Giovanni Boccaccio

Das Dekameron

Übersetzer: Klabund

e-artnow, 2015
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ISBN 978-80-268-4053-4


9. Novelle

Andriola liebt den Gabiotto. Sie erzählt ihm einen Traum, den sie gehabt hat, und er sagt ihr wieder, was ihm geträumt habe, warauf er plötzlich in ihren Armen stirbt. Indem sie mit Hilfe ihrer Magd seinen Leichnam nach seinem Hause schaffen will, werden sie beide von der Wache angehalten. Sie erzählt dem Stadtrichter den ganzen Verlauf der Sache und widersteht darauf seinen ungebührlichen Anmutungen. Ihr Vater erfährt iht Schicksal und bewirkt ihre Befreiung, indem ihre Unschuld erwiesen wird. Sie entsagt darauf allem Umgange mit der Welt und geht in ein Kloster.

Inhaltsverzeichnis

In Brescia lebte vor Zeiten ein Edelmann, namens Messer’ Negro da Ponte Carraro, der verschiedene Kinder und unter anderen eine sehr schöne, noch unverheiratete Tochter namens Andreola hatte, die sich zufälligerweise in einen ihrer Nachbarn verliebte, der Gabriotto hieß, und zwar von geringer Herkunft war, aber von löblichen Sitten und dabei schön und einnehmend von Gestalt. Mit Beihilfe einer Magd wußte sie nicht nur Gabriotto ihre Liebe zu erkennen zu geben, sondern es auch so einzurichten, daß er sie in einem schönen Garten ihres Vaters zu ihrem beiderseitigen Vergnügen mehr als einmal besuchen konnte, und damit nichts als der Tod ihre glückliche Verbindung trennen möchte, so wurden sie insgeheim Mann und Weib. Indem sie nun von Zeit zu Zeit ihre verstohlenen Zusammenkünfte fortsetzten, traf es sich einmal, daß Andreola im Traume sich mit Gabriotto in dem Garten zu befinden und ihn voll beiderseitiger Wonne zu umarmen glaubte. Plötzlich schien es ihr, daß ein schwarzes und schreckliches Wesen aus seinem Leibe hervorginge, dessen Gestalt sie nicht erkennen konnte, das Gabriotto ergriff und all ihres Sträubens ungeachtet ihn mit unwiderstehlicher Gewalt ihren Armen entriß und mit ihm unter der Erde verschwand, so daß sie weder ihn noch das scheußliche Wesen weiter sehen konnte. Sie empfand darüber einen so heftigen Schmerz, daß sie davon erwachte. Wiewohl sie sich freute, daß es nur ein Traum gewesen war, so verursachte dieser Traum ihr doch eilige Besorgnis. Als demnach Gabriotto am folgenden Abend wünschte, sie zu besuchen, gab sie sich alle Mühe, ihn davon abzuhalten. Weil er aber so sehr darauf bestand, daß sie fürchten mußte, er würde etwas Unrechtes argwöhnen, wenn sie sich seinem Willen widersetzte, so empfing sie ihn des Abends in ihrem Garten, woselbst sie, weil es Rosenzeit war, viele weiße und rote Rosen pflückten und sich neben einem schönen, kristallhellen Springbrunnen lagerten. Nachdem sie dort eine geraume Zeit in süßestem Genusse verweilt hatten, fragte Gabriotto sie nach der Ursache, weswegen sie ihm diese Zusammenkunft hätte versagen wollen. Sie erzählte ihm darauf den Traum der vergangenen Nacht und die Angst, die sie deswegen empfunden habe. Gabriotto lachte darüber und behauptete, es wäre eine große Torheit, an Träume zu glauben, weil sie bloß von zu vielem oder zu wenigem Essen und Trinken herrührten, und weil man täglich sähe, daß sie nichtig wären. “Wenn ich”, fuhr er fort, “auf jeden Traum achten wollte, so wäre ich selbst heute nicht zu dir gekommen, und zwar nicht um deines Traumes willen, sondern wegen eines anderen, den ich selbst in der vorigen Nacht geträumt habe. Ich glaubte mich nämlich in einem schönen und anmutigen Walde zu befinden. Ich jagte dort und fing ein Reh, das so schön und zierlich war, als ich irgend eines gesehen hatte; es war weiß wie Schnee und gewöhnte sich in kurzer Zeit so sehr an mich, daß es mir nicht von der Seite ging; dabei war es mir so lieb geworden, daß ich, um es nie zu verlieren, ihm ein goldenes Halsband umtat, mit einer goldenen Kette, an der ich es beständig führte. Wie dieses Reh einmal mit seinem Kopf in meinem Schoß ruhte, schien es mir, als wenn ein kohlschwarzer Windhund (ich weiß nicht woher), heißhungrig und schrecklich anzusehen, auf mich zugesprungen kam, der mir die Schnauze an die linke Brust setzte, mir bis an das Herz hineinbiß, es herausriß und damit fortlief, was mich so greulich schmerzte, daß ich davon erwachte und den Augenblick mit der Hand nach meiner Seite fühlte, ob ich dort etwas fände. Als ich aber nichts fand, lachte ich über mich selbst, daß ich danach gesucht hatte. Allein, was hat das auf sich! Ich habe dergleichen Träume und noch wohl schrecklicher schon oft gehabt, und mir ist darum nichts mehr noch weniger geschehen; laß es also nur gut sein und laß uns die Zeit zu unserem Vergnügen anwenden.”

War das junge Weib bereits über ihren eigenen Traum erschrocken, so erschrak sie jetzt noch mehr, da sie dieses hörte; doch um Gabriotto keinen Unmut zu verursachen, gab sie sich alle Mühe, ihre Furcht zu verbergen. Obwohl sie ihn demnach einmal über das andere mit anscheinender Heiterkeit zärtlich umarmte, so konnte sie sich dennoch nicht enthalten, eine gewisse Unruhe zu empfinden, die sie sich selbst nicht erklären konnte, und von Zeit zu Zeit, öfter als sie gewöhnt war, ihm ins Gesicht zu sehen, bald um sich herzuschauen, ob sich nicht etwas näherte. Mit einem Male stieß Gabriotto einen tiefen Seufzer aus, schmiegte sich an sie und rief: “O, meine Seele! Hilf mir, ich sterbe!” Mit diesen Worten sank er nieder auf den Rasen.

Äußerst erschrocken umfing ihn Andreola in ihrem Schoße und fragte mit Tränen: “Was ist dir, mein Geliebter?” Allein Gabriotto gab keine Antwort; der Todesschweiß trat ihm auf die Stirn, er atmete nur noch einmal auf und verschied. Wie heftig sein plötzlicher Tod die junge Frau bewegte, die ihn mehr als sich selbst liebte, das kann man sich leicht denken. Sie weinte bitterlich und rief ihn mehr als einmal; allein vergeblich. Nachdem sie ihn am ganzen Leibe befühlt und ihn überall kalt und erstarrt gefunden hatte, konnte sie seinen Tod nicht länger bezweifeln. Sie wußte sich weder zu raten noch zu helfen. Mit verweinten Augen eilte sie, ihre vertraute Magd zu rufen und klagte ihr ihre Not und ihren Schmerz, und nachdem sie beide eine Zeitlang über dem erblaßten Antlitz des Gabriotto geweint hatten, sagte die junge Frau zu ihrer Magd: “Ich mag nicht länger leben, nachdem mir der Tod meinen einzigen Geliebten geraubt hat; doch ehe ich die Hand an mich selbst lege, wünschte ich, daß wir ein Mittel finden könnten, meine Ehre und das Geheimnis meiner Liebe in Sicherheit zu stellen, und diesem Leichnam, dessen geliebter Geist entflohen ist, zum Begräbnis zu verhelfen.”

“Gott verhüte mein Töchterchen,” versetzte die Magd, “daß du dich ums Leben brächtest. Denn nachdem du deinen Geliebten in dieser Welt verloren hast, so würde er auch in jener Welt für dich ewig verloren sein, wenn du zur Mörderin an dir selbst würdest; du würdest zur Verdammnis fahren, wohin seine Seele gewiß nicht gegangen ist, weil er ein edler Jüngling war. Du solltest lieber suchen, dich zu trösten, und durch Gebete und gute Werke seiner Seele beizustehen, wenn er dessen vielleicht wegen einiger Sünden bedürfte. Zu seinem Begräbnis ist leicht Rat zu schaffen. Wir können ihn entweder hier im Garten begraben, und niemand wird etwas davon erfahren, weil kein Mensch weiß, daß er jemals hierher gekommen ist; oder wenn dir das nicht gefällt, so laß uns ihn vor den Garten hinaustragen, wo man ihn morgen früh wohl finden und ihn nach Hause tragen wird, damit die Seinigen ihn zur Erde bestatten.”

So tief betrübt die junge Witwe war und so wenig sie aufhören konnte zu weinen, so achtete sie doch aufmerksam auf die Ermahnungen der Magd. Der erste Teil wollte ihr nicht in den Sinn und auf den zweiten gab sie zur Antwort: “Das verhüte der Himmel, daß ich zugeben sollte, daß mein Geliebter und Gemahl wie ein Hund verscharrt oder auf die Straße hinausgeworfen würde! Meine Tränen sind über ihn geflossen, und soviel an mir liegt, will ich dazu beitragen, daß auch die Tränen seiner Verwandten ihm fließen sollen; ich weiß auch schon, wie wir es anfangen wollen.”

Sie schickte darauf sogleich ihre Magd nach einem seidenen Gewande, das sie in ihrem Kasten hatte; dieses breitete sie auf die Erde und legte den Leichnam darauf, legte ihm ein Ohrkissen unter das Haupt, und nachdem sie ihm Mund und Augen zugedrückt, ihm einen Kranz von Rosen aufgesetzt und ihn mit den übrigen gepflückten Rosen bestreut hatte, sprach sie zu der Magd: “Von hier bis nach seiner Haustür. ist der Weg nicht lang; darum wollen wir, sobald wir ihn gehörig eingewickelt haben, ihn dahin tragen und ihn vor seiner Schwelle niederlegen. Der Tag ist nicht mehr fern; dann wird man ihn finden, und so wenig tröstlich dieses für seine Verwandten sein wird, so ist es doch für mich beruhigend, in deren Armen er gestorben ist.”

Mit diesem Worten beugte sie sich noch einmal über das Antlitz des Toten und badete es lange Zeit mit ihren Tränen. Mehr als einmal mußte die Magd sie erinnern, daß es schon anfing zu tagen; endlich richtete sie sich wieder auf, zog den Ring von ihrem Finger, der sie mit Gabriotto vermählt hatte, und sprach mit Tränen, indem sie ihn an den seinigen steckte:

“Teuerster Gemahl! Wenn dein Geist mich noch umschwebt und meine Tränen sieht, oder wenn dem Leibe, nachdem die Seele entflohen ist, noch einige Empfindungen übrig bleiben, so empfange mit Wohlgefallen dies letzte Geschenk von derjenigen, die du in deinem Leben so sehr geliebt hast.” Indem sie dieses sprach, sank sie ohnmächtig auf den Leichnam hin, und wie sie sich ein wenig wieder erholte, hob sie mit Hilfe ihrer Magd das Tuch auf, worin er gewickelt war, und nahm ihren Weg aus dem Garten nach seinem Hause. Der Zufall wollte, daß ihnen von ungefähr die Wächter begegneten, welche den Leichnam bei ihnen fanden und sie anhielten. Andreola, welche sich den Tod mehr als das Leben wünschte und die Wächter erkannte, sprach mit Entschlossenheit: “Ich sehe wohl, wer ihr seid, und daß ich umsonst versuchen würde, euch zu entfliehen; ich bin bereit, mit euch zu gehen und mich vor Gericht zu stellen, um von diesem Vorfalle Rechenschaft zu geben; doch keiner von euch unterstehe sich, da ich euch willig folge, Hand an mich zu legen oder etwas an diesem Leichnam zu berühren, wenn er nicht will, daß ich ihn verklagen soll.” Die Wächter gehorchten und führten sie nach dem Richthause, ohne sie oder den Leichnam anzutasten.

Der Richter stand auf, ließ Andreola in sein Zimmer kommen und verhörte sie sehr umständlich, und nachdem auch die Ärzte den Leichnam besichtigt und untersucht hatten, ob er nicht durch Gift umgekommen wäre, verneinten sie solches und erklärten, daß ihm ein Blutgefäß nahe am Herzen zersprungen sei, das ihn erstickt habe. Wie der Richter vernahm, daß man ihr wenig oder gar nichts zur Last legen könnte, wollte er sich dennoch das Ansehen geben, daß er ihr eine Gunst erwiesen indem er ihr nur bloße Gerechtigkeit widerfahren ließ, und wollte ihr dagegen zumuten, ihre Freiheit von ihm auf Kosten ihrer Tugend zu erkaufen. Sie wies aber sein Verlangen mit Verachtung ab, und wie er darauf wider alles Recht und Billigkeit Gewalt brauchen wollte, lieh ihr gerechter Zorn ihr männliche Kräfte, sie verteidigte ihre Ehre gegen ihn, indem sie ihm zugleich mit schmählichen Worten seine Niederträchtigkeit vorwarf.

Indessen brach der Tag an; Messer’ Negro erfuhr alles, eilte höchst betrübt mit vielen seiner Freunde nach dem Richthause, beschwerte sich über das Verfahren gegen seine Tochter und verlangte sie zurück. Der Stadtrichter, welcher lieber mit guter Manier selbst eingestehen wollte, daß er Gewalt versucht hätte, als die Anklage der jungen Witwe abzuwarten, erhob ihre Tugend und Standhaftigkeit mit vielen Lobsprüchen und gestand, daß er beide ,auf die stärkste Probe gesetzt habe, um sie zu prüfen; .ihr standhaftes Betragen habe ihn demnach zur Liebe bewogen, daß er sie, wenn ihr Vater und sie selbst nichts dawider hätten, gern zur Gemahlin nehmen würde, obwohl sie die Witwe eines Mannes von geringem Stande wäre. Indem davon gesprochen ward, erblickte Andreola ihren Vater, eilte ihm mit Tränen entgegen und sagte: “Mein Vater, ich glaube nicht, daß ich nötig habe, Euch die Geschichte meiner Unbesonnenheit und meines Unglücks zu erzählen; denn gewiß habt Ihr schon alles gehört und erfahren. Ich bitte Euch demnach, mir meinen Fehler zu verzeihen, daß ich ohne Euer Vorwissen denjenigen zu meinem Gemahl machte, den ich über alles liebte. Indem ich diese Verzeihung von Euch begehre, wünsche ich damit nicht mein Leben zu fristen, sondern nur als Eure Tochter und nicht als eine Euch Verhaßte aus der Welt zu scheiden.”

Mit diesen Worten fiel sie ihm weinend zu Füßen. Messer’ Negro, der schon sehr bei Jahren und von Natur ein liebreicher, gutmütiger Mann war, weinte selbst über ihre Worte und sprach zu ihr, indem er mit nassen Augen sie aufhob: “Meine Tochter, es wäre mir freilich unendlich lieber gewesen, wenn du einen Mann nach meinem Herzen genommen hättest, oder wenn du ja deiner eigenen Wahl folgen wolltest, so hätte ich mir auch das gefallen lassen; darum muß es mich schmerzen, daß du mir deine Wünsche verschwiegen und mir so wenig Zutrauen bewiesen hast. Doch da die Sachen nun einmal so stehen, so will ich dasjenige, was ich für deinen Gatten in seinem Leben gern getan hätte, auch jetzt im Tode an ihm tun: daß ich ihn nämlich liebe und ehre als meinen Schwiegersohn.

Er wandte sich hierauf an seine Kinder und Verwandten und befahl ihnen, dem Gabriotto ein ehrenvolles Leichenbegängnis zu halten. Unterdessen waren auch die Verwandten und Freundinnen des Verstorbenen und fast alle Männer und Weiber der Stadt herbeigekommen. Man stellte deswegen den Leichnam auf dem Hofe aus, in dem Tuche, worin Andreola ihn gewickelt, und bedeckt mit allen Rosen, womit sie ihn bestreut hatte, und es beweinten und beklagten ihn nicht nur die Frauenzimmer, die mit ihm verwandt waren, sondern fast alle Weiber und manche Männer in der Stadt, und er ward nicht wie ein gemeiner Mann, sondern wie ein vornehmer Herr von den angesehensten Bürgern der Stadt aus dem Schloßhofe zu Grabe getragen.

Nach einiger Zeit warb der Stadtrichter aufs neue um Andreola, und ihr Vater unterstützte seinen Antrag bei ihr. Allein sie wollte von ihm nichts hören, und da ihr Vater sie bei ihrem Willen ließ, so ging sie mit ihrer Magd in ein Kloster, das wegen der Frömmigkeit seiner Bewohnerinnen berühmt war. Hier lebten sie noch lange Zeit als Nonnen in frommer Zurückgezogenheit.

10. Novelle

Die Frau eines Wundarztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für tot in einen Kasten, den ein paar Wucherer wegstehlen und nach ihrem Hause tragen. Dort kommt er wieder zur Besinnung und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Frau sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, den die Geizhälse gestohlen hätten. Dadurch rettet sie ihn vom Galgen, und die Wucherer werden wegen des gestohlenen Kastens zu einer Geldbuße verdammt.

Inhaltsverzeichnis

Es lebte einmal vor einiger Zeit in Salermo ein trefflicher Wundarzt, der sich Meister Mazzeo della Montagna nennen ließ, und der, als er schon ziemlich betagt war, ein sehr schönes, munteres und junges Mädchen aus seiner Stadt zum Weibe nahm und sie mit Kleidern, mit Schmuck und mit allem, was eine Frau sich von dergleichen Dingen nur wünschen kann, so reichlich wie keine sonst in der ganzen Stadt versorgte.

Allerdings litt sie die meiste Zeit an Erkältung, weil sie der Meister im Bett nicht immer so warm zudeckte, wie er wohl hätte tun sollen. So wie wir nun von dem wohlbelobten Herrn Ricciardo di Chinzica weiland gehört haben, daß er seiner Frau die Fast-und Feiertage im Kalender fleißig verzählte, so schien dieser sein Weibchen belehren zu wollen, daß ein Mann, wenn er bei seiner Frau gelegen, Gott weiß wie viele Tage sich erholen müsse, womit er aber seine junge Frau ebensowenig als jener erbaute. Weil es ihr nun weder an Witz noch an warmem Blut fehlte, so entschloß sie sich, um ihren Hausvorrat nicht anzugreifen, sich außer dem Hause zu versorgen und wenn möglich von fremden Tellern zu essen. Und als sie demzufolge eine Menge junger Leute durchmustert hatte, fiel ihre Wahl auf einen, an dem sie so viel Gefallen fand, daß sie mit Leib und Seele an ihm hing und ihre ganze Hoffnung auf ihn setzte. Dem Jüngling, der dieses bald gewahr ward, kam es sehr gelegen, und er war froh, sich ihr ebenfalls gänzlich widmen zu können. Er nannte sich Ruggieri da Jeroli und war zwar von edler Geburt, aber desto verderbter von Sitten und Aufführung, so daß ihm auch kein Freund und Verwandter übrig geblieben war, der ihm wohl wollte, oder dem er auch nur vor Augen kommen durfte, weil er in ganz Salermo wegen Diebereien und anderer böser Streiche berüchtigt war; doch darum bekümmerte sich die Dame sehr wenig, da er ihr wegen etwas anderem gefiel. Sie veranstaltete demnach durch die Vermittlung ihrer Magd eine Zusammenkunft mit ihm, und nachdem sie aneinander eine Zeit ihre Lust gehabt hatten, stellte sie ihm sein bisheriges unordentliches Leben vor und bat ihn, es aus Liebe zu ihr zu unterlassen; und damit sie ihm auch die Mittel dazu erleichterte, so pflegte sie ihm von Zeit zu Zeit mit Geld zu unterstützen.

Indem sie auf diese Weise mit möglichstes Vorsicht zu Werke ging, trug es sich zu, daß dem Wundarzt ein Kranker zu behandeln anvertraut ward, der einen Schaden an einem Beine hatte. Als er den Schaden besichtigte, erklärte er den Freunden des Kranken, wofern ihm ein eingefaulter Knochen nicht gleich herausgeschnitten würde, so müsse man ihm nachher das ganze Bein abnehmen, oder er müsse sterben. Wenn man den Knochen entferne, könne er zwar genesen, auf alle Fälle aber könne er für das Leben des Kranken nicht einstehen. Die Angehörigen waren mit diesem Vorbehalt einverstanden und übergaben ihm den Kranken. Weil der Wundarzt glaubte. daß jener ohne einen Schlaftrunk nicht imstande sein würde, den Schnitt auszuhalten, den er gegen Abend vorzunehmen gedachte, so ließ er zu diesem Zweck ein Wasser aus gewissen Mitteln abziehen, welches den Kranken so lange fest einschläfern sollte, bis er mit der Arbeit fertig wäre. Die Flasche mit dem Schlaftrunk stellte er in sein Zimmer und dachte nicht daran, seinen Hausgenossen zu sagen, was sie enthalte. Als die Vesperstunde kam, und der Wundarzt bald zu seinem Kranken gehen wollte, kam ein Eilbote von einigen seiner besten Freunde aus Amalfi, welche ihn bitten ließen, unverzüglich zu ihnen zu kommen, weil bei einer heftigen Schlägerei verschiedene von ihnen wären verwundet worden. Der Arzt ließ also seinen Kranken mit dem Bein bis zum folgenden Morgen warten, stieg in ein Boot und fuhr nach Amalfi. Weil nun seine Frau wußte, daß er die Nacht über nicht wieder nach Hause kommen würde, ließ sie ihrer Gewohnheit nach Ruggieri heimlich zu sich kommen und schloß ihn im Zimmer ihres Mannes ein, bis gewisse Leute im Hause zu Bett gegangen waren. Während Ruggieri in diesem Zimmer wartete, wandelte ihn entweder infolge der Anstrengungen des Tages, oder weil er etwas Salziges gegessen hatte, oder weil er von Natur gern trinken mochte, ein gewaltiger Durst an, und als er die Flasche mit dem Wasser, das der Arzt für den Kranken bereitet hatte, fand und Trinkwasser darin vermutete, so setzte er sie an den Mund, leerste sie aus bis auf den letzten Tropfen und fiel bald darauf in einen tiefen Schlaf.

Die Frau vom Hause kam inzwischen, sobald sie konnte, in das Zimmer; als sie ihn schlafend fand, schüttelte sie ihn und sagte leise zu ihm, er möchte aufstehen; allein er gab keine Antwort und rührte sich nicht. Sie ward darüber ein wenig böse, rüttelte ihn stärker und sagte: ;,So steh doch auf, du Faulpelz! Wenn du schlafen wolltest, so hättest du zu Hause bleiben und nicht hierher kommen sollen.” Da fiel Ruggieri von einer Bank, auf die er sich niedergelegt hatte, herunter und blieb wie ein Toter, ohne das geringste Merkmal des Lebens, liegen. Die Dame erschrak heftig, richtete ihn wieder auf, schüttelte ihn stärker als zuvor, zog ihn an seiner Nase und zupfte ihn am Bart. Es war alles umsonst, er hatte das Maultier an einen guten Pflock gebunden. Jetzt schöpfte sie Verdacht, er möchte wirklich tot sein. Indessen kniff sie ihn noch einmal heftig ins Fleisch und vermengte ihn mit einer Kerze. Es half alles nichts, und nun zweifelte sie nicht mehr an seinem Tode; denn obwohl ihr Mann ein Arzt war, so war sie selbst doch eben keine Meisterin in der Heilkunde. Da sie ihn nun außerordentlich geliebt hatte, so kann man wohl denken, wie groß ihr Schmerz jetzt war; doch mußte sie in aller Stille ihr Unglück beklagen und über ihn weinen, weil sie kein Geräusch machen durfte. Damit sie jedoch außer ihrem Verlust nicht noch obendrein in Schande gerate, so mußte bald dafür gesorgt werden, den Leichnam aus dem Hause zu schaffen; und weil sie selbst keinen Weg sah, so rief sie in der Stille die Magd, zeigte ihr, welch Unglück sie betroffen hatte und bat sie um Rat. Die Magd war ganz erschrocken, und nachdem sie gleichfalls Ruggieri vergeblich gerüttelt und geschüttelt hatte und ihn ebensowohl als ihre Frau für tot hielt, war sie mit ihr der Meinung, man müsse ihn eilig aus dem Hause schaffen. “Allein wohin schaffen wir ihn,” fragte die Dame “damit man morgen früh, wenn man ihn findet, nicht merkt, daß er aus diesem Hause gebracht worden ist?” “Madonna,” sprach die Magd, “ich sah heute abend vor der Tür unseres Nachbarn, des Zimmermanns, einen leeren Kasten stehen, der uns trefflich zustatten kommen wird, wenn ihn der Nachbar nicht wieder ins Haus genommen hat. Da wollen wir ihn hineinlegen, ihm ein paar Messerstiche geben und ihn liegen lassen. Wer ihn dort findet, wird so wenig auf uns als auf jemand anders Verdacht schöpfen, sondern weil er immer ein Lump und ausschweifender Mensch war, so wird man denken, daß ein Feind bei irgendeiner Schandtat ihn betroffen, umgebracht und in den Kasten geworfen habe.”

Die Dame bezeigte ihren Gefallen an dem Rat der Magd, die Messerstiche ausgenommen, gegen welche sie sich erklärte, weil sie es für keinen Preis in der Welt über ihr Herz bringen könne. Sie ließ also ihre Magd zusehen, ob die Kiste noch da wäre. Die Magd ging hin und fand die Kiste noch an Ort und Stelle. Sie kam wieder, und da sie ein rüstiges, handfestes Weib war, so nahm sie Ruggieri auf die Achseln; die Frau ging voraus und gab acht, ob auch niemand käme, und so warfen sie ihn in den Kasten, machten den Deckel zu und gingen davon.

Ein paar Häuser weiter waren vor einigen Tagen zwei Leute eingezogen, die auf Wucher liehen und gern viel gewinnen, aber wenig ausgeben mochten. Diese brauchten noch allerlei Hausrat und hatten unter anderm ihre Augen auf diesen Kasten geworfen, um ihn wegzunehmen, wenn er die Nacht über auf der Straße stehenbleiben sollte. Sie kamen also um Mitternacht heraus und schleppten den Kasten, obwohl er ihnen ein wenig schwer zu sein schien, ohne lange Untersuchung nach ihrem Hause und stellten ihn neben die Kammer, wo ihre Weiber schliefen; worauf sie zu Bett gingen, ohne ihn erst zurechtzurücken, und sich vorderhand nicht darum bekümmerten, ob der Kasten feststände oder nicht.

Ruggieri, der eine geraume Zeit geschlafen hatte und bei welchem die Wirkung des Trankes allmählich nachließ, erwachte kurz vor Tagesanbruch; der Schlaf war ihm zwar vergangen und seine Sinne fingen an, wieder ihre Dienste zu verrichten, doch fühlte er noch eine gewisse Betäubung im Kopf, die noch einige Tage nachher dauerte. Als er die Augen öffnete und nichts sehen konnte, und als er die Hände ausstreckte und fühlte, daß er in einem Kasten lag, fing er an nachzusinnen und dachte bei sich selbst: “Was ist das? Wo bin ich? Schlafe ich oder bin ich wach? Ich war doch diesen Abend in dem Zimmer meiner Geliebten, und nun liege ich, wie es scheint, in einem Kasten; was mag das bedeuten? Sollte der Arzt wiedergekommen oder sonst etwas vorgefallen sein, daß sie mich in diesem Kasten verborgen hätte? Sowas muß es gewiß sein.” Er lag demnach still und horchte, ob er nicht etwas vernehmen könne. Als er aber lange ausgeharrt hatte und seine Lage in dem engen Kasten ihm sehr unbequem ward, wollte er sich auf die andere Seite herumdrehen, weil ihn die eine schon schmerzte; und er tat dieses so ungeschickt, daß der Kasten, der auf einer ungleichen Stelle stand, durch den Stoß der Hüfte an die eine Seite ins Schwanken kam und schließlich umfiel, und beim Fallen ein solches Gepolter machte, daß die Frauen, welche dicht daneben schliefen, davon erwachten, aber vor Furcht stillschwiegen.

Ruggieri ward bei dem Falle des Kastens bange; weil er aber merkte, daß im Fallen zugleich der Deckel aufgesprungen war, wollte er vor allen Dingen lieber heraus sein als länger darin bleiben. Weil er aber nicht wußte, wo er war, und bald hier, bald dort im Hause herumtappte, um eine Tür oder eine Treppe zu suchen, um sich davonzumachen, so hörten ihn die Frauen sein Wesen treiben und riefen endlich: “Wer da?”

Ruggieri, der eine unbekannte Stimme hörte, gab keine Antwort, weswegen die Frauen die zwei Männer riefen, die aber, weil sie spät zu Bett gegangen waren, so fest schliefen, daß sie von allem nichts hörten. Die Frauen, die sich immer mehr fürchteten, sprangen endlich an ein Fenster und riefen aus vollem Halse: “Diebe, Diebe!” Darüber kamen einige von den Nachbarn über die Dächer und von da und dort in das Haus; die Hausherren wurden endlich von dem Lärm ebenfalls wach und standen auf. Ruggieri, der. sich an diesem fremden Orte befand, war vor Schreck und Erstaunen außer sich und wußte weder List noch Kunst, wie er entkommen sollte. Die Stadtpolizisten hörten den Lärm und kamen dazu, nahmen ihn gefangen und führten ihn zum Richter. Weil ihn jedermann als einen liederlichen Burschen kannte, so spannte man ihn ohne viele Umstände auf die Folter und zwang ihn zu bekennen, daß er den Wucherern ins Haus geschlichen wäre, um sie zu bestehlen; und schon wollte der Stadtrichter ihn deswegen ohne weitere Untersuchung hängen lassen.

Inzwischen verbreitete sich des Morgens in ganz Salerno das Gerücht, daß Ruggieri über einem Diebstahl bei den Wucherern ertappt worden wäre. Die Frau des Arztes und ihre Magd erstaunten darüber dermaßen, daß sie beinahe glaubten, alles, was sie am vorigen Abend getan hätten, wäre nur ein Traum und keine Wirklichkeit gewesen. überdies war der Dame wegen der Gefahr, worin Ruggieri schwebte, so angst, daß sie beinahe von Sinnen kam. Es war noch nicht viel mehr als anderthalb Stunden seit Sonnenaufgang verstrichen, als der Arzt von Amalfi zurückkehrte und nach seiner Flasche mit dem Tranke fragte, weil er hingehen wollte, seinen Kranken zu besorgen. Als er nun die Flasche leer fand, machte er einen gewaltigen Lärm darüber, daß in seinem Hause nichts an Ort und Stelle bleiben könne. Seine Frau, die andere Sorgen auf dem Herzen hatte, gab ihm verdrießlich zur Antwort: “Was würdest du erst sagen, wenn etwas von Wichtigkeit geschehen wäre, wenn du so viel Aufhebens um ein vergessenes Glas Wasser machst, als wenn sonst kein Wasser mehr in der Welt wäre.”

“Du denkst wohl, Frau,” sprach er, “daß nur klares Wasser in der Flasche war; aber das ist’s nicht, sondern es war ein Schlaftrunk, den ich hatte machen lassen.” Er erzählte ihr zugleich, warum und für wen er ihn verordnet hätte.

Als die Frau dieses hörte, fiel es ihr sogleich auf, daß Ruggieri ohne Zweifel diesen Trank genommen und daß sie ihn aus dieser Ursache für tot gehalten hätte. Sie entschuldigte sich demnach mit ihrer Unwissenheit und sagte zu ihrem Manne, er müsse ihn nun schon von neuem machen lassen; das tat der Doktor, weil es ja doch nicht mehr zu ändern war. Bald darauf kam die Magd zurück, die von ihrer Frau ausgesandt war, um sich zu erkundigen, was man von Ruggieri sage. “Madonna,” sprach sie, “jedermann spricht Böses von ihm, und ich habe nicht gehört, daß ein einziger Freund oder Verwandter sich für ihn verwendet oder um ihn bekümmert. Man meint, daß ihn der Richter morgen wird aufknüpfen lassen. Ich will Euch noch sagen, auf welche Art er, wie ich merke, in das Haus der Wucherer muß gekommen sein, und was meint Ihr wohl wie? Ihr wißt doch, daß wir ihn gestern abend vor der Türe des Nachbars Zimmermann in einen Kasten legten? Jetzt eben gab’s zwischen diesem und dem Manne, dem der Kasten gehört, einen heftigen Zank; denn der eine wollte das Geld für den Kasten haben, und der Zimmermann behauptete, er habe ihn nicht verkauft, sondern er sei ihm in der Nacht gestohlen worden. ‘Das ist nicht wahr’, sprach der andere. ‘Du hast ihn den zwei Wucherern verkauft; das haben sie mir selbst gesagt, als ich ihn bei Ruggieris Gefangennehmung in ihrem Hause stehen sah.’

‘Die Schelme lügen’, antwortete der Zimmermann. Ich habe ihn nie an sie verkauft, sondern sie haben ihn mir wahrscheinlich, diese Nacht gestohlen. Laß uns zu ihnen hingehen.’ Damit gingen sie beide einträchtig nach dem Hause der Wucherer, und ich eilte nach Hause. Ihr begreift nun wohl ebensogut wie ich, daß man Ruggieri mit dem Kasten dahin getragen hat, aber das begreife ich nicht, wie er wieder auferstanden ist.”

Die Frau sah jetzt vollkommen ein, wie alles zugegangen war; sie erzählte der Magd, was sie von ihrem Manne gehört hatte, und bat sie, auf Mittel zu denken, Ruggieri zu retten, wenn es irgend möglich wäre, ohne ihre eigene Ehre dabei aufs Spiel zu setzen.

“Sagt mir nur, Madonna, wie ich’s anfangen soll,” sprach die Magd, “so bin ich zu allem bereit.”

Die Dame, der das Messer an der Kehle saß, besann sich dennoch geschwind auf einen Anschlag, den sie mit ihrer Magd verabredete. Demzufolge ging die Magd zuerst zu ihrem Herrn und sagte mit Tränen zu ihm: “Gestrenger Herr, ich muß Euch um Verzeihung bitten wegen eines großen Fehltritts, den ich begangen habe.”

“Nun, was gibt’s denn?” fragte der Arzt.

“Ach Herr,” fuhr sie weinend fort, “Ihr wißt wohl, was Ruggieri da Jeroli für ein lockerer Gesell ist. Er hat sich in mich verliebt, und halb mit Liebe, halb mit Gewalt, hat er mich vor ein paar Tagen bewogen, seine Liebste zu werden. Als er nun hörte, daß Ihr gestern abend nicht zu Hause waret, hat er mir so lange zugesetzt, bis ich ihn in Eurem Hause zu mir in meine Kammer kommen ließ, bei mir zu schlafen. Er ward durstig, und weil ich mich vor Eurer Frau, die im Saale war, nicht wollte sehen lassen und die Flasche mit Wasser in Eurem Zimmer gesehen hatte, so holte ich sie her und gab sie ihm zu trinken und setzte die leere Flasche wieder hin. Ich höre, daß Ihr so zornig darüber gewesen seid, und ich muß in der Tat bekennen, daß ich sehr übel getan habe - aber wer fehlt nicht einmal in seinem Leben? Es tut mir herzlich leid, daß ich’s getan habe; nicht nur wegen der Sache selbst, sondern auch um der Folgen willen. Ruggieri ist in Gefahr, das Leben darüber zu verlieren; ich bitte Euch deswegen demütig um Vergebung und um Erlaubnis, hinzugehen und mein Bestes zu versuchen, um ihm loszuhelfen.”

Als der Arzt dies hörte, konnte er bei all seinem Zorne sich des Lachens nicht enthalten und spöttelnd zu ihr zu sagen: “Du hast dich diesmal selbst gestraft; denn statt eines rüstigen Gesellen, der dir, wie du meintest, wacker den Schlaf vertreiben sollte, hast du eine Schlafmütze bei dir gehabt. Geh nun hin und suche deinen Liebhaber zu retten; aber hüte dich, daß du ihn mir künftig wieder ins Haus bringst, wenn du nicht willst, daß ich dir das Alte mit dem Neuen zugleich auszahlen soll.” Als die Magd fand, daß der erste Streich ihr gut gelungen war, säumte sie nicht, nach dem Gefängnis zu eilen, und wußte den Gefangenenwärter schmeichlerisch zu bewegen, daß er ihr erlaubte, mit Ruggieri zu sprechen. Diesem gab sie Bericht von allem, was er vor dem Stadtrichter aussagen müsse, wenn er sein Leben retten wolle, und hernach brachte sie es dahin, daß der Stadtrichter sie vor sich kommen ließ. Weil sie ein hübsches, flinkes Mädchen war, so sagt man, habe sich der Herr Stadtrichter nur unter gewissen Bedingungen dazu willfährig finden lassen, welche sich die christliche Jungfrau, um ihren guten Endzweck zu fördern, gern gefallen ließ und hernach, als sie sich von ihrer Niederlage erhob, zu ihm sagte: “Gnädiger Herr, Ihr habt Ruggieri da Jeroli als einen Spitzbuben verhaften lassen, allein ihm geschieht Unrecht.” Sie erzählte ihm darauf eine lange Geschichte vom Anfang bis zum Ende, daß er ihr Liebhaber wäre, daß sie ihn zu sich in das Haus ihres Herrn, des Wundarztes, hätte kommen lassen; sie beschrieb ihm, wie sie ihm aus Unwissenheit den Schlaftrunk zu trinken gegeben und daß sie ihn hernach für tot in den Kasten gelegt habe; sie sagte ihm auch, wie sie das Gespräch zwischen dem Zimmermann und dem Eigentümer der Kiste gehört hätte, und erklärte ihm auf diese Weise, wie Ruggiere in der Kiste nach dem Hause der Wucherer gekommen wäre.

Der Stadtrichter fand, daß er leicht auf den Grund dieser Geschichte kommen könnte; er sandte also vor allen Dingen nach dem Arzte und erfuhr von ihm, daß es mit dem Schlaftrunk seine Richtigkeit habe. Darauf ließ er den Zimmermann und den Eigentümer des Kastens vorladen, desgleichen die beiden Wucherer, und nach langem Hin und Her fand er heraus, daß die Wucherer die Kiste wirklich in der Nacht gestohlen und nach ihrem Hause gebracht hatten. Zuletzt ließ er auch Ruggieri vorführen und fragte ihn, wo er die Nacht zugebracht habe. Dieser antwortete ihm, wo er sie zugebracht habe, das wisse er selbst nicht; wohl aber, daß er des Abends zu der Magd des Doktors Mazzeo gegangen wäre, in der Absicht, die Nacht bei ihr zu verbringen, daß er in ihrer Kammer vor Durst ein Wasser getrunken habe und daß er nicht wisse, was hernach mit ihm vorgegangen sei, bis. er sich beim Erwachen in einer Kiste in dem Hause der Wucherer befunden habe.

Der Stadtrichter fand die ganze Begebenheit so spaßhaft, daß er sie sich von dem Mädchen, von Ruggieri, von dem Zimmermann und von den Wucherern mehr als einmal wiederholen ließ. Als er einsah, daß Ruggieri unschuldig war, ließ er ihn auf freien Fuß setzen und legte den Wucherern für den Diebstahl an, der Kiste eine Geldbuße ,von zehn Unzen Silber auf.

Ruggieri war froh darüber, daß er so gut wegkam. Und seine Dame erst! Oft pflegte sie noch mit ihm und mit dem gutherzigen Mädchen, das ihn mit Messerstichen hatte traktieren wollen, sich über diesen Vorfall zu ergötzen und zu scherzen. Ihr Liebesverhältnis setzten sie noch lange vom Guten zum Besseren fort.

11. Novelle

Cimon wird durch die Liebe vernünftig; er entführt Iphigenia, seine Geliebte, mit Gewalt auf dem Meere. In Rhodus gerät er in Gefangenschaft, aus welcher Lysimachus ihn befreite und geineinschaftlich mit ihm Iphigenia und Kassandra an ihrem Hochzeitstage entführt, worauf sie mit ihnen nach Kreta fliehen, sich mit ihren Geliebten vermählen und darauf in Frieden nach Hause berufen werden.

Inhaltsverzeichnis

Wir lesen in den alten Geschichten der Cyprier, daß einst auf der Insel Cypern ein adeliger Mann lebte namens Aristippus, der unter allen seinen Landsleuten den größten Überfluß an zeitlichen Gütern besaß. Nichts werde seinem Glück gefehlt haben, wenn das Schicksal ihm nicht in einer Hinsicht ein größeres Herzeleid als anderen Menschen beschieden hätte; er hatte nämlich unter mehreren Kindern einen Sohn, der zwar an Größe, Wohlgestalt und Schönheit alle übrigen Jünglinge übertraf, allein ein Halbidiot war, so daß alle Hoffnung verloren schien, etwas aus ihm zu-machen. Er hieß eigentlich Galeso; weil aber weder die Mühe, die seine Lehrer sich mit ihm gaben, noch die Güte oder Strenge seines Vaters, noch irgendein Mittel, welches andere Leute ersonnen, imstande waren, ihm das geringste, von den Wissenschaften oder guten Sitten beizubringen, so pflegte man ihn wegen seiner groben und plumpen Stimme, Gebärden und Handlungen, die mehr viehisch als menschlich waren, Cimon zu nennen, ein Beiname, der bei ihnen ebensoviel bedeutete, als wenn wir jemand ein Vieh schelten. Sein ungeschliffenes Benehmen machte seinem Vater vielen Verdruß, bis er endlich alle Hoffnung aufgab, ihn zu einem rechtlichen Menschen zu erziehen. Um ihn nur aus seinen Augen zu entfernen, schickte er ihn auf ein Dorf und befahl ihm, bei den Knechten und Bauern zu bleiben. Dieses ließ er sich auch gern gefallen, weil ihm selbst die bäurische Lebensart besser behagte als der Umgang mit den Menschen in der Stadt.

Als nun Cimon auf dem Lande lebte und sich mit Feldarbeit beschäftigte, traf es sich eines Tages kurz. nach Mittag, daß er mit seiner Hacke auf der Schulter von einem Dorf nach einem andern ging und durch ein hübsches Gehölz kam, welches, es war im Mai, in dem herrlichsten Laube prangte. Hier schien sein Glücksstern seine Schritte nach einer Wiese zu leiten, die von hohen Bäumen umgeben und an einer Seite von einem schönen kühlen Bache umflossen ward. . An dessen Ufer sah er auf dem grünen Rasen ein wunderschönes Mädchen in einem so leichten Gewande schlafen, daß es fast keinen ihrer blendenden Reize verbarg; denn vom Gürtel niederwärts hatte sie nur eine feine weiße Decke über sich gebreitet. Zu ihren Füßen schliefen zwei Frauen und ein Mann, wohl ihre Bediensteten. Als Cimon das Mädchen erblickte, stutzte er, als wenn er noch nie eine weibliche Gestalt gesehen hätte, stützte sich auf seine Hacke und betrachtete sie mit stummer Verwunderung. In seiner rauhen Brust, der tausend Lehren und Ermahnungen nicht einen Funken Empfindung für eine gesittete Aufführung hatten beibringen können, ward auf einmal ein Gefühl erweckt, welches seinem groben, plumpen Vorstellungsvermögen zu verstehen gab, dies sei das schönste Wesen, welches jemals ein Sterblicher erblickt habe. Jetzt fing er an, auch die einzelnen Teile dieser Schönheit zu mustern; er bewunderte ihr Haupthaar, dem das Gold an Glanze weichen mußte, die Stirne, die Nase, den Mund, den Hals und die Arme; vor allen Dingen aber die sanften Brüste, die eben anfingen, sich zu wölben. Und als wenn er aus einem Bauern auf einmal zum Kenner und Richter der Schönheit geworden wäre, so konnte er sich den Wunsch nicht versagen, ihre Augen zu sehen, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Um diese zu erblicken, wandelte ihn mehr als einmal die Lust an, die schöne Schläferin zu wecken. Weil er sie aber unendlich schöner fand als alle Frauen, die er jemals gesehen hatte, so zweifelte er, ob sie nicht vielleicht eine Göttin wäre, und weil er noch Verstand genug hatte, um einzusehen, daß er Göttern mehr Ehrfurcht schuldig wäre als Menschen, so enthielt er sich und wollte lieber warten, bis sie von selbst erwachen würde. Wiewohl ihm darüber die Zeit fast zu lang ward, so empfand er doch so viel Vergnügen, daß er sich nicht entschließen konnte, sich zu entfernen. Endlich fügte es sich, daß die Jungfrau, deren Name Iphigenia war, früher als ihre Leute erwachte und, indem sie ihre Augen aufschlug und ihr Haupt erhob, den Cimon erblickte, wie er auf seine Hacke gestützt vor ihr stand. Da ihn jedermann kannte, sowohl wegen seines bäurischen Wesens und seiner schönen Gestalt, als weil er der Sohn eines so angesehenen und vermögenden Mannes war, so nannte sie ihn bei seinem Namen und fragte: “Cimon, was hast du um diese Stunde hier im Walde zu schaffen?” Cimon antwortete nicht, sondern indem ihre Augen sich öffneten, blickten die seinigen sie unverwandt an, und er schien zu empfinden, daß eine sanfte Süßigkeit, die sie ihm einflößten, sein Innerstes mit einem nie gekannten Entzücken erfüllte. Dieses bemerkte die Jungfrau, und weil sie fürchtete, sein starrer Blick möchte ihn bei seinem bäurischen Wesen zu Unanständigkeiten führen, so weckte sie ihre Frauen, stand auf und sagte: “Gehab dich wohl, Cimon!” Cimon antwortete: “Ich gehe mit dir.” Und obwohl die Jungfrau sich seine Begleitung verbat, weil sie sich noch immer vor ihm fürchtete, so konnte sie ihn doch nicht los werden, bis er sie ganz nach ihrem Hause begleitet hatte. Von Stunde an ging er zu seinem Vater und erklärte ihm, er habe durchaus keine Lust, wieder nach dem Dorfe zurückzukehren. Dem Vater war dies zwar nicht lieb, doch ließ er ihm seinen Willen, indem er neugierig war, zu sehen, was ihn bewogen hätte, seinen Entschluß zu ändern. Da indessen Cimons Herz, auf welches weder Lehren noch Ermahnungen einigen Eindruck hatten machen können, von Iphigenias Reizen bezwungen, der Pfeil der Liebe getroffen hatte, so entwickelte sich nunmehr bei ihm von Tag zu Tag ein neuer Begriff nach dem andern, so daß sein Vater, seine Verwandten und alle, die ihn kannten, darüber in die äußerste Verwunderung gerieten. Zuerst bat er seinen Vater, ihn zierlich und ordentlich, so wie seine übrigen Brüder, kleiden zu lassen, was der mit Vergnügen tat. Hierauf suchte er den Umgang gebildeter Jünglinge und bemerkte mit Aufmerksamkeit die Aufführung, die sich für Edelleute und besonders für Verliebte schickte; und so lernte er gleich anfangs zu jedermanns Verwunderung in kurzer Zeit nicht nur die ersten Anfangsgründe der Wissenschaften, sondern ward auch bald einer der ersten und geschicktesten Philosophen. Die Liebe, die er zu Iphigenie im Herzen trug, wandelte nicht allein seine rohe bäurische Stimme zum städtischen Wohllaut, sondern er ward auch ein Meister im Gesang und Saitenspiel, im Reiten und Fechten, und bewies sich in allen kriegerischen Übungen zu Wasser und zu Lande gleich tapfer und geschickt. Mit einem Worte, es waren seit dem ersten Tage seiner Liebe noch keine vier Jahre verflossen, so war er der anmutigste, tugendhafteste und vollkommenste Jüngling auf der ganzen Insel Cypern.

Obwohl nun Cimon, wie Jünglinge wohl pflegen, in den Äußerungen seiner Liebe zu Iphigenia manches übertrieb, so ließ sich doch sein Vater dieses nicht nur gerne gefallen, sondern tat ihm auch selbst allen möglichen Vorschub, um in dieser Hinsicht nach seiner Neigung zu handeln, in der Erwägung, daß die Liebe ihn ja aus einem Tiere wieder zu einem Menschen gemacht hatte. Cimon, welcher nach diesem nie wieder Galeso heißen wollte, weil Iphigenia ihn einmal Cimon genannt hatte, suchte endlich das Ziel seiner Wünsche zu erreichen und ließ deswegen bei Cypseo, Iphigenias Vater, wiederholt um sie anhalten. Allein Cypseo gab zur Antwort, er, habe sie einem gewissen adeligen Jüngling in Rhodus, namens Pasimunde, bereits versprochen, und er wolle sein Wort nicht brechen. Als nun die Zeit kam, daß die festgesetzte Vermählung sollte vollzogen werden, und der Bräutigam Abgesandte schickte, um seine Braut heimzuholen, dachte Cimon bei sich: Jetzt, Iphigenia, ist es Zeit, zu beweisen, wie sehr ich dich liebe. Dein Anblick hat mich zum Menschen gemacht, dein Besitz würde mich ohne Zweifel zu dem Glück eines Gottes erheben; und wahrlich, ich will dich besitzen oder sterben!

Er warb hierauf in der Stille einige junge Edelleute an, die seine Freunde und Waffenbrüder geworden waren, ließ heimlich ein Schiff ausrüsten und mit allem Nötigen zum Seegefecht versehen und stach in See, um das Fahrzeug abzufangen, das Iphigenia zu ihrem Bräutigam führen sollte. Dieses ging gleichfalls in See und steuerte gerade nach Rhodus zu. Der Vater des Mädchens hatte inzwischen den Freunden ihres Gatten die ihnen gebührende Ehre erwiesen; sie waren mit ihr zu Schiff gegangen und richteten geradeswegs auf Rhodus. Cimon aber lag nicht auf der Bärenhaut; er traf am folgenden Tage mit ihnen zusammen und schrie ihnen zu: “Streicht die Segel oder erwartet euren Tod in den Wellen, wenn ich euch überwinde!”

Seine Gegner brachten ihre Waffen aufs Verdeck und rüsteten sich zum Widerstande. Cimon aber warf nach seinen Worten dem modischen Schiffe einen eisernen Enterhaken an Bord, als es sich schnell zu entfernen suchte, und befestigte es damit an dem Schnabel des seinigen. Er wartete nicht, bis seine Gefährten ihm folgten, sondern grimmig wie ein Löwe sprang er in das Schiff der Rhodier, achtete nicht die Zahl seiner Gegner, indem die Liebe ihm unüberwindliche Kraft verlieh, stürzte sich, einen Dolch in der Hand, mit erstaunlicher Gewalt mitten unter seine Feinde und schlachtete sie, mit seinem Dolch bald hier-bald dorthin stoßend, wie Schafe ab. Erschrocken warfen die Rhodier ihre Waffen von sich und baten einstimmig um Pardon. “Jünglinge,” sprach Cimon zu ihnen, “mich trieb weder Raubgier noch Haß gegen euch, von Cypern auszulaufen und euch im offenen Meere mit bewaffneter Hand anzugreifen, sondern mich bewog das, was mir das Teuerste ist, was ich erwerben kann und was ihr mir ohne Mühe in Frieden gewähren könnt, nämlich Iphigenia, die ich über alles in der Welt liebe. Da ich sie nicht von ihrem Vater in Frieden und Freundschaft erhalten konnte, so zwang mich die Liebe, sie mit den Waffen in der Hand von euch zu gewinnen. Ich bin willens, die Stelle bei ihr zu vertreten, die man eurem Pasimunde bestimmt hatte. Gebt sie mir und zieht in Gottes Namen eure Wege.”

Die Jünglinge überlieferten ihm, mehr gezwungen als freiwillig, die in Tränen schwimmende Iphigenia. Als Cimon ihre Tränen fließen sah, sprach er: “Edle Jungfrau, sei unbekümmert. Ich bin dein Cimon, dem seine standhafte Liebe ein größeres Recht gibt, dich zu besitzen, als Pasimunde die gegebene Zusage.”