfalls Widder geworden. Seite an Seite mit Homer G. Adams' Leuten kämpften sie gegen Monos und die Cantaro.

Seit ihr dies mit jeder Faser des Gehirns bewusst war, ging es aufwärts.

Ein summendes Geräusch riss Constancca aus den Gedanken.

Per Knopfdruck aktivierte sie den Interkom in der Wand. Mit einer raschen Handbewegung strich sie die schwarzen Strähnen aus dem Gesicht und sah ihr Gegenüber an. Es war Sedge Midmays, der Teamchef der Mediker. Niemand auf Heleios, der augenblicklichen WIDDER-Zentralwelt, war ihm auf fachlichem Gebiet überlegen.

»Hallo, Sedge.«

»Hallo, Constancca! Ich will dir bloß schnell mitteilen, dass es in einer Stunde soweit ist! Die Daten sind zusammen, wir wollen sie gemeinsam auswerten!«

»Eine Stunde?«

»Ich weiß, das kommt ein bisschen plötzlich.«

»Aber nein, gar nicht.« Constancca schenkte ihm ein warmes, berechnendes Lächeln. Sie musste schon froh sein, bei solchen Besprechungen überhaupt berücksichtigt zu werden. »Bis später, Sedge.«

Eigentlich mochte sie ihn, diesen plattfüßigen Mann mit der riesigen Nase und den Wulstlippen. Und doch hatte sie keine andere Wahl; in einer Stunde würde sie seine gesamte medizinische Kompetenz in Frage stellen. Midmays hatte versagt, ebenso wie seine engsten Mitarbeiter.

 

*

 

Sie entnahm ihrem persönlichen Terminal einen Datenträger mit der Aufschrift CANTARO. Damit wollte sie Midmays und die anderen überzeugen.

Wie immer in den letzten Monaten waren die Cantaro das Problem. Natürlich, es hatte Fortschritte gegeben. Nun wusste man zumindest ungefähr, was es mit den ominösen Todes- und Lebensimpulsen auf sich hatte. Die Cantaro waren abhängig von einer übergeordneten Instanz – auf noch undurchsichtige Weise bestimmten sie über Tod und Leben der Droiden.

Aber warum? Die Hintergründe kannte niemand.

Inzwischen stand fest, dass ein bestimmtes Element im Körper der Cantaro mit den Impulsen zu tun hatte.

Es handelte sich um einen wurmähnlichen Fortsatz am Herzen; genauer gesagt, an der fünften Herzkammer. Einmal hatten sie versucht, diesen Fortsatz quasi am lebenden Objekt zu untersuchen. Doch der Cantaro namens Phoram war explodiert. Niemand kannte den Grund genau. Sie hatten nur ungefähre Erkenntnisse zur Verfügung.

Einmal mehr wurde deutlich, dass ihnen mit den Cantaro kein gewöhnliches Rätsel aufgegeben wurde. Diese Synthese aus genetischer Zucht und Mikrotechnik war ein unglaubliches Gebilde. Auf der einen Seite tödlich wie ein Geschwader Kampfroboter, auf der anderen Seite ein empfindlicher Mechanismus ...

Und hier lag der hauptsächliche Fehler, den Sedge Midmays und die anderen begingen. Sie dachten nicht variabel genug, nicht einmal der hochgeschätzte Sato Ambush. Irgendwo ganz in der Nähe lag eine Lösung. Irgendwie musste es möglich sein, die gefangenen Cantaro von diesem Wurmfortsatz zu befreien.

Wie sollte man das anstellen, wenn nicht einmal eine Untersuchung möglich war?

Es bedurfte nur einer Idee.

Constancca erhob sich, legte ein weites Cape um und verließ mit dem Datenträger ihre Unterkunft.

Das Hauptquartier der Organisation WIDDER lag auf Heleios, einem Dschungelplaneten im Perseus-Sektor der Milchstraße. Früher einmal hatte hier ein Hansekontor existiert, doch die Daten waren nie in NATHAN gespeichert worden.

Natürlich war der Stützpunkt durch alle Sicherheitsmaßnahmen abgeschirmt. Die eigentlichen Anlagen befanden sich im Innern eines Gebirgsmassivs, auf dem größten Kontinent des Planeten. Das Umland bestand aus Dschungel; nichts wies auf die Anwesenheit von Menschen hin.

Der wichtigste Schutz allerdings war die Tatsache, dass Monos die Koordinaten nicht kannte. Sollte es je dazu kommen, dass Heleios' Standort bekannt wurde, stand ein mörderischer Angriff bevor.

Aber noch war es nicht so weit. Und hoffentlich kam es nie dazu, dachte sie.

Ein Reinigungsroboter kreuzte ihren Weg. Constancca blieb kurz stehen und ließ die Maschine passieren. Von ihrer Unterkunft aus wandte sie sich nach links, in Richtung der abgeschirmten Labors. Dort hatten Midmays und Ambush das Projekt SM-Rodigar gestartet, und dort war auch Phoram gestorben.

Constancca bewegte sich zielsicher durch die Gänge des Stützpunkts bis in den Flügel, den Midmays als Treffpunkt bestimmt hatte.

Aus dem Korridor drangen unverständliche Wortfetzen. Sie folgte den Stimmen und kam an einen mittelgroßen Raum. Die Tür stand offen. An einem langen Tisch saßen etwa zwanzig Personen. Sie trat ein, berührte den Schließkontakt und ließ sich in den letzten freien Sessel fallen.

»So.«

Das war Sedge Midmays. Ein verweisender Blick traf sie. Constancca sah auf das Handchronometer und erkannte, dass sie etwas zu spät war.

»Mit Constancca sind wir vollständig. Wir können beginnen.«

 

*

 

Sämtliche Personen im Raum waren ihr gut bekannt. Sie schenkte einigen von ihnen einen flüchtigen Blick, darunter auch Sato Ambush, der neben Midmays in schriftlichen Unterlagen blätterte. Dann wandte sie sich ihrem Platzterminal zu. Der Reihe nach ging sie die aktuellen Daten durch.

Constancca versank eine Stunde lang völlig in Zahlenkolonnen und Diagrammen. Dann wurde ihr klar, dass es eigentlich kein neues Ergebnis gab. Phoram war gestorben, und im Grunde wussten sie noch immer nicht, warum.

»Sind alle fertig?«

Irritiert sah sie auf. Alle nickten. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie sich aus dem komplexen Gebäude ihrer Gedanken gelöst hatte.

»Constancca?«, fragte Midmays nochmals nach.

»Sicher«, gab sie wütend zurück. »Wieso fragst du ausgerechnet mich, Sedge?«

»Weil du als letzte gekommen bist. Gut, dann lasst uns das Material besprechen. Wir wissen jetzt einiges mehr über den inneren Aufbau der Cantaro. Jedenfalls so viel, dass ich unsere Theorie als gegeben voraussetze. Es gibt einen Lebensimpuls – den müssen alle Cantaro von Zeit zu Zeit empfangen. Sonst explodieren sie. Und es gibt einen Todesimpuls. Dieser wird bei Bedarf ausgestrahlt. Das Ergebnis ist dasselbe wie bei Fall Nummer eins.«

»Unser Klient explodiert«, fügte Sato Ambush hinzu. Der kleine Mann im Kimono wirkte bedrückt.

»Deswegen jetzt ein kleines Brainstorming.«

Sedge Midmays' Stimme hatte einen tiefen, angenehmen Klang, der Constanccas Ärger über die Zurechtweisung besänftigte. Deshalb hörte sie mit Interesse den verschiedenen Thesen zu, die im Verlauf der nächsten Stunde vorgebracht wurden.

Eines jedoch war ihnen allen gemeinsam: Es waren Thesen, keine Fakten.

Irgendwann sprach niemand mehr. Midmays schien ein paar Sekunden lang nachzudenken, dann meinte er: »Wenn niemand mehr etwas vorzubringen hat ...«

»Halt!« Das war Constancca. »Ich habe etwas. Ihr alle denkt nicht ungebunden genug nach! Das ist ein Fehler, der sich rächen wird. Wartet! Ich habe euch etwas mitgebracht. Ich überspiele euch die Daten auf die Terminals.«

Sie schob den Datenträger vor ihrem Pult in den Analyseschlitz, lud den Inhalt und übertrug ihn. Erneut saßen die Mitglieder des Teams schweigend vor ihren Bildschirmen. Constancca beobachtete sorgfältig ihre Reaktionen. Zuerst bildeten sich Sorgenfalten bei den meisten, dann sah sie nur noch Ablehnung.

»Aber das ... bedeutet ...«

»Richtig«, unterbrach Constancca. »Das ist ein Plan zur Amputation der Wurmfortsätze. Wir können die Gebilde nicht direkt antasten oder gar entfernen. Dann explodieren die Cantaro. Also entfernen wir das Gebilde insgesamt. Herz und Wurmfortsatz.«

»Unmöglich!«, rief Sedge. »Wie sollen sie ohne Herz leben?«

Constancca hatte sich ihre Antwort sorgfältig überlegt. »Wir hängen sie an eine Herzmaschine. Das ist gang und gäbe während operativer Eingriffe.«

»Aber nicht bei Cantaro. Niemand kann die Folgen vorhersehen.«

»Wenn es so bleibt wie jetzt, sterben sie mit Sicherheit. Und später setzen wir den Cantaro eigene Herzkonstruktionen ein. Da sehe ich nicht das geringste Problem.«

Midmays wusste keinen Einwand mehr.

Nun allerdings meldete sich erstmals Sato Ambush zu Wort. »Du hast eigenständig nachgedacht, Constancca«, lobte der kleine Mann. »Dennoch, ich bin sicher, dass sich der Plan so nicht durchführen lässt.«

»Weshalb?«

»Weil du einen Freiwilligen brauchst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich einer der Gefangenen auf Verdacht das Herz entfernen lässt.«

»Warum fragen wir nicht einfach, bevor wir das entscheiden?«

»Das kannst du versuchen, Constancca.«

»Und wenn du mir dabei hilfst, Sato?« Sie warf Ambush einen Blick zu, der andere Männer hätte erröten lassen, doch der Pararealist reagierte nicht einmal.

»Das hat keinen Sinn. Die Cantaro denken höchst logisch nach. Nur Argumente überzeugen sie. Und die kannst du ebenso gut vorbringen wie ich.«

Constancca versuchte, ihre Enttäuschung nicht zu zeigen.

Sedge Midmays beendete die Diskussion. »Constancca, du redest mit den Cantaro. Und wenn du Erfolg hast, denken wir weiter über die Operation nach.«

Jetzt gewann die Enttäuschung doch noch die Oberhand. Sie hatte erwartet, dass ihre Leistung Anerkennung finden würde. Diese kalte Reaktion warf ein sehr schlechtes Licht auf die anderen Mediker. Constancca sprang auf und stürmte hinaus.

 

*

 

In ihrem Quartier stellte sie eine Anforderungsliste für den Servo zusammen. Der Automat lieferte Lebensmittel für eine Woche, ein Zweipersonen-Zelt mit Energiegatter – und Schutzkleidung. Die würde sie nötig haben. Bei Nacht wurde es sehr kalt draußen.

Alle Gegenstände passten in einen kleinen Rucksack.

Constancca hinterließ eine Abmeldung für die medizinische Abteilung, nahm den Sack und stürmte hinaus. Auf dem Korridor prallte sie fast mit Loydel Shvartz zusammen.

»He, Constancca! Du hättest mich fast umgerannt!«

»Was willst du?«, fragte sie unwirsch.

»Mit dir sprechen.« Loydel war terranischer Abstammung. Dessen jedenfalls rühmte er sich immer. Die ganze Zeit gab er sich den Anschein, als sei in ihm Marco Polo persönlich wiedergeboren worden.

Sein grobgeschnittenes Gesicht zeigte ein verschlagenes Lächeln, das jedoch Maske war. Sie kannte ihn. Er war hinter ihr her, aber nicht auf diese Weise. Loydel war keiner, der ihre schwachen Stunden nutzen wollte.

»Na, wie ist's mit uns beiden?«, fragte er. Aus einer seiner Taschen zog er eine kleine Flasche mit Wein. »Sieh mal! Das hab' ich einem abgegaunert, der in der CIMARRON ein ganzes Lager voll hatte. Damit könnten wir uns einen ruhigen Abend machen.«

»Keine Chance, Loydel! Ich verschwinde für ein paar Tage und gehe fischen.«

»Ärger gehabt?«

Sie schnaubte nur, ohne seine Frage zu beantworten.

 

*

 

Dichter Dschungel umgab auf Hunderte von Kilometern das Felsmassiv. Constancca hockte auf ihrer Plattform und ließ das Versteck der Organisation WIDDER hinter sich zurück.

Per Notrufsender stand sie mit der Basis in Verbindung. Sollte irgendwo in der Nähe eine Einheit der Cantaro auftauchen, musste die Plattform sofort landen. Dann durfte nirgendwo auf Heleios auch nur eine Batterie laufen, die nicht abgeschirmt war.

Heftiger Fahrtwind blies ihr ins Gesicht. Da die Temperatur im Augenblick nur zehn Grad betrug, zurrte sie ihre Kombination am Hals fest zusammen.

Unten zogen die dichten Urwälder vorbei; die undurchdringlich verflochtenen Baumkronen, das karge Leben in den Etagen darunter. Niemand hatte die Wälder je erkundet. Es lohnte den Aufwand nicht. Man begnügte sich damit, auf Heleios sicheren Unterschlupf zu finden.

Etwa vierhundert Kilometer von der Station entfernt fand sie auf Anhieb den Flusslauf, den sie vor zwei Wochen gemeinsam mit Loydel entdeckt hatte. Sie hatten sich nur zur Entspannung umgesehen – und waren dabei auf ein kleines Paradies gestoßen.

Der Fluss mündete in einen kleinen See.

Es gab sandigen, bei steigendem Wasser überfluteten Strand, dazu eine Handvoll Felsen und genügend Ruhe. Der ideale Platz, dachte sie. Hier konnte sie nachdenken und ihren Zorn in aller Ruhe verrauchen lassen.

Constancca landete. Die Plattform stellte sie unter einem Baum am Wasser ab, dann packte sie das Zelt aus. Es entfaltete sich selbstständig und stand innerhalb von drei Sekunden fertig da.