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Inhalt

Vorwort von Marcel Reich-Ranicki

Die Gustavs

Strafprozess auf Kugellagern

Und lass uns wieder von dem Wetter reden …

16 Tage, die die Welt erschütterten

Märchen für Wohnungssuchende

Gruß aus den Bergen

Berliner Sommer-Theater

Sängerbrief aus Wien

Kleine Wochenschau

Olympia

In Harburg da ist es gewesen …

Politik vom Bett aus

Klagen eines Oberlehrers

Der Tonfilm

Holz- und Polsterklassenstaat

Der künstliche Mensch

Kämpfe zu Hause

Ein paar neue Weltrekorde

Herbstliche Gefühle

Kleine Predigt

Kyritz - Pyritz

Choral für Ruhrbarone

Totensonntag

Das Lied des toten Matrosen

Manöver im Parkett

Brief aus Bayern

Weihnachts-Hymne

Glückwünsche

Nur für Herrschaften!

Wie lese ich den Handelsteil?

Lessing

Wintersport

Ballgeflüster

Rundschreiben für Fastnacht

Revue-Dämmerung

Bettgespräch

Sonntagnachmittag …

Zitat aus großer Zeit

April, April!

Waldecker Opposition

Der Schildbürgermeister

Frühling 1929

Van de Velde im Kino

Nationaltheater in Oppeln

Werders Leiden

Kleiner Pfingstbericht

Brief aus Paris

Trottoircafés bei Nacht

Klassenzusammenkunft

Feiner Besuch

Sittlichkeit bei 30 Grad

Prozess

Der Dauertänzer

Hurra, Ferien!

Zweimal Hochzeit

Kientopp

420 Stunden in der Luft

Traurigkeit

Abfahrt

Kopenhagen

Es geht los!

Bombenwerfer-Hymne

Brigitte prozessiert

Umzug

Brucknerhetze

In Berlin spukt’s

Herbst, vom Zug aus

Der eingeseifte Barbier

Die Druntermieter

6-Tage-Rennen

Saldo mortale

Lied für Bariton

Die Reichsbahnzeitung

Das indiskrete Gespenst

Kostümballade

Festlicher Brief

Neujahrswunsch

Vom Grüßen

Brief aus Köln!

Berlin wackelt

Schlaflosigkeit

Nennt sich das Winter?

Kriegsbericht

Münchener Fasching

Panzerkreuzersonate

Alles hat Dalles

Belauschte Allegorie

Sex Appeal

Tag des Buches

Fernzündung

Osterpredigt

Zur Edition

Über Erich Kästner

Erich Kästner im Atrium Verlag

Inhalt

Vorwort
von Marcel Reich-Ranicki

Die Gustavs

Strafprozess auf Kugellagern

Und lass uns wieder von dem Wetter reden …

16 Tage, die die Welt erschütterten

Märchen für Wohnungssuchende

Gruß aus den Bergen

Berliner Sommer-Theater

Sängerbrief aus Wien

Kleine Wochenschau

Olympia

In Harburg da ist es gewesen …

Politik vom Bett aus

Klagen eines Oberlehrers

Der Tonfilm

Holz- und Polsterklassenstaat

Der künstliche Mensch

Kämpfe zu Hause

Ein paar neue Weltrekorde

Herbstliche Gefühle

Kleine Predigt

Kyritz - Pyritz

Choral für Ruhrbarone

Totensonntag

Das Lied des toten Matrosen

Manöver im Parkett

Brief aus Bayern

Weihnachts-Hymne

Glückwünsche

Nur für Herrschaften!

Wie lese ich den Handelsteil?

Lessing

Wintersport

Ballgeflüster

Rundschreiben für Fastnacht

Revue-Dämmerung

Bettgespräch

Sonntagnachmittag …

Zitat aus großer Zeit

April, April!

Waldecker Opposition

Der Schildbürgermeister

Frühling 1929

Van de Velde im Kino

Nationaltheater in Oppeln

Werders Leiden

Kleiner Pfingstbericht

Brief aus Paris

Trottoircafés bei Nacht

Klassenzusammenkunft

Feiner Besuch

Sittlichkeit bei 30 Grad

Prozess

Der Dauertänzer

Hurra, Ferien!

Zweimal Hochzeit

Kientopp

420 Stunden in der Luft

Traurigkeit

Abfahrt

Kopenhagen

Es geht los!

Bombenwerfer-Hymne

Brigitte prozessiert

Umzug

Brucknerhetze

In Berlin spukt’s

Herbst, vom Zug aus

Der eingeseifte Barbier

Die Druntermieter

6-Tage-Rennen

Saldo mortale

Lied für Bariton

Die Reichsbahnzeitung

Das indiskrete Gespenst

Kostümballade

Festlicher Brief

Neujahrswunsch

Vom Grüßen

Brief aus Köln!

Berlin wackelt

Schlaflosigkeit

Nennt sich das Winter?

Kriegsbericht

Münchener Fasching

Panzerkreuzersonate

Alles hat Dalles

Belauschte Allegorie

Sex Appeal

Tag des Buches

Fernzündung

Osterpredigt

Zur Edition

Autor

Erich Kästner im Atrium Verlag

Impressum

Vorwort
von Marcel Reich-Ranicki

Nie wollte er aufhören zu glauben, dass die Menschen besser werden könnten, »wenn man sie oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht«. Er, der Autor düsterer und resignierter, bissiger und bitterer Gedichte, war in Wirklichkeit Deutschlands hoffnungsvollster Pessimist und der deutschen Literatur positivster Negationsrat. Er gehört zu den Moralisten, die zugleich Spaßmacher sind. Er ist ein Conférencier, der keine Hemmungen hat zu predigen. Und er ist ein Prediger, der gern und stolz die Narrenkappe trägt. In allem, was er geschrieben hat, dominiert unmissverständlich und dennoch unaufdringlich das Pädagogische. Mithin ein Schulmeister gar? Aber ja doch, nur eben Deutschlands amüsantester und geistreichster.

Er war witzig. Also nahm man ihn nicht ganz ernst. Aber er hatte Anmut und Charme. Also hielt man ihn für etwas unseriös. Er war sehr erfolgreich, ja, er wurde – wie seine Zeitgenossen Tucholsky und Ringelnatz, Fallada und Zuckmayer – ein typischer Volksschriftsteller. Also misstraute man ihm. Während andere das Bedürfnis hatten, sich einzureihen, bei einer politischen Organisation Schutz zu suchen oder sich mit ihr ganz zu identifizieren, blieb Kästner zwischen den Fronten und Parteien. Seine beharrliche Ablehnung der ideologischen Rezepte traf logischerweise in allen Parteien, gelinde gesagt, auf wenig Gegenliebe. Aber damit hat es auch zu tun, dass viele seiner Gedichte aus der Weimarer Zeit bis heute überlebt haben und einige sogar überraschend aktuell sind.

In den zwanziger Jahren, als es darum ging, den Lesern, die von Trakl’scher Trauer, vom Rilke’schen Rhythmus und vom George’schen Gepränge begeistert und betört waren und vom expressionistischen Schrei genug hatten, eine Dichtung schmackhaft zu machen, die deutsch und dennoch nützlich wäre, damals, als Poesie für den Alltag das Gebot der Stunde hieß, da war Kästner einer von jenen »Gebrauchspoeten«, die »Gebrauchslyrik« zu liefern entschlossen waren. Gedichte sollten, meinte er 1929, »seelisch verwendbar« sein, er verstand sie als Notizen »im Umgang mit den Freuden und Schmerzen der Gegenwart«, wogegen ihm »die Bekanntgabe persönlicher Stimmungen« geradezu verwerflich schien. »Das, was er schrieb, war manchmal Dichtung, / doch um zu dichten, schrieb er nie.« Er meinte Lessing, aber es gilt auch für ihn selber.

Was seine Protokolle aus dem Leben der modernen Großstadt zunächst auszeichnet, ist ihre vor dem Hintergrund der deutschen Lyrik gar nicht so selbstverständliche Unmittelbarkeit und Deutlichkeit. Der Lyriker Kästner wagte es, gleich und immer zu sagen, worauf es ihm ankam. Unzählige Leser waren ihm dafür dankbar; nur dass viele Kritiker es ihm nicht verzeihen wollten. Die kunstvolle Machart dieser melodischen und oft einschmeichelnden Verse ist nie recht anerkannt worden. Gewiss, die formale Erneuerung der Poesie war seine Sache nicht. Meist verließ er sich auf die herkömmlichsten und populärsten Formen der deutschen Lyrik, zumal auf die vierzeilige und sechszeilige Strophe mit Reim und regelmäßigem Rhythmus. Doch die alten Schläuche füllte er mit neuem Wein. In der traditionellen, oft volksliedhaften Strophe tauchte die saloppe Umgangssprache der späten zwanziger Jahre auf: Alltagsphrasen, Zeitungswendungen und Reklameslogans, auch der Behördenjargon, auch der Slang der Militärs. In dieser Poesie ist die Rede von Schreibmaschinen und Schinkenbroten, von Krediten und Bilanzen, von Bardamen und Abtreibungen. Das von Kästner am häufigsten angewandte Prinzip war die Übernahme des Konventionellen für die (möglichst überraschende) Mitteilung des Aktuellen.

Und das Aktuelle – das ist die Krise. Dieses Lebensgefühl artikulieren die Gedichte Kästners aus den Weimarer Jahren: Sie lassen die allgemeine Unsicherheit spürbar werden, sie registrieren die Symptome sowohl der politischen als auch der persönlichen, sowohl der wirtschaftlichen als auch der sexuellen Krise. Daraus ergeben sich die wichtigsten Motive seiner Lyrik: die Hilflosigkeit des Individuums und die Enttäuschung der missbrauchten Generation, Arbeitslosigkeit und Kulturmüdigkeit, Resignation und Abschiedsstimmung. Der Titel Falladas, Kleiner Mann – was nun?, ist zugleich das Motto der Lyrik Kästners. Er, der Sänger der kleinen Leute und der Dichter der kleinen Freiheit, gehört mittlerweile zu den Klassikern der deutschen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die jetzt durch den Atrium Verlag ermöglichte Neulektüre der Montagsgedichte führt vor Augen, wie Kästner arbeitete. Wach, mitten im urbanen Berliner Leben, mit dem genauen, oft schonungslosen Blick für Zeittrends und Zeitgenossen und mit dem unbedingten Willen, die Modernität und Liberalität der Weimarer Republik zu verteidigen. Es war nicht sein Stil, sich in den Gegner zu verbeißen, Kästners bevorzugte Mittel waren Spott und Ironie. Wo die Gegner standen, das wusste er freilich genau: Ein ums andere Mal entblößt er den Militarismus, die Macht der Großindustrie, dumpfen rechten Nationalismus, die Neureichen, das Spießertum im kulturellen Leben.

Es ist der typische Kästner-Ton, der uns in diesen Gedichten entgegentritt, verbunden mit vertrauten Sujets: Bahnreise, Klatsch und Tratsch, die Einsamkeit des Städters (und immer wieder Selbstmord), die Geistlosigkeit der Massenvergnügungen, Touristik, die Erotik des Alltags. Natürlich tritt die geliebte Mutter immer wieder in Erscheinung, und wir erhalten einen kleinen Einblick in Kästners Reisen und Urlaube, zum Beispiel in Paris und Dänemark, an der Ostsee oder in den Alpen.

Kästner war einer der besten Kenner der Berliner Theater- und Literaturszene. Seine vielen Theaterkritiken und Buchrezensionen, aber auch seine Veranstaltungsberichte und Reportagen bilden den Erfahrungshintergrund für zahlreiche der hier versammelten Gedichte. In den Jahren 1928 bis 1930 sind wir Zeuge eines rastlos produktiven und ambitionierten Schriftstellers, der sich auf dem Weg zum Ruhm befindet. Der junge Kästner der Weimarer Jahre ist immer noch nicht vollständig erschlossen; er verbleibt bislang im Schatten des Kinderbuchklassikers und des Moralisten. Es ist an der Zeit, das zu ändern und ihm seine Lebendigkeit zurückzugeben. Diese Gedichte tragen dazu bei.

Die Gustavs

Im wunderschönen Monat Mai

Befuhr ein Mann mit seinem Pferde

Ein großes Stück der kleinen Erde.

Ein Redakteur war auch dabei.

Selbstverständlich.

Man fuhr von Wannsee nach Paris.

Zwei Völker winkten mit den Mützen.

Auch schien es der Idee zu nützen,

Dass unser Kutscher Gustav hieß.

Selbstverständlich.

Obwohl er nicht Französisch kann,

Hat er sich mit Paris verständigt.

Denn dort, wo das Verstehen endigt,

Fängt die Verständigung erst an:

Selbstverständlich.

Wer nach Paris will, braucht Geduld,

Raketenflug hat keinen Zweck.

Wer langsam fährt, kommt schnell vom Fleck.

Daran sind nicht die Kutscher schuld,

Selbstverständlich.

Was sollen Völker mit Genies?

Wir Völker wollen Gustavs haben,

Die langsam, aber sicher traben!

Und das gilt nicht nur für Paris,

Selbstverständlich.

11. Juni 1928

Der Droschkenkutscher Gustav Herrmann (18591938) war am 2. April 1928 in Berlin aufgebrochen und traf nach mehrwöchiger Fahrt am 4. Juni in Paris ein, wo er eine aufsehenerregende Rede über deutsch-französische Verständigung hielt. Ein anderer Gustav, auf den Kästner anspielt, ist der damals amtierende Außenminister Stresemann (18781929), dem aufgrund seiner Verständigungspolitik gegenüber Frankreich zusammen mit seinem Amtskollegen Aristide Briand 1926 der Friedensnobelpreis verliehen worden war.

Strafprozess auf Kugellagern

Es war einmal ein Konzern,

Der sah begreiflicherweise

Die niedrigen Lieferpreise

Der Konkurrenz nicht gern.

Verhandlungen hatten versagt.

Da wurde Riebe von Norma

(natürlich nur pro forma)

Beim Staatsanwalt verklagt.

Denn Norma dachte hierbei,

Dass Riebe nach einer Blamage

Thema: Werkspionage

Billig zu haben sei.

Doch während die zwei sich nach Kräften

Vor Gericht, in Stuttgart, bespien,

Verhandelten sie in Berlin

Von wegen Millionengeschäften.

Sie hatten schließlich auch Glück,

Vereinigten sich gütlich

Und zogen die Klage gemütlich

Am Tage des Urteils zurück.

Nun kann der Trust express

Die Kugellager verteuern!

Und von Armeleute-Steuern

Bezahlt der Staat den Prozess!

Man weiß nicht, was soll es bedeuten …

Herr Staatsanwalt, prost, zum Wohl!

Das schwedische Monopol

Lässt für Sie Glocken läuten.

Was denkt nun ein Mann wie Kahn?

Man singt bei Norma und Riebe:

»Und das hat mit ihrem Betriebe

Die deutsche Justiz getan!«

18. Juni 1928

In einem Industriespionageprozess, den der Norma-Konzern gegen die Werke Kahn und Riebe angestrengt hatte, kam es am 12. Juni 1928 zu einer Einigung, die eine Monopolbildung in der Kugellagerindustrie bedeutete.

Und lass uns wieder von dem Wetter reden …

Nun haben wir das Wetter satt!

Wann tritt denn bloß der Sommer ein?

Vorm Jahre fand er freitags statt,

und diesmal soll er mittwochs sein.

Die Welt ist grau. Der Regen fließt.

Es friert der Mensch, sosehr er kann.

Doch wenn er hustet oder niest,

fängt es noch mehr zu regnen an.

Zuweilen regnet es nicht mehr.

Dann wird die Welt von neuem nass.

Vom Himmel hoch, da kommt es her.

Kann so ein Himmel nichts als das?

Ach, er besteht aus nichts als Loch!

Das war doch vor dem Krieg nicht so.

Da stimmte der Kalender noch.

Da gab es Sonnenschein en gros.

Man lag im Sande ausgestreckt

und wurde, wenn man wurde, braun,

und die Verdauung war perfekt.

Das war ein Kaiserwetter, traun!

Nun steht man fensterwärts und gähnt.

Die Welt ist feucht von A bis Z!

Die Frau, die gegenüber lehnt,

stützt sehr viel Brust aufs Fensterbrett.

Wir blicken seitwärts, weil uns graut.

Der Wind geht kalt. Es regnet fein.

Die Jahreszeiten sind versaut.

Der Mensch ist voller Gänsehaut.

Grüß Gott, es hat nicht sollen sein!

25. Juni 1928