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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

11. März 1463 NGZ, Morgen

Vergangenheit 1331 NGZ

Lichtstimmen

1344 NGZ

1360 NGZ

1448 NGZ

An Bord der GETNA PASCAHN

1456 NGZ

Auf der Suche nach dem verlorenen Tag

Ein Zeichen von Mitgefühl

1461 NGZ

Abschied, aber nicht für immer

11. März 1463 NGZ, Nacht

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2525

 

Mit den Augen der Gaids

 

Sie sind ein Sternenvolk Andromedas – aber sie kämpfen auf der Seite der Frequenz-Monarchie

 

Wim Vandemaan

 

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Auf der Erde und den zahlreichen Planeten in der Milchstraße, auf denen Menschen leben, schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit über hundert Jahren herrscht in der Galaxis weitestgehend Frieden: Die Sternenreiche arbeiten zusammen daran, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. Die Konflikte der Vergangenheit scheinen verschwunden zu sein.

Vor allem die Liga Freier Terraner (LFT), in der Perry Rhodan das Amt des Terranischen Residenten trägt, hat sich auf Forschung und Wissenschaft konzentriert. Sogenannte Polyport-Höfe stellen eine neue, geheimnisvolle Transport-Technologie zur Verfügung. Gerade als man diese zu entschlüsseln beginnt, dringt die Frequenz-Monarchie über den Polyport-Hof in die Milchstraße vor. Zum Glück kann der Angriff zumindest für eine Weile aufgehalten werden.

Während Reginald Bull die Milchstraße zu schützen versucht, folgt Perry Rhodan einem Hilferuf der Terraner in das in unbekannter Weite liegende Stardust-System. Dort erhält er eine Botschaft seines alten Mentors ES: Die Superintelligenz scheint akut bedroht. Und zu allem Überfluss tut sich Neues in den bislang unzugänglichen Wandernden Städten. Atlan wiederum begibt sich nach Andromeda – und sieht die Ereignisse dort MIT DEN AUGEN DER GAIDS ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide begegnet einem Greis.

Cerdo Perisa – Ein Gaid wird zum militärischen Anführer seines Volkes.

Sári Várady – Eine Terranerin gewinnt Einblick in die Geschichte der Gaids.

Vastrear – Der Frequenzfolger bezeugt sein Mitgefühl auf ungewöhnliche Art.

Prolog

 

Der Weltraum hasst uns. Er hat uns immer gehasst. Wenn wir unsere Schiffe in die Große Finsternis starten, stoßen wir vor in Feindesland.

Gaidor, unsere Sonne, füllt uns das Auge mit Licht. Unser Auge, das das außerordentlichste des Universums ist. Unser Auge, süchtig nach Licht.

Trunken von Licht.

Der Weltraum dagegen frisst das Licht. Er hasst das Licht. Er hasst die Lichten. Er hasst uns.

In der Nacht, wenn uns die Große Finsternis vors Auge tritt, ziehen Tauphu und Ghynn über den Himmel, die beiden Monde von Gaidor, zwei Fäuste aus Fels, die unsere Welt hoch in die Große Finsternis reckt.

Ausgelegt mit den Spiegelfolien, damit das Licht Gaidors auch in der Nacht nicht erlischt.

Wir sehen die lichten Monde, wir sehen die vielen verlorenen Lichter von Hathorjan.

Wir sitzen vor den Zwillingstoren, die im Quartier der Charismen die Ruinen der Zeitsäulen überragen. Wir sitzen dort und blicken hinauf zu den steinernen Augen, die immerzu Ausschau halten.

Wonach?

11. März 1463 NGZ, Morgen

An Bord der JULES VERNE

 

Atlan betrat die Zentrale der JULES VERNE. Es war still wie in einer Krypta. Ihm war, als würden die Mitglieder der Besatzung über ihren Armaturen meditieren, versunken in die lautlosen Botschaften der Maschinen, in deren künstliche Sinne, die den Weltraum abtasteten, sondierten und belauschten.

Der Arkonide atmete einige Male tief ein und aus. Er war so schnell wie möglich aus der Wissenschaftlichen Station in die Zentrale geeilt, nachdem er dort das Gespräch mit Iris Shettle abgebrochen hatte. Die Salkrit-Experimentalphysikerin hatte ihm bis dahin einige Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgelegt, die sie mit den Proben des versteinerten Riesenwesens angestellt hatte: psionisch aufgeladene Goldanteile in außerordentlichem Ausmaß – vergleichbar den Fossilienfunden der Inyodur auf den Asteroiden in der Charon-Wolke.

Ein unglaublicher Fund.

Ein Rätsel. Sie würden es später lösen.

Falls die Gaids uns ein zeitliches Stipendium geben, um unsere Forschungen zu Ende zu führen, sagte der Extrasinn.

Werden sie so großzügig sein?

Stell einen Antrag, witzelte der Extrasinn.

»Achtzehn Schiffe?«, fragte der Arkonide Tristan Kasom, mehr, um das Schweigen in der Zentrale zu brechen, als sich bestätigen zu lassen, was im Holo offensichtlich war.

»Achtzehn Schiffe«, bestätigte der Kommandant des terranischen Verbundraumers. »Raumriesen. Alle achtzehn sind 3300 Meter lang und haben 810 Meter Durchmesser.«

Jedes für sich ist bereits größer als die JULES VERNE, verglich Atlan in Gedanken. Er betrachtete den zentralen Hologlobus. Das Bild war von NEMO gerechnet, es zeigte die Umfassungsschale von außen, die JULES VERNE in ihrem Kern, eine grazile Hantel, eingekesselt von den gaidschen Raumwalzen. Feuerbereite Stahlwalzen. Wie Bojen aus der Totenwelt.

»Aber sie haben das Feuer noch nicht eröffnet«, stellte er laut fest. Ganz anders, als sie es bei früheren Begegnungen getan haben. Eine Abweichung von ihrer betrieblichen Übung. Warum?

»Korrekt«, bestätigte Kasom. »Ihre Waffensysteme sind allerdings aktiv. Sie haben uns zielerfasst. Dieser Übermacht sind wir kaum gewachsen.«

Es klang sachlich, fast unparteiisch.

»Welche Fluchtmöglichkeiten haben wir?«

»Es gibt einige Optionen«, sagte Kasom. »Aber NEMO räumt ihnen nur die geringsten Erfolgschancen ein.«

Atlan nickte bedächtig. Eine prekäre Situation, dachte er und spürte zu seiner Verwunderung, dass dies ihn nicht bis in die tiefsten Schichten seines Denkens beunruhigte. Als wäre alles in Ordnung. Dabei ist nichts in Ordnung. Weder hier in Andromeda noch sonst wo, wo die Frequenz-Monarchie aktiv ist.

Sie halten sich zurück, erinnerte ihn sein Extrasinn. Weswegen?

Du bist mein Logiksektor. Sag du es mir.

»Wir warten«, entschied er.

Worauf?, fragte der Extrasinn.

Darauf, dass sich etwas tut. Dass die Dinge in Gang kommen. Dass wir beispielsweise erkennen, wie bei allen Sternengöttern die Gaids uns haben orten können.

Shaline Pextrel, die Leiterin der Abteilung Ortung und Funk, meldete: »Die Gaids ziehen die Einschlussschale enger um das Schiff.«

Auf einem Holo waren die bekannten Daten eingeblendet: Die Gaids sind physiognomisch humanoide Lebewesen mit allerdings andersartig konstruiertem Schädelareal. Heimatplanet ist Gaidor, vierter von 17 Planeten einer gleichnamigen gelbweißen Sonne. Das Gaidor-System liegt gerundete 53.000 Lichtjahre vom Zentrum Andromedas entfernt. Es gehört zum äußeren Ring aus Staub, Gas und interstellarer Materie. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das System jedoch vor 6,1 Milliarden Jahren in einer ganz anderen Region der Sterneninsel entstanden. Gaidor ...

»Es sind ziemlich taffe Burschen«, unterbrach Atlan den astrophysikalischen Vortrag des Maschinenhirns. »Mutig und entschlossen. Sie haben zu Zeiten der Meister der Insel gegen das Regime der Faktoren gekämpft, gegen die Übermacht der Tefroder und ihrer Hilfsvölker – und sie sind, anders als andere Sternenvölker im Widerstand gegen die Meister, nicht untergegangen. Forscher. Ingenieure. Kämpfer. Händler, bei Bedarf auch Schmuggler. Eine weit gereiste Kultur. Vor Jahrtausenden waren einige Gaids in der Verbrecherorganisation Condos Vasac aktiv.«

Atlan spürte das Lächeln einiger Mitglieder der Zentralebesatzung.

Vor Jahrtausenden ... diese Redewendung macht dich nicht beliebt, merkte der Extrasinn an. Fossilien, die zu sprechen beginnen ...

Die gegen das Vergessen kämpfen, verbesserte Atlan.

Gegen das Vergessen kämpfen? Wozu?

»Die Gaids haben die Meister überlebt. Und sogar deine USO«, sagte Kasom. »Wirklich beachtlich. Wir haben also ernst zu nehmende Gegner.«

»Ernst zu nehmende Gegner«, bestätigte Atlan.

»Die Condos Vasac ist lange schon Geschichte. Die Gaids sind kaum ein Volk von genetisch dazu bestimmten Kriminellen«, meinte Kasom. »Was wissen wir über ihre aktuelle Sozialstruktur? Ihre Staatsform? Ihre Regierung?«

Ihre Kultur? Ihre Kunst? Ihre Philosophie? Ihre Ängste und Sehnsüchte? Ihre Träume? Ihre Albträume?, ergänzte Atlan in Gedanken. Laut sagte er: »So gut wie nichts. Sie waren uns bislang nie gefährlich. Eine galaktische Mittelmacht in Andromeda, weitverbreitet, viele Siedlungswelten. Jetzt hat es den Anschein, als kämpften sie aufseiten der Frequenz-Monarchie.«

»Jetzt lernen wir sie kennen.« Kasom lachte unterdrückt. »Merkwürdig, dass wir immer die Feinde besser kennen als die ... die Neutralen?«

Sári Várady betrat die Zentrale, eine junge Xenopsychologin. Sie hatte die letzten Worte mitgehört und fragte: »Neutral? Das da draußen sieht nicht nach einem neutralen Manöver aus.«

Atlan lächelte und fragte Pextrel, ohne seinen Blick von der Xenopsychologin abzuwenden: »Hast du versucht, sie über Funk zu erreichen?«.

Er merkte, dass Pextrel eine spitze Bemerkung auf der Zunge lag, aber sie sagte nur: »Natürlich. Ich versuche es ständig. Keine Antwort.«

Atlan schaute Várady fragend an.

»Sie werden antworten.«

»Warum?«

»Weil sie zu viel Zeit investiert haben, um es nicht zu tun.«

Eben, kommentierte sein Extrasinn.

Atlan hatte die Anwesenheit der Xenopsychologin in der Zentrale erbeten. Ihr Fachgebiet war ihm durchaus vertraut, schließlich hatte er es vor ewigen Zeiten selbst auf der Galaktonautischen Akademie von Iprasa studiert. Aber selbst wenn er es nicht studiert hätte – seine zahllosen Kontakte mit fremden Intelligenzen hielten jedem erlernten Fachwissen die Waage.

Nichts ist gefährlicher als das Gefühl der Unfehlbarkeit, hatte der Extrasinn gemahnt. Verschaff dir einen zweiten Blickwinkel. Möglichst von jemandem, der nicht glaubt, schon alles zu wissen.

Den Unterlagen zufolge war Várady zuverlässig und kompetent. Sie hatte ihr Studium auf der Crest-Akademie von Luna City als Jahrgangsbeste ihrer Bezugsgruppe abgeschlossen. Er betrachtete sie: ihr überreiches schwarzes Haar. Die Augenbrauen wie Kohlestriche. Die blassrosa Lippen. Schmale Hände; schmales, blasses Gesicht; apfelgrüne Augen.

»Und wann werden sie sich deiner Meinung nach melden?«, fragte er Várady mit einem Lächeln, das spöttisch wirken sollte.

»Jetzt«, meldete Pextrel. »Gaids nehmen Kontakt auf.«

 

*

 

Im Holo erschien das Auge eines Gaids.

Es war rot wie ein geschliffener Rubin, bestand aus zahllosen Facetten und beherrschte den faustgroßen Kopf des Gaids völlig. An den Seiten des haarlosen Schädels deuteten sich feine Sinnesorgane an, die ihrer Umwelt womöglich ganz andere Informationen entnahmen, als Menschen sie gewohnt waren.

Der Kopf saß auf einem dünnen, aber muskulös wirkenden Hals, der, ein anscheinend biegsamer Schlauch, aus der Mitte zwischen den breiten Schultern wuchs. Der sichtbare Teil des Oberkörpers war in ein bernsteinfarbenes Kleidungsstück gehüllt, das seidig oder metallisch schimmerte, ansonsten aber schmucklos war. Allerdings trug der Gaid eine mehrfach um den Hals gewickelte Kette, an der – einen Fingerbreit über dem Mund – eine münzgroße goldene Scheibe hing. In der Mitte der Scheibe wurde in der Ausschnittsvergrößerung ein winziges Hologramm sichtbar: die Kopf- und Brustpartie eines Gaids.

Dieses Gaids? Ist er eitel?

Ein tiefer Ausschnitt ließ die Stelle frei, an der der Hals in den Oberkörper überging. Dort saß der schmale, lippenlose Mund, dessen Ränder sich, als der Gaid zu sprechen begann, wie in Wellen bewegten.

»Mein Name ist Daore Hapho«, stellte sich ihr Gegenüber in überraschend melodischem Tefroda vor. »Ich kommandiere diesen kleinen Verband von der ZHANVOU aus.«

Der eurem einzeln operierenden Schiff um einiges überlegen ist, ergänzte Atlan in Gedanken. Demnach ...

Das Auge, das die Bilder studierte, die von der Funkabteilung der JULES VERNE in diesen Momenten den gaidschen Empfangsstationen übermittelt wurden, wirkte wach und aufmerksam, aber nicht argwöhnisch. Atlan überlegte, was diesen Eindruck in ihm erwecken mochte – eine Mimik war weder dem Auge selbst noch der übrigen Gesichtspartie des kugelrunden Schädels abzulesen.

»Mein Name ist Atlan«, antwortete er. »Ich befehlige unsere Expedition.«

»Ich bitte, an Bord eures Schiffes kommen zu dürfen«, sagte der Gaid.

»An Bord kommen – mit einem Enterkommando?«, fragte Atlan.

Haphos Kopf pendelte ein wenig vor und zurück.

»An Bord mit nicht mehr als einem Fingerstaat«, antwortete der Gaid, hob seinen schmalen Arm ins Blickfeld und spreizte die fünf grazilen Finger seiner Hand. Die Haut des Andromedaners schimmerte türkisfarben.

»Fünf?«, fragte Atlan nach.

»Fünf. Falls gewünscht: unbewaffnet«, sagte Daore Hapho.

Es könnten Mutanten sein. Androiden. Biologische Kampfmaschinen, mahnte Atlans Extrasinn. Du bist zu sorglos.

Tatsächlich spürte Atlan keine Sorge, eher ein Gemisch aus Neugierde und Ungeduld. Sie hätten unsere Kapitulation verlangen können. Sie drohen nicht.

Ist ihre Überzahl nicht Drohung genug?

»Bitte«, sagte er in Richtung des Gaids, »kommt an Bord. Es ist uns eine Ehre, euch zu empfangen.«

»Ehre?«

Für einen Moment wurde Atlan unsicher, ob er den korrekten tefrodischen Ausdruck gebraucht hatte. Die Stimme einer Tefroderin erklang unvermittelt am Rand des Wachbewusstseins, vom fotografischen Gedächtnis heraufbeschworen: Ich bin nicht wegen dieser Geheimpositronik gekommen.

Und seine Antwort auf Tefroda: Ich auch nicht.

an-Aznan. Ehre. Nein. Er hatte das richtige Wort benutzt. Ohne jeden Zweifel.

In das Facettenauge des Gaids trat ein leichter goldener Schimmer. »Wir sind aller Ehre überdrüssig«, sagte Daore Hapho. »Verräter, die wir sind.«

 

*

 

Sie warteten auf die Fähre, in der die fünf Gaids – Daore Haphos Fingerstaat – zur JULES VERNE übersetzen sollten.

Atlan, Kasom und Várady hatten sich in einen kleinen Besprechungsraum zurückgezogen. Die Auswertung der Holosequenz war nicht besonders ergiebig gewesen. Die goldene Scheibe, die der Sprecher der Gaids an der Kette über dem Mund trug, war sicher keine Münze, vielleicht ein Schmuckstück. Allerdings zeigte sie nicht die Kopf- und Brustpartie Haphos, sondern eines anderen Gaids – oder eine Gaida, da war sich NEMO nicht ganz sicher.

»Die Gaids kämpfen gegen Tefroder und Maahks«, sagte Atlan. »Auf der Seite der Frequenz-Monarchie. Wie ist es der Frequenz-Monarchie gelungen, sie auf ihre Seite zu ziehen?«

»Sie sind Händler«, überlegte Kasom laut. »Schmuggler. Haben sie vielleicht einfach ihren Preis? Und die Frequenz-Monarchie hat ihn entrichtet?«

Atlan schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht.«

Weil du es nicht glauben willst?, fragte der Extrasinn.

Kasom grinste ihn an. »Du sprichst mit ihm?«

»Mit wem?«

Der Kommandant der JULES VERNE tippte sich leicht an die Schläfe. »Deinem mentalen Flaschengeist.«

Atlan lachte. »Ja. Woran sieht man es?«

»Du hast dann den leicht introvertierten Blick von Kurzsichtigen.«

Der Arkonide hob die Brauen. »Kurzsichtige? Woher kennst du kurzsichtige Menschen?«

»Die Körpertreuen lassen solche leiblichen Mängel nicht beheben«, sagte Kasom.

Atlan winkte ab. Die Körpertreuen. Die alles ablehnten, was körperfremd war: chirurgische Korrekturen. Nachgezüchtete Organe. Prothesen. Es gab terranische Moden und Lebensphilosophien, die sich ihm nie erschließen würden.

»Vielleicht hat die Frequenz-Monarchie die Gaids aus irgendwelchen Gründen in der Hand und kann sie zwingen, für sie zu kämpfen«, überlegte Várady, die dem Gespräch bislang stumm gefolgt war.

»Ich glaube nicht, dass die Gaids erpressbar sind«, sagte Atlan. »Das ginge gegen ihre Art.«

»Ihre Art, von der wir so gut wie nichts wissen«, erinnerte ihn Várady.

Atlan verlor sich für einen Moment im Anblick ihres Haares. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich glaube nicht, dass irgendeine Erpressung, wie massiv sie auch sei, die Gaids veranlassen könnte, mit diesem – ja, Elan für die Frequenz-Monarchie einzutreten. Ihr Einsatz hat etwas von Freiwilligkeit.«

»Du magst diese Burschen, ja?«, fragte Várady in plötzlicher Erkenntnis. »Warum?«

»Kasom? Atlan?«, unterbrach die Stimme von Shaline Pextrel ihr Gespräch. »Die Fähre schleust in wenigen Augenblicken ein.«

»Bleib in der Zentrale«, bat Atlan den Kommandanten und stand auf. Er nickte der Xenopsychologin zu. »Várady und ich sind das Empfangskomitee.«

Kurz bevor Atlan und Várady den Raum verließen, sagte Kasom: »Du hast uns noch nicht verraten, was dir an diesen Gaid-Typen gefällt.«

Atlan grinste. »Es sind ihre Augen. Rot wie Tinta Barocca.«

»Tinta Barocca?« Kasoms Blick zeigte schiere Ratlosigkeit.

Atlan rieb sich versonnen das Kinn. »Ein Rotwein. Außerordentliche Fruchtdichte mit feinen Aromen von Kräutern und Unterholz mit perfekt eingebundenen Tanninen, die dem Wein Spannung und Charakter verleihen. Sehr delikat.«

Várady lachte leise.

»So ein Auge also«, sagte Kasom. »Na dann.«

 

*

 

Die gaidsche Fähre, die im Hangar aufgesetzt hatte, war walzenförmig, ohne plump zu wirken. Im Gegenteil: Sie erschien Atlan eigentümlich leicht, beinahe schwebend.

Über dem Schott befand sich ein Bogen von feinen Zeichen, der Ursprache der Gaids. Wir kennen ihre Schrift, aber nicht aktiv. Genau wie ihre Sprache. Wir müssen uns auf Translatoren und Positroniken verlassen, aber sie sprechen Tefroda mit uns, damit wir sie verstehen. Sie überwinden sich und benutzen die Sprache ihrer Feinde, um mit uns zu kommunizieren. Was verrät uns das über sie – und über uns selbst?

Das Schott öffnete sich. Kühle Luft entströmte der Schleuse, deutlich kühler jedenfalls als die Atmosphäre an Bord der JULES VERNE. Atlan meinte, einen Hauch von Minze zu schmecken, der sich jedoch rasch verflüchtigte.

Der erste Gaid stieg aus der Fähre. Schlank, bemerkenswert breite Schultern, auffällig schmale Hüften. Die Beine wirkten dünn, elastisch, die Arme hingen gestreckt an den Seiten.

Die langen Finger bewegten sich in einem komplizierten Rhythmus.