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Vorwort

Der ewige Entdeckungsdrang der Menschen verlangt stets nach neuen Menschen und Ländern. Ein Kolumbus stieß auf seinem Schiffchen nach Westen vor, und die flache Welt wurde zur göttlichen vollendeten Kugel, einer Schwester der Sonne und der Sterne. Wer entdeckt die Literaturen? Wer erforscht, wer eröffnet neue Gebiete der Phantasie, durchschlägt die dünne, unsichtbare Wand, die Sprache von Sprache trennt, läßt neues Licht, neue Farbe, neue Stimmen und Menschen in einer alten Welt wie in einem feierlichen Zuge wandeln? Oft vergessen die Völker einen großen oder eigenartigen Geist, besonders einen, der unzeitgemäß in der Zeit wirkte. Dann kommt endlich die Generation, die ihn versteht und zu der er sprechen kann, und der Mann erwacht wieder zum Leben und nimmt Unsterblichkeit an. So war es mit Herman Melville, einem der originellsten Dichter, die Amerika jemals gebar. Man hat ihn wieder entdeckt, und das Wunder, das sich in ihm offenbarte, wirkt heute mächtiger als je. Seine Stunde ist gekommen, wie auch die Edgar Allan Poes und Walt Whitmans kam.

Unsere Zeit hat eine neue Magie gebracht. Diese Zeit, in der grellste und wildeste Abenteuer allabendlich im weichen Plüschsessel vor leuchtender Leinwand aus zweiter Hand erlebt werden können – die Abenteuer der anderen, die gedichteten und konstruierten. Die Technik des modernen Verkehrs hat ein neues Pathos geschaffen – das Pathos der Nähe, die Tragik der zusammengeschrumpften Welt. Einige Stunden – und der Luxusmensch, noch vom Duft seiner Salons umgeben, vermag im Urwald spazierenzugehen. Die Abenteuer des deutschen Sports, der von der Nachahmung des Fremden ausgehend, zu eigener Form gelangt, ist ein gesunder Ersatz für den Ruhm der Schlachtfeldromantik geworden. Die äußere Welt verengt sich, aber das Reich der echten Erlebnisse dehnt sich ins Unendliche. Da ist das Meer noch offen und uferlos, der Wald steht jungfräulich und voller Geheimnisse da, der Berg hebt sich strahlend in frischem Sonnenglanz wie am ersten Tag.

Dieser unsterblichen Frische und Jugend begegnen wir in der Welt Herman Melvilles. Er ist der Vorgänger der modernen Dichter der unbekannten Weltteile, Meere und Weiten. Er war vor Stevenson, vor Kipling, Conrad und Jack London. Er war der Gefangene dieser Welten, betrat sie aber als Dichter und Entdecker.

Herman Melville war ein Gentleman-Abenteurer aus alter amerikanischer Familie, der das Los eines einfachen Matrosen auf sich nahm. Er war Feuergeist, Dichter und Denker und wurde schließlich nach seinen langen Fahrten Mystiker, denn es floß in ihm von mütterlicher Seite das schwere Blut der Holländer aus dem Stamme Gansevoort. Die bunte Welt, die er auf den farbenprächtigen Inseln der Südsee oder im stahlblauen Reich der Rieseneisberge kennenlernte, hüllte sich kristallhaft in eine leuchtende Metaphysik ein, und der frühere Seemann wurde später zum Faust. Eine solche abenteuerliche, freisinnige und problematische Natur wurde von dem damaligen Amerika nicht verstanden – man sah seine Haltung als eine geistige Verwirrung an. Seine Mitbürger verdammten ihn dazu, als kleiner Zollbeamter seinen Lebensunterhalt im Hafen von New York zu verdienen, wie sie Poe durch die Redaktionsstuben und dann zur Verzweiflung trieben, und den elementaren Whitman in ein Amtszimmer in Washington bureaukratisch einsperrten. Er war in seiner Zeit nicht unbekannt und nicht ungeehrt, aber er war vor seiner Zeit, und die englisch sprechende Welt mußte ihm erst entgegenreifen.

Jetzt sind die Jahre von ihm abgefallen, und er steht als ein ganz Großer und Eigenartiger da. Durch den tiefen Zug im Wesen dieses Mannes der Tat und durch den Untertan des Übersinnlichen, der in seinen Worten liegt, wird er vielleicht lauter und eindringlicher zum deutschen Geiste reden, als er selbst durch seinen spielerischen Humor, seine phantastische Ironie zum Angelsachsen sprach. Die Magie, die uns in unserer Kindheit aus dem Robinson Crusoe entgegenströmt, ist wieder erwacht.

Herman Melville wurde in New York im Jahre 1819 geboren. Nach dem Tode seines Vaters schiffte er sich mit siebzehn Jahren als Schiffsjunge nach Liverpool ein, mit achtzehn war er Matrose auf dem Walfischfahrer »Acuschnet« aus New Bedford. Nach zwölf Jahren Wanderfahrten, darunter einer Reise auf einem Kriegsschiff »The United States«, ließ er sich als Schriftsteller in New York nieder, siedelte später nach Pittsfield (Massachusetts) über, pflegte eine Freundschaft mit dem Dichter Nathaniel Hawthorne und erlebte seinen literarischen Ruhm, den er dann wieder selbst durch seinen intensiven Individualismus, seinen satirischen Ausfällen gegen die Missionare und seinen zunehmenden Mystizismus vernichtete. So starb er halb vergessen in New York im Jahre 1891.

In diesem Band »Taïpi«, der im Original »Typee« heißt, führt uns Melville in das Paradies der königlichen Kannibalen ein, unter denen er gelebt und deren Leben und Wesen er studiert hat. Hier weht uns der Atem einer jungen Urwelt entgegen – in dieser Odyssee lebt wieder der ursprüngliche Zauber der Marquesas-Inseln auf mit seinen herrlichen, braunen Naturkindern und dem goldenen Zeitalter, das jetzt schon längst dem Untergang durch die Seuche der weißen Zivilisation geweiht ist.

Welch eine Kraft durchströmt, welch ein Feuer durchglüht dieses Werk, das unter seiner eigenen Asche lebendig begraben war! Magisch rollt diese polynesische Welt weiter im Buch »Omu« (»Omoo«), das bald diesem ersten Band in den »Romanen der Welt« folgen wird, um bald darauf von Melvilles Meisterwerk, »Moby Dick« – einem der genialsten und ungeheuerlichsten Werke der modernen Literatur, dem Epos des Kampfes mit dem uralten unheimlichen weißen Walfisch, der in grandioser Dichtung das ganze Leben, die ganze Natur und ihre Kräfte verkörpert, gekrönt zu werden. Manches andere Werk Melvilles ist schon in Vorbereitung. Mit »Taïpi« sei Herman Melville einem großen deutschen Leserkreis zum ersten Male vorgestellt. Das Schiff dieses Dichters ist nach langer Fahrt endlich in einem neuen Heimathafen eingelaufen. Es bringt eine kostbare Fracht. Und von irgendwoher ertönt eine seltsame Musik, die sich in deutschen Herzen einschleichen wird. Und alle diese Herzen werden fühlen, daß das Schiff ihnen etwas von der Jugend bringt, die das Alter überdauert hat und die dem Frühling einer neuen Welt entstammt.

Herman George Scheffauer

Neuntes Kapitel

Unser erster Gedanke galt den Früchten, die nun in erreichbarer Nähe wachsen mußten, und wie wir an sie herangelangen könnten.

Taïpi oder Happar, das war die zweite Frage. Ein schrecklicher Tod unter den Händen grausamer Kannibalen oder ein freundlicher Empfang durch einen wilden Stamm von menschlichen Sitten. Was stand uns bevor? Die Antwort mußte sich bald von selbst ergeben. Der Teil des Tales, in dem wir uns befanden, schien vollkommen unbewohnt. Ein fast undurchdringliches Dickicht bedeckte seine ganze Breite, und nicht eine Pflanze, die uns die ersehnte Nahrung geboten hätte, zeigte sich darin. Wir folgten dem Lauf des Wassers und warfen dabei rasche spähende Blicke in die Dschungeln zu beiden Seiten.

Auf Tobys Drängen hatte ich nachgegeben und war mit ihm in das Tal herabgestiegen; jetzt, da es geschehen war, begann er eine Vorsicht zu zeigen, die ich nicht erwartet hatte. Er schlug vor, daß wir, wenn wir nur genug eßbare Früchte fänden, in dem unbewohnten Teil des Tales bleiben sollten. Wir würden hier schwerlich von den Eingeborenen überrascht werden und könnten dann, sobald wir uns genug gestärkt fühlten und einen hinreichenden Reisevorrat gesammelt hätten, leicht nach Nukuhiva zurückgelangen; wir mußten nur so viel Zeit vergehen lassen, daß das Schiff unbedingt die Bucht verlassen haben mußte.

Gegen diesen Vorschlag erhob ich lebhaften Widerspruch: wir kannten die Gegend nicht, die Schwierigkeiten mußten unüberwindlich sein, ich erinnerte ihn an das, was wir bereits durchgemacht hatten, und meinte, wenn wir das Tal einmal betreten hatten, müßten wir auch die Folgen auf uns nehmen, um so mehr als ich überzeugt war, daß wir keine Wahl hatten. Jetzt hieß es, die Eingeborenen zu finden und zu sehen, wie sie uns aufnehmen würden. Mein Bedürfnis nach Ruhe und Pflege war so groß, daß ich mich zu weiteren Mühen und Entbehrungen ganz unfähig fühlte. Widerstrebend gab Toby nach.

Wir waren schon ziemlich weit ins Tal hineingekommen und hatten immer noch das gleiche undurchdringliche Dickicht zu beiden Seiten; ich kam schließlich auf den Gedanken, daß es vielleicht nur den Fluß entlang wuchs und in einiger Entfernung von seinen Ufern freier Boden sein mochte; ich bat Toby daher, nach der einen Seite auszuschauen, während ich auf der anderen nach irgendeiner offenen Stelle in dem Buschwerk spähte. Wir mußten doch endlich an einen Weg kommen, und vorsichtig achteten wir auf irgendwelche Zeichen, die die Nähe der Einwohner verraten konnten. Mit ängstlichen Blicken in den Schatten, der uns umgab, und mit großer Vorsicht schritten wir weiter; in jedem Augenblick konnte uns der Wurfspeer eines im Hinterhalt liegenden Wilden treffen. Zuletzt blieb Toby stehen und wies auf eine schmale Öffnung im Gebüsch. Wir drängten uns hindurch und gelangten bald auf einem, wenn auch undeutlich ausgetretenen Pfad durch das Dickicht zu einer verhältnismäßig freieren Stelle, an deren entgegengesetztem Rande wir Bäume sahen, die von den Eingeborenen »Anuih« genannt werden und die herrliche Früchte tragen.

Wie wir nach ihnen rannten! Das heißt, ich humpelte über den Boden wie ein alter Krüppel, während Toby wie ein Windhund über die Lichtung schoß. Im nächsten Augenblick hatte er zwei oder drei der Früchte von einem der Bäume geholt, aber zu unserem Kummer war nicht viel daran; die Schale war zum Teil von Vögeln aufgerissen und das Fleisch halb verzehrt, der Rest angefault. Aber was noch da war, hatten wir rasch vertilgt, und es schmeckte uns wie Himmelsspeise.

Der Pfad, dem wir bisher gefolgt waren, schien sich in der Lichtung zu verlieren, und wir standen, ungewiß, wohin wir uns wenden sollten. Wir beschlossen endlich, einen nahen Hain zu durchschreiten, aber wir hatten noch keine fünfzig Schritte zurückgelegt, als ich an seinem Rande einen noch völlig grünen Schößling eines Brotfruchtbaums von der Erde aufhob, von dem die zarte Rinde frisch abgezogen war. Er war noch ganz feucht vom Saft und sah aus, als hätte ihn eben jemand weggeworfen. Wortlos zeigte ich ihn Toby, der eine Bewegung der Überraschung machte, denn das bewies, daß die Wilden ganz nahe sein mußten.

Richtig fanden wir in geringer Entfernung ein ganzes Bündel der gleichen Schößlinge, die mit einem Rindenstreifen zusammengebunden waren. Hatte sie ein einsamer Wilder weggeworfen, der, über unseren Anblick erschrocken, davongeeilt war, um seinen Landsleuten die Nachricht zu bringen? Und war es ein Taïpi oder einer von Happar? Zum Umkehren war es in jedem Fall zu spät, wir gingen daher langsam weiter, mein Freund voran, mit vorsichtigen Blicken durch die Bäume spähend, als ich ihn plötzlich wie von einer Natter gestochen zurückfahren sah. Er ließ sich auf ein Knie nieder, winkte mir mit der einen Hand, zurückzubleiben, während er mit der anderen die Blätter zur Seite schob und scharf ausblickte. Ohne seine Warnung zu beachten, kam ich sogleich heran und sah zwei Gestalten, die zum Teil durch das dichte Laub verborgen waren; sie standen dicht nebeneinander und waren völlig regungslos. Offenbar hatten sie uns bereits vorher gesehen und sich in die Tiefe des Waldes geflüchtet, um nicht von uns bemerkt zu werden.

Ich war sogleich entschlossen, ließ meinen Stock fallen, riß unser Bündel auf, entrollte das Baumwolltuch, das wir vom Schiff mitgebracht hatten, hielt es in einer Hand hoch, während ich mit der anderen einen Zweig vom nächsten Busch brach, hieß Toby meinem Beispiel folgen und brach durch das Dickicht, und näherte mich, den, Zweig als Friedenszeichen hin und her bewegend, den beiden offenbar scheuen und erschrockenen Gestalten vor mir. Es waren ein halbwüchsiger Knabe und ein Mädchen, beide schlank und anmutig und bis auf einen schmalen. Rindengürtel, von dem vorn und rückwärts je ein rötliches Blatt des Brotfruchtbaumes hing, völlig nackt. Der eine Arm des Knaben war, von ihren wilden Haarflechten halb verhüllt, um den Hals des Mädchens gelegt, während er in der anderen Hand die ihre hielt; so standen sie nebeneinander, die Köpfe vorgebeugt, auf das schwache Geräusch lauschend, das wir beim Gehen machten, den einen Fuß vorgestreckt, wie bereit zur Flucht.

Wie wir näher kamen, wuchs ihre Besorgnis sichtlich. Da ich fürchtete, daß sie entfliehen könnten, blieb ich stehen und machte ihnen ein Zeichen, heranzukommen und die Gabe, die ich ihnen mit ausgestrecktem Arm bot, in Empfang zu nehmen; aber sie wollten nicht.

Ich versuchte es mit den wenigen Worten ihrer Sprache, die ich kannte; nicht, daß ich erwartete, daß sie mich verstehen würden, aber um ihnen doch zu zeigen, daß wir nicht vom Himmel heruntergefallen waren. Dies schien ihnen etwas Zutrauen zu geben; ich schritt daher näher, immer den Stoff in der einen Hand und den Zweig in der anderen, und sie zogen sich ebenso langsam zurück. Endlich ließen sie uns doch so nahe kommen, daß wir ihnen den Stoff um die Schultern werfen konnten. Dabei bemühte ich mich, ihnen verständlich zu machen, daß der Stoff ihnen gehörte, und suchte ihnen außerdem durch alle möglichen Gebärden begreiflich zu machen, daß wir Gefühle der wärmsten Freundschaft für sie hegten.

Das erschrockene Paar stand nun still, während wir ihnen klarzumachen versuchten, was wir brauchten und wollten. Insbesondere Toby vollbrachte die erstaunlichste Pantomime; er öffnete seinen Mund soweit als möglich, steckte die Finger hinein, fletschte die Zähne und rollte die Augen, bis ich zu befürchten begann, daß die armen Geschöpfe uns für ein paar weiße Kannibalen halten mußten, die sie zur Mahlzeit verzehren wollten. Als sie uns endlich verstanden, machten sie keine Miene, uns zu helfen. In diesem Augenblick begann es wieder heftig zu regnen, und wir machten ihnen mit Gebärden klar, daß sie uns irgendwohin führen sollten, wo wir Schutz finden könnten. Dazu schienen sie geneigt, aber wie sehr sie uns noch immer fürchteten, ging daraus hervor, daß sie zwar vorausgingen, aber die Augen stets nach rückwärts und auf uns gerichtet hielten, um jede unserer Bewegungen zu beobachten.

»Taïpi oder Happar, Toby?« fragte ich, während wir hinter ihnen hergingen.

»Natürlich Happar«, erwiderte er mit einer Sicherheit, die seine Zweifel verbergen sollte.

»Wir werden es gleich wissen«, rief ich; gleichzeitig trat ich auf unsere Führer zu, sprach die beiden Namen; fragend aus und zeigte dabei ins Tal hinab. Aber sie wiederholten die Worte jedesmal, wenn ich sie aussprach, ohne eines besonders zu betonen, so daß ich keine Ahnung hatte, was sie dabei dachten. Erst nachher erkannten wir, daß wir zwei schlaueren und vorsichtigeren Geschöpfen kaum hätten begegnen können. Ich aber, gespannt zu wissen, welches Schicksal vor uns lag, stellte nun die Worte »Happar« und »Mortarkih« in einer Frage zusammen. »Mortarkih« heißt »gut«. Die beiden Eingeborenen wechselten rasche bedeutsame Blicke und zeigten kein geringes Erstaunen; da ich die Frage wiederholte, berieten sie kurz miteinander, und zu Tobys großer Freude gaben sie eine deutlich bejahende Antwort. Toby geriet in Ekstase, um so mehr, als die Wilden ihre Antwort energisch wiederholten, als wollten sie uns völlig klarmachen, daß wir unter den Happars uns in völliger Sicherheit befanden.

Obschon ich immer noch leise Zweifel hegte, stellte ich mich wie Toby höchst entzückt von ihrer Mitteilung, während er wieder durch eine ganze Pantomime seinen Abscheu vor den Taïpis und seine unermeßliche Liebe für das Tal, in dem wir uns befanden, kundgab; und die ganze Zeit sahen unsere Führer einander ungewiß an, als wüßten sie nicht, wie sie unser Verhalten deuten sollten. Dabei eilten sie weiter, und wir folgten ihnen, bis sie plötzlich einen seltsamen Ruf ausstießen, der von jenseits des Wäldchens erwidert wurde; im nächsten Augenblick standen wir auf offenem Grund, an dessen Ende wir eine lange niedrige Hütte und vor ihr mehrere junge Mädchen erblickten. Sobald sie uns sahen, flohen sie mit wildem Aufschreien in das nahe Dickicht gleich aufgescheuchten jungen Rehen. Wenige Augenblicke später widerhallte das ganze Tal von wildem Geschrei, und die Eingeborenen kamen von allen Seiten auf uns zu gelaufen.

Wäre eine feindliche Armee in ihr Gebiet eingebrochen, sie hätten keine größere Aufregung zeigen können. Bald waren wir von einer dichten Menge umgeben, die in ihrem Eifer, uns zu betrachten, uns beinahe den Weg versperrte. Eine gleiche Zahl umringte unsere jugendlichen Führer, die jetzt mit unglaublicher Gesprächigkeit alle Einzelheiten der Begegnung zu schildern schienen, und jedes Wort, das sie sprachen, schien das Erstaunen der Eingeborenen zu vermehren, und sie warfen forschende Blicke auf uns.

Wir kamen schließlich zu einem großen und stattlichen Gebäude aus Bambusrohr; man gab uns durch Zeichen zu verstehen, daß wir eintreten sollten, und die Eingeborenen öffneten eine Gasse für uns. Sowie wir drin waren, ließen wir uns, erschöpft wie wir waren, auf die geflochtenen Matten fallen, die den Boden bedeckten. Im nächsten Augenblick war der Raum dicht von Menschen erfüllt, und die, die nicht mehr herein konnten, betrachteten uns durch die Öffnungen im Rohrgeflecht der Wände.

Es war bereits Abend, und bei dem trüben Licht konnten wir gerade noch die wilden Gesichter unterscheiden, die von heftiger Neugier und Erstaunen glühten, sowie die nackten Gestalten und tätowierten Glieder kraftvoller Krieger; da und dort die schlankeren Gestalten junger Mädchen; alle aber redeten zugleich mit stürmischer Heftigkeit, natürlich über uns, während die beiden jungen Leute, die uns geführt hatten, die unzähligen Fragen kaum beantworten konnten, die an sie gerichtet wurden. Man kann sich das heftige Gebärdenspiel dieser Menschen, wenn sie einmal in lebhaftes Reden kommen, nicht vorstellen; sie schrien und tanzten dabei umher in einer Art, die uns fast mit Furcht erfüllte.

Nicht weit von uns saßen, die Beine gekreuzt, etwa acht oder zehn Männer von vornehmem Aussehen, Häuptlinge, wie sich bald herausstellte, die, beherrschter als die anderen, uns ernst und aufmerksam betrachteten; und dies beunruhigte uns noch mehr. Insbesondere einer, der im Range der Höchste schien, stellte sich gerade vor mich hin und sah mich mit einer so finsteren Strenge an, daß ich seinen Blick nicht ertragen konnte. Er sprach kein Wort, wendete sein Gesicht nicht ab, sondern fuhr fort, mich mit dem gleichen Ernst zu betrachten. Nie noch hatte jemand mich mit so sonderbaren und starren Blicken angesehen, die nichts von dem verrieten, was in der Seele des Wilden vorging, während er in der meinen zu lesen schien. Ich wurde zuletzt geradezu nervös davon, und um ihn irgendwie abzulenken und mir zugleich das Wohlwollen des Kriegers zu verschaffen, holte ich ein Päckchen Tabak hervor und bot es ihm an. Ruhig wies er das Geschenk zurück und bedeutete mir, daß ich es wieder an seinen Platz tun sollte.

Bei meinem früheren Verkehr mit den Leuten von Nukuhiva und von Teinor hatte ich stets gefunden, daß für ein kleines Stück Tabak jedermann sich zu allen gewünschten Diensten bereit fand. War das Verhalten des Häuptlings ein Zeichen von Feindschaft? Waren es nun Taïpi oder Happar?, fragte ich mich und fuhr empor, denn im selben Augenblick stellte das fremdartige Geschöpf vor mir die gleiche Frage. Ich sah mich nach Toby um; und beim Flackerlicht der Fackel, die ein Eingeborener trug, sah ich ihn bei dieser verhängnisvollen Frage erbleichen. Ich zögerte eine Sekunde und sagte: »Taïpi«. Was mich dazu trieb, weiß ich nicht. Das düstere Standbild vor mir nickte beifällig und murmelte; »Mortarkih?« »Mortarkih!« sagte ich ohne weiteres Zögern, »Taïpi mortarkih!«

Das war eine Veränderung! Die dunkeln Gestalten um uns sprangen auf, klatschten entzückt in die Hände und schrien immer wieder die gleichen Silben, die wie ein Talisman alle Schwierigkeiten gelöst und beendet zu haben schienen.

Als die Erregung ein wenig nachgelassen hatte, ließ sich der Oberhäuptling noch einmal vor mir nieder und hielt, plötzlich in Wut geratend, eine Philippika, die sich wie ich der häufigen Wiederholung des Wortes Happar entnehmen konnte, gegen die Bewohner des Nachbartals richtete. Mein Genosse und ich stimmten ihm durchaus zu, während wir den Charakter der kriegerischen Taïpi priesen. Zwar war unser Lob lakonisch: wir wiederholten den Namen und fügten das bedeutungsschwere Wort »Mortarkih« hinzu. Aber das genügte durchaus; unsere Übereinstimmung in diesem Punkt schien mehr als alles andere geeignet, uns das Volk freundlich zu stimmen.

Endlich war die Wut des Häuptlings verraucht, und er wurde gelassen wie zuvor. Er legte die Hand auf die Brust und gab mir zu verstehen, daß sein Name »Mehivi« sei und daß er den meinen zu wissen wünschte. Ich zögerte einen Augenblick, da mein wirklicher Name für ihn schwer auszusprechen sein mußte, und bedeutete ihm in der besten Absicht, daß ich »Tom« hieße. Aber ich hätte keine verfehltere Wahl treffen können. Der Häuptling vermochte es nicht zu sprechen; »Tommo«, »Tomma«, »Tommi« sagte er, nur »Tom« ging nicht. Da ich sah, daß eine zweite Silbe nötig war, einigten wir uns auf »Tommo«; und so hieß ich während der ganzen Zeit, die ich mich im Tale aufhielt. Dann kam die Reihe an Toby, dessen wohlklingender Name leichter erfaßt wurde.

Der Austausch der Namen ist für diese einfach denkenden Menschen mit einer Erklärung der Freundschaft und des gegenseitigen Wohlwollens gleichbedeutend; da wir dies wußten, waren wir darüber höchst erfreut.

Auf unseren Matten ruhend, hielten wir nun eine Art Empfang ab; ein Trupp von Eingeborenen nach dem anderen kam herein; sie stellten sich vor, indem sie ihre Namen nannten, und zogen sich höchst vergnügt zurück, nachdem wir ihnen die unseren genannt hatten. Das ganze Zeremoniell schien sie aufs äußerste zu belustigen, jede neue Vorstellung von Seiten der Insulaner rief einen neuen Ausbruch von Heiterkeit hervor, so daß ich vermutete, daß wenigstens einige von ihnen die Gesellschaft harmlos auf unsere Kosten unterhielten, indem sie sich die unsinnigsten Titel beilegten, deren Bedeutung wir natürlich in keiner Weise verstanden.

All dies dauerte etwa eine Stunde; sowie das Gedränge ein wenig nachließ, wendete ich mich an Mehivi und gab ihm zu verstehen, daß wir dringend der Nahrung und des Schlafs bedurften. Der aufmerksame Häuptling sprach sogleich einige Worte zu einem der Anwesenden, der verschwand und wenige Augenblicke später mit einer Kalebasse voll »Poï-Poï« und zwei oder drei Kokosnüssen zurückkam, deren zottige Hülle entfernt und aus deren Schale ein Stück ausgebrochen war. Wir setzten diese natürlichen Becher an den Mund und leerten den erfrischenden Trank auf einen Zug. Dann wurde das Poï-Poï uns vorgesetzt, aber so ausgehungert ich war, wußte ich doch nicht, wie ich es essen sollte. Es ist eines der Hauptnahrungsmittel auf den Marquesas und wird aus der Brotfrucht bereitet. In seiner Konsistenz erinnert es an Buchbinderkleister, es ist gelb und der Geschmack ein wenig herb. Schließlich tauchte ich einfach die Hand in die weiche Masse, und zur stürmischen Heiterkeit der Eingeborenen zog ich sie zwar gefüllt mit Poï-Poï zurück, aber außerdem zog ich den Brei an jedem Finger in langen Fäden nach. So zäh war die Masse, daß ich beinahe die Schüssel mit in die Höhe hob. Toby ging es nicht besser, und unsere Ungeschicklichkeit erregte endloses Gelächter.

Sowie sie sich ein wenig beruhigt hatten, bedeutete Mebivi uns, auf sein Tun zu achten, tauchte den Zeigefinger der rechten Hand in die Schüssel, drehte ihn rasch und geübt wie einen Quirl in der Masse herum und zog ihn, mit ihr bedeckt, wieder heraus. Dann bewegte er den Finger so geschickt, daß nichts heruntertropfte, steckte ihn in den Mund und zog ihn sauber wieder heraus. Ich versuchte wohl, es ihm nachzumachen, aber mit sehr geringem Erfolg.

Ausgehungerte Leute fragen nicht allzusehr nach den konventionellen Formen, besonders auf einer Südseeinsel, und so aßen wir das Pol-Pol in unserer ungeschickten Weise, wobei wir uns freilich das ganze Gesicht und die Hände mit der klebrigen Masse beschmierten. Das Gericht schmeckt auch für europäische Gaumen nicht unangenehm; nach wenigen Tagen war ich an sein eigentümliches Aroma gewöhnt und begann es sehr gern zu essen.

Dies war nur der erste Gang; weitere Gerichte folgten, einige davon waren ganz vortrefflich. Zum Schluß verzehrten wir noch zwei junge Kokosnüsse, dann wurde eine seltsam geschnitzte Pfeife herumgereicht, und wir gaben uns dem friedlichen Genuß des Tabakrauchens hin. Während der ganzen Mahlzeit beobachteten die Eingeborenen uns mit größter Neugier, sie verfolgten selbst unsere kleinsten Bewegungen und fanden reichlichen Gesprächsstoff. Aber ihre größte Überraschung kam, als wir unsere unbequemen durchnäßten Kleider ablegten. Mit Staunen sahen sie die weiße Hautfarbe unserer Körper und wußten sich den Kontrast zu der dunkeln Farbe unserer in sechs Monaten von der Sonne des Äquators völlig gebräunten Gesichter nicht zu erklären. Sie befühlten unsere Haut, wie ein Seidenhändler ein besonders feines Stück Atlas untersucht; einige berochen sie sogar. Ich war schon nahe daran, zu glauben, daß sie nie zuvor einen weißen Mann gesehen hatten; aber das war unmöglich, und ich fand seither eine befriedigendere Erklärung für ihr Verhalten.

Durch die schrecklichen Geschichten, die von den Taïpis erzählt werden, abgeschreckt, fährt nie ein Schiff in ihre Bucht ein, während sie infolge ihrer Feindschaft mit den Stämmen in den angrenzenden Tälern nicht nach den Teilen der Insel kommen, die gelegentlich von Schiffen angesteuert werden. Hier und da aber wagt sich doch irgendein besonders furchtloser Kapitän mit zwei oder drei wohlarmierten Booten, von einem Dolmetscher begleitet, ein kleines Stück in die Bucht hinein. Die Eingeborenen, die an der Küste wohnen, sehen die Fremden lange, ehe sie in ihre Gewässer eingefahren sind, und da sie wohl wissen, warum sie kommen, machen sie ihre Ankunft mit lauten Rufen bekannt. Die Nachricht dringt durch eine Art mündlichen Telegraphensystems in unglaublich kurzer Zeit bis in die entferntesten Winkel des Tales, und sogleich strömt fast die ganze Bevölkerung, mit Früchten jeder Art beladen, zum Strand hinab. Der Dolmetsch, der fast immer irgendein durch ein »Tabu« gefeiter Kanake Das Wort »Kanake« wird heutzutage von den Europäern allgemein gebraucht, um die Eingeborenen auf den Südseeinseln zu bezeichnen. In den verschiedenen Dialekten der Hauptgruppen ist es eigentlich nur eine Geschlechtsbezeichnung für den »Mann«, die Person männlichen Geschlechts, wird aber heute auch von den Eingeborenen im Verkehr mit Fremden im gleichen Sinne gebraucht, in dem diese es verwenden. Durch ein »Tabu«, einen Ritus, von dem später ausführlich die Rede sein wird, kann jemand bis zu einem gewissen Grad »Unverletzlich« werden. ist, springt mit den zum Eintausch bestimmten Waren ans Land, während die Boote mit eingelegten Riemen und jeder Mann an seiner Ducht gerade außerhalb der Brandung liegen, den Bug seewärts, bereit, beim ersten unangenehmen Zwischenfall in die offene See hinauszustoßen. Sowie der Handel abgeschlossen ist, rudert eines der Boote, immer von den schußbereiten Musketen der anderen gedeckt, heran, die Früchte werden rasch hineingeworfen, und die flüchtigen Besucher entfernen sich eiligst aus der mit Recht für so gefährlich geltenden Gegend.

Da also der Verkehr mit Europäern auf ein so geringes Maß beschränkt ist, war es kein Wunder, daß die Bewohner des Tals solche Neugier zeigten, als wir in so überraschender Weise plötzlich unter ihnen auftauchten. Ich zweifle nicht, daß wir die ersten Weißen waren, die so tief In ihr Gebiet hineingelangten, jedenfalls die ersten, die es von der Landseite betraten. Was uns hergeführt haben konnte, mußte für sie ein vollkommenes Rätsel sein. Und da wir ihre Sprache nicht kannten, vermochten wir es ihnen auch nicht zu erklären. Alles, was wir auf ihre Fragen, die ihr beredtes Gebärdenspiel uns verständlich machte, erwidern konnten, war, daß wir aus Nukuhiva kamen, und mit diesem Gebiet standen sie, wie man bedenken muß, in offenem Kriege. Die Mitteilung schien sie denn auch aufs lebhafteste zu erregen. »Nukuhiva mortarkih?« fragten sie. Und wir verneinten dies natürlich aufs allerenergischste.

Sie stellten dann noch tausend Fragen, von denen wir nur erfaßten, daß sie sich auf das Vorgehen der Franzosen bezogen, gegen die sie den wildesten Haß zu empfinden schienen. So begierig waren sie, über diesen Punkt mehr zu erfahren, daß sie noch lange fortfuhren zu fragen, obwohl wir ihnen deutlich gemacht hatten, daß wir völlig außerstande waren, sie zu verstehen. Gelegentlich glaubten wir irgendwie zu ahnen, was sie meinten, und suchten ihnen dann nach Kräften die gewünschte Auskunft zu erteilen. Dann kannte ihre dankbare Freude keine Grenzen, und sie verdoppelten ihre Anstrengungen, um sich uns deutlicher zu erklären. Aber es war alles umsonst, und zuletzt sahen sie uns verzweifelt an, als wären wir unschätzbarer Kunde voll, an die sie nicht zu gelangen vermochten.

Allmählich zerstreute sich die Gruppe, und gegen Mitternacht – so kam es uns wenigstens vor – waren nur die noch bei uns, die die dauernden Bewohner des Hauses zu sein schienen. Sie gaben uns frische Matten zum Liegen und Decken aus Tappa, dann verlöschten sie die Fackeln, warfen sich neben uns hin, wechselten noch ein paar Worte untereinander und lagen bald in festem Schlaf.

Zehntes Kapitel

Müde von den Anstrengungen des Tages lag Toby neben mir in schwerem Schlummer; mich hinderte der Schmerz am Schlafen, und lebhaft drängte sich mir die furchtbare Gefährlichkeit unserer Lage auf. Es war kein Zweifel mehr darüber möglich, daß wir uns im Tal der schrecklichen Taïpis befanden, und der Gedanke machte mich schaudern. Welches Schicksal lag vor uns? Gewiß waren wir bisher nicht nur nicht verletzt, sondern sogar freundlich aufgenommen und gastlich bewirtet worden; aber wer kann sich auf diese leidenschaftlichen Wilden verlassen? Ihre Verräterei war sprichwörtlich. Konnte sich nicht hinter dem schönen Schein eine treulose Absicht verbergen, auf den freundlichen Empfang eine schauerliche Katastrophe folgen? Düstere Ahnungen erfüllten mich, als ich ruhelos auf meinem Lager von Matten lag und rings um mich die im Dunkel nur ungewiß sichtbaren Gestalten der gefürchteten Feinde liegen sah.

Aus der schrecklichen Erregung sank ich gegen Morgen in einen unruhigen Schlaf, und als ich aus einem entsetzlichen Traum emporfuhr, sah ich in eifrige Gesichter, die sich über mich beugten. Es war heller Tag, das ganze Haus angefüllt von jungen Frauenzimmern, die phantastisch mit Blumen geschmückt waren, und deren Gesichter, als ich mich erhob, kindisches Entzücken und lebhafteste Neugier ausdrückten. Nachdem sie auch Toby geweckt hatten, setzten sie sich im Kreise um uns auf die Matten und ließen sich mit jener Forschungslust gehen, die dem reizenden Geschlecht seit unvordenklichen Zeiten nachgesagt wird. Diese von Kultur unbeleckten jungen Geschöpfe waren von keiner Duenna begleitet, sie hielten sich an keine Form, kannten keine künstliche Zurückhaltung. Sie beehrten uns mit den eingehendsten Untersuchungen und lachten dabei so laut und stürmisch, daß ich mir sehr schafsmäßig vorkam, während Toby über die Vertraulichkeiten, die sie sich gestatteten, aufs höchste empört war.

Dabei waren diese lebhaften jungen Damen zu gleicher Zeit überraschend höflich und menschlich; sie fächelten uns die Insekten fort, die uns gelegentlich ins Gesicht flogen, sie boten uns Nahrung und hatten für meine Schmerzen die mitleidigsten Blicke. Aber so liebenswürdig sie waren, meine Begriffe von Anstand verletzten sie entschieden, denn die Grenzen, die in Europa weiblicher Zurückhaltung vorgeschrieben werden, überschritten sie durchaus.

Als sie sich nach Herzenslust unterhalten hatten, zogen unsere jungen Besucherinnen sich zurück und räumten Scharen von Männern den Platz, die bis gegen Mittag unaufhörlich ins Haus strömten; um diese Zeit hatte sich zweifellos der größte Teil der Talbewohner an unserem Anblick gelabt.

Als ihre Zahl endlich geringer wurde, trat ein prachtvoll aussehender Krieger ein; er mußte sich bücken, um mit den wehenden Federn seines Hauptschmucks durch die niedrige Tür zu gelangen. Ich sah sogleich, daß er eine hervorragende Persönlichkeit sein mußte, denn die Eingeborenen behandelten ihn mit größter Ehrfurcht und räumten ihm den Platz, sowie er herantrat.

Er sah imponierend aus. Die leuchtenden, lang herabhängenden Schwanzfedern des Tropenvogels, mit farbigen Hahnenfedern abwechselnd, standen in einem mächtigen Halbkreis aufrecht um seinen Kopf; an ihrem unteren Ende waren sie in einem Halbmond von Glasperlen befestigt, der seine Stirne umspannte. Um seinen Hals hingen mehrere gewaltige Ketten von Eberzähnen, die glatt wie Elfenbein und so angeordnet waren, daß die längsten und größten auf seiner breiten Brust lagen. In seinen großen Ohrlöchern staken zwei kleine fein geformte Pottwalzähne, mit den Höhlungen, in denen frisch gepflückte Blätter staken, nach vorn, während sie am anderen Ende zu seltsamen kleinen Bildern und Zeichen geschnitzt waren. So vom Ohr herunterhängend, glichen diese barbarischen Schmuckstücke einem Paar von Füllhörnern. Die Lenden des Kriegers waren mit schweren Falten von dunkelfarbigem Tappa gegürtet, wobei vorn und hinten Büschel von geflochtenen Quasten hingen; Hals- und Knöchelringe aus gelocktem Menschenhaar vollendeten sein eigenartiges Kostüm. In der rechten Hand trug er einen schön geschnitzten Ruderspeer von beinahe fünfzehn Fuß Länge aus glänzendem Koarholz, der an dem einen Ende scharf zugespitzt und am anderen abgeflacht wie ein Ruder war. Schräg von seinem Gürtel hing in einer Schlinge aus Flechtwerk eine reich verzierte Pfeife. Das dünne Rohr, das den Stiel bildete, war rot gefärbt, und rings um ihn, sowie um den als Götzen geschnitzten Kopf, flatterten kleine Streifen von dünnstem Tappastoff.

Aber was an dem prachtvollen Menschen am auffälligsten erschien, das war die sorgfältige Tätowierung seiner herrlichen Glieder. Alle erdenklichen Linien, Kreise und Figuren waren auf seinen ganzen Körper gezeichnet, die in ihrer grotesken Buntheit und Überfülle an die seltsam gehäuften Muster kostbarer alter Spitzen erinnerten. Die einfachsten und auffälligsten zugleich zierten sein Gesicht. Zwei breite tätowierte Streifen, die von der Mitte seines kahl geschorenen Schädels ausgingen, liefen schräg über beide Augen, so daß sie die Lider färbten, und vereinten sich unter jedem Ohr mit einem anderen Streifen, der in gerader Linie die Lippen entlang lief und die Basis dieses Dreiecks bildete. Der Krieger war so wundervoll gebaut, daß man sagen konnte, die Natur habe ihn adlig gestaltet, und die Linien in seinem Gesicht bezeichneten vielleicht seinen hohen Rang.

Er setzte sich in einiger Entfernung von der Stelle nieder, wo Toby und ich ruhten, und die übrigen Wilden sahen bald ihn, bald uns an, als erwarteten sie etwas, das immer noch nicht kam. Als ich den Häuptling aufmerksam betrachtete, schienen mir seine Züge bekannt, und sowie er mir sein Gesicht voll zuwandte und ich dem seltsamen Blick begegnete, der sich in der Nacht vorher auf mich geheftet hatte, erkannte ich trotz der Veränderung in seiner Tracht den edlen Mehivi. Als ich ihn ansprach, kam er herzlich auf mich zu, begrüßte mich warm und schien den Eindruck, den sein barbarisches Kostüm auf mich gemacht hatte, nicht wenig zu genießen.

Ich beschloß sogleich, mir womöglich sein Wohlwollen zu sichern, da ich wohl erkannte, daß er großes Ansehen in seinem Stamme besaß und auf unser späteres Schicksal mächtigen Einfluß üben konnte.

Ich tat es mit Erfolg. Die Freundlichkeit, die er mir und meinem Genossen zeigte, hätte nicht größer sein können. Er streckte seine stämmigen Glieder neben uns aus und suchte uns begreiflich zu machen, wie groß sein Wohlwollen für uns war, und daß die Verständigung fast unübersteigliche Schwierigkeiten bot, ärgerte ihn nicht wenig. Er wünschte vor allem über die Sitten und Eigentümlichkeiten des fernen Landes unterrichtet zu werden, aus dem wir kamen, und das er immer wieder »Manikah« nannte.

Aber was ihn mehr als alles andere beschäftigte, das war das Vorgehen der »Frenih« – so nannte er die Franzosen – in der Bai von Nukuhiva. Darüber wurde er nicht müde uns zu befragen, aber alles, was uns ihm mitzuteilen gelang, war wenig mehr, als daß wir sechs Kriegsschiffe in der feindlichen Bucht liegen sehen hatten, als wir sie verließen. Sowie er dies hörte, begann Mehivi mit Hilfe seiner Finger eine lange Berechnung; er schien die Zahl der Franzosen abzuschätzen, die das Geschwader mit sich führen mochte.

Er schien gerade damit fertig geworden zu sein, als er die Schwellung meines Beines bemerkte. Er untersuchte es sogleich mit größter Aufmerksamkeit, dann schickte er einen Jungen, der gerade dastand, mit irgendeiner Botschaft weg. Wenige Augenblicke später kehrte der Bursche mit einem alten Manne zurück. Sein Kopf war kahl wie eine polierte Kokosnußschale, der er auch in Farbe und Glätte glich; ein langer silberweißer Bart reichte ihm fast bis zu dem Rindengürtel, den er trug. Um seine Schläfen lief ein Band aus geflochtenen Blättern des Omubaumes, das so über seinen Brauen lag, daß es seine schwachen Augen vor dem Sonnenglanz schützte. Er ging mit schwankenden Schritten an einem langen dünnen Stecken; in der einen Hand trug er einen frisch geflochtenen Fächer aus jungen grünen Kokosblättern. Ein flutendes Gewand aus Tappa, das über der Schulter zusammengeknüpft war, fiel in losen Falten um seine gebeugte Gestalt und ließ ihn noch ehrwürdiger erscheinen.

Mehivi grüßte diesen alten Herrn, bedeutete ihm, sich zwischen uns zu setzen, dann entblößte er mein Bein und bat ihn, es zu untersuchen. Der Wundarzt sah mich und Toby aufmerksam an, dann ging er ans Werk. Nachdem er das schmerzende Glied sorgfältig untersucht hatte, begann er die Behandlung; er schien anzunehmen, daß es gefühllos geworden war, denn er begann es in einer Weise zu kneten und zu hämmern, daß ich vor Schmerz brüllte. Vergeblich suchte ich Widerstand zu leisten; es schien nicht leicht, den Fängen des alten Hexenmeisters zu entgehen; er hielt das Bein fest, als wäre es ein Schatz, und während er eine Art Beschwörung murmelte, fuhr er mit seiner Behandlung fort, so daß ich beinahe wahnsinnig wurde; Mehivi aber hielt mich mit gewaltigem Griff fest, etwa wie eine liebevolle Mutter ein sich wehrendes Kind im Stuhle des Zahnarztes festhält, und feuerte den Kerl noch an, die Folter fortzusetzen. Beinahe verrückt vor Schmerz und Wut, brüllte ich wie ein Wahnsinniger, während Toby, alle Stellungen eines hervorragenden Mimikers annehmend, vergeblich versuchte, die Eingeborenen durch Zeichen und Gebärden von ihrem Tun abzubringen. Es sah absolut so aus, als ob er das Taubstummenalphabet vorgeführt hätte, und ob der alte Folterknecht Tobys Bitten nachgab oder aus purer Erschöpfung innehielt, weiß ich nicht; jedenfalls hörte er plötzlich mit der Behandlung auf, der Häuptling ließ mich los, und ich sank erschöpft und schwer atmend auf das Lager zurück. Mein Bein sah beinahe aus wie ein Rinderbraten, den die Köchin geklopft hat, ehe sie mit dem Schmoren beginnt. Der Arzt aber nahm nun einige Kräuter aus einem kleinen Beutel, der an seiner Seite hing, befeuchtete sie mit Wasser und legte sie auf die entzündete Stelle; dabei beugte er sich wieder darüber und flüsterte Zaubersprüche, wenn es nicht etwa ein vertrauliches Gespräch mit einem Dämon war, den er in meiner Wade vermutete. Dann wurde das Bein ganz in einen Verband aus Blättern gewickelt; ich dankte der Vorsehung für die Einstellung der Feindseligkeiten und hatte nun Ruhe.

Bald darauf erhob Mehivi sich, aber ehe er ging, sprach er gebieterisch zu einem der Eingeborenen, den er Kory-Kory nannte; und aus dem wenigen, was ich davon verstand, entnahm ich, daß er ihm das besondere Amt, für mich zu sorgen, übertrug. Ich weiß nicht einmal, ob ich das sogleich verstand, aber das Verhalten dieses meines wackeren Leib- und Kammerdieners in der Folge machte mir klar, daß es so gemeint war.

Sehr amüsant war, daß der Häuptling nunmehr eine Ansprache an mich hielt und wenigstens fünfzehn bis zwanzig Minuten so ruhig zu mir redete, als ob ich jedes Wort verstehen müßte. Ich habe dies nachher noch oft bei vielen anderen Bewohnern der Insel erlebt.

Als Mehivi gegangen war und der Hausarzt uns gleichfalls verlassen hatte, blieben wir – es war gegen Sonnenuntergang – mit den zwölf Eingeborenen zurück, die, wie ich inzwischen festgestellt hatte, den Haushalt bildeten, zu dem Toby und ich nunmehr gehörten.

Das Haus, in das ich zuerst geführt worden war, blieb auch meine ständige Wohnung während meines Aufenthaltes im Tale; es glich den meisten anderen Wohnstätten und läßt sich etwa in folgender Weise beschreiben:

Nahe der Talseite und etwa auf halber Höhe eines ziemlich steil ansteigenden, mit dem reichsten Grün bewachsenen Abhanges war eine Anzahl großer Steine bis zu etwa acht Fuß Höhe geschichtet, so daß sie eine ebene Fläche bildeten, auf der dann das Wohnhaus aufgeführt wurde. Vorn blieb ein schmaler Raum auf der Steinschicht – die die Eingeborenen »Pai-Pai« nennen – frei, der, mit einem kleinen Rohrzaun umgeben, eine Art Veranda bildete. Das eigentliche Gestell des Hauses besteht aus dicken, aufrecht eingesetzten Bambusstäben, die in Zwischenräumen durch Querstäbe aus dem leichten Holz des Hybiscus gesichert sind, die wiederum mit Riemen aus Baumrinde verknotet werden. Die Wände sind aus aneinandergebundenen Kokoszweigen zusammengefügt, deren Blätter sehr geschickt miteinander verflochten sind; die Rückseite ist ein wenig geneigt, sie erhebt sich vom äußersten Ende des Pai-Pais etwa zwanzig Fuß; das vorspringende Dach, das mit langen spitzen Zwergpalmblättern gedeckt ist, neigt sich stark geschrägt bis etwa fünf Fuß über den Boden; über die Fassade hängen quastengleiche Büschel herunter. Diese bestand aus schlanken, eleganten Rohrstäben, die eine Art Gitterwerk bildeten, das mit Gebinden, die es zusammenhielten, geschmackvoll verziert war. Die Seitenwände des Hauses waren in gleicher Weise angelegt, so daß die Luft von drei Seiten frei durchziehen konnte, während das Innere vor Regen völlig geschützt war.

Die Länge dieser malerischen Wohnstätte betrug etwa zwölf Ellen, die Breite kaum mehr als ebensoviel Fuß. Von außen erinnerte es mich mit seinen rohrgeflochtenen, metalldrahtgleichen Stäben an ein riesiges Vogelhaus.

Man mußte sich ein wenig bücken, um durch die schmale Öffnung an der Vorderseite einzutreten; zwei lange, vollkommen gerade und sorgfältig geglättete Kokosbaumstämme lagen in der ganzen Länge des Hauses, der eine an der Rückwand, der andere, etwa vier Schritte entfernt, parallel dazu; zwischen beiden Stämmen war eine Menge bunt geflochtener Matten gebreitet, beinahe jede mit einem anderen Muster. Dieser Raum bildete den gemeinsamen Lager- und Aufenthaltsplatz der Eingeborenen, etwa dem Diwan im Orient entsprechend. Hier schlummerten sie in der Nacht, hier lagen sie genießerisch den größten Teil des Tages. Der übrige Teil des Fußbodens zeigte nur die kalte glänzende Fläche der breiten Steine des Pai-Pai. Von der großen Querstange unter dem Dach des Hauses hing eine Anzahl von Bündeln herab, die in grobes Tappa gehüllt waren; einige davon enthielten Festgewänder und andere Kleidungsstücke. Mit Hilfe einer Schnur, die über die große Stange lief und mit dem einen Ende je an einem Bündel, mit dem anderen an der Wand festgemacht war, konnte man sie nach Belieben herunterlassen oder zur Decke hinaufziehen.

An der Rückseite des Hauses waren eine Menge Spieße, Wurfspeere und anderes Kriegsgerät geschmackvoll angeordnet. Außerhalb der Wohnung auf dem freien Platz davor befand sich ein kleiner Schuppen, der als eine Art Speisekammer gebraucht wurde und in dem die verschiedensten Gegenstände, die im Haushalt und sonst nötig waren, aufbewahrt wurden.

Wenige Schritte von dem Pai-Pai entfernt, befand sich ein großer Schuppen aus Kokoszweigen, in dem das »Poï-Poï« bereitet wurde und der überhaupt als Küche diente.

Ein bequemeres und für das Klima und die Leute geeigneteres Haus hätte man nicht erdenken können. Es war kühl, ließ überall Luft einströmen, war äußerst sauber gehalten und durch den steinernen Unterbau vor der Feuchtigkeit und allen Unsauberkeiten des Bodens geschützt.

Was die Bewohner betrifft, so hat mein treuer Diener Kory-Kory das Recht auf den ersten Platz. Sein Charakter wird im Laufe der Erzählung klar werden; hier sei nur sein Äußeres geschildert. Kory-Kory war der hingebungsvollste und gutmütigste Pfleger der Welt, aber leider scheußlich anzusehen. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, ungefähr sechs Fuß hoch, wohlgebaut und kräftig, dennoch bot er einen erstaunlichen Anblick. Der Kopf war sorgfältig kahl geschoren bis auf zwei kreisrunde große Flecke nahe dem Scheitel, an denen das Haar, das er an diesen Stellen erstaunlich lang wachsen ließ, zu zwei abstehenden Knoten geflochten war, die ihm geradezu ein gehörntes Aussehen gaben. Desgleichen war der Bart fast im ganzen Gesicht sorgfältig ausgerupft, nur zwei lange haarige Strähnen hingen von seiner Oberlippe, und zwei andere befanden sich am Kinn. Um sich weiter zu verschönern, hatte Kory-Kory sein Gesicht mit drei breiten Querstreifen tätowiert, die seine Nase überquerten, in die Augenhöhlen hinabstiegen und sich um seinen Mund zogen. Alle drei umspannten sein ganzes Gesicht: der eine verlief in Augenhöhe, der andere kreuzte das Gesicht in der Nähe der Nase, der dritte zog sich die Lippen entlang von einem Ohr zum anderen. So dreigeteilt schien sein Gesicht immerfort hinter Gefängnisstäben hervorzusehen, während der übrige Körper meines wackeren wilden Dieners über und über mit Darstellungen von Vögeln und Fischen und anderen ganz unbegreiflichen Geschöpfen bedeckt, an eine mittelalterliche Naturgeschichte erinnerte.

Dabei erscheint es mir fast herzlos, so von dem Armen zu sprechen, dessen unablässiger Pflege ich vermutlich mein Leben verdanke. Sein Anblick, mir so ungewohnt, entsprach nur der Sitte seines Landes.

Sein Vater war ein Eingeborener von riesiger Größe, der einmal ungeheuere Kräfte besessen hatte; jetzt war seine mächtige Gestalt von der Last der Jahre gebeugt, obwohl der alte Krieger niemals im Leben krank gewesen zu sein schien. Marheyo, so hieß er, schien sich von aller Teilnahme am Leben des Tales zurückgezogen zu haben; selten oder nie begleitete er die anderen auf ihren Zügen; den größten Teil der Zeit beschäftigte er sich mit der Errichtung eines kleines Schuppens neben dem Hause, an dem er, soweit ich weiß, vier Monate arbeitete, ohne sichtbare Fortschritte zu machen. Vermutlich befand er sich im Zustand greisenhaften Schwachsinns. Er hatte ein Paar auserwählter Ohrschmuckstücke, die aus den Zähnen irgendeines Seeungeheuers geschnitzt waren. Diese legte er wohl mindestens fünfzigmal am Tage an und nahm sie wieder ab, wobei er jedesmal still aus seiner kleinen Hütte ins Haus und wieder dahin zurückging. Manchmal, wenn er den Schmuck in die Ohren gesteckt, ergriff er seinen Speer, der lang und dünn war wie eine Angelrute, und