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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

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12.

13.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2575

 

Flucht nach Anthuresta

 

Das Erwachen des Vamu – die Vatrox erhalten ein einzigartiges Geschenk

 

Susan Schwartz

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Eigentlich herrscht seit über hundert Jahren Frieden.

Doch seit die Terraner auf die sogenannten Polyport-Höfe gestoßen sind, Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, tobt der Konflikt mit der Frequenz-Monarchie: Sie beansprucht die Macht über jeden Polyport-Hof und greift mit Raumschiffen aus Formenergie oder über die Transportkamine der Polyport-Höfe an.

Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – der Kampf findet in der Milchstraße und in Andromeda statt. Man entdeckt die Achillesferse der Vatrox, der Herren der Frequenz-Monarchie: Sie verfügen mittels ihrer Hibernationswelten über die Möglichkeit der »Wiedergeburt«. Als die Terraner ihnen diese Welten nehmen und die freien Bewusstseine dieses Volkes einfangen, beenden sie die Herrschaft der Frequenz-Monarchie. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt: Noch immer gibt es Vatrox und mindestens zwei rivalisierende Geisteswesen, die mit dieser fremden Zivilisation zusammenhängen.

Perry Rhodan begibt sich in der fernen Galaxis Anthuresta auf die Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die Frequenz-Monarchie. Die Tryonische Allianz könnte ein solcher Verbündeter werden – der Stardust-Menschheit gelang es bereits, das Vertrauen deren talentiertester Wissenschaftlerin Sichu Dorksteiger zu gewinnen. Sie begegnet sogar dem Bewusstsein einer weiblichen Vatrox, die von einer gefahrvollen Reise berichtet: Der FLUCHT NACH ANTHURESTA …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Codesfatt – Ein Mann erkennt die Chance seines Lebens.

Conca Vinnochac – Die Mittlerin wohnt der Geburt eines gefräßigen Kindes bei.

Kitapor – Ein Referror tut sein Möglichstes, um der Wiedergeborenen das neue Leben zu erleichtern.

Lucba Ovichat – Eine Historikerin muss sich in einer fremden Umgebung neu etablieren.

Sespa Bradogi – Eine Frau dient der Zukunft.

1.

Das Erwachen

 

Der Schrei drang aus der Tiefe empor, brach sich gurgelnd Bahn durch die Kehle, zerriss die angespannte Stille und verendete in einem gebrochenen Wimmern.

Sie hörte selbst den Schrei, ohne zu begreifen, dass es ihr eigener war, der geflohen war. Denn sie hatte schon einmal einen solchen Schrei gehört, tief in sich, in jenem Moment, der sie ins Leben gebracht hatte. Doch damals war es nicht ihr Schrei gewesen, der sie so sehr erschütterte.

Bin ich heute … in derselben Situation?

Überrascht erkannte sie, dass sie dachte. Eine Erinnerung; sie wusste genau, es war schon einmal geschehen, und doch war heute etwas … anders.

Ich … ja, ich habe geschrien. Und doch ist es derselbe Schrei …

Für jede Situation gab es eine Stimmlage, und für jede Ausnahmesituation, jede Pein gab es nur einen einzigen Schrei in einem einzigen Tonfall. Es konnte keine Verwechslung sein. Sie wusste, was dieser Schrei zu bedeuten hatte, der keinem anderen glich.

»Ich bin tot!«, schrie sie in die Dunkelheit in ihrem Verstand. »Ich bin tot!«

Sie spürte eine Stimme von weit her schwingen, sah das leuchtende Band der Betonungen auf und ab wogen … hörte sanfte Worte.

»Nur ruhig. Es ist alles in Ordnung. Du bist desorientiert, das ist ganz normal.«

»Aber ich erinnere mich …«

»Das solltest du auch. Alles wird zurückkehren, nach und nach.«

»Nein … ich erinnere mich an den Tod.«

 

*

 

Sie hörte das Lied, das rhythmische Stampfen und Klopfen, und sie spürte, wie Hände sie zu Boden rissen, wie Füße sie zertraten. Sie erinnerte sich an den Schmerz, an unvorstellbare Qual, die eine Ewigkeit währte, bis endlich Finsternis über sie hereinbrach.

Oh, weiche warme Finsternis, mildtätig und gütig. Immer nur spendend, niemals fordernd. Sie war in ihr dahingetrieben, ohne Wollen und Denken und Fühlen. Kein Schmerz mehr.

Ich bin tot. Ich bin tot.

»Es tut mir leid«, durchlöcherte ein greller Klang die Schwärze. »Aber das stimmt nicht. Du musst dich an den Gedanken gewöhnen, dass du lebst.«

Gedacht oder gesprochen, das war egal – diese Lüge akzeptierte sie nicht, würde sie niemals annehmen.

»Lass mich tot sein!«, schrie sie. »Das ist, was ich bin, nichts sonst!«

»Oh nein.« Das sanfte Schwingen war unerschütterlich. »Du warst Vamu. Und jetzt bist du Vatrox.«

Was sollte das sein? Wie konnte sie etwas gewesen sein, was es nicht gab? Wie konnte sie etwas sein, wenn sie nicht war?

»Du selbst hast Vamu gefunden, die Verbindung geschaffen. Du warst es selbst, deshalb erinnere dich! Bitte, hör auf zu zweifeln.«

Erinnern?

Wozu? Dies endete doch nur mit dem Tod, nichts anderes gab es: Tod. Sie war tot.

»Aber das warst du nicht immer. Da war etwas davor …«

Unwichtig.

»Warum sollte das denn unwichtig sein?«

Doch, eine wichtige Sache gab es: den Schrei. Dieser zweimal schallende Schrei, der nur einmal möglich war.

»Ich habe auch nur einen Schrei gehört.«

»Der andere ist Vergangenheit, Dummkopf!« Er geschah vor langer Zeit. Die einzige Erinnerung ans Vorher. Und dann: tot. Der Blitzschlag des Schmerzes und dann Finsternis. Tot. »Ich will zurück!«

»Wohin?«

»Tot. Die Dunkelheit.«

»Aber du bist. Ist das nicht besser?«

Was tat man ihr an? Sie wusste, sie war »sie«, auch wenn sie nicht begriff, was es zu bedeuten hatte. Es gab vielleicht eine Erinnerung dazu, aber warum sollte sie die Erinnerungen zurückfordern? Welchen Sinn sollte das haben?

»Weil du lebst. Weil du zu dir selbst zurückfinden musst, um wieder du selbst zu sein.«

Was für ein Unsinn!

»Du musst leben, so dumm, wie du bist, so dumm, wie du redest. Und du glaubst, ich bin wie du? Lächerlich!«

»Was ist so erstrebenswert, tot zu sein?«

»Nichts! Es ist! Und das ist alles.«

Was immer da auch redete, würde nie verstehen können, denn es stand auf der anderen Seite, würde immer dort stehen. Doch sie war hier, sie blieb hier. Es war ihre Entscheidung, ihr Wille.

»Hast du denn nicht gern gelebt? Wolltest du nicht noch länger leben, als es geschah?«

»Ich will den Hall des Schreis nicht mehr hören. Mein Leben lang hörte ich ihn. Erst als ich tot war, endete das Echo, und ich war endlich frei. Nein! Ich will es nicht.«

»Du hast meine Frage nicht korrekt beantwortet.«

»Was geschah denn?«

»Erinnere dich. Es ist der letzte Moment deines Lebens.«

Aber das wusste sie ja bereits. Wieder zuckten Bilder durch die Dunkelheit, Lichtblitze. Finger, die sich in ihr Fleisch krallten, Füße, die sie stießen.

»Sie haben mich zerrissen. Wer will da noch leben?«

»Aber warum haben sie das getan?«

»Weshalb sollte das von Bedeutung sein?«

»Für dich … erheblich. Denn dafür bist du gestorben – was du selbst uns geschenkt hast.«

Sie hatte nichts zu geben.

»Doch – das Vamu.«

Immer dieses Wort. Vaaamuuu, klang wie … Ach, egal. Lächerlich.

»Du weißt, was ›Vamu‹ bedeutet?«

»Lächerlich?«

»Es ist das Erste, das Einzige, das Wahre.«

Ein Wetterleuchten löschte die Finsternis beinahe aus, und sie schrie auf. »Der Schmerz!«

»Nein, es ist nicht der Schmerz, es ist das wunderbarste Geschenk, das es gibt. Kein Tod mehr, sondern Unsterblichkeit. Und immer du selbst: Vamu ist auch dein Bewusstsein, das, was du bist, immerdar.«

Es tat schrecklich weh.

»Tot«, wimmerte sie. »Lass mich wieder tot sein. Wenn du wahrhaft gnädig bist, gib mir die Finsternis zurück!«

»Ich gebe dir viel mehr: Ich gebe dir das Licht. Erkenne dich!«

»Aber warum denn?«

»Öffne die Augen.«

»Was?«

»Deine Augen. Du kannst sehen. Du hast einen Körper.«

»Wie mache ich das?«

»Tu es einfach.«

Das wollte sie nicht. Das war falsch.

Alles war falsch.

Doch dann verspürte sie … einen Drang. Etwas zwang sie dazu, die Augen zu öffnen, obwohl sie sich dagegen wehrte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was geschehen würde, aber es konnte nichts Gutes sein. Alles, seit dem Schrei, bedrohte die Finsternis, und das durfte nicht sein. Die Finsternis war das einzig Wahre und Gute, das Tröstliche, Sanftmut und Liebe.

Öffne. Die. Augen.

Nein! Nein!

Sie konnte nichts dagegen tun. Da war plötzlich etwas, das sie fühlen konnte, etwas Stoffliches, das greifbar war. Etwas, das sie festhalten konnte. Und zwingen, sich zu öffnen.

Sie riss die Augen auf.

Der Rest war Schrei.

2.

Tage im Dämmer

 

Die Tote war ein zweites Mal gestorben und wurde erneut zurückgeholt. Sie nahm es nicht mit Dankbarkeit auf, schrie und wetterte und überschüttete ihren »Retter« mit Vorwürfen über seine maßlose Grausamkeit.

Daraufhin wurde sie ruhiggestellt. Selbst wenn sie nun gewollt hätte, sie hätte die Augen nicht mehr öffnen können.

»Die Dunkelheit ist derzeit noch besser für dich«, sagte die sanfte Stimme, die sie hassen gelernt hatte.

»Dies ist nur halbe Dunkelheit«, gab sie lallend zurück. Der Körper gehorchte ihr nicht mehr, der Verstand aber schon, weil er in etwas anderes eingebettet war, auf das keine Giftstoffe Zugriff hatten. Dem Rest jener Finsternis, die sie nicht aufgeben wollte und die verlangte, dass sie zu ihr zurückkehrte. »Dunkelheit, die du geschaffen hast, um mir vorzugaukeln, es wäre dasselbe.«

»Wir wollen dir nur Gutes, das musst du uns glauben.«

»Ich will zurück. Ich will tot sein. Gib mir das, und ich werde dir glauben.«

»Aber es ist wunderbar, wieder am Leben zu sein.«

»Leben? Was verstehst du schon davon? Nichts weißt du!«

»Woran erinnerst du dich?«

»Warum fragst du das jetzt?«

»Es interessiert mich. Kennst du noch deinen Namen?«

»Er hat keine Bedeutung in der Dunkelheit.«

»Soll ich dir sagen, wer …«

»Nein!«

Sie hörte nicht mehr zu. Sie war müde. Sie ließ sich fallen, hineinsinken ins Dämmerweich und schlief ein.

Tage vergingen auf diese Weise, in denen sie dahintrieb zwischen Wachen und Schlafen. Sie erkannte den Wechsel von Licht und Dunkelheit außerhalb der Finsternis in ihrem Inneren an dem, was an ihren geschlossenen Augenlidern vorüberzog. Manchmal hörte sie, wie merkwürdiges Piepen und Brummen hektische Bewegungen und Geräusche auslöste. Dann geschah irgendetwas mit ihrem Körper.

Sie lassen nicht zu, dass ich ihn verlasse. Immer zwingen sie mich dazu, meinen Körper zu spüren. Aber ich werde die Augen nicht mehr öffnen.

Manchmal verspürte sie Schmerz, und ihr Körper schien zu glühen. Manchmal schwebte sie wie auf einer Wolke, ohne einengende Grenzen oder Widerstand. Manchmal dachte sie, wach zu sein, bis sie erkannte, dass sie träumte.

Und stets fühlte sie sich tief im Innersten leer.

 

*

 

Schließlich sah sie ein, dass es keinen Sinn hatte. Egal, wie oft sie starb, die Finsternis konnte sie nicht mehr aufnehmen. Jedes Mal wurde sie zurückgerissen, grausam in etwas gezwungen, was rau und hart war, sogar wenn sie schwebte.

Schon lange hatte sie nicht mehr der Stimme geantwortet, hatte einfach das Gehör abgeschaltet. Geschlossen, genau wie die Augenlider.

Wie lange vermochte sie diesen Zustand durchzuhalten? Vor allem, da sie nicht nur jenseits der Finsternis, sondern auch jenseits des Schmerzes war und immer mehr Gedanken den Raum einnahmen? Den Rest ihres Lebens, das den Worten der Stimme nach Unsterblichkeit bedeutete?

»Eines Tages wirst du aufwachen müssen«, drang die verhasste Stimme in ihren Gehörgang, den sie nachlässigerweise für einen winzigen Moment geöffnet hatte. Oder hatte die unbekannte Stimme sie hereingelegt?

»Es ist so«, fuhr die Stimme fort. »Deine Körperfunktionen sind inzwischen voll aktiv, du kannst dich bewegen wie früher, vielleicht ein wenig langsam zu Beginn, doch es ist alles in bester Ordnung. Dein Verstand arbeitet auf Hochtouren. Das wissen wir, du kannst uns nichts vormachen, denn wir können es messen. Ich weiß, dass du mich jetzt hörst. Darüber bin ich sehr froh, denn manchmal … wollte ich beinahe nicht mehr daran glauben.«

Sie antwortete nicht, lauschte einfach weiter. Die Stimme hatte es endlich geschafft, ihre volle Aufmerksamkeit zu erringen. Lag es an dem Tonfall, der sich geändert hatte? Oder daran, dass sie diesen Zwischenzustand satt hatte?

»Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst. Nein … das ist gelogen. Mir ist das bisher nicht widerfahren. Ich denke, zum Teil kann ich es allerdings begreifen. Ich erlebe es nicht zum ersten Mal mit. Insofern bin ich nicht ganz so unwissend, wie du glaubst.«

Nein? Wie viele außer ihr gab es denn noch?

»Aber natürlich hatten wir bisher keine solche Herausforderung, das muss ich zugeben. Insofern ist es eine sehr große Ehre für mich, und ich möchte keinesfalls versagen.«

Aha, darauf lief es also hinaus: Erpressung! Womit konnte eine Tote erpresst werden? Mit dem Leben? Darin war sie bereits gefangen. Sie schwieg und hörte zu.

»Du bist sehr klug. Nicht nur in hohem Maße intelligent, sondern du weißt deinen Verstand auch auf kluge Weise einzusetzen. Ich bleibe weiterhin hier sitzen und werde dir dabei zusehen, wie du dich gegen das Leben wehrst, aber nicht in der Lage bist zu sterben. Wenn das einen erstrebenswerten Zustand für dich darstellt, solltest du ihn beibehalten und nur mit dir und deinen Gedanken vereint bleiben. Niemand wird je erfahren, welche Erkenntnisse du erhältst.«

Wie kam die Stimme darauf, dass ihr daran gelegen wäre?

»Allerdings kam es dir zu deinen ersten Lebzeiten genau darauf an: deine Erkenntnisse mit anderen zu teilen und Beweise für deine Theorien und Schlussfolgerungen zu liefern. Du hast gewusst, dass du, wenn dir dein Vorhaben gelingt, alles revolutionieren könntest – und genau das ist dir gelungen.«

Schweigen.

Sie dachte verblüfft nach und beging den zweiten Fehler – ein Türchen in die Vergangenheit öffnete sich und ließ ein winziges bisschen Erinnerung durch.

Bevor sie es ihrem Mund verbieten konnte, formte er ein Wort: »Gelungen?«

»Ja, ja!« Die Stimme bebte erfreut. Wahrscheinlich, weil sie zum ersten Mal seit langer Zeit reagierte und sogar sprach. »Es war wie eine Initialzündung! Das Größte, was unserem Volk je widerfahren ist!«

»Darüber … muss ich nachdenken«, sagte sie zögernd.

»Nein, du musst viel mehr tun: Erinnere dich! Lass es zu, wieder du selbst zu sein. Deshalb werde ich dich jetzt allein lassen. Morgen früh komme ich wieder, und dann … solltest du eine Entscheidung getroffen haben. Können wir uns darauf einigen?«

Welche Wahl hatte sie denn? Das Türchen war bereits aufgestoßen. Sie war in einem Körper gefangen. Vielleicht gab es einen anderen Weg, wieder in die Finsternis zurückzukehren; so jedenfalls funktionierte es nicht. Sie war nicht mehr als eine Gefangene im Zwischensein. Endlich war ihre Neugierde geweckt, denn sie konnte sich nicht vorstellen, was das alles zu bedeuten hatte.

»Ja, darauf können wir uns einigen.«

»Schön. Das ist perfekt!«

Dann war sie allein.

 

*

 

Und sie dachte nach. Stunde um Stunde, das begriff sie, denn nun kehrte ihr Zeitgefühl zurück.

Alles kehrte zurück.

Sie war dem Tod ferner denn je. Die vertraute Finsternis wich einer leeren Dunkelheit, die gefüllt werden wollte. Mit Leben. Allmählich freundete sie sich mit dem Gedanken an, dass sie die Seite gewechselt hatte. Vielleicht würde es nicht so schlecht sein. Eine neue Erfahrung. Und die Finsternis würde immer warten, sie konnte es nie verlieren. Nicht für immer.

Sie öffnete alle Türen und ließ die Erinnerungen herein.

Zuerst kamen sie nur sehr vereinzelt, zögernd, ohne rechte Beziehung oder Verbindung zueinander. Die Impressionen rauschten wie ein öliger Strom durch ihren Verstand, und sie war beschäftigt, die Bilder und Fragmente zu sortieren und richtig einzuordnen. Dabei entdeckte sie Lücken, doch diese konnten vielleicht später gefüllt werden.

So viele Erinnerungen. Kein Wunder, dass sie davon Kopfschmerzen bekam.

Ihr war, als stünde sie neben sich und betrachtete ihren geöffneten Schädel, dessen obere Schale nach hinten gekippt war. Darin fand sich ein gläsernes Gehirn, und in diesem wiederum gab es eine Menge seltsamer Dinge, die objektiv betrachtet nicht den geringsten Sinn ergaben.

Vor allem der Begriff Vamu mit all seinen verborgenen Bedeutungen entwickelte ein sonderbares Eigenleben.

Wozu das alles? Was kam schon am Ende dabei heraus, wenn man daran zugrunde ging? Und was half es den Überlebenden, die ebenfalls sterben würden?

Mir ging es nie um die Unsterblichkeit. Wie haben sie es angestellt, sie zu nutzen?

Vorsichtig griff sie in ihren Schädel, tupfte mit der Fingerkuppe das gläserne Gehirn mit dem bunten Inhalt an, und es geriet in Bewegung, zitterte und wackelte und schüttelte alles durcheinander.

Das fand sie überaus amüsant, und sie musste lachen. Zuerst nur im Innern, dann platzte sie laut heraus. Das also ist die Definition von Chaos!

Nichts war mehr an seinem Platz, alles geriet in Bewegung. Die eine oder andere Erinnerung allerdings packte die sich Erinnernde nun sehr behutsam mit den äußersten Fingerspitzen und setzte sie an einen anderen Ort, wo sie farblich und strukturell besser passte.

Das nahm einige Zeit in Anspruch und war ermüdend. Da sie allerdings einmal damit angefangen hatte, musste sie es zu Ende führen. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, sonst würde sie die neuen – falschen – Verbindungen nie mehr trennen können und als lallender Idiot im Zwischenstadium bleiben, ohne neue Chance.

Allerdings verfluchte sie sich bald, dass sie es überhaupt begonnen hatte, denn eines führte zum anderen, bis sie der Ansicht war, dass gar nichts mehr zusammenpasste und alles neu geordnet werden müsse.

Also weiter.

Das bunte, fröhliche, unstrukturierte Durcheinander wurde von gedämpften Vielecken abgelöst, die sich ineinander- und wie die Bruchstücke eines Gesamtbildes zusammenfügten. Und je mehr zusammenpasste, desto mehr verloren die Farben an Kraft, und Grauheit setzte ein. Wohlgeordnete, saubere Symmetrie, perfekte geometrische Formen, vollkommene Schattierungen.