Für Knaben und Mädchen im Alter von 7–12 Jahren

Kindergeschichten

Für Knaben und Mädchen im Alter von 7–12 Jahren

Was der Weihnachtsmann allen fleißigen und artigen Kindern verspricht

Hört, ihr lieben Kinder, recht aufmerksam zu! Ihr wißt alle, welch froher Zeit wir entgegensehen.

Nur wenig Wochen noch, und der herrliche Weihnachtsabend ist wieder da! Nicht wahr, das ist der schönste Abend im ganzen Jahr?

Wißt ihr kleinen Schelme aber auch, was der liebe, heilige Christ von euch verlangt, wenn er euch recht viele schöne Spielsachen bringen soll und alles, was euer kleines Herz erfreut?

Der liebe Gott will, daß ihr euch so vieler Güte wert macht, stets fleißig und folgsam euren lieben Eltern und Lehrern seid, und diese nie durch Unart und Trägheit erzürnt. Er verlangt ferner, daß ihr eure kleinen Herzen reinhaltet von jeder geheimen Sünde. Nie sollt ihr es vergessen, wenn ihr unrecht denkt oder handelt, daß der Vater im Himmel überall ist und alles weiß und sieht. Der liebe Gott kennt eure geheimsten Gedanken, ihn, der euch allezeit beschützt, werdet ihr auch gewiß nie erzürnen und betrüben wollen. Ihr werdet euch immer redlich Mühe geben, recht brav und fleißig zu Hause und in der Schule zu sein. Ihr wißt ja, wie gut eure Eltern und Lehrer zu euch sind, und wieviel Geduld diese mit euch haben. Ihr habt gewiß auch den besten Willen, ihnen recht viele Freude zu machen.

Wenn ihr gute Kinder seid, so hört denn nun auch, was euer aller Freund, der Weihnachtsmann, euch verspricht. Wenn der Schnee auch noch so hohe Berge zusammentreibt, so will er sich doch durcharbeiten, um euch einen prächtigen Weihnachtsbaum mit vielen Lichten, Marzipan und vergoldeten Äpfeln und Nüssen zu bringen. Er verspricht euch schöne Spielsachen und auch Bücher, aus denen ihr lernen sollt, damit ihr kluge und gute Menschen werdet. Alles will der liebe, heilige Christ euch bringen, was euch Freude macht. Von ferne will er dann hören, –denn sehen läßt er sich nun einmal nicht –ob ihr eure Weihnachtsgedichte recht schön gelernt habt: ob ihr Geschwister auch recht verträglich und gefällig miteinander seid; ob ihr alle Gaben recht in Ehren haltet und diese ordentlich verwahrt, oder es macht wie unartige Kinder, die alles umherwerfen und entzweimachen.

Ich kenne ein kleines Mädchen, welches einst eine Arche Noah bekam, und denkt euch, schon am Christabend drehte sie den kleinen Holzfrauen und -männchen die Köpfe ab!

Was meint ihr wohl, was da der Weihnachtsmann tat? –Alles hat er fortgeholt. Als das kleine Mädchen am anderen Morgen aufwachte, waren alle die schönen Sachen verschwunden. –Seht ihr, so geht es, wenn man die hübschen Geschenke zerstört. Später hat die Kleine so etwas nie wieder versucht, sie wurde sogar sehr ordentlich. Darum entging sie auch ferner solcher Strafe und hatte nie wieder einen so traurigen Weihnachtsmorgen zu erleben. –

So, meine lieben Kinderchen, nun habe ich euch genug von dem guten Weihnachtsmann erzählt. Empfangt ihn nun mit Jubel in eurem Hause und in eurem Herzen! Freut euch recht sehr und springt lustig und glücklich herum. Laßt euch alle Näschereien wohlschmecken und gut bekommen. Träumt die ganze Nacht von allen Herrlichkeiten und erwacht am Morgen zu neuer Wonne und frohem Spiel!

Lebt nun alle wohl und beherzigt, was ich euch gesagt habe, damit es immer nur frohe Weihnachtsabende bei euch gibt. –

Nehmt noch einen herzlichen Gruß; der liebe Gott schütze und leite euch auch im neuen Jahr mit seiner Gnade und seiner Vatertreue!

Bestrafte Schmähsucht oder Treue Freundschaft

In dem schönen, wohlgepflegten Garten der reizenden Villa des Herrn von Strahlen grünte und blühte alles zur herrlichen Frühlingszeit.

Freundlich hatte den ganzen Tag die Sonne geschienen, und eben mit ihrem letzten Schimmer die in vollster Blütenpracht stehenden Obstbäume vergoldend, drang sie auch noch grüßend in die Baumgruppe, in deren Schatten die Tochter des Hauses, die zwölfjährige Elfriede, saß.

Trotz des wunderbaren Zaubers in der Natur standen Tränen in den Augen dieses jungen Menschenkindes. Heut am ersten Pfingstfeiertage war sie so allein. Alle ihre Mitschülerinnen waren an verschiedenen Orten froh beisammen, nur sie hatte niemand aufgefordert. –Weshalb hatten sich alle so plötzlich von ihr gewandt? Das eben war es, was Elfriede sich nicht erklären konnte. Stets war sie zu allen freundlich gewesen und immer hatte die gute Mutter dafür gesorgt, daß ihre Freundinnen gut bei ihr aufgenommen wurden, wenn diese sie besucht hatten.

Dennoch hatten alle wie auf Verabredung eine abschlägige Antwort gegeben, als sie von der Mama zur Feier ihres Geburtstages eingeladen worden waren. Die eine hatte sagen lassen, sie habe selbst Besuch, eine andere war schon eingeladen, und in ähnlicher Weise war von allen eine Absage eingegangen.

Auch in der Schule wurde sie schon seit längerer Zeit von allen vollständig gemieden und übersehen.

Obgleich Elfriede sehr betrübt darüber war, so scheute sie sich doch, nach dem Grund dieser unfreundlichen Begegnung zu fragen, weil alle gar zu böse taten.

Als sie eben noch ganz trostlos darüber nachgrübelte, was sie wohl verschuldet haben könnte, kam ihr zehnjähriger Bruder Willi angelaufen und rief schon von weitem: »Die Mama läßt dir sagen, du sollst auf die Veranda kommen! Es ist Besuch da, eine Frau Major Helm mit ihrer Tochter. Was sitzt du denn da und machst ein Gesicht, als wäre dir die Petersilie verhagelt? Komm nur schnell! Ich habe dich schon überall gesucht; ich konnte mir doch nicht denken, daß du hier sitzt und Krokodilstränen weinst!«

Obgleich sich Elfriede über die naseweisen Bemerkungen des zwei Jahre jüngeren Bruders ärgerte, so klärte sich doch ihr Gesicht bei der angenehmen Nachricht auf, und sie beeilte sich, schnell die Tränenspuren verwischend, dem mütterlichen Befehl zu folgen.

Mit vor freudiger Erregung geröteten Wangen begrüßte sie nun den unerwarteten, ihr so willkommenen Besuch.

Wohlgefällig ruhten die Blicke der Frau Major auf dem lieblichen, frischen Gesichtchen, und Elfriede herzlich die Hand reichend, sprach sie: »Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich meiner Meta annehmen und freundschaftlich mit ihr verkehren wolltest. Wir sind seit einigen Tagen hier in dem kleinen, nahegelegenen Badeörtchen und werden voraussichtlich den ganzen Sommer hierbleiben. Wir beide haben an den Folgen einer bösen Influenza zu leiden und wollen uns hier gründlich erholen und stärken. Meta hat leider durch die lange Krankheit viel in der Schule versäumt und soll nun hier Privatunterricht haben, um das Versäumte möglichst nachzuholen.«

Während nun die Eltern mit ihrem Gast heiter plaudernd auf der Veranda blieben, eilten die beiden Mädchen hinaus in den Garten, wo sie sich lachend und scherzend herumtummelten.

»Wie hübsch ist es doch, daß ich dich zu Hause getroffen habe!« sagte Meta. »Ich fürchtete eigentlich, daß du heute bei einer deiner Freundinnen sein könntest, und bat die Mama, unsern Besuch lieber bis nach den Feiertagen zu verschieben. Doch Muttchen meinte, ebensogut könntest auch du dir Besuch eingeladen haben, und ich lernte dann zugleich auch deine Freundinnen kennen. Wie kommt es, daß du heute so allein zu Hause bist?«

Elfriede errötete bei dieser Frage und erwiderte kleinlaut: »Meine Mitschülerinnen hatten für die Feiertage allerlei vor; einige wollten Partien machen, und die anderen hatten auch untereinander verschiedenes vor.«

»Und dazu haben sie dich nicht einmal aufgefordert?« fiel Meta ein. »Nein, wie unrecht finde ich das! So unfreundlich sind wir nicht zueinander; oder hattest du keine Lust, dich ihnen anzuschließen?«

»Ach ja, ich wäre gern dabei gewesen«, entgegnete Elfriede verschämt, aber ehrlich.

Als Meta bemerkte, daß sie Elfriede mit dieser Frage in Verlegenheit gebracht hatte, brach sie schnell davon ab und wußte sie mit einigen spaßigen Reiseerlebnissen so zu belustigen, daß sie bald wieder heiter und vergnügt wurde.

Die beiden jungen Mädchen gefielen einander sehr und hatten sich gleich so angefreundet, daß sie beim Abschied sich das Versprechen gaben, wenn es die Eltern erlaubten, sich täglich besuchen zu wollen.

Keiner war glücklicher als Elfriede, deren Herz sich nach einer Freundin gesehnt hatte. »Meta ist so lieb und gut,« sagte sie nachher zu ihrer Mutter, »und ich will alles tun, um mir ihre Freundschaft zu erhalten. Liebes Mamachen,« fuhr sie gang traurig fort, »kannst du es dir denn gar nicht denken, weshalb sich alle von mir zurückgezogen haben und keine in der Schule mich mehr leiden mag?« Und bitterlich weinend verbarg sie das Köpfchen an der treuen Mutterbrust.

Liebreich streichelte und tröstete die Mutter das weinende Töchterchen. »Armes Kind,« sagte sie, »wohl kann ich es dir nachfühlen, wie sehr du darunter leidest. Du hättest sogleich, als du bemerktest, wie sich deine Mitschülerinnen von dir zurückzogen, fragen müssen, was du verschuldet. Ein ehrliches Wort findet stets einen guten Ort. Als wir vor einem Jahre hierherzogen, kamen dir doch alle die kleinen Mädchen so herzlich entgegen. Gewiß hast du, ohne es zu wissen, ihnen etwas getan, und auf keinen Fall hättest du eine offene Frage unterlassen dürfen.«

»Ja, aber liebes Muttchen,« entgegnete Elfriede verzagt, »das war doch sehr schwer, da alle gleich so böse waren.«

»Da hättest du erst recht nicht schweigen sollen«, sagte darauf die Mutter. »Du siehst, wie weit man mit Scheu und Furcht kommt. Deine Mitschülerinnen können dich und deinen Umgang entbehren: du allein hast darunter zu leiden. Jetzt ist es nun schon weit schwerer für dich, aber dennoch mußt du es tun. Gehe nur zu Eva Vogel, das ist ein so liebes, nettes Mädchen, die wird gewiß nicht abweisend sein, wenn du dich ihr freundlich näherst. Dadurch vergibst du dir in keiner Weise etwas, denn das merke dir: Demut ist der schönste Schmuck eines jeden weiblichen Wesens.«

Elfriede dachte viel über der Mutter Worte nach und nahm sich auch vor, danach zu handeln. Allein, als sie nach beendeten Pfingstferien wieder in die Schule kam, waren die Mitschülerinnen fast noch kälter und fremder als bisher. Da fehlte ihr nun vollends der Mut zur Annäherung, und es blieb daher wieder ganz beim alten, denn auch keine Vorstellungen der Mutter konnten sie zur Aussprache bewegen. Ihr Trost blieb ihre Meta Helm, mit welcher sie bald die innigste Freundschaft verband. Da auch die Eltern und Metas Mutter sich näher getreten waren, so kamen die beiden Mädchen fast täglich zusammen. Stets waren sie einig, und eine tat der andern zu Gefallen, was sie nur konnte.

Doch auch dieses Glück schien Elfriede getrübt werden zu wollen. –Eines Tages hörte sie Eva Vogel zu einer Freundin in der Schule sagen: »Gestern war ich mit den Eltern in Grafenort, und da haben wir so zufällig eine Frau Major Helm mit ihrer Tochter kennen gelernt. Da das Konzert dort sehr besucht war, so waren alle Tische besetzt, als sie kamen. Papa besorgte noch zwei Stühle und lud sie ein, an unserem Tisch Platz zu nehmen, was die Frau Major auch gern annahm. Beim Abschied versprach sie, heute bei uns ihren Besuch machen zu wollen. Nun werden die Eltern auch Helms übermorgen zu der Wasserpartie, von welcher ich dir schon erzählt habe, einladen. Nicht wahr, es ist nett, daß wir noch eine neue Freundin bekommen?«

Elfriede erschrak sehr; die Angst, Meta nun auch zu verlieren, peinigte und verwirrte sie so, daß sie nachher den Lehrern ganz verkehrte Antworten gab und daher von diesen streng getadelt wurde. Tief beschämt und hocherrötend saß sie da und wagte nicht aufzusehen, weil sie die spöttischen Blicke aller auf sich gerichtet fühlte.

Infolge der großen Gemütsbewegung bekam Elfriede so heftige Kopfschmerzen, daß sie noch vor Schluß der Schule nach Hause gehen mußte.

Die erschrockene Mutter brachte sie sogleich zu Bett, und da sie fieberte, wurde der Arzt gerufen. Dieser erklärte zur Beruhigung der Eltern, daß es eine kleine Nervenabspannung sei, die durch Ruhe wohl in einigen Tagen wieder gehoben sein würde.

Meta, welche an dem Tage mit ihrer Mutter wirklich bei Vogels gewesen war, konnte nicht mehr dazu kommen, auch Elfriede zu besuchen, daher wußte sie nichts von deren plötzlichen Erkrankung. Sicher hoffte sie, die Freundin bei der Gondelpartie zu treffen, und war sehr erschrocken, zu hören, daß Elfriede die Schule gestern krank verlassen habe.

»Oh, wie leid tut es mir, daß Elfriede nun hier fehlt, und daß ich sie heute nicht besuchen kann«, sagte Meta.

»Wenn sie auch gesund wäre, so würde sie doch nicht hier sein«, bemerkte Agathe von Rheden.

»Weshalb denn nicht?« fragte Meta sehr verwundert.

»Weil wir alle nicht mit ihr verkehren und keine von uns sie leiden mag«, erwiderte Agathe.

»Ich liebe aber Elfriede sehr und werde mich keiner anschließen, die ihr feindlich gesonnen ist«, sagte nun Meta entrüstet.

»Werde doch nicht gleich böse, ehe du noch weißt, weshalb wir uns alle von deiner geliebten Elfriede zurückgezogen haben«, entgegnete pikiert Agathe, die sich stets vor allen ein wenig wichtig hervortat.

»Wenn ihr alle nichts dagegen habt,« so wandte sie sich an die andern, »dann will ich es sogleich erklären.«

Da alle ihre Zustimmung gaben, begann sie: »Als Strahlens vor einem Jahre hierherkamen, fanden wir Elfriede auch alle reizend, und wir waren bald sehr befreundet mit ihr. Sie fehlte nie in unserem Kreise, bis wir dahinterkamen, welches Teufelchen in ihr verborgen ist. Wir waren einmal alle bei Eva Vogel eingeladen, wo wir sehr vergnügt und bis spät abends zusammen waren. Als viele unter uns schon um 9 Uhr abgeholt wurden, blieben Grete Albrecht, Elfriede und ich noch eine halbe Stunde beisammen. Aber kaum hatten sich die letzten entfernt, als Elfriede in der boshaftesten Weise über sie herfiel:

›Habt ihr wohl bemerkt, wie unordentlich die Toni angezogen war? Es ist doch nicht recht, sich nicht einmal ordentlich anzuziehen, wenn man ausgebeten wird. Nein, und wie ungeschickt ist doch die Klara, nicht einmal gewann sie beim Krocket, und wie unmanierlich ißt sie, das würde meine Mama nie dulden. Zum Totlachen fand ich die Alma, die schneidet ja fortwährend Gesichter.‹ Dabei versuchte sie, ihr aufs komischste nachzuäffen. In dieser Weise ging es so weiter, bis sie alle nach der Reihe gründlich vorgenommen hatte. Sie war so eifrig dabei, daß sie nicht einmal merkte, daß wir uns alle verwundert ansahen und kein Wort dazu sagten.

Bald danach hatte sie es bei uns ebenso gemacht, und dann hörten wir von anderen, daß wir auch nicht von ihr verschont geblieben waren. Wir beschlossen nun gemeinschaftlich, uns ganz von ihr zurückzuziehen, bevor sie noch mehrere unserer Fehler kennen lernte. Findest du jetzt unser Verhalten gegen eine solche Freundin noch ungerecht und unfreundlich?«

»Gewiß war das von Elfriede sehr tadelnswert und häßlich, aber ihr hättet sie offen zur Rede stellen müssen; sie weiß sicher nicht, warum ihr böse auf sie seid. Ganz gewiß hätte sie ihr Unrecht eingesehen und sich alle Mühe gegeben, diesen Fehler abzulegen.«

»Das sagte ich auch,« fiel Eva Vogel ein, »aber da kam ich schön an. Ihr alle waret zu beleidigt, daß Elfriede Schattenseiten an euch entdeckt und euch nicht alle reizend gefunden hatte. Jetzt tut sie mir wirklich schrecklich leid, wenn sie so traurig und verlasen in der Schule sitzt. Wäre sie nur zu mir gekommen und hätte mich gefragt, dann würde ich ihr alles ehrlich gesagt haben.«

»Das hat sie aber doch nicht getan und eben durch ihr Schweigen bewiesen, daß ihr an uns und unserer Freundschaft nichts liegt«, entgegnete ihre Kusine Hedwig.

»Du warst ja am meisten böse auf sie, und gerade bei dir wäre sie schön angekommen, wenn sie es gewagt hätte, dich zu fragen«, sagte Eva Vogel.

Meta suchte die Freundin, soviel sie konnte, zu entschuldigen und bemerkte, daß sie Elfriede morgen besuchen und sie über dies alles aufklären wolle. »Und ihr werdet euch doch auch versöhnen lassen,« bat sie, »wenn sie ihr Unrecht einsieht und euch um Verzeihung bittet.«

»So schnell ist das nicht wieder gutzumachen, dazu hat sie es denn doch zu arg gemacht«, riefen einige.

»Denkt darüber, wie ihr wollt,« erwiderte Meta, »ich werde stets als treue Freundin zu ihr stehen, und will nichts von denen wissen, die eine reuig Bittende zurückweisen können.«

Während Meta der kranken Elfriede so tapfer das Wort redete, saß diese blaß und angegriffen am Fenster ihres Stübchens. Sie mußte immer wieder an den letzten Schultag vor ihrer Erkrankung denken und sah daher so traurig aus, daß dies die Besorgnis der Eltern erregte.

»Ich werde sogleich zu der Frau Major gehen«, sagte der Vater, »und sie bitten, ihr verständiges Töchterchen herzuschicken. Das, denke ich, wird dem armen Kinde die beste Zerstreuung sein.«

Willi hatte in der Stadt von seinem Freunde Otto Vogel von dem gestrigen Vergnügen gehört und war nach Beendigung der Schule sogleich zu seiner Mutter geeilt, um dieser in aller Ausführlichkeit diese Neuigkeit mitzuteilen. »Denke nur, Mama,« sagte er, »in bekränzten Gondeln sind sie nach der Altburg gefahren. Und große Körbe mit belegten Butterbroten, Flammeri und kalten Speisen haben sie mitgenommen. Auch Torte und Maibowle gab es. Und beide Mädchen hatten sie zur Bedienung mitfahren lassen«, so fuhr er begeistert in seiner Erzählung fort. »Mir hat der schlechte Otto nicht einmal ein Stückchen Kuchen abgegeben«, setzte er ärgerlich hinzu. »Nicht wahr, liebes Mamachen, wenn die Elfe wieder gesund ist, dann machen wir auch solche Partie, und dann machst du es noch weit schöner, und der Otto muß zu Hause bleiben und bekommt auch nichts davon ab.«

»Wenn ich dir diesen Wunsch nun erfüllte, warum soll denn aber der Otto nicht mit?« erwiderte die Mutter. »Man muß im Leben nicht immer gleich Vergeltung üben wollen. Ottos Mutter hat es vielleicht nicht gewünscht, solch einen wilden Jungen dabei zu haben. Wenn ich nun aber den Otto mitnehmen wollte, so würdest du doch sicher das doppelte Vergnügen haben, dich mit deinem besten Freunde belustigen zu können.«

Willi hatte, wie seine ältere Schwester, ein gutes Herz neben seinen vielen Fehlern, denn als einziges Söhnchen war er ein wenig verzogen und naseweis.

»Ja, du liebes Muttchen,« sagte er, vor Freude in die Hände klatschend, »du hast immer recht, ich will auch sogleich gehen und es dem Otto erzählen, daß er mit soll.« Und die Mutter stürmisch umarmend, lief er davon und hörte kaum noch, wie ihm diese verbot, mit seinen Erzählungen die kranke Schwester aufzuregen.

Zu derselben Zeit, als Willi bei der Mutter seine Neuigkeiten anbrachte, war die Köchin Mine bei Elfriede gewesen, um sich teilnehmend nach ihrem Befinden zu erkundigen. »Ach, liebes Elfriedchen,« begann sie sogleich, »wie schade, daß du auch gerade jetzt krank sein mußt. Denke doch, eben hat mir Vogels Mädchen erzählt, welch eine großartige Gondelpartie sie gestern mit der Herrschaft gemacht habe. Evas Schulfreundinnen waren fast alle dabei, auch die hübsche Meta, welche mit ihrer Mutter so oft zu uns kommt. Mach nur, daß du wieder gesund wirst, Herzchen, dann macht dir die Mama gern ein solches Vergnügen. Na, und ich will kochen und backen dazu, daß es eine Lust sein soll, bei uns muß es noch viel schöner werden als bei Doktor Vogels.«

»Wie sollte es bei uns wohl viel schöner werden?« so dachte Elfriede, als Mine sie verlassen hatte. »Es wird ja doch niemand mitkommen, wenn die Mama auch wieder alle einladet. Ich werde nun gewiß auch meine gute, liebe Meta verlieren«, schluchzte sie. Und in ihrer Traurigkeit hatte sie es ganz überhört, daß schon zweimal leise an ihre Tür geklopft wurde, und wer beschreibt ihre Freude, als Meta, ihre Meta, eintrat.

Glückselig eilte sie ihr entgegen und umarmte die treue Freundin so stürmisch, als wollte sie diese fürs Leben festhalten.