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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

3000 Jahre später

Der Reisende: Mein Name

»Wie weit willst du gehen?«

Der Reisende: Grandma

»Aller Rätsel Lösung«

Der Reisende: Wie ich starb

»Kennst du die Melodie?«

Der Reisende: Ein Freund des Alten

»Lange nicht gesehen!«

Am mnemotischen Leitfaden

Im Schlund

Die Äonen-Tätowierung

»Das ist unser Steuermann«

»In wessen Häuten? Mit wessen Herz?«

Epilog

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2586

 

Die Sektorknospe

 

Er ist ein Reisender auf dem Sternenfluss – und lebt auf der Welt der Ewigkeit

 

Wim Vandemaan

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1463 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – das entspricht dem Jahr 5050 christlicher Zeitrechnung. Seit einiger Zeit tobt der Kampf um die Polyport-Höfe, der mehrere Galaxien umspannt.

Die sogenannten Polyport-Höfe sind Zeugnisse einer längst vergangenen Zeit, mit denen sich gigantische Entfernungen überbrücken lassen. Als die Frequenz-Monarchie aus einem jahrtausendelangen Ruheschlaf erwacht, beanspruchen ihre Herren, die Vatrox, sofort die Herrschaft über das Transportsystem und mehrere Galaxien.

Die Terraner und ihre Verbündeten wehren sich erbittert – und sie entdecken die Achillesferse der Vatrox. Rasch gelingen ihnen entscheidende Schläge in der Milchstraße sowie in Andromeda. Allerdings sind damit nicht alle Gefahren beseitigt. Mit den Vatrox hängen zwei rivalisierende Geisteswesen zusammen, die weitaus bedrohlicher für die Menschheit sind.

Gleichzeitig droht eine noch schlimmere Gefahr: der Tod von ES, jener Superintelligenz, mit der Perry Rhodan und die Menschheit auf vielfältige Weise verbunden sind. Rhodan muss das PARALOX-ARSENAL finden, um ES helfen zu können – oder der Superintelligenz anderweitig ausreichend Psi-Materie zuführen. Das einzig geeignete Transportmittel hierfür ist DIE SEKTORKNOSPE …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner folgt einem kosmischen Leitfaden.

Mondra Diamond – Perry Rhodans Begleiterin folgt ihm durch Eis und Zeit.

Tataoparan – Ein anthurianischer Steuermann hat Heimweh.

Piet Rawland – Ein Mann mit Vergangenheit leistet einem überzeitlichen Wesen Gesellschaft.

Prolog

 

Ein Junge sitzt auf dem Steg. Er lehnt den Rücken an einen Baumwollballen. Das kratzt im Nacken.

Der Steg reicht weit in den Fluss.

Der Junge kann nicht schwimmen, aber er hat keine Angst. Wenn er vom Steg ins Wasser fällt, watet er einfach an Land. Der Fluss ist nicht sehr tief. Breit ist er allerdings, sehr breit sogar. Das Wasser ist grau, ein regnerischer Tag.

Der Junge riecht den Regen, den Duft der wilden Blumen, er riecht nasses Holz und nasse Baumwolle.

Ein Schaufelraddampfer kämpft sich flussaufwärts. Es ist die QUEEN OF ST. LOUIS, ein großes Schiff, beinahe 90 Meter lang. Es fährt für die Vicksburg Natchez and New Orleans Mail Line. Sie wird an diesem kleinen Steg nicht anlegen. Ihre beiden Schlote qualmen; das mächtige Heckrad dreht und dreht sich. Am Vorderdeck stehen drei Braune in einer Art Koppel, aufgezäumt und angeleint.

Der Junge sieht den Steuermann auf der Brücke das Rad in der Hand halten, sieht seine groben Backenknochen vor Konzentration mahlen.

An der Reling des Oberdecks stehen weiße Frauen mit weißen Hüten, sie reden miteinander und winken mit weißen Tüchern. An ihrer Seite, den Arm um ihre Taille: Gentlemen, Bankiers, Geschäftsreisende. Daneben Biberfellhändler und Goldgräber, die vorübergehend zu Reichtum gekommen sind. Schwarze verkaufen Schokoladenkuchen. Braune Cowboys, die auch ihren Spaß haben wollen, schwenken die Hüte.

Der Junge stellt sich vor, wie es wäre, selbst dort oben an der Reling zu stehen, das Aroma von Leder, Seide und Batist in der Nase, von Filz und Frauenhaut und Frauenhaar und Seife.

Der Junge zieht seine Taschenuhr an der Kordel aus der Westentasche. Er lässt den Deckel aufspringen und wirft einen Blick aufs Ziffernblatt.

Er schaut nicht auf die Uhr, weil er wissen will, wie spät es ist. Er schaut der weißen Frauen wegen auf die Uhr. Die Uhr ist aus Holz.

Die Zeiger stehen auf 11.56 Uhr.

Das tun sie jederzeit.

Die Uhr steht.

Der Junge sieht wissbegierig auf. Der Schaufelraddampfer ist ein gutes Stück vorangekommen. Dem Jungen ist, als ob eine der Frauen im weißen Kattun ihn anschaute.

Er lacht ihr nach. Er winkt. Sie merkt es und streckt ihm eine kleine rosa Zunge heraus.

Es beginnt auch erneut zu regnen.

Eines Tages, denkt der Junge, werde ich auf einem solchen Schiff fahren. Eines Tages werde ich fortgehen von hier.

3000 Jahre später

 

Rhodan fror. Er stand auf einer dunklen Eisfläche. Kein Lichtreflex, gefrorene Nacht.

Ihm war, als hätte ihn jemand in Eiswasser getaucht. Nur dass kein Wasser da war – nichts als diese gegenstandlose, wesenlose Kälte.

»Wanderer ist vollständig erstarrt«, murmelte Mondra.

Rhodan schloss den Helm seines SERUNS. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Mondra Diamond ebenso verfuhr. Die erstaunliche Synchronizität ihrer Leben.

Sofort drang ein leicht brummender Ton in sein Ohr, tief und beruhigend, ein Geräusch, das Wärme versprach. Die Heizung seines SERUNS lief offenbar auf Hochtouren.

Ein SERUN war mehr als nur ein Schutzanzug. Er war eine zweite, technische Haut. Wer einen SERUN trug, lebte beinahe in Symbiose mit diesem Gerät.

Doch wenn der Brummton nicht trog und sein SERUN tatsächlich Wärme produzierte, erreichte ihn diese Wohltat nicht, ging auf dem kurzen Weg zwischen dem Geflecht der Thermofasern und seiner Haut verloren.

Diese Kälte überbot alles, was er je erlebt hatte. Daher ja auch der Begriff »Hyperkälte«, dachte Perry Rhodan mit einem Anflug von Sarkasmus.

Er warf einen Blick auf die Uhr in seinem Multifunktionsarmband. 8.27 Uhr Terrania-Standard.

Sie waren eben auf dem Transferdeck der Maschinenstadt Ambur-Karbush auf der Kunstwelt Wanderer angekommen. Das kreisrunde Deck durchmaß fast eineinhalb Kilometer und war damit, wie ihm absurderweise durch den Kopf schoss, fünfmal größer als der Petersplatz in Rom, dreimal so groß wie der Platz voller Blüten und Süßigkeiten vor dem Tempel in Neu-Kalicut.

Er schüttelte den Gedanken ab. Hier wird kein höheres Wesen verehrt. Kein Grund zur Ehrfurcht.

Allerdings war der Saal in jeder Hinsicht beeindruckend. Seine lichte Höhe betrug hundert Meter. Rhodan warf einen Blick auf die Transferröhren. Eine mittlerweile vertraute Erscheinung: Die vier Röhren, knapp über 600 Meter lang und 50 Meter im Durchmesser, liefen von allen vier Seiten aufeinander zu, ließen aber in ihrer Mitte einen freien Raum von etwa 200 Metern. Sie schimmerten unter dem eisigen Panzer weiterhin blau: sendebereit.

Aber Rhodan hatte nicht vor, sofort wieder zu gehen.

An ihrem fernen Ende wurden die Transferkamine durchscheinend und verblassten schließlich ganz, wie wenn man einen Traum kurz nach dem Erwachen vergaß.

»Frostig hier«, sagte Diamond über Funk.

»Ja.«

Sie wies auf das Ausgangstor. »Worauf warten wir noch. Es wird kein Empfangskomitee kommen.«

Er schüttelte den Kopf. Sie hatte recht. Niemand würde kommen. Die Idee der Bewegung war dieser Welt fremd geworden. Alles lag erstarrt.

Die dicke Eisschicht auf dem Boden, der Eispanzer an den Wänden. War auch die Decke vereist? Wahrscheinlich. Eine ganz in Eis verschalte Welt.

Er spürte, wie sich die Stiefel seines SERUNS nach den ersten Schritten an die Bodenbedingungen adaptierten und ihm festen Stand verliehen.

Der Gedanke an erlebte Winter, an wirkliche Winter auf der Erde, kam ihm in den Sinn. »Als Kinder haben wir Schnee geräumt«, sagte er, während sie schon auf das Tor zugingen.

»Daher ja auch der Begriff Kinderarbeit. Mir war nicht klar, dass du in der Zeit der Sklaverei aufgewachsen bist«, sagte Diamond.

Er lachte leise. »Es war keine Zwangsarbeit. Wir haben es für Geld getan.«

»Hier könntest du reich werden. Perry Rhodan und sein Winterdienst für eine eingeschneite Superintelligenz.«

»Daher ja auch der Begriff des Hilfsvolkes

Die Kälte drang weiterhin mühelos bis in Haut und Knochen vor. Seine Gelenke plagten sich mit jedem Schritt. Die Sehnen fühlten sich verhärtet an, wie Glas. Der SERUN schmiegte sich enger an, unterstützte seine Bewegungen mittels eines Exoskeletts.

Endlich standen sie vor dem Tor – erschöpft wie nach einem Fußmarsch auf den Mount Everest.

Diamond berührt mit dem Handschuh die Sensortaste neben dem Tor. Nichts tat sich.

»Ambur-Karbush ist energetisch tot«, sagte sie.

Rhodan nickte und fragte sich, was dann das Transferdeck am Leben hielt – energetisch betrachtet.

Rhodan und Diamond betrachteten das Rad, mit dem sich das Tor manuell öffnen ließ. Was für ein Anachronismus auf dieser Welt. Aber ist nicht alles auf Wanderer ein Anachronismus?

Sie sahen einander durch das Visier ihrer Schutzhelme an. »Drehen wir das Rad«, sagte Rhodan.

Zu zweit griffen sie in die Speichen.

Schwere körperliche Arbeit, eine fast übermenschliche Anstrengung, bis sich das Rad den ersten Millimeter bewegte – das war seine Befürchtung gewesen.

Nichts davon. Das Rad war leichtgängig und übertrug die Kraft – auf welche Weise auch immer – fast reibungslos auf die Torwände, die zur Seite glitten und den Blick freigaben auf die Maschinenstadt.

Ein Wind wehte aus der Maschinenstadt herein und überbot die Kälte, unter der sie bislang gelitten hatte, ohne jede Mühe.

Der Reisende: Mein Name

 

Am Morgen des Tages, an dem ich erschossen wurde, wachte ich neben einer ziemlich blonden Lady auf. Sie roch nach Nacht und Nähe und nach einem Verdacht von Bourbon.

Ich gähnte herzhaft und geräuschvoll, schwang die Beine aus dem Bett, setzte mich auf, reckte mich, kramte die Socken zusammen, den Einteiler, der kaum noch rosa war, sondern mehr und mehr die Farbe von Eierschalen angenommen hatte. Ziemlich kalt, das Zeug.

Ich knöpfte die Leiste nur bis zur Hüfte zu, ließ den Rest des Einteilers baumeln, hängte mir den Gürtel mit den beiden Sechsschüssern über die Schulter und setzte den Hut auf.

Dann ging ich über den Flur zur Latrine pinkeln.

Es müffelte ziemlich nach Menschentier in diesem Raum.

Die Chinamänner, die ich beim Eisenbahnbau mit der Santa Fe Railroad kennengelernt hatte, nannten so einen Abtritt die Halle der inneren Harmonie. Und grinsten dabei ihr Grinsen wie aus Porzellan, dass du nicht wusstest, wie ernst sie es wirklich meinten.

Es stank, aber immerhin musste ich nicht über irgendeinen Hof zum Plumpsklo marschieren.

Während das Wasser vor sich hin plätscherte, schaute ich aus dem Fenster. Kurz nach Sonnenaufgang. Niemand auf der Straße, bis auf zwei Rennkuckucks. Die Vögel erwachten eben aus ihrer Nachtstarre. Sie spreizten das Gefieder, um Licht und Wärme zu schlucken. Allerdings ragte die Sonne erst halb über den Horizont.

Wahrscheinlich ein Pärchen, die Vögel. Roadrunner waren treu.

Ich auch.

Wenn auch immer nur eine überschaubare Zeit.

Die beiden Rennkuckucks staksten durch den gelben Straßenstaub. Sie waren ziemlich holprig unterwegs. Aber sie hatten immer noch mehr drauf als die Klapperschlange, die sich für die Nacht hinter einem Gurkenfass zur Ruhe gelegt hatte. Wahrscheinlich hatte sie gehofft, sich im Schutz der Gurken ungefährdet für den Tag aufheizen lassen zu können.

Schlechter Plan. Einer der Roadrunner, wahrscheinlich das Weibchen, packte die Schlange und schlug ihren Schädel wieder und wieder gegen das Fass.

Es hörte sich an wie ein Klopfen an der Tür.

Ein Eselhase glotzte um die Ecke. Bist ja noch spät auf, Junge, dachte ich. Der Hase hatte seine Eselohren aufgestellt, als lauschte er auf einen fernen Ruf. Vielleicht seine Mutti in der Chihuahua-Wüste, die ihn nach Hause in die Erdmulde rief. Oder seine Lady, die nach einer langen Nacht etwas kuscheln wollte.

Irgendwer wummerte gegen die Tür und riet mir, mich zu beeilen. »Auch andere Männer müssten mal müssen, Freundchen!«

Wusste gar nicht, dass ich hier Freunde hatte.

Ich stieß also die Tür mit einem wohldosierten Fußtritt auf. Sie schlug meinem neuen Freund vor die Nase. Gezeter. Ein ziemlich übergewichtiges Männchen, puterrot im Gesicht, und die Nase dick und glühend wie eine Laterne.

Sah nicht so aus, als ob unsere Freundschaft von langer Dauer sein würde.

Er starrte mich an, entdeckte den Holster mit den beiden Colts über meiner Brust, und die Narben daneben. Ich hab keine Ahnung, was ihn mehr erschreckte. Er blubberte irgendeine wortreiche Entschuldigung. Sogar irgendwas von »Ergebener Diener«. Schätze, wenn ich meiner Blase nicht eben einen Gefallen getan hätte, ich hätte es in diesem Moment getan: vor Lachen.

»Ist schon gut«, sagte ich, tippte mit Zeige- und Mittelfinger an die Krempe und ging los.

Er machte, dass er in die Halle der inneren Harmonie kam und – klack!, der Riegel – die Tür hinter sich schloss.

Ich schaute auf dem Weg zurück in mein Zimmer nach unten in den Schankraum. Noch kein Betrieb. Nur die Wirtin, eine hagere Scheuche, fegte den Boden und keifte, weil der kleine Neger den Spucknapf nicht richtig ausgeputzt hatte, jedenfalls ihrer maßgeblichen Meinung nach.

Um dem Kleinen Gelegenheit zum Üben zu geben, rotzte sie selbst noch einmal rein.

Es roch nach frisch gestreuten Spänen, und aus der Küche immerhin nach brennendem Holz, nach Rauch und Kaffee.

Sie sah mich an der Brüstung stehen, schaute mir zwei, drei Sekunden ins Gesicht, ohne eine Miene zu verziehen.

Also verzog ich auch keine Miene und ging zurück zu meiner Lady.

Sie saß aufrecht im Bett, die Beine im Schneidersitz überkreuzt. Sie versuchte eben, sich den schwarzen Wasserfall ihres Haares hochzustecken, ich sah das goldene Gekräusel in ihren Achseln, ihre schaumweiße Haut, die Arme lang und weich, die Brüste voll. Ihr Gesicht eher breit, aber auf die angenehme Art.

Abgesehen von den Haarsträhnen, die ihrem Griff immer wieder entkamen und ihr auf die Schulter oder die Brust flossen, war sie noch unbekleidet. Ihr etwas abgewetztes Kattunkleid hing schläfrig über dem Stuhl; auf dem Bett lag der kleine, poröse Beutel, der mit Mehl gefüllt war und ihr als Puderquaste diente.

Sie hielt ein paar Haarspangen zwischen den Lippen und sagte: »Hi.«

»Hi. Hast du noch etwas Zeit übrig für mich?«

»Ich weiß es nicht. Wie spät ist es?«

Ich angelte mit großer Geste die Taschenuhr aus der Weste, klappte den Deckel so auf, dass sie das Ziffernblatt nicht sehen konnte. »Noch ziemlich früh.«

Sie lachte spöttisch, musterte mich nachdenklich. »Weißt du überhaupt noch, wie ich heiße?«

»Klar«, sagte ich. »Und du?«

Sie ließ eine Spange in ihre Hand fallen und ging den Wasserfall erneut an. »Philine.«

Ich nickte. »Genau.«

»Was ist mit dir? Hast du auch einen Namen?«

»Ich kann ihn sogar schreiben. Kannst du lesen?«

»Hm … hm«, sagte sie, schon wieder ein paar Spangen mehr im Mund.

Ich machte ein Zeichen, dass sie sich auf den Bauch drehen sollte. Sie tat es. Ihre Haut war auch da von einem milchigen Weiß, gesprenkelt von Muttermalen.

Ich schrieb den ersten Buchstaben, eine Linie vom Nacken die Wirbelsäule hinunter bis kurz vor ihrer Po-Kerbe, verband die obere Hälfte der Linie mit einem Halbkreis; danach einen glatten Strich – Buchstabe Nummer zwei. Dann einen Strich und drei Haken nach rechts, schließlich einen Strich die Wirbelsäule entlang und einen Balken quer darüber von Schulterblatt zu Schulterblatt.

»Piet«, las sie. »Allerdings fehlt der i-Punkt auf dem I.«

»Pardon. Du sollst den i-Punkt haben«, sagte ich und setzte den Punkt mit dem Zeigefinger.

Sie quietschte auf. »Der Punkt kommt auf das I, nicht darunter. Und schon gar nicht so weit darunter.«

»Mitten ins Schwarze«, lobte ich mich selbst.

Sie lachte, versuchte aber, mich böse anzuschauen. Netter Versuch.

»Pardon«, sagte ich wieder, ganz Gentleman. Ich konnte, wenn ich wollte, saumäßig charmant sein. »Ich hab übrigens auch noch einen Nachnamen.«

»Überraschung«, sagte sie. »Schreib ihn mir auf.«

Ich wusste doch, dass es voreilig gewesen wäre, alle Knöpfe zuzuknöpfen.

Als wir einige Zeit später nebeneinander lagen und Atem schöpften, kannte sie auch meinen vollständigen Namen:

Piet Rawland.

»Wie weit willst du gehen?«

 

Die Maschinenstadt lag ganz und gar unter der weißen Firnis des Frostes, Gebäude ebenso wie Straßen und Plätze.

Wir sollten nicht hier sein, dachte Rhodan. Niemand – kein Mensch – sollte hier sein. Was haben Menschen in einer erfrorenen Maschinenstadt verloren? Da sind ja Termitenbauten heimeliger. Oder Korallenkolonien.

Aber wie jedes Mal fiel es ihm schwer, sich der Faszination zu entziehen, die von der schweigsamen Stadt ausging.

In Ambur-Karbush – in ebendieser Stadt oder einer früheren Version von ihr – hatte Rhodan seine erste Zelldusche erhalten. Ein Jungbrunnen, dessen Benutzung den Pakt zwischen ES und den Terranern besiegelt hatte.

Die Sensorübermittlung seines Schulterstückes verriet ihm, dass Mondras Hand ihn flüchtig dort berührt hatte.

»Gehen wir los«, sagte sie.

Sie traten nach draußen. Vor ihnen lag der zentrale Platz der Stadt, ein etwa zwei Kilometer durchmessendes Rund. Das beherrschende Gebäude des Platzes war ein 1300 Meter hoher, filigraner Turm, ein Metall und Glas gewordener Traum vom Aufstreben. Unwillkürlich folgte Rhodan der architektonischen Linie in den Himmel über Wanderer: auch dort nur eine eisgraue Scheibe.

Kein Schnee fiel.

Schnee hätte dem Ganzen einen Hauch von Leben verleihen können, einen Rest von Bewegung. Aber der Frost stieg geradezu aus jedem Gebäude der Maschinenstadt.

Vielleicht ist es im Inneren der Gebäude noch eisiger als hier. Vielleicht schirmen uns ihre Wände vom wahren Frost ab, und wir werden noch vom Schlimmsten verschont.

Was das Schlimmste wäre? Wenn die Eiseskälte nur eine Nebenwirkung des Todes von Wanderer wäre.

Rhodan wusste, dass es genug Terraner gab, die das jahrtausendealte Bündnis mit ES zum Teufel wünschten. Die privilegierte Zivilisation einer Superintelligenz zu sein mochte von außen betrachtet beneidenswert scheinen. Ein großer Spaß ist es nicht.

Am Fuß des Turms lag der mächtige Kuppelbau. Dort war Rhodan zum ersten Mal ES begegnet: einer langsam um sich selbst kreisenden, spiralig ineinanderfließenden Sphäre. Die beschwingte Stimme, die ihn willkommen geheißen hatte: »Sie werden meine Erscheinungsform etwas ungewöhnlich finden«, hatte ES gesagt. »Immerhin sollten Sie sich bereits daran gewöhnt haben, dass ich merkwürdig bin.«

Tatsächlich hatte Rhodan sich nie an ES gewöhnt. Kein Mensch würde sich je an etwas gewöhnen können, das alles Menschliche so weit überstieg.

Rhodan wusste von Atlan, dass ES derzeit als fast völlig transparente Eissäule in Erscheinung trat: eine zehn Meter durchmessende und 70 Meter hohe Grabsäule seiner selbst.

Das Einzige, was diese Säule noch von einer Stele unterschied, war ein goldener Lichtstrahl, der, fingerdick, aus dem Nichts auf das Dach der Säule fiel und von ihr förmlich aufgesogen wurde.

Vor dieser Säule sollte auch Homunk stehen, zu Eis erstarrt, ein Opfer der Hyperkälte.

Eine Scheu, die sie einander nicht eingestehen mochten, hinderte Rhodan und Diamond daran, den Platz geradenwegs zu überqueren. Sie gingen an seiner Peripherie entlang. Das Geräusch der SERUN-Heizung klang nun schriller. Rhodan spürte, dass sein Aktivatorchip gegen die Kälte ankämpfte. Der Chip glühte förmlich, aber sein Wärmeschatten erreichte längst nicht alle Teile von Rhodans Leib.

Plötzlich verschärfte sich die Kälte. Obwohl der SERUN keinen Luftzug anmaß, geschweige denn einen Sturm, fühlten Rhodan und Diamond sich von einer Kältewelle überrollt, die von der großen Halle ausging.