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Sie sind die Aras, doch die Völker der Milchstraße nennen sie die »Galaktischen Mediziner«.

Ihre Heilkunst ist legendär, ihr medizinisches Know-how kann über das Wohl ganzer Planeten entscheiden.

Dabei haben sie nicht etwa einen Eid geleistet, Gutes zu tun und Schaden abzuwenden: Die Aras sind Geschäftsleute, Händler in großem Stil, und sie lassen sich ihre ärztlichen Dienste teuer bezahlen. Aber nicht alles, was in den Laboren von Aralon und den anderen Welten der Galaktischen Mediziner entsteht, erweist sich als wirklich heilsam.

Plötzlich sehen sich die Sternenreiche der Galaxis einer Gefahr ausgesetzt, die alles bislang da Gewesene übersteigt.

Perry Rhodan und sein alter Weggefährte Julian Tifflor müssen erleben, wie die Schatten einer Vergangenheit lebendig werden, die sie seit ewigen Zeiten besiegt glaubten.

Die Galaxis ändert ihr Gesicht. Rhodan und Tifflor sind auf sich allein gestellt in ihrem verzweifelten Kampf gegen einen ungeheuren Feind. Es scheint kein Gegenmittel denkbar gegen das ARA-TOXIN.

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Ara-Toxin

 

Gesamtausgabe

 

 

Ara-Toxin 1

Die Galaktischen Mediziner von Leo Lukas

 

Ara-Toxin 2

Die Medonomaden von Uwe Anton

 

Ara-Toxin 3

Nekrogenesis von Hans Joachim Alpers

 

Ara-Toxin 4

Die eiserne Karawane von Wim Vandemaan

 

Ara-Toxin 5

Die Trümmerbrücke von Hubert Haensel

 

Ara-Toxin 6

Der Unlichtplanet von Michael Marcus Thurner

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt.

Impressum

 

 

EPUB-Version © 2012 Pabel-Moewig Verlag GmbH, PERRY RHODAN digital, Rastatt.

Chefredaktion: Klaus N. Frick.

ISBN: 978-3845-3-3192-8

Internet: www.perry-rhodan.net und E-Mail: mail@perry-rhodan.net

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Ara-Toxin Band 1

 

Die Galaktischen Mediziner

 

von Leo Lukas

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt.

Prolog

 

Der Klingenfalter

 

 

Ich will dir diese Geschichte erzählen, jetzt sofort. Will sie mir von der Seele reden, bevor ich daran ersticke. Ungeheuerliches ist geschehen, geschieht immer noch.

Und ich trage Mitschuld daran.

Obwohl es sein könnte, dass mein Gedächtnis trügt. Oder besser – weil ich mir keineswegs sicher bin, dass sich alles so und nicht anders abgespielt hat, muss ich das, was ich für mein Wissen halte, endlich loswerden. Höre: Ein beträchtlicher Teil meiner Erinnerungen besteht aus dem Inhalt winziger Phiolen, die ich einem perfekt getarnten Behältnis in meiner Hüfte entnehme. Tröpfchenweise, sozusagen, gewinne ich meine Vergangenheit zurück und erhalte Anweisungen für die Gegenwart.

Was die Zukunft betrifft ...

Lass uns von vorn beginnen, mein Freund. Mit dem Klingenfalter.

Mit dem Klingenfalter, ja, damit fing es an. Im zoologisch-botanischen Garten von Kartum, am Rande des großen, seit Monaten angekündigten, penibel vorbereiteten Ereignisses. Unserer Delegation, einer von hunderten, wurde dasselbe Rahmenprogramm aufgezwungen wie allen anderen: historische Bauwerke, interaktive Museen, schließlich die berühmte Toxische Menagerie.

»Seit der Gründung vor über siebenundzwanzig Jahrhunderten«, dozierte die Führerin, eine gedrungene, kegelförmige Person mit unangenehm durchdringender Stimme, »werden hier sämtliche bekannten, Gift produzierenden Tiere oder Pflanzen unserer Galaxis gesammelt, kultiviert und erforscht. Selbstverständlich halten wir sie in weiträumigen Habitaten, die ihrer gewohnten Umwelt optimal nachgebildet sind. Keiner Kreatur wird Leid zugefügt; keine einzige, noch so exotische Wesenheit, ob Hypermade, Blutschaumpilz-Myzel oder Pagodenkristall-Träne, soll in ihrer individuellen oder kollektiven Entfaltung beeinträchtigt werden. Unsere Wissenschaftler beobachten, ohne sich in die Lebensweise der jeweiligen Spezies einzumischen. Und wenn wir deren toxische Produkte entnehmen, um damit zu experimentieren, geschieht dies mit größter Behutsamkeit. Nicht zuletzt deshalb wurde unser Institut mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen bedacht, allein im Lauf der letzten Jahrzehnte unter anderem dem Goldenen Schreckwurm von ...«

Ich schaltete geistig ab. Mir schwirrte der Kopf vor Reizüberflutung und Müdigkeit.

Der Tag war lang gewesen: Landung des Linienschiffs kurz vor der nächsten Schlafperiode gemäß Bordzeit, jedoch in den frühen Morgenstunden der Stadt Kartum. Endlose Sicherheitskontrollen am Raumhafen. Dann nochmals, an der Schleuse zum Exklusiven Bezirk. Begrüßungscocktail, reichlich abgestanden; Einweisung in die hier gebräuchliche Etikette; Zuteilung der knapp bemessenen Büro- und Konferenzräume. Aber glaub nicht, dass wir uns dort hätten erfrischen, geschweige denn von den Strapazen des Überlichtfluges erholen können! Sofort wurden wir zur obligaten Sightseeingtour verdonnert. Ein Skandal, im Grunde. Ich meine, die paar hundert verschiedenen Zeitrechnungssysteme der einfliegenden Schiffe hätte die hiesige Zentralpositronik locker berücksichtigen und das Besucherprogramm darauf abstimmen können, oder etwa nicht?

Denkste. Auf die Bedürfnisse der Abordnungen kleinerer Völker wurde wie üblich gepfiffen. Alles drehte sich um die hohen Tiere: den arkonidischen Imperator Bostich, den Terranischen Residenten Perry Rhodan, irgendwelche Jülziish-Gesandte mit unaussprechlichen Namen. Unsereins wurde einfach durchgeschleust, abgefertigt, in genau der Reihenfolge bedient, wie wir Landegenehmigung erhalten hatten. Egal, ob uns der Zeitpunkt passte oder nicht. Soviel zur Gleichwertigkeit der autarken Staatsgebilde im Galaktikum ...

Wir latschten, geschlaucht, überspannt, unserer grässlich gut gelaunten Führerin hinterher. »Hier links, in dieser nahezu perfekt simulierten Raum-Zeit-Verfaltung«, trompetete sie, vier ihrer Flossenarme auf eine Art Bullauge richtend, »welche für unsere Sinne nur schematisch dargestellt werden kann, lebt eine Q'q'ffoor-Traube. Jene merkwürdigen Entitäten verhalten sich einerseits äußerst zurückgezogen und genügsam. Andererseits beantworten sie jegliche fremde Annäherung, und seien es Funk- oder Ortungsimpulse, mit dem explosionsartigen Ausstoß eines hyperchemischen Giftes, das so stark ist und sich dermaßen rasch ausbreitet, dass es binnen weniger Tage ganze Sternhaufen entvölkern könnte.«

Routiniert wartete sie ab, bis einige Mitglieder unserer Gruppe erschrockene Laute ausgestoßen hatten. Dann setzte sie fort: »Aber keine Sorge. Die wenigen in der Milchstraße vorkommenden Populationen der Q'q'ffoor, die übrigens manchmal eine Ausdehnung von mehreren Lichtsekunden erreichen, sind seit einer halben Ewigkeit kartografiert. Sie stehen unter permanenter Beobachtung durch äußerst stabile Passivsonden. Für gewöhnlich halten sich die Trauben, scheu wie sie sind, in den Weiten des Leerraums auf. Sie bevorzugen Regionen fernab aller Sonnen, Nebel oder sonstiger kosmischer Objekte; und sie bewegen sich kaum oder nur sehr langsam fort. Falls sie versehentlich in die Nähe interstellarer Flugrouten oder Hyperfunk-Relaisstrecken zu driften drohen, ergeht unverzüglich Warnung an alle raumfahrenden Völker im weiten Umkreis. Notfalls werden die Q'q'ffoor mittels energetischer Projektionen, welche die Emissionen bewohnter Sternsysteme vortäuschen, sanft wieder in abgeschiedene Sektoren zurückgedrängt.«

Wie meist bei solchen Anlässen, fühlte sich der Dümmste in der Runde bemüßigt, einen Kommentar abzugeben. »Klingt ziemlich aufwändig. Warum pustet ihr die Viecher nicht einfach aus dem All?«, fragte Kudo-Ma, unser Stellvertretender Delegationsleiter. »Dann wäre das Ungeziefer ein für alle Mal beseitigt und die Sache gegessen.«

»Könntest du an etwas anderes denken als an deinen Magen«, tadelte ihn scharf Emissärin Verno-Kier, »hättest du den Ausführungen unserer reizenden Betreuerin entnommen, dass es den Förderern der Menagerie von Kartum ja gerade auch um die Erhaltung derlei exotischer Arten geht. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass längst ein Mittel gegen das Q'q'ffoor-Gift gefunden wurde. Nicht wahr?«

»In der Tat«, bestätigte die Führerin mit ganz leicht indigniertem Unterton. »Die Entwicklung und Bereitstellung von Gegengiften ist seit jeher einer unserer bedeutendsten Forschungszweige. Ich wage sogar zu behaupten, dass es in der ganzen Milchstraße kein Toxin gibt, für das wir nicht eine ausreichende Menge von Antidoten vorrätig hätten.«

Beruhigtes Aufseufzen erklang reihum.

»Bloß eine Anti-Idioten-Arznei«, sagte Verno-Kier mit einem vernichtenden Seitenblick auf Kudo-Ma, »habt ihr leider noch nicht gefunden.«

Die Führerin stimmte dröhnend in die allgemeine Heiterkeit ein, wobei sich ihr schuppiger Körper wie in Krämpfen wand. Abrupt wurde sie wieder ernst. »Selbst wenn es so etwas gäbe, verböte es die medizinische Ethik, über neunzig Prozent der Milchstraßen-Bevölkerung auszurotten.«

Viele derjenigen, die sich gerade, ängstlich zum Bullauge schielend, um die Führerin geschart hatten, rückten wieder von ihr ab.

»Das war ein Scherz«, sagte sie etwas zu laut. »Ha. Ha. Ha.«

Niemand lachte.

Gifte. Medizin. Drogen. In einer der antiken terranischen Sprachen soll »Gift« sogar gleichbedeutend mit »Begabung« oder »Geschenk« gewesen sein. Lustig, nicht wahr? Unbestritten ein faszinierendes Thema angesichts dessen, wie leicht unsere Denkapparate durch gewisse Substanzen manipulierbar sind – und wie sehr wir danach streben, unbequeme Teile unseres Bewusstseins zeitweilig auszuschalten, wenn nicht dauerhaft abzutöten. Grundsätzlich hochinteressant, oh doch; nur nicht zu dieser für mich subjektiv so späten Stunde.

Ich wollte gerade fragen, ob es hier Ruheräume gab, oder wenigstens Foyers, die mit Liegestühlen oder weichen Couchen bestückt waren. Kudo-Ma kam mir zuvor.

»Gut zu wissen«, keifte er, »dass hier alle erdenklichen Gegengifte vorrätig sind. Schließlich haben manche Volksgruppen geraume Zeit die übrigen damit erpresst, dass sie, und nur sie, über Mittel verfügten, besonders mörderische Epidemien einzudämmen.« Bei diesen Worten richtete er seine Facetten auf mich. Keineswegs zufällig; ganz im Gegenteil, er starrte mich impertinent an. »Epidemien, welche insgeheim, etlichen Quellen zufolge, von exakt denselben Leuten verbreitet worden waren, die sich danach als die großen Heiler gebärdeten. Und damit Unsummen verdienten ...«

Das musste ja kommen. Kudo-Ma, verärgert und gedemütigt durch den lässigen Seitenhieb der Emissärin, spielte die letzte Trumpfkarte aus, die ihm verblieben war: die Rassenkarte.

Versteh mich richtig: Niemand glotzte. Dass alle ihre Blicke abwendeten, tat viel mehr weh. Inmitten der Insektoiden – selbst die kegelförmige Führerin hatte sechs Extremitäten – stach ich heraus wie eine Kerzenflamme zwischen Eiswürfeln.

Csigul, von wo wir kamen, ist ein kleines Sternenreich, relativ abgelegen und unmaßgeblich. Mein Volk, die Aras, hatte es vor Urzeiten zu missionieren, soll heißen: zu annektieren versucht, war jedoch gescheitert, nicht zuletzt aufgrund der großen Entfernung. Einzelne Siedlerfamilien blieben trotzdem auf dem Hauptplaneten zurück. Notgedrungen vermischten wir unseren Genpool mit dem anderer, ebenso gestrandeter Humanoider. Eines der Resultate bin ich. Plump gebaut, dicklich, abstoßend fett in den Augen »normaler« Aras. Mein Kopf ist nicht spitz genug, mein Haarwuchs stärker ausgebildet als üblich. Fast bis zu den Schultern hinab fallen meine dünnen, gelblichen Strähnen. Für die Csiguls, deren Delegation ich als eine Art Dolmetsch angehöre, bin ich ein geduldetes Übel; für »echte« Aras wäre ich eine Missgeburt.

Kudo-Ma rieb mir meine Abstammung dennoch unter die Nase. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich diese Rassenvorurteile hasse. Purer Chauvinismus: Alle Oxtorner sind Soldaten, alle Überschweren Gauner, alle Aras Ärzte, die absichtlich Krankheiten in die Welten setzen, um sich daran zu bereichern. Toll. Und wer zieht die jeweiligen Kinder auf? Wer komponiert tröstliche Musik? Wer erschafft Architektur, Gärten, Lichtspiele, die geeignet sind, die Mühen des Alltags vergessen zu machen? Kein höher entwickeltes Volk besteht nur aus Dichtern, Philosophen, Bauern oder Schuhverkäufern; genau wie auch keines ohne diese und viele andere Berufe auszukommen vermag.

Die Führerin durchbrach das peinliche Schweigen. »Wenn ich euch in den nächsten Raum bitten dürfte, zum nächsten Schaugehege ... Vorsicht, Stufe ... Hier sehen wir eine der erstaunlichsten Lebensformen, die unsere Galaxis hervorgebracht hat. Der so genannte Klingenfalter vergiftet nämlich nicht seine Feinde, sondern sich selbst. Jedoch wissen wir nach wie vor nicht, warum.«

Das Terrarium war sehr groß, ein hell ausgeleuchteter Saal voller berückend hübscher Schmetterlinge. Deren Flügel, riesig im Vergleich zum zierlichen Körper, wiesen Zeichnungen auf, vor deren Schönheit ich beinahe in die Knie gesunken wäre. Wenn die dumpfe Natur solche Perfektion hervorzubringen vermochte – wozu sollte es dann noch beschränkte Intelligenzwesen wie uns geben?

»Sie gehören alle derselben Art an. Aber einer davon«, sagte die Führerin, »könnte ein Klingenfalter sein. Wir ahnen nicht im Mindesten, welcher; nicht einmal, ob überhaupt. Seit Jahrtausenden beobachten wir diese Spezies. Oft passiert Wochen und Monate lang nichts. Dann kommt es unvermittelt zu einer sprunghaften Mutation. Dutzende Sensoren sind auf die Bewohner dieses Käfigs gerichtet. Wir wollen ergründen: Wieso, aus welchem Anlass, aufgrund welchen Signals verwandelt sich einer davon in eine Mordbestie?«

Plötzlich verkrampften sich meine Zehen. Hitze stieg durch die Beine nach oben, in Bauch und Brustkorb, umfing meinen Kiefer, meine Schläfen. Als lösten sich Folien von meinen Augen ab, klärte sich meine Sicht, und ich erkannte, was ich zu tun hatte.

Zugleich brach einer der Schmetterlinge aus dem anmutigen Tanz aus, den er zusammen mit seinen Artgenossen vollführt hatte. Blitze umzuckten seine fragile Körperform, oder nein: Reflexionen der zahlreichen Lichtquellen auf den hauchdünnen Klingen, zu denen sich seine Flügel schlagartig umgebildet hatten.

»Schätzt euch glücklich!«, posaunte die Führerin, hörbar erregt. »Ihr werdet Zeugen eines seltenen Vorgangs ...«

Ich würgte. Mir war, als würde mein Innerstes nach außen gestülpt. Aus den Augenwinkeln sah ich – obwohl ich mehr als genug mit mir selbst zu tun hatte –, wie sich der pervertierte Falter auf seine Artgenossen stürzte. Die aberwitzig rotierenden Klingen zerhackten, was in ihre Reichweite kam. Es dauerte keine Minute, dann waren die Scheiben des Terrariums mit buntem Blut bekleckert, und nichts mehr lebte darin außer dem hin und her flirrenden, weiter wütenden Klingenfalter.

Mein Magen rebellierte. Ich torkelte in die nahe Toilettenanlage und übergab mich. Im Schutz der verschlossenen Hygienezelle, inmitten saurer Gerüche, wanderte meine Hand wie von selbst nach unten, zur Hüfte, und ertastete die winzige Narbe, die unsichtbare Naht.

Klingen, scharfe, wunderschöne Klingen ...

Mit einem Fingernagel löste ich den Hautlappen ab. Es tat nicht weh. Darunter, dahinter eröffnete sich ein Fach. Winzige Phiolen waren drin angeordnet, nummeriert von eins bis sieben. Die Erste nahm ich heraus. Ich hielt sie mir vor Augen und spürte, wie die Wärme meiner Handfläche die Schutzhülle auflöste. Geringe Mengen einer glasklaren, leicht perlenden Flüssigkeit benetzten meine Haut, sickerten ein, verschwanden.

Mich traf der Blitz. Einer? Ein ganzes Feuerwerk!

Weißt du, das funktioniert ungefähr so: In Gehirnen wie meinem und deinem gibt es Lücken. Manche sind natürlichen Ursprungs, denn jeder von uns vergisst oder verdrängt viel; andere sind von Könnern ihres Fachs kunstvoll angelegt worden. Wie auch immer, diese blinden Flecken vermögen wir nicht wahrzunehmen; sondern wir manövrieren unwissentlich daran entlang, drum herum, außen vorbei.

Die Substanz in den Phiolen wurde dazu geschaffen, solche Lücken auszufüllen.

Informationen blühten auf wie Feuerblumen, fügten sich zusammen, verzahnten und verankerten sich in rasender Geschwindigkeit. Ich taumelte als völlig andere Persönlichkeit aus dem Hygienebereich.

Nun wusste ich, dass der Anblick der seltsamen Schmetterlinge eine in meinem Unterbewusstsein versteckte Programmierung ausgelöst hatte, ganz so, wie es von meinen Meistern geplant war. Auch der Sinn dieser Vorsichtsmaßnahme offenbarte sich mir: Wer nichts von seinem wahren Ich, seiner wahren Aufgabe weiß, kann sich selbst bei den raffiniertesten Überprüfungen nicht verraten. Erst jetzt, nachdem ich, unverdächtig, da vollkommen ahnungslos, die Zugangskontrollen zum Exklusiven Bezirk passiert hatte, gab mir die Phiole die Erinnerung zurück, wer ich wirklich war, und welche Mission ich hier zu erfüllen hatte.

Übertriebene Geheimniskrämerei? Mitnichten, mein armer, todkranker Freund. Man erwartete nicht gerade eine Kleinigkeit von mir. Ich sollte ein Verbrechen begehen, das die gesamte Milchstraße erschüttern würde.

Und mein Opfer, mein anvisiertes Ziel, war kein Geringerer als Perry Rhodan.

Kapitel 1

 

Eine Schlappe, eine Tortur und ein Wiedersehen

 

 

»Fußball ist doof«, sagte Perry Rhodan schwer atmend.

Julian Tifflor boxte ihn an die Schulter. »Du kannst bloß nicht verlieren, Alter.«

Rhodan knurrte, während er sein verschwitztes Trikot auszog. Er warf es quer durch den Umkleideraum in den Wäschekorb. »Da. Ein astreiner Dreipunkter. Basketball hätten wir spielen sollen, am besten in Nullschwerkraft. Dann hätte ich euch schon gezeigt, wo der Hammer hängt.«

»Ja, sicher. Oder Minigolf. Darin bist du doch seit Jahrhunderten ungeschlagen, nicht wahr? Oder war das Murmeln?«

»Sehr witzig. Geh brausen!« Insgeheim ärgerte sich Perry, und zwar darüber, dass er sich ärgerte. Aber die erlittene Abfuhr war einfach zu krass gewesen. Dass Tiff ihn an Spritzigkeit und Körperbeherrschung übertraf, konnte er verkraften. Schließlich war Julian der Jüngere von ihnen; er hatte seine erste lebensverlängernde Zelldusche mit 35 erhalten, damals im Jahr 1996 alter Zeitrechnung. Und die Upanishad-Ausbildung, die Tiff fast zwei Jahrtausende später am Tschomolungma absolviert hatte, war auch nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Kurz, gegen ihn durfte man in einer nicht sonderlich geliebten Sportart den Kürzeren ziehen.

Viel mehr wurmte Rhodan, dass Kapitän Antonin ihn dermaßen deklassiert hatte. Der Kommandant der ANENKA bot nicht gerade das Bild eines Modellathleten. Er wirkte behäbig, schlapp, untrainiert, schob einen ausgeprägten Bierbauch vor sich her. Trotzdem hatte er gegen Perrys Mannschaft ein Tor nach dem anderen erzielt. Dabei bewegte er sich kaum oder nur sehr träge. Der Ball schien ihn jedoch zu lieben, wie magisch immer wieder zu ihm zu kommen, förmlich an seinem Fuß zu kleben und generell genau das zu tun, was Antonin wollte. Perry und seine Mitspieler mochten laufen, dass ihnen die Zunge heraushing – der dickliche Kapitän düpierte sie mühelos mit Körpertäuschungen und kurzen Haken, schob ihnen das Spielgerät zwischen den Beinen durch, lupfte es hoch, streichelte es geradezu, schoss dann unvermittelt, ohne hinzusehen, nicht selten sogar mit dem Rücken zum Tor stehend, und schon zappelte der Ball wieder im Netz.

Vierundzwanzig zu drei, dachte Perry, die Nase rümpfend. Und das nach einer halben Stunde. Bloß gut, dass wir das Match nicht auf volle Länge angesetzt haben, weil die letzte Etappe bald zu Ende geht.

Wie auf ein Stichwort erklang aus dem Lautsprecher ein Gong, gefolgt von der Meldung, dass die ANENKA das Tah-System in einer Viertelstunde erreichen würde. Perry beeilte sich, unter die Dusche zu kommen.

Eine lange Reise neigte sich ihrem Ende zu. Die ANENKA war ein Raumschiff der SATURN-Klasse, eine gewaltige Kugel aus Ynkelonium-Terkonit und anderen Verbundstoffen, mit einem Durchmesser von 1,8 Kilometern. Ihr Überlichtfaktor betrug 600.000, also bei Höchstgeschwindigkeit 68,5 Lichtjahre pro Stunde. Da ihr Ziel, die Sonne Tah beziehungsweise deren dritter Planet Tahun, 32.308 Lichtjahre von Terra entfernt lag, waren sie fast einen Monat unterwegs gewesen. Die reine Flugzeit belief sich dabei auf 20 Tage, bei Linear-Etappen von jeweils etwa 500 Lichtjahren. Allerdings hatten sie nach zwei Dritteln der Strecke die ausgebrannten HAWK-II-Kompensationskonverter gegen einen kompletten, neuen Satz von Triebwerken austauschen müssen; ein keineswegs ungefährlicher Umbau, der knapp eine Woche in Anspruch genommen hatte.

Alles war gut verlaufen, ohne größere Probleme. Rhodan hatte nicht zufällig die ANENKA für diesen Flug gewählt. Auch wenn er Antonin wegen dessen geradezu fiesen Tricks beim Ballspiel verfluchte – sein Schiff beherrschte der schnauzbärtige Kapitän ebenso perfekt wie das runde Leder. Und die über 7000 Köpfe zählende Besatzung war hervorragend eingespielt: Alle Abläufe schnurrten dahin, dass es eine Freude war. Die Reise hatte nebenbei auch dazu gedient, neue Prototypen der HAWK-Konverter in der Praxis zu erproben, und das Resultat war überaus zufriedenstellend.

Gleichwohl ... Vierundzwanzig zu drei, dachte Perry, als er sich, frisch eingekleidet, vom Antigravlift aus der Freizeitsektion in Richtung Zentrale befördern ließ. Wo ihn Tiff und Antonin breit grinsend empfingen, unter einer holografischen Anzeige, auf der exakt jenes Ergebnis blinkte.

»Aktion Salz in die Wunde, was? Na wartet! Während des Rückflugs gibt's Revanche«, sagte Perry grimmig.

 

Um die Mittagsstunden des zweiten Mai 1340 Neuer Galaktischer Zeitrechnung landeten sie auf Tahun.

Der Planet, den man getrost paradiesisch nennen konnte, war unabhängig, sympathisierte jedoch traditionell mit der Liga Freier Terraner. Als deren Außenminister lag Julian Tifflor viel daran, dieses gute Verhältnis auch in Zukunft zu erhalten. Kein einfaches Unterfangen, seit die interstellare Raumfahrt wegen der Erhöhung der Kosmischen Hyperwiderstandskonstante enorm aufwändig und zeitraubend geworden war. Distanzen spielten nun wieder eine viel größere, ja entscheidende Rolle. Dummerweise lag Tahun weitab von Terra, hingegen bedeutend näher zum Einflussbereich des Huhany'Tussan, des »Göttlichen Imperiums« der Arkoniden: Die Entfernung bis zur Zentralwelt Arkon I betrug »nur« rund achttausend Lichtjahre ...

Noch gab es keinerlei Interessenkonflikt. Offiziell. Aber dem »Göttlichen Imperator« war nicht zu trauen. Diesen fatalen Fehler wollten Tifflor und Rhodan kein zweites Mal begehen. Die Machtverhältnisse in der Galaxis änderten sich rasch; wie auch nicht, angesichts der neuen Gegebenheiten. Bostich wäre nicht Bostich, würde er sich mit der bloßen Wahrung seiner Gebietsansprüche zufriedengeben. Nein, der Tai Moas trachtete garantiert danach, ein noch größeres Stück vom Kuchen fürs Kristallimperium zu ergattern.

Und Tahun stellte einen ganz besonderen Leckerbissen dar. Die sehr erdähnliche Welt war von der »United Stars Organisation« seit dem 24. Jahrhundert alter Zeitrechnung zu einem der wichtigsten Medostützpunkte der Milchstraße ausgebaut worden; ursprünglich geheim, später allgemein zugänglich. Bald verglich man die hiesigen medizinischen Kapazitäten völlig zu Recht mit denen Aralons.

Naja, bald: nach etwa 200 Jahren, korrigierte sich Tiff in Gedanken. Für biologisch Unsterbliche verging die Zeit, zumindest im Rückblick, halt doch ein wenig schneller.

Momentan bemerkte er davon leider wenig. Dabei war das Landemanöver beeindruckend zügig verlaufen. Kommandant Antonin hatte »seine Kugel«, wie er die 620 Millionen Tonnen schwere ANENKA liebevoll nannte, ebenso flott und butterweich aufgesetzt, wie er den Fußball im gegnerischen Tor unterzubringen pflegte.

Die LFT betrieb auf Tahun einen eigenen, zur Botschaft gehörigen, also exterritorialen Raumhafen, wodurch die Einreiseformalitäten auf ein Minimum reduziert wurden. Nicht aber die unvermeidlichen diplomatischen Rituale ...

Kaum gelandet, waren Perry und Tiff mit Pomp und Trara in die Terranische Repräsentanz geleitet worden, wo ein opulentes Begrüßungsmahl ihrer harrte. Dagegen wäre, kurz nach der erfreulich intensiven sportlichen Betätigung, nichts einzuwenden gewesen, hätte nicht »TTV«, der wichtigste Trivid-Sender des Planeten, das komplette Zeremoniell live in die Galaxis übertragen. Und da Imperator Bostich und seine tausendköpfige Entourage schon tags zuvor eingetroffen waren und ihr übliches bombastisches Spektakel veranstaltet hatten, fühlte sich die Terranische Vertretung bemüßigt, es den Arkoniden mindestens gleichzutun. Der Kampf um Einfluss lief nun mal nicht nur auf der militärischen, sondern auch auf der wirtschaftlichen und nicht zuletzt der psychologischen Ebene ab.

Jahrtausendelange Erfahrung nützte gar nichts: Tifflor aß nicht sonderlich entspannt, wenn ihn permanent Mikrofon- und Kameradrohnen belauerten. Zumal er wusste, dass die Arkoniden, wie immer, nichts unversucht ließen, sich selbst als das wahre Kulturvolk der Milchstraße und im Gegenzug die Terraner als barbarische Emporkömmlinge hinzustellen. Andererseits erwartete die galaktische Öffentlichkeit geradezu eine gewisse saloppe, charmante Ungezwungenheit von Rhodan und ihm. Und jeder ihrer Aussprüche, jede ihrer Handbewegung wurde millionenfach kommentiert.

Greif zum richtigen Besteck, aber leg es gleich darauf verschmitzt wieder weg; koste formvollendet von jeder Speise und schling danach noch einen Extrahappen hinunter; sag einen rhetorisch einwandfreien Trinkspruch auf, aber zupf dir dabei den Hosenboden zurecht.

Kurz: Sei so locker, dass es schon wieder weh tut.

Medien-Diplomatie. Welch öde Scharade, welch langweiliges, ekelerregendes Theater! Manchmal fragte sich Tiff, wieso er sich sein Amt je angetan hatte und warum er den ewig gleichen Trott noch immer erduldete.

Er sah Perry Rhodan an, den Terranischen Residenten, der den Kopf im selben Moment kaum merklich drehte – und sobald sich, nur für einen Sekundenbruchteil, ihre Blicke trafen, wusste Tiff, dass sie exakt dasselbe dachten. Im Innersten verstanden sie beide sich nicht als Politiker, sondern immer noch als Abenteurer, Risikopiloten, Explorer. Viel, viel lieber wären sie stante pede ins Ungewisse aufgebrochen, um Regionen des Kosmos zu erforschen, wo kein Mensch zuvor gewesen war; hätten sie sich Gefahren ausgesetzt, die sie bis zum Äußersten ihrer Leistungsfähigkeit trieben, die ihnen das Letzte an Durchhaltevermögen, an körperlicher und geistiger Integrität abverlangten – nur um Grenzen zu überwinden, die keiner außer ihnen durchbrechen konnte. Mit Freuden wären sie mitten ins Herz der Hölle geflogen, ohne die geringste Chance auf Wiederkehr: egal. Alles besser, als hier steif herumzusitzen, den kleinen Finger abzuspreizen und vor jedem einzelnen Wort, jeder winzigen Geste die kurz-, mittel- und langfristigen Konsequenzen zu bedenken.

Aber auch dies war eine Front, und keine unbedeutende. Mit der widernatürlich langen Lebensspanne, die ihnen zum Geschenk gemacht worden war, ging ebenso ungeheuerliche Verantwortung einher. Sie beide standen, wie niemand sonst, für die LFT, für Billionen Terraner, kraft ihrer Ämter, aber mehr noch aufgrund ihrer Vergangenheit. Dem durften sie sich nicht entziehen. Wenn zur Einweihung des Circinus Maximus als Vertreter Arkons kein Geringerer als Bostich der Erste persönlich erschien – und das hatten ihre Spione im Vorfeld zweifelsfrei angekündigt –, blieb Perry Rhodan und Julian Tifflor gar keine Wahl, als ihrerseits auf den Plan zu treten und für Terra Präsenz zu zeigen. Es ging nicht um sie persönlich, sondern darum, was sie beide verkörperten und was ihre Anwesenheit bewirken konnte.

Tiff seufzte innerlich und machte, wie Perry auch, gute Miene zum quälenden Spiel. Die zahlreichen Entspannungs- und Meditationstechniken, die er beherrschte, halfen in solchen Situationen wenig. Er durfte sich nicht in sich selbst versenken, sondern musste ständig konzentriert und wachsam bleiben. Keine Frage, dass etliche der geladenen Ehrengäste auf der Gehaltsliste des arkonidischen Geheimdienstes standen und sich nach Kräften bemühten, Rhodan oder ihn zu unbedachten Äußerungen zu verleiten. Die meisten dieser Provokationen erkannte er schon im Ansatz, andere hingegen trotz seiner Routine erst erschreckend spät. Manchmal musste Perry ihm beistehen, dann wieder kam Tiff dem Freund zu Hilfe. Weil sie prächtig harmonierten, gerieten sie nie wirklich in Schwierigkeiten. Aber anstrengend war es doch.

Simultan atmeten sie auf, als der formelle Teil endlich überstanden war und die Trividsensoren abgeschaltet wurden. Von Feierabend konnte freilich keine Rede sein. Nun, da sich die noble Gesellschaft allmählich auflöste, fing die eigentliche Arbeit erst an.

 

Sie wirkten wie Brüder, einander umso verwandter, je länger Delin Gaffard die beiden Zellaktivatorträger beobachtete. Keine sensationelle Entdeckung, eher eine Binsenweisheit, klar: Nicht umsonst wurde Julian Tifflor seit urdenklichen Zeiten hinter vorgehaltener Hand als »der kleine Rhodan« bezeichnet. Dass er von Anbeginn an nicht selten für den noch ein wenig Älteren, noch Berühmteren, noch Charismatischeren eingesprungen war, sei es als Double oder Statthalter, hatte Delin bereits in der Grundschule gelernt.

Aus unmittelbarer Nähe verblüffte die Ähnlichkeit trotzdem. Nicht so sehr im Äußeren, obwohl die Männer gleich groß waren, von identischer, durchaus attraktiver Statur, und sogar denselben Kurzhaarschnitt bevorzugten; sondern mehr noch im Gehabe. Rhodan wie Tifflor waren Meister des legeren Understatements. Ihre Position durch herrschaftliches Auftreten herauszustreichen, hatten sie schlicht nicht nötig. Sie trugen dezente, wenngleich makellos verarbeitete und geschnittene Anzüge, die trotz des gediegenen Materials eher an Raum-Kombis erinnerten denn an Gala-Uniformen, ohne jegliche Rangabzeichen oder sonstigen Zierrat. Statt inmitten einer Hundertschaft von Leibwächtern, Assistenten und Dienern majestätisch einherzuschreiten, statt buchstäblich hoch über dem gemeinen Volk zu schweben – wie der arkonidische Imperator und andere, Bostich nacheifernde, großkotzige Staatenlenker –, suchten sie den Kontakt mit ihren Mitmenschen auf Augenhöhe. Dabei gaben sie sich gelassen, zurückhaltend, auf uneitle Weise abgeklärt.

Andererseits übertrieben sie es auch nicht mit aufgesetzter Bescheidenheit und Jovialität. Der energische, federnde Gang, die ungezwungene, fast lässige Körperhaltung, das ganze respektvolle, jedoch gleichermaßen Respekt fordernde Benehmen brachte zum Ausdruck: Uns ist bewusst, wer wir sind, und dass ihr das ebenfalls wisst – also lasst uns kein großes Tamtam darum machen.

»Zufrieden?«, fragte Rhodan schmunzelnd.

Delin errötete. Offenbar hatte sie die hohen Gäste ein wenig zu auffällig gemustert. Sie setzte zu einer Entschuldigung an, aber der Terranische Resident winkte ab. »Wir stehen recht häufig im Mittelpunkt des Interesses.« Er verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere, so synchron mit Julian Tifflor, dass die Bewegung wie ein einstudierter Tanzschritt wirkte.

»Wahrscheinlich würde es uns sogar mehr verunsichern, wenn dem nicht so wäre«, sagte der Außenminister. »Außerdem schmeichelt es zwei uralten Männern, wenn ihnen eine so hübsche junge Frau erhöhte Aufmerksamkeit schenkt.«

Delin war sich nicht sicher, ob er das als harmloses Kompliment meinte oder sie veralbern, vielleicht auch aus der Reserve locken wollte. Rein biologisch gesehen, war sie älter als Rhodan und Tifflor zusammen. Andererseits hatten ihr die zwei je rund drei Jahrtausende an Erfahrung voraus ... Tja, die Begegnung mit lebenden Legenden konnte auch eine Elite-Agentin aus der Fassung bringen. Sie beschloss, sich ins Geschäftliche zu flüchten. »Delin Gaffard«, stellte sie sich vor. »Ich leite die hiesige Außenstelle des Terranischen Liga-Dienstes. Wünscht ihr einen Rapport?« Ihre Stimme hatte kühler geklungen, als sie es beabsichtigt hatte. Ach, pfeif drauf; niemand von ihnen war zum Vergnügen hier.

»Sehr gern«, antwortete Tifflor, schlagartig ebenso sachlich. »Unter sechs Augen?«

»Zehn. Ihr bekommt zwei ... persönliche Betreuer.« Da Rhodan die Stirn runzelte, hob Delin abwehrend die Hände. »Ich weiß, dass ihr euch gegen eine Leibwache ausgesprochen habt. Aber bitte protestiert erst, nachdem ihr sie gesehen habt.«

»Eine Überraschung?«, fragte Tifflor. »Ich hoffe, eine angenehme.«

»Denke doch. Hier lang, wenn ich bitten darf.« Sie führte die Aktivatorträger in ein Nebenzimmer. Der Raum war groß und hoch, leer bis auf fünf Stühle, zwei davon so überdimensioniert, dass der Tisch in der Mitte als flacher Fußschemel erschien.

Auf den Riesenstühlen lümmelten ...

 

»Bordon Hulgg!«, rief Perry. »Und Netraud Ylander!«

Die Angesprochenen sprangen auf und salutierten, wobei sie die Hacken so heftig zusammenknallten, dass Boden und Wände vibrierten. Sie standen eng beieinander, denn die Rückwand des Raums maß nur etwas mehr als vier Meter. Das entsprach ziemlich genau ihrer gemeinsamen Schulterbreite.

Rhodan erwiderte den Gruß ebenso übertrieben zackig, dann beugten sich die ertrusischen Hünen zu ihm hinab. Sich so weit wie möglich nach beiden Seiten streckend, ergriff er die ihm dargebotenen Pranken. Dabei legte er den Kopf in den Nacken und blickte nach oben wie ein Kleinkind, das zu älteren Geschwistern aufsieht. »Welch eine Freude! Mit euch hätte ich hier wirklich nicht gerechnet.«

Tiff kannte Netraud und Bordon ebenfalls, wenngleich nicht so gut wie Perry, auf dessen Flaggschiff LEIF ERIKSSON sie jahrzehntelang gedient hatten. Das Ehepaar, das zusammen gut 30 Zentner auf die Waage brachte, hatte sich in zahlreichen Hochrisiko-Einsätzen bewährt. Oft waren die beiden Draufgänger verwundet worden, jedoch immer wieder zurückgekommen – zum Unterschied von vielen ihrer Kameraden ...

»Wie geht es euch?«, fragte Perry. »Was führt euch nach Tahun? Ihr wolltet euch doch auf Ertrus zur Ruhe setzen.«

»Das haben wir auch getan«, sagte Netraud Ylander, die ihren zweieinhalb Meter großen Mann um ein weniges überragte: »Eine schmucke Farm aufgebaut, einen Borkeichenhain angepflanzt und zwei stramme Jungs zur Welt gebracht.«

»Gratuliere!«

»Sie sind ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten«, ergänzte Bordon strahlend.

»Leider«, stichelte Netraud. »Aber das wächst sich hoffentlich noch aus. Allerdings wurde unser Jüngster mit einem genetischen Defekt geboren; möglicherweise eine Spätfolge von in irgendeinem Einsatz erlittenen Strahlungsschäden. Nein, keine Sorge, nichts Lebensbedrohliches, glücklicherweise vollständig heilbar; doch die Behandlung kann nur auf Tahun durchgeführt werden und ist ziemlich langwierig, weshalb wir einstweilen hierher umgesiedelt sind.«

Perry äußerte sein Bedauern und die besten Wünsche für den Sprössling; Tiff schloss sich ihm an. Immerhin, es bestand Aussicht auf Genesung. Traditionell sorgte die Raumflotte der Liga gut für ihre ehemaligen Soldaten; schon gar, wenn es sich um derart verdienstvolle, hoch dekorierte Offiziere handelte. Wer Kopf und Kragen für Terra riskierte, hatte selbstverständlich auch im Ruhestand ein Anrecht auf bestmögliche medizinische Betreuung, die Angehörigen eingeschlossen.

»Für uns Tahuner«, sagte Delin Gaffard, die TLD-Dienststellenleiterin, »ist das natürlich ein Glücksfall, in Zeiten wie diesen auf Leute mit solcher Kampferfahrung zurückgreifen zu können. Freundlicherweise haben sie sich bereit erklärt, zweimal wöchentlich unsere Agenten zu trainieren, und sie stehen auch für spezielle Aufgaben zur Verfügung.«

»Ehrensache.« Netraud versetzte ihrem Gatten einen zärtlichen Klaps, der einen Elefanten in die Knie gezwungen hätte. »Nur dahocken und Däumchen drehen verblödet. Außerdem hat mein Alter schon reichlich Speck angesetzt.«

Davon war nicht das Geringste zu sehen. Sowohl Bordon als auch Netraud wirkten topfit. Wenn Tiff sie richtig einschätzte, mussten die beiden Muskelpakete knapp hundert Jahre alt sein, sie standen also in der Blüte ihres Lebens.

»So sehr mich dieses Wiedersehen freut«, leitete Perry zum Thema der Besprechung über: »Was bringt den TLD zur Annahme, wir könnten persönliche Leibwächter benötigen?«

Gaffard räusperte sich. »Seit einiger Zeit brodelt es heftig auf Tahun. Dass der arkonidische Geheimdienst seine Aktivitäten im Umfeld von Bostichs Besuch verstärken würde, war zu erwarten. Schließlich wäre schon der Versuch eines Attentats auf den Imperator für die Celistas eine Schande. Jedoch zeigen sich unsere rotäugigen Brüder noch wesentlich umtriebiger, als es dem Anlass entspräche. Sie haben massenhaft weitere Agenten eingeflogen, darunter Kralasenen, zusätzlich eine Reihe von ›Schläfern‹ aktiviert ... Ich erspare euch die Einzelheiten. Jedenfalls: Irgendetwas ist im Busch; wir haben nur noch nicht herausgefunden, was.«

»Ich nehme an, ihr habt den Arkoniden keinen Grund für ein derart erhöhtes Engagement gegeben?«, fragte Tiff.

»Nein. Wir halten ›wachsame Distanz‹, wie es in den Direktiven so schön heißt.«

»Also wurden sie von einer dritten Seite aufgescheucht. Habt ihr jemand im Verdacht?«

»Bedaure, vorerst nichts Konkretes. Die übrigen Geheimdienste verhalten sich gleichfalls nervös, wahrscheinlich haben sie sich von den Arkoniden anstecken lassen. Und von den Ara-Völkern werden ungewohnte – und ungewohnt zahlreiche – Schiffsbewegungen gemeldet.«

»Nicht nur in diesem Sektor«, sagte Rhodan, nachdenklich den Kopf wiegend. »Aralon schweigt sich dazu aus. Auf Bitten um Auskunft reagieren sie nicht einmal. Ich habe gehört, Zheobitt weilt im Tah-System?«

»Seine Zentrifuge ist gestern angekommen«, bestätigte Gaffard. Die gut gebaute Brünette gefiel Tiff, weil sie sowohl Effizienz als auch menschliche Wärme ausstrahlte. Viele Agentenführer, die an einem solchen Brennpunkt des galaktischen Geschehens tätig waren, liefen Gefahr, sich entweder in Privatangelegenheiten zu verzetteln oder aber emotional zu verkümmern.

»Ein kurzes Treffen wird mir das alte Schlitzohr kaum abschlagen können«, sagte Perry. Er trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Womöglich lässt sich das sogar noch heute erledigen. Dann werde ich Zheobitt auf die Sache ansprechen. Nicht, dass ich mir sonderlich viel davon erhoffe. Doch den Versuch ist es wert.«

Gaffard neigte den Kopf. Dabei fiel ihr eine Haarsträhne ins Gesicht, die sie mit einer fließenden Bewegung zur Seite wischte. »Um auf eure persönlichen Betreuer zurückzukommen ... Würdet ihr mir den Gefallen tun und Bordon und Netraud als Begleitung akzeptieren? In Zivil, versteht sich, ohne sichtbares Waffenarsenal.«

Schlau eingefädelt, dachte Tiff anerkennend. Das Angebot kann Perry einfach nicht abschlagen; zwei so verdiente Mitstreiter zu kränken, bringt er nicht zuwege. Somit hat die smarte TLD-Lady erreicht, was sie wollte, und eine Sorge weniger. Er machte sich die geistige Notiz, Delin Gaffard den Beitritt zum Diplomatischen Corps nahezulegen, falls sie irgendwann in den nächsten Jahrzehnten beim TLD aufhören wollte.

Perry, der den Schachzug fraglos genauso durchschaute und goutierte, gab lächelnd nach. Zu den Ertrusern gewandt, scherzte er: »Na, dann passt mal schön auf, dass uns niemand stiehlt!«

Kapitel 2

 

Beachtliche und unbeachtete Leistungen

 

 

Ich ging ans Werk, sobald wir im Quartier waren.

Man könnte meinen, dass ich eine denkbar schlechte Ausgangsposition vorfand. Völlig auf mich allein gestellt, jeglicher Helfer oder Ausrüstung entbehrend – und auf der anderen Seite ein Sicherheitsapparat, überaus sensibel, ja hochgradig paranoid, der zum Schutz der illustren Gäste das Beste an Technik und Personal aufbot, was in der ganzen Galaxis zu bekommen war. Ein Moloch, eine Übermacht, der ich nichts entgegenzusetzen hatte – und folglich keine Chance, meinen Auftrag auszuführen?

Falsch. Ich hatte sogar sehr viel: meine in langer, harter Schulung sowie Praxis erworbenen Fertigkeiten; und die Offenbarungen der ersten Phiole.

Nicht zufällig war ich mit der Delegation der Csiguls eingeschleust worden. Übrigens entzog sich das Schicksal jener Person, deren Dolmetsch-Stelle und Identität ich eingenommen hatte, meiner Kenntnis; es interessierte mich auch nicht. Jedenfalls, Csigul unterhielt keine ständige Vertretung auf Tahun. Daher hatte Emissärin Verno-Kier für die Dauer der Feierlichkeiten Räume in einer Herberge gebucht, welche für die Bedürfnisse Insektoider eingerichtet war. Sie lag fernab der Nobelgegenden, wo die wichtigeren, betuchteren Gäste residierten, und ganz am Rand des Exklusiven Bezirks. Das Gebäude grenzte an einen Block mit Infrastruktur-Einrichtungen. Unverblümter ausgedrückt: Wir wohnten direkt neben der Kläranlage. Freilich ging davon keinerlei Geruchs- oder sonstige Belästigung aus, und die Lage des Quartiers kam mir durchaus gelegen.

Meine Meister hatten mich mit detaillierten Informationen über die Stadt Kartum versorgt. Die Erinnerung daran gehörte zu dem reichhaltigen Wissen, das mir nun, dank der Substanz in der Phiole, wieder zugänglich war. Den inkludierten Umgebungsplänen entnahm ich, dass sich sehr viel Nützliches in der Nähe befand. Kein Zufall, wie gesagt: Unzweifelhaft war meine Mission präzise vorbereitet worden.

Ich bat Verno-Kier, mich für einige Stunden zurückziehen zu dürfen, wobei ich totale Erschöpfung vortäuschte. Prompt nützte Kudo-Ma die Gelegenheit, über schwächliche Aras zu spotten, die nichts aushielten und schon beim Anblick eines durchgedrehten Schmetterlings fast in Ohnmacht fielen. Ich würdigte ihn keiner Replik. Zu voller Größe aufgerichtet, überragte mich der Stellvertretende Emissär um fast einen Meter. Trotzdem hätte ich ihn im waffenlosen Kampf mit Leichtigkeit besiegen und binnen Sekunden vom Leben zum Tod befördern können. Aber das dumme Großmaul war es nicht wert, dass ich mich mit ihm befasste, nicht einmal gedanklich. Mir an ihm die Hände schmutzig zu machen, wäre ähnlich unverhältnismäßig gewesen wie, mit einem sündhaft teuren Skalpell Brennholz zu spalten.

Es stellte sich heraus, dass für mich kein geeignetes Zimmer eingeplant war. Bei der Reservierung hatte man offenbar vergessen zu erwähnen, dass zur Delegation von Csigul auch ein nicht insektoides Mitglied gehörte. Kudo-Ma höhnte, dies sei eine vernachlässigbare Marginalie. Ich bot Verno-Kier an, die Sache in Eigenregie zu regeln, und erhielt die Erlaubnis dazu.

Der Hausverwalter war ein Topsider, und ein sogar für Echsenwesen besonders lethargisches Exemplar. »Zwei offene Schlaf- und Wohnetagen«, las er mir, langsam und leiernd, die Bestellung vor: »Regenwald-Ambiente; subtropisches Klima; naturbelassene Materialien zum Nest-Selbstbau. Keine Rede von einem eigenen Raum für Humanoide. Und ich habe auch nichts mehr frei. Wir sind restlos ausgebucht, wegen der Eröffnungsfeier des Circinus Maximus.«

»Du wirst einsehen, dass ich nicht gut zwei Wochen in den Gemeinschaftssuiten der Csiguls verbringen kann.«

»Dein Pech. Nicht mein Problem.« Er pulte mit einer Klaue zwischen den gelblichen Fangzähnen Fleischfetzen heraus.

»Oh doch.« Ich beugte mich vor und brachte mein Gesicht so nahe an seines, dass ich von einer Wolke faulig stinkenden Atems eingehüllt wurde. Dennoch hielt ich dem Blick seiner geschlitzten Pupillen so lange stand, bis der Topsider blinzelnd zurückwich. »Hör mir gut zu«, sagte ich leise. »Falls ich gezwungen wäre, Wirbel zu schlagen, würde sich die Fremdenverkehrs-Kommission hier genauer umsehen. Und ich bin überzeugt, dabei träten reichlich Missstände zutage. Entweder macht man deinen Laden sowieso gleich nach den Festlichkeiten dicht, oder aber die Medien zerreißen euch in der Luft. Hunderte Reporter schwirren durch Kartum auf der Suche nach irgendeiner Bagatelle, die sie zum Skandal aufbauschen können. So oder so müsstet ihr diese Bude hinterher zusperren.

Oder«, setzte ich nach, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, »du zeigst dich kooperativ. Schau, ich will dir nichts Böses, bloß einen eigenen, winzigen Raum, wo ich ungestört arbeiten und ruhen kann. Ich stelle keine übertriebenen Ansprüche. Mir genügt eine Rumpelkammer, die sich ohne viel Aufwand adaptieren lässt. So etwas gibt es hier doch sicherlich, nicht wahr?«

Vor die Alternative gestellt, kurz ein wenig Ungemach zu erdulden oder sich mittelfristig ungleich größere Schwierigkeiten einzuhandeln, gab der Verwalter klein bei. »Liegt aber im Keller.«

»Zeig's mir.«

Er stapfte vor mir die Treppen hinab und einen spärlich beleuchteten Gang entlang, dann sperrte er eine Stahltür auf. »Da. Wenn dir das reicht ...«

Der Abstellraum roch muffig und war mit kaputten Gerätschaften vollgepfropft. Unter der Decke verliefen Leitungsrohre. Aus offenen Buchsen in den Wänden hingen blanke Drähte. Kurz: Genau, was ich erhofft hatte. Aber das zeigte ich dem Topsider nicht, sondern mimte vielmehr Abscheu. »Um Himmels willen, hier soll ich hausen?«

»Was anderes hab ich nicht.«

»Na schön. Zur Not sollte ich es mir einrichten können. Wer räumt den Sperrmüll raus?«

Der Echsen-Abkömmling zögerte. Die Vorstellung, sich hier unten stundenlang abmühen zu müssen, behagte ihm gar nicht.

»Hast du keine Hausroboter?«, fragte ich.

»Doch. Aber die sind voll ausgelastet, außerdem fix programmiert ...«

Ich stieß einen Fluch aus, hieb wütend gegen die Wand, dann tat ich, als besinne ich mich, und lenkte großmütig ein. »Pass auf. Stell mir einen deiner Robs für einen halben Tag zur Verfügung, dann kümmere ich mich selbst darum, dass der Schrott verschwindet. Einverstanden?«

Er knurrte erleichtert. »Meinetwegen.«

»Allerdings erwarte ich mir ähnliches Entgegenkommen auch von dir. Ich benötige dringend eine Kommunikationskonsole.«

Meine Tätigkeit als Dolmetsch der Csigul-Delegation, erklärte ich ihm, beschränkte sich nicht aufs Übersetzen; dafür gab es schließlich Translatoren. Vielmehr umfasste mein Aufgabenbereich auch die Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Kulturkreisen und generell die Vertretung der Csiguls gegenüber andersartigen Gesandtschaften. »Nur deswegen bin ich mitgenommen worden, verstehst du? Aber um diese meine Pflichten zu erfüllen, brauche ich natürlich einen netzwerktauglichen Komanschluss. Wahrscheinlich stauen sich ohnehin bereits zahllose Nachrichten für mich und meine Emissärin in der Leitung.«

Abermals brach ich den Widerstand des Topsiders, indem ich ihm mit einem noch größeren Übel drohte: »Eine andere Möglichkeit wäre, du trittst mir zwischenzeitlich dein Büro ab.«

Sein Schwanz klopfte auf den Boden, Staubspiralen aufwirbelnd. Keinesfalls wollte er mich in seinen Unterlagen stöbern lassen, die gewiss auch Hinweise auf unsaubere Geschäfte enthielten. »Du kriegst eine Konsole. Aber damit hat sich's dann.«

»Mehr fordere ich gar nicht.« Versöhnlich breitete ich die Arme aus. »Siehst du, ein bisschen Kompromissbereitschaft – und schon sind alle Beteiligten zufrieden.«

 

Innerlich zu frohlocken, erlaubte ich mir nicht. Die Liste der Hilfsmittel, die ich darüber hinaus noch organisieren musste, war so lang wie die Zeit kurz, die mir dafür verblieb.

Gleichwohl, der Anfang war gemacht, eine Basis erobert. Der Hausverwalter übergab mir das Netzwerkgerät und den Servorob, beides einfache und veraltete, jedoch für meine Zwecke ausreichende Maschinen. Im Bemühen, die lästige Angelegenheit möglichst rasch vom schuppigen Hals zu haben, hatte er die ursprünglichen Befehlskodes nur mangelhaft gelöscht. Es kostete mich wenige Minuten, sie wiederherzustellen und die Konsole anzuschließen. Hernach akzeptierten mich sowohl der Roboter als auch sämtliche anderen Wartungs-Einrichtungen des Gebäudes als ebenso weisungsbefugt wie den Verwalter; besser gesagt, für sie war ich mit ihm identisch. Nur dass er, sobald ich die Zugriffs-Hierarchie neu definiert hatte, von meinen Machenschaften nur mehr soviel mitbekam, wie ich gestattete.

Ich hingegen vermochte ihm nach Belieben über die Schulter zu sehen ...

Natürlich überwachte mich der Kerl. Also wies ich den Servorob an, einen Teil des Gerümpels zum nächstgelegenen Konverter zu bringen und dort zu entsorgen. Auch schickte ich mehrere, langweilig ausschweifend formulierte, im Prinzip inhaltsleere Depeschen ab, adressiert an die Abordnungen vergleichbar unbedeutender Nationen wie Csigul. Nach etwa zehn Minuten erloschen Misstrauen und Interesse des Topsiders, und er wandte sich wieder seinen Geschäften zu. Nicht unbedingt legalen: Offenbar verdiente er sich, wie viele Hotelangestellte, nebenbei ein Zubrot als Drogenhändler. Gut zu wissen; das ersparte mir zumindest einen der nächsten, auf dem Plan stehenden Schritte.

Vorrang hatte freilich anderes. Da die Herberge sich auf exotische Kundschaft spezialisierte, darunter Nicht-Sauerstoffatmer, stellte sie auf Wunsch in einigen, extra dafür ausgelegten Unterkünften andere Atmosphären bereit. Die Anlage, in der diese Gasgemische erzeugt wurden, funktionierte ich zu meinem privaten Chemielabor um. Allerdings war die Kapazität, die ich unbemerkt abzweigen konnte, beschränkt. Ich musste mir deshalb Zugriff auf eine weitere, externe Produktionsstätte verschaffen.

Jenes Drittel der im laufenden Hotelbetrieb anfallenden Abfälle, das nicht vor Ort wiederverwertet wurde, floss zusammen mit dem Brauchwasser über eine Rohrleitung zur erwähnten angrenzenden Kläranlage. Deren Steuerpositronik meldete ich eine Verstopfung; worauf sie mir zusicherte, eine Reparatureinheit auszusenden, die das Hindernis beseitigen sollte. Inzwischen hatte ich meinen kleinen Servorob umprogrammiert und aufgemotzt, sodass er die andere Maschine abfing, mittels eines Impulsschauers kaperte und in meine Kammer verschleppte.